horus 1/2011 - Europa blind verstehen

Inhaltsverzeichnis


Vorangestellt

Uwe Boysen:

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,

Europa, so die Sage, war eine schöne Königstochter, in die sich der immer auf Abenteuer programmierte Göttervater Zeus verliebte. Um sie, aber auch seine eifersüchtige Götterehefrau, zu täuschen, verwandelte er sich in einen Stier und entführte die Ahnungslose.

Als Fazit aus dieser sehr kurzen Nacherzählung könnte man formulieren: Unwissenheit ist gefährlich! Und weiter: Schützen wir uns vor solcher Unwissenheit, damit wir keine unangenehmen Überraschungen erleben und es uns nicht ergeht wie der überrumpelten Europa.

Das war einer der Gründe, warum DVBS und blista am 10. und 11. September 2010 ein Seminar "Europa blind verstehen" veranstaltet haben, dessen auszugsweise wiedergegebene Referate den Schwerpunkt dieses Heftes bilden. Wenn man sich vor Augen führt, wie intensiv die europäische Verflechtung auf wirtschaftlichem, aber auch auf juristischem Gebiet inzwischen geworden ist (und dazu boten die gehaltenen Vorträge reichlich Anschauungsmaterial), so wird es in den nächsten Jahren eine Kardinalaufgabe auch der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe sein, europäische Strukturen zu begreifen und zu erkunden, wie wir dabei zielorientiert in unseren Schwerpunkten Bildung, Beruf und Barrierefreiheit tätig werden können.

Helfen kann uns dabei sicherlich die Europäische Blindenunion (EBU), wenn auch nicht zu verkennen ist, dass wir es hier in den einzelnen Ländern noch mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zu tun haben. Wir müssen uns aber auch mit dem Gedanken vertraut machen, selbst möglicherweise mehr in diese Arbeit - materiell wie immateriell - zu investieren, damit wir Errungenschaften bewahren, aber auch neuen Herausforderungen angemessen begegnen können. Denken wir gemeinsam darüber nach, wie ein solcher Prozess in Gang zu setzen ist und wer aus unseren Reihen Lust hat, sich hier einzubringen. Das wünscht sich

Ihr und Euer
Uwe Boysen

Das Fotomotiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt Uwe Boysen, den 1. Vorsitzenden des DVBS, auf der Kundgebung "Hände weg vom Blindengeld" in Kiel. Die Bildunterschrift lautet: Uwe Boysen, 1. Vorsitzender des DVBS, auf der Kundgebung in Kiel in Gelbschwarz (Foto: DBSV / Volker Lenk).

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In eigener Sache

Dr. Imke Troltenier

Gutes Neues!

Das neue Jahr hat gleich eine ganze Reihe guter Nachrichten im Gepäck: Das horus-Redaktionsteam hat sich hochkarätig verstärkt und zählt jetzt acht Köpfe. Der "Neue" im Team ist Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, längst wohlbekannt. Er steht - wie so oft - auch in dieser Ausgabe für den Beitrag zur Rubrik "Vorangestellt": Herzlich willkommen, Uwe Boysen!

Der vorliegende horus 1/2011 knüpft an das Symposium von blista und DVBS unter dem gleichnamigen Titel "Europa blind verstehen" im vergangenen Jahr an und baut darauf auf. Damals fand man nach Abschluss niemanden, der nicht mehr oder minder begeistert und angefüllt mit neuen Erkenntnissen und Inspirationen nach Hause fuhr. Und so hat das Symposium auch nach seinem offiziellen Abschluss weiter für Impulse gesorgt: Neu ist der "horus spezial 6" unter dem Titel "Europa blind verstehen". Hier finden Sie neben der Dokumentation des Symposiums auch einschlägige Hintergrundmaterialien und Berichte, die wir im Nachgang erhalten haben, online auf den Internetseiten des DVBS (Rubrik: horus & Broschüren). Vielfach verweisen wir im Schwerpunkt des vorliegenden Heftes auf diese Quellen als horus-Additive für Interessierte. Sie mögen Ihnen, den Leserinnen und Lesern, zur Vertiefung von Wissen, den Teilnehmern zur Festigung desselben und der interessierten Öffentlichkeit als Rundumschau des "Was" und "Wie" der europäischen Interessenvertretung im deutschen Blinden- und Sehbehindertenwesen dienen. Wir wünschen Freude beim Lesen!

Mit diesen additiven, crossmedialen Angeboten für vertiefte Information, möchte die Redaktionskonferenz den Stellenwert der Printversionen des horus unterstreichen und ausbauen. Vor diesem Hintergrund finden Sie in der Schwarzschriftausgabe zudem einige neue Gestaltungselemente und wir sind gespannt auf Ihre Resonanz. Kommentare wie Anregungen sind herzlich willkommen, insbesondere solche, die Entsprechendes für die Punktschriftausgabe thematisieren.

Last, not least: Im Schwerpunktthema der nächsten Ausgabe geht es um Assistenz. Welche Erfahrungen haben Sie in der Praxis von Arbeit, Schule, Studium oder privat gemacht? Welche Denkwürdigkeit erlebt? Welche Lösung (nicht) gefunden? Und welche Visionen (z.B. im Sinne der BRK) an die Assistenz geknüpft? Redaktionsschluss ist der 23. März. Auf Ihre Beiträge freut sich die Redaktion des horus: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Mit herzlichen Grüßen aus der horus-Redaktion

Dr. Imke Troltenier
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im DVBS

PS: Das Fachmagazin "horus" steht auch als Audio-DAISY-Version zum Download bereit! Wenn Sie über eine E-Mail-Adresse und einen DSL-Anschluss verfügen, können Sie die Ausgaben bereits 10 Tage vor dem offiziellen Erscheinungstermin lesen. Für den Bezug von "horus ad hoc" wenden Sie sich bitte an Luzia Preis (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!). Die DAISY-Version ist gut 180 MB groß und wird als ZIP-Datei versandt.

Der Schwarzschriftausgabe ist ein kleines Portraitfoto beigefügt, auf der sie lächelnd zu den Betrachtenden schaut.

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Europa blind verstehen

Prof. Dr. Dieter Krimphove

Wie Europarecht entsteht und nationales Recht wird

Das nachfolgende Thesenpapier gibt die wesentlichen Gedanken und Leitlinien des Vortrags wieder.

1. Das Referat stellt das Europarecht in den Zusammenhang völkerrechtlichen und nationalen Rechts und beschreibt die Hierarchie der unterschiedlichen Normen. Gleichzeitig beurteilt es die vielfältigen europarechtlichen Normen danach, inwieweit sie dem einzelnen Bürger eigene Rechtspositionen vermitteln.

2. Ganz oben in der Normenhierarchie stehen die Normen des Völkerrechts. Hierzu zählen die Konventionen der UN, UNESCO oder auch die Verträge von Staaten untereinander. Völkerrechtliche Normen richten sich ausschließlich an Staaten und Staatsorganisationen (sog. Völkerrechtssubjekte). Der Bürger hat damit keine Möglichkeit, sich auf Völkerrecht zu berufen. Das gilt auch für die UN-BehindertenrechtsKonvention (BRK), die von den der UN angehörenden Staaten erst in ihr Recht umgesetzt werden muss.

3. Auf zweiter Hierarchieebene steht das europäische Recht, speziell das Recht der europäischen Verträge. Nach verschiedenen Vertragsphasen (u.a. EWG-Vertrag, Vertrag von Maastricht, Amsterdamer Vertrag) gilt aktuell das so genannte Lissabonner Vertragswerk, genau, der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Grundsätzlich behalten alle europäischen Verträge ihren völkerrechtlichen Charakter, geben also den Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedsstaaten keine direkten Rechte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jedoch bereits sehr früh entschieden, dass auch der einzelne Bürger sich auf das europäische Recht berufen kann, wenn es die sogenannten Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit (Art.34 AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) sowie die Dienstleistungsfreiheit Art. 56 AEUV)) betrifft.

4. Beispiel: ein Behinderter Mensch fährt zu einer Kur nach Tschechien und verlangt Versicherungszahlungen von der Krankenversicherung. Diese kann sich auf Grund der Dienstleistungsfreiheit nicht mit dem Argument wehren, der Patient hätte die Leistung im Inland wahrnehmen können. Die im Ausland angenommene Leistung muss jedoch medizinisch sinnvoll und notwendig sein. Deutschland folgt bis heute dieser vom EuGH bereits mehrfach entschiedenen Rechtslage nicht. Das europäische Recht geht dem deutschen Recht vor. Dies gilt nicht nur für europäische Rechtsnormen, sondern auch für Entscheidungen des EuGH. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in einer aufsehenerregenden Entscheidung diesen Vorrang anerkannt (Az. 2 BvR 2661/06).

5. Neben dem Recht der europäischen Verträge kennt das europäische Recht zwei Normkategorien; die Verordnung und die Richtlinie.

6. Die Verordnung gilt ohne weiteres in den jeweiligen europäischen Mitgliedsländern. Sie wirkt unmittelbar für und gegen die in ihr angesprochenen (Bürger, Unternehmen, Staaten etc.). Hauptbeispiele für europäische Verordnungen, die auch die Rechtsstellung von Blinden und Sehbehinderten betreffen, sind:

  • Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie ihrer Nachfolge-Verordnung, der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Diese, erst am 1. 5. 2010 in Kraft getretene, Verordnung ermöglicht die Anerkennung von Versicherungsansprüchen, die der EU-Bürger im europäischen Ausland erworben hat (und gibt die Beschränkung der Verordnung 1408/71 auf Arbeitnehmer und Selbstständige auf). Die Verordnung 883/2004 gilt für alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, Staatenlose und Flüchtlinge, die in einem Mitgliedstaat der EU wohnen, deren Familienangehörige und Hinterbliebene (Art. 2 der Verordnung) und die
  • Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität (sog. EU-Flugverordnung).

7. Kritik an der Flugreiseverordnung:

  • Die Definition des Behinderten in Art. 2 Abs. 1 lit. a der Flugreiseverordnung ist zwar sehr weit. Die möglichen Rechte der Behinderten schränkt die Verordnung jedoch ebenfalls umfassend mit dem Bezug auf Sicherheitsbestimmungen und die Größe des Luftfahrzeuges in Art. 4 wieder ein.
  • Nach dem Wortlaut der Verordnung erhält der Behinderte kein eigenes Recht. Vielmehr darf ihm das Transportunternehmen die Beförderung nicht unter Berufung auf seine Behinderung verweigern. Dies ist eine andere Qualität des Anspruches.
  • Daneben enthält die Regelung des Art. 3 nur einen solchen Inhalt, der ohnehin nach dem Stand der allgemeinen Höflichkeit und des Anstandes selbstverständlich ist.
  • Art. 7 soll dem Reisenden ein Recht auf Hilfeleistung gewähren. Tatsächlich ist die Norm lediglich als Zuständigkeitszuweisung formuliert, wenn es dort in Abs. 1 heißt: "Kommt ein behinderter Mensch oder eine Person mit eingeschränkter Mobilität auf einem Flughafen an, um einen Flug anzutreten, so obliegt es dem Leitungsorgan des Flughafens, dafür Sorge zu tragen, dass die in Anhang I genannte Hilfe so geleistet wird."

8. Obschon der Wortlaut der europäischen Flugreiseverordnung nur minimale Ansprüche bietet, verstehen insbesondere Flugreisegesellschaften und Flugreiseanbieter den Inhalt der Verordnung umfassender. Sie gewähren ein "echtes" Beförderungsrecht und wirksame Maßnahmen, die insbesondere sehbehinderte Fluggäste auf dem Flughafen, aber auch in der Kabine unterstützen. Die erweiterte Sicht der Fluganbieter mag die Folge der Verbandsarbeit sein.

9. In Zukunft sollen europäische Normen den Inhalt der Flugreiseverordnung auch auf andere Beförderungsmittel erweitern. Die Verbandsarbeit erscheint auch hier besonders wichtig, um auch diesen derzeit noch geplanten Regelungen einen möglichst weiten Inhalt zu geben.

10. Die europäische Richtlinie wendet sich ausschließlich an Mitgliedstaaten. Diese sind verpflichtet, deren Inhalt in ihr nationales Recht umzusetzen. Eine unmittelbare Wirkung für den Bürger erlangt die Richtlinie daher grundsätzlich erst, wenn der nationale Gesetzgeber sie in nationales Recht umgesetzt hat.

11. Ausnahmsweise gewährt die Rechtsprechung des EuGH dem Bürger einen unmittelbaren Zugriff auf eine noch nicht umgesetzte europäische Richtlinie gegenüber seinem nationalen Staat, wenn er die europäische Richtlinie nicht fristgerecht in sein Recht umgesetzt hat und die Richtlinie dem Bürger eine eigenständige Rechtsposition geben würde.

12. Gegenüber der Richtlinie greift die Verordnung stärker in die Kompetenz des nationalen Gesetzgebers ein. Aus diesem Grund ist der Erlass europäischer Normen durch Verordnung weitaus seltener als der durch die europäische Richtlinie.

13. Wichtigste Richtlinie für das Schwerbehindertenrecht ist die Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines all gemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Amtsblatt Nr. L 303 vom 02.12.2000 S. 16-22), die der deutsche Gesetzgeber in seinem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in deutsches Recht umgesetzt hat. Der europäische Gesetzgeber bereitet die Erweiterung dieser Richtlinie auf Rechtsverhältnisse, die Nichtarbeitsverhältnisse sind, vor. Eine Änderung des deutschen Rechtszustandes wird dadurch nicht eintreten, denn der deutsche Gesetzgeber hat andere Rechtsverhältnisse bereits im AGG mitberücksichtigt.

14. Die Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz hält der Vortragende für problematisch: die Inanspruchnahme "fremder" Rechte aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwingt den Behinderten in eine andere, nachteiligere Argumentation, als wenn ihm ein eigenes Recht zugestanden wird. Dies ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins und des Selbstverständnisses von Behinderten. Theoretisch könnte die Gleichbehandlung auch in der Schlechterstellung des Vergleichspartners bestehen. Der EuGH hat allerdings diese Konsequenz ausgeschlossen. Unter Umständen führt die Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz auch dazu, dass Normen, die den Behinderten Vorteile einräumen, entfallen, etwa in der viel diskutierten Entscheidung "Mangold" des EuGH (Urteil vom 22.11.2005): Ein über 52 Jahre alter Arbeitnehmer unterschrieb einen befristeten Arbeitsvertrag. Später berief er sich darauf, die Befristung könne nicht gelten, denn § 14 Abs. 3 Teilzeitbefristungsgesetz nehme ausschließlich Bezug auf Arbeitnehmer über 52 Jahre und diskriminiere damit diesen Personenkreis altersbedingt. Der EuGH hatte in dieser Entscheidung - für einen vergleichbaren Fall - § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG wegen seines altersdiskriminierenden Inhaltes für europarechtswidrig und damit für unanwendbar erklärt. Damit führt die Berufung auf den Grundsatz der Gleichbehandlung von älteren Arbeitnehmern zu ihren jüngeren Kollegen zu einer Beseitigung der Möglichkeit der Wiedereingliederung gerade älterer Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsprozess. Ob daher die Entscheidung des EuGH für ältere Arbeitnehmer bzw. Langzeitarbeitslose ein "Glücksfall" ist, mag dahingestellt bleiben. Andererseits verliert der Arbeitnehmer mit der Abschaffung des § 14 Abs. 3, Satz 4 des TZBfG den Nachteil, ständig befristeten Arbeitsverträgen ausgesetzt zu sein.

15. Neben den europäischen Verträgen, insbesondere dem AEUV, den europäischen Verordnungen und den europäischen Richtlinien, kennt das europäische Recht noch Entscheidungen, Stellungnahmen, Entschließungen, Empfehlungen und Beschlüsse insbesondere der Kommission, des Rates und des Europäischen Parlamentes. Hier existiert eine Vielzahl von Akten, die sich mit der Situation Behinderter auseinander setzt. Beispielhaft seien folgende Entschließungen des Rates genannt:

  • vom 15. Juli 2003 über die Förderung der Beschäftigung und der sozialen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, Amts blatt Nr. C 175 vom 24.07.2003, S. 1-2
  • vom 6. Mai 2003 über die Zugänglichkeit kultureller Einrichtungen und kultureller Aktivitäten für Menschen mit Behinderungen, Amtsblatt Nr. C 134 vom 07.06.2003, S. 7-8
  • vom 5. Mai 2003 über die Chancengleichheit für Schüler und Studierende mit Behinderungen in Bezug auf allgemeine und berufliche Bildung, Amtsblatt Nr. C 134 vom 07.06.2003, S. 6-7
  • vom 6. Februar 2003 "eAccessibility" — Verbesserung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zur Wissensgesellschaft, Amtsblatt Nr. C 039 vom 18.02.2003, S. 5-7 (weitere Beispiele in der ungekürzten Fassung, s. u.).

Allerdings sind diese europäischen Akte keine Rechtsnormen, sondern lediglich unverbindliche Erklärungen und vermitteln dem Bürger keine eigenen Rechte.

16. Angesichts des vor der Geltung des Lissabonner Vertrags bestehenden Einstimmigkeitsprinzips und angesichts der nach dem Lissabonner Vertrag geltenden komplexen Rechts-lage, die die Verabschiedung europäischer Richtlinien und Verordnungen sehr schwierig und sehr zeitaufwändig gestalten, kommt der Rechtsetzung des EuGH durch Urteile gesteigerte Bedeutung zu. Hier sind es insbesondere die Vertragsverletzungsklage und das Vorabentscheidungsverfahren, in dem der EuGH über die Rechte blinder und sehbehinderter Menschen befindet: Wiederholt hat der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus dem AEUV und aus der oben genannten Ver-ordnung 1408/71 verstößt, indem es den Bezug von Sozialleistungen davon abhängig macht, dass der Beziehende seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat . Zurzeit hat die Kommission eine Vertragsverletzungsklage wegen des gleichen Inhalts beim EuGH gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben (Klage, eingereicht am 30. April 2010 — Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Rechtssache C-206/10) (2010/C 179/37). Hierbei geht es um den Bezug von Blindengeld (Einzelheiten im Anhang des Originals).

17. Aber auch mit dem Vorabentscheidungsverfahren greift der EuGH massiv in die Gestaltung des europäischen und nationalen Rechts ein. Im Gegensatz zum deutschen Recht haben seine Urteile sogar eine gewisse Bindungswirkung gegenüber nationalen Gerichten. Denn Art. 267 AEUV verpflichtet jedes nationale Obergericht, den EuGH anzurufen, wenn es in seiner Entscheidung von Europarecht und den Europarechtstandards, die der EuGH gesetzt hat, abweichen will. Hierzu muss es den EuGH vorab nach seiner Rechtsauffassung fragen und ist anschließend an die Antwort gebunden.

18. Ein solches Vorabentscheidungsverfahren stellte der Aufsehen erregende Fall Coleman dar (EuGH, Urteil vom 17.7.2008 - C-303/06). Hier gestand der EuGH auch den Angehörigen von behinderten Familienmitgliedern die Rechte von Behinderten zu: Dabei kreiste der Rechtsstreit im wesentlichen um die Frage, wie weit die Richtlinie 2000/78/EG auszulegen ist. Der EuGH führt aus: Auch in der Situation, in der ein nichtbehinderter Arbeitnehmer deswegen nachteilig behandelt wird, weil er sich um sein behindertes Kind kümmern muss, liegt eine unzulässige unmittelbare Diskriminierung i.S.d. Art. 2 Abs. 2a der Richtlinie 2000/78 und sogar eine europarechtswidrige Belästigung i.S.d. Art. 2 Abs. 3 Richtlinie 2000/78.

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung dieses Beitrages in horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/publikationen/horus-spezial/horus-spezial-6-2011.htm

Zum Autor

Prof. Dr. jur. Dieter Krimphove wurde 1958 in Münster geboren. Er studierte an der Wilhelms-Universität Münster Rechtswissenschaften, VWL und katholische Theologie. Nach Ablegen der beiden juristischen Staatsprüfungen war Krimphove in einem internationalen Konzern sowie in einer Rechtsanwaltskanzlei tätig, promovierte im Jahre 1992 über die "Europäische Fusionskontrolle" und wurde 1994 als Professor an die FHTW Berlin berufen. 1997 wechselte er an die Universität Paderborn. Sein Forschungs- und Lehrschwerpunkt liegt dort auf Wirtschaftsrecht, insbesondere dem europäischen Wirtschaftsrecht und dem Bankrecht. Seit 1998 arbeitet Prof. Krimphove zudem als "Independent Expert" des EU-Programms "PHARE" und wirkt als Regierungsberater an der Umsetzung Europäischer Richtlinien mit. 2009 ernannte ihn die EU-Kommission zum Jean Monnet Professor "ad personam".

In der Schwarzschriftausgabe sind zwei Fotos beigefügt. Das erste zeigt die rund 20 Teilnehmenden des Symposiums in langer Tischrunde im Bielschowsky-Raum der blista. Auf dem zweiten ist Professor Krimphove während seines Vortrages zu sehen. Uwe Boysen sitzt neben ihm, beide schmunzeln in Richtung der Zuhörenden. Die Bildunterschriften lauten: "Professor Krimphove (rechts) eröffnete er einen praxisnahen Einblick in die Vielfalt der Normenkategorien. Links neben ihm: Uwe Boysen" und: "Rund 20 Teilnehmende kamen zu dem Marburger Symposium" (Fotos: DVBS itrol).

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Wolfgang Angermann

Die Europäische Blindenunion - Interessenvertretung von Menschen mit eingeschränktem oder ohne Sehvermögen auf europäischer Ebene

Zu den Arbeitsfeldern der deutschen Organisationen der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe gehört die internationale Arbeit auf dem Gebiet des Blinden- und Sehbehindertenwesens. Demzufolge sind diese Organisationen Mitglied in der Europäischen Blindenunion (EBU).

Im Jahr 1984 wurde die EBU als Bestandteil der Welt-Blindenunion gegründet. Zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehören:

  • Förderung des Wohls Blinder und Sehbehinderter mit dem Ziel der Gleichstellung und vollen Teilhabe an der Gesellschaft;
  • Schaffung eines Europäischen Forums für den Austausch von Wissen und Erfahrungen auf den Gebieten Blindheit und Sehbehinderung;
  • Förderung der Verhütung von Blindheit und Sehbehinderung in Europa.

Zur EBU gehören derzeit Organisationen aus 45 Mitgliedsländern. Ihre konkrete Arbeit wird in so genannten Ständigen Kommissionen und Steuerungsgruppen gestaltet. Diese befassen sich mit bestimmten Arbeitsfeldern, in denen sich die wichtigsten Interessen und Belange blinder und sehbehinderter Menschen wiederfinden. Hierzu zählen:

  • Zusammenarbeit mit den Institutionen und politischen Gremien der Europäischen Union;
  • Zugang zu Kultur, Information, Technologie sowie Umwelt und Verkehr;
  • Bildung, Erziehung und Berufsalltag;
  • soziale Rechte;
  • Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt.

