Schriftenreihe Rechtsberatung für blinde und sehbehinderte Menschen

Heft 06 der Schriftenreihe:
Blindengeld - Sehbehindertengeld - Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

von Dr. Herbert Demmel und Karl Thomas Drerup

Stand: Februar 2010

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

In diesem Heft werden vor allem behandelt: Das System des Blindengeldrechts, insbesondere nach dem SGB XII und den Landesblindengeldgesetzen, die geschichtliche Entwicklung, übereinstimmende und unterschiedliche Regelungen in den Landesblindengeldgesetzen, die ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sowie Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und ihre Auswirkungen auf das Blindengeld.

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2. Überblick über Blindengeldleistungen

Zunächst ist zu fragen, warum es für blinde Menschen eine Geldleistung (im Folgenden mit dem Sammelbegriff "Blindengeld" bezeichnet) als Dauerleistungen gibt, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch - allerdings in unterschiedlichen Formen - in vielen anderen Ländern.

Der Verlust oder eine wesentliche Beeinträchtigung des Sehvermögens bringt, ganz gleich auf welche Ursache er zurückzuführen ist, gravierende Nachteile mit sich. Vielfältige Hilfen stehen blinden Menschen im Rahmen unserer Rechtsordnung für ihre medizinische, schulische, berufliche und gesellschaftliche Eingliederung, kurzum, für ihre Rehabilitation, zur Verfügung. Trotz aller Eingliederungshilfen, die in der Regel vorübergehender Natur sind und mit der Erreichung des Zieles, z. B. Beendigung der Ausbildung oder Umschulung, wegfallen, bleiben blinde Menschen lebenslänglich auf Hilfen angewiesen, die es ihnen ermöglichen, die durch die Blindheit verursachten Nachteile wenigstens teilweise auszugleichen. Genau hier greift das Blindengeld ein.

Das Blindengeld ist eine sozialrechtliche Leistung, die dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen und Nachteile dient und die darauf abzielt,

  1. die Folgen der Behinderung zu mindern,
  2. die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern,
  3. Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten.

Geldleistungen, welchen diesem Ausgleich dienen, werden in den Gesetzen als Blindengeld oder Pflegegeld bzw. Pflegezulage bezeichnet.

Zu unterscheiden ist zwischen Blindengeldleistungen, welche an bestimmte Ursachen der Erblindung oder Sehbehinderung anknüpfen (vgl. 2.1, 2.1.1 und 2.1.2) und Leistungen, die allein am Vorliegen der Blindheit bzw. am Grad der Sehbehinderung anknüpfen, wobei es auf deren Ursache nicht ankommt (vgl. 2.2).

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2.1 Leistungen bei Erblindung auf Grund bestimmter Ursachen

Ausgleichsleistungen bei einer Sehschädigung werden im Versorgungsrecht namentlich für Kriegsopfer mit Rücksicht auf das erbrachte Sonderopfer und im Bereich der sozialen Unfallversicherung bzw. des Dienstunfallrechts für Beamte und Richter nach dem Beamtenversorgungsgesetz wegen der mit den versicherten Tätigkeiten verbundenen Gefahren gewährt. Im Versorgungs- oder Entschädigungsrecht steht der Gedanke des Schadensersatzes und der Wiedergutmachung im Vordergrund. Der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Dienstunfallrecht liegt der Gedanke der Haftpflicht des Unternehmers bzw. Dienstherrn für die aus der Tätigkeit erwachsenden Gefahren zu Grunde.

Die Erblindung oder der Sehverlust muss in all diesen Fällen durch das schädigende Ereignis verursacht sein. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach der im Sozialrecht für diese Bereiche einheitlich herrschenden, von der Rechtsprechung entwickelten Theorie der wesentlichen Bedingung. Zwischen dem zum Schaden führenden Ereignis und der Schädigung muss haftungsbegründende und zwischen der Verletzung und dem Schaden haftungsausfüllende Kausalität bestehen. Sie unterscheidet sich von der im Strafrecht herrschenden Äquivalenztheorie, nach welcher die zum Schaden führende Handlung, z. B. bei einer Körperverletzung der Schlag, nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch der Erfolg entfiele (conditio sine qua non) und der im Schadensersatzrecht herrschenden Adäquanztheorie, wonach für die Haftung für einen Schaden ausgehend von der Äquivalenztheorie eine Einschränkung auf solche Ursachen erfolgt, die bei objektiver Betrachtung und den dem Schädiger bekannten Umständen generell geeignet sind, den Schaden herbeizuführen. Nach der sozialrechtlichen Kausalitätslehre genügt ein Ereignis, das für die daraus resultierenden Folgen eine wesentliche Bedingung setzt. Es muss sich somit nicht um die alleinige Bedingung handeln. Dadurch soll eine Abgrenzung zu reinen Gelegenheitsbedingungen erfolgen. Bei der Frage, was wesentliche Bedingung ist, handelt es sich um ein Werturteil. In diesem Bereich gibt es eine besonders umfangreiche Rechtsprechung. Ein großes Problem stellt hier die Behandlung des Vor- und Nachschadens und der mittelbaren Schädigungsfolgen dar. Wenn z. B. ein Betroffener bereits auf einem Auge blind ist und er erblindet auf dem anderen Auge durch einen Arbeitsunfall, stellt sich die Frage, ob trotz dieses "Vorschadens" die nunmehr eingetretene vollständige Erblindung als unfallbedingt anerkannt werden kann. Der schädigungsbedingte Verlust des zweiten Auges hat erst die Erblindung bewirkt. Das schädigende Ereignis ist dafür wesentliche Ursache (BSGE, Bd. 24, S. 275, 276).

Abweichend von den Fällen des Vorschadens wird der Nachschaden beurteilt. Ein Nachschaden liegt vor, wenn die Erblindung auf einem Auge durch einen Arbeitsunfall oder versorgungsrechtlichen Schadensfall eingetreten war und das andere Auge aus einem anderen Grund, z. B. einer Starerkrankung, erblindet ist. Dieses zweite Ereignis wird nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht mehr von der Ursächlichkeit für die Schädigung des ersten Auges als "wesentliche Bedingung" erfasst. "Mit dem Ende des schädigenden Vorgangs ist zugleich die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette abgeschlossen." Der spätere Verlust des zweiten Auges liege "außerhalb der rechtserheblichen Einflusssphäre des entschädigungspflichtigen". Das BSG hat an dieser Rechtsprechung trotz der Kritik im Schrifttum festgehalten. Der für die Unfallversicherung zuständige Senat hat sich der zur Kriegsopferversorgung ergangenen ständigen Rechtsprechung angeschlossen. Für das Dienstunfallrecht der Beamten hat das Bundesverwaltungsgericht die gleiche Auffassung vertreten. Vgl. BSGE, Bd. 41, S. 70; BSGE, Bd. 41, S. 70; BSGE, Bd. 17, S. 99; Bd. 17, S. 144; Bd. 19, S. 201; Bd. 23, S. 188; Bd. 27, S. 142 (145); Bd. 41, S. 70; BSGE, Bd. 43, S. 208 = SozR 2200, § 581 Nr. 10; BVerwGE, Bd. 32, S. 110 (116).

Trotz dieser Rechtsprechung wird jedoch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Fälle des Nachschadens eine Erhöhung der MdE wegen beruflichen Schadens, Berufsschadensausgleich und Pflegezulage nach § 35 BVG bzw. in der Unfallversicherung Hilfe zur Pflege nach § 44 SGB VII anerkannt. In dieser Beziehung wird der Nachschaden als ein Zwischenglied in der zur Hilflosigkeit oder zum beruflichen Einkommensausfall führenden Kausalreihe als wesentliche Bedingung bejaht. Die Folge ist: Auch soweit die Blindheit auf einem Nachschaden beruht, erhält der Betroffene zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen oder Nachteile andere Leistungen nach dem BVG bzw. nach dem SGB VII, also gegenüber dem Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen oder § 72 SGB XII vorrangige Leistungen. Vgl. dazu: BSGE, Bd. 41, S. 80 = SozR 3100, § 35 Nr. 2; BSGE, Bd. 48, S. 225 = SozR 3100, § 35 Nr. 11; BSG, Urteil vom 20.05.1992 - 9a RV 24/91 - = SozR 3-3642, § 8 Nr. 3; BSG, Urteil vom 10.05.1994 - 9 RV 14/93 -. = SozR 3-3100 § 30 Nr. 10.

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2.1.1 Ausgleichsleistungen nach dem Versorgungsrecht

Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) findet unmittelbar auf Kriegsopfer Anwendung. Wer zum Kreis der Kriegsopfer zählt und welche Ereignisse für die Schädigung ursächlich sein müssen, ist den §§ 1 bis 8b BVG zu entnehmen.

Das BVG findet u. a. auch Anwendung auf Wehrdienstbeschädigungen im Sinn von § 80 Soldatenversorgungsgesetz, Zivildienstbeschädigungen nach § 47 Zivildienstgesetz, Impfschäden im Sinn von § 60 Infektionsschutzgesetz und gesundheitliche Schäden infolge einer Straftat nach § 1 des Opferentschädigungsgesetzes.

Nach § 35 Abs. 1 BVG erhalten Beschädigte, welche auf Grund der Schädigung hilflos sind, eine Pflegezulage. Hilflos im Sinn von § 35 Abs. 1 S. 1 ist der Beschädigte, wenn er für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (§ 35 Abs. 1 S. 2 BVG). Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 35 Abs. 1 S. 3 BVG). Die Pflegezulage wird je nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit in 6 Stufen gewährt. Blinde erhalten mindestens die Pflegezulage nach Stufe III, Taubblinde nach Stufe VI und hochgradig Sehbehinderte nach Stufe I. Die aktuellen Beträge sind der jährlich vom DBSV herausgegebenen Übersicht über Blindengeldleistungen zu entnehmen. Gegenwärtig beträgt das Pflegegeld in Stufe I 272,00 Euro, in Stufe III 661,00 Euro und in Stufe VI 1.357,00 Euro. Weitere Einzelheiten zur Pflegezulage sind § 35 BVG zu entnehmen.

Ergänzend ist noch auf Leistungen zum Unterhalt eines Führhunds und als Beihilfe zu den Aufwendungen für fremde Führung nach § 14 BVG und wegen erhöhten Kleiderverschleißes nach § 15 BVG hinzuweisen.

Das schädigende Ereignis muss jeweils wesentliche Bedingung für den Eintritt des Schadens und wesentliche Bedingung für den Umfang des Schadens, also die Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung sein. Dazu vgl. oben 2.1.

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2.1.2 Leistungen bei Berufsschäden

Anspruchsgrundlage im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung sind die §§ 26 und 44 SGB VII. Der Unfallversicherungsträger hat nach § 26 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zu erbringen. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungsträger) sind nach § 114 Abs. 1 SGB VII

  1. die in der Anlage 1 zu § 114 SGB VII aufgeführten gewerblichen Berufsgenossenschaften,
  2. die in der Anlage 2 aufgeführten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften,
  3. die Unfallkasse des Bundes,
  4. die Eisenbahn-Unfallkasse,
  5. die Unfallkasse Post und Telekom,
  6. die Unfallkassen der Länder,
  7. die Gemeindeunfallversicherungsverbände und Unfallkassen der Gemeinden,
  8. die Feuerwehr-Unfallkassen,
  9. die gemeinsamen Unfallkassen für den Landes- und den kommunalen Bereich.

Nach § 44 Abs. 1 wird, solange Versicherte infolge des Versicherungsfalles so hilflos sind, dass sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedürfen, Pflegegeld gezahlt, eine Pflegekraft gestellt oder Heimpflege gewährt. Die Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung haben Vorrang vor den Leistungen der Pflegeversicherung (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI). In § 44 Abs. 1 SGB VII wird der Begriff der Pflegebedürftigkeit in Anlehnung an § 14 SGB XI definiert (vgl. BT-Drs. 263/95). Jedoch enthält die Vorschrift keine Verweisung auf die Regelungen des Pflegeversicherungsgesetzes (Haufe Onlinekommentar zu SGB VII RZ 3 zu § 44). Er geht insoweit über die Definition der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI hinaus, als auch Zeiten der notwendigen Pflegebereitschaft und Hilfebedarf bei der Kommunikation zu berücksichtigen sind.

Das Pflegegeld wird unter Berücksichtigung der Art oder Schwere des Gesundheitsschadens sowie des Umfangs der erforderlichen Hilfe auf einen Monatsbetrag innerhalb des nach § 44 Abs. 2 SGB VII vorgegebenen Rahmens festgesetzt. Um eine gleichmäßige Ermessensentscheidung über die Höhe des Pflegegeldes bei Arbeitsunfällen zu erreichen, haben die Unfallversicherungsträger "Anhaltspunkte zur Bemessung des Pflegegeldes nach § 44 SGB VII" erlassen. Die Schädigungen werden danach in Kategorien eingeteilt und diesen wird dann ein Vomhundertsatz des Höchstbetrages zugeordnet. Bei der Anwendung der Anhaltspunkte ist nicht starr vorzugehen. Bei der Bemessung des Pflegegeldes sind die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Die Ausübung des Ermessens ist durch die Gerichte ohne Bindung an die Anhaltspunkte voll nachprüfbar. Das BSG hält die Anhaltspunkte nämlich nicht für verbindlich (Urt. des BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 28/00 R).

Mit Bezug auf Blindheit ist den Anhaltspunkten folgendes zu entnehmen:

Blinde Ohnhänder sind der Kategorie A zugeordnet. Das Pflegegeld beträgt damit 100 v. H. des Höchstsatzes. Blinde mit totalem Hörverlust sind der Kategorie B zugeordnet. Der Vomhundertsatz beträgt 90 vom Höchstsatz. Blinde sind der Kategorie E zugeordnet. Der Vomhundertsatz beträgt 60 bis 40 vom Höchstsatz. Die aktuellen Werte sind der jährlich vom DBSV herausgegebenen Übersicht über Blindengeldleistungen zu entnehmen. Nach dem Stand vom 1. Juli 2009 beläuft sich der Höchstbetrag auf 1228 Euro (Beitrittsgebiet: 1075 Euro) monatlich. Die Anpassung erfolgt entsprechend den Sozialversicherungsrenten.

Die Geschädigten müssen zum versicherten Personenkreis gehören. Wer dazu zählt ist den §§ 2 bis 6 SGB VII zu entnehmen. U. a. gehören nach § 2 dazu:

  • Beschäftigte,
  • Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
  • behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 143 des SGB IX oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
  • in der Landwirtschaft tätige Personen,
  • Kinder während des Besuches einer Kindertagesstätte,
  • Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
  • Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
  • Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
  • Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen teilnehmen,
  • Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
  • Personen, welche sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
  • Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
  • Pflegepersonen im Sinne des § 19 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 des Elften Buches.

Die Schädigung muss infolge eines Versicherungsfalles eingetreten sein. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Versicherte Tätigkeiten und damit Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 2 SGB VII auch das Zurücklegen des Arbeitsweges sowie das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung und deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt. Was als Berufskrankheit anerkannt wird, ist einer Rechtsverordnung zu entnehmen.

Für den ursächlichen Zusammenhang genügt es, dass die Unfallfolgen als rechtlich wesentliche Teilursache der Hilflosigkeit anzusehen sind. Treten zu bestehenden versicherungsfallbedingten Gesundheitsschäden spätere unfallunabhängige Körperschäden hinzu (sog. Nachschäden), die zusammen mit der Unfallschädigung die Hilflosigkeit des Versicherten begründen, muss der Unfallversicherungsträger Pflegegeld gewähren, wenn die wesentliche Mitverursachung der Unfallfolgen festgestellt werden kann. Das wäre z. B. der Fall, wenn der Unfall zur Erblindung auf einem Auge geführt hat und später das Sehvermögen auf dem anderen Auge infolge einer Erkrankung verloren gegangen ist. Dazu vgl. näher oben 2.1.

Für Beamte des Bundes und der Länder sowie für Richter ist das Beamtenversorgungsgesetz einschlägig. Was als Dienstunfall zu verstehen ist, ist § 31 Beamtenversorgungsgesetz zu entnehmen. Rechtsgrundlage für Pflegeleistungen ist hier § 34 Beamtenversorgungsgesetz. Hinsichtlich der Kausalität vgl. oben 2.1.

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2.2 Leistungen in den übrigen Fällen nach dem SGB XII und den Landesblindengeldgesetzen

Für Blinde Menschen, die keine Ansprüche nach den unter 2.1, 2.1.1 und 2.1.2 angeführten speziellen und damit vorrangigen Versorgungs- bzw. Entschädigungssystemen haben, hat sich ein einzigartiges System, bestehend aus den Landesblindengeldgesetzen und der - ergänzenden - Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, entwickelt. Für die meisten blinden Menschen sind die Leistungen nach diesen Gesetzen maßgebend. Deshalb werden sie in diesem Heft vorwiegend behandelt. Dass dieses besondere System von Blindengeldgesetzen entstanden ist und kein alleiniges Bundesgesetz besteht, hängt mit dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik und den damit zusammenhängenden Gesetzgebungskompetenzen sowie der historischen Entwicklung zusammen. Vgl. dazu näher 3.2.2.1 und 3.2.2.2.

Landesblindengeldgesetze bestehen in allen Ländern. Es sind dies:

  • Baden-Württemberg: Gesetz über die Landesblindenhilfe vom 08.02.1972 (GBl. S. 56), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Juli 2004 (GBl. S. 469),
  • Bayern: Bayerisches Blindengeldgesetz vom 07.04.1995 (GVBl. S. 150), geändert durch Gesetz vom 24.3.2004 (GVBl. S. 84),
  • Berlin: Landespflegegeldgesetz vom 17.12.2003 (GVBl S. 606),
  • Brandenburg: Gesetz über die Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte vom 17.12.1996 (GVBl. S.358), geändert durch Gesetz vom 22.4.2003 (GVBl. I. S. 119),
  • Bremen: Bremisches Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Blinde und Schwerstbehinderte i.d.F. vom 27.04.1984 (Brem. GBl. S.111), geändert durch Gesetz vom 18.12.2003 (Brem. GBl. S. 413),
  • Hamburg: Gesetz über die Gewährung von Blindengeld vom 19.2.1971 (Hamb. GVBl. S.29), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.9.2008 - Hamb. GVBl S.328),
  • Hessen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 25.10.1977 (GVBl. I S.414), geändert durch Gesetz vom 20.12.2004 (GVBl. 488),
  • Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz über die Gewährung von Landesblindengeld vom 12.3.2009 (GS S.278),
  • Niedersachsen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 18.1.1993 (GVBl. S.25), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.3.2009 (GVBl S. 115),
  • Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose, Art. 5 des Gesetzes vom 25.11.1997 (GVBl. S. 430), geändert durch Gesetz vom 5.4.2005 (GVBl. S.332),
  • Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz (Art. 2 des Landesgesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 28.3.1995 GVBl. S.55), geändert am 10.4.2003 (GVBl. S. 55),
  • Saarland: Gesetz in der Fassung vom 19.12.1995 (Amtsbl S. 58, geändert durch Gesetz vom 21.6.2006 (Amtsbl S. 930),
  • Sachsen: Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Nachteilsausgleiche vom 14.12.2001 (GVBl. S.714), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.7.2005 (GVBl S. 175),
  • Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeld im Land Sachsen-Anhalt vom 19.6.1992 (GVBl. S.565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.2.2003 (GVBl. S. 22),
  • Schleswig-Holstein: Gesetz über Landesblindengeld i.d.F. der Bekanntmachung vom 12.05.1997 (GVOBl.S.313), geändert am 15.12.2005 (GVOBl S.568) und
  • Thüringen: Thüringer Gesetz über das Blindengeld in der Fassung vom 5.2.2009 (GVBl S. 37).

Nach den Landesblindengeldgesetzen erhalten blinde Menschen und in einigen Bundesländern auch hochgradig sehbehinderte Menschen unabhängig von Einkommen und Vermögen zum Ausgleich der blindheitsbedingten Nachteile und Mehraufwendungen ein Blindengeld. Nachrangig wird für denselben Zweck nach § 72 SGB XII Blindenhilfe in den Fällen gewährt, in welchen kein Anspruch auf ein Landesblindengeld besteht bzw. dieses niedriger als die Blindenhilfe ist.

Von der Sozialhilfe unterscheidet sich das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen dadurch, dass es nicht von wirtschaftlicher Hilfebedürftigkeit abhängig ist und vorrangig gewährt wird. Zwar dient das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen ebenso wie die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII als Sozialhilfeleistung der Führung eines menschenwürdigen Lebens (§ 1 SGB XII). Sozialhilfe erhält nach § 2 SGB XII aber nicht, "wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält." Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen wird ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. Der Grund dafür liegt darin, dass der Hilfebedarf stets auch unabhängig von der wirtschaftlichen Situation besteht und Chancengleichheit mit Menschen ohne Sehverlust gewährleistet werden soll. Es handelt sich um eine Leistung der sozialen Förderung. Dazu vgl. 4.1.

Während der Blindheitsbegriff in allen Landesgesetzen und auch in § 72 SGB XII übereinstimmend definiert wird, ergeben sich bei den übrigen Regelungen erhebliche Unterschiede. Insbesondere die Höhe der Leistung weicht stark voneinander ab. Eine aktuelle Übersicht über die Leistungen wird jährlich vom DBSV herausgegeben.

Insgesamt liegen die Leistungen nach allen Landesblindengeldgesetzen unter, ja größtenteils weit unter dem Satz der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII.

In den meisten Ländern ist keine Dynamisierung der Beträge vorgesehen.

Die Blindenhilfe nach § 72 Abs. 2 S. 1 SGB XII beträgt für volljährige blinde Menschen 608,96 Euro, für minderjährige 297,82 Euro monatlich (Stand Juli 2009). Die Leistung ist jedoch von Einkommens- und Vermögensgrenzen abhängig. Die Blindenhilfe ist dynamisiert. Die Anpassung erfolgt nach § 72 Abs. 2 S. 2 SGB XII gemäß der Veränderung des aktuellen Rentenwerts.

Blinde, deren Einkommen und Vermögen die im SGB XII vorgesehenen Grenzen nicht übersteigt, können die Differenz zwischen dem Landesblindengeld und der Blindenhilfe als "ergänzende Blindenhilfe" beanspruchen.

Die Entwicklung des Blindengeldrechts ist sehr bewegt verlaufen und wohl noch zu keinem Abschluss gekommen. Sie wird im nächsten Abschnitt dargestellt.

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3. Die geschichtliche Entwicklung

Wer sich mit dem Blindengeldrecht befasst, sollte die geschichtliche Entwicklung kennen. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Demmel, "Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung", S. 38 ff.

Ein langer Weg war bis zum gegenwärtigen Stand des Blindengeldrechtes zurückzulegen. Zu unterscheiden ist die Periode bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, in welcher die Idee einer staatlichen Blindenhilfe zwar entwickelt, aber nicht verwirklicht werden konnte, und die Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

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3.1 Die Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

Die Erkenntnis, dass blinde Menschen trotz der seit 1804 im deutschsprachigen Raum einsetzenden Bildung und Ausbildung dieses Personenkreises zum Ausgleich der mit dem Sehverlust verbundenen Belastungen auf eine laufende finanzielle Hilfe angewiesen bleiben, führte schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Forderung nach einer "Blindenrente". Der selbst blinde Pädagoge und Gründer der Blindenschule von Breslau Johann Knie wies erstmals 1834 auf die Notwendigkeit einer laufenden Hilfe hin. Der ebenfalls blinde Pädagoge Friedrich Scherer hat zur Lösung des Problems 1880 die Einführung einer "Allgemeinen Blindenversicherung" vorgeschlagen.

Das Streben nach einer staatlichen Blindenrente verstärkte sich mit der Entstehung von Blindenselbsthilfeorganisationen. Konrad Luthmer erhob auf dem von ihm als Privatmann organisierten "ersten Blindenkongress", welcher vom 19. bis 21.09.1908 in Hannover stattfand, die Forderung nach einer staatlichen Blindenrente. Der an den deutschen Kaiser und König von Preußen gerichtete Antrag wurde 1909 abgelehnt.

Bei der Gründung des Reichsdeutschen Blindenverbandes 1912 in Braunschweig wurde die Frage einer Blindenrente ebenfalls diskutiert und auf dem zweiten Verbandstag 1914 in das Verbandsprogramm aufgenommen.

Der Erste Weltkrieg (1914-1918) hatte im politischen und sozialen Bereich wesentliche Änderungen zur Folge. Das 1871 gegründete Kaiserreich wurde durch die Weimarer Republik abgelöst.

Die Kriegsfolgelasten führten zu einem wirtschaftlichen Niedergang, verbunden mit einer unvorstellbaren Inflation. Viele blinde Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Die Blindenselbsthilfeorganisationen setzten sich deshalb nachhaltig für die Verbesserung der Lage blinder Menschen ein. Ihre Hauptforderungen waren:

  1. die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit,
  2. die Einräumung der gleichen Vergünstigungen, wie sie Kriegsblinde erhielten, und
  3. die Absicherung eines menschenwürdigen Lebens durch die Gewährung einer eigenen Blindenrente.

Die Forderung nach einer Blindenrente wurde vor allem auf den drei Blindenwohlfahrtstagen von 1924 in Stuttgart, 1927 in Königsberg und 1930 in Nürnberg erhoben. Die Blindenwohlfahrtstage wurden gemeinsam von den Organisationen der Blindenlehrer, der Blindenfürsorge und vom Reichsdeutschen Blindenverband als Spitzenverband der Blindenselbsthilfeorganisationen veranstaltet.

Bereits der erste Blindenwohlfahrtstag richtete einen Antrag an das Reichsarbeitsministerium, wonach dieses auf die Regierungen der Länder mit dem Ziel einwirken sollte, berufsfähigen, aber erwerbsbeschränkten Blinden, deren Einkommen das ortsübliche Existenzminimum nicht erreicht, eine Zusatzrente zu gewähren.

Die weitere Bearbeitung der Rentenfrage wurde einem Unterausschuss des für die Durchführung der Blindenwohlfahrtstage verantwortlichen Kongressausschusses, dem so genannten Rentenausschuss, übertragen. Die Leitung des Rentenausschusses ging 1926 von J. Koch auf Dr. Dr. Rudolf Kraemer (Heidelberg) über.

Aufgabe des Rentenausschusses war es, eine Vorlage für den zweiten Blindenwohlfahrtstag zu erarbeiten. Der vom Rentenausschuss ausformulierte und begründete Gesetzentwurf basierte auf den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04.12.1924 (RGBl. S. 765).

Die Notwendigkeit einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente wurde vom Rentenausschuss mit folgenden Thesen begründet:

  1. Selbst mit der besten Ausbildung und Arbeitsfürsorge wird es nie möglich sein, alle erwachsenen Blinden so erwerbsfähig zu machen, dass sie ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufsarbeit verdienen können.
  2. Die freie Wohlfahrtspflege ist nicht in der Lage, der Gesamtheit der hilfsbedürftigen Blinden eine ausreichende dauernde Versorgung zu gewährleisten.
  3. Bezüglich der Daseinssicherung ist daher die Staatshilfe zur Ergänzung der bisherigen Blindenfürsorge unentbehrlich: Mit anderen Worten, eine endgültige und befriedigende Lösung der Blindenfrage wird sich nur durch Einführung der öffentlich-rechtlichen Blindenrente erreichen lassen.

Der zweite Blindenwohlfahrtstag von 1927 in Königsberg stimmte dem vom Rentenausschuss vorgelegten Entwurf zu. Am 06.06.1928 wurde der Gesetzentwurf für eine öffentlich-rechtliche Blindenrente dem Reichstag vorgelegt und nach einer Mitteilung vom 28.09.1928 dem sozialpolitischen Ausschuss zwecks Beratung zuständigkeitshalber überwiesen. Der Antrag hatte keinen Erfolg.

Die Rentenfrage war nochmals Gegenstand des dritten und letzten Blindenwohlfahrtstages, der vom 30.07. - 03.08. 1930 in Nürnberg stattfand. Der Kongress forderte in einer Resolution erneut die Einführung einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente. Ein auf Grund dieser Resolution vom Reichsdeutschen Blindenverband am 01.12.1930 erneut eingereichte Antrag auf Erlass eines Gesetzes zur Gewährung einer Blindenrente wurde vom Reichstag der Regierung "als Material" übergeben, d. h. praktisch abgelehnt.

Rudolf Kraemer trat vom Vorsitz des Rentenausschusses zurück und wurde von Max Schöffler ersetzt. Die Forderung nach einer öffentlich-rechtlichen Blindenrente wurde durch eine Kundgebungswoche in der Zeit vom 13. - 29. Februar 1932 in 75 Großstädten unterstützt.

In einer erneuten an den Deutschen Reichstag gerichteten Eingabe vom 11.05.1932 forderte der Rentenausschuss keine Blindenrente mehr, sondern ein Blindenpflegegeld von 25,00 RM monatlich, das allen Blinden über 18 Jahren gewährt werden sollte, wenn sie mit ihren Einkünften die steuerfreien Grenzen nicht überschritten. Der Reichstag wurde jedoch am 04.06.1932 aufgelöst, so dass dieser Antrag nicht mehr behandelt werden konnte. Die Bemühungen um eine öffentlich-rechtliche Blindenrente durch ein Reichsgesetz waren endgültig gescheitert.

Auf Länderebene bemühten sich die Blindenselbsthilfeorganisationen parallel zu den oben dargestellten Bestrebungen des Reichsdeutschen Blindenverbandes zur Erlangung einer Blindenrente darum, eine Verbesserung für die Blinden dadurch zu erreichen, dass diese in die gehobene Fürsorge nach der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02.1924 (RGBl. I, S. 100) und den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04.12.1924 (RGBl. S. 765) aufgenommen wurden. Bei den Fürsorgeverordnungen handelte es sich um Fürsorgerecht. Sie wurden 1962 durch das Sozialhilfegesetz (BSHG) abgelöst. Dem BSHG folgte ab 01.01.2005 das SGG XII. Die Reichsfürsorgeverordnungen unterschieden zwischen der Armenfürsorge für notleidende Menschen und einer gehobenen Fürsorge für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene und Kleinrentner. Insbesondere in den durch den Ersten Weltkrieg hervorgerufenen Notlagen sollte dadurch geholfen werden. Die Länder hatten das Recht, weitere Gruppen von Hilfsbedürftigen von der Armenfürsorge in die gehobene Fürsorge zu übernehmen (§ 35 RGR). Die Länder konnten aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung weitergehende Hilfsmaßnahmen vorschreiben; sie konnten dabei für einzelne Gruppen der Hilfsbedürftigen die den örtlichen Verhältnissen angepassten Richtsätze um "in der Regel wenigstens ein Viertel des allgemeinen Richtsatzes" erhöhen. Diese Vergünstigung wurde blinden Fürsorgeempfängern in den Ländern in der Zeit der Weimarer Republik nach und nach eingeräumt.

Nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg am 31.01.1933 begann, setzten die Blindenorganisationen zunächst ihre Bemühungen um eine staatliche Blindenrente fort. Die Reichsregierung lehnte jedoch einen Antrag vom April 1933 auf Gewährung einer Blindenrente im Mai 1933 ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Durchführung der allgemeinen Fürsorge Aufgabe der Länder und Provinzen sei. Sie verwies dazu auf § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02.1924 und auf § 35 RGR vom 04.12.1924. Die Blindenselbsthilfeorganisationen wurden - wie alle Vereine im Reichsgebiet - politisch gleichgeschaltet. Sie unternahmen während der Zeit des Nationalsozialismus keine weiteren Bemühungen zur Einführung einer Blindenrente. Einer solchen widersprach die Ideologie des Nationalsozialismus.

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3.2 Die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

Die Landesblindenorganisationen konnten im Gegensatz zum Reichsdeutschen Blindenverband ihre Tätigkeit schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder aufnehmen. Sie griffen die Forderung auf ein Blindengeld als Ausgleichsleistung für blindheitsbedingte Nachteile wieder auf. Da das Deutsche Reich nicht mehr bestand, mussten sich die Forderungen an die Länder richten.

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 strebte der als Nachfolgeorganisation des Reichsdeutschen Blindenverbandes gegründete Deutsche Blindenverband (DBV - jetzt Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) eine bundesgesetzliche Regelung an, zumal sich zu diesem Zeitpunkt erst in Bayern der Erlass eines Landesblindengeldgesetzes abzeichnete.

Das Streben nach Landesgesetzen durch die Landesblindenorganisationen und nach einer bundesrechtlichen Lösung durch den DBV führte schließlich zu dem gegenwärtigen Blindengeldsystem, das sich aus Landesblindengeldgesetzen und der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII zusammensetzt.

Bei der Entwicklung der Blindengeldregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich folgende Phasen unterscheiden:

  1. Die Zeit der Landesregelungen bis zur Einführung eines Mehrbedarfes für Blinde nach § 11f der Reichsgrundsätze, welcher durch das Fürsorgeänderungsgesetz vom 20.08.1953 in die Reichsgrundsätze eingefügt wurde,
  2. Die Entwicklung nach Einführung der Mehrbedarfsregelung gemäß § 11f RGR in Bund und Ländern,
  3. Die Bemühungen um ein eigenes Blindengeldgesetz auf Bundesebene,
  4. Die Bemühungen um eine Neuordnung des sozialen Fürsorgerechts in der Bundesrepublik und die Einführung einer Blindenhilfe nach § 67 BSHG vom 30.06.1961 (BGBl. I, S. 815),
  5. Die weitere Entwicklung in Bund und Ländern nach Erlass des BSHG,
  6. Die Zeit der Eingriffe durch die Haushaltsstrukturgesetze und ihre Sparmaßnahmen in Bund und Ländern vor der Wiedervereinigung,
  7. Die Auswirkung der Wiedervereinigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 03.10.1990 und
  8. Eingriffe durch haushaltsbedingte Sparmaßnahmen in einzelnen Bundesländern seit der Wiedervereinigung.

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3.2.1 Zeittafel zum Blindengeldrecht

1949: 01.10. Bayern: Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde vom 28.09.1949 (GVBl. S. 255)

1950: 01.07. Saarland: Gesetz über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde im Saarland vom 22. 06.1950 (ABL 50, S, 750)

1950: 01.09. Hessen: Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07.1950 (GVBl. S. 149)

1951: 01.02. Nordrhein-Westfalen: Runderlass des Sozialministers über die vorläufige Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde (Az. III A/5 -MBI. S. 476)

1951: 01.10. Westberlin: Richtlinien für die Unterstützung von Friedensblinden (Senatsbeschluss vom 08.10.1951)

1953: 01.01. Niedersachsen: Blindengelderlass vom Januar 1953

1953: 01.04. Bremen: Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer Bundesregelung

1953: 01.04. Hamburg: Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer Bundesregelung

1953: 01.06. Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.05.1953

1953: 01.10. Bundesrepublik Deutschland: § 11f der Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge, eingeführt durch Art. 4 des Fürsorgeergänzungsgesetzes vom 20.08.1953 (BGBl. I, S. 967)

1954: 01.06. Hessen: Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld vom

19.07.1950 durch Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.04.1954 (GVBl. S. 75)

1954: 01.09. Berlin: Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld vom 04.08.1954 (GVBl. S. 492)

1961: 30.06. Bundesrepublik Deutschland: Erlass des BSHG (BGBl. I, S. 815, 1875)

1962: 01.06. Bundesrepublik Deutschland: Blindenhilfe nach § 67 BSHG, eingeführt durch BSHG vom 30.06.1961(BGBl. I, S. 815, 1875)

1963: 01.03. Niedersachsen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 20.03.1963 (GVBl. S. 141)

1970: 01.03. Baden-Württemberg: Gemeinsame Richtlinien des Innenministeriums und des Finanzministeriums für die Gewährung einer Blindenhilfe aus Mitteln des Landes (Landesblindenhilfe) vom 05.08.1970 Nr. IX 450/3/629 und XII A 162-193/69

1970: 01.07. Nordrhein-Westfalen: Landesblindengeldgesetz vom 16.06.1970 (GVBl. Ausgabe A, S. 435)

1971: 01.03. Hamburg: Gesetz über die Gewährung von Blindengeld vom 19.02.1971 (Hamb. GVBl. S. 29)

1971: 01.04. Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz vom 16.04.1971 (GVBl. S. 184)

1972: 01.01. Baden-Württemberg: Gesetz über die Landesblindenhilfe vom 08.02.1972 (GBl. S. 56)

1972: 01.10. Bremen: Landespflegegeldgesetz vom 31.10.1972 (Brem.GBl. S. 235)

1974: 01.07. Rheinland-Pfalz: Landespflegegeldgesetz vom 31.10.1974 (GVBl. S. 466)

1978: 01.01. Hessen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 25.10.1977 (GVBl. I, S. 414)

1992: 01.01. Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz vom 31.01.1992 (GBl. Nr. 2170 - 2)

1992: 01.01. Sachsen: Landesblindengeldgesetz vom 11.02.1992 (GVBl. S. 53)

1992: 01.01. Brandenburg: Landespflegegeldgesetz vom 08.05.1992 (GVBl. I, S. 168)

1992: 01.01. Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeld im Lande Sachsen-Anhalt vom 19.06.1992 (GVBl. S. 565)

1992: 01.01. Thüringen: Thüringer Blindengeldgesetz vom 21.07. (GVBl. S. 355)

2005: 01.01. Niedersachsen: Abschaffung des Landesblindengeldes ab Vollendung des 27. Lebensjahres durch Gesetz vom 16.12.2004 (GVBl S. 664)

2006: 01.01. Thüringen: Abschaffung des Landesblindengeldes ab Vollendung des 27. Lebensjahres durch Gesetz vom 23.12.2005 (GVBl S. 472)

2007: 01.01. Niedersachsen: Wiedereinführung eines Landesblindengeldes auch nach Vollendung des 27. Lebensjahres durch Art. 15 Haushaltsbegleitgesetz 2007

2008: 1. Januar Thüringen Wiedereinführung des Blindengeldes auch für Blinde nach Vollendung des 27. Lebensjahres.

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3.2.2 Die Entwicklung bis zum Erlass des Bundessozialhilfegesetzes

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war infolge der Kapitulation vom 8. Mai 1945 kein handlungsfähiger deutscher Staat mehr vorhanden. Das politische Leben entwickelte sich rasch wieder in den Ländern. Auch der Reichsdeutsche Blindenverband musste seine Tätigkeit aufgeben. Die Landesblindenorganisationen konnten ihre Aktivitäten rasch wieder aufnehmen. Die Notlage, die blinde Menschen häufig besonders hart traf, stellte an die Landesblindenorganisationen große Herausforderungen, was eine starke Blindenselbsthilfebewegung zur Folge hatte.

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3.2.2.1 Regelungen auf Länderebene

Als die Landesblindenselbsthilfeorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg den Gedanken eines Blindengeldes zum Ausgleich für die durch die Blindheit gegebenen Nachteile für die Zivilblinden aufgriffen, mussten sie ihre Forderung an die jeweiligen Landesgesetzgeber herantragen.

Für die Länder bot sich die Möglichkeit, das Problem durch die Gewährung höherer Fürsorgerichtsätze aufgrund von § 6 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02.1924 zu lösen. Dazu genügten Verwaltungsrichtlinien. Sie konnten aber auch ein Blindengeld aufgrund eines Landesgesetzes einführen, wobei Übergangsregelungen bis zum Erlass einer einheitlichen Regelung in einem künftigen zu schaffenden deutschen Bundesstaat oder eigenständige Gesetze in Frage kamen.

Bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Regelung aufgrund von § 11f der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (eingefügt durch Art. 4 des Fürsorgeänderungsgesetzes vom 20.08.1953, BGBl. I, S. 967) kam es nur in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz zu einer gesetzlichen Regelung. In den übrigen Bundesländern - mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein - erhielten blinde Fürsorgeempfänger erhöhte Fürsorgeleistungen. Nordrhein-Westfalen und Berlin erließen zwar keine Gesetze, sondern Verwaltungsvorschriften, durch welche der Personenkreis der Berechtigten über die Fürsorgeempfänger hinaus ausgedehnt und ein Blindengeld eingeführt wurde, das dem aufgrund der Gesetze in Bayern und Hessen entsprach.

Eine besondere Situation bestand im Saarland. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg als autonomes Gebiet wirtschaftlich Frankreich angeschlossen worden. Nach Ablehnung des Saarstatuts in einer Volksabstimmung 1955 erfolgte der politische Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland am 01.01.1957 und der wirtschaftliche Anschluss am 06.07.1959. Bereits zur Zeit der Autonomie erhielten Zivilblinde ab 01.07.1950 aufgrund des Blindheitshilfegesetzes vom 22.06.1950 (ABL 50, S. 750) ein Blindengeld. Diese Blindheitshilfe war zunächst einkommensabhängig. Ab 01.02.1952 erfolgte die Leistung aufgrund des Änderungsgesetzes vom 29.01.1952 unabhängig von Einkommen und Vermögen.

Zur ersten gesetzlichen Regelung in einem Bundesland kam es in Bayern. Nach den bereits 1947 vom bayerischen Blindenbund aufgenommenen Bemühungen um ein Blindengeldgesetz verabschiedete der bayerische Landtag schließlich in seiner Plenarsitzung vom 28.09.1949 einstimmig das nunmehr von der Regierung vorgelegte "Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde" (GVBl. S. 255). Es trat mit Wirkung vom 01.10.1949 in Kraft. Das Blindengeld in Höhe von 75,00 DM erhielten Friedensblinde ab Vollendung des 18. Lebensjahres, soweit sie nicht über wesentliche Einkünfte verfügten. Es entsprach in der Höhe dem Pflegegeld, welche Kriegsblinde in Bayern auf Grund des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte vom 26.03.1947 (GVBl. S. 107) erhielten.

1953 wurde das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde durch das Zivilblindenpflegegeldgesetz vom 19.06.1953 (GVBl. S. 177) ersetzt. Rückwirkend ab 1.4.1953 erfolgte die Gewährung des Blindenpflegegeldes unabhängig von Einkommen und Vermögen. Damit war ein entscheidender Fortschritt, der für die Landesblindengeldgesetze bis zur Gegenwart bestimmend bleiben sollte, erreicht.

Hessen war das zweite Land, das ein Blindengeldgesetz erließ. Mit Wirkung vom 01.09.1950 trat das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07.1950 (GVBl. S. 149) in Kraft. Das Blindenpflegegeld wurde allerdings nur bei Bedürftigkeit gewährt. Sowohl die Höhe als auch die Bestimmung der Bedürftigkeit wurden nicht im Gesetz, sondern in einer Durchführungsverordnung geregelt.