Die besonderen Belange bestimmter Gruppen blinder und sehbehinderter Menschen, wie z.B. Jugendliche, ältere Menschen und Frauen, werden von den für diese Bereiche geschaffenen Steuerungsgruppen behandelt. Eine weitere Steuerungsgruppe widmet sich den besonderen Bedürfnissen und Interessenlagen blinder und sehbehinderter Menschen mit zusätzlichen Behinderungen, eine weitere denjenigen hörsehbehinderter und taubblinder Menschen, da Taubblindheit als eine Behinderung eigener Art anzusehen ist.

Oberstes Organ der EBU ist die Generalversammlung. Sie kommt alle vier Jahre zusammen und legt die zukünftigen Arbeitsschwerpunkte fest. Außerdem wählt sie das Präsidium der EBU mit fünf Funktionsträgern bzw. Funktionsträgerinnen und acht Beisitzerinnen bzw. Beisitzern. Die zu besetzenden Funktionen sind: Präsident, zweimal Vizepräsident, Generalsekretär und Schatzmeister. Das Präsidium entwickelt auf der Grundlage der Resolutionen der Generalversammlung einen Arbeitsplan, der Leitfaden für seine Arbeit, aber auch für die Arbeit der Expertenkommissionen und der Steuerungsgruppen ist. Die Bildung bzw. Ernennung dieser Kommissionen und Steuerungsgruppen ist eine weitere wichtige Aufgabe des Präsidiums.

Die nahezu einzige finanzielle Grundlage für die Arbeit der EBU sind die Beiträge ihrer Mitglieder und gelegentliche oder auch regelmäßige Sonderzuwendungen von nationalen Mitgliedsorganisationen. Weitere Mittel werden durch die Förderung geeigneter Projekte durch die Europäische Union aus unterschiedlichen Förderprogrammen gewonnen. Dabei fällt der Verbindungskommission der EBU zur EU eine sehr wichtige Rolle zu.

Als regionaler Bestandteil der Welt-Blindenunion ist die EBU in alle Aktivitäten eingebunden, die weltweit die Interessen blinder und sehbehinderter Menschen betreffen, so etwa die Schaffung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (BRK).

"Blinde und Sehbehinderte", so heißt es im Internetauftritt der EBU, "sehen sich am Arbeitsplatz, bei der Arbeitssuche, im Café, Supermarkt oder Krankenhaus tagtäglich mit Diskriminierungen und Verletzungen ihrer Rechte konfrontiert. Der Kampf gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte steht im Zentrum der EBU-Kampagnen." Bei diesen Kampagnen verfolgt die EBU insbesondere das Ziel einer möglichst weitgehenden Gleichstellung blinder und sehbehinderter Menschen mit anderen Bürgerinnen und Bürgern durch

  • Schaffung von Rechtsnormen, die der Sicherung der sozialen Rechte blinder und sehbehinderter Menschen dienen und die darauf gerichtet sind, Diskriminierungen im Alltag zu verhindern und ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu verwirklichen sowie
  • Durchführung konkreter Maßnahmen, die auf den Abbau von Barrieren gerichtet sind, die den Zugang blinder und sehbehinderter Menschen zu Informationen und moderner Technologie, zur Teilnahme am allgemeinen Straßen- und Reiseverkehr, zur Wahrnehmung ihrer Rechte als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger erschweren oder unmöglich machen und schließlich
  • Bereitstellung von nachteilsausgleichenden finanziellen Leistungen, wo Barrieren nur durch individuelles Handeln der einzelnen Betroffenen unter Umständen durch Inanspruchnahme bezahlter Assistenzleistungen überwunden werden können.

So war die EBU ein wichtiger Akteur in der Kampagne für die Aufnahme eines Verweises auf "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" in Artikel 13 des Europäischen Vertrages aus dem Jahre 1997 (Amsterdamer Vertrag), mit dem die EU zum ersten Mal eine Rechtsgrundlage für die Bekämpfung von Diskriminierungen erhielt. Der Antidiskriminierungsplan der Europäischen Kommission sowie die EU-Richtlinie über die Gleichstellung in Arbeit und Beruf sind unmittelbare Folgen dieses Artikels 13.

Von besonderer Bedeutung auf europäischer Ebene ist noch die Mitgliedschaft der EBU im Europäischen Behindertenforum (EDF). Die EBU unterstützt hier dessen Vorschläge für eine behindertenspezifische Richtlinie über Antidiskriminierung, die im März 2003 im Rahmen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen auf den Weg gebracht wurde. Die EBU hat sich z.B. nachdrücklich dafür eingesetzt, dass in die Vorschriften für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen Zugänglichkeitskriterien sowie die Schaffung von Anreizen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen aufgenommen wurden. Hiernach würden Unternehmen, die bevorzugt Menschen mit Behinderungen einstellen oder deren Produkte barrierefrei gestaltet sind, zusätzliche Punkte bei der Zuschlagserteilung von öffentlichen Aufträgen bekommen. Teil dieser Arbeit ist die Einflussnahme auf Dienstleister, Hersteller, Gesetzgeber, Regulierungsbehörden und Normungsinstitute mit dem Ziel, das Konzept der Gestaltung für Alle in deren Tätigkeit zu integrieren. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist das Design der Euro-Geldscheine, bei dessen Erarbeitung die EBU mit dem Europäischen Währungsinstitut eng zusammengearbeitet hat, um die neuen Geldscheine möglichst verbraucherfreundlich für Blinde und Sehbehinderte zu machen.

Bereits im Jahre 1998 wurde bei der EBU-Verbindungskommission zur EU die Arbeitsgruppe "Urheberrecht" gebildet (vgl. Artikel "Bücher ohne Grenzen" in diesem Heft). Ebenso fördert die EBU die Audiodeskription und die Anstrengungen, Telekommunikationsgeräte und digitales Fernsehen barrierefrei zugänglich zu machen. Beides wird teilweise durch die europäische Gesetzgebung und Normung bestimmt, die Herstellern und Netzbetreibern bestimmte Auflagen macht. Die EBU beteiligt sich an Normungsinitiativen, indem sie für die Schaffung technischer Standards für Empfangsgeräte für die Audiodeskription und für barrierefreie Alternativen zur Steuerung per Bildschirmmenü eintritt. Da der Bildschirm zukünftig bei immer mehr IT- und Haushaltsgeräten Einsatz finden wird, stellt der barrierefreie Zugang zu den Navigationsbildschirmen ein noch wichtigeres Thema dar als zuvor.

In ihrer gemeinsamen Arbeit mit Normungsinstituten und anderen Gremien drängt die EBU zur Behandlung der "Guide 6" der CEN-CENELEC - Leitlinien zur Erarbeitung europäischer Normen, die sich mit den Bedürfnissen älterer blinder und sehbehinderter Menschen befasst. EBU-Mobilitätsfachleute arbeiten an der Entwicklung europäischer Standards für taktile Bodenbeläge, Blindenverkehrsampeln und anderer technischer Einrichtungen, mit denen die Nutzung von Umwelt und Verkehr für Blinde und Sehbehinderte weniger gefährlich wird.

Zur Generalversammlung 2007 hat die Sozialrechtskommission der EBU ein umfangreiches Arbeitspapier vorgelegt, in dem die besonders für blinde und sehbehinderte Menschen relevanten Artikel der BRK dargelegt und umfassend kommentiert sind. Die EBU setzt sich nachdrücklich für die Einführung und, wo diese bereits bestehen, für die uneingeschränkte Beibehaltung nachteilsausgleichender Sozialleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen ein. So hat sie zum Beispiel in einer Resolution, die dem deutschen Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet wurde, ihr Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass die für blinde und teilweise auch für sehbehinderte Menschen in den Bundesländern bestehenden nachteilsausgleichenden Sozialleistungen in den letzten Jahren reduziert und in einigen Fällen sogar abgeschafft worden waren.

Wer sich über die Arbeit der EBU auf dem Laufenden halten möchte, dem sei die regelmäßige Lektüre des EBU-Newsletters empfohlen. Er ist auf der Internetseite der EBU unter anderem auch in deutscher Sprache zu finden (www.euroblind.org).

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung dieses Beitrages in horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/spezial/2011-6-1072-34-1071-1073.htm

Zum Autor

Wolfgang Angermann ist geschäftsführender Direktor des Deutschen Taubblindenwerks (www.taubblindenwerk.de). Seit 2003 ist der ehemalige Geschäftsführer des DVBS (1977-1994) und langjährige Leiter der DVBS-Fachgruppe Jura (1996-2004) Mitglied im Vorstand der Europäischen Blindenunion.

Das Fotomotiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt Wolfgang Angermann während seines Vortrags auf dem Symposium. Er trägt ein kariertes Sakko und hat die Hände vor sein Notizgerät gelegt. Neben ihm sitzt Hans Kaltwasser. Die Bildunterschrift lautet: Wolfgang Angermann (links) und Hans Kaltwasser (rechts), Foto: DVBS itrol.

Die Schwarzschriftausgabe enthält weiterhin das blaue Logo der EBU. Die Bildunterschrift erklärt: Das neue EBU-Logo ist Teil eines Kommunikations-Gesamtpakets, das mit Hilfe des Gemeinschaftsprogramms für Beschäftigung und soziale Solidarität, PROGRESS, entwickelt wurde. Es zeigt ein Auge als Symbol für die Kampagnen zur Verteidigung der Rechte blinder und sehbehinderter Menschen innerhalb Europas, und gleichzeitig steht es für das Ziel, die visuelle Präsenz und das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schärfen. Die Buchstaben EBU innerhalb des Auges stellen die Europäische Blindenunion als voneinander Abhängig und doch von Synergie ausgezeichnet dar und vereinfachen so das Design, wobei der Werbeslogan "The voice of blind and partially sighted people in Europe" (Die Stimme blinder und sehbehinderter Menschen in Europa) diese Botschaft verstärkt. Es liegt nahe, das neue Logo auch als eine Art "Siegel" zu betrachten, welches die Qualität der Arbeit symbolisiert.

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Hans Kaltwasser

Die EBU-Verbindungskommission

1. Vorbemerkung

Ich habe meine Überlegungen in fünf Schwerpunktthemen gegliedert: Als Ausgangspunkt wähle ich zunächst die strukturelle Betrachtungsebene, d.h. es geht um die Zusammensetzung dieser Kommission, um ihre Verankerung in der EBU, um die Finanzierung ihrer Aktivitäten. Von hier aus will ich dann den Bogen schlagen zur Darstellung der Arbeitsweise und zu einem Überblick über ihre Aktivitäten der letzten zwei Jahre. Ein wichtiger Teil ihrer Aktivitäten, die Lobbyarbeit, soll dann näher beleuchtet werden. (Die letztgenannten Teile sind in horus spezial 6 - Europa blind verstehen nachzulesen, s. u.).

2. Satzung, Zusammensetzung, Verankerung in der EBU, Budget

Die Verbindungskommission ist eine von acht Kommissionen der EBU. Sie nimmt unter allen Kommissionen und Gremien der EBU gleich in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein.

  • Als einzige Kommission verfügt sie über eine eigene Satzung oder Quasi-Satzung, die ihr fast den Status einer separaten Organisation innerhalb der EBU verleiht. So heißt es in Art. 1 Abs. 1.2 dieser Satzung: "Die Verbindungskommission erfüllt die Aufgaben und Pflichten eines Europäischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes in allen Fragen, die für die EU und für blinde und sehbehinderte Menschen von Belang sind, einschließlich Fragen der Gesetzgebung, soziale Maßnahmen und Programme der EU." Das heißt: In allen EU-spezifischen Angelegenheiten ist die Verbindungskommission befugt, im Namen der EBU zu sprechen und wichtige Initiativen unter Aufsicht des Präsidiums auszuführen.
  • Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass sie als einzige Kommission über eigene finanzielle Mittel verfügt, die ihr von der EU als Zuschüsse für Koordinierungszwecke und gemeinsame Projekte zufließen.
  • Als einzige Kommission steht ihr zudem ein Sekretariat zur Seite, das sie bei ihren koordinierenden und administrativen Aufgaben unterstützt.
  • Die EBU-Verbindungskommission ist außerdem ein exklusiver Club. Art. 2 der Satzung regelt, dass nur solche nationalen Mitglieder einen Delegierten entsenden können, die einen Mitgliedstaat der EU vertreten. So gehört der Verbindungskommission je ein Mitglied der 27 EU-Länder an sowie je ein Vertreter der EEA-Länder Norwegen und Island.
  • Es gibt zudem einen inneren Führungszirkel: Gemäß Art. 4 wählt das EBU-Präsidium aus dem Kreis der nominierten Mitglieder der Verbindungskommission ein Kabinett, das die Geschäfte der Kommission zwischen den Sitzungen leitet.

Aus alledem folgt, dass die Verbindungskommission die Schnittstelle zwischen der EBU und der EU ist, wobei die Aktivitäten, die sie im Laufe ihrer vierjährigen Legislaturperiode entfaltet, häufig von den Gesetzesinitiativen und wichtigen Entwicklungen auf EU-Ebene bestimmt werden.

3. Arbeitsweise

Zunächst einmal gibt es regelmäßige Treffen, zu denen die Mitglieder schriftlich eingeladen werden. Art. 5 der Satzung regelt, dass die Verbindungskommission mindestens einmal pro Jahr tagt und darüber hinaus so oft, wie ihr Vorsitzender und die Mehrzahl ihrer Mitglieder dies für notwendig erachten. In der Praxis hat sich gezeigt, dass sie seit dem Jahre 2008 nur noch einmal im Jahr zusammengetreten ist. Ein Grund hierfür ist, dass mehr als ein Treffen aus den EU-Zuschüssen nicht finanziert werden kann. Das PROGRESS-Programm der EU gewährt keine Mittel für Tagungen, wohl aber für Konferenzen und Seminare. Dies hat dazu geführt, dass EU-Mittel für eine Konferenz zu einem relevanten Thema der Behindertenpolitik beantragt werden und die Sitzungen der Kommissionen zwischen den einzelnen Teilen des Konferenzprogramms stattfinden.

Solche Konferenzen sind dabei durchaus keine symbolischen Veranstaltungen, die für die Verbandspolitik der EBU unbedeutend wären. Vielmehr sind sie häufig Foren, auf denen die Bilanz zum erreichten Stand eines Politikbereichs gezogen wird oder über Strategien für das Erreichen bestimmter Ziele oder Visionen entworfen werden. Die Sitzungen der Verbindungskommission werden vom Sekretariat in Rom vorbereitet, das die Einladung und Sitzungsunterlagen vor Beginn der Sitzung versendet.

Beschlüsse werden bei den Kommissionssitzungen allerdings kaum noch gefasst. Wichtige Teile der politischen Arbeit sind auf andere Mechanismen übergegangen, insbesondere auf die Nutzung von Mailinglisten. Und das ist auch gut so. Weil das Lobbying häufig rasche Interventionen binnen kurzer Fristen verlangt, wäre ein schnelles Reagieren angesichts einmal oder zweimal im Jahr stattfindender Sitzungen gar nicht möglich.

Ein weiteres wichtiges Element der Arbeitsweise sind die Ad-hoc-Expertengruppen, die gebildet wurden, um das gegenwärtige PROGRESS-Programm umzusetzen. Für den Zeitraum 2008 - 2011 wurden Expertengruppen für die Politikfelder Beschäftigung, Bildung, Technologie und Behindertenrechtskonvention gebildet, die mit den hierfür sachlich zuständigen EBU-Kommissionen und Lenkungsgruppen zusammenarbeiten.

Beispiele für die Kooperation zwischen Expertenarbeitsgruppen und EBU-Gremien sind die Zusammenarbeit mit der Lenkungsgruppe "Frauen" bei der Vorbereitung einer schriftlichen Befragung zum Politikbereich "Bildung, berufliche Bildung und Rehabilitation blinder und sehbehinderter Frauen" und die Zusammenarbeit mit der Lenkungsgruppe "Jugend" bei der Vorbereitung eines Seminars über Technologie und Beschäftigung, das im November vergangenen Jahres in Bratislava stattfand.

Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang auch die Explorationen einer Expertengruppe, die die Beschäftigungsbedingungen blinder und sehbehinderter Menschen in verschiedenen Ländern in Europa untersucht und ihre Ergebnisse in dem vielbeachteten Bericht "The Hidden Majority" vorgelegt hat (s. u.).

4.0 Aktivitäten

Schwerpunktthemen bildeten in den vergangenen zwei Jahren insbesondere das Urheberrecht, Arbeit und Beschäftigung, Antidiskriminierung, die BRK, Zugänglichkeit und Mobilität. Darüber hinaus wurde von den Kommissionsmitgliedern eine Vielzahl von Positionspapieren zu unterschiedlichen Politikfeldern erarbeitet. Sie beteiligte sich zudem mit Stellungnahmen an den Konsultationen der Europäischen Kommission.

Zum Autor

Hans Kaltwasser ist Referent für internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) und Sekretär der EBU-Verbindungskommission. Kontakt: Tel.: 030 285387-120, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. In der Schwarzschriftausgabe zeigt das Autorenfoto Hans Kaltwasser während seines Vortrags auf dem Symposium. Er hat den Laptop vor sich aufgeklappt. Neben ihm sitzt DVBS-Vorstandsmitglied Andrea Katemann. Die Bildunterschrift lautet: Hans Kaltwasser (links) und DVBS-Vorstandsmitglied Andrea Katemann (rechts), Foto: DVBS itrol.

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Erwin Denninghaus

Die Kommission für Rehabilitation, berufliche Qualifizierung und Beschäftigung der Europäischen Blindenunion

Die Schaffung von gegenseitigem Verständnis über die Rahmenbedingungen der Verbände und die völlig unterschiedlich organisierten Sozialsysteme zählen zu den grundlegenden Voraussetzungen zur Erfüllung der Aufgaben der Kommission.

Während in vielen Lebensbereichen in Europa bereits ein hoher Grad an Harmonisierung erreicht wurde, sind die sozialen Standards nach wie vor sehr unterschiedlich. Eine besondere Herausforderung bei der Arbeit in der Kommission für Rehabilitation, berufliche Qualifizierung und Beschäftigung (Rehabilitation, Vocational Training and Employment - kurz: RVTE-Commission) besteht darin, dass sich die Zuständigkeit der Europäischen Blindenunion (EBU) nicht nur auf die EU-Staaten beschränkt, sondern dass alle Europäischen Staaten einschließlich Kasachstan in ihr vertreten sind und entsprechend Berücksichtigung finden müssen.

Eine weitere Schwierigkeit für die RVTE-Commission besteht darin, dass sich die Infrastruktur für die Rehabilitation, Qualifizierung und Beschäftigung blinder und sehbehinderter Menschen insbesondere in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion deutlich von denen der westlichen Länder unterscheidet. Sie zeichnen sich im Wesentlichen dadurch aus, dass die Strukturen aus Sowjet-Zeiten tradiert wurden: Liegenschaften und Betriebe sowie Rehabilitations- und Kultureinrichtungen, die blinden und sehbehinderten Menschen in der Sowjetunion dienten, wurden den Blinden- und Sehbehindertenverbänden der Nachfolgestaaten übertragen mit der Maßgabe, dass sie sich und ihre Aufgaben daraus finanzieren. Eine zentrale Aufgabe der Kommission stellt daher die Schaffung von gegenseitigem Verständnis über die Rahmenbedingungen dar, unter denen die Verbände arbeiten müssen.

Eine weitere zentrale Herausforderung stellen die völlig unterschiedlich organisierten Sozialsysteme dar. So geht es nicht nur darum, z. B. im Gespräch die korrekte Übersetzung für das Wort "Integrationsamt" oder "Integrationsfachdienst" zu finden, sondern es muss immer wieder reflektiert werden, welche Leistungen in den einzelnen Ländern unter welchen Voraussetzungen von welchen Organisationen oder Behörden erbracht werden. Selbst ein Begriff wie "Arbeitsagentur" kann nicht einfach mit "Labour Agency" übersetzt werden, denn in jedem Land hat die Arbeitsagentur - sofern es sie gibt - andere gesetzliche Grundlagen für ihr Handeln und dementsprechend andere Profile bzgl. der Leistungserbringung.

Der "Plan of Action 2007 - 2011" enthielt die folgenden Punkte, die von der Kommission zu bearbeiten waren:

  • Den EBU-Sechs-Punkte-Plan verfolgen zur Etablierung einer Europäischen Beschäftigungsstrategie gemäß der "Views Ahead Conference" in Bratislava, 27. - 30. Oktober 2005
  • Das Recht auf berufliche Rehabilitation unter Freistellung vom Job erwirken für Personen, die während ihrer Berufstätigkeit eine erhebliche Sehschädigung erleiden.
  • Unterstützung der nationalen Blindenverbände beim Aufbau von Rehabilitationssystemen gemäß den Vorgaben der EBU.
  • Entwicklung einer EBU-Website über erfolgreiche berufliche Eingliederungen.
  • Untersuchung der Möglichkeiten einer selbständigen Tätigkeit blinder und sehbehinderter Menschen.
  • Ein System von Beschäftigungsquoten für behinderte Menschen voranbringen.
  • Ein verbrieftes Recht auf berufliche Rehabilitation bewirken und einen Mindeststandard festlegen.
  • Sich dafür einsetzen, dass Mobilitätstraining flächendeckend angeboten wird.
  • Eine Konferenz organisieren zu sozial-emotionalen Aspekten von Blindheit und Sehbehinderung.

Die RVTE-Commission wird geleitet von Ulrika Norelius vom Schwedischen Blinden- und Sehbehindertenverband, die Verbindungsperson zum EBU-Vorstand ist Unn Hagen vom Norwegischen Blinden- und Sehbehindertenverband, die Mitglieder kommen aus Großbritannien, Kasachstan, Russland, Serbien, Spanien, der Ukraine und Deutschland. Sie haben sich zwischen 2007 und 2011 dreimal persönlich getroffen. Zwischen den Treffen wurde im Wesentlichen per E-Mail korrespondiert. Die Vorsitzende ist nun dabei, einen Bericht für die EBU-Generalversammlung zu erstellen, die im Herbst 2011 in Dänemark stattfinden wird.

Trotz der oben geschilderten großen Probleme aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten und den Verbänden konnte die Kommission durchaus nützliche Arbeitsergebnisse erzielen. So wurde durch Fred Reid, Großbritannien, ein vergleichender Bericht zu den Rehabilitationssystemen für blinde und sehbehinderte Menschen auf der Basis von persönlichen Recherchen in Schweden, Rumänien und Deutschland erstellt (s. u.). Der Autor dieses Beitrages führte eine Befragung zu den Rahmenbedingungen der beruflichen Selbständigkeit blinder und sehbehinderter Menschen in Europa durch (vgl. nachfolgenden Artikel). Weitere Mitglieder der Kommission waren an verschiedenen Projekten beteiligt und haben ihre Arbeit mit der Kommission rückgekoppelt und reflektiert.

Eine neue und vielversprechende Grundlage für die weitere Arbeit der Europäischen Blindenunion und ihre Organe bildet nun die "Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020", die Mitte November 2010 in Kraft gesetzt wurde (vgl. gleichnamigen Artikel in diesem Heft).

Zum Autor

Dipl.-Psych. Erwin Denninghaus ist seit 2008 Mitglied der RVTE-Commission. Der Autor arbeitet seit 1988 im LWL-Berufsbildungswerk Soest und ist seit 2003 dessen stellvertretender Leiter (Foto: DVBS itrol). Das Autorenfoto zeigt Erwin Denninghaus als Vortragenden beim Symposium. Er lächelt freundlich zu den Betrachtenden hin.

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Erwin Denninghaus

Berufliche Selbständigkeit blinder und sehbehinderter Menschen in Europa

Als Grundlage für eine Empfehlung hat die RVTE-Commission der EBU eine Befragung ihrer nationalen Mitgliedsorganisationen durchgeführt und dadurch wichtige Hinweise gewonnen.

Aufgrund der sehr unterschiedlichen Definitionen von "Behinderung", "Blindheit und Sehbehinderung" und anderer Begriffe sowie der sehr unterschiedlichen Sozialsysteme, arbeitsrechtlichen Vorschriften und wirtschaftlichen Situation der einzelnen Länder (vgl. vorausgehenden Artikel) muss die Befragung mit großer Zurückhaltung interpretiert werden. Weiterhin ist die Aussagekraft dadurch begrenzt, dass nur ein Teil der Mitglieder ausgefüllte Fragebögen eingesandt hat. Schließlich werden beruflich selbständige blinde und/oder sehbehinderte Menschen in Europa praktisch nicht systematisch erfasst. Zahlreiche Organisationen konnten daher nur Angaben über ihre Mitglieder machen. Wie viele blinde und sehbehinderte Menschen in den jeweiligen Ländern tatsächlich selbständig arbeiten, kann häufig nur geschätzt werden.

Großer Dank gebührt den Organisationen blinder und sehbehinderter Menschen in Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Montenegro, Norwegen, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien sowie Tschechien, die im Laufe des Sommers 2010 die Fragebögen bearbeitet haben und damit einen wichtigen Beitrag für die Arbeit der Kommission geleistet haben. Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

Ergebnisse der Ad-hoc-Befragung

An der Befragung zur beruflichen Selbständigkeit blinder und sehbehinderter Menschen in Europa haben sich 16 nationale Organisationen blinder und sehbehinderter Menschen beteiligt. Davon konnten acht Länder Daten vorlegen, die eine vorsichtige Bewertung und Interpretation erlauben.

Die ausführlichsten Daten wurden aus Großbritannien geliefert. Hier sind blinde Menschen mit selbständiger beruflicher Tätigkeit zwar auch nicht registriert, aber durch zwei breit angelegte Studien des Royal National Institute of Blind People (RNIB) konnten relativ gesicherte Zahlen erhoben werden (Network 1000-Studie und "Labour Market Experiences of People with Seeing Difficulties").

Vergleichsweise präzise Zahlen lieferte Bulgarien. Sie werden aufgrund von jährlichen Befragungen der lokalen Untergliederungen erhoben. So konnten neben der Gesamtzahl sehgeschädigter Unternehmer sowohl die Zahl blinder sowie sehbehinderter Personen differenziert als auch die Zahl der geburtsblinden Unternehmer angegeben werden.

Sowohl Deutschland (1000) als auch Estland (15) geben relativ präzise Zahlen für blinde und sehbehinderte Masseure an. Ansonsten ist die Datenlage jedoch ausgesprochen rudimentär. Insbesondere für Deutschland dürfte die Zahl der selbständigen Blinden und Sehbehinderten deutlich unterschätzt sein. Finnland, das Land mit der höchsten angegebenen Quote blinder und sehbehinderter Unternehmer, hat eine Liste von insgesamt 54 beruflichen Tätigkeiten eingereicht, in denen blinde und sehbehinderte Menschen als Unternehmer tätig sind.

Irland und Tschechien geben extrem geringe Zahlen an, die vermutlich weit unterschätzt sind. In Italien, Luxemburg, der Schweiz und Russland ist die Datenlage besonders prekär. Dort sind offenbar überhaupt keine Daten vorhanden. Auch eine Schätzung wurde nicht abgegeben.

Für Norwegen werden ca. 100 Selbständige angegeben. Hier besteht die Besonderheit, dass eine existenzsichernde Pension durch eine selbständige Tätigkeit ergänzt werden kann. Die gesetzliche Grundlage hierfür wurde aktuell verbessert.

In Russland besteht eine ausgesprochen gesicherte Datenlage, was die Erwerbstätigkeit blinder und sehbehinderter Menschen insgesamt betrifft. Leider liegen dort jedoch keine Zahlen zu selbständig erwerbstätigen blinden und sehbehinderten Personen vor.

Eine rein quantitative Auswertung der Zahlen ist auf dieser Datenbasis eher als Benchmarking zu verstehen denn als Vergleich von Strukturen oder Unterstützungssystemen. Setzt man die bekannte Zahl blinder und sehbehinderter Personen zur Gesamtbevölkerung der jeweiligen Länder ins Verhältnis, so ergeben sich Werte, die zwischen 0,02 % und 0,00004 % liegen, d. h. der Anteil der berichteten blinden und sehbehinderten Selbständigen variiert um den Faktor 500. Selbst zwischen den skandinavischen Ländern Norwegen und Schweden einerseits und Finnland andererseits variiert die angegebene Quote um den Faktor 20.

Diskussion der Ergebnisse

Aus Großbritannien und Finnland wurden mit Abstand mit 0,01 und 0,02 die höchsten Quoten selbständig tätiger blinder und sehbehinderter Menschen berichtet. Die beiden Länder zeichnen sich durch folgende besondere Bedingungen aus:

1. Beide Länder haben relativ aktuelle und umfassende Statistiken über den Personenkreis blinder und sehbehinderter Menschen.

2. Sie bieten einen Beratungsdienst an, der sich (mehr oder weniger) speziell der Probleme und Fragestellungen blinder und sehbehinderter Menschen annimmt, die sich selbständig machen wollen. So beschäftigt der Finnische Blindenverband einen Berater, der ausschließlich blinde und sehbehinderte Personen berät, die selbständig sind oder sich selbständig machen wollen. Auch in Großbritannien gibt es sog. Self Employment Business Advisor.

3. Beide Länder stellen finanzielle Hilfen unterschiedlicher Art zur Verfügung, um Hilfsmittel oder Assistenzkräfte zu bezahlen.

4. Sie gewähren den Selbständigen finanzielle Unterstützung bei der Existenzgründung durch Zuschüsse, Steuerermäßigungen oder die vorübergehende Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen.

In Finnland werden auf diese Weise pro Jahr 10 bis 20 blinde und sehbehinderte Personen zu Selbständigen bzw. Unternehmern. Während zum Beispiel in Deutschland die Bedingungen 3 und 4 ebenfalls erfüllt werden, fehlt es völlig an den unter 1 und 2 genannten Bedingungen. In Dänemark sind alle Bedingungen bis auf den spezialisierten Beratungsdienst verwirklicht.

Die Bedeutung spezieller Beratungsdienste bzw. einer besonderen Infrastruktur wird auch daran deutlich, dass in Deutschland ca. 1000 selbständige Masseure und Physiotherapeuten bekannt sind, darüber hinaus jedoch kaum Informationen über blinde Unternehmer vorliegen. Die blinden und sehbehinderten Physiotherapeuten sind gut organisiert. Sie unterstützen über ihre Fachgruppe diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich selbständig machen wollen. Der finnische Blindenverband hat seinem Fragebogen hingegen eine Liste von mehr als 50 Berufen und Tätigkeitsfeldern beigefügt, in denen blinde und sehbehinderte Menschen tätig sind.

Auch in Estland, das eine vergleichbare Quote blinder und sehbehinderter Unternehmer angibt, ist die überwiegende Zahl als Physiotherapeuten tätig. Es wird zwar angegeben, dass es einen speziellen Beratungsdienst für behinderte Personen gibt, die sich selbständig machen wollen, aber einerseits ist die Datenlage schwierig (Bedingung 1) und andererseits ist dieser Beratungsdienst offenbar nicht auf die besonderen Belange blinder und sehbehinderter Menschen ausgerichtet (Bedingung 2).

Etwas anders scheint die Situation in Norwegen zu sein: Es wird zwar angegeben, dass es bei der Sozialversicherung landesweit 5 Berater gibt für behinderte Menschen, die sich selbständig machen wollen und die auch mit dem Blindenverband zusammenarbeiten, aber es liegen keine Aussagen darüber vor, wie viele Beratungen blinder und sehbehinderter Menschen sie pro Jahr durchführen, d. h. wie groß ihr Erfahrungsschatz diesbezüglich ist. Eine Besonderheit in Norwegen liegt darin, dass blinde und sehbehinderte Menschen erst seit kurzem als Physiotherapeuten und als Psychologen ausgebildet werden können.

Bulgarien liegt bzgl. der Zahlen blinder und sehbehinderter Selbständiger mit einem Wert von 0,003 % vor Norwegen, Deutschland und Dänemark. Als Besonderheiten sind hervorzuheben, dass die Datenbasis relativ zuverlässig erscheint und dass es außer einer Steuerermäßigung praktisch keine Unterstützung für behinderte Menschen gibt, die sich selbständig machen wollen. Bulgarien liegt damit auch ca. um den Faktor 10 - 20 unter Finnland und Großbritannien.

Besondere Bedingungen herrschen offenbar auch in Bezug auf die selbständige Berufstätigkeit blinder Menschen in Spanien. Die angegebenen Zahlen ergeben eine Quote von 0,008 %. Sie liegt damit knapp hinter Finnland und Großbritannien. Aufgrund der besonderen Stellung des Spanischen Blindenverbandes ONCE sind die Verhältnisse jedoch kaum mit anderen Ländern vergleichbar, aber weitere Nachforschungen wären hier sicher sinnvoll.

Alle weiteren Länder, die Quoten von unter 0,0001 % blinder und sehbehinderter Unternehmer angeben, verfügen nur über eine sehr unzureichende Datenlage, so dass die weiteren Angaben nur schwer interpretiert werden können.

Folgende Schlüsse lassen sich aus den Angaben ziehen:

1. Blinde und sehbehinderte Menschen müssen zunächst die Möglichkeit haben, sich beruflich zu qualifizieren. Von besonderer Bedeutung für eine selbständige berufliche Tätigkeit scheint hier die Möglichkeit zu sein, den Beruf des Masseurs bzw. Physiotherapeuten zu erlernen.

2. Blinde und sehbehinderte Selbständige müssen zumindest auf dieselben Ressourcen zurückgreifen können wie abhängig beschäftigte behinderte Personen und ihre Arbeitgeber, d. h. vor allem Hilfsmittel und Assistenz.

3. Des Weiteren bedarf es der gezielten Unterstützung bei der Gründung eines Unternehmens durch verlorene Zuschüsse, Kredite, Steuerermäßigungen oder die vorübergehende Übernahme der Kosten für die Sozialversicherung.

4. Von besonderer Bedeutung scheint jedoch eine Infrastruktur zu sein, die entweder ein Netzwerk von Selbständigen bildet, die sich gegenseitig Beispiele geben und beraten (Peer Counselling), oder professionelle Beraterinnen und Berater, die das Know-how einer klassischen Gründungsberatung verbinden mit Kenntnissen über die Behinderung und die speziellen Fördermöglichkeiten.

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung dieses Beitrages in horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/spezial/2011-6-1084-34-1074-1088.htm

Das Autorenprofil finden Sie bei dem vorausgegangenen Artikel des Autors in diesem Heft.

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Hans Kaltwasser

Bücher ohne Grenzen

In Brüssel einigten sich Verleger und Behindertenorganisationen im September 2010 auf ein Memorandum, das die Zahl barrierefreier Bücher in kürzester Zeit drastisch erhöhen soll. Die Europäische Blindenunion (EBU) betrachtet das Abkommen allerdings mit Skepsis und setzt weiterhin auf einen internationalen Vertrag bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO).

Die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (BRK) regelt in Art. 21, dass behinderte Menschen das Recht haben zu lesen. Art. 30 der Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Genuss kultureller Werke zu ermöglichen. Das Recht auf Zugang zur Kultur ist als Menschenrecht das höhere Rechtsgut, dem sich das Urheberrecht unterzuordnen hat. Das Urheberrecht darf keine Barriere für den Zugang behinderter Menschen zu kulturellem Material errichten. Dies ist die gemeinsame Position der EBU und der Weltblindenunion (World Blind Union, WBU).

In der Praxis ist es freilich um die Inanspruchnahme dieses Rechts schlecht bestellt. Die Chancen blinder und sehbehinderter Menschen auf Teilhabe an der Kultur sind angesichts des verschwindend kleinen Angebots an Büchern, die für sie zugänglich sind, sehr begrenzt. 93.000 Neuerscheinungen gab es auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, eine für sehende Menschen schier unübersehbare Vielfalt an Literaturarten, Gattungen und Sorten. Diesen stehen gerade einmal 2.500 Titel gegenüber, die die in Deutschland, Österreich und der Schweiz firmierenden Mitgliedseinrichtungen von Medibus zusammen in zugängliche Formate für blinde und sehbehinderte Menschen übertragen. Nur rund 5% aller in Europa erhältlichen Bücher haben ein Format, das für blinde und sehbehinderte Menschen geeignet ist. In den Entwicklungsländern beträgt der entsprechende Anteil kaum ein Prozent. Einen schnellen Zugang zum Standardbuch gibt es trotz der vorhandenen, immer raffinierter werdenden Technologie nicht. Mit wie viel Schwierigkeiten und Frustrationen im Alltag das private Einscannen ganzer Bücher verbunden ist, schilderten blinde Menschen anschaulich vor Vertretern der europäischen Verlegerverbände und EU-Abgeordneten auf einer Anhörung zum Urheberrecht im Mai dieses Jahres in Brüssel. Bei den immer populärer werdenden E-Books erschwert der DRM-Einsatz (DRM steht für digitales Rechtemanagement und bezeichnet technische Verfahren, mit denen die Nutzung digitaler Inhalte kontrolliert und eingeschränkt werden kann) immer wieder eine einfache Umwandlung der Inhalte in leichter konsumierbare Formate. Auch eine noch so fortgeschrittene Technik kann Zugangsbarrieren nicht wirklich beseitigen. "Ich möchte aber in den Buchladen um die Ecke gehen können, um das zu kaufen und zu lesen, was dem sehenden Leser selbstverständlich zur Verfügung steht", forderte der blinde Peter O. aus Großbritannien in Brüssel.

Es gibt viele Wege, die drückende "Büchernot" zu beseitigen und blinde und sehbehinderte Menschen an den Kulturwerken teilhaben zu lassen. Der beste wäre gewiss, wenn die Verlage ihre Neuerscheinungen von vorneherein in Formaten herausbrächten, die Menschen mit Lesebehinderungen den mühelosen Genuss des gekauften oder ausgeliehenen Buches erlauben. Kommerzielle Verlage produzieren für blinde und sehbehinderte Leser zugängliche Formate, also Bücher im Großdruck, Punktschriftbücher oder Bücher im Audioformat in der Regel jedoch nicht, weil sich hiermit kein Geld verdienen lässt. So bleibt die Herstellung solcher Bücher überwiegend Sondereinrichtungen des Blindenwesens überlassen, denen hierfür nur sehr beschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Viel wäre gewonnen, wenn die Blindenbibliotheken in der EU ihre Bücherbestände grenzüberschreitend und auch mit Einrichtungen außerhalb der EU tauschen könnten.

Internationale Barrieren im Urheberrecht

Einer solchen gemeinsamen Nutzung des Materials stehen allerdings internationale Barrieren im Urheberrecht im Wege. Urheberrechtliche Ausnahmen gibt es in rund 60 Ländern der Welt. Doch ihre Ausgestaltung ist sehr unterschiedlich und erschwert den grenzüberschreitenden Austausch. So gibt es Ausnahmen vom Urheberrecht zugunsten behinderter Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie eine Vergütungsregelung, die eine Entschädigung für die Rechteinhaber, d.h. für die Autoren und Verlage vorsieht. Jedoch unterscheiden sich die jeweiligen nationalen Schranken- und Vergütungsregelungen im Wortlaut und in den Auswirkungen nicht unerheblich voneinander, so dass ein grenzüberschreitender Austausch barrierefreier Bücher zwischen diesen Ländern jetzt unklarer denn je ist. Nicht unbeträchtlich ist zudem der bürokratische Aufwand des kostenintensiven, schwerfälligen und zeitaufwändigen Verfahrens, weil die Titel, die übertragen werden sollen, in allen drei Ländern bei den Verwertungsgesellschaften angemeldet und abgerechnet werden müssen: Eine Vergeudung an Zeit und Ressourcen; manches wird doppelt gemacht: So lässt sich die "Büchernot" nicht wirksam bekämpfen.

Ein weiteres Beispiel zeigt in anschaulicher Weise, wie sich durch eine Änderung des internationalen Urheberrechts der Zugang Blinder und Sehbehinderter zu urheberrechtlichen Werken in kürzester Zeit verbessern ließe. Die Blindenbibliotheken in Chile, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua und Uruguay haben einen Bestand von insgesamt 8.517 barrierefreien Büchern. In Argentinien gibt es 63.000 Bücher, in Spanien gar 102.000 Bücher. In allen diesen Ländern wird Spanisch gesprochen. Man stelle sich einmal vor, den blinden und sehbehinderten Menschen in Argentinien und Spanien wäre es möglich, ihre zugänglichen Bücher mit Betroffenen in Lateinamerika über die Ländergrenzen hinweg legal zu tauschen, dies würde die Zahl der für Blinde und Sehbehinderte zugänglichen Titel unmittelbar und drastisch erhöhen.

Wie lässt sich die "Büchernot" am wirksamsten beseitigen?

Die Europäische Kommission hat in den vergangenen neun Monaten unter Hochdruck eine Absichtserklärung ("Memorandum of Understanding") zwischen der EBU, den Organisationen, die Menschen mit Lesebehinderungen vertreten, sowie dem Europäischen Verlegerverband moderiert, die am 14. September 2010 in feierlichem Rahmen in Brüssel unterzeichnet wurde. Die Erklärung definiert die Grundsätze, nach denen die Verleger es den Blinden- und Sehbehindertenverbänden erlauben können, ihre barrierefreien Buchbestände grenzüberschreitend in der EU auszutauschen. Kernstück des Abkommens ist ein aus sogenannten "vertrauenswürdigen Intermediären" (sich wechselseitig anerkennenden Blindenbüchereien, Blinden- und Sehbehinderten-Verbände, Blindenschulen) bestehendes Vertriebssystem, das einem registrierten Nutzerkreis den Zugang zu barrierefreien Büchern aus der gesamten EU ermöglichen soll.

Wenngleich das Abkommen insgesamt als ein Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen ist und durchaus das Potenzial hat, die freiwilligen Lizenzvereinbarungen und die Barrierefreiheit der technologischen Lesewerkzeuge zu verbessern, liegen seine Grenzen und Mängel doch auf der Hand: Es gewährt der Selbsthilfe keine Rechte, die beispielsweise vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden könnten, das zum Teil mühevolle Aushandeln von Lizenzen bleibt, es behandelt nicht den Austausch mit Ländern außerhalb der EU.

All dies bedeutet, dass weder lesebehinderte Menschen in Großbritannien die gewaltigen Bestände barrierefreier Bücher in den USA werden nutzen können, noch die Spanische Blindenorganisation ONCE in der Lage sein wird, ihre beträchtlichen Bestände für lateinamerikanische Länder zu öffnen. Zudem beruht die Vereinbarung auf dem guten Zusammenwirken mit den Inhabern des Urheberrechts. Dort, wo die Zusammenarbeit mit Verlagen und Autoren beeinträchtigt, beschädigt oder gar abgebrochen wird, müsste das Recht eigentlich dafür sorgen, dass der von der Behindertenrechtskonvention gewollte Schutz vor Diskriminierungen greift. So begrüßenswert die Initiative der Europäischen Kommission erscheint, als Legitimation für die verweigerte Unterstützung einer verbindlichen rechtlichen Lösung für die "Büchernot" taugt sie nicht.

WBU Initiative "internationaler Blindenvertrag"

Unter dem Motto Das Recht zu lesen für Menschen mit Behinderungen führt die WBU seit Jahren eine internationale Kampagne, die zunehmend an Schwungkraft gewinnt. Mit Hilfe Brasiliens, Ecuadors und Paraguays gelang es der WBU im Mai 2009, einen Vertragsentwurf bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) in Genf einzubringen. Dieser "internationale Blindenvertrag" würde die urheberrechtlichen Schranken weltweit beseitigen, indem er die Ein- und Ausfuhr von Werken erlaubt, die gemäß einer urheberrechtlichen Ausnahme barrierefrei gemacht wurden. Zudem dürfen Behinderte beziehungsweise die sie vertretenden Verbände auch mit DRM geschützte Werke in andere Wahrnehmungsformen wie MP3-Dateien umwandeln. Konkret umfasst der Vertragsentwurf etwa für die Sondereinrichtungen das Recht, einen Roman unter Umgehung technischer Schutzmaßnahmen im DAISY-Format aufzunehmen und zu exportieren. Absprachen in privaten Verträgen, die im Widerspruch zu den Schrankenregelungen stehen, werden hier null und nichtig.

Während der Vertragsentwurf der WBU bei einer Reihe von WIPO-Ländern Zustimmung findet, wird er von den USA und der EU abgelehnt. Die Gründe für die Ablehnung sind vielfältig. Im Kern beruht sie auf drei Annahmen. Die erste Annahme ist, dass die Forderungen nach bindenden gesetzlichen Regelungen zu früh kämen und man stattdessen flexiblere Lösungen erproben solle. Ein Vertrag sei gar nicht notwendig, weil ein allmächtiger Markt gleichsam als unsichtbare Hand hinter den beteiligten Parteien die Geschicke zum allgemeinen Wohl und zum Vorteil aller richten werde. Zweitens werde die Technologieentwicklung dazu beitragen, dass der Markt allein diese Lenkungsfunktion ausüben könne. Dies zusammengenommen berechtige drittens zu der Hoffnung, dass mit einer Kooperation zwischen den Verlagen und den umsetzenden Sondereinrichtungen eine Situation erwachse, aus der alle Beteiligten den größtmöglichen Nutzen ziehen würden.

Die USA und die EU haben jeweils eigene, wenngleich ähnliche Entwürfe vorgelegt, die jedoch von den Behindertenorganisationen abgelehnt werden. Der Entwurf der EU beruht auf Empfehlungen und unverbindlichen Festlegungen. Im Grunde handelt es sich um eine Spielart des zwischen dem Europäischen Verlegerverband und Behindertenorganisationen ausgehandelten Memorandums. Hier wie dort ist das Konzept der vertrauenswürdigen Intermediären von zentraler Bedeutung.