Nach der Einführung einer bundesweiten fürsorgerechtlichen Blindenpflegegeldleistung durch § 11f RGR wurde das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07.1950 durch das Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.04.1954 (GVBl. S. 75) mit Ablauf des 31.05.1954 wieder aufgehoben.

Erst durch das Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 25.10.1977 (GVBl. I, S. 414) kam es in Hessen erneut zur Einführung eines Blindengeldes aufgrund eines Landesgesetzes. Von diesem Zeitpunkt an wurde es unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt.

Als drittes Land schuf Nordrhein-Westfalen eine Landesregelung. Diese erfolgte allerdings nicht in der Form eines Gesetzes, sondern durch Runderlass des Sozialministers über Blindenpflegegeld vom 21.04.1951 (MBl. S. 476, Az. III A/5).

Auch in Berlin konnte zunächst keine gesetzliche Regelung erreicht werden. Probleme bereitete vor allem der Sonderstatus, nämlich die Einteilung in vier Besatzungssektoren. Eine Regelung, welche vorher geltende Fürsorgerichtlinien ablöste, erfolgte für Westberlin durch die Richtlinie des Senators für Sozialwesen vom 07.07.1952, Az. II C 4. Mit Wirkung vom 01.08.1952 wurde das Blindenpflegegeld auf monatlich 90,00 DM erhöht. Das entsprach der damaligen Regelung in Bayern.

Eine gesetzliche Regelung erfolgte in Berlin erst mit Wirkung vom 01.09.1954 durch das Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld vom 04.08.1954 (GVBl. S. 492).

Die Vertreter der Sozialministerien der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg trafen am 15.12.1952 in Hannover eine Absprache dahingehend, dass auch diese Länder bis zum Erlass eines Bundesgesetzes Übergangsregelungen schaffen wollten. Daraufhin fasste am 23.12.1952 die niedersächsische Landesregierung den Beschluss, dass Zivilblinde in Niedersachsen ab 01.01.1953 ein Pflegegeld in Höhe des doppelten Fürsorgerichtsatzes erhalten sollten. Wesentlich war, dass nicht mehr nur Fürsorgeempfänger berechtigt waren. Entsprechende Richtlinien wurden in Bremen und Hamburg erlassen. Die jeweiligen Runderlasse traten am 01.04.1953 in Kraft. In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wurden vor Inkrafttreten von § 11f RGR keine entsprechenden Richtlinien erlassen.

Eine Übergangslösung wurde aufgrund der Sechs-Länder-Besprechung vom 15.12.1952 auch in Rheinland-Pfalz getroffen; hier allerdings nicht durch einen Fürsorgeerlass, sondern durch das Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12.05.1953. Nach § 14 dieses Gesetzes war die Geltung bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Regelung beschränkt. Das Gesetz verlor deshalb mit Wirkung ab 01.10.1953 seine Gültigkeit, weil zu diesem Datum § 11f RGR in Kraft trat. Erst das Landespflegegeldgesetz vom 31.10.1974 (GVBl. S. 466) brachte mit Wirkung ab 01.07.1974 wieder ein Blindengeld auf landesrechtlicher Grundlage.

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3.2.2.2 Erste bundesweite Regelung durch § 11f RGR

Nach dem Entstehen der Bundesrepublik Deutschland stellte sich für die Blindenselbsthilfeorganisationen der Zivilblinden die Frage, ob sie den Anspruch auf ein Blindengeld auf Bundesebene anstreben oder auf Landesebene weiterverfolgen sollten. Nur durch eine bundeseinheitliche Regelung konnten gleiche Leistungen für alle blinden Menschen in der Bundesrepublik Deutschland erreicht werden. Außerdem waren die Landesregelungen mit Ausnahme des bayerischen Landesblindengeldgesetzes als Übergangslösungen konzipiert.

Der Deutsche Blindenverband e.V. (DBV), der sich als Nachfolgeorganisation des Reichsdeutschen Blindenverbandes, am 18. und 19. Oktober 1949 in Meschede konstituiert hatte, strebte ein Blindengeld auf bundesgesetzlicher Ebene an. Er legte einen ausformulierten Entwurf eines Bundesblindengeldgesetzes vor. Der Bundesgesetzgeber war jedoch nur zu einer Lösung im Rahmen des geltenden Fürsorgerechts bereit, weil nur dazu nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben sei.

Die Fürsorgepflichtverordnung vom 13.02.1924 (RGBl. I, S. 100) und die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge (RGR) vom 04.12.1924 (RGBl. I, S. 765 in der Fassung vom 01.08.1931 - RGBl. I, S. 441), zuletzt geändert am 26.05.1933 (RGBl. I, S. 316), galten gemäß Art. 123 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 125 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG als Bundesrecht weiter. Sie stellten bis zum Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes am 1.7.1962 die Rechtsgrundlage des in der BRD geltenden Fürsorgerechts dar. Eine Weiterentwicklung und Anpassung des Fürsorgerechts, welches rein auf den Prinzipien des Armenrechts beruhte, war dringend geboten.

Im Rahmen des Fürsorgeänderungsgesetzes vom 20.08.1953 (BGBl. I, S. 967), in Kraft getreten am 1.10.1953, brachte § 11f RGR eine erste bundesrechtliche Lösung für ein Blindengeld. Durch § 11f RGR wurde ein Pflegegeld in Höhe des doppelten Fürsorgerichtsatzes eingeführt. Es durfte allerdings nicht höher sein, als die Pflegezulage eines Kriegsblinden nach § 35 BVB. Bei der Anrechnung des Einkommens blieben neben einem Freibetrag in Höhe des einfachen Fürsorgerichtsatzes 40 % des Arbeitseinkommens, mindestens jedoch 40,00 DM unberücksichtigt.

§ 11f RGR lautete:

"(1) Bei Blinden, die keine entsprechende Pflegezulage aufgrund anderer bundesgesetzlicher Bestimmungen erhalten, ist ein Mehrbedarf für Pflege anzuerkennen. Der Mehrbedarf ist bei alleinstehenden Blinden in Höhe des Zweifachen des für sie maßgebenden Richtsatzes bis zur Höhe der Pflegezulage eines Kriegsblinden, bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vom vollendeten 2. Lebensjahr ab in Höhe des Zweifachen des für sie maßgebenden Richtsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall eine höhere Leistung notwendig ist. Bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 2. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist der Mehrbedarf nach § 10 anzuerkennen.

(2) Bei Blinden, die sich in Anstalts- oder Heimpflege befinden, ist ein Mehrbedarf zur Deckung ihrer besonderen persönlichen Bedürfnisse anzuerkennen. Die Höhe des Mehrbedarfs bestimmt das Land, sie soll mindestens dem Zweifachen des Betrages entsprechen, der sonst den Anstalts- oder Heimpfleglingen für ihre persönlichen Bedürfnisse gewährt wird.

(3) Kommt der Blinde den nach § 7 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 bestehenden Verpflichtungen nicht nach, kann von der Anerkennung des Mehrbedarfs für Pflege ganz oder teilweise abgesehen werden.

(4) Ein Verwandter, dessen Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt ist, ist zum Ersatz der Kosten der Pflege nur heranzuziehen, wenn es offenbar unbillig wäre, hiervon abzusehen.

(5) Der Mehrbedarf nach § 11d ist bei Blinden mindestens in Höhe von 40 % ihres Erwerbseinkommens, jedoch nicht unter 40,00 DM monatlich, anzuerkennen, falls das Monatseinkommen diesen Betrag erreicht oder übersteigt.

(6) Als Blinde gelten auch Personen, deren Sehkraft so gering ist, dass sie sich in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden können."

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3.2.2.3 Die Entwicklung nach Einführung von § 11f RGR

Die Einführung eines auf Bundesrecht basierenden Blindengeldanspruches durch § 11f RGR wirkte sich auf die bestehenden Landesregelungen in unterschiedlicher Weise aus.

Soweit die Gültigkeit in den Rechtsnormen ausdrücklich bis zum Erlass eines Bundesgesetzes beschränkt war, wurden sie ungültig, ohne dass es einer Aufhebung bedurfte. An ihre Stelle trat das Blindengeld in der in § 11f RGR bestimmten Höhe und unter den dort festgesetzten Voraussetzungen.

Das galt für die Blindengelderlasse von Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen (Ziff. 10 der Richtlinien), Nordrhein-Westfalen (§ 1 des Runderlasses des Sozialministers über Blindenpflegegeld vom 21.04.1951). Es galt auch für Rheinland-Pfalz, weil das dortige Landesgesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld an Zivilblinde vom 12.05.1953 gemäß § 14 mit dem Inkrafttreten von § 11f RGR seine Gültigkeit verlor.

In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein bestanden vor Inkrafttreten von § 11f RGR keine speziellen Landesregelungen.

Das hessische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 19.07.1950 (GVBl. S. 149) enthielt keine Bestimmung darüber, dass es nur bis zur Einführung einer bundesrechtlichen Blindengeldregelung gelten sollte. In der Gesetzesbegründung war allerdings auf den vorläufigen Charakter dieses Gesetzes hingewiesen worden. Der Gesetzgeber hielt das Gesetz nach Inkrafttreten des § 11f RGR für überflüssig und hob es durch das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 12.04.1954 (GVBl. S. 75) mit Ablauf des 31.05.1954 auf.

Die weitere Entwicklung in den Ländern war davon beeinflusst, dass sich bald Mängel bei der Anwendung des § 11f RGR zeigten. Die laufende Überprüfung des Einkommens und Vermögens führte zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand. Härten ergaben sich vor allem bei verheirateten Blinden infolge der Anrechnung des Einkommens und Vermögens des Ehegatten.

Die Blindenselbsthilfeorganisationen hielten die Forderung nach einem Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen aufrecht. Sie strebten zunächst vor allem Landesgesetze nach dem Vorbild des bayerischen Zivilblindenpflegegeldgesetzes vom 19.06.1953 (GVBl. S. 177) an.

Ein landesrechtliches Blindengeld, das über die Leistungen nach § 11f RGR hinausging, war rechtlich möglich, es konnte als eine Sozialleistung sui generis unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt werden. Grundlage konnten aber auch fürsorgerechtliche Blindengelderlasse sein. Diese Befugnis ergab sich aus § 35 RGR, wonach die Länder nicht gehindert waren, den Hilfsbedürftigen über die in den Reichsgrundsätzen festgelegten Hilfen hinaus Leistungen zu gewähren. Insbesondere war es dadurch möglich, höhere Grenzen für das Einkommen, welches bei der Bedarfsermittlung nicht berücksichtigt werden sollte, festzulegen.

In der Folgezeit wurden in den Ländern beide Wege beschritten. Es ergingen sowohl gesetzliche Regelungen als auch Erlasse, wie sie nach § 35 GRG zulässig waren.

Das bayerische Blindenpflegegeldgesetz blieb erhalten. Es wurde in der Folgezeit geändert und verbessert und am 22.05.1958 in einer Neufassung bekannt gemacht.

Am 04.08.1954 hat das Abgeordnetenhaus für Westberlin als erstes Bundesland nach Einführung des Blindengeldes gemäß § 11f RGR ein Gesetz über die Gewährung von Blindenpflegegeld erlassen. Ebenso wie in Bayern erhielten damit die Blinden in Westberlin ein Blindenpflegegeld unabhängig von Einkommen und Vermögen (§ 2 Abs. 2). Anspruchsberechtigt waren nicht nur Blinde, sondern auch hochgradig in ihrer Sehkraft Beeinträchtigte, die ihren dauernden Wohnsitz und Aufenthalt im Lande Berlin hatten. Die Leistung wurde ab Vollendung des 16. Lebensjahres gewährt (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Das Gesetz ist am 01.09.1954 in Kraft getreten. Das Blindengeld betrug zunächst 90,00 DM. Es wurde ab 1.8.1957 durch das erste Änderungsgesetz auf 150,00 DM erhöht und entsprach damit der Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG.

Im Saarland wurde das Gesetz Nr. 188 über die Gewährung einer Blindheitshilfe an Zivilblinde vom 22.06.1950 (ABl. S. 750) im Zuge der bevorstehenden Rechtsangleichung des saarländischen Rechtes an dasjenige der Bundesrepublik Deutschland geändert. Die Leistung wurde zwar herabgesetzt, blieb aber ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen erhalten.

Die übrigen Länder machten von der Möglichkeit des § 35 RGR Gebrauch. Sie gewährten Blinden, zum Teil auch hochgradig Sehbehinderten, durch Landesblindengelderlasse gegenüber § 11f RGR weitergehende Leistungen.

Solche Erlasse ergingen in

  1. Nordrhein-Westfalen am 25.03.54,
  2. Rheinland-Pfalz, ab 01.01.1955 durch Erlass vom 15.02.1955,
  3. Baden-Württemberg ab 01.04.1958 durch Erlass vom 27.05.1958,
  4. Niedersachsen am 19.08.1958,
  5. Hessen am 28.11.1960, in Kraft ab. 01.01.1961,
  6. Hamburg am 27.12.1960, in Kraft ab 01.01.1961,
  7. Bremen mit Wirkung ab 01.04.1961 und
  8. Schleswig-Holstein mit Wirkung ab 01.08.1961.

Mit Ausnahme von Hessen waren die Leistungen an Einkommens- und Vermögensgrenzen gebunden, die jedoch höher als nach § 11f RGR lagen.

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3.2.3 Die Einführung der Blindenhilfe durch das Bundessozialhilfegesetz

§ 11f RGR hatte nach Auffassung der Blindenselbsthilfeorganisationen keine befriedigende Lösung gebracht. Es handelte sich um eine der Armenfürsorge zuzurechnende Leistung. Die Forderung nach einer gesetzlichen Neuregelung blieb bestehen.

Der Deutsche Blindenverband strebte ein Blindengeld unabhängig von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Rentenreform von 1957 und, als diese Bemühungen gescheitert waren, durch ein eigenes Bundesblindengesetz an. Das Bundesblindengesetz sollte nicht nur ein Blindengeld, sondern auch andere Rehabilitationsleistungen enthalten. Beispiele für gesetzliche Regelungen für besondere Gruppen hilfsbedürftiger Menschen außerhalb des Armenrechts waren das Körperbehindertengesetz vom 27.02.1957 (BGBl. I, S. 147) und der Entwurf eines Tuberkulosehilfegesetzes, das 1959 in Kraft trat.

Der Deutsche Blindenverband legte deshalb 1957 den Entwurf eines Bundesblindengesetzes in der Form einer Denkschrift vor.

Wegen der angestrebten Neuregelung des Fürsorgerechts erließ der Deutsche Bundestag trotz der inzwischen ergangenen Sondergesetze für Körperbehinderte und Tbc-Kranke kein eigenes Bundesblindengesetz mehr.

Das Fürsorgerecht wurde durch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30.06.1961 (BGBl I S. 815, 1875) neu gestaltet. Es trat am 01.06.1962 in Kraft.

Im BSHG wurde zwischen Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfen in besonderen Lebenslagen unterschieden. Im Rahmen der Hilfen in besonderen Lebenslagen wurde im 9. Unterabschnitt in § 67 die Blindenhilfe eingeführt. Sie trat an die Stelle der Leistungen nach § 11f RGR.

Die Blindenhilfe nach § 67 BSHG wurde Blinden vom 6. Lebensjahr an gewährt. Sie betrug für Blinde nach Vollendung des 18. Lebensjahres 200,00 DM monatlich. Für Blinde, die das 6., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, belief sich die Blindenhilfe auf 100,00 DM monatlich.

Die Einkommensgrenze betrug 1.000,00 DM monatlich. Sie erhöhte sich um 80,00 DM monatlich für den Ehegatten und für jede Person, die von dem Blinden überwiegend unterhalten wurde. Waren beide Ehegatten blind, so erhöhte sich die Einkommensgrenze um 250,00 DM monatlich. Für das Barvermögen, das nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG beim Einsatz des eigenen Vermögens als Schonvermögen unberücksichtigt bleiben sollte, wurde für die Blindenhilfe durch die Verordnung nach § 88 Abs. 4 BSHG ein Betrag von 4.000,00 DM festgesetzt.

Der Betrag von 200,00 DM entsprach der Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 BVG. Damit war eine der wichtigsten Forderungen des Deutschen Blindenverbandes erfüllt.

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3.2.4 Die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung

In der Zeit vom Inkrafttreten des BSHG (01.06.1962) bis zur Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik am 03.10.1990 treten drei Entwicklungsphasen deutlich hervor:

  1. die Zeit der Weiterentwicklung der Blindengeldregelungen in Bund und Ländern einschließlich des 3. Änderungsgesetzes zum BSHG vom 25.03.1974, in Kraft getreten am 01.04.1974,
  2. die Phase der Reformbestrebungen, mit dem Bemühen, § 67 BSHG abzuschaffen und
  3. die Zeit der Sparmaßnahmen ab dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981.

Die Blindenselbsthilfeorganisationen hielten auch nach Einführung der Blindenhilfe auf Bundesebene durch § 67 BSHG an ihrer Forderung auf ein Blindenpflegegeld, unabhängig von Einkommen und Vermögen, fest. Sie strebten dieses Ziel auf Landesebene durch Landesgesetze an; denn § 67 BSHG wurde in der Folgezeit zwar mehrfach verbessert, aber eine Blindenhilfe unabhängig von Einkommen und Vermögen war im Rahmen des BSHG nicht zu erreichen.

Durch das zweite Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 14.08.1969, das am 01.10.1969 in Kraft trat, wurde die Blindenhilfe für Anspruchsberechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, an den Mindestbetrag der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG gekoppelt. Für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, betrug sie 50% dieses Betrages. Die Blindenhilfe erhöhte sich damit auf 275,00 DM bzw. 137,50 DM monatlich.

Da die Leistungen nach dem BVG in die Dynamisierung der Renten nach den Sozialversicherungsgesetzen einbezogen worden waren, bedeutete das auch die Einführung einer dynamischen Anpassung der Blindenhilfe im entsprechenden Ausmaß.

Das zweite Änderungsgesetz zum BSHG brachte weiter eine Erhöhung der Einkommensgrenzen. Der Grundbetrag nach § 81Abs. 2 BSHG belief sich für die Blindenhilfe künftig auf 1.200,00 DM. Der Ehegattenzuschlag betrug, wenn beide Ehegatten blind waren, 300,00 DM monatlich.

Das dritte Änderungsgesetz zum BSHG vom 25.03.1974, welches am 01.04.1974 in Kraft trat, brachte endlich auch für blinde Heimbewohner eine Erhöhung der Blindenhilfe und ihre Dynamisierung. Sie betrug künftig 50% der Blindenhilfe für Blinde außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen.

Auf die Länder wirkte sich die Einführung einer Blindenhilfe nach § 67 BSHG in zweifacher Weise aus: Soweit in den Ländern Erlasse bestanden, die sich auf § 35 RGR stützten und erweiterte Leistungen gegenüber § 11f RGR gewährten, verloren sie mit dem Inkrafttreten des BSHG ihre Gültigkeit. Das galt für Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Die Blindengeldgesetze von Bayern, Berlin und Saarland sowie der Blindengelderlass für Hessen blieben demgegenüber gültig. Sie stellten eigenständige Rechtsquellen dar.

In diesen Ländern wurde das Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. In Berlin betrug das Blindengeld zum Zeitpunkt der Einführung der Blindenhilfe, wie diese nach § 67 BSHG, 200,00 DM monatlich. In Bayern (120,00 DM monatlich), Hessen (110,00 DM monatlich) und im Saarland (110,00 DM monatlich) lag es niedriger. In diesen Ländern hatten Blinde, soweit ihr Einkommen und Vermögen unter den Grenzen des BSHG lag, einen Ergänzungsanspruch, der sich auf die Differenz zu 200,00 DM richtete. Die Blindenselbsthilfeorganisationen in diesen Ländern strebten danach, dass ihre Gesetze erhalten blieben und die Höhe des Blindengeldes der Blindenhilfe im BSHG angeglichen wurde. In den anderen Bundesländern ging das Bestreben dahin, Landesblindengeldgesetze mit einer einkommens- und vermögensunabhängigen Leistung zu erreichen. Die Blindenselbsthilfeorganisationen begründeten ihre Forderungen neben dem Sinn und Zweck der Blindenhilfe vor allem mit dem Ziel, für blinde Menschen in der Bundesrepublik gleiche Lebensbedingungen zu erreichen. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass nur etwa 1,5 % der Blinden ein Einkommen oder Vermögen oberhalb der für das BSHG geltenden Grenzen hätten. Dass sich praktisch alle blinden Menschen einer ständigen Überprüfung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterziehen müssten, sei bei dieser Situation unzumutbar. Außerdem sei damit ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand verbunden. Tatsächlich wurden in den folgenden Jahren in allen Ländern Landesblindengeldgesetze erlassen. Mit zu dieser Entwicklung hat auch beigetragen, dass sich bei der Anwendung von § 67 BSHG in der Praxis viele Härtefälle ergaben. Auf Einzelheiten der Entwicklung in den Ländern kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu die unter 3.2.1 wiedergegebene Zeittafel und die ausführliche Darstellung in der Dissertation von Demmel S. 129 ff.