Der Sinn des WBU-Vertragsentwurfs besteht indessen darin, dort zu greifen, wo der Markt oder freiwillige Maßnahmen, wie sie der EU-Entwurf vorsieht, versagen. Beide Initiativen schließen sich also nicht aus, sondern ergänzen einander. Die Erfahrung lehrt, dass das Gerangel um den Erhalt von Buchdateien und Lizenzen für die Herstellung barrierefreier Bücher kaum aufhören dürfte, nur weil sich Verlegerverbände und Behindertenorganisationen auf ein freiwilliges Verfahren zum grenzüberschreitenden Austausch von urheberrechtlich geschützten, für lesebehinderte Menschen zugänglichen Werken geeinigt haben, das den guten Willen zum Zusammenwirken voraussetzt. Was tun, wenn der gute Wille fehlt und die Lizenz für ein begehrtes Buch versagt wird?

Ohne wenn und aber!

Im November 2010 hat das Standing Committee on Copyright and Related Rights (SCCR) bei der WIPO in seiner 21. Sitzung in Genf u. a. erneut über Urheberrechtsschranken verhandelt. In der Diskussion um den Zugang von Sehbehinderten zu urheberrechtlich geschützten Werken wurden mehrere Vorschläge - unter anderem von der WBU - unterbreitet, die das SCCR bei der nächsten Generalversammlung der WIPO in 2011 vorlegen will. Viel steht dabei auf dem Spiel. Es geht um wirksame Maßnahmen, um die "Büchernot" zu beseitigen, es geht um die Teilhabechancen blinder und sehbehinderter Menschen an der Kultur.

Und es geht nicht zuletzt um ein klares Bekenntnis der EU und BRK-Vertragsstaaten dazu, wie ernst ihnen die Verpflichtungen der Konvention der Rechte behinderter Menschen sind.

Manche sagen, die Annahme eines Kompromisstextes in der Art der von der EU oder den USA vorgelegten Entwürfe sei ein Fortschritt, der konkrete Verbesserungen schon zeitigen werde. Diese Erwartung könnte sich indessen rasch auch als vorschnell und trügerisch erweisen. Denn eine Einigung auf ein entsprechendes Memorandum würde die Arbeiten an einem verbindlichen Vertrag bei der WIPO unter Umständen für unabsehbar lange Zeit, womöglich für immer beenden. Strategisch und politisch ist es deshalb richtig, dass EBU und WBU die WIPO-Länder, die sich dem "internationalen Blindenvertrag" derzeit verschließen, mahnen, die Rechte behinderter Menschen beim Zugang zu Kultur und Information durch einen Vertrag umzusetzen. Ohne wenn und aber.

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung dieses Beitrages in horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/spezial/2011-6-1075-34-1088-1085.htm

Das Autorenprofil finden Sie bei dem vorausgegangenen Artikel des Autors in diesem Heft.

Die Schwarzschriftausgabe enthält das Plakatmotiv der WBU zum Thema Urheberrechtsschranken. Unter dem Title "Help us cut the chains" (Helft uns die Ketten zu aufzubrechen) ist ein sehr hoher Bücherstapel abgebildet, der durch eiserne Ketten zusammengehalten wird. Eine dicke rote Zange (Bolzenschneider) setzt an einem der Kettenstränge an. Die Bildunterschrift lautet: "Help us cut the chains" (Helft uns, die Ketten zu lösen) Plakatmotiv der WBU zum Thema Urheberrechtsschranken.

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Hans Peter Brass

Barrierefreiheit in der Informationstechnologie

Warum sich die EBU-Kommission für Technologie für einen verbesserten Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) einsetzt? Es geht um die Teilhabe an der Informationsgesellschaft, um den Zugang zu Diensten und mehr.

IKT trägt zur Verbesserung der Lebensqualität im Alltag und der sozialen Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern bei, sie erleichtert den Zugang zu Information, Medien, Inhalten und Dienstleistungen, führt zu verstärkten und flexibleren Beschäftigungschancen und zur Bekämpfung der Diskriminierung. Ein verbesserter Zugang zu IKT für Menschen mit Behinderungen ist daher besonders wichtig.

Durch Eingaben an die EU-Kommission, Stellungnahmen und Vorträge zu unterschiedlichen Aspekten der Barrierefreiheit in der IKT, hat die Europäische Blindenunion (EBU) schon über viele Jahre auf Missstände hingewiesen und Verbesserungsvorschläge eingebracht. Seit Annahme der UN-Behindertenrechtskonvention (hier speziell Artikel 4, Absatz 3), der explizit die Beteiligung von Menschen mit Behinderung in politischen Entscheidungsprozessen einfordert, haben diese Bemühungen ein noch stärkeres Gewicht erhalten.

Für das Thema Barrierefreiheit sind zwei Schlüsselbegriffe von Bedeutung: E-Accessibility (eAccessibility) und E-Inklusion (eInclusion).

E-Accessibility steht für Initiativen, mit denen erreicht werden soll, dass alle Zugang zu den Diensten der Informationsgesellschaft haben. Dabei geht es um die Beseitigung technischer, rechtlicher und anderer Barrieren, die Menschen mit Behinderungen oder temporären funktionellen Einschränkungen die Nutzung IKT-gestützter Dienste erschweren.

E-Inklusion bedeutet sowohl integrative IKT als auch den Einsatz von IKT zur Erreichung von breiter gefassten Integrationszielen. Sie konzentriert sich auf die Teilhabe aller Menschen und Gruppen an allen Aspekten der Informationsgesellschaft. E-Integrationspolitik zielt daher darauf ab, Lücken in der Nutzung der IKT zu reduzieren und die Nutzung der IKT zur Überwindung von Ausgrenzung und zur Verbesserung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, Beschäftigungschancen, Lebensqualität, gesellschaftlicher Teilhabe und sozialem Zusammenhalt zu fördern.

Drei zentrale Forderungen, in denen sich Positionen von EBU und European Disability Forum (EDF) wiederfinden, formuliert die Deklaration von Riga. Sie wurde als Erklärung der EU-Ministerkonferenz "IKT für eine integrative Gesellschaft" im Juni 2006 einstimmig verabschiedet.

  • Bis 2010 ist der Rückstand bei der Internetnutzung durch ausgrenzungsgefährdete Bevölkerungsgruppen (z.B. ältere Menschen, Behinderte, Arbeitslose) halbiert. Ein Augenmerk gilt auch den Frauen, die das Internet immer noch unterdurchschnittlich nutzen.
  • Bis 2010 ist die heutige Verfügbarkeit von Breitbandnetzen auf 90 Prozent erhöht. Dies ist insbesondere zur Integration ländlicher und geographisch peripherer Gebiete sehr wichtig.
  • Bis 2010 sind alle öffentlichen Webseiten barrierefrei gestaltet. Der Privatsektor wird aufgefordert, dieselben Normen und Standards anzuwenden.

Im Rahmen der Initiative "i2010 - Europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung" fand im März 2009 ein Expertentreffen in Brüssel statt, bei dem Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verbraucherorganisationen versuchten, den Fortschritt der neuen, integrierten Politik zu bewerten. Für die EBU zeigte ich dort Probleme in folgenden sieben Bereichen auf:

  • Mobile und leitungsgebundene Telekommunikation
  • GPS-Anwendungen und Navigationshilfen
  • Informationskiosks, Fahrkartenautomaten und Bankdienstleistungen
  • Digitales Radio und Fernsehen
  • E-Learning
  • E-Government
  • Zugang zu Computersystemen

Einige der Probleme könnten durch den Einsatz relativ kleiner Geldbeträge zumindest teilweise gelöst werden, wir müssen uns jedoch stets vor Augen führen, dass längst nicht in allen Mitgliedsstaaten der EU solche Finanzmittel zur Verfügung stehen. Die EBU vertritt alle blinden und sehbehinderten Bürgerinnen und Bürger in der Gemeinschaft, was die Durchsetzung unserer Forderungen erheblich erschwert.

Welche Möglichkeiten hat die EBU-Technologiekommission, um auf Probleme einzugehen?

  • Wir organisieren Workshops und Tagungen mit Experten und Nutzern.
  • Wir schreiben Stellungnahmen alleine oder zusammen mit dem EDF und treten bei Tagungen und Kommissionen der EU als Redner und Diskussionsteilnehmer auf.
  • Wir sammeln und verbreiten Informationen aus den EBU-Mitgliedsländern.
  • Wir nutzen die unterschiedlichsten Medien zur Verbreitung unserer Stellungnahmen und Informationen.
  • Wir beraten Firmen und Institutionen.
  • Und nicht zuletzt beobachten wir Entwicklungen im Bereich der IKT und versuchen zu dokumentieren, inwieweit sich diese auf die Nutzung durch blinde und sehbehinderte Menschen auswirken.

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung des Beitrages im horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/spezial/2011-6-1085-34-1075-1086.htm

Zum Autor

Hans Peter Brass ist Mitglied im DBSV-Präsidium und Leiter der DVBS-Bezirksgruppe Berlin-Brandenburg. Warum er sich als Leiter der EBU-Kommission für Technologie auch auf europäischer Ebene einsetzt? Drei Standbeine, sagt der geburtsblinde Oberstudienrat, habe sein Engagement in der EBU: "1. Die Bedeutung der Brüsseler Entscheidungen für unser aller Leben ist den meisten Menschen in Deutschland und gerade den blinden und sehbehinderten Menschen kaum bewusst, das möchte ich ändern. 2. Einflussnahme im Sinne behinderter Menschen ist möglich, das zeigt zum Beispiel die Direktive über die Rechte behinderter Flugpassagiere. An solchen Prozessen möchte ich mich beteiligen. 3. Ich bin neugierig zu erfahren, wie Menschen anderswo leben und arbeiten." (Foto: DVBS itrol). Das Autorenfoto zeigt Peter Brass während seines Vortrags auf dem Symposium.

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Hans Kaltwasser

Brüsseler Töpfe

Aktuelle Projektlinien mit Belang für Blinde und Sehbehinderte: Förderinstrumente und Förderschwerpunkte, Finanzregeln und Finanzierungsmöglichkeiten.

Der EU-Haushalt umfasste 2010 etwa 120 Milliarden Euro. Gebildet durch die Transferzahlungen der Mitgliedsländer, werden aus dem Haushalt jeweils die Kosten und Aufwendungen der EU-Institutionen finanziert ("Verwaltung"). Dieser Teilhaushalt macht einschließlich aller Gehälter nur 6 % aus. Das meiste Geld aus dem EU-Haushalt fließt für unterschiedliche Projekte zurück an die Mitgliedstaaten. Den größten Teilhaushalt der EU bilden inzwischen mit 45% die Strukturfonds ("Beschäftigung", "Kohäsion", "Forschung"). Demgegenüber ist der Förderbereich der gemeinsamen Agrarpolitik mit 42% rückläufig. Daneben gibt es eine Reihe von direkten Finanzhilfen.

Strukturfonds und Finanzhilfen

Strukturfonds sind das wichtigste Finanzierungsinstrument der EU, um die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Union zu steuern. Die Mittel fließen in große Infrastrukturprojekte, bei denen die EU-Subventionen mit Bundes-, Landes-, kommunalen und sonstigen Mitteln ergänzt und über die zuständigen nationalen oder regionalen Behörden in den Mitgliedstaaten der EU ausgezahlt werden.

Es gibt drei Strukturfonds:

  • Europäische regionale Entwicklung: Entwicklung der Infrastruktur (EFRE)
  • Europäischer Sozialfonds: Beschäftigungsförderung und soziale Inklusion (ESF)
  • Kohäsionsfonds: Umwelt und Verkehr nur für Länder mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 90% unter EU-Durchschnitt

Für die Vergabe gelten Querschnittsprinzipien: Die Gelder müssen der Bekämpfung von Diskriminierung und der Herstellung von Barrierefreiheit dienen. Bei der Haushaltsplanung, aber auch bei der Gestaltung von Projekten müssen die Behindertenorganisationen auf allen Stufen des Verfahrens einbezogen werden. Diese Rolle ist den meisten Interessenorganisationen nicht bekannt und wird von den zuständigen Behörden in der Regel ignoriert.

Direkte Finanzmittel

Die EU gewährt darüber hinaus direkte Finanzmittel für Projekte, die mit ihren politischen Zielen im Einklang stehen. Antragsberechtigt sind öffentliche oder private Einrichtungen in den EU-Mitgliedsländern (Universitäten, Hochschulen, Wirtschaft NGOn). Förderfähig sind Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen wie Forschung, Bildung, Kultur, Regionalpolitik, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz, Umwelt oder Informationsgesellschaft.

Die Gewährung von EU-Fördermitteln erfolgt auf der Grundlage operativer Programme, für deren Verwaltung die Generaldirektionen zuständig sind. Auf ihren Internetseiten veröffentlichen sie ihr jeweiliges Jahresarbeitsprogramm sowie die Aufforderung, Vorschläge für Projekte einzureichen. Je nach Programm sind unterschiedliche Voraussetzungen zu erfüllen und auch die Vergaberichtlinien, in denen Ziele, Themen, Zeitplan, Budget usw. geregelt sind, unterscheiden sich. Der Projektvorschlag muss den angestrebten Zielen des Programms entsprechen und innerhalb einer meist knappen Ausschlussfrist eingereicht werden.

Es gibt einige allgemeine Grundsätze für die Gewährung von EU-Fördermitteln. Die wichtigsten sind:

1. Der Grundsatz der Kofinanzierung: die EU-Kommission übernimmt nicht die Gesamtkosten eines Projektes. Je nach Programm beträgt die Höhe des Zuschusses zwischen 50% und 75%. Der Rest ist vom Antragsteller aufzubringen.

2. Die Finanzhilfe darf nicht rückwirkend für eine bereits durchgeführte Maßnahme gewährt werden.

3. Für ein und dieselbe Maßnahme darf nur eine Finanzhilfe gewährt werden.

Das Dachprogramm Lebenslanges Lernen

Die EU-Kommission hat ihre verschiedenen Bildungs- und Berufsbildungsinitiativen unter dem Dachprogramm Lebenslanges Lernen (LLP) für den Zeitraum 2007-2013 zusammengefasst. Es umfasst die vier Einzelprogramme Comenius für Schulbildung, Erasmus für Hochschulbildung, Leonardo da Vinci für berufliche Aus- und Weiterbildung und Grundtvig für Erwachsenenbildung.

Grundtvig für Erwachsenenbildung

Für multilaterale Grundtvig-Projekte gilt folgender Rahmen: Eine Maximalförderung von 75% bzw. EUR 300.000, eine max. Dauer von drei Jahren und eine Mindestanzahl von drei Partnern. Für die kleineren Grundtvig-Aktionen gilt allgemein: Es gibt attraktive Aktivitäten, gerade für einzelne Personen. Verbände, die sie ihren Mitgliedern zugänglich machen, können sie dadurch für die Vorteile der europäischen Zusammenarbeit sensibilisieren. Die Förderung der entstehenden Sachkosten ist großzügig bemessen. Man legt also nicht drauf. Die Regiekostenpauschalen sind dagegen eher knapp bemessen, so dass man für die Personalkosten der Projektorganisation zwar eine gewisse, jedoch keine Vollfinanzierung bekommt.

Zur Anbahnung von Grundtvig-Projekten können vorbereitende Besuche gemacht werden. Dafür gibt es EUR 400 pauschal zu den Reisekosten und EUR 1000 pauschal zu den Aufenthaltskosten.

Zu Lernpartnerschaften können sich Fachleute aus mindestens 3 verschiedenen Ländern in einem Zeitraum von max. zwei Jahren gegenseitig besuchen und zu einem Thema im Bildungsbereich austauschen und voneinander lernen. Es können Projekte mit vier bis 24 einzelnen Reisen pro Partnerland beantragt werden. Pro Reise gibt es eine Pauschale von EUR 1500 unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten.

Workshops sind Bildungsangebote, die von Personen aus Ländern der EU genutzt werden können. Der Veranstalter eines Workshops bekommt EUR 750 pauschal für die Kursorganisation sowie eine Personenpauschale für die Anreise und Tagespauschalen. Die Workshopveranstalter sind eigenverantwortlich in der Teilnehmerauswahl und Durchführung der Workshops. Teilnehmer aus dem eigenen Land müssen selbst finanziert werden.

Für 3-8 Wochen können Personen ab 50 Jahren ehrenamtlich in einer Organisation im Ausland mitarbeiten. Ein solches Senior Volunteer Project umfasst den Austausch von 2-6 Freiwilligen in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren. Es gibt Zuschüsse zu den Reise- und Aufenthaltskosten sowie eine Regiekostenpauschale.

Bei den Aktionen Assistenz, Besuche und Austausche können Fachkräfte für einen Tag bis mehrere Monate in einer Partnerorganisation im Ausland zu Besuch sein, hospitieren, an Konferenzen teilnehmen bzw. arbeiten.

Zu den EU-Projekten, an denen der DBSV teilgenommen hat, zählen CASBliP (Entwicklung eines elektronischen Navigationssystems / Forschungsrahmenprogramm), eYES (barrierefreies E-Learning / Leonardo da Vinci), EVEIL (frühkindliche Bildung / Comenius), INTERGEN (generationenübergreifendes Lernen / Grundtvig).

 

Tipps für weitere Informationen

Direktlink zur ungekürzten Originalfassung des Beitrages im horus spezial 6 - Europa blind verstehen: www.dvbs-online.de/spezial/2011-6-1073-34-1072-1074.htm

Das Autorenprofil finden Sie bei dem vorausgegangenen Artikel des Autors in diesem Heft. Das Fotomotiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt zwei Männer, die nebeneinander an ihren Laptops sitzen. Der jüngere scheint etwas zu erklären, beide genießen den Austausch sichtlich. Die Bildunterschrift lautet: Bei dem Grundtvig-Projekt INTERGEN geht es um die Erprobung neuer Solidaritätsformen und den wechselseitigen Wissenstransfer zwischen jungen und alten Menschen (Foto: Intergen).

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Dr. Imke Troltenier

Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010 bis 2020

In der Europäischen Union (EU) hat jede sechste Person eine leichte bis schwere Behinderung. Das sind etwa 80 Millionen Menschen. Weil ihnen bislang viel zu häufig eine volle Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft verwehrt wird, hat die EU jetzt ihren Willen explizit bekräftigt, sich auch in den kommenden zehn Jahren für die Situation der Europäer mit Behinderungen einzusetzen.

Mitte November 2010 stellte die Europäische Kommission ihr Strategiepapier vor. Unter dem Titel "Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa" sollen die Maßnahmen der 27 Mitgliedstaaten, die in erster Linie für die Behindertenpolitik zuständig sind, ergänzt und unterstützt werden. Dabei ist das Ausräumen von Barrieren aus Sicht der Kommission an gesellschaftliche Herausforderungen geknüpft, während es zugleich für Europa neue Marktchancen eröffnet. "Meine Vision", sagte Viviane Reding, Vizepräsidentin der Kommission und EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, "ist ein wirklich barrierefreies Europa für Menschen mit Behinderungen im Jahr 2020."

Acht Aktionsbereiche

Im Zentrum der europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen stehen acht Aktionsbereiche: Zugänglichkeit, Teilhabe, Gleichstellung, Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung, sozialer Schutz, Gesundheit und Maßnahmen im Außenbereich, d.h. Maßnahmen außerhalb der EU. Dabei geht es im Rahmen von "Zugänglichkeit" zum Beispiel darum, bei öffentlichen Auftragsvergaben auf Barrierefreiheit zu bestehen und den europäischen Markt für Hilfsmittel auszuweiten. Der Aktionsbereich "Teilhabe" zielt u. a. auf hochwertige wohnortnahe Dienstleistungsangebote (einschließlich des Zugangs zu persönlicher Assistenz), auf die europaweite Anerkennung von Behindertenausweisen, die Zugänglichkeit von Webseiten und urheberrechtlich geschützten Werken.

"Damit Menschen mit Behinderungen vollständig in unsere Gesellschaft und Wirtschaft integriert werden können, muss ihnen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln und zu elektronischen Diensten erleichtert werden. Zwei sehr wirksame Lösungsansätze für dieses Problem sind die Entwicklung europäischer Normen für barrierefreie Produkte und Dienste sowie die Nutzung der öffentlichen Auftragsvergabe zur Sicherung der Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude. Mit vergleichbaren Maßnahmen wurden in den USA spürbare Erfolge sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf wirtschaftlicher Ebene erzielt. Auch unsere Binnengrenzen sollten für Menschen mit Behinderungen durchlässiger werden: Eine Person mit einer anerkannten Behinderung, die in ein anderes Land in der EU umzieht, sollte in ihrem neuen Wohnsitzmitgliedstaat die gleichen Leistungen in Anspruch nehmen können wie in ihrem Herkunftsstaat, beispielsweise die kostenlose oder ermäßigte Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln", führte Reding aus.

Integration in den Arbeitsmarkt

In den Reigen der geplanten Aktionen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Behinderung und behindertengerechte Einrichtungen zählt z.B. die Verleihung des "Access City Award", eines europäischen Preises für gut zugängliche Städte. Um die Förderung der Integration in den ersten Arbeitsmarkt geht es im Rahmen des Aktionsbereichs Beschäftigung, denn, so der Wortlaut in dem rund ein Dutzend Seiten umfassenden und in 22 Sprachen vorgelegten Dokument, "hochwertige Arbeitsplätze gewährleisten wirtschaftliche Unabhängigkeit, fördern die Selbstentfaltung und sind der beste Schutz vor Armut." Die Erwerbstätigenquote für Menschen mit Behinderungen betrage bislang lediglich etwa 50%. Damit die EU ihre Wachstumsziele erreiche, müssten mehr Menschen mit Behinderungen einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dazu gelte es, u. a. angemessene Arbeitsbedingungen für professionelle und informelle Pflegekräfte zu fördern und die Finanzierungssysteme für die persönliche Betreuung zu entwickeln.

Initiative "Jugend in Bewegung"

Im Aktionsbereich für allgemeine und berufliche Bildung steht die Förderung der integrativen Bildung und des lebenslangen Lernens für Schülerinnen, Schüler und Studierende mit Behinderungen auf dem Plan. Denn, so konstatiert das Strategiepapier: "In der Altersgruppe der 16- bis 19-Jährigen beträgt die Quote der Nichtbeteiligung an schulischer Bildung für stark behinderte Jugendliche 37% und für teilweise behinderte Jugendliche 25% gegenüber 17% für nichtbehinderte Jugendliche."Die Kommission plant u. a., das Ziel einer integrativen und hochwertigen allgemeinen und beruflichen Bildung im Rahmen der Initiative "Jugend in Bewegung" zu unterstützen und die Mobilität von Menschen mit Behinderungen zu fördern. Weiterhin zielt die Strategie auf bessere Informationen: Über die Situation der Menschen mit Behinderungen wie über die Möglichkeiten, die sich z.B. im Bereich Bildung bieten.

In der Formulierung der neuen europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020 stützt sich die Kommission explizit auf die Charta der Grundrechte der EU, den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV, vergl. "Wie Europarecht entsteht ...quot;, Artikel i. d. Ausg.) und die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die sie als 97. Vertragspartei am 23.12.2010 offiziell ratifiziert hat. Sie bezieht die Ergebnisse einer vorausgegangenen öffentlichen Umfrage ("Public consultation on the preparation of a new EU Disability Strategy 2010-2020") ein und konkretisiert zugleich die in der Strategie Europa 2020 (IP/10/225) und im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 (IP/10/1390) vorgesehenen Maßnahmen.

Monitoring 2010-2020

Die Bereitstellung der finanziellen Unterstützung soll im Wesentlichen über das bestehende Förderinstrumentarium erfolgen, d.h. zum Beispiel via Europäischer Sozialfonds (ESF) für den Bereich Beschäftigungsförderung und soziale Inklusion, über die Forschungsprogramme und über das Rahmenprogramm für lebenslanges Lernen (vergl. "Brüsseler Töpfe", Artikel i. d. Ausg.). Die Kommission plant, auch in Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Rahmen der BRK, regelmäßig über die erzielten Fortschritte und Ergebnisse zu berichten.

Für weitere Informationen

Das Internetangebot EUR-Lex wird vom Amt für Veröffentlichungen der EU verwaltet und bietet einen kostenlosen Zugang zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union und anderen als öffentlich eingestuften Dokumenten. http://eur-lex.europa.eu/de. Via Suchfunktion finden Sie hier z. B. die ...

  • Die europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa (KOM 2010 636)
  • "Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft..."- die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02)
  • Das Amtsblatt der Europäischen Union mit Archiv und jeweils aktuellen Mitteilungen und Bekanntmachungen

In der Schwarzschriftausgabe zeigt die beigefügte Grafik einen Wegweiser vor der Europafahne. Die Schilder sind via Logo oder Braille mit den Namen von EU-Programmen (ESF, LLP) und relevanten Organisationen bezeichnet (EBU, EuGH, EDF, Kommission, Parlament)

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Bücher

Adjuta Bertsch-Gerhold

Hörtipp: Die Radikalität des Alters. Einsichten einer Psychoanalytikerin

Margarete Mitscherlich, inzwischen 93 Jahre alt, fasst in diesem 2010 erschienenen Buch Erlebnisse, Begegnungen und Erkenntnisse ihres langen Lebens zusammen, so dass ihr Lebenslauf und ihr Lebenswerk gut überschaubar werden.

Da ist die Kindheit in einem deutsch-dänischen Elternhaus (der dänische Vater ist Arzt, die deutsche Mutter Lehrerin) und ihre tiefe Liebe zur Mutter, die sie dann später auf alles Deutsche überträgt. Da ist ihre Begeisterung für die deutsche Kultur und ihr Entschluss, in Deutschland Medizin zu studieren. Allmählich begreift sie dann mit Trauer und Entsetzen, wie unter Hitler eine alte Kulturnation in die Barbarei abstürzt.

Auf der Suche nach Heilung von den schrecklichen Kriegserlebnissen und nach einer Erklärung dafür, wie ein ganzes Volk dem Wahn verfallen konnte, begegnet sie Freuds Psychoanalyse. Hier findet sie überzeugende Erklärungen und eine Methode, anderen erfolgreich helfen zu können und bleibt dann der Psychoanalyse ihr Leben lang treu. "Wofür und wogegen sich lohnte zu kämpfen" ist das Kernstück des Buches, und es geht um die Themen Sexualität, (Frauen-)Emanzipation, Erziehung zur Friedfertigkeit und die Bearbeitung von Trauer, die Mitscherlich ein Leben lang beschäftigt haben und die nichts an Aktualität verloren haben, wie sie immer wieder an Beispielen aus der neuesten Zeitgeschichte illustrieren kann.

Im letzten Kapitel schreibt sie über Alter und Tod und macht sich über die Begriffe "Starrsinn oder Furchtlosigkeit" Gedanken. Mitscherlich thematisiert das eigene Alter als mühsam. Ihre gedankliche Offenheit, ihre Fragen und die Freude an Aha-Erlebnissen machen das Buch zu einer spannenden Lektüre. Denn, so die Autorin: "... eins bleibt auch dann, wenn ich meinen Körper wieder lustlos mit mir herumtrage, nämlich die Lust am Denken." Den Abschluss des Buches bildet ein Gespräch mit Alice Schwarzer, aus deren Fragen die Verehrung für Mitscherlich, der "großen alten Dame" der deutschen Psychoanalyse, spürbar wird.

Die Radikalität des Alters: Einsichten einer Psychoanalytikerin. Von Margarete Mitscherlich. Frankfurt am Main, S. Fischer, 2010. DAISY-Aufsprache von Adjuta Bertsch-Gerhold. Titel Nr. 6659, ca. 10 Stunden, EUR 76,25.

Das DAISY-Buch ist beim DVBS-Textservice zu den üblichen Bedingungen erhältlich: DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Zur Autorin

Adjuta Bertsch-Gerhold ist "eine von denen, die am längsten dabei" sind. Fast 25 Jahre ist die ehemalige Lehrerin als Vorleserin für den DVBS tätig. In ihrem Philologiestudium habe sie gelernt, Texte möglichst schnell zu überfliegen, um die wesentlichen Inhalte in kürzester Zeit zu erfassen. Danach habe sie das Auflesen, das Wort-für-Wort-Lesen beim DVBS als sehr wohltuend erlebt. "Am Anfang konzentriert man sich dabei allerdings so sehr auf die Aussprache, die Betonung, das sinnvolle Platzieren von Pausen, dass man sich am Ende kaum mehr erinnern kann, worum es in dem jeweiligen Buch ging", erzählt die Bauerbacherin schmunzelnd im Rückblick. Erst mit wachsender Routine verstehe man sich darauf, mehr als den unmittelbaren Zusammenhang der einzelnen Sätze im Kopf zu behalten. Seither mache es ihr immer wieder große Freude, Texte zu lesen, die sie von sich aus nicht selbst ausgesucht hätte. Denn so führe das Auflesen immer wieder zu neuen und überraschenden Erkenntnissen. "Auf Frau Bertschs Erfahrung greifen wir immer wieder besonders gerne zurück, wenn es um wissenschaftliche Texte aus dem Bereich Psychologie und um englischsprachige Bücher geht", fügt Sabine Hahn an. Für den DVBS-Textservice sei es natürlich wichtig, dass die Vorlesenden auch mit schwierigen Textinhalten gut zurechtkommen (Foto: DVBS itrol).

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt Adjuta Bertsch-Gerhold beim Auflesen in einer der Sprecherkabinen des DVBS: Flotte Kurzhaarfrisur, weiße Bluse - die Aufleserin lächelt zu den Betrachtenden hin. Das Buch liegt aufgeschlagen vor ihr, das Mikrofon ist ausgerichtet, vom Computer ist nur die Tastatur zu erkennen.

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Aus der Braille-Druckerei

blista-Reihe "Das andere Buch": Bücher zum Lesen und Fühlen. Ein gemeinsames Erlebnis für sehende und blinde Kinder

Dass sehende und blinde Kinder ein Buch gemeinsam lesen können, ist immer noch sehr selten. Die Produktion von Büchern, die sowohl Schrift und Bilder für sehende Kinder als auch tastbare Abbildungen und Text in Blindenschrift beinhalten, ist aufwendig und teuer. Dennoch gibt die blista in ihrer Reihe "Das andere Buch" immer wieder solche Kinderbücher heraus, die gleichermaßen für sehende als auch blinde Leser spannende Geschichten erzählen. Einige Bücher dieser Reihe stellen wir nachfolgend vor:

Borgenstam, Curt: Homo Sapiens

Tastbar gestaltet von Martin Beyer. Herausgegeben von Siegfried Schröder. Marburg/L.: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., 1983. Punktschrift: reformierte Kurzschrift/engl. Kurzschrift/franz. Kurzschrift/ taktile Darstellungen. Schwarzschrift: deutsch/russisch/englisch/japanisch/arabisch/französisch, 28,20 €, 1 Band, 66 Seiten, Bestellnr.: 2767

Was ist das eigentlich, der Mensch? Gelehrte und Wissenschaftler haben sich bemüht, Antworten zu geben und das Wesentliche menschlicher Existenz aus der Vielfalt der Erscheinungsformen herauszufiltern, zu bestimmen und zu erklären. Aber unberechenbarer als angenommen und letztlich nicht greifbar entzog sich menschliches Leben immer wieder den Versuchen exakter und umfassender Definitionen. Der vorliegende Band "homo sapiens" will auf unterhaltsame Art Anstoß geben, diese Frage neu zu stellen und zu überdenken.

Fischer, Norbert: Die Hieroglyphen

Marburg: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., 2003, ISBN 3 89642 015 1. Kurzschrift für reformierte Rechtschreibung/Schwarzschrift, 28,20 €, 1 Band, 44 Seiten und 13 taktile Darstellungen, Bestell Nr.: 4234

Die "heiligen Zeichen" der Ägypter sind über 5000 Jahre alt. Nach dem Niedergang des Pharaonenreiches gerieten sie in Vergessenheit. Erst der Franzose Champollion erweckte die Hieroglyphen 1822 wieder zum Leben. Das Buch enthält taktile Abbildungen des Hieroglyphen-Alphabetes und einiger Silbenzeichen sowie eine Auswahl von Königskartuschen. Die Hieroglyphen, ihre Bedeutung und ihre Geschichte werden in Blindenkurz- und Schwarzschrift (Großdruck) erläutert.

Der Grüffelo

Axel Scheffler Illustrationen; Julia Donaldson Text. Aus dem Englischen von Monika Osberghaus.
- Weinheim: Beltz und Gelberg, 2005, ISBN 3-407-79230-1. (Originalbuch (32 S.) mit eingelegten in Punktschrift geprägten Klarsichtfolien)Basisschrift mit Großschreibkennzeichnung/S, 17,90 €, 1 Hbd., 28 S., Bestellnr.: 4493

Die kleine Maus ist beim Spaziergang durch den Wald vielen Gefahren ausgesetzt. Fuchs, Eule und Schlange würden sie gerne verspeisen. Aber die Maus hat Köpfchen und erfindet den schrecklichen Grüffelo, der sie alle in die Flucht schlägt. Selbst als ihre Erfindung plötzlich leibhaftig vor ihr steht und sie nun selbst verschlingen will, hat sie noch eine listige, rettende Idee und kann sich fortan unbehelligt im Wald bewegen.

Marchon, Anne: Helen lernt leben

Die Kindheit der taubblinden Helen Keller. Bilder von Colette Camil. Ins Deutsche übertragen von Regine Schindler. Lahr: Kaufmann, 1984, ISBN 3-7806-0416-7. Reformierte Vollschrift auf Folie/Schwarzschrift, 24,10 €, 1 Band, 72 Seiten, Bestellnr.: 3098

Der Text dieses Buches ist knapp, anschaulich und kindgemäß, die Bilder von poetischer Zartheit, doch klar und überzeugend. Das Buch erschien 1981 in Paris unter dem Titel "Helen la petite fille du silence de la nuit" und 1982 im Ernst Kaufmann Verlag in Lahr. Im Verlag der Deutschen Blindenstudienanstalt wurde der Text in Punktschrift übertragen und auf durchsichtiger Folie in die Schwarzschriftseiten eingefügt. Das Buch sollte einen kleinen Beitrag zur Integration leisten.

Schröder, Siegfried: Labyrinthe

Labyrinth-Scheibe und Layout: Martin Beyer. Marburg/L.: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., 1985. Reformierte Kurzschrift/taktile Darstellungen/Schwarzschrift, 28,20 €, 1 Band, 90 Seiten, Bestellnr.: 3024

Ein Buch in zwei Informationssystemen: Braille- und Schwarzschrift mit taktilen Labyrinthen unterschiedlicher Art und verschiedener Schwierigkeitsgrade. Daneben gibt es für Tüftler aller Altersstufen "Knacknüsse", die uns in die Gedanken-Labyrinthe unseres Gehirns entführen. Eine beigefügte geschlossene Kunststoffscheibe, durch deren unsichtbare Gänge eine kleine Metallkugel zu steuern ist, macht das Buch zu einem unterhaltsamen Erlebnis.

In der blista-Reihe "Das andere Buch" liegen u.a. von Siegfried Schröder weiterhin vor: "… ich werde zuhören, wenn du redest" (Texte und Ornamente nordamerikanischer Indianer aus Vergangenheit und Gegenwart), "Das geheimnisvolle Leben des 'Kleinen Bären'" (Eine Raupengeschichte) sowie "Die Historie vom dicken, fetten Pfannekuchen".

Bestellung

Ihre Bestellung richten Sie bitte an: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Marburg, Tel.: 06421 606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

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Der sportliche Dreierpack für 2011

Auch 2011 bieten wir zu den Sportereignissen des Jahres wieder unsere Sportsonderhefte in Punktschrift an.Ihr Preisvorteil: 9% bei Bestellung aller 3 Sonderhefte. Sie zahlen nur 54,50 Euro plus eine einmalige Verpackungspauschale von 3,00 Euro. Die Rechnungsstellung erfolgt mit der ersten Lieferung.

Formel 1, Saison 2011

Am 13. März startet die Königsklasse des Motor¬sports in die neue Saison. Kann Sebastian Vettel seinen Titel verteidigen? Wer sind seine Konkurrenten? Wo wird gefahren? Unser Punktschrift-Sonderheft informiert Sie über Pisten, Piloten und PS. Mit Ferrari-Fan-Card - solange der Vorrat reicht. Bestell-Nr.: 4685, Schutzgebühr für Einzelbestellung: 17,90 Euro plus 2,50 Euro Verpackungskosten

FIFA Frauen-WM Deutschland 2011

Erleben wir ab dem 26. Juni ein neues Fußball-Sommermärchen? In unserem Punktschrift-Sonderheft zur Frauen-Fußball-WM in Deutschland stellen wir die deutsche Mannschaft vor, finden Sie u.a. Hintergrundberichte, Statistiken sowie den Spielplan zum Ausfüllen. Bestell-Nr.: 4686, Schutzgebühr für Einzelbestellung: 17,90 Euro plus 2,50 Euro Verpackungskosten

Fußball-Bundesliga, Saison 2011/12

In Zusammenarbeit mit dem Sportmagazin "kicker" erscheint unser Punktschrift-Sonderheft zur neuen Saison. Es enthält u.a. den Terminkalender für das Spieljahr, Angaben über Vereine und Spieler der 1. und 2. Bundesliga, deren Spielpläne und den der 3. Liga. Bestell-Nr.: 4687, Schutzgebühr für Einzelbestellung: 24,10 Euro plus 2,50 Euro Verpackungskosten.

Ihre Bestellung richten Sie bitte an: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Marburg, Tel.: 06421 606-0, Fax: 06421 606-259, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

In der Schwarzschriftausgabe sind jeweils die Logos der genannten Organisationen mit aufgeführt.

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Blindenselbsthilfe fällt nicht vom Himmel - BSVH Chronik jetzt auch im DAISY-Format

100 Jahre Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg, das Jubiläum im vergangenen Jahr bot Anlass zu forschen: Welche Ziele hatten sich die Gründungsmitglieder auf die Fahnen geschrieben? Wie entwickelten sich Vorhaben und Schwerpunkte im Laufe des Jahrhunderts? Wie meisterte der Verein die Herausforderungen der jeweiligen Zeit? Ulrike Backofen hat Originaldokumente gesichtet, in Archiven gewühlt, Zeitzeugen befragt und ihre Zeitreise in einer Chronik dokumentiert.

Sie können das Buch "Blindenselbsthilfe fällt nicht vom Himmel - eine Chronik" im Louis-Braille-Center des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg e. V., Holsteinischer Kamp 26, 22081 Hamburg, käuflich erwerben: Das Exemplar in Schwarzschrift inkl. DAISY-CD kostet 14,95 Euro. Ihre Bestellung richten Sie bitte an Wiebke Larbie, Tel.: 040 209404-16, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

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Panorama

SightCity 2011 vor dem Start

In diesem Jahr öffnet die SightCity Frankfurt vom 4. bis 6. Mai ihre Tore im Sheraton Airport Hotel. Die größte Fachmesse für Blinden- und Sehbehinderten-Hilfsmittel in Deutschland, die mit jährlich wachsenden Besucherzahlen und einem zunehmend internationalen Ausstellerspektrum aufwarten kann, wird sich im achten Jahr ihres Bestehens mit verlängerter Öffnungszeit und erweiterter Ausstellungsfläche erstmals auf zwei Stockwerken präsentieren. In bewährter Tradition werden blista und DVBS wieder mit einem Gemeinschaftsstand vertreten sein.

Nähere Informationen für Besucherinnen und Besucher bietet die Internetseite www.sightcity.net.

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Abitur: Was nun?

Die bundesweite Orientierungsveranstaltung für blinde und sehbehinderte Studieninteressierte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) findet in diesem Jahr vom 30. Mai bis 01. Juni statt. Ob es um die Wahl des Studienfachs und -ortes geht oder um Abschlüsse, fachliche Anforderungen und studentisches Wohnen: über drei Tage stehen Expertinnen, Experten und sehgeschädigte Studierende Rede und Antwort. Dabei zählen Orientierung und Mobilität genauso zu den Diskussionsthemen wie die spezifischen pädagogischen und technischen Unterstützungen im Studium. Die Teilnahme ist kostenfrei. Für interessierte Eltern, die ihre Tochter oder ihren Sohn begleiten, wird ein gesondertes Programm angeboten. Anmeldeschluss ist der 2. Mai.

Kontakt für weitere Informationen, Programm und Anmeldung: Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS), Susanne Schneider, Engesserstr. 4, 76128 Karlsruhe, Tel.: 0721 608-2760, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.szs.kit.edu.

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Im Ausland studieren!

Das Kölner Studentenwerk will Studierenden mit Behinderung die Vorbereitung eines Studiums im Ausland erleichtern. Das neue Internetportal des Uni-Referats "Kultur und Internationales" informiert über die Barrierefreiheit seiner rund 30 Partnerhochschulen und bietet Wissenswertes von A wie Assistenz über B wie Basisfinanzierung bis Z wie behinderungsbedingte Zusatzkosten. Das neue Informationsangebot möchte Studierenden mit Behinderung Mut machen. Es enthält auch ein Forum und einen Blog, in dem Auslandsstudierende über ihre Erfahrungen berichten.

"Im Ausland studieren: Schaffe ich das mit meiner Behinderung überhaupt?", "Wie finde ich eine passende Hochschule?", "Welche Förderprogramme gibt es?" - die nachfolgenden Links bieten vielfältige Informationen für den Weg ins Ausland:

  • Neues Internetportal des Kölner Studentenwerks www.kstw.de>Kultur und Internationales >Auslandssemester mit Behinderung
  • Wegweiser, Erfahrungsberichte und mehr auf den Internetseiten des Deutschen Studentenwerks www.studentenwerke.de > Studium und Behinderung > Studium im Ausland
  • Überblick über weltweite Förderprogramme bei der Nationalen Agentur für EU Hochschulzusammenarbeit / Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V. (DAAD) www.eu.daad.de
  • Im EU-Ausland berufspraktische Erfahrungen sammeln und berufliche Kompetenzen erweitern: Informationen zum bundesweiten Programm IdA - Integration durch Austausch www.esf.de > Programmübersicht > IdA - Integration durch Austausch
  • Englisches Informationsangebot über die Zugänglichkeit von europäischen Hochschulen: European Agency for Development in Special Needs Education www.european-agency.org

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Deutscher Hörfilmpreis 2011: Zehn Filme im Finale!

Für blinde, sehbehinderte und sehende Hörfilmfans wird es am 15. März spannend, da vergibt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) den 9. Deutschen Hörfilmpreis. Die folgenden zehn Filme mit Audiodeskription haben es bis in die Endauswahl geschafft:

  • "37 Grad Reihe: Nur das Beste für mein Kind" (2010, Regie: Caroline Haertel & Mirjana Momirovic), eingereicht von 3Sat
  • "Buddenbrooks" (2008, Regie: Heinrich Breloer), eingereicht von Degeto Film GmbH
  • "Die Päpstin" (2009, Regie: Sönke Wortmann), eingereicht von Highlight Communications
  • "Ganz nah bei Dir" (2009, Regie: Almut Getto), eingereicht von Filmlichter
  • "Im Angesicht des Verbrechens" (2010, Regie: Dominik Graf), eingereicht von ARTE
  • "Lippels Traum" (2009, Regie: Lars Büchel), eingereicht von Universum Film
  • "Polizeiruf 110: Fremde im Spiegel" (2010, Regie: Ed Herzog), eingereicht vom Rundfunk Berlin-Brandenburg
  • "Renn, wenn Du kannst" (2010, Regie: Dietrich Brüggemann), eingereicht vom Südwestrundfunk
  • "Schutzlos" (2010, Regie: René Heisig), eingereicht vom Zweiten Deutschen Fernsehen
  • "Wüstenblume" (2009, Regie: Sherry Hormann), eingereicht von Majestic Filmverleih GmbH

Die festliche Preisverleihung findet im historischen Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden in Berlin statt. Schirmherrin ist die Schauspielerin Christine Neubauer, für weitere Informationen: www.deutscher-hoerfilmpreis.de.

Das Fotomotiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt David Kross. Der pfiffig dreinblickende junge Mann trägt einen schwarzen Anzug und hält die Hand ans Ohr. Die Bildunterschrift lautet: David Kross, Hauptdarsteller im deutsch-amerikanischen Drama "Der Vorleser", das 2010 den ersten Publikumspreis in der Hörfilmpreisgeschichte gewann. (Foto: © DBSV / Franziska Krug).

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Mitmachaktion: Landkarte inklusiver Beispiele!

Ob Schule, Betrieb, Sportverein oder Kommune - Verantwortliche einer Organisation, die ein lebendiges Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen praktiziert, können jetzt zur "Landkarte der inklusiven Beispiele" beitragen. "Die Landkarte soll nicht nur Mauern in den Köpfen einreißen, sondern auch die Verantwortlichen inklusiver Beispiele öffentlich anerkennen und hierdurch unterstützen", betonte Hubert Hüppe. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen warb zugleich für eine möglichst große Beteiligung.

Vorschläge für die "Landkarte der inklusiven Beispiele" können via Internet unter der Adresse www.inklusionslandkarte.de eingegeben werden.

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Ausgezeichnet! Weinetiketten in Braille

Barrierefreiheit lohnt sich. Mit gleich zwei Auszeichnungen wurde das Weingut Pieroth aus Burg Layen bedacht, das neuerdings alle Gutsweine mit Rückenetiketten in Brailleschrift ausstattet. Die Angaben informieren über das Weingut, den Jahrgang, die Rebsorte, die Weinbezeichnung und die jeweilige Geschmacksrichtung. Bereits mit dem Innovationspreis des Deutschen Weininstituts prämiert, erhielt das Weingut vom Designforum Rheinland-Pfalz zudem eine Auszeichnung in der Kategorie Produktkommunikation / Flaschengestaltung.