Mit dem Erlass der Blindengeldgesetze in allen Ländern war ein Stand erreicht, um den die Selbsthilfeorganisationen der Blinden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gerungen hatten. Das Blindengeld wurde zwar nicht aufgrund eines Bundesgesetzes gewährt, es hatte aber die gleiche Höhe wie die Pflegezulage der Kriegsblinden nach § 35 Abs. 1 BVG. Die Leistungen erfolgten nach den Landesgesetzen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen. Sowohl die Höhe der Leistungen als auch die Voraussetzungen waren in allen Ländern gleich. Das führte mit dazu, dass von mehreren Seiten § 67 BSHG für überflüssig gehalten und dessen Abschaffung vorgeschlagen wurde. Solche Vorschläge kamen vor allem von den Spitzenverbänden der Landkreise und Gemeinden und vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. Die Vorschläge hatten auch damit zu tun, dass schon 12 Jahre nach Erlass des BSHG eine Diskussion darüber einsetzte, ob ein Kernbereich dieses Gesetzes, nämlich die Hilfen in besonderen Lebenslagen, mit den Prinzipien des Sozialhilferechts, nämlich dem Grundsatz der Subsidiarität und der Individualisierung des Hilfebedarfs, vereinbar sei oder ob die Grenze zur Versorgungsleistung überschritten worden war. Die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge wandten sich vor allem gegen pauschalierte Sozialhilfeleistungen wie die Mehrbedarfsregelung in § 24 BSHG im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie der Blindenhilfe nach § 67 BSHG und das Pflegegeld im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 69 Abs. 4 S. 2 BSHG.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge stellte die Notwendigkeit eines Blindengeldes nicht in Abrede. Er hielt die Landesgesetze für ausreichend.

Die Blindenselbsthilfeorganisationen setzten sich für den Erhalt von § 67 BSHG ein. Sie betonten, dass § 67 eine Leitfunktion habe. In mehreren Landesblindengeldgesetzen wurde hinsichtlich der Höhe des Blindengeldes und der Definition der Blindheit auf § 67 BSHG verwiesen. Außerdem waren die Landesblindengeldgesetze nicht harmonisiert. Vor allem bei einer Aufenthaltsverlegung in ein anderes Bundesland konnte deshalb jeglicher Blindengeldanspruch nach einem Landesblindengeldgesetz verloren gehen. Hier kam § 67 BSHG eine Auffangfunktion zu. Die Blindenselbsthilfeorganisationen konnten ihre Auffassung auf ein 1977 vorgelegtes Rechtsgutachten der Professoren Scholler und Krause stützen.

Im Deutschen Bundestag kam es zu einem breiten Konsens aller Parteien, der dazu führte, dass das BSHG in seiner Struktur erhalten blieb und auch § 67 BSHG nicht abgeschafft wurde. Das ist umso bemerkenswerter, als die infolge der Ölkrise einsetzende Rezession in der Mitte der 70er Jahre zu einer Wende in der sozialpolitischen Gesetzgebung führte. Mit dem ersten Haushaltsstrukturgesetz vom 18.12.1975 begann eine lange Reihe von Kürzungsgesetzen im Sozialbereich.

Erste Bestrebungen, im Rahmen der Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand Leistungen nach Landesblindengeldgesetzen einzuschränken, erfolgten in Berlin und in Rheinland-Pfalz. Ziel dieser Bestrebungen war es insbesondere, die Koppelung hinsichtlich der Höhe des Blindengeldes an die Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG abzuschaffen und das Blindengeld zu kürzen.

In Berlin sah der Entwurf des sechsten Gesetzes zur Änderung des Blinden- und Hilflosengesetzes vom 16.10.1981 die Abkoppelung des Pflegegeldes für Blinde und Hilflose von den Regelungen nach § 35 BVG sowie das Einfrieren auf der gegenwärtigen Höhe vor. Nach Anhörung der Vertreter der Betroffenenverbände am 11.11.1981 vor dem sozialpolitischen Ausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin wurde dieser Gesetzesänderungsvorschlag zurückgezogen.

Schwerwiegende Eingriffe erfolgten beim Landespflegegeldgesetz Rheinland-Pfalz durch das Landesgesetz zur Verbesserung der Haushaltsfinanzierung (Haushaltsfinanzierungsgesetz) vom 18.12.1981 mit Wirkung ab 1.1.1982. Die Höhe des Pflegegeldes wurde sowohl vom Bundesversorgungsgesetz als auch vom Bundessozialhilfegesetz abgekoppelt und auf 750,00 DM festgeschrieben. Schwerstbehinderte, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet hatten, erhielten 50 % dieses Betrages. Schwerbehinderte in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen erhielten kein Pflegegeld mehr. Außerdem wurde eine Karenzzeit eingeführt. Das Pflegegeld wurde erst ab Beginn des 13. Monats, nachdem die Voraussetzungen gegeben waren, gewährt.

Die mühsam erreichte Einheitlichkeit hinsichtlich der Höhe der Blindengeldleistungen in den Landesgesetzen war mit der Gesetzesänderung in Rheinland-Pfalz erstmals verlorengegangen. Sie wurde nie wieder erreicht.

Das zweite Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 brachte auf Bundesebene Einschnitte in zahlreichen Sozialleistungsgesetzen. So wurde die Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung erhöht, im Arbeitsförderungsgesetz, im Ausbildungsförderungsgesetz und beim Wohngeld kam es zu Einschränkungen von Rechtsansprüchen. Das Kindergeld und die Sozialhilfeleistungen wurden gekürzt.

Eine gravierende Änderung erfuhr durch das zweite Haushaltsstrukturgesetz auch die Blindenhilfe nach § 67 BSHG. § 67 Abs. 2 erhielt folgende Fassung: "Die Blindenhilfe wird Blinden nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe eines Betrages von 750,00 DM, Blinden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Höhe eines Betrages von 375,00 DM gewährt." Auf dieser Höhe wurde die Blindenhilfe bis zum 01.07.1984 eingefroren. Von diesem Zeitpunkt an sollte sie sich jeweils um denselben Prozentsatz erhöhen, um welchen die Renten aus der sozialen Rentenversicherung steigen. Die Dynamisierung wurde zwar ausgesetzt, blieb aber erhalten. Diese Regelung bedeutete aber eine Abkoppelung von der Pflegezulage, welche Kriegsblinde nach § 35 BVG erhalten. Eine der sozialpolitischen Hauptforderungen der Blindenselbsthilfeorganisationen der Zivilblinden erlitt damit einen schweren Schlag.

Die Änderung von § 67 BSHG hatte erhebliche Auswirkungen auf die Landesblindengeldgesetze. Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz wurde in den Landesblindengeldgesetzen für die Höhe des Blindengeldes jeweils auf § 35 BVG verwiesen. Die Landesgesetzgeber mit Ausnahme von Berlin und Hessen änderten diese Bestimmungen und nahmen künftig auf § 67 BSHG Bezug. Eine abweichende Entwicklung trat in Bayern ein. Die Bezugnahme auf das BVG blieb zwar bestehen. Da die Höhe des Blindengeldes in Bayern jedoch vom 01.07.1983 bis zum 01.07.1985 bei 788,00 DM eingefroren wurde, war auch in Bayern die Einheitlichkeit mit der Pflegezulage nach § 35 BVG verloren gegangen. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung in den Ländern findet sich in der Dissertation von Demmel auf S. 149 ff.

Nicht nur die Einheitlichkeit der Blindengeldleistungen mit der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG, sondern auch die Einheitlichkeit der Blindengeldleistungen nach den Landesgesetzen war verloren gegangen.

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3.2.5 Die Entwicklung seit der Wiedervereinigung

Die Wiedervereinigung Deutschlands wirkte sich auch auf die Entwicklung beim Blindengeld aus.

Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Grenzen am 09.11.1989 trat die Deutsche Demokratische Republik durch den Einigungsvertrag vom 31.08.1990 mit Wirkung zum 03.10.1990 der Bundesrepublik Deutschland bei. Damit war die Wiedervereinigung vollzogen. Gleichzeitig wurden die in der DDR neu gebildeten Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland. Der Ostteil von Berlin wurde in das Land Berlin eingegliedert.

Blindengeldgesetze wie in den alten Bundesländern gab es in der DDR zwar nicht. Blinde und hochgradig Sehbehinderte erhielten dort jedoch seit vielen Jahren einkommens- und vermögensunabhängige Ausgleichsleistungen. Bereits am 07.07.1948, also vor Gründung der DDR, erging eine Anordnung der deutschen Wirtschaftskommission über die Gewährung von Pflegegeld an pflegebedürftige Sozialrentner. Diese Anordnung galt für die Länder der sowjetischen Besatzungszone. Danach erhielten alle rentenanspruchsberechtigten Blinden (Kriegs- und Zivilblinde) ein Pflegegeld von 20,00-60,00 Reichsmark. Dieses Pflegegeld war unabhängig von ihrem Arbeitseinkommen. Eine gesetzliche Grundlage erhielt das Blindengeld in der DDR durch die Verordnung über die weitere soziale Sicherung der Blinden und anderer Schwerstbehinderter vom 18.06.1959 in der Fassung der Rentenverordnung vom 23.11.1974. Sehschwache mit einem Sehvermögen bis zu 1/25 erhielten Pflegegeld der Stufe I in Höhe von 30,00 Mark monatlich, hochgradig Sehschwache mit einem Sehvermögen von weniger als 1/50 (Stufe II) 40,00 Mark monatlich und Blinde, d. h. Personen mit einem Sehvermögen von 1/200 und weniger (Stufe III), 120,00 Mark monatlich. Bei zusätzlichen Behinderungen wurde Pflegegeld nach Stufen IV - VI gewährt. Diese Bestimmungen galten nach dem Einigungsvertrag bis zum 31.12.1991 weiter.

Die Frage war, ob bis zu diesem Datum der Erlass von Landesblindengeldgesetzen in den neuen Bundesländern, welche denen in den alten Bundesländern entsprachen, erreicht werden konnte. Nur dadurch war es möglich, das in der Bundesrepublik bestehende System der Blindengeldleistungen (Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw., vorrangig Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen) auf das Beitrittsgebiet zu erstrecken.

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3.2.5.1 Erlass von Blindengeldgesetzen in den neuen Bundesländern

In den neuen Bundesländern waren nach der Wiedervereinigung Landesorganisationen für Blinde und Sehbehinderte entstanden. Diese traten 1990 dem Deutschen Blindenverband (jetzt Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) bei.

Die Landesblindenorganisationen der neuen Bundesländer traten an ihre Landesparlamente und Landesregierungen mit dem Verlangen nach Landesblindengeldgesetzen heran. Diese Bemühungen wurden vom Deutschen Blindenverband durch eine Resolution unterstützt. Diese war vom außerordentlichen Verbandstag, der am 15. und 16.11.1991 in Schwerin stattfand, beschlossen worden.

Wenn in den neuen Bundesländern keine Landesblindengeldgesetze ergangen wären, hätten Blinde allein den an Vermögens- und Einkommensgrenzen gebundenen Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG in der durch den Einigungsvertrag geltenden Fassung gehabt. Das hätte eine wesentliche Rechtsungleichheit zwischen den neuen und den alten Bundesländern zur Folge gehabt.

Die Bemühungen der Landesblindenorganisationen im Beitrittsgebiet und des Deutschen Blindenverbandes hatten Erfolg. Folgende Gesetze wurden erlassen:

Am 31.01.1992 das Landesblindengeldgesetz von Mecklenburg-Vorpommern (GBl. S. 62). Die Höhe des Blindengeldes richtete sich nach § 67 BSHG in der für das Beitrittsgebiet geltenden Fassung. Das bedeutete, dass das Blindengeld für Volljährige monatlich 600,00 DM und nicht wie die Blindenhilfe in den alten Bundesländern 920,00 DM betrug. Bemerkenswert war, dass auch hochgradig Sehbehinderte ein Blindengeld in Höhe von 25 % des für Blinde geltenden Betrages erhielten.

Am 11.02.1992 das Landesblindengeldgesetz von Sachsen (GVBl. S. 53). Das volle Blindengeld wurde auf 600,00 DM festgesetzt. Eine Anpassungsregel enthielt dieses Gesetz nicht. Hochgradig Sehbehinderte erhielten ebenfalls eine Leistung nach diesem Gesetz.

Am 08.05.1992 in Brandenburg das Gesetz über die Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte (GVBl. I, S. 168). Das Pflegegeld betrug für Volljährige 600,00 DM monatlich.

Am 19.06.1992 das Gesetz über das Blindengeld im Lande Sachsen-Anhalt (GVBl. S. 565). Für die Höhe des Blindengeldes wurde auf § 67 BSHG in der für die neuen Bundesländer geltenden Fassung verwiesen. Es betrug damit für Volljährige 600,00 DM. Hochgradig Sehbehinderte mit einem Sehvermögen von weniger als 1/25 waren ebenfalls anspruchsberechtigt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes). Sie erhielten ein Pflegegeld in Höhe von 30,00 DM monatlich.

Am 21.07.1992 das thüringische Gesetz über das Blindengeld (GVBl. S. 355). Für die Höhe wurde auf § 67 BSHG in der für die neuen Bundesländer geltenden Fassung verwiesen. Das Blindengeld betrug damit ursprünglich für Volljährige ebenfalls 600,00 DM monatlich.

Die Gesetze traten jeweils rückwirkend zum 01.01.1992 in Kraft.

In Berlin ergab sich die Geltung des Gesetzes über Pflegeleistungen (PflegeG), wie das Berliner Gesetz seit 01.07.1986 genannt wurde, im ehemaligen Ostsektor aufgrund des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28./29.09.1990 (GVBl. S. 2119). Nach Nr. 11 Abschnitt V der Anlage 2 zu diesem Gesetz belief sich das Pflegegeld ab 01.01.1991 auf rund 59% und ab 01.11.1992 auf 80% des in den Westbezirken gewährten Pflegegeldes. Ab 01.04.1995 erfolgte durch Gesetz vom 22.12.1994 (GVBl. S. 520) die Angleichung des Pflegegeldes für ganz Berlin.

Die Entwicklung der Landesblindengeldgesetze verlief in der Folgezeit auch in den neuen Bundesländern uneinheitlich.

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3.2.5.2 Die Auswirkung der Einführung einer sozialen Pflegeversicherung

Änderungen sämtlicher Blindengeldgesetze wurden durch die Einführung einer sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI notwendig.

Im BSHG vom 30.06.1961 wurde für pflegebedürftige Menschen als Hilfe in besonderen Lebenslagen (Abschnitt 3, Unterabschnitt 10) mit den §§ 68 ff. eine Hilfe zur Pflege eingeführt, soweit keine Ansprüche nach anderen Gesetzen bestanden. Ansprüche nach anderen Gesetzen waren z. B. Pflegeleistungen nach dem BVG im Rahmen des Entschädigungsrechts oder nach der Reichsversicherungsordnung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach § 69 Abs. 3 S. 1 BSHG erhielten Pflegebedürftige, die das erste Lebensjahr vollendet hatten und so hilflos waren, dass sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Wartung und Pflege dauernd bedurften, einen Anspruch auf ein Pflegegeld. Pflegebedürftige Personen, bei welchen eine Behinderung vorlag, welche den Pflegestufen III, IV oder V nach § 35 BVG entsprach, erhielten ein Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe III. Es hatte damit die gleiche Höhe wie die Blindenhilfe nach § 67 BSHG. Wenn die Pflegebedürftigkeit eines Blinden rein auf der Blindheit beruhte, wurde Hilfe zur Pflege wegen der Blindheit außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen ausdrücklich ausgeschlossen. Waren für die Pflegebedürftigkeit neben der Blindheit andere Behinderungen mit ursächlich, erfolgte eine Anrechnung der Blindenhilfe in einem bestimmten Prozentsatz, welcher ab 01.01.1985 70 v. H. betrug, auf das Pflegegeld nach § 69 BSHG.

Seit Mitte der Fünfzigerjahre waren in der Bundesrepublik Deutschland Bestrebungen im Gang, das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit sozialrechtlich abzusichern.

Ein Einstieg in die Berücksichtigung der Pflegebedürftigkeit ohne Rücksicht auf die Ursache im Rahmen der Sozialversicherung erfolgte durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988 (BGBl. I, S. 2477). In das SGB V wurde der sechste Abschnitt "Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit" mit den §§ 53-57 aufgenommen. Ab 01.01.1991 hatten Schwerpflegebedürftige Anspruch auf Pflegeleistungen nach §§ 55 und 57 SGB V. Bis zu 25 Pflegeeinsätze von bis zu einer Stunde Dauer im Kalendermonat konnten in Anspruch genommen werden. Die Aufwendungen der Krankenkasse für diese Pflegeeinsätze durften 750,00 DM im Monat nicht übersteigen. Nach § 57 Abs. 1 SGB V konnte die Krankenkasse auf Antrag des schwerpflegebedürftigen Versicherten anstelle der häuslichen Pflegehilfe durch die Pflegeeinsätze ein Pflegegeld von 400,00 DM je Kalendermonat zahlen, wenn die Schwerpflegebedürftigen die Pflege durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise und in ausreichendem Umfang selbst sicherstellen konnten.

Auch bei Einführung dieser Leistungen erhob sich die Frage, inwieweit das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. die Blindenhilfe nach § 67 BSHG gekürzt werden kann, wenn ein Blinder eine dieser Leistungen der Krankenkasse erhielt. Ob bei einem Blinden Schwerpflegebedürftigkeit im Sinn von § 53 SGB V vorlag, musste im Einzelfall geprüft werden. Da sich der Zweck des Blindengeldes und der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nur teilweise deckten, kam nur eine teilweise Anrechnung des Pflegegeldes auf das Blindengeld in Frage. In der Praxis erfolgte eine Anrechnung bis zu 200,00 DM. Auf Einzelheiten wird hier nicht näher eingegangen. Insoweit wird auf die Darstellung in der Dissertation von Demmel S. 165 ff. verwiesen.

Durch Art. 1 des Gesetzes zur Einführung einer sozialen Pflegeversicherung vom 26.05.1994 (BGBl. I, S. 1014) wurde das SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) erlassen. Es trat am 01.01.1995 in Kraft. Die Leistungen bei häuslicher Pflege wurden ab. 01.041995 eingeführt. Sie traten an die Stelle der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff. SGB V.

Als Leistungen kamen u.a. in Frage:

  1. Pflegesachleistungen (§ 36) in Form von Pflegeeinsätzen,
  2. Pflegegeld für Selbstbeschaffte Pflegehilfen (§ 37),
  3. Kombination von Geldleistungen und Sachleistungen (§ 38).

Die Pflegebedürftigkeit wurde in § 14 SGB IX gesetzlich definiert. Pflegebedürftig im Sinne dieser Bestimmung sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen müssen sich in vier Bereichen, nämlich dem Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung ergeben. Je nach dem Hilfebedarf wird Anspruchsberechtigten eine von drei Pflegestufen nach § 15 SGB XI zuerkannt.

Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe umfasst nach § 36 Abs. 3 SGB XI je Kalendermonat:

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 750,00 DM (jetzt 384,00 Euro),
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1.800,00 DM (jetzt 951,00 Euro) und
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 2.800,00 DM (jetzt 1.432,00 Euro).

§ 37 SGB XI räumt das Recht ein, anstelle der Sachleistung des § 36 ein Pflegegeld zu wählen, wenn der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst sicherstellen kann. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat:

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 400,00 DM (jetzt 205,00 Euro),
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II 800,00 DM (jetzt 410,00 Euro) und
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 1.300,00 DM (jetzt 665,00 Euro).

Soweit bei blinden Menschen z. B. durch weitere Behinderungen Pflegebedürftigkeit im Sinn von § 14 SGB XI vorlag, stellte sich wegen der teilweisen Zweckgleichheit des Blindengeldes nach einem Landesblindengeldgesetz oder der Blindenhilfe nach § 67 BSHG mit den Pflegeleistungen nach dem SGB XI die Frage, inwieweit die Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung auf das Blindengeld angerechnet werden konnten. Um hier praktikable Lösungen zu schaffen und für Rechtssicherheit zu sorgen, wurden in den Landesblindengeldgesetzen und in § 67 BSHG Anrechnungsregelungen eingeführt. Die Anrechnung erfolgte nach pauschalierten Prozentsätzen.

Einige Länder nutzten die Notwendigkeit der Gesetzesänderung zu weiteren Neuregelungen. So wurde in Bayern das Gesetz über die Gewährung eines Pflegegeldes an Zivilblinde in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.01.1989 mit Wirkung vom 01.04.1995 durch das bayerische Blindengeldgesetz vom 07.04.1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.04.1995 (GVBl. S. 150) ersetzt.

In Rheinland-Pfalz wurde durch Art. 2 des Landesgesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 28.03.1995 (GVBl. S. 55) ein eigenständiges Landesblindengeldgesetz eingeführt. Es ist an die Stelle des Landespflegegeldgesetzes vom 31.10.1974 getreten. In Nordrhein-Westfalen erfolgte die Anrechnung im Rahmen der Neuregelung durch das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose vom 25.11.1997 (GV NW S. 430).

Im BSHG erhielt § 67 durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechtes vom 23.07.1996 (BGBl. I, S. 1088) eine Anrechnungsregelung für Pflegeleistungen nach dem SGB XI. In § 67 Abs. 1 wurde folgender Satz 2 eingefügt: "Auf die Blindenhilfe sind Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem elften Buch Sozialgesetzbuch mit bis zu 70 v. H. anzurechnen."

Auf die Anrechnungsregelungen im Einzelnen wird unter 4.5.1.2 näher eingegangen. Deshalb erübrigen sich hier weitere Ausführungen.

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3.2.5.3 Einschränkungen im Blindengeldrecht

In der Zeit nach der Wiedervereinigung und der Einführung der sozialen Pflegeversicherung durch das SGB XI und der mit diesen Ereignissen verbundenen Änderungen im Blindengeldrecht trat keineswegs eine Beruhigung ein. Vielmehr kam es infolge der in allen Ländern und im Bund auftretenden Haushaltsprobleme zu massiven Eingriffen in sämtlichen Blindengeldgesetzen.