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Internetinfos für Silver Surfer

Werner Krauße hat auf seinen Internetseiten ein DAISY-Buch "InternetKurs" zusammengestellt, das sich speziell an Seniorinnen und Senioren richtet. Das Kursangebot zielt in erster Linie auf die Navigationsbefehle und Einstellungen von JAWS und beinhaltet einfache Such- und Auskunftsvorgänge in Google, das Telefonbuch "das Örtliche", die Bahnauskunft und vieles mehr.

Das DAISY-Buch steht als ZIP-Datei zum kostenlosen Download unter www.werner-krausse.de/download.htm zur Verfügung.

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Recht

Dr. Michael Richter und Christiane Möller

Förderinstrumentarium im Bereich der beruflichen Teilhabe - Arbeits-Recht: Nachschlag zur Artikelserie

Dieser vierte und ursprünglich nicht geplante Teil unserer kleinen Serie zum Thema Arbeitsrecht unter dem speziellen Aspekt der beruflichen Teilhabe behinderter Menschen dient den Autoren der "Resteverwertung". Im Rahmen der Recherchen zu den vorherigen drei Teilen ergab es sich, dass "Mitteilenswertes" bisher noch nicht verwendet werden konnte. Mithin bieten wir jetzt den folgenden "Restmaterialeintopf" mit den zwei Hauptabschnitten: "Zur Verfügung stehende Beratungsangebote zur Unterstützung der beruflichen Teilhabe behinderter Menschen" (I.) und "Die wichtigsten Hilfen in Ausbildungsverhältnissen oder vorbereitenden Maßnahmen" (II.).

I. Öffentliches Beratungs- und Ansprechpartnernetz

Was genau sind die Aufgaben von Integrationsämtern, Integrationsfachdiensten und was leisten z.B. die technischen Sachverständigen der Integrationsämter? Das sind Dinge, die man wissen sollte, um auch im Bedarfsfall die entsprechenden Stellen auf Unterstützung ansprechen zu können. Lesen Sie und vielleicht staunen Sie ja auch:

1. Integrationsämter

Die Integrationsämter beraten in allen mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zusammenhängenden Fragen, insbesondere zu den Themen: behinderungsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen und Schwierigkeiten von behinderten Menschen am Arbeitsplatz.

Hierbei werden die Integrationsämter z.B. unterstützt durch:

  • die technischen Fachdienste, die die Integrationsämter in Fragen der behinderungsgerechten Ausstattung von Arbeitsplätzen beraten. Sie stehen Arbeitgebern, schwerbehinderten Arbeitnehmern und betrieblichen Integrationsteams in technisch-organisatorischen Fragen bei der Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer als Ansprechpartner zur Verfügung.
  • die Integrationsfachdienste, die durch Integrationsämter beauftragt werden können, um schwerbehinderte Arbeitnehmer im konkreten Arbeitsverhältnis zu begleiten und zu betreuen.
  • Aufklärungsarbeit in Form eigener Schulungs- und Bildungsveranstaltungen sowie Informationsbroschüren, durch die sich insbesondere Schwerbehindertenvertreter, Betriebs- und Personalräte und Beauftragte des Arbeitgebers bei den Integrationsämtern umfassend informieren können.

2. Die Arbeitsmarktberatung der Arbeitsagenturen und der SGB II-Träger

Die Arbeitsmarktberatung soll Arbeitgeber bei der Besetzung von Ausbildungs- und Arbeitsstellen unterstützen. Sie umfasst insbesondere:

  • die Beratung bei Fragen zur allgemeinen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Berufe
  • die Besetzung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
  • die Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten
  • die betriebliche Aus- und Weiterbildung
  • die Eingliederung förderungsbedürftiger Auszubildender und Arbeitnehmer
  • die Leistungen zur Arbeitsförderung.

3. Integrationsfachdienste (siehe auch unter I.1.)

Sie können durch Integrationsämter, Arbeitsagenturen, SGB II-Träger und Träger der beruflichen Rehabilitation (z.B. Rentenversicherungsträger) beauftragt werden, um Arbeitgeber in Sachen der Beschäftigung von

  • schwerbehinderten Menschen mit besonderem Bedarf an arbeitsbegleitender Betreuung
  • schwerbehinderten Menschen, die durch zielgerichtete Vorbereitung durch eine Werkstatt für behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen und dabei auf personalintensive und aufwendige arbeitsbegleitende Hilfen angewiesen sind
  • schwerbehinderten Schulabgängern, die für die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Unterstützung eines Integrationsfachdienstes angewiesen sind
  • behinderten Menschen, die nicht schwerbehindert sind, insbesondere seelisch behinderten oder von einer solchen Behinderung bedrohten Menschen zu unterstützen.

Ihre Aufgaben sind dabei:

  • umfassende Beratung
  • Besetzung von geeigneten Arbeitsplätzen mit schwerbehinderten Menschen
  • Einarbeitung und Betreuung vor Ort
  • Klärung von in Betracht kommenden Leistungen des Arbeitsförderinstrumentariums und
  • Unterstützung bei deren Beantragung.

II. Förderungen im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen oder ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen

Wie im dritten Teil unserer kleinen Artikelserie beschrieben, gibt es ein umfangreiches Förderinstrumentarium für die Schaffung guter Rahmenbedingungen konkreter beruflicher Teilhabe im Einzelfall. Für den Bereich der beruflichen Ausbildung schwerbehinderter oder gleichgestellter Menschen kommen noch einige "Sonderfördertatbestände" hinzu. Dies sind insbesondere:

1. Zuschuss zur Ausbildungsvergütung gem. §§ 235a, 236 SGB III

Der Zuschuss wird durch die zuständige Arbeitsagentur oder den SGB II-Träger gewährt, wenn er für das Zustandekommen des Ausbildungsverhältnisses, wegen behinderungsbedingter Gründe, notwendig und gerechtfertigt erscheint. Er beträgt in der Regel bis zu 60% der Bruttoausbildungsvergütung (im Durchschnitt auf die Dauer der Aus- oder Weiterbildung), kann in Ausnahmefällen aber auch 100 % betragen (z.B. bei einer besonders schweren Behinderung).

 

2. Erstattung der Praktikumsvergütung gem. § 23c SGB III

Das durch die Arbeitsagentur oder den SGB- II-Träger zu fördernde Praktikum muss allerdings dem Erwerb von Grundfähigkeiten für eine spätere Berufsausbildung dienen und mit einer berufsbildenden Maßnahme in Teilzeit einhergehen. Die Förderung kann bis zu 216 Euro plus die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge umfassen.

 

3. Gebührenzuschuss für die Ausbildung besonders Betroffener

Zuständig für diese Leistung ist das Integrationsamt gem. § 102 Abs. 3 Nr. 2b SGB IX i.V.m. § 26a SchwbAV. Die Leistung umfasst bis zu 100 % der Eintragungs- bzw. Abschlussgebühren für z.B. Zwischen- und Abschlussprüfungen sowie in diesem Rahmen anfallende, notwendige Betreuungsaufwendungen. Die Leistung kann auch die Kosten einer außerbetrieblichen Ausbildung/Ausbildungsabschnitte umfassen (z.B. Gebühren der Handwerkskammer oder der Industrie- und Handelskammer). Die Leistung können Betriebe mit weniger als 20 Arbeitnehmern beantragen, die besonders betroffene schwerbehinderte Menschen im Sinne von § 71 f SGB IX zur Aus- oder Weiterbildung einstellen.

4. Prämien und Zuschüsse zu den Ausbildungskosten für behinderte Jugendliche gem. § 10, Abs. 3 SGB IX

Förderfähig sind in diesem Rahmen auch gleichgestellte Jugendliche, d.h. ab einem Grad der Behinderung von 30%, soweit eine derartige Anerkennung vorliegt. Die Erfüllung der "Schwerbehindertenquote" im Beschäftigungsbetrieb ist keine Leistungsvoraussetzung. Diese Leistung umfasst im Gegensatz zu der zu II.1. nicht die direkten Personalkosten und der Umfang der Leistung steht im Ermessen des Leistungserbringers.

Zuständig für diese Leistung ist das Integrationsamt gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 2c SGB IX i.V.m. § 26c SchwbAV.

Mit einem guten Gefühl, das wichtige Thema der beruflichen Teilhabe behinderter Menschen mit seinen Besonderheiten relativ umfassend in vier Beiträgen für den horus aufgegriffen und bearbeitet zu haben, verbleiben Ihre Autoren des rbm-Teams, Christiane Möller und Dr. Michael Richter, mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches und gesundes Jahr 2011. Schön wäre es natürlich, wenn auch Ihre Vorhaben im Bereich Bildung oder im Beruf so gelingen, wie sie sich das wünschen und vielleicht Ihnen der eine oder andere unserer Hinweise dabei behilflich ist.

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Nachruf

Joachim Lembke, Schulleiter

Zum Tode von Uwe Sparenberg

Die Carl-Strehl-Schule, Deutsche Blindenstudienanstalt, beklagt den schmerzlichen Verlust ihres hoch angesehenen und verdienstvollen Kollegen, des stellvertretenden Schulleiters Uwe Sparenberg. Er starb nach kurzer schwerer Krankheit am 24. Dezember 2010.

Mit seinem Eintritt in die Carl-Strehl-Schule 1973 als Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte entdeckte Uwe Sparenberg in der beginnenden Debatte um die Integration sehbehinderter und blinder Schüler in Regelschulen in der Lernumgebung des Freien Schulträgers blista die Herausforderungen einer eigenständigen Didaktik und Methodik des Unterrichts und einer umfassenden individuellen und rehabilitativen Förderung.

Nach seinem Referendariat für das gymnasiale Lehramt absolvierte Uwe Sparenberg zwischen 1976 und 1978 an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg ein Aufbaustudium der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik und übernahm sehr schnell Verantwortung für die sonderpädagogische Erneuerung und den Ausbau des Aufbaugymnasiums der CSS.

Durch die Verbindung von allgemeiner und spezieller Pädagogik, gestützt auf überragende fachwissenschaftliche Kenntnisse und seine freundliche Ausstrahlung, gelang es Uwe Sparenberg, in enger Zusammenarbeit mit dem jungen Kollegium und den Leitungsverantwortlichen, die erforderlichen Modernisierungen in der CSS/blista durchzusetzen.

Folgerichtig wurde er 1980 zum Leiter der neu eingerichteten Abteilung für sehbehinderte Schüler und zum zweiten stellvertretenden Schulleiter ernannt. In den Jahren der dynamischen Expansion und des pädagogischen Umbruchs 1980 - 1989 arbeitete Herr Sparenberg, teilweise als kommissarischer Schulleiter, mit großer Innovationsfreude an der Verbindung des allgemeinbildenden gymnasialen Schwerpunkts mit stärker berufsorientierenden Schulformen, die das heutige Schulprofil auszeichnet.

Seit 1990 bis zu seinem allzu frühen Tod am 24. Dezember 2010 war Uwe Sparenberg innerhalb des dreiköpfigen Schulleitungsteams verantwortlich für alle beruflichen Schulformen, und er war jahrelang Ansprechpartner für das Beratungs- und Förderzentrum der Carl-Strehl-Schule. Daneben übernahm er die Koordination der Schulprogrammarbeit und lieferte in der Ausübung seiner Leitungsfunktion zahlreiche Impulse zur Schulentwicklung , z. B. Einführung der Eingangsstufe 5/6, Laptopschule, Etablierung neuer Prüfungsformen, Teilnahme an zentralen Prüfungen und Lernstandserhebungen.

Über die Grenzen der CSS/blista hinaus engagierte sich Herr Sparenberg in der Landesarbeitsgemeinschaft der Leiter der Beruflichen Gymnasien sowie in der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Hessischen Beratungs- und Förderzentren.

Rastlos und mit kritischem Blick suchte Uwe Sparenberg in engem Kontakt mit seinen Schülerinnen und Schülern nach Möglichkeiten, gemeinsam etwas Neues zu erproben und insbesondere die Chancen der neuen Technologien zu erschließen.

In seiner Unterrichtsgestaltung legte er großen Wert darauf, das eigenständige Lernen und das Selbstbewusstsein seiner Schülerinnen und Schüler zu fördern. Mit diesem Selbstverständnis, seiner Experimentierfreude und seiner großen Sensibilität für Lernschwierigkeiten und spezielle Lernarrangements, gelang es Uwe Sparenberg immer wieder, die Begeisterung und die Zuneigung seiner Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Seine Erfahrung, sein Wort und sein Rat hatten in der blista Gewicht.

Neben seinen vielen Talenten besaß er die besondere Gabe, verfahrene Situationen, sei es auf Konferenzen oder innerhalb des Schulalltages, durch einfache und unkonventionelle Vorschläge zu entspannen und zu lösen. Mit einem gewissen Abstand und einem verschmitzten Lächeln sagte Uwe dann: Er halte es mit Bertolt Brecht. Der habe auch nur Vorschläge machen wollen.

Die vielen Ideen und Vorschläge des Uwe Sparenberg werden uns jetzt fehlen.

Der Schwarzschriftausgabe ist ein Foto von Uwe Sparenberg beigefügt: An seinem Schreibtisch sitzend, lächelt er die Betrachtenden an.

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Bildung und Forschung

Dr. Imke Troltenier

Bewältigung von Blindheit und Sehbehinderung im Lebenslauf

Wer nach statistischen Daten über die Situation von blinden und sehbehinderten Menschen sucht, der recherchiert vergeblich. Europaweit fehlt es an Daten und Fakten über Bildungswege und Abschlüsse, über Arbeitsmarktintegration, Berufswahl, -erfolg und Karriere.

So hat die blista selbst die Initiative ergriffen, um die Erforschung der Bildungs- und Berufsbiografien anhand der ehemaligen Absolventen voranzutreiben. In Kooperation mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg wird seit November 2008 eine Studie mit blista-Absolventinnen und -Absolventen der Jahrgänge 1978, 1988 und 1999 durchgeführt.

Auf Basis der Bildungs- und Berufsbiografien sollen zudem wichtige Impulse für die eigene Qualitätsentwicklung erarbeitet werden. Dabei geht es mit ganzheitlichem Ansatz um die Nachhaltigkeit von Lernerfolgen: um die Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen, die die blista den Schülerinnen und Schülern auf ihren weiteren Lebensweg mitzugeben versteht, und um jene Lernangebote und Erfahrungen, die die jungen Menschen im Rückblick vermissen. Eine Häufigkeitsauswertung der Telefonbefragungen liegt bereits vor, eine Auswahl dieser Ergebnisse wird im Folgenden vorgestellt. Die qualitativen Ergebnisse der Auswertung folgen im Frühjahr 2011.

Lebensumfeld

Die blista-Absolventinnen und -Absolventen der Jahrgänge 1978, 1988 und 1999 wohnen heute überwiegend in städtischen Wohnregionen. 40% sind in Marburg geblieben. 80% leben in einer Partnerschaft, davon haben etwas mehr als die Hälfte der Befragten einen sehenden Partner bzw. eine sehende Partnerin (52,3%).

Berufswege

Einen sozialen Beruf haben 17, überwiegend weibliche, Befragte ergriffen: Acht sind heute Diplom PädagogInnen, SozialpädagogInnen oder SozialarbeiterInnen (5 w, 3 m), fünf LehrerInnen (3 w, 2 m) und vier PsychologInnen (3 w, 1 m). Für die Berufe Jurist (5 m) und Dipl. Verwaltungswirt bzw. -wissenschaftler (4 m) haben sich ausschließlich männliche Absolventen entschieden. Darüber hinaus reicht das Berufsspektrum von InformatikerInnen bzw. Informatikkaufleuten (3 w, 2 m), Datenverarbeitungskaufleuten (1 w, 2 m) und Diplom Volks- (2 m) bzw. Betriebswirten (1 w, 1 m) über Verwaltungsfachangestellte (1 w, 1 m), Sekretärinnen (3 w), Diplom Dolmetscher (1 w, 1 m) bis zu jeweils einem Diplom Politikwissenschaftler, Physiotherapeuten, EDV-Organisator sowie einer Inspektor-Anwärterin und einer Fachangestellten für Medien und Informationsdienste. Knapp zwei Drittel der Befragten geben an, sich an ihrem Arbeitsplatz entfalten und ihre Fähigkeiten optimal einsetzen zu können. Gleichwohl rechnen sich über die Hälfte der Interviewten wenig bzw. keine Aufstiegschancen aus.

Arbeitgeber

Arbeitgeber ist meist der öffentliche Dienst (50,9%). Der Kohorten-Vergleich weist darauf hin, dass dies insbesondere für den Jahrgang 1978 zutrifft (75%). In den jüngeren Jahrgängen geht der Anteil deutlich zurück (Jg. 1988: 56,5%, Jg. 1999: 45,5%).

Entsprechend ist die Bandbreite der Arbeitgeber im Jahrgang 1999 am breitesten gefächert: Hier kommen zu öffentlichem Dienst, Privatwirtschaft und Vereinen oder Verbänden zwei Nennungen in der Kategorie "sonstige Arbeitgeber" hinzu: eine Stiftung und die Hessische Landeszentrale für politische Bildung. Mit Blick auf Arbeitslosigkeit ist erkennbar, dass im Kohorten-Vergleich die jüngeren Jahrgänge stärker betroffen sind ("1x arbeitslos": Jg. 1978: 33,3%, Jg. 1988: 36,0%, Jg. 1999: 58,8%).

Fort- und Weiterbildung

Ein Großteil der Befragten nimmt an Aus-, Fort- oder Weiterbildungen teil (81,1%). Epilepsie-Beratung, therapeutische Zusatzausbildung, Ausbildung zum Soziallotsen, Postgraduiertenstudium "Total Quality Management" - das Spektrum der Zusatzausbildungen ist im Bereich der sozialen Berufe besonders breit. Neben EDV-Kursen, berufsspezifischen Fort- und Weiterbildungen in Soft-Skill-Bereichen wie Kommunikation, Konfliktmanagement und Gesprächsführung werden v. a. von Juristen und Dipl. Volkswirten Führungskräfteseminare wahrgenommen.

Die blista-Zeit im Rückblick

Darüber, dass die Ausbildung an der CSS Vorteile bot, sind sich die Befragten überwiegend einig (96,4%). Auch die Lernbedingungen an der CSS werden rückblickend außerordentlich positiv bewertet: 27,3% sprechen von "besten Lernbedingungen" und 52,7% bewerten die Lernbedingungen als "gut". Ihre schulische Ausbildung sehen sie im Vergleich zu der ihrer sehenden Altersgenossen an Regelschulen als gleichwertig an. Drei Viertel der Befragten haben sofort nach ihrem Abschluss mit einem Studium begonnen.

Auf die Frage, welche Fertigkeiten die Befragten darüber hinaus an der blista gut gelernt und eingeübt haben, werden unter den unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten am häufigsten Einkaufen (81,8%), Mobilität (72,7%), Haushaltsführung (67,3%) und Kochen (65,5%) angegeben.

Bei 40% der Befragten war die Entscheidung, an die blista zu gehen, stark durch den elterlichen Einfluss mitbestimmt. Im Kohorten-Vergleich fällt auf, dass der elterliche Einfluss insbesondere die älteren Jahrgänge betraf (Jg. 1978: 44,4%, Jg. 1988: 52,0%, Jg. 1999: 23,8%). Zum Thema Elternarbeit gab knapp ein Viertel der Befragten an, dass keine Zusammenarbeit zwischen blista und den Eltern stattgefunden habe. Zwei Drittel der Befragten mahnen zu wenig Kontakt zu Nicht-Blinden und Nicht-Sehbehinderten an.

Alltag und Freizeit

"Ich gestalte meinen Alltag selbstbestimmt", sagt die überwiegende Mehrheit der Befragten: 45,5% geben an, sich "völlig selbstbestimmt" zu fühlen, 47,3% empfinden sich "im Großen und Ganzen" selbstbestimmt. Bezahlte Unterstützungsmöglichkeiten werden v. a. im Haushalt und zum Vorlesen in Anspruch genommen, häufiger wird jedoch auf private Hilfe wie familiäre Unterstützung (56,4%) zurückgegriffen.

Mit ihren sozialen Beziehungen sind die Befragten "überwiegend" (54,5%) oder sogar "sehr" (27,3%) zufrieden. 83,6% aller Befragten sind Mitglieder in mindestens einem Verein. Dabei bevorzugen die jüngeren Jahrgänge zunehmend "allgemeine Vereine" (Jg. 1978: 0,0%, Jg. 1988: 9,1%, Jg. 1999: 46,7%), während die Mitgliedschaft in spezifischen Vereinen für Blinde und Sehbehinderte leicht rückgängig ist (Jg. 1978: 55,6%, Jg. 1988: 36,4%, Jg. 1999: 40%).

Besonders beliebte Freizeitthemen sind Musik hören, Literatur und Hörbücher, Natur, PC und Internet. Zu den selteneren Elementen der Freizeitgestaltung zählen eine eigene musische, künstlerische oder kreative Aktivität und die Wahrnehmung kultureller Angebote.

Haben Sie noch Kontakt zur blista?

Zwei Drittel der Befragten pflegt den Kontakt zur blista (65,5%), wobei sich die männlichen Absolventen durch eine auffallend stärkere Bindung auszeichnen (w: 46,2%, m: 82,8%). Besonders stark mit der blista verbunden zeigt sich der Jahrgang 1988 (Jg. 1978: 55,6%, Jg. 1988: 76,0%, Jg. 1999: 57,1 %).

Die Diplom-Pädagogin Sandra Habeck führt die Studie "Bewältigung von Blindheit und Sehbehinderung im Lebenslauf" durch. Während mit den quantitativen Daten vor allem eine Gesamtschau (allgemein, kohorten- und genderspezifisch) gewonnen werden konnte, werden aus den Ergebnissen der inhaltsanalytischen Interview-Auswertung differenzierte Rückschlüsse und weitere Hinweise zu bislang offenen Fragen erhofft, beispielsweise, welche Gründe dazu führen, dass sich die Befragten kaum berufliche Aufstiegschancen ausrechnen.

Das der Schwarzschriftausgabe beigefügte Foto zeigt die Politik AG der Carl-Strehl-Schule während ihrer Fahrt nach Straßburg. Die Schülerinnen und Schüler sitzen in einem Ausflugsschiff (Foto: Stephanie Biechele). Die Bildunterschrift lautet: Wohin führt die Fahrt nach dem Abschluss? Politik AG der blista in Straßburg.

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UN-Behindertenrechtskonvention (BRK)

Michael Herbst

Wie aus Zeichenketten Handeln wird: Die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) für den DVBS

Wenn eine Gesellschaft behindertengerecht sein soll, dann muss sie inklusiv sein. Das ist die Leitvision der BRK: eine Gesellschaft, die niemanden integrieren muss, weil sich jeder in ihr entfalten kann.

In diesen Tagen wird hingebungsvoll diskutiert, wie man der inklusiven Gesellschaft Stück für Stück näher kommen kann. Auch der Arbeitsausschuss des DVBS, jene Runde der Leiter von Vereinsgliederungen, die den Vorstand kontrolliert, nahm sich im November 2010 des Themas an.

Veränderung verspricht die Konvention über politisches Handeln und die Rechtssprechung zu bewirken, meinte Dr. Michael Richter, Geschäftsführer der rbm gemeinnützige GmbH - Rechte behinderter Menschen, in seinem Impulsreferat und er mahnte die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe, Inklusion nicht in Frage zu stellen, wie visionär der Begriff auch immer geprägt sei. Arno Kraußmann, Vorstand der blista, musste nicht erst ermahnt werden, seine Einrichtung hat sich längst darangemacht, einen Aktionsplan zu erstellen und einen Prozess hin zu einer inklusiven Bildungseinrichtung in Gang zu setzen. Ob gleiches auch für den DVBS als Selbsthilfeorganisation blinder und Sehbehinderter anzustreben sei, beantwortete der 1. Vorsitzende des Vereins, Uwe Boysen, mit einem klaren "JAIN". Was er sich wünscht, ist eine breite Diskussion zum Thema im DVBS und die sollte er bekommen. Die folgenden Schlaglichter künden von bislang deutlich unterschiedlichen Standpunkten.

Die Diskussion setzte sich in einigen Wortbeiträgen zunächst mit dem Begriff der Inklusion auseinander und beschrieb ihn zusammenfassend wie folgt:

  • Inklusion setzt im Gegensatz zur Integration gesellschaftlich an. Eine inklusive Gesellschaft ist geprägt durch die drei Säulen der Nichtdiskriminierung, der Barrierefreiheit und der Selbstbestimmtheit. Sie verpflichtet jeden einzelnen mithin zu aktivem Liberalismus und verlangt keinen Umbau, sondern eine Weiterentwicklung der Gesellschaft (Dr. Richter).
  • Inklusion ist, als ob man einen Hund, einen Vogel, ein Eichhörnchen und einen Fisch unter einem Baum postiert, sie auffordert, ihn zu besteigen und sie damit motiviert, sie hätten alle dieselbe Chance. Positiv am Begriff der Inklusion ist, dass er sich von Begriffen wie Fürsorge, Leidensgerechtigkeit etc. abgrenzt (Dr. Bach, Mitglied des Vorstandes).

Welche gesamtgesellschaftlichen Folgen hat die BRK bislang gezeitigt, welche nicht und welche kann sie in Zukunft noch zeitigen?

  • Die BRK beschreibt, wie die Menschenrechte für Behinderte Geltung erlangen können. Dass sie Segregation in Zweifel zieht, ist schon deshalb folgerichtig, weil Segregation z.B. in Diktaturen die Gefahr des Missbrauchs birgt. Der Druck, den die Konvention auf die Förderschulen hierzulande ausübt, ist im Sinne der Bildungsqualität durchaus nützlich und dürfte bewirken, dass auch diese Schulen sich eine inklusivere Ausrichtung zulegen (Herr Bethke, Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes).
  • Die BRK führt einerseits zu negativen Effekten wie dem, dass Kostenträger auf integrierte Beschulung bestehen, um Kosten zu sparen. Andererseits fördert sie in den Kommunen plötzlich Leitlinien zutage, die man früher vergeblich forderte. Manche Dinge wiederum sehen nach Inklusion aus, sind es aber nicht - "shared space" (Herr Gläser, Fachgruppe "Erziehung und Wissenschaft").
  • Die BRK ist das eine, die Praxis bspw. in der Betreuung Körperbehinderter das andere. Allzu oft werden stark pflegebedürftige Menschen aus Kostengründen immer noch stationär untergebracht (Frau Ackermann, Bezirksgruppe "Hamburg").
  • Die Vision der "inklusiven Gesellschaft" sollte dazu führen, dass man sich als behinderter Mensch nicht mehr für sein Handicap rechtfertigen muss, weil es normal wird, verschieden zu sein (Dr. Richter).
  • Die Verwaltungspraxis der sozialrechtlichen Kostenträger zumindest in Schleswig-Holstein lässt nicht nur wg. der beabsichtigten Blindengeldkürzung jedes politische BRK-Bekenntnis zur "Sonntagsrede" werden. Da werden Kostenübernahmen für die Unterbringung in einer Behindertenwerkstatt nurmehr befristet auf ein Jahr gewährt. Da verschickt das Landessozialamt Fragebögen zum Landesblindengeld in gedruckter Form, die von den blinden Empfängern binnen einer knappen Woche ausgefüllt und zurückgesendet werden müssen. Andernfalls wird mit der Einstellung der Zahlungen gedroht (Frau Malzahn, Bezirksgruppe "Schleswig-Holstein").
  • Die "Impressionen zur BRK", die in "horus 4/2010" erschienen, zeigen eindrucksvoll, wie weit die Konvention bereits in das Bewusstsein der Gesellschaft vorgedrungen ist, nämlich gar nicht, was den "Mann auf der Straße" betrifft (Frau Katemann, Mitglied des Vorstandes).

Wie sollen sich der DVBS und wie Blinde und Sehbehinderte allgemein zur BRK verhalten?

  • Die BRK ist ein wunderbares Mittel zur politischen Interessenvertretung. Sie schmiedet neue Bündnisse und lässt Ziele erreichbar erscheinen, die von der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe allein nie hätten durchgesetzt werden können (Herr Bethke).
  • Bei der Erarbeitung der Forderungen, die nun größtenteils Eingang in den nationalen Aktionsplan finden werden, agierten die Verantwortungsträger des Blinden- und Sehbehindertenwesens reichlich eigensinnig und nahmen Fachleute für spezielle Themenfelder nicht mit. So wurde wieder einmal mit keinem Wort der Artikel 24 Absatz 5 erwähnt, der für Behinderte die Möglichkeit zu lebenslangem Lernen fordert. Auch der Artikel 28, der behinderte Senioren wirtschaftlich stützen möchte, was wg. der häufig gebrochenen Berufsbiografien Blinder und Sehbehinderter nicht unwichtig ist, spiegelt sich in keiner der formulierten Forderungen und auch nicht im "Wegweiser Sozialpolitik (WWS)" des DVBS wider. Die DVBS-Gruppe "Ruhestand" wird deshalb eine Resolution an den Vorstand richten (Dr. Meister, Gruppe "Ruhestand").
  • Man sollte den Begriff der "Inklusion" zumindest in der öffentlichen Diskussion nicht abwerten und versuchen, ihm im Kleinen auch in den Selbsthilfeverbänden Geltung zu verschaffen. Eine "Wir-hier-die-dort-Betrachtung" der Dinge ist in diesem Sinne bereits ein Fehlstart (Herr Kunert, Fachgruppe "Medien").
  • Der Anspruch, eine "inklusive Gesellschaft" schaffen zu wollen, ließ sich aus den deutschen Gleichstellungsgesetzen bereits weit vor der Verabschiedung der BRK ableiten. Mitunter überzieht die Selbsthilfe inzwischen ihre diesbezüglichen Forderungen. Die DVBS-Geschäftsstelle ist bspw. längst nicht mehr in der Lage, all das zu gewährleisten, was die Repräsentanten von der Öffentlichkeit und insbesondere der öffentlichen Verwaltung einfordern. Die Forderung nach integrierter, gar inklusiver Beschulung in unserem auf Selektion und Norm ausgerichteten Schulsystem verspricht eine "Opfergeneration Blinder und Sehbehinderter" zu schaffen, die für den Übergang herhalten muss, weil es den politischen Verantwortungsträgern und zuweilen auch den Verbänden nicht schnell genug gehen kann. Hier wünscht man sich selbstbewusst und nicht schuldbewusst auftretende Förderschulen (Herr Herbst, Geschäftsführer des DVBS).
  • "Inklusion" fordert die Selbsthilfe zusätzlich, weil die potentiellen Ansatzpunkte für ihre Arbeit sich vervielfachen. Dem DVBS ist in Sachen "Inklusion" ein schlechtes Zeugnis auszustellen: Seine Seminare finden bspw. nach wie vor nicht sämtlich in barrierefreien Tagungshäusern statt und eigentlich sollte der Einbau eines Aufzuges in der Geschäftsstelle absolute Priorität haben (Frau Angermann, Bezirksgruppe "Württemberg").
  • Es liegt in der BRK die Chance, auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem hierzulande voranzukommen und diese Chance sollte man womöglich mit neuen Partnern an seiner Seite nutzen. Dass die Bildung Blinder und Sehbehinderter außerhalb von Spezialeinrichtungen läuft, ist doch nichts Neues, sondern im Hochschulwesen Alltag. Dereinst wird es inklusive, integrierte und segregierte Bildung nebeneinander geben (Frau von Malottki, Bezirksgruppe "Baden").
  • Der DVBS sollte sich dieser Diskussion folgend weiter mit der BRK beschäftigen. Vielleicht kann diese ähnlich laufen, wie seinerzeit zum Thema "Bioethik", als schließlich im "horus" ein Aufsatz erschien, der kontroverse Positionen zusammenfasste, ohne sie zu werten und der zu Aktivitäten in den verschiedenen Vereinsgliederungen aufforderte (Herr Boysen).
  • Bei allen - von der "Marburger Erklärung" über den WWS und das Papier des "Arbeitskreis Nachteilsausgleiche" zum WWS - seitens des DVBS längst formulierten Forderungen an eine "inklusive Gesellschaft", bleibt der Ansatz der Integration auch im Lichte der BRK weiterhin wichtig. Auch in einer "inklusiven Gesellschaft" muss sich jeder einzelne letztlich integrieren (Dr. Hauck, Ehrenvorsitzender).
  • Wichtig ist, dass Blinde und Sehbehinderte außerhalb des DVBS für ihre Belange werben. Nur so war es bspw. möglich, dass 2009 der erste barrierefreie Seniorentag in Leipzig stattfinden konnte (Dr. Meister).

In der Schwarzschriftausgabe ist ein Cartoon zum Redebeitrag von Dr. Heinz Willi Bach beigefügt. Er zeigt einen dozierenden Lehrer. Vor ihm, in Reihe aufgestellt: Katze, Elefant, Seehund, Schnecke, Goldfisch im Glas, Gorilla, Huhn und Frosch. Der (ehrwürdige) Pädagoge trägt Brille und Bart, er zeigt auf den großen Laubbaum im Hintergrund. Die Bildunterschrift lautet: "Damit die Fairness wirklich gewahrt ist, bekommt ihr alle die gleiche Aufgabe: Klettert auf diesen Baum!". Quelle: Alpha Toolkit: Make changes for today which will be solutions for tomorrow: Europäische Kommission (DGXXII), Brüssel 1995, S. 25

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Dr. Imke Troltenier

Wie man die Lage von Menschen mit Behinderungen besser machen kann ...

Was ist ein Menschenrechts-Aktionsplan? Nach welchen Grundsätzen wird er erstellt und welche Anforderungen muss er erfüllen? Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, die die Umsetzung der BRK gemäß Artikel 33 Absatz 2 der BRK in Deutschland begleitet, wurde im Mai 2009 am Deutschen Institut für Menschenrechte eingerichtet und befindet sich derzeit im Aufbau. Zu ihren Aufgaben zählen u. a. die Beratung von Politikerinnen und Politikern, angewandte Forschung und Öffentlichkeitsarbeit.

Im Rahmen ihrer so jungen wie lesenswerten Publikations-Reihe "Positionen" greift die Monitoring-Stelle Themen der Konvention auf und bezieht zu aktuellen Fragen und Diskussionen Stellung. Drei Ausgaben sind bislang erschienen:

  • Monitoring - unverzichtbarer Beitrag zur staatlichen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
  • Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
  • Partizipation - ein Querschnittsanliegen der UN-Behindertenrechtskonvention

Aktive Verben nutzen, Fachbegriffe und Fremdwörter meiden, pro Satz nur eine Aussage… - jede Ausgabe der jungen Publikations-Reihe enthält eine Zusammenfassung in Leichter Sprache. Durch erläuternde Bilder ergänzt, wird hier im zweiten Teil jeweils deutlich, dass die Verwendung Leichter Sprache allen Leserinnen und Lesern zugute kommt. Denn Leichte Sprache bringt Inhalte auf den Punkt, die Texte werden eingängig: "Die Regierung weiß, dass sie in Deutschland noch viel für Menschen mit Behinderungen tun muss. Deutschland soll auch ein Vor-Bild für andere Länder sein. Auch deshalb macht die Regierung jetzt einen Aktions-Plan…".

  • Interessierte Leserinnen und Leser können die Publikationen der Monitoring-Stelle unter dem folgenden Link abonnieren und kostenlos herunterladen: www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/monitoring-stelle/publikationen.html
  • Zum Website-Zweig "Leichte Sprache" führt der folgende Link: www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/monitoring-stelle/leichte-sprache.html
  • Kontakt: Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, Deutsches Institut für Menschenrechte, Zimmerstraße 26/27, 10969 Berlin, Tel.:030 259359-450, Fax: 030 259359-59, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Webseite: www.institut-fuer-menschenrechte.de
  • Das neue Wörterbuch für Leichte Sprache gibt es bei Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V. www.people1.de/buecher.html#buecherliste

Der Schwarzschriftausgabe sind zwei Illustrationen für Texte in Leichter Sprache beigefügt. Die eine zeigt eine Checkliste, in der drei von vier Punkten abgehakt sind, die andere steht für die BRK und zeigt ein unterzeichnetes Dokument. Die Zeichnungen stammen aus dem neuen Wörterbuch für Leichte Sprache von "Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V." und wurden von Reinhild Kassing gezeichnet.

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Berichte und Schilderungen

Demet Seven

„Und wie gefällt dir dein Studium bis jetzt so?“

Es ist 18:20 Uhr, als ich auf mein Handy-Display gucke. Nur noch 25 Minuten, bis ich in die Freiheit entlassen werde. Der Klappstuhl, auf dem ich mich niedergelassen habe, knarrt fürchterlich, sodass sich (so kommt es mir jedenfalls vor) bei jeder meiner Bewegungen der ganze Vorlesungssaal nach mir umschaut. Es ist eng. Meine Sitznachbarin ist nicht einmal eine Hand breit von mir entfernt und kritzelt euphorisch auf ihren karierten Collegeblock. Ich habe ein schlechtes Gewissen und denke, dass ich es ihr eigentlich gleichtun sollte, entscheide mich aber lieber dafür, meinen leeren Kaffeebecher anzustarren und mich darüber zu ärgern, warum die Frau an der Theke so geizig mit der Flüssigkeit gewesen war, für die ich immerhin 2,30 Euro bezahlt hatte. Ich schaue auf das Schild, welches über der Leinwand vor mir hängt: "Der Verzehr von Lebensmitteln ist während der Vorlesung untersagt". Nicht dass ich es lesen könnte, dafür war es viel zu weit entfernt. Meine Studiumskollegin hatte es mir bei unserer ersten Vorlesung vorgelesen. Eine "ältere" Studentin hatte uns dann darauf hingewiesen, dass dieses Schild "so alt wie die Uni" und dementsprechend mit gutem Gewissen "zu ignorieren" sei. Mein Stuhl knarrt erneut und ich frage mich ärgerlich, für was um Himmels Willen jährlich die hohen Studiengebühren ausgegeben werden.

Ich denke an meine ersten Tage an der Ruhr-Universität Bochum zurück. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich den Raum gefunden hatte, in dem die Mitarbeiter saßen, denen ich mein ärztliches Gutachten vorzeigen und mich somit von den Studiengebühren abmelden konnte. Die Dame an dem Info-Point hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mein Gutachten zu lesen, bzw. zu kopieren und einzuheften. Mit einem "Ja, ich habe sie nun von den Gebühren befreit!" war die Sache getan. Als ich den Raum verließ, dachte ich daran, wie einige Leute von Job zu Job rasten, um diese Gebühren bezahlen zu können. Unglaublich!

Mit einem Zettel vor der Nase war ich von Gebäude zu Gebäude gegurkt, um meine Erledigungen abzuhaken: Zum BAföG-Amt, welches immer wieder nachzureichende Unterlagen einforderte, zum Studiensekretariat, wo ich mein NRW-Studenten-Ticket abbestellen konnte (denn wenn man im Besitz einer Wertmarke ist, ist so ein Ticket nur pure finanzielle Belastung). Irgendwann hatten mir die Augen wehgetan, da der Uni-Lageplan, den wir bei der Einschreibung bekommen hatten, so klein gedruckt war, dass er nicht einmal mit einer Lupe dechiffriert werden konnte. Nicht nur einmal wurde ich mir über das Glück, das ich hatte, bewusst: Gut, dass ich bereits jemanden kannte, der an dieser Uni studierte und mir alles zeigen konnte. Der arme Hüseyin antwortete immer geduldig auf meine Fragen und Hilferufe, was Orientierung und Organisation betraf, denn mein lockeres Mundwerk ist ja, wie jeder weiß, der mich kennt, nicht nur darauf zurückzuführen, dass ich "Ersti" an der Uni bin...

Abgesehen davon, war ich vor allem am Anfang für die so genannte "Einführungswoche" für Erstsemester sehr dankbar. Besonders die Einführungen in die Universitätsnetzwerke und die Campus-Tour waren sehr hilfreich. Bei der Stundenplanerstellung war allerdings jeder auf sich allein gestellt. Ewige Lücken und lange Pausen am Nachmittag, die in der Schulzeit als "Freistunden" bezeichnet wurden (in denen man in der "Cafete" oder bei gutem Wetter auf dem Pausenhof "rumhing und chillte"), sind nun einfach nur nervig. Meist sind dies zwei bis vier Stunden, die man sich vertreiben muss, bis die nächste Veranstaltung beginnt und bei denen ich eigentlich grundsätzlich der Meinung bin, dass es sich nicht lohnt, etwas Sinnvolles für die Uni zu tun. Stattdessen wird in der Mensa gegessen, im Uni-Center (welches sich gegenüber der Uni befindet) "geshoppt" oder mit Kakao oder Kaffee auf dem Gelände "gechillt". An manch erfreulichen Tagen begegnet einem ein Student im Hühnchen- oder Elefantenkostüm, der versucht, seinem Job nachzugehen und Produkte bzw. Flyer an vorbeilaufende (meistens lachende) Mitstudenten zu verticken.

Die herrschende Anonymität, die mich während meiner ersten Tage an der Uni überwältigt hatte, wurde von Tag zu Tag immer selbstverständlicher. Selbst Professoren und Dozenten, die mir nach der Vorlesung (so förmlich wie möglich natürlich) die Unterlagen und Skripte überreichten, die es mir ermöglichten, der Veranstaltung leichter zu folgen, beobachtete ich hin und wieder in den Pausen bei der einen oder anderen nicht so förmlichen Aktivität! Ich lache immer noch, wenn ich daran denke, dass ca. 50 Prozent von denen, die ich über meine Sehbehinderung aufgeklärt habe, im ersten Moment beinahe einen Schock erlitten hätten und für etwa fünf Minuten nicht in der Lage gewesen waren, einen grammatikalisch korrekten Satz zustande zu bringen! Allerdings fassten sie sich dann wieder und waren sehr dankbar über meine "so genialen" Lösungsvorschläge bezüglich digitaler Skripte.

Dies führt mich zu einem weiteren Problem, welches sich langsam zu lösen scheint: die Raumsuche. Diesbezüglich bin ich froh, dass ich nicht mehr alleine bin. Es finden sich inzwischen mehrere Grüppchen von Erstsemestern auf den Fluren und Etagen der Gebäude, wenn es wieder einmal kurz vor Beginn einer Veranstaltung ist. Kaum zu glauben, dass ich am Anfang beinahe 40 Minuten dafür gebraucht habe, einen Raum in einem Gebäude zu finden! Jedenfalls hat die Tatsache, dass ich nicht die Einzige war, die verzweifelt und voller Hysterie mit einem Zettel in der Hand alle zwei Minuten nach dem Weg fragen musste, mein Selbstbewusstsein enorm gesteigert!!

"Mit diesen Worten entlasse ich Sie für heute und wünsche Ihnen einen schönen Tag." Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Anna und Dionne links und rechts von mir sind schon angezogen. Ich krame meine Sachen zusammen und verlasse mit ihnen den Saal. Draußen regnet es. Wie immer, denke ich. Aber ich bin froh, dass der Tag zu Ende ist. Die dauerhafte Konzentration ist anstrengend. Einfach nur dasitzen und zuhören und nebenbei die PowerPoint-Präsentation und die Worte des Dozenten mitschreiben. Ich sage nicht, dass der Stoff schwer ist. Ich sage auch nicht, dass der Stoff der Medienwissenschaft, für den ich mich letztendlich entschieden habe, leicht und uninteressant ist. Im Gegenteil, ich bin froh über meine Wahl und bereue sie nicht. Aber ich habe schon längst rausgefunden, dass das Einzige, was mich am Einschlafen in den engen, überfüllten und monotonen Vorlesungssälen hindert, das Mitschreiben ist.

Die Betonplatten unter meinen Füßen knarren und machen andere monströse Geräusche. Ich gehe bewusst auf den Platten entlang, von denen ich weiß, dass sie nicht anfangen zu grölen, wenn ich auf sie stampfe. Ich nehme mir vor, wenn das Wetter wieder schöner ist, den botanischen und den chinesischen Garten der Uni zu suchen, um dort in den Pausen zu lernen. So viel ich mich auch umschaue, ich kenne das Gelände der Universität immer noch nicht komplett und werde mich bei der Erkundung garantiert verlaufen. Aber ich bin mir über eines im Klaren: Wenn ich mich beim ersten Mal verlaufe, finde ich den Weg zum Garten beim zweiten Mal sicher sofort. So war es auch bei den Räumen.

Zur Autorin

Demet Seven studiert im ersten Semester "Medien- und Theaterwissenschaften" an der Ruhr-Universität Bochum. Die 20-jährige Münsteranerin war Schülerin der Carl-Strehl-Schule und begeisterte sich schon lange für die "Wirkung und den Einfluss der Medien auf den menschlichen Alltag". Demet Seven spielt mit Leidenschaft Theater, nimmt seit längerem Gesangsunterricht und schreibt gerne. Sie wünscht sich später einmal in der Medienbranche arbeiten zu können. Als sie den Bericht verfasste war ihre universitäre Laufbahn erst drei Wochen alt.

Das Foto in der Schwarzschriftausgabe zeigt die Autorin Demet Seven im Hörsaal ihrer Universität. Sie sitzt allein in einer der vordersten Reihen, hat einen Notizblock aufgeschlagen und schaut so engagiert wie sympathisch nach vorn. Die weiteren Vorlesungsteilnehmer sind teilweise am Aufbrechen (Foto: privat). Die Bildunterschrift lautet: Erste Tage an der Ruhr-Universität Bochum.

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Wilhelm Gerike

Anfassen erlaubt

Wer in Deutschland in ein Museum geht, wird mehr oder minder diskret aufgefordert, die Exponate nicht zu berühren. Als blinder Mensch kommt man sich da schon als Gesetzesbrecher vor, wenn man, alle Aufforderungen umgehend, über das Absperrseil klettert, um dann doch schnell und mit aller gebotenen Vorsicht das ein oder andere Exponat vorsichtig zu berühren. So ging es mir jedenfalls im Maritimmuseum in Hamburg, das auf mehreren Stockwerken alles rund um die Seefahrt zeigt. Warum darf man das Modell der "Queen Mary II" aus Lego nicht anfassen?