In einem Teil der Bundesländer wurde das Landesblindengeld gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG prozentual abgesenkt. Die Dynamisierung blieb damit erhalten.

In anderen Landesgesetzen wurde die Bezugnahme auf § 67 BSHG überhaupt aufgegeben. Für das Blindengeld wurden Festbeträge eingeführt. Die Dynamisierung ging damit verloren.

In einigen Ländern gab es Bestrebungen, das Landesblindengeldgesetz überhaupt abzuschaffen.

In Niedersachsen wurde das Landesblindengeld ab. 01.01.2005 für Blinde ab dem vollendeten 27. Lebensjahr völlig abgeschafft, jedoch ab. 01.01.2007 wieder eingeführt.

In Thüringen wurde das Landesblindengeld ab 01.01.2006 für Blinde ab Vollendung des 27. Lebensjahres abgeschafft aber ab 01.01.2008 wieder eingeführt.

Die Eingriffe erfolgten in einigen Ländern, z. B. in Niedersachsen, im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Thüringen in mehreren Stufen. Die Ereignisse können hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden. Für die Zeit bis 2002 wird auf die Dissertation von Demmel, S. 180 ff. verwiesen. Folgende Ereignisse sind hervorzuheben: Ab 01.01.2002 erfolgte durch Gesetzesänderungen die Umstellung der Blindengeldleistungen auf Euro.

Der erste Eingriff durch ein Haushaltsstrukturgesetz erfolgte in Schleswig-Holstein. Durch Art. 11 des Haushaltsbegleitgesetzes 1994 für das Land Schleswig-Holstein vom 08.02.1994 wurde § 1 des Landesblindengeldgesetzes in der Weise geändert, dass das Blindengeld mit Wirkung ab 01.01.1994 gegenüber der Blindenhilfe nach § 67 BSHG um 10 v. H. abgesenkt worden ist. Die letzte Änderung des Blindengeldgesetzes für Schleswig-Holstein erfolgte mit Gesetz vom 15.12.2005. Die Ankoppelung an die Blindenhilfe nach dem Sozialhilferecht wurde aufgegeben. Das Blindengeld beträgt seither 400,00 Euro für Volljährige und 200,00 Euro für Minderjährige. Wie schon bei der letzten Gesetzesänderung vom 12.12.2001 wurde die Geltung der Regelung befristet, und zwar bis zum 31.12.2010. Neu an diesem Gesetz ist, dass ein Fonds eingeführt wurde, mit dessen Mittel Strukturverbesserungen für blinde Menschen im Land Schleswig-Holstein gefördert werden sollen. Für die Mittelverwendung wurde dem Blinden- und Sehbehindertenverband von Schleswig-Holstein ein Mitspracherecht eingeräumt.

Der Bestand eines Landesblindengeldgesetzes wurde erstmals in Baden-Württemberg in Frage gestellt. Art. 17 des baden-württembergischen Haushaltsstrukturgesetzes für 1997 sah die Abschaffung des Landesblindengeldgesetzes vor. Begründet wurde dieses Vorhaben mit Haushaltsproblemen und damit, dass bedürftige Blinde einen Anspruch auf die Blindenhilfe nach § 67 BSHG hätten. Durch Eingaben der Blindenselbsthilfeorganisationen in Baden-Württemberg, eine Resolution des DBSV vom 16.11.1996, Gesprächen mit den sozialpolitischen Vertretern und Haushaltsexperten der im Landtag vertretenen Parteien sowie der Vorbringen bei einer Anhörung im finanzpolitischen Ausschuss des Landtages von Baden-Württemberg am 05.12.1996 konnte erreicht werden, dass das Gesetz über die Landesblindenhilfe erhalten blieb. Die Bezugnahme für die Höhe der Leistung auf § 67 BSHG wurde allerdings durch Art. 4 des Gemeindefinanzierungsstrukturgesetzes vom 16.12.1996 aufgegeben und eine Festbetragsregelung eingeführt. Volljährige Blinde erhielten ab 01.01.1997 ein Blindengeld von 800,00 DM (nunmehr 409,03 Euro), Minderjährige von 400,00 DM (nunmehr 204,52 Euro) monatlich.

Einen völlig neuen Weg ist der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen mit dem aufgrund von Art. 5 des Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1997 erlassenen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) gegangen. Durch dieses Gesetz wurde mit Wirkung vom 01.01.1998 das Landesblindengeldgesetz vom 11.11.1992 abgelöst. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde die Hilfe für hochgradig Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, im Teil 2 des Gesetzes (§ 5) als Gesetzesleistung übernommen. Sie erhielten bisher bereits eine Landesleistung nach dem Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17.09.1980. Die Aufnahme der Landeshilfe für Sehbehinderte sollte der Beseitigung der unterschiedlichen Verwaltungsverfahren, der Harmonisierung des Leistungsrechts sowie der Vereinheitlichung und Optimierung des Verwaltungsverfahrens dienen.

Damit verbunden war eine Anhebung von bisher 120,00 DM auf 150,00 DM monatlich. Mit dem dritten Teil "Hilfe für Gehörlose" ist ein Gehörlosengeld von 150,00 DM monatlich neu eingeführt worden (§ 5). Eine wesentliche Änderung ist auch beim Blindengeld eingeführt worden. § 2 des GHBG bestimmt in Abs. 1, dass sich das Blindengeld in seiner Höhe nach den Vorschriften über die Blindenhilfe gemäß § 67 BSHG (nunmehr § 72 SGB XII) in der jeweils geltenden Fassung richtet. Das heißt, dass es zur Zeit des Inkrafttretens 1.063,00 DM betrug. Für Blinde, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, wurde das Blindengeld durch § 2 Abs. 1 GHBG auf 925,00 DM festgeschrieben. Eine Dynamisierung dieses Betrages ist nicht vorgesehen. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 des GHBG ist das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Ausschusses des Landtags die Höhe des Blindengeldes nach Satz 2 anzuheben. Eine solche Anhebung ist bisher nicht erfolgt, so dass sich die Leistungen für Blinde bis zum vollendeten 60. Lebensjahr und ab dem vollendeten 60. Lebensjahr immer weiter auseinander entwickelt haben.

In Nordrhein-Westfalen wurde mit dieser Gesetzesänderung erstmals für blinde Menschen im berufsfähigen Alter und älteren ein Blindengeld in unterschiedlicher Höhe eingeführt. Diese Differenzierung wurde von vielen Betroffenen als ungerecht empfunden und veranlasste sie zu entsprechenden Klagen. Das OVG Münster entschied jedoch in einem wenig überzeugenden Urteil (vom 13.12.2001 - 16 A 4096/00), dass die Differenzierung rechtens sei (siehe die kritische Stellungnahme von Drerup, DBSV-Mitteilungen der Rechtsabteilung 5/2002).

Ein erneuter Versuch, ein Landesblindengeldgesetz abzuschaffen erfolgte im Jahre 2001 in Bremen. Es bestand die Absicht, das Bremische Pflegegeldgesetz - und damit auch die Landesleistung für Blinde - vollständig abzuschaffen, wobei für die bisherigen Leistungsfälle eine Besitzstandsregelung vorgesehen war (Senatsbeschluss der großen Koalition - CDU/SPD - vom 16.01.2001). Der Gesetzesentwurf wurde bereits ins Landesparlament (Bürgerschaft) eingebracht.

Nach intensiven Verhandlungen des Bremischen Blinden- und Sehbehindertenvereins und des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) mit Politikern aller Fraktionen und einer eindrucksvollen Demonstration, die am 09.06.2001 in Bremen stattfand und an der sich über 4.000 Personen (überwiegend Blinde, aber auch Sehende, die die Forderungen der Blinden unterstützten) aus der ganzen Bundesrepublik beteiligt hatten, gab die zuständige Senatorin, Frau Adolf, am Sonntag, 17.06.2001, bekannt, dass das Pflegegeldgesetz erhalten bleiben soll. Das Pflegegeld werde allerdings auf 650,00 DM gekürzt. Diese Änderung erfolgte durch das Gesetz vom 04.12.2001. Ein erneuter Versuch, das Blindengeld in Bremen abzuschaffen, erfolgte 2003. Aber auch diese Absichten wurden nach intensiven Verhandlungen wieder aufgegeben. Bemerkenswert ist, dass das bremische Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Blinde und Schwerstbehinderte durch die Gesetzesänderung vom 18.12.2003 sogar eine Dynamisierungsklausel erhielt, wonach das Blindengeld jeweils um den selben Prozentsatz erhöht wird, um welchen auch die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII steigt.

In Niedersachsen verlief die Entwicklung besonders bewegt, ja dramatisch. Niedersachsen folgte mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld für Zivilblinde vom 20.12.1995 dem Beispiel Schleswig-Holsteins. Das Blindengeld wurde ab 01.01.1996 in Höhe der Blindenhilfe nach § 67 BSHG abzüglich 10 v. H. gewährt. Ein erneuter Eingriff erfolgte durch das Haushaltsbegleitgesetz von 1999. Das Blindengeld wurde auf 800,00 DM für Volljährige und 400,00 DM für Minderjährige herabgesetzt und eingefroren. Ein weiterer besonders schwerer Eingriff erfolgte durch Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 17.12.2004. Blinde, die das 27. Lebensjahr vollendet hatten, erhielten ab dem 01.01.2005 kein Blindengeld mehr. Das Blindengeld bis zum vollendeten 27. Lebensjahr wurde auf 300,00 Euro festgesetzt. Auch in Niedersachsen wurde ein Fonds, der vor allem Hilfen in Härtefällen ermöglichen sollte, eingeführt. Dieser schwere Eingriff in das Landesblindengeldgesetz konnte durch intensive Verhandlungen auf der politischen Ebene und eine große Demonstration am 11.09.2004 in Hannover, an welcher 10.000 blinde und sehende Personen aus der gesamten Bundesrepublik teilnahmen, nicht verhindert werden. Im Bündnis mit zahlreichen sozialen Organisationen strebte der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen deshalb in den Jahren 2005 und 2006 ein Volksbegehren mit dem Ziel der Wiedereinführung eines Landesblindengeldes für alle an. Das Volksbegehren startete am 15.04.2005. Die Gespräche auf der politischen Ebene wurden, unterstützt durch zahlreiche Kampagnen und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, fortgesetzt. All diese Bemühungen führten schließlich dazu, dass durch Art. 15 des niedersächsischen Haushaltsbegleitgesetzes für 2007 vom 14.12.2006 mit Wirkung ab 01.01.07 das Landesblindengeldgesetz geändert und ein einkommens- und vermögensunabhängiges Blindengeld für alle wieder eingeführt worden ist. Blinde bis zum vollendeten 25. Lebensjahr erhielten nunmehr 300,00 Euro, Blinde ab dem vollendeten 25. Lebensjahr 220,00 Euro monatlich. Die Grenze von 25 Jahren entspricht der ab 01.01.07 geltenden Höchstgrenze für das Kindergeld. Mit Gesetz vom 26.3.2009 wurde das Blindengeld für Blinde bis zum vollendeten 25. Lebensjahr auf 320 Euro und für Blinde ab vollendetem 25. Lebensjahr auf 265 Euro erhöht.

Thüringen folgte dem Beispiel von Niedersachsen. Nachdem das Blindengeld ab 01.03.2005 bereits von ursprünglich 480,00 Euro auf 400,00 Euro gekürzt worden war, wurde es durch Art. 14 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 23.12.2005 ab 01.01.2006 für Blinde ab dem vollendeten 27. Lebensjahr völlig abgeschafft. Blinde bis zum vollendeten 27. Lebensjahr erhalten 300,00 Euro monatlich. Ein Härtefonds nach dem Beispiel von Niedersachsen wurde eingerichtet. Auch in Thüringen kam es zu einer Demonstration gegen diese Maßnahme. Dazu kamen rund 6.000 Blinde und Sehbehinderte sowie Sehende am 08.10.2005 nach Erfurt. Die Demonstration, zahlreiche Aktionen und Verhandlungen auf politischer Ebene sowie die Absicht, ein Volksbegehren anzustreben führten schließlich auch in Thüringen dazu, dass mit dem Haushaltsbegleitgesetz, welches der Landtag am 14.12.07 verabschiedete, ab 01.01.2008 ein Blindengeld für alle Blinden wieder eingeführt wurde. Es betrug 220,00 Euro monatlich. Blinde Menschen, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die bereits Blindengeld erhielten bzw. einen Antrag auf Blindengeld bis zum 31. Dezember 2007 stellten, erhielten noch das Blindengeld nach bislang geltendem Recht in Höhe von 300,00 Euro bis zur Vollendung ihres 27. Lebensjahres. Wird der Antrag nach dem 31.12.07 gestellt, erhalten auch Blinde, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 220,00 Euro monatlich. Das Blindengeld soll durch eine beabsichtigte Gesetzesänderung auf 270 Euro monatlich festgesetzt werden.

Die übrigen Bundesländer mussten einschneidende, z. T. wiederholte Kürzungen des Landesblindengeldes um bis zu 20 % hinnehmen. Dabei lagen die Leistungen vor diesen Kürzungen zum Teil schon unter dem Satz der Blindenhilfe nach § 67 BSHG bzw. nunmehr § 72 SGB XII. In Bayern sollte zum 01.04.2004 eine Kürzung um 30 % erfolgen. Protestaktionen, eine Unterschriftensammlung und eine Demonstration mit rund 4.000 Teilnehmern führten dazu, dass durch das Gesetz vom 24.03.2004 eine Kürzung um 15 % gegenüber der Blindenhilfe nach dem Sozialhilferecht vorgenommen wurde.

Die Kürzungen des Blindengeldes in praktisch allen Ländern waren ein harter Schlag für das Blindengeldrecht. Die Entwicklung hat dazu geführt, dass die Blindengeldleistungen der Länder sehr stark voneinander abweichen und damit wegen der unterschiedlichen Lebensverhältnisse für blinde Menschen in den Bundesländern eine unbefriedigende Situation besteht. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Geschlossenheit der Blindenselbsthilfeorganisationen, die Überzeugungskraft ihrer Argumente und die praktische Erfahrung in den Ländern dazu geführt hat, dass - wie in Niedersachsen und in Thüringen - selbst abgeschaffte Sozialleistungen wieder gewährt werden. Das Blindengeldsystem hat sich insgesamt damit bewährt.

Hinzuweisen ist aber auch darauf, dass die Blindenselbsthilfeorganisationen die Auffassung vertreten, dass notwendige Ausgleichsleistungen auch für andere Behindertengruppen geschaffen werden sollten. Die Blindenselbsthilfeorganisationen haben deshalb die Schaffung eines Bundesbehindertengeldgesetzes vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde in einem "Runden-Tisch-Gespräch" am 19.10.2005 Vertretern der Sozial- und Behindertenverbände präsentiert.

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4. Die Zweckbestimmung des Blindengeldes

Für das Verständnis des Blindengeldrechts ist die Zweckbestimmung des Blindengeldes zu beachten.

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4.1 Grundsätzliches zur Zweckbestimmung

In den Landesblindengeldgesetzen und in § 72 SGB XII wird ausdrücklich bestimmt, dass das Blindengeld dem "Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen" bzw. "blindheitsbedingter Mehraufwendungen und Benachteiligungen" (so in § 1 Abs. 1 der Blindengeldgesetze von Baden-Württemberg und Sachsen) dient.

Das Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein, das als einziges Gesetz eine Präambel enthält, stellt in dieser heraus, dass das Land "in Erkenntnis der schweren Beeinträchtigung eines Menschen durch Blindheit in seiner gesamten Existenz ... Landesblindengeld als Einordnungshilfe in die Gesellschaft" gewährt.

Die Zweckbestimmung kann auch so ausgedrückt werden:

Das Blindengeld ist eine staatliche Leistung, die dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen und Nachteile dient und die darauf abzielt,

  • die Folgen der Behinderung zu mindern,
  • die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern,
  • Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten.

In den Gesetzen wird, ohne dass es eines Einzelnachweises bedürfte, unterstellt, dass die Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung als "Funktionsbeeinträchtigung" (Impairment) zur Unmöglichkeit oder Einschränkung von Aktivitäten, die für Menschen als normal angesehen werden (Disability) und zu Benachteiligungen hinsichtlich der Teilhabe am Gesellschaftsleben (Handikaps) führt, die mit Hilfe von Geldleistungen zumindest teilweise ausgeglichen werden können.

Mehraufwendungen, die mit der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung in ursächlichem Zusammenhang stehen, haben also ihren Grund vor allem in der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, so dass entweder die Tätigkeiten von anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch andere notwendig ist (Assistenzleistungen) bzw. spezielle Hilfsmittel erforderlich sind.

Die Situation der blinden Menschen ist, was ebenfalls zu beachten ist, äußerst unterschiedlich und veränderlich, so dass ihren Bedürfnissen nur eine generalisierende, pauschalierende Hilfe gerecht werden kann. Zu beachten ist die grundsätzlich autonome Entscheidung des Blinden über die Verwendung des Blindengeldes.

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4.2 Situationsbezogene Besonderheiten

Ausgehend von der Situation blinder Menschen ergeben sich erfahrungsgemäß spezielle Bedürfnisse, zu deren Befriedigung das Blindengeld deshalb normalerweise ausgegeben wird.

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4.2.1 Hilfebedarf bei Neuerblindeten

Der Eintritt der Blindheit, vor allem wenn er plötzlich oder binnen relativ kurzer Zeit erfolgt, führt regelmäßig zu einem hohen Grad an Hilflosigkeit. Das heißt: Um überhaupt leben zu können, werden zahlreiche Assistenzleistungen erforderlich. Der Hilfebedarf besteht hier insbesondere bei der Körperpflege, bei der Ernährung, bei der Mobilität und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Der Hilfebedarf besteht also in Bereichen, die auch für die Pflegebedürftigkeit nach § 14 Abs. 3 SGB XI maßgebend sind. Allerdings ist ein weiterreichender Radius zu berücksichtigen, um die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Im Bereich der Körperpflege wird Bedarf auf optische Kontrolle durch Hilfspersonen, z. B. bei der Auswahl von Körperpflegemitteln oder hinsichtlich des Zustandes der zu benutzenden Bade- und Toiletteneinrichtungen, gegeben sein. Zu denken ist auch an die Hilfe bei der Maniküre.

Im Bereich der Ernährung muss das Essen zubereitet werden. Darüber hinaus ist vielfach die mundgerechte Zubereitung der Nahrung, z. B. Schneiden von Speisen, Belegen von Broten, notwendig.

Hilfe ist bei der Kleiderauswahl, z. B. farblich abgestimmte Kleidung erforderlich.

Zur Hilfe bei der Mobilität gehört nicht nur die Begleitung bei Arztbesuchen oder Behördengängen, sondern die Hilfe beim Zurücklegen aller Wege, z. B. auch Begleitung zu kulturellen Veranstaltungen, Spaziergängen oder bei Urlaubsreisen.

Am umfangreichsten ist in der Regel der Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dazu siehe unten.

Die Situation hilfloser blinder Menschen kann in vielen Fällen durch eine umfassende Rehabilitation verändert werden, so dass eine aktive Lebensgestaltung möglich wird. Die Rehabilitation, die Aktivierung von Potentialen und die Wiedererlangung von Selbständigkeit sind wichtige Faktoren auch zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit.

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4.2.2 Hilfebedarf bei aktiver Lebensgestaltung

Der Hilfebedarf wird sich vor allem bei aktiven blinden Menschen auf einen weiteren Radius verlagern. Auf welchem Gebiet die Bedürfnisse entstehen, hängt auch davon ab, in welchem Umfang durch Rehabilitationsleistungen die Fähigkeiten zur Kompensation der Behinderung des einzelnen entwickelt werden konnten. Die Bedürfnisse können sich dann mehr vom Bereich des Ausgleichs von Disabilities auf den Bereich der Sicherung der Rehabilitation verlagern. Unterschiedlichster Hilfebedarf bleibt aber auch hier zur persönlichen Entfaltung bestehen.

Im Folgenden werden typische blindheitsbedingte Mehraufwendungen, welche insbesondere bei einer aktiven Lebensgestaltung entstehen, beispielhaft vorgestellt. Die Beispiele sind dabei nicht abschließend zu verstehen. Sie sollen zeigen, wofür das Blindengeld normalerweise und seinem Zweck entsprechend aufgewendet wird.

Die Blindheit wirkt sich bei aktiver Lebensgestaltung vor allem in folgenden Bereichen aus, so dass zum Ausgleich Aufwendungen erforderlich werden:

  1. Persönliche Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung,
  2. Mobilität,
  3. Information,
  4. Kommunikation,
  5. Bewältigung des täglichen Lebens (Anwendung von lebenspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten),
  6. Kleider- und Materialverschleiß,
  7. erhöhter Wohnraumbedarf,
  8. sonstige Assistenzleistungen.

Zu 1. Persönliche Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung:

Je nach dem Grad der Hilflosigkeit oder wiedergewonnenen Aktivität wird hier der Hilfebedarf unterschiedlich sein. Dazu siehe auch oben. Hilfe ist in jedem Fall beim Einkaufen (Finden der Einkaufsmöglichkeiten, Preisvergleich, Auswahl der Waren, Inanspruchnahme von Lieferservice), häufig aber auch beim Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung z. B. durch die Beschäftigung einer Haushaltshilfe sowie bei der Bedienung der Heizung notwendig. Beachtet muss ferner werden, dass viele Reparaturen, z. B. Kleinreparaturen oder Schönheitsreparaturen, im häuslichen Bereich vom Blinden selbst nicht ausgeführt werden können. Deshalb entstehen Aufwendungen entweder für Handwerker oder für Gefälligkeiten, wenn diese Arbeiten im Wege der nachbarschaftlichen Hilfe geleistet werden, da ein Ausgleich durch eine eigene nachbarschaftliche Hilfe in aller Regel nicht in Frage kommt.

Zu 2. Mobilität:

Hier ist Mobilität im Alltagsleben und nicht nur im Sinn der Pflegebedürftigkeit gemäß § 14 Abs. 3 SGB XI gemeint. Weil ein Blinder die zur Orientierung erforderlichen Informationen seiner Umwelt nicht entnehmen kann, was effektiv nur durch den Fernsinn Sehen möglich ist, ist im Mobilitätsbereich der Hilfebedarf besonders groß. Das gilt selbst dann, wenn ein Blinder ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert hat; denn das ermöglicht ihm im Wesentlichen nur die eigenständige Zurücklegung bekannter Wege. In unbekannter Umgebung und zur Zurücklegung unbekannter Wege ist die Hilfe durch Begleitpersonen, die Inanspruchnahme von Taxen oder von privaten Chauffeuren unerlässlich. Die Notwendigkeit der Begleitung bzw. der Dienstleistungen durch Taxis kann dabei in den verschiedensten Lebensbereichen erforderlich werden.

Zu 3. Information:

Die meisten Informationen werden optisch aufgenommen, sei es über Schrift, Bilder, Pläne, Piktogramme, optische Erscheinungsformen der Umwelt usw. Da die optische Information beim Blinden ganz oder zum größten Teil, beim hochgradig Sehbehinderten zu einem erheblichen Teil ausfällt, kann bei der Blindheit von einer "Informationsbehinderung" gesprochen werden. Die Information muss akustisch oder taktil gewonnen werden. Dazu ist eine entsprechende Anpassung der optischen Information notwendig. Das geschieht durch technische Hilfsmittel wie z. B. Lese-Sprech-Geräte. Das Schriftgut wird bei diesen über einen Scanner aufgenommen und mit Hilfe einer Erkennungssoftware in digitale Form umgesetzt, so dass die Informationen über Sprache oder mit Hilfe einer Braillezeile in Blindenschrift ausgegeben werden können. Hochgradig Sehbehinderte können häufig mit einem Bildschirmlesegerät Informationen aufnehmen. Das Schriftgut wird mit einer Kamera eingelesen und dann bis zu 60fach vergrößert auf einem Bildschirm wiedergegeben. Nicht in jedem Fall werden die Kosten für die Lesegeräte und Braillezeilen von den Krankenkassen übernommen.

Schriftliche Informationen können auch in Blindenschrift umgesetzt oder auf Tonträger aufgelesen werden. Auf diese Weise werden Bücher und Zeitschriften erstellt. Die Kosten sind gegenüber normalen Druckerzeugnissen um ein Vielfaches höher.

Für die Information aus dem Internet ist die Ausstattung eines PC mit einer Sprachausgabe, einer Braillezeile und einer speziellen Software zum Auslesen des Bildschirmes notwendig.

Die von den Hörbüchereien zur Ausleihe bereitgestellten Werke aus allen Bereichen der Literatur können nur mit speziellen Abspielgeräten gehört werden.

Ein anderer Weg, der häufig unverzichtbar ist, ist das Vorlesen durch eine Hilfskraft. Zum Vorlesen persönlicher Briefe oder zur Hilfe beim Schriftverkehr z. B. auch mit Behörden, Banken, Versicherungen, aber auch im privaten Bereich, ist vielfach die Hilfe durch Vertrauenspersonen oder spezielle Vorlesedienste nötig. Lesegeräte stehen nicht überall zur Verfügung. Sie sind meist nicht transportabel. Handschriftliche Mitteilungen können mit Lesegeräten nicht gelesen werden. Die meisten schriftlichen Informationen stehen auch nicht in angepasster Form, sei es in Blindenschrift oder auf Tonträgern, zur Verfügung. Man denke nur an Speisekarten im Lokal, Fahrpläne, Fahrgastinformationen im öffentlichen Verkehr, Reiseführer u.v.a.m.

Besonders hohe Unkosten können für Informationsmaterial entstehen, wenn z. B. schriftliche Unterlagen für Lehrgänge und Kurse, sei es zur beruflichen Fortbildung oder im privaten Bereich, in Blindenschrift oder in akustische Form umgesetzt werden müssen.

Zu 4. Kommunikation:

Schon aus der eingeschränkten Mobilität ergibt sich, dass zur Kommunikation verstärkt auf Hilfsmittel wie das Telefon zurückgegriffen werden muss. Mit Hilfe des Telefons müssen häufig die erforderlichen Hilfen angefordert und organisiert sowie Informationen eingeholt werden. Zu denken ist z. B. an die Ermittlung von Telefonnummern und Adressen, Fahrplanauskünfte, Ordern von Umsteighilfen bei Reisen, Anforderung von Taxis oder anderen Dienstleistungen, Erledigung von Bankgeschäften, Aufgabe von Warenbestellungen und selbstverständlich die Pflege persönlicher Kontakte. Erforderlich sind dazu Großtastentelefon, Mobiltelefon mit Sprach- oder Brailleausgabe.

Zu 5. Bewältigung des täglichen Lebens (Anwendung von lebenspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten):

Im täglichen Leben müssen vielfach spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden, damit lebenspraktische Fähigkeiten und Fertigkeiten angewandt werden können. Häufig geht es auch hier darum, optische Informationen durch taktile oder akustische zu ersetzen. Hierher zählen z. B. Uhren mit abtastbarer Skala oder Sprachausgabe, Thermometer mit Sprachausgabe, Personenwaagen mit Sprachausgabe, Haushaltsgeräte wie Waagen oder Messgeräte mit abtastbarer Skala oder Sprachausgabe, Notizgeräte und Blindenschriftschreibmaschinen, Spiele mit unterschiedlichen Spielfiguren, um die Farben der Spielsteine unterscheiden zu können. Diese Spielfiguren müssen außerdem fixiert sein, damit ein Abtasten möglich ist. Die taktil angepassten Spielpläne sind dazu entweder mit Magneten versehen, oder die Spielsteine können auf den Spielbrettern aufgesteckt werden.

Zu 6. Kleider- und Materialverschleiß:

Kleider und Schuhwerk unterliegen bei der Benutzung durch blinde Personen einem erhöhten Verschleiß. Hindernissen und Verschmutzungen kann nicht entsprechend ausgewichen werden. Erhöhte Aufwendungen entstehen deshalb für Reinigung, Reparaturen und Ersatzbeschaffung. Zur Kontrolle, ob Kleidung verschmutzt ist, wird Hilfe durch sehende Mitmenschen benötigt.

Zu 7. erhöhter Wohnraumbedarf:

Häufig führt Blindheit zu einem erhöhten Wohnraumbedarf. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Blinde in einer Gemeinschaft, z. B. in einer Familie oder zusammen mit Partnern leben. Schon die bisher aufgeführten speziellen Hilfsmittel und Literatur in Blindenschrift erfordern einen erheblichen Raumbedarf. Aber auch das ungestörte Zusammenleben macht es notwendig, dass der Blinde einen eigenen Raum zur Verfügung hat. Das Lesen mit Hilfe eines Lese-Sprech-Gerätes oder eines Bildschirmlesegerätes würde die übrigen Mitbewohner in vielen Fällen in unzumutbarer Weise stören. Außerdem muss es einem Blinden möglich sein, wenn er an Freizeitaktivitäten der Mitbewohner, z. B. am Fernsehen, nicht teilnehmen will, sich in einen anderen Raum, etwa zum Lesen oder Hören von Hörbüchern, zurückzuziehen.

Zu 8. sonstige Assistenzleistungen:

Auch in bisher noch nicht erwähnten Bereichen kann Bedarf auf Assistenzleistungen entstehen. So muss eine blinde Mutter bei der Erziehung und Betreuung der Kinder, z. B. Pflege von Säuglingen, bei der Beaufsichtigung auf Spielplätzen oder bei der Überwachung von Hausaufgaben, auf Hilfskräfte zurückgreifen.

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4.3 Spezifischer Aufwand für bestimmte Personengruppen

Über die bisher genannten Verwendungszwecke hinaus gibt es für bestimmte Personengruppen für deren besondere Situation spezifische blindheitsbedingte Mehraufwendungen, von denen im Folgenden einige Beispiele genannt werden:

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4.3.1 Spezifischer Mehraufwand für blinde Kinder und Jugendliche

  • Spezielle taktile und akustische Fördermittel wie Bücher, Spielzeug (klingender Ball, Tandem, adaptierte Brett- und Gesellschaftsspiele),
  • Umsetzung von begleitendem Schulmaterial in Punktschrift, auf Tonträger oder in digitale Form und Anschaffung von aufwändigem Anschauungsmaterial, wie Atlanten mit taktilen Landkarten und Globus mit tastbaren Oberflächen und Beschriftung in Brailleschrift,
  • Vorlesen von Büchern, welche andere Kinder selbstständig lesen können,
  • Aufwendungen für Fahrten bzw. Begleitung zu Kindergarten und Schule, wo sehende Kinder den Weg selbständig zurücklegen können.

Die Entwicklungs- und Bildungschancen blinder Kinder und Jugendlicher hängen im besonderen Maße davon ab, inwieweit die Eltern in der Lage sind, ihr blindes Kind zu fördern und zu unterstützen. Hilfreich ist es, wenn ein Elternteil auf eine Berufstätigkeit verzichtet oder die berufliche Beanspruchung reduziert, damit das blinde Kind aktiv gefördert wird und viele Dinge des Lebens lernt (z. B. Essen mit Messer und Gabel, Tätigkeiten in der Küche, Anleitung zur körperlichen Bewegung, Begriffsbildung, räumliches Erfassen, Förderung des Orientierungsvermögens und der Raumvorstellung). Dabei muss berücksichtigt werden, dass blinde Kinder nicht durch Nachahmen lernen können, sondern dass das Erlernen von Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung in viele kleine Schritte zerlegt werden muss und wesentlich mehr Zeit benötigt als bei sehenden Kindern. Ein finanzieller Ausgleich kann durch das Blindengeld erfolgen.

Blinde Kinder und Jugendliche haben im Übrigen grundsätzlich den gleichen Bedarf wie blinde Erwachsene.

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4.3.2 Spezifischer Mehraufwand für blinde Erwachsene

Hier kann insbesondere bei einer aktiven Lebensgestaltung auf die dazu oben unter 4.2.2 gemachten Ausführungen verwiesen werden. Aufwendungen können darüber hinaus vor allem im Rahmen der persönlichen Fortbildung entstehen, z. B. durch die Umsetzung von Lehrmaterial für einen Lehrgang in angepasste Schriftform.

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4.3.3 Spezifischer Mehraufwand für blinde Senioren

Der normale oder durchschnittliche altersgemäße Hilfebedarf intensiviert sich durch die Blindheit noch erheblich. Zu nennen sind beispielsweise:

  • Vorlesen aus Büchern, Zeitschriften und aus Tageszeitungen. Viele blinde Senioren haben Schwierigkeiten mit der Bedienung elektronischer Lesesprechgeräte oder verstehen die künstliche Sprachansage nur schwer.
  • Erhöhter Schulungs- und Aufklärungsbedarf im Umgang und in der Handhabung von Informations- und Kommunikationstechnologie (z.B. Computer, Mobiltelefon usw.).
  • Gesteigerter Hilfebedarf bei der Haushaltsführung, bei der Körper- und Kleiderpflege, bei der außerhäuslichen Mobilität (z. B. Begleitung bei Spaziergängen) weil es schwerer fällt, Wege alleine zurückzulegen.

Viele im Alter erblindete Menschen können nur selbstbestimmt und selbständig in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben, weil z.B. die Nachbarschaftshilfe genutzt wird oder ein Angehöriger auf eine berufliche Tätigkeit verzichtet oder seine Berufstätigkeit verringert, um sich täglich intensiv der blinden Person widmen zu können.

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4.4 Blindheitsbedingte Nachteile

Die vorstehenden Ausführungen zur Zweckbestimmung des Blindengeldes sind auch im Kontext zu sehen mit soziokulturellen Gegebenheiten, auf die die Blindheit des jeweils Betroffenen Einfluss hat, indem sie sich auf Bedarfslagen intensivierend auswirkt. Die durch die Blindheit hervorgerufenen Nachteile müssen deshalb berücksichtigt werden. Der Nachteilsausgleich war, wie sich aus der Entwicklung der Blindengeldgesetze ergibt, Motiv für alle Gesetzgeber; denn stets wurde auf die besondere Situation blinder Menschen hingewiesen. Diese bringt aber nicht nur Mehrausgaben, wie sie oben dargestellt worden sind, sondern auch sich aus der sozialen Konstellation ergebende Nachteile mit sich. Lassen sich schon die entstehenden Mehraufwendungen konkret auch wegen der unterschiedlichen Lebenssituationen kaum beziffern, so ist das für Nachteile erst recht nicht möglich.

Deshalb ist auch insoweit nur ein pauschalierter Ausgleich praktikabel. Solche Nachteile ergeben sich vor allem im beruflichen, familiären oder partnerschaftlichen Bereich. Das Blindengeld stellt in diesem Zusammenhang allerdings keine Entschädigung für immaterielle Schäden dar. Es hat also keine Schmerzensgeldfunktion. Vielmehr soll der blinde Mensch die Mittel in die Hand bekommen, um die für den Ausgleich der sich aus seiner Situation ergebenden Nachteile ausgleichen zu können.

Eine Benachteiligung für viele, vor allem jüngere Blinde, ergibt sich schon daraus, dass sie nicht verheiratet sind oder in einer Partnerschaft leben. In einer Statistik des bayerischen Blindenbundes von 1979 wird angegeben, dass 50,3% alleine und nur 49,7 % in einer Familie oder Partnerschaft leben. Der durch die Blindheit verursachte Wartungs- und Betreuungsaufwand (siehe oben) wird bei Blinden, die in einer Familie oder Partnerschaft leben, in der Regel von den Familienangehörigen (Eltern, Kinder oder Ehegatten) oder Partnern geleistet. So erfreulich das ist, resultieren daraus oft erhebliche wirtschaftliche Nachteile, weil die Betreuungspersonen deshalb häufig nicht oder nur eingeschränkt berufstätig sein können. Auch dem Ausgleich dieses Nachteils dient das Blindengeld; denn es soll die Pflege- und Betreuungsbereitschaft fördern. Allein lebende Blinde müssen für ihre Wartung und Betreuung Hilfskräfte heranziehen, wodurch Mehraufwendungen entstehen (siehe oben).

Wenn durch das Blindengeld blindheitsbedingte Mehraufwendungen und blindheitsbedingte Nachteile ausgeglichen werden sollen, dann hat das zusammenfassend gesagt den Zweck, den Betroffenen die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen und diese Eingliederung sicherzustellen. Dieser Zweck wird besonders dadurch deutlich, dass in den Landesblindengeldgesetzen die Leistung nicht von Einkommens- und Vermögensgrenzen abhängig gemacht wird. Einkommens- und Vermögensgrenzen würden nämlich dazu führen, dass Blinde oder hochgradig Sehbehinderte, deren Einkommen oder Vermögen über diesen Grenzen liegt, gegenüber Sehenden, die sich in wirtschaftlich gleicher Situation befinden, erheblich benachteiligt würden, wenn sie die blindheitsbedingten finanziellen Belastungen vollkommen selbst tragen müssten. Sie würden in ihrer gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeit erheblich benachteiligt. Dieser Nachteil fiele besonders ins Gewicht, wenn sich der Blinde seine wirtschaftliche Position trotz des vorhandenen Handikaps durch berufliche Leistungen erworben hat. Das Blindengeld hat nämlich auch die Teilfunktion, den Blinden, der anspruchsberechtigt ist, berufsmäßig wettbewerbsfähig gegenüber den Sehenden zu halten. Der Eingliederungs- und Rehabilitationsgedanke stand bei der Entwicklung der Landesblindengeldgesetze von Anfang an weit vor einem Versorgungsdenken.

Zur Zweckbestimmung des Blindengeldes vgl. auch Urteil des BVerwG vom 04.11.1976, V C 7.76, FEVS 25 S. 1 und OVG Lüneburg, Urteil vom 21.01,1970 - IV A 104/68 = FEVS 17, 256 sowie BVerwGE 32 § 89, 91 f. Wie das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung feststellt, dient die Blindenhilfe als Mittel, laufende blindheitsspezifische, auch immaterielle Bedürfnisse des Blinden zu befriedigen. Dem Blinden sollen Möglichkeiten offen stehen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln soziale und gesellschaftliche Kontakte zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen; ebenso zu einem Landesblindengeld: BSG, Urteil vom 05.12.2001 - B 7/1 SF 1/00 R).

Abschließend bleibt noch die Frage der Abgrenzung der Zweckbestimmung.

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4.5 Abgrenzung der Zweckbestimmung

Zur Abgrenzung der Zweckbestimmung des Blindengeldes ist auf folgendes hinzuweisen:

Das Blindengeld dient nicht für den Lebensunterhalt und auch nicht für Unterhaltsleistungen an Dritte. Der - seit vielen Jahren feststehende - Begriff der "Einnahmen zum Lebensunterhalt" wurde und wird zwar sehr weit ausgelegt. Das Bundessozialgericht hat jedoch eine Grenze dort gezogen, wo es um "Hilfen in besonderen Lebenslagen" (im Sinne des alten BSHG) ging (Urteil vom 6.9.2001 - B 12 KR 14/00 R), und hat festgestellt, dass es sich dabei eben nicht um "Einnahmen zum Lebensunterhalt" handelt. Zu diesen "Hilfen in besonderen Lebenslagen" hat die Blindenhilfe nach § 67 BSHG gehört. Dasselbe muss für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII und das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen gelten. Vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 51,281, 287.

Das Blindengeld dient auch nicht zum Ansparen, also zur Kapitalbildung oder zur Schuldentilgung. Rücklagen für besondere blindheitsbedingte Ausgaben, z. B. zur Anschaffung eines teuren Blindenhilfsmittels, sind aber auf Grund der Härtefallregelung in § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bzw. des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erlaubt. Vgl. Urteil des BSG vom 11.12.2007 AZ.: B 8/9b SO 20/06 R = SozR 4-3500 § 90 Nr. 1. In diesem Urteil ging es um die Abgrenzung zur Hilfe zum Lebensunterhalt. Der erkennende Senat hat in diesem Urteil einschränkend festgestellt, dass er nicht über die Anrechnung angesparten Blindengeldes auf andere Sozialhilfeleistungen als die Hilfe zum Lebensunterhalt zu entscheiden hatte.

Vgl. auch 7.4.6 "fehlende Verwendbarkeit" und 10. "Zugriff Dritter auf das Blindengeld".

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5. Rechtsquellen und systematische Einordnung im Sozialrecht

Rechtsquellen für die hier zu behandelnden Ansprüche sind: die Landesblindengeldgesetze (siehe dazu die Übersicht unter 2.2.) und - soweit es um die nachrangige Blindenhilfe geht - der § 72 SGB XII. Nachfolgend wird unter 5.1 ihre rechtssystematische Einordnung vorgenommen. Sodann werden unter 5.2 und den Unterabschnitten die Tatbestandsmerkmale des Blindengeld- oder Blindenhilfeanspruchs im Einzelnen behandelt und verglichen. Hinzuweisen ist zum Verständnis auch auf die Ausführungen unter 2.2. "Leistungen in den übrigen Fällen nach dem SGB XII und den Landesblindengeldgesetzen".

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII und die Landesblindengeldgesetze stehen in enger Beziehung zueinander. Wegen des im Sozialhilferecht nach § 2 SGB XII bestehenden Nachrangprinzips kommt Blindenhilfe nach § 72 SGB XII nur in soweit in Frage, als der Betroffene die erforderliche Leistung nicht von einem anderen Sozialleistungsträger erhält. Wer Leistungen nach einem Landesblindengeldgesetz bekommt, hat deshalb im Umfang dieser Leistungen keinen Anspruch auf Blindenhilfe. Da die Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen in aller Regel niedriger als die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sind, besteht insoweit ein Anspruch auf den Differenzbetrag als ergänzende Blindenhilfe. Dieser Anspruch ist jedoch wiederum auf Grund des Subsidiaritätsprinzips (§ 2 SGB XII) ausgeschlossen, wenn das Einkommen oder Vermögen über den Einkommensgrenzen (SGB XII §§ 85 ff.) oder Vermögensgrenzen (SGB XII §§ 90 ff.) liegt.

Die rechtssystematische Einordnung der Blindengeldgesetze ist für die Auslegung der Rechtsnormen und für die Anwendung der richtigen Rechtsprinzipien maßgeblich.

Bei der Blindenhilfe handelt es sich schon nach dem formalen Sozialrechtsbegriff um Sozialrecht; denn das SGB XII, das das Sozialhilferecht enthält, ist Bestandteil des Sozialgesetzbuches.

Aber auch die Landesblindengeldgesetze sind sozialrecht, zwar nicht nach dem formellen Sozialrechtsbegriff, aber sehr wohl nach dem materiellrechtlichen Sozialrechtsbegriff (auch als funktioneller Sozialrechtsbegriff bezeichnet). Sie haben eine eindeutig sozialrechtliche Ausrichtung, weil sie einen Ausgleich für auf der Blindheit beruhende Nachteile und damit dem Ausgleich von Belastungen des Lebens zum Ziel haben und der freien Entfaltung der Persönlichkeit dienen (vgl. dazu § 1 SGB I). Die Landesblindengeldgesetze mit Ausnahme derjenigen von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen erklären überdies das SGB I (allgemeiner Teil) und X (Verfahrensrecht) für entsprechend anwendbar.

Die Landesblindengeldgesetze sind innerhalb der Bereiche des Sozialrechts - Recht der sozialen Versicherung, der sozialen Entschädigung, der sozialen Fürsorge und der sozialen Förderung - der sozialen Förderung zuzurechnen. Als Leistungen der sozialen Förderung werden solche verstanden, welche dem Ausgleich unverschuldeter, die Chancengleichheit beeinträchtigender Einbußen dienen. Die Leistungen der sozialen Förderung sind rein "sozialstaatlich motiviert". Sie sind vorleistungsunabhängig. Ihnen liegt auch kein einen Entschädigungsanspruch auslösendes Sonderopfer zu Grunde. Deshalb sind sie final ausgestaltet. Typisch für die Maßnahmen der sozialen Förderung ist, dass der Ausgleich sozialer Defizite erstrebt und gesellschaftspolitisch steuernd eingegriffen wird, ohne dass individuelle Bedürftigkeit gegeben sein muss.

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6. Anspruchsvoraussetzungen für das Blindengeld

Die Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssen, damit ein Anspruch auf Blindengeld besteht, sind im Wesentlichen gleich. Vorliegen muss "Blindheit" im sozialrechtlichen Sinne (siehe unten 6.1). In einigen Bundesländern reicht für ein niedrigeres Sehbehindertengeld auch das Vorliegen von "hochgradiger Sehbehinderung" (siehe unten 6.2). Maßgeblich ist dabei der - in der Regel vom Augenarzt - gemessene Grad der Einschränkung des Sehvermögens und dessen standardmäßige Bewertung; maßgeblich ist also nicht eine Bewertung der individuellen Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Der Anspruch knüpft ferner an den rechtmäßigen Aufenthalt des Berechtigten im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes (siehe unten 6.4). Die Höhe der Leistung richtet sich in fast allen Bundesländern nach dem Alter des Antragstellers; meist wird zwischen Minderjährigen und Volljährigen unterschieden, es gibt aber auch noch andere Altersgrenzen. (siehe unten 6.4). Für die Bewilligung des Landesblindengeldes spielen Einkommens- und Vermögensgrenzen keine Rolle. Sie sind jedoch bestimmend für die Gewährung von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII (siehe unten 6.5). Das Landesblindengeld wird erst auf Antrag und vom Antragsmonat an gewährt (siehe unten 6.6).

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6.1 Blindheit

Grundlegende Leistungsvoraussetzung ist nach allen Blindengeldgesetzen Blindheit.

Unter Blindheit ist nicht nur Amaurose (Lichtlosigkeit) zu verstehen. Der Blindheitsbegriff wurde im Blindengeldrecht im Laufe der Entwicklung unterschiedlich definiert. Auf die verschiedenen in der Wissenschaft diskutierten Definitionen der Blindheit, wie z. B. orientierungsbezogene Blindheit, erwerbsbezogene Blindheit oder pädagogikbezogene Blindheit, die teilweise auch in der Entwicklung des Blindengeldrechts eine Rolle gespielt haben, wird hier nicht näher eingegangen. Eine ausführliche Darstellung findet sich in der Dissertation von Demmel auf S. 212 ff.

Für das geltende Recht ist in allen Blindengeldgesetzen einheitlich der sozialrechtliche Blindheitsbegriff maßgebend. Er wird in § 72 Abs. 5 SGB XII folgendermaßen definiert:

"(5) Blinden Menschen stehen Personen gleich, deren beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen."

Die Landesblindengeldgesetze enthalten entweder eine Verweisung auf § 72 Abs. 5 SGB XII oder eine eigene, inhaltlich übereinstimmende Begriffsbestimmung, wobei allerdings in einigen Blindengeldgesetzen, wenn noch ein Restsehvermögen auf beiden Augen vorhanden ist, nicht auf das "beidäugige" Sehvermögen, sondern noch auf das bis vor wenigen Jahren geltende "Sehvermögen des besseren Auges" abgestellt wird. Aber auch bei der Beurteilung der Blindheit nach diesen Gesetzen sollte im Interesse einer einheitlichen Beurteilung auf das beidäugige Sehvermögen abgestellt werden.

Auf § 72 Abs. 5 SGB XII wird in folgenden Gesetzen verwiesen: Brandenburg (§ 2 Nr. 2), Hamburg (§ 1 Abs. 1).

Eigene Definitionen enthalten die Landesgesetze von: Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 2), Bayern (Art. 1. Abs. 2), Berlin (§ 1 Abs. 2), Bremen (§ 1 Abs. 2), Hessen (§ 1 Abs. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 3), Niedersachsen (§ 1 Abs. 2), Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. 1 S. 2), Rheinland-Pfalz (§ 1 Abs. 2 und 3), Saarland (§ 1 Abs. 3), Sachsen (§ 1 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 2), Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 3) und Thüringen (§ 1 Abs. 2).

Bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt, handelt es sich um medizinische Feststellungen. Anknüpfungspunkte in den Blindengeldgesetzen sind einerseits die Sehschärfe, andererseits das Sehvermögen. Unter der Bezeichnung "Sehvermögen" werden in der Augenheilkunde alle Funktionen des Sehorgans, d. h. vor allem Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farben-, Dunkelsehen, Adaptionsvermögen zusammengefasst.

Der einheitlichen Beurteilung der Blindheit im Sozialrecht dienen die Versorgungsmedizin-Verordnung - Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (VersMedV) vom 10.12.2008, (BGBl. I. S. 2412)und die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze", die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung erlassen worden sind. Dazu vgl. auch Heft 02 Abschnitt 2.1. Die VersMedV ist auf Grund der Ermächtigung in § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes ergangen.

Die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" sind im Internet bei www.google.de unter dem Stichwort: "Versorgungsmedizin-Verordnung Anlage zu § 2" zu finden.

Die Blindheit ist in der Anlage zu § 2 VersMedV in Teil A Nr. 6 Buchstabe a) bis c) der Grundsätze wie folgt definiert:

  1. Blindheit und hochgradige Sehbehinderung
  2. Blind ist ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind.
  3. Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor:
    1. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
    2. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
    3. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
    4. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
    5. bei großen Skotomen (Gesichtsfeldausfällen) im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
    6. bei homonymen Hemianopsien (Ausfall einer Gesichtsfeldhälfte an beiden Augen), wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
    7. bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Blind ist auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen.

Wichtige Merkmale sind also die Sehschärfe und das Gesichtsfeld. Die Sehschärfe wird dabei in einem Bruch angegeben. Eine Sehschärfe von 1/50 besagt, dass zwei Punkte in einem Abstand von 50 Winkelminuten erkannt werden. Bei einer Sehschärfe von 1/10 werden zwei Punkte in einem Abstand von 10 Winkelminuten erkannt. Vergröbernd ausgedrückt kann man auch sagen: Wer über eine Sehschärfe von 1/50 verfügt, kann Gegenstände erst in einem Abstand von 1 Meter sehen, die bei normaler Sehschärfe in einem Abstand von 50 Metern erkannt werden.

Eine der schwierigsten Fragen ist, ob Blindheit beim Vorliegen einer visuellen Agnosie (in der Rechtsprechung und Literatur auch bezeichnet als optische oder optisch-visuelle Agnosie) gegeben sein kann. Blindheit kann nur angenommen werden, wenn die Sehbeeinträchtigung auf einem Defekt des optischen Apparates beruht bzw. in der Verarbeitung optischer Reize ihre Ursache hat. Andere hirnorganische Störungen sind nicht zu berücksichtigen. Im Einzelnen vgl. dazu unten 6.1.2.

Im Folgenden wird auf die für die Beurteilung der Blindheit maßgebenden Kriterien näher eingegangen.

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6.1.1 Messung und Bewertung der Sehschärfe und der Gesichtsfeldeinschränkungen, andere Sehstörungen

Sehschärfe und Gesichtsfeld spielen für die Definition der Blindheit eine große Rolle. Sehschärfe von 1/50 besagt, dass zwei Punkte in einem Abstand von 50 Winkelminuten erkannt werden.

Mit den oben unter 5.2.1 aufgeführten Fallgruppen ist der Anwendungsbereich der Blindengeldgesetze nicht ausgeschöpft. Anträge auf Blindengeld für Sehstörungen, die von diesen Fallgruppen nicht erfasst werden, können nicht allein aus diesem Grund abgelehnt werden. Vielmehr ist gerade dann in jedem Einzelfalle eingehend zu prüfen, ob die Sehstörung nach ihrem Schweregrad als gleich schwere Beeinträchtigung zu bewerten ist.

Bei der Beurteilung, ob Blindheit vorliegt, dürfen nämlich nicht nur die Sehschärfe und die Gesichtsfeldeinschränkung herangezogen werden. Vielmehr müssen "alle Störungen des Sehvermögens" Berücksichtigung finden.

Das bedeutet, dass beim Vorliegen solcher Störungen selbst beim Überschreiten der oben angegebenen Werte Blindheit bejaht werden kann. Es muss jedoch eine Störung der Sehfunktion vorliegen.

Angaben über die GDB-Bewertung unterschiedlichster Sehbeeinträchtigungen sind der Anlage zu § 2 VersMedV "Versorgungsmedizinische Grundsätze" Teil B Nr. 4 zu entnehmen.

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6.1.2 Rindenblindheit, visuelle Agnosie, apallisches Syndrom, psychogene Blindheit

Gleichzuachtende Sehstörungen müssen ihre Ursachen jedoch nicht ausnahmslos im Auge selbst haben.

Weil der Sehapparat aus Auge, Sehnerven und Sehzentrum der Gehirnrinde besteht, wird bei vollständigem Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit) übereinstimmend Blindheit bejaht. Die "Rindenblindheit" ist die Folge einer Schädigung der primären Sehrinde in dem Hinterhauptlappen des Gehirns, wie er z.B. nach beidseitigem arteriellem Verschluss der arteria cerebri posterior vorkommt.

Besonders schwierig ist die Beurteilung der Rindenblindheit in Abgrenzung zur visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen. In Teil A Nr. 6 Buchst. C der Versorgungsmedizinischen Grundsätze heißt es:

"Blind ist auch der behinderte Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen."

Blindheit kann nur angenommen werden, wenn die Sehbeeinträchtigung auf einem Defekt des optischen Apparates beruht bzw. in der Verarbeitung optischer Reize ihre Ursache hat. Andere hirnorganische Störungen sind nicht zu berücksichtigen.

Diese Einschränkung wird allerdings in der Rechtsprechung nicht vorgenommen. Vgl. zuletzt SG Osnabrück, Urteil vom 24.06.2009 AZ.: S 9 SB 231/07. Der Leitsatz dieses Urteils lautet: "Auch nach Inkrafttreten der Versorgungsmedizinverordnung kann visuelle Agnosie die Zuerkennung des Merkzeichens Bl begründen." Die Definition der Blindheit in Nr. 6 der VersMedV ist für die Definition der Blindheit nach diesem Urteil nicht maßgebend, § 69 Abs. 4 SGB IX verweise für die Feststellung gesundheitlicher Merkmale von Nachteilsausgleichen lediglich auf das Verfahren nach § 69 Abs. 1 SGB IX, nicht auf die dort angeordnete entsprechende Anwendung der in der VersMedV näher bestimmten versorgungsrechtlichen Maßstäbe. Teil A Nr. 6 VersMedV sei zudem von der Ermächtigung in § 30 Abs. 17 BVG nicht gedeckt. Diese Vorschrift nenne außer Grundsätzen zur GdS-Einschätzung nur Kriterien zur Bewertung der Hilflosigkeit und zu den Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG.

Zur näheren Bestimmung weiterer gesundheitlicher Merkmale – wie Blindheit – ermächtige § 30 Abs. 17 BVG mithin nicht. Vgl. dazu Dirk H. in juris Praxisreport-Sozialrecht 24/2009 Anm. 4 vom 26.11.2009 mit weiteren Hinweisen zur Entwicklung der jüngsten Rechtsprechung. Die Einschränkung in diesem Urteil hinsichtlich der Einschränkung der Ermächtigung in § 30 Abs. 17 BVG ist allerdings nicht zwingend.

Andere cerebrale Schädigungen alleine oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans sind nach der Rechtsprechung jedenfalls ebenfalls als Blindheit im Sinne der Blindengeldgesetze zu bewerten, wenn eine Störung des Sehvermögens vorliegt, die in ihrem Schweregrad einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 oder weniger Gleichzuachten ist. In diesem Zusammenhang muss eine Beurteilung der "visuellen Agnosie" vorgenommen werden.

Das BSG hat in seinem grundlegenden Urteil vom 31.01.1995 - 1 RS 1/93 -, das zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 des saarländischen Blindengeldgesetzes ergangen ist, entschieden, dass ein Anspruch auf Blindenhilfe auch dann bestehe, also Blindheit vorliege, wenn Störungen des Sehvermögens, z. B. infolge einer Optikusschädigung, mit cerebralen visuellen Verarbeitungsstörungen in einer Weise zusammenwirken, dass die Störung des Sehvermögens in ihrem Schweregrad insgesamt einer Sehschärfenbeeinträchtigung im Sinn von § 1 Abs. 3 Nr. 1 des saarländischen Blindengeldgesetzes (nicht mehr als 1/50) gleichzuachten ist". In einem solchen Fall liegt "faktische" Blindheit vor. Da der Blindheitsbegriff in allen Landesblindengeldgesetzen und in § 67 BSHG (jetzt § 72 Abs. 5 SGB XII) bewusst und gewollt gleich ist, kann er, wie das Gericht feststellt, vom BSG im Revisionsverfahren überprüft werden (§ 162 SGG). Das BSG unterscheidet in diesem Urteil und in den Urteilen vom 26.10.2004, Az. B 7 SF 2/03 R und vom 20.07.2005, Az. B 9a BL 1/05 R, welche zum bayerischen Blindengeldgesetz ergangen sind, zwischen "Erkennungs-" und "Benennungsstörungen". Das BSG stellt dazu fest:

"Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen, die dem Bereich der seelisch/geistigen Behinderung zuzuordnen sind, zu differenzieren, ob das Sehvermögen, d. h. das Sehen- bzw. Erkennen-Können, beeinträchtigt ist oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, in der also die Störung nicht das "Erkennen", sondern nur das "Benennen" betrifft."

Die Frage, ob faktische Blindheit nur beim Zusammentreffen von Schädigungen des Sehapparates mit cerebral verursachten Verarbeitungsstörungen, die das Erkennen des Gesehenen betreffen, bejaht werden kann, sofern diese Kombination von Teilursachen der Beeinträchtigung des Sehvermögens von nicht mehr als 1/50 gleichzuachten ist, oder ob auch eine cerebrale Verarbeitungsstörung bei entsprechendem Schweregrad alleine als Ursache ausreicht, hat das BSG im oben erwähnten Urteil des 9a. Senats vom 20. Juli 2005, Az.: B 9a BL 1/05 R (SozR 4-0000) im letzteren Sinn bejaht. Es ist zum Blindheitsbegriff im bayerischen Blindengeldgesetz ergangen. In diesem Urteil wird auch auf die Urteile des BSG vom 31.01.1995 = SozR 3-5920 § 1 Nr. 1 und vom 26.10.2004 SozR 4-5921 Art 1 Nr. 1 sowie die Urteile des LSG Sachsen-Anhalt vom 20. August 1998 - L 5 BL 1/97 - JMBl LSA 1999, 47 und des bayerischen LSG vom 27. Juli 2004 - L 15 BL 1/02 verwiesen.

Das Urteil des 9a. Senats vom 20. Juli 2005, Az.: B 9a BL 1/05 R (SozR 4-0000) ist auch für die Abgrenzung zum apallischen Syndrom bemerkenswert. Das BSG stellt fest: "Schon nach dem Wortlaut der Bestimmung ist es nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruht und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt ist. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind beachtlich, und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans." Das BSG hat seine Entscheidung in folgendem Leitsatz zusammengefasst: "Als blind gilt auch, wer aufgrund schwerer Hirnschädigung visuell nichts wahrnimmt, sofern andere Sinnesmodalitäten wenigstens teilweise noch erhalten sind." In Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung ist zu unterscheiden, ob das Sehvermögen, d.h. das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft." Im letztgenannten Fall kann der Patient einen Gegenstand zwar orten und anfassen, er weiß aber nicht, was das ist. Diese geistige Störung wird nicht als "Blindheit" angesehen. Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist nach dem Urteil des BSG vom 20.07.2005 darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich: Es muss sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genügt es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall waren Tastsinn und Gehör des Klägers von der zentralen Verarbeitungsstörung des Gehirns nicht beeinträchtigt. Das wäre bei einem vollständigen apallischen Syndrom, wie das BSG feststellt, nicht der Fall. Beim Vorliegen von einem vollständigen apallischen Syndrom wird damit faktische Blindheit verneint. Im Urteil ist wörtlich folgendes zu lesen - zunächst zu der ersten Unterscheidung, der zwischen Erkennen- und Benennen-Können: "Die Abgrenzung zwischen Erkennen- und Benennen-Können berücksichtigt, dass die visuelle Wahrnehmung nach den Erkenntnissen der Psychologie ein mehrstufiger Prozess ist, an dessen Beginn die Umwandlung physikalischer Energie in neural codierte Information steht, in dessen Verlauf eine innere Repräsentation des Objekts aufgebaut und ein Perzept des äußeren Reizes gebildet und an dessen Ende diesem Perzept durch Identifizieren und Einordnen eine Bedeutung zugewiesen wird."

Sodann kommt das Gericht zu der neuen, nunmehr als notwendig erkannten zweiten Unterscheidung: "Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich: Es muss sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genügt es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Das ist, wovon das LSG (die Vorinstanz) zutreffend ausgegangen ist, bei einem vollständigen apallischen Syndrom nicht der Fall."

Im konkreten Fall, der dem Urteil zu Grunde lag, handelte es sich um ein damals zweieinhalb Jahre altes mehrfachbehindertes Kind, das noch gerade auf den Unterschied von Hell und Dunkel reagieren konnte. Das in Bayern beantragte Landesblindengeld wurde abgelehnt, zunächst von der Behörde, dann vom Sozialgericht. Von der zweiten Instanz, dem Landessozialgericht, wurde die Leistung zugesprochen. Die Revision der verurteilten Behörde wurde vom Bundessozialgericht zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, beginnend mit der oben genannten ersten Unterscheidung:

"Ist (nicht Auge oder Sehnerv, sondern) erst der Prozess cerebraler Verarbeitung des sensorischen Inputs gestört, so ist wie nach der von der zitierten Rechtsprechung gefundenen Formel maßgebend, auf welcher Stufe die Störung liegt: beim "Erkennen" oder beim "Benennen". Im Einzelfall mag es sich allerdings als schwierig erweisen, eine Störung zu lokalisieren und einer dieser Kategorien zuzuweisen. Im vorliegenden Fall gibt es solche Schwierigkeiten (aber) nicht, denn der Kläger kann nach den Feststellungen des LSG lediglich hell/dunkel wahrnehmen. Er fixiert dargebotene Gegenstände nicht und macht keine Folgebewegungen mit den Augen. Daraus hat das LSG gefolgert, dass der Kläger auf einer sehr frühen Stufe des Prozesses visueller Wahrnehmung Objekte schon nicht "erkennen" kann und damit eine bloße Benennungsstörung perzeptuell repräsentierter Objekte auszuschließen ist."

Und nun zur zweiten Unterscheidung: "Andererseits hat das LSG als entscheidende Ursache für das nahezu fehlende Sehvermögen des Klägers eine generelle cerebrale Minderleistung ausgeschlossen. Der Hirnschaden des Klägers hat nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen keine gleichmäßige und "allgemeine" Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten zur Folge, sondern wirkt sich bei - teilweisem - Erhalt des Gehör- und des Tastsinns besonders durch den fast vollständigen Ausfall der visuellen Modalität aus. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten sind danach nicht ihrerseits so weit herabgesetzt, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich wäre."

Im Folgenden beschäftigt sich das Gericht noch mit der Rüge des Revisionsklägers, das LSG sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in der gebotenen Weise nachgekommen. Auch diese Rüge weist das Bundessozialgericht zurück: Das LSG habe seine Bewertung auf zahlreiche Gutachten augenfachärztlicher Kapazitäten gestützt. Ein weiterer Beweis durch ein neuropsychologisches Gutachten sei nicht erforderlich gewesen.

Mit diesem Urteil dürfte zur Frage der Beurteilung des apallischen Syndroms Klarheit geschaffen worden sein. Der Begriff "apallisches Syndrom" (Wachkoma) beschreibt ein klinisches Syndrom, das durch einen Verlust von Funktionen der Großhirnrinde bei Erhalt der vegetativen Körperfunktionen gekennzeichnet ist. Der Zustand wird als eine Form der permanenten Bewusstlosigkeit definiert. Die Betroffenen haben keine Wahrnehmungsfähigkeit von sich selbst oder ihrer Umgebung. Nach dem Urteil des BSG vom 20.07.2005, Az. B 9a BL 1/05 R, ist die visuelle Wahrnehmung bei einem vollständigen apallischen Syndrom nicht deutlich stärker betroffen als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Eine spezifische Störung des Sehvermögens lässt sich im Vergleich zu den ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen nicht feststellen. Blindheit im Sinne des Gesetzes liegt daher bei einem vollständigen apallischen Syndrom in aller Regel nicht vor. Blindheit muss aber auch bei einem vollständigen apallischen Syndrom angenommen werden, wenn das Augenlicht bereits gemäß Teil A Nr. 6 der Anlage zu § 2 VersMedV vollständig fehlt (z. B. Verlust der Augen beidseits aufgrund eines Unfalles, Rindenblindheit infolge einer umschriebenen und mit bildgebenden Verfahren nachgewiesenen Schädigung beider Sehrinden).

Ausdrücklich mit der Frage Blindheit und Wachkoma und dem Anspruch auf Blindengeld befasst sich das BSG im Urteil des 7. Senats vom 26. Oktober 2004, Az: B 7 SF 2/03 R, (SozR 4-0000). Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der 1952 geborene A.D. litt nach einem Herzinfarkt mit Kreislaufstillstand (im Jahre 1993), aus dem ein hypoxischer Hirnschaden resultierte, an einem apallischen Syndrom (Lähmung aller Gliedmaßen sowie Verlust der Kommunikationsfähigkeit = Wachkoma). A.D. ist am 23. März 2001 verstorben. Der Antrag auf Blindengeld nach dem Bay. Blindengeldgesetz wurde – auch im Widerspruchsverfahren – abgelehnt, weil nicht nachgewiesen werden könne, dass ein die Zahlung von Blindengeld rechtfertigender Defekt des optischen Apparates vorliege. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das LSG hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2003 zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob bei A.D. eine Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorgelegen habe, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe auf maximal 1/50 gleichzuachten gewesen sei (Art 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz <BayBlindG>). Denn selbst wenn dies unter Umständen wegen einer Kombination von Schädigungen des Sehorgans (Opticusatrophie) und das Erkennen-Können betreffender visueller Verarbeitungsstörungen zu bejahen sei, würde ein Leistungsanspruch jedenfalls daran scheitern, dass bei A.D. ausgleichsfähige blindheitsbedingte Mehraufwendungen auf Grund seines Gesamtzustandes nicht angefallen seien. Der Rechtsstreit wurde auf Grund der erfolgreichen Revision an das LSG zurückverwiesen, weil die Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der Frage ermögliche, ob Blindheit im Sinne des BayBlG vorliege. Zur Frage, ob das Blindengeld überhaupt bedarfsgerecht, also seinem Zweck entsprechend verwendet werden könne, führt das BSG aus: "Soweit das LSG die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld mit Rücksicht darauf abgelehnt hat, dass bei dem Verstorbenen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen angefallen seien, widerspricht diese Auslegung der vom Gesetzgeber vorgegebenen und vom Senat nicht auf ihre sozialpolitische Sinnhaftigkeit zu untersuchenden Gesetzeslage. Das streitige Blindengeld - wie auch das nach dem BSHG (jetzt SGB XII) und auch das anderer Bundesländer - wird entgegen der Ansicht des LSG und der Beklagten ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf pauschal gezahlt (BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1S 6; BVerwGE 51, 281,287 (...)). "Typisierend ist also der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass aus einem bestimmten Grad der Sehbeeinträchtigung ausgleichsfähige Aufwendungen mindestens in Höhe des Blindengeldes entstehen. Die aus dieser - auf Praktikabilitätserwägungen beruhenden Typisierung heraus geschaffenen Pauschalen können nicht mit der Argumentation in Frage gestellt werden, die Aufwendungen fielen überhaupt nicht an. Dasselbe gilt für den Einwand, auf Grund der (umfassenden) Behinderung fielen sie ohnedies an. Sinn der gesetzlichen Pauschale ist es vielmehr, hierüber gerade keinen Streit entstehen zu lassen (BSG a.a.O). Das Gesetz lässt nicht erkennen, dass die Gewährung von Blindengeld ausgeschlossen sein soll, wenn die Hilflosigkeit des Betroffenen bereits ohne Berücksichtigung der Störung des Sehvermögens ein nicht mehr steigerungsfähiges Höchstmaß erreicht hat." Demnach kommt es auch bei Wachkomapatienten darauf an, ob Blindheit im Sinne der Blindengeldgesetze nachgewiesen werden kann. Für den Blindheitsbegriff schließt sich das Urteil dem Urteil des 1. Senats vom 31.01.1995 (SozR 3-5920 § 1 Nr. 1) auch für Fälle des Wachkomas an, wonach es schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht maßgeblich sei, "auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruhe und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt sei. Vgl. dazu näher oben. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führten, seien zu berücksichtigen, und zwar alleine oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Danach müssen auch bei Wachkomapatienten die vorhandenen medizinischen Feststellungen, z. B. in Gutachten bewertet werden. Ob ein Anspruch auf Blindengeld besteht, hängt nur von den medizinischen Feststellungen ab. Ausschlaggebend ist dann die Beweislastverteilung. Wenn sich Blindheit im Sinne dieser Rechtsprechung nicht nachweisen lässt, geht das zulasten desjenigen, welcher die Leistung begehrt. In vielen Fällen des Wachkomas wird der Nachweis der Blindheit sehr schwierig sein, so dass der Anspruch an der Beweislast scheitert. Zur Beweislast vgl. Urteil des sächsischen Landessozialgerichts vom 21.12.2005 AZ.: L 6 SB 11/04. Vgl. auch Urteil des Bayerischen Landessozialgericht 15. Senat vom 27.06.2006 AZ.: L 15 BL 4/03 (positiv) und vom 17.01.2006 AZ.: L 15 BL 1/05 und vom 01.08.2006 AZ.: L 15 BL 13/05 (beide negativ weil beim Vorliegen eines apallischen Syndroms die Blindheit nicht zu beweisen war).

Hinzuweisen ist noch auf die psychogene Blindheit. Es gibt Personen, die deshalb nichts sehen können, weil ihre Psyche oder irgendein anderer unbekannter Vorgang im Gehirn sie daran hindert. Der Sehapparat, das heißt: Augen, Sehnerv und die Areale des Gehirns, die die Sehimpulse verarbeiten, sind dabei physiologisch vollkommen intakt. Die Krankheit ist kein exotischer Einzelfall, sondern tritt häufiger auf, als man vermutet. Man hat diese Krankheit ursprünglich als "hysterische Blindheit" bezeichnet, verwendet wurde später auch der Begriff "Konversionsneurose". Wie diese Krankheit "funktioniert", weiß niemand; sie kann bei jedem Patienten ihre individuelle psychische oder somatische Ursache haben. Die Personen sind jedenfalls keine Simulanten, sondern sehen tatsächlich nichts. Allerdings ist dies objektiv nicht messbar, was zur Folge hat, dass - wenn objektivierbare Befunde nicht vorliegen - der Anerkennung als "blind" unüberwindbare Beweisprobleme im Wege stehen.

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6.1.3 Hinweise für die augenärztliche Untersuchung und Begutachtung

Zur Befunderhebung wird in den Grundsätzen in Teil B Nr. 4 festgestellt:

"Die Sehbehinderung umfasst alle Störungen des Sehvermögens. Für die Beurteilung ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe maßgebend; daneben sind u.a. Ausfälle des Gesichtsfeldes und des Blickfeldes zu berücksichtigen. Die Sehschärfe ist grundsätzlich entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) nach DIN 58220 zu prüfen; Abweichungen hiervon sind nur in Ausnahmefällen zulässig (z.B. bei Bettlägerigkeit oder Kleinkindern). Die übrigen Partialfunktionen des Sehvermögens sind nur mit Geräten und Methoden zu prüfen, die den Richtlinien der DOG entsprechend eine gutachtenrelevante einwandfreie Beurteilung erlauben. Bei Nystagmus richtet sich der GdS nach der Sehschärfe, die bei einer Lesezeit von maximal einer Sekunde pro Landolt-Ring festgestellt wird.

Hinsichtlich der Gesichtsfeldbestimmung bedeutet dies, dass nur Ergebnisse der manuell-kinetischen Perimetrie entsprechend der Marke Goldmann III/4 verwertet werden dürfen. Bei der Beurteilung von Störungen des Sehvermögens ist darauf zu achten, dass der morphologische Befund die Sehstörungen erklärt. Die Grundlage für die GdS-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe bildet die "MdE-Tabelle der DOG".

Insbeson­dere ein Nachweis, dass aufgrund einer visuellen Agnosie eine Erkennungsstörung vorliegt, wird nur bei ausreichendem Bewusstsein möglich sein. Wegen des im Verwaltungsverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 20 SGB X) und des Grundsatzes der objektiven Beweislast, wonach die Nichterweislichkeit von Anspruchsvoraussetzungen zu Lasten des den Anspruch Begehrenden geht, muss die medizinische Begutachtung mit besonderer Sorgfalt und höchstem Verantwortungsbewusstsein durchgeführt werden. Wenn es um die Beurteilung cerebraler Verarbeitungsstörungen geht, müssen neben subjektiven und objektiven ophthalmologischen Untersuchungen (visuell evozierte potentiale - VEP (z.B. in der Form eines Schachbrett-VEP oder bildgebende Verfahrens - Computertomographie oder Magnet-Resonanz-Tomographie) neurologisch-psychiatrische Untersuchungen herangezogen werden können.

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6.2 Hochgradige Sehbehinderung

In folgenden 6 Ländern erhalten nach den Landesblindengeldgesetzen hochgradig Sehbehinderte (in Hessen als "wesentlich Sehbehinderte" bezeichnet) zum Ausgleich der aus dieser Behinderung resultierenden Nachteile Leistungen: Berlin (§ 1 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 2), Hessen (wesentlich Sehbehinderte) (§§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1, 3 und 4), Nordrhein-Westfalen (§ 4), Sachsen (§ 1 Abs. 1 und 2 und § 2) und Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4).

In Teil A Nr. 6 Buchst. D) der versorgungsmedizinischen Grundsätze heißt es:

"(...)Hochgradig in seiner Sehfähigkeit behindert ist ein Mensch, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder wenn andere hinsichtlich des Schweregrades gleich zusetzende Störungen der Sehfunktion vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Einschränkung des Sehvermögens einen GdS von 100 bedingt und noch keine Blindheit vorliegt."

Die in den Landesblindengeldgesetzen enthaltenen Bestimmungen stimmen mit dieser Definition überein. In § 1 Abs. 3 des hessischen Landesblindengeldgesetzes wird anstelle des allgemein üblichen Begriffs "hochgradig Sehbehinderte" der Begriff "wesentlich Sehbehinderte" verwandt. Da die gesetzliche Definition in § 1 Abs. 3 dann aber die Werte von 1/20 Sehschärfe bzw. gleichschwere Beeinträchtigungen nennt, ist klargestellt, dass "hochgradig Sehbehinderte" und nicht "wesentlich sehbehinderte Menschen" im Sinn von § 1 Nr. 4 Buchstaben a) und b) der Eingliederungshilfeverordnung (Verordnung nach § 60 SGB XII) gemeint sind.

Im Sozialhilferecht ist nach § 72 SGB XII für hochgradig Sehbehinderte keine Leistung vorgesehen.

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6.3 Dauer der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Diese Einschränkung ist in allen Landesblindengeldgesetzen und in § 72 Abs. 5 SGB XII enthalten.

Unter "vorübergehend" ist ein Zeitraum von bis zu 6 Monaten zu verstehen. So ausdrücklich Art. 1 Abs. 2 S. 4 BayBlG, § 1 Abs. 2 S. 2 des Blinden- und Gehörlosengeldgesetzes für Sachsen-Anhalt.

Der Zeitraum von 6 Monaten entspricht auch den Regelungen im sozialen Entschädigungsrecht und im SGB IX. Danach gilt als vorübergehend ein Zeitraum von bis zu 6 Monaten. Vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Dieser lautet:

"(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist."

Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung, die nur 6 Monate oder weniger anhält (z. B. behebbare Netzhautablösung, Netzhautblutung bei Diabetikern, erfolgreiche Staroperation kurz nach Reduktion des Sehvermögens auf 1/50 bzw. 1/20), ist somit nicht zu berücksichtigen.

Das Erfordernis, dass die Blindheit bzw. die gleichzuachtenden Beeinträchtigungen des Sehvermögens mindestens sechs Monate dauern müssen, bedeutet nicht, dass der Anspruch erst nach sechs Monaten entsteht. Vielmehr muss bei der Beurteilung, ob Blindheit im Sinn des Gesetzes vorliegt, eine entsprechende Prognose gestellt werden. Steht fest, dass die Sehschädigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sechs Monate dauern wird, ist Blindheit oder hochgradige Sehschädigung von Anfang an anzunehmen.

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6.4 Der Aufenthalt als Leistungsvoraussetzung

In den Blindengeldgesetzen der Länder wird die Leistungsberechtigung daran geknüpft, dass der Betroffene im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes seinen Wohnsitz bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein Blinder mit Aufenthalt in Bayern erhält also grundsätzlich nur Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz, ein Blinder in Hamburg nur Blindengeld nach dem Hamburger Blindengeldgesetz; wird nach Bundesrecht Blindenhilfe in Anspruch genommen, muss der Betreffende sich in Deutschland aufhalten. Diese Gesetze folgen damit dem im Sozialrecht für steuerfinanzierte Leistungen typischen Territorialitätsprinzip. Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt muss rechtmäßig sein. Bei der Frage, ob sich der Anspruchsteller im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes rechtmäßig aufhält, besteht zwischen Deutschen im Sinn von Art. 116 GG und Ausländern bzw. Staatenlosen ein Unterschied. Auch Ausländer oder Staatenlose sind dann anspruchsberechtigt, wenn sie sich rechtmäßig im Geltungsbereich eines Landesgesetzes aufhalten und dort den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (dazu im einzelnen unten).

Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ist in den Landesblindengeldgesetzen unterschiedlich formuliert:

  1. Alternativ werden der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt genannt in den Gesetzen von Bayern (Art. 1 Abs. 1), Berlin (§ 1 Abs. 1), Hessen (§ 1 Abs. 1), Saarland (§ 1 Abs. 1), Sachsen (§ 1 Abs. 1), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 1) und Thüringen (§ 1 Abs.1).
  2. Nur vom "gewöhnlichen Aufenthalt" sprechen die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 1), Bremen (§ 1 Abs. 1), Hamburg (§ 1 Abs. 2 Nr. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1), Niedersachsen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1), Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. 2 für Blinde und § 4 Abs. 2 für hochgradig Sehbehinderte), Rheinland-Pfalz (§ 1 Abs. 1) und Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 1). Selbstverständlich wird in diesen Gesetzen der Wohnsitz mit umfasst.

Die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt richten sich nach § 30 SGB

  1. Maßgebend sind danach in erster Linie die tatsächlichen Verhältnisse.

Der Geltungsbereich eines Blindengeldgesetzes kann im Gesetz selbst eingeschränkt oder ausgedehnt werden (§ 37 SGB I). Von dieser Möglichkeit wurde in einigen Landesgesetzen für die Regelung der Zahlung von Blindengeld bei Heimunterbringung vor allem in einem anderen Bundesland oder zur Abwehr von Ansprüchen bei Zuzug in ein Heim aus einem anderen Bundesland sowie bei einer Unterbringung auf richterliche Anordnung Gebrauch gemacht.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII kommt es grundsätzlich auf den tatsächlichen Aufenthalt an (§ 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Für die Anspruchsberechtigung von Ausländern ist hier § 23 SGB XII zu beachten (dazu vgl. 6.4.7).

Bevor auf die einzelnen Regelungen eingegangen wird, werden die Begriffe "Wohnsitz" (6.4.1), gewöhnlicher Aufenthalt" (6.4.2), "tatsächlicher Aufenthalt" (6.4.3) und "Einrichtung" (6.4.4) erläutert.

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6.4.1 Der Wohnsitz

Nach § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, "wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird." Dieser Wohnsitzbegriff ist nicht identisch mit dem Wohnsitzbegriff der §§ 7 ff. BGB. Die Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" nach § 30 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB I sind dem Steuerrecht nachgebildet (vgl. §§ 8 und 9 Abgabenordnung). Der sozialrechtliche Wohnsitzbegriff weicht von dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff des § 7 BGB insoweit ab, als zu seiner Bestimmung nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen, sondern auf objektive Merkmale abgestellt wird. § 30 Abs. 3 SGB I soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, dass durch die rein formelle Begründung eines Wohnsitzes Sozialleistungen erlangt werden können. Entscheidend ist, dass der Mittelpunkt der Lebensführung an diesem Ort besteht.

Die Unterhaltung eines Wohnsitzes erfordert ein reales Verhalten im Bezug auf einen Lebensmittelpunkt. Es muss ein realisierbarer Wille zur Begründung und Aufrechterhaltung des Wohnsitzes vorhanden sein. Auf die polizeiliche Meldung kommt es nicht an. Die Begründung oder Beibehaltung eines Wohnsitzes ist keine geschäftsähnliche Handlung, die einen entsprechenden Domizilwillen voraussetzt. Anders als im BGB können Minderjährige ohne, ja sogar gegen den Willen ihres gesetzlichen Vertreters einen sozialrechtlichen Wohnsitz begründen. Eine Wohnung muss vorhanden sein. Bei der Wohnung muss es sich um Räumlichkeiten handeln, die als ständiges Heim geeignet sind. Ausstattung und sonstige Gegebenheiten müssen auf eine - zumindest regelmäßige - Benutzung hinweisen. Nicht erforderlich ist allerdings eine ständige, ununterbrochene Anwesenheit. So geht der Wohnsitz selbst dann nicht verloren, wenn sich der Inhaber zu Studien- oder Ausbildungszwecken bzw. zur Schulausbildung oder zur vorübergehenden Berufsausbildung längere Zeit in einem anderen Bundesland, ja selbst im Ausland aufhält, wenn die Wohnung jederzeit zur Benutzung zur Verfügung steht und der Berechtigte nicht die Absicht hat, sich auf unabsehbare Zeit in einem anderen Bundesland oder im Ausland aufzuhalten und seiner Rückkehr keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen. Ein vorübergehender auswärtiger Aufenthalt bis zu zwei Jahre wird in der Regel für unschädlich gehalten. Zu den Anforderungen an die Wohnung am Heimatort bei Auslandsstudium vgl. BSG Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94 .

Eine Person kann mehrere Wohnsitze nebeneinander, und damit auch in verschiedenen Bundesländern oder im Inland und Ausland, haben. Die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu den verschiedenen Wohnsitzen dürfen sich ihrer Intensität nach jedoch nicht wesentlich unterscheiden.

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6.4.2 Der gewöhnliche Aufenthalt

In den Landesblindengeldgesetzen wird alternativ zum Wohnsitz an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. In den meisten wird sogar nur der "gewöhnliche Aufenthalt" gefordert.

Nach der Legaldefinition in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, "wo er sich u. U. aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt".

Für den gewöhnlichen Aufenthalt ist keine stets verfügbare Wohnung, wohl aber eine Unterkunft erforderlich. Der Gegensatz zum gewöhnlichen Aufenthalt ist der vorübergehende Aufenthalt. Damit tritt der Zweck des Verweilens in den Vordergrund; denn ob sich jemand gewöhnlich oder nur vorübergehend in einem Gebiet aufhält, lässt sich nur "im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise" entscheiden. Bei dieser Prognose müssen alle bei Beginn des zu beurteilenden Zeitraumes erkennbaren Umstände berücksichtigt werden. Vorübergehend ist ein Aufenthalt, wenn und solange den gesamten Umständen nach anzunehmen ist, dass er beschränkt sein soll. Maßgebend dafür, ob ein dauernder (gewöhnlicher) oder ein vorübergehender Aufenthalt vorliegt, sind damit zunächst die Motive, die den Einzelnen leiten und sein Wille (BSG Urteil vom 24.05.1967, Az. 4 RJ 201/66, in BSGE 26, 277, 278). Die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dürfen diesem Willen aber nicht entgegenstehen (BSG Urteil vom 31.01.1980, Az. 8 b RKg 4/79, in BSGE 49, 254, 256). Es müssen objektive Momente vorliegen, die auf ein längeres Verweilen schließen lassen. Auf eine bestimmte Zeitdauer, z. B. mindestens sechs Monate, kommt es nicht an. Das ergibt sich daraus, dass, obwohl § 30 SGB I dem Steuerrecht nachgebildet wurde, die entsprechende Bestimmung aus § 9 AO nicht übernommen worden ist. Der Wille, auf längere Dauer an einem Ort zu verweilen, kann ein, den gewöhnlichen Aufenthalt begründendes Element sein, wenn der Realisierbarkeit keine Hindernisse im Wege stehen. Bei einer längeren tatsächlichen Verweildauer ist regelmäßig ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben, wenn nicht der Wille zu nur vorübergehendem Verbleib an diesem Ort besteht und deshalb der gewöhnliche Aufenthalt an einem anderen Ort nicht aufgegeben worden ist. Ist das Ende des Aufenthalts bereits konkret absehbar, spricht dies gegen einen dauernden Aufenthalt. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nämlich nicht gleichbedeutend mit "niemals abwesend sein". Auch eine Abwesenheit von längerer Dauer hebt dann den gewöhnlichen Aufenthalt nicht auf, wenn die Absicht