Richtig übel erging es mir in Leipzig, wo ich im Museum für Musikinstrumente von einer übellaunigen Matrone erklärt bekam, dass man hier noch nie etwas anfassen durfte. Es handele sich ja um Einzelstücke. Die Audioguides waren auch nur begrenzt hilfreich, weil man einerseits das Aussehen der Exponate als bekannt voraussetzte und andererseits die Nummern vor den einzelnen Exponaten für Sehbehinderte nur schlecht bis gar nicht lesbar waren. Im Technikmuseum in Speyer sind gleich alle spektakulären Exponate hinter Glas...

Ganz andere Erfahrungen habe ich in Großbritannien und Irland gemacht. Im schottischen Edinburgh kann man sich fast den ganzen Tag auf einer der größten Burganlagen aufhalten. Jeden Mittag wird dort die Kanone abgefeuert. "Nimms ruhig in die Hand", sagte mir einer der Kanoniere und gab mir das frisch abgefeuerte Geschoss in die Hand. Und sogar die Kronjuwelen der schottischen Könige lassen sich anfassen. Natürlich nicht die Originale, sondern Repliken aus Kunststoff. Daneben finden sich Tafeln, die auch in Punktschrift über die einzelnen Stücke informieren.

Die nettesten Museumsbesuche erlebte ich in Irland. In einem Schloss gibt es dort eine Konstruktion aus zwei Sesseln, die frisch Verliebten vorbehalten waren. Die beiden saßen im rechten Winkel mit dem Rücken zueinander, konnten sich also nur schlecht ansehen. In den Rückenlehnen gab es aber eine Aussparung, durch die man die Hände durchstecken konnte. Unter großem Beifall unserer Mitbesucher probierten meine Frau und ich diesen Sessel einmal aus.

Der All American Folk Park ist ein großes Freilichtmuseum, das die Lebensverhältnisse der Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts im dörflichen Umfeld zeigt. Zunächst befindet man sich auf der irischen Seite. Später geht man durch das Modell eines Segelschiffes, um in die "Neue Welt" zu gelangen. Die Biografien mehrerer Familien sind in diesem Museum dokumentiert. Am Eingang fragte ich, ob ich die Informationen auch in Punktschrift haben könne. "Natürlich", bekam ich zur Antwort und hatte gleich ein dickes Buch in der Hand. Wir waren mit einer deutschen Gruppe im Museum, von denen viele noch nie etwas mit Blindenschrift zu tun hatten. So wurde ich mehr oder minder freiwillig zu einer Attraktion, als ich einige Stellen aus dem Museumsführer vorlas.

Zum Schluss möchte ich dann aber doch noch für ein deutsches Museum die Lanze brechen, nämlich für das Auswanderermuseum in Bremerhaven. Hier gibt es hervorragende Audioguides und anfassen lässt sich hier auch vieles. Fazit: Auch wir können noch viel von Europa lernen.

Zum Autor

Wilhelm Gerike arbeitet seit 1989 beim DVBS. Von 1995 bis 2001 war er im Leitungsteam der Bezirksgruppe "Hessen-Thüringen" tätig. Der Autor sagt über sich: "Meine Frau und ich sind begeisterte Irlandliebhaber. Wir reisen gern auf die grüne Insel, lernen dort nette Menschen kennen und singen leidenschaftlich gern".

In der Schwarzschriftausgabe ist ein Foto beigefügt, das Wilhelm Gerike am Stehpult des alten Schulhauses im All American Folk Park zeigt. Patent hat er den Blindenstock unter den Arm geklemmt und liest aus dem Braille-Buch unter seinen Händen vor (Foto: Claudia Gerike). Die Bildunterschrift lautet: Wilhelm Gerike liest aus dem Punktschrift-Guide im alten Schulhaus des All American Folk Parks.

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Aus der Arbeit des DVBS

Neue Gesundheitsratgeber für Mitglieder gratis

Der DVBS-Textservice bietet fünf neue Gesundheitsratgeber an. Die Ratgeber enthalten wertvolle Tipps und viele praktisch umsetzbare und gut beschriebene Alltagsübungen, die Aufsprachen haben einen Umfang von jeweils rund 60 Minuten. Sehgeschädigte können die folgenden DAISY-CDs kostenlos beziehen:

  • Fit-Food: Einfach richtig essen. Bausteine der gesunden Ernährung
  • Schwangerschaft: Willkommen Baby. Mit Schwangerschaftsfahrplan
  • Gesund lernen: Gegen Prüfungsangst und Klausurenstress
  • Starker Rücken. Starke Leistung: Schmerzen vorbeugen und beheben.
  • Fitmacher Vollkorn - Dickmacher Fast Food: Anregungen und Tipps für Eltern und Lehrkräfte.

Dank der finanziellen Förderung durch die DAK konnte das bestehende Spektrum damit so sinnvoll wie aktuell erweitert werden. Die bereits vorliegenden Ausgaben sind gleichfalls kostenlos und behandeln die Themen Brustkrebs, Anwendung und Wirkung von Heilkräutern, Kopfschmerzen und Migräne sowie einen Ecstasy-Ratgeber für Eltern und Lehrkräfte. Für weitere Informationen und Bestellung: DVBS-Textservice, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 9488822, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

In der Schwarzschriftausgabe zeigt das beigefügte Foto die DVBS-Mitarbeiterin Sabine Hahn, die im Bereich Textservice für die Auflesungen zuständig ist. Das Foto zeigt sie am Schreibtisch sitzend. Lächelnd hat sie sich den Betrachtenden zugewandt. Neben ihr liegen die neuen Gesundheitsratgeber. Die Bildunterschrift lautet: Sabine Hahn, DVBS-Textservice (Foto: DVBS itrol).

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Blinde Schönheit – DVBS-Veranstaltung am 8. März

Was ist, wenn ...? Was ist, wenn der Blick in den Spiegel keine Antwort gibt? Wenn sie ihr Aussehen nicht erkennt? Wenn er zum Wanderer im Nebel wird und seine Ausstrahlung auf andere nicht sehen kann? Wenn zudem die mediale Welt jung, gesund & schön zwänglich verknüpft…?

Was macht Schönheit aus, wer oder was ist der Spiegel und wo liegt es, das Gespür dafür? Für die Protagonistinnen und Protagonisten der Veranstaltung sind dies keine rhetorischen Fragen. Erfahrungsberichte, Prosa und Lyrik, Musik und Kunst…- es sind vielfältige Perspektiven, die die Besucherinnen und Besucher bei der Veranstaltung des DVBS am 100. Frauentag erwarten.

Als Moderatorin lädt Heike Herrmann, die Herausgeberin des gleichnamigen Hörbuches "Blinde-Schönheit", ein zum Zuhören und Schauen, zum anregenden Austausch über Spiegel und Gespür für Schönheit: zwischen Blinden, Sehbehinderten und Sehenden, Frauen und Männern, Künstlerinnen und Artisten in Wort, Bild und Ton.

Die Veranstaltung am 8. März beginnt um 19:30 Uhr im TTZ - Technologie und Tagungszentrum, Softwarecenter 3, 35037 Marburg.Nach Ankommen bei Sekt, O-Saft und Musik wird sie mit der Vorstellung aller Akteurinnen und Akteure gegen 20 Uhr eröffnet. Das Foyer bietet Platz für viele. Um Anmeldung wird gebeten (Tel.: 06421 94888-13, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!). Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

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Juristisches Wissen für alle: Zweite Staffel der Reihe "Kompass Recht" erschienen

Der bislang einzigartigen Kooperation zwischen dem Stuttgarter Kohlhammer-Verlag und dem DVBS ist es zu verdanken, dass allen Bänden der Fachbuchreihe "Kompass Recht" eine CD-ROM beiliegt, die neben ergänzendem Arbeitsmaterial auch eine Hörfassung des jeweiligen Werkes im MP3-DAISY-Format enthält.

Herausgegeben von Prof. Dr. Dieter Krimphove, ist die voraussichtlich 30-bändige Reihe jetzt um sieben neue Werke auf die folgenden 13 Publikationen angewachsen: Europarecht, Steuerrecht I, Steuerrecht II, Staatsrecht, BGB I, BGB II, Multimediarecht, Sozialrecht, Handelsrecht, Insolvenzrecht, Arbeitsrecht I, Lebensmittelrecht und Gesellschaftsrecht. Alle vorliegenden Bände können in der DVBS-Geschäftsstelle bei Birgit Stolz bestellt werden (Tel.: 06421 94888-17, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

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Mitgliedsbeitragsermäßigung: Beantragungsfrist endet!

Der Antrag auf Ermäßigung des DVBS-Mitgliedsbeitrages für das Jahr 2011 muss bis spätestens 28. Februar 2011 formlos schriftlich, per Fax oder per E-Mail (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) in der Geschäftsstelle eingetroffen sein. Anträge, die nicht fristgerecht bei uns eintreffen, können nachträglich leider nicht mehr genehmigt werden. Fristgerechte Anträge werden bestätigt und die Mitgliedsdaten in der Datenbank angepasst. Die Bestätigung, und ausschließlich sie, dient als Nachweis gegenüber dem Verein. Mitglieder, denen im letzten Jahr eine Ermäßigung bis auf Widerruf gewährt wurde (z.B. Mitglieder, die im Ausland leben, oder Ruheständler, die eine Beitragsermäßigung beantragten), sind von der jährlichen Antragstellung ausgenommen. Auskunft erteilt Stefanie Görge, Tel.: 06421 94888-16 montags bis freitags von 8 bis 12 Uhr, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

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DVBS-Arbeitsausschuss bestätigt Leitungsteam im Amt

Der Arbeitsausschuss (AA), bestehend aus den Leiterinnen und Leitern der Bezirks- und Fachgruppen des DVBS, tagte am 13. November 2010 im Bielschowsky-Konferenzraum der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg. Das Fachthema am Nachmittag bildete diesmal die Konvention über die Rechte behinderter Menschen der Vereinten Nationen (s. Artikel in diesem Heft: Rubrik "BRK").

Das neu gewählte Leitungsteam des AA ist das vorherige: Vorsitzender ist Klaus Sommer, die Stellvertreter sind Ria Becker und Dr. Michael Richter. 2011 wird die AA-Sitzung wieder mit einem Seminar für ehrenamtliche Mitarbeiter des DVBS verbunden und soll im Aurazentrum Horn-Bad Meinberg vom 11. bis 13. November stattfinden.

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Terminvorschau

  • 22. bis 26. März 2011: AAD 2011 Augenärztliche Akademie, im Congresscenter Düsseldorf
  • 4. bis 6. Mai 2011: SightCity 2011 Jährliche Messe für Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte, Frankfurt am Main, Sheraton Airport Hotel
  • 12. bis 15. Mai 2011: "Zeit- und Selbstmanagement"Seminar der Fachgruppe Wirtschaft, Herrenberg
  • 30. Juli bis 5. August 2011: Psychodrama-Woche Fachgruppe Sozialwesen (fachgruppenübergreifend), Saulgrub
  • 15. bis 18. September 2011: "Präsentation und Rhetorik" Seminar der Fachgruppe Wirtschaft, Herrenberg
  • 16. bis 18. September 2011: Fortbildungsseminar der Fachgruppe Jura, Berlin
  • 23. bis 25. September 2011: Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender Fachgruppe Ausbildung, Bonn
  • 27. bis 30. September 2011: Weltkongress Braille21 Innovationen in Braille im 21. Jahrhundert, Veranstalter: Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (DZB)
  • 8. bis 15. Oktober 2011: Die zehnte Woche des Sehens ... findet bundesweit statt!
  • 10. bis 17. Oktober 2011: "Altern und Blindheit"Seminar der Gruppe Ruhestand, Bad Orb
  • 11. bis 13. November 2011: Arbeitsausschuss des DVBS mit Fortbildungsseminar für Ehrenamtliche, Bad Meinberg
  • 18. bis 20. November 2011: Fortbildungsseminar der FG Sozialwesen, Hünfeld

Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php

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Aus der blista

Annette Körber

Reitcamp für blinde und sehbehinderte Kids - Premiere fand großen Anklang

Zum ersten Mal fand in den hessischen Herbstferien ein Reitcamp für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler an der blista statt, die nicht die Carl-Strehl-Schule besuchen. Elf Jugendliche im Alter von 10 bis 14 Jahren aus ganz Deutschland waren nach Marburg gekommen und wohnten fünf Tage in den Wohngruppen der Gabelsberger Straße.

Bereits früh am Morgen ging es in den Reitstall. Dort gab es neben dem Reitunterricht auch Einblicke in die Theorie und Praxis "rund ums Pferd". Zunächst mussten die Pferde selbstständig geputzt und gesattelt werden und dann ging es im Schritt und Trab über Stangen, auf dem Zirkel oder ähnlichen Hufschlagfiguren, der Schwebesitz wurde probiert und auch eine Runde auf dem Außengelände war inklusive. Jeder konnte seine persönlichen Fortschritte machen und einige hätten die Pferde am liebsten mit nach Hause genommen.

Außerdem wurde ein breites Nachmittagsprogramm geboten: Neben Bowling, Sporthalle und Schwimmbad gab es eine spannende Stadtrallye durch die Straßen von Marburg und eine Grillparty mit abschließender nächtlicher Fackelwanderung. Die Woche ging schnell vorbei und dem einen oder anderen fiel der Abschied dann doch schwer.

Ein Dankeschön gilt noch allen Kolleginnen und Kollegen aus Internat und Reitstall, die so engagiert mitgearbeitet haben. Weitere Veranstaltungen in den hessischen Ferien sind in Planung und werden dann unter anderem in der blista-news veröffentlicht.

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Rudi Ullrich

Kultusministerin Henzler von blista beeindruckt - Begegnung mit Schülern stand im Mittelpunkt des Besuchs

Anfang November besuchte die Hessische Kultusministerin Dorothea Henzler in Begleitung weiterer FDP-Politiker aus Land und Kommune die blista. Vor dem Hintergrund der aktuellen Inklusionsdebatte und der anstehenden Neufassung des Hessischen Schulgesetzes wollte sie sich vor Ort ein persönliches Bild über die Arbeit der Carl-Strehl-Schule machen. Beim Unterrichtsbesuch in der Klasse 8 informierten die Schüler über ihre individuellen Arbeitstechniken und Hilfsmittel. Besonders beeindruckt zeigte sich die Ministerin dabei vom taktilen Zeichnen in Geometrie.

In einer Gesprächsrunde stellten Vertreterinnen und Vertreter der Schülervertretung ihre persönlichen Erfahrungen an Regel- und Förderschulen dar. Dabei wurde von Seiten der Schüler immer wieder unterstrichen, dass aus ihrer Sicht beide Wege gleichberechtigt nebeneinander offen stehen und ein Wechsel jederzeit möglich sein muss. So wurde zum Beispiel als Argument für den Besuch der blista genannt, dass Sportbegeisterte hier aus einem breiten Spektrum von Angeboten wählen können, wogegen sie an Regelschulen oft gänzlich vom Sportunterricht ausgeschlossen waren. Auch die Rahmenbedingungen des Internates mit seiner dezentralen Struktur und die konkreten Förderangebote der Reha-Abteilung, die dazu beitragen, dass man frühzeitig ein hohes Maß an Unabhängigkeit erreicht, wurden als weitere Argumente für die blista genannt.

Die Ministerin unterstrich, dass die Landesregierung stolz sei, eine bundesweit so bekannte und so bedeutende Einrichtung im Land Hessen zu haben, und sagte zu, die Carl-Strehl-Schule und den Bereich "Medienversorgung" auch weiterhin nach Kräften zu unterstützen. Bezüglich der Neufassung des Hessischen Schulgesetzes machte sie deutlich, dass die Koalition aus CDU und FDP dem Elternwahlrecht eine hohe Bedeutung zumesse und dass in Hessen der Besuch einer Förderschule auch weiterhin möglich sein wird.

blista-Direktor Claus Duncker bedankte sich für die klaren und ermutigenden Worte und bat die Ministerin, dabei mitzuhelfen, dass die dringend notwendigen Haushaltsmittel für die sonderpädagogische Weiterbildung für Lehrer bereitgestellt werden. Er betonte auch, dass die blista als Einrichtung der Selbsthilfe sich ihres besonderen Auftrages für die schulische, berufliche und gesellschaftliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen bewusst ist und gerne bereit ist, daran mitzuarbeiten, das in Marburg über Jahrzehnte aufgebaute Know-how im Rahmen eines bundesweiten Kompetenzzentrums für die inklusive Bildung im gymnasialen Bereich einzubringen.

In der Schwarzschriftausgabe sind dem Artikel zwei Fotos beigefügt, die während des Besuchs gemacht wurden. Sie zeigen die sichtlich interessierte Hessische Kultusministerin jeweils mit einer Schülerin bzw. einem Schüler der Klasse 8. Den Jugendlichen scheint es Freude zu machen, ihre Hilfsmittel und Techniken zu erläutern. Die Bildunterschriften lauten: "Wie Mathe an der blista funktioniert? - Kultusministerin Henzler informiert sich vor Ort" und: "Kreisradius, Umfang, Mittelpunkt - eine Schülerin erläutert, wie sie den Zirkel einsetzt" (Fotos: DVBS itrol).

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Fortbildungs- und Weiterbildungsprogramm 2011

Von A wie "Apple für Einsteiger" und "Anwendungsbezogene Videointeraktionsdiagnostik und Beratung im Kontext der Frühfördersituation" über B wie "Braille- und DAISY-Übertragung mit RTFC 7" bis Z wie "Interdisziplinäre Zusammenarbeit" - im blista-Fortbildungskalender 2011 gibt es eine ganze Reihe von Angeboten, die nicht nur für Lehrer und pädagogische Fachkräfte, sondern auch für Eltern und Betroffene interessant sind. Mehr Infos und die Anmeldeunterlagen finden Sie im Internet unter: www.blista.de/bildung/fortbildung. Alle Informationen und Unterlagen können Sie auch unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! anfordern.

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Impressum

Herausgeber:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion:

  • für den DVBS: Uwe Boysen, Michael Herbst, Andrea Katemann und Dr. Imke Troltenier
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel

Koordination:

Dr. Imke Troltenier, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-13, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.):

Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)

Erscheinungsweise:

Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

Jahresbezugspreis:

22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres.

Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonten des DVBS:

Sparkasse Marburg-Biedenkopf, BLZ 533 500 00, Konto 280

Commerzbank AG Marburg, BLZ 533 400 24, Konto 3 922 945

Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60, Konto 149 949 607

Verlag:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg

ISSN 0724-7389

  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Titelbild:

Europa blind verstehen

In der Schwarzschriftausgabe zeigt das Titelblatt ein Foto von der Fahrt der Politik AG der Carl-Strehl-Schule nach Straßburg: Die 10-köpfige Schülergruppe um Hans Junker hat sich bei ihrem Besuch im Europaparlament vor den bunten Fahnen der EU-Mitgliedsstaaten aufgestellt (Foto: Stephanie Biechele).

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

Nächste Ausgabe:

horus 2/2011 - Schwerpunktthema: Assistenz für Blinde und Sehbehinderte

Erscheinungstermin: 16. Mai 2011

Anzeigenannahmeschluss: 13. April 2011

Redaktionsschluss: 23. März 2011

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Leserbrief

Jochen Schäfer

Geht dem horus das Papier aus?! Offene Stellungnahme gegen die "additive" Idee

Sicher erinnern sich noch viele an das "Vorangestellt" in horus 1/2008 mit dem ausführlichen geschichtlichen Rückblick über rund 90 Jahre unserer Zeitschrift, erschienen zu Beginn der großen "horus-Strukturreform (HSR)". Diese brachte uns eine Reduzierung von 6 auf 4 Hefte pro Jahr, stattdessen 2 Hörzeitschriften. Auch wenn dieser Rückblick positiv durchsetzt war (siehe das "Horuskop"), beobachten einige von uns diese neue Entwicklung mit Skepsis. Auch wenn die horus-Schwerpunkte gut gelingen und im Grunde immer besser werden (von manchen "Infotainment-Einflüssen" abgesehen), gibt es in anderen Punkten Anlass zur Sorge, da zu befürchten ist, dass die Printversion des horus zu Gunsten von elektronischen oder akustischen Publikationen immer weiter abgespeckt wird (sowohl in Punkt- wie auch in Schwarzschrift).

Sehr bedenklich ist die "additive" Idee, die in H. 4/2010 verkündet und bereits praktiziert wurde. Auf diese Weise werden horus-Artikel ausschließlich auf die DVBS-Internetseite verlagert, lediglich auf der CD findet man noch den Text des Beitrags. Laut dem "Blick zurück" soll es sich dabei nicht um eine einmalige Ausnahme, sondern um eine künftig gängige Praxis handeln. Das horus-Archiv sowie die Leserschaft unserer Zeitschrift, in deren Namen ich sprechen möchte, kann dies jedoch nicht ohne weiteres hinnehmen, denn so kommt man immer mehr von gedruckten Publikationen ab. Niemand hat ein Problem damit, dass horus-Artikel auf der DVBS-Internetseite verfügbar gemacht werden, dies muss jedoch auch weiterhin zusätzlich zum gedruckten bzw. auf CD vorhandenen Artikel geschehen. Niemals dürfen solche Beiträge in rein elektronischer Form erscheinen.

Man muss doch zugeben, dass der Artikel von Hecker über die Bewegungs- und Verhaltensstereotypien nicht allzu lang ist und daher problemlos als gedruckte Beilage in Punkt- und Schwarzschrift hätte erscheinen können. Solche Beilagen hatten wir schon häufiger, die letzte zu Heft 4/2006 anlässlich des 90-jährigen Jubiläums von DVBS und blista. Aber auch andere Artikel gab es, die unabhängig von Jubiläen als Beilagen erschienen sind, wie z. B. "Für gleiche Chancen Blinder und Sehbehinderter in der Informationsgesellschaft" von Karsten Warnke (Beilage zu MB/horus 1/1997). Eine solche Beilage umfasst natürlich mehr Punkt- als Schwarzschriftseiten, aber um diese "gleichen Chancen" auch künftig zu ermöglichen, sollte der DVBS mit dem guten Beispiel der vergangenen Jahrzehnte fortsetzen und Artikel, die für eine gedruckte Zeitschrift vorgesehen sind, nicht alternativlos auf die Elektronik verlagern. Solche "additiven" Beiträge dürften auch künftig nicht so häufig vorkommen, und daher wären solche gedruckten Beilagen eine gute Lösung, die man nicht aus Kostengründen einfach verwerfen sollte.

Durch solche innovativen/"additiven", aber umstrittenen Ideen, wie sie die Redaktion Ende 2010 beschlossen hat, könnte eine Grundsatzdiskussion über den Status unserer Zeitschrift angestoßen werden, wie sie ja bereits auf der letzten "intern" über den "Medienmix" begonnen hat. Schon jetzt bin ich gespannt auf Reaktionen, nicht nur seitens der Leserschaft, sondern vor allem der Redaktion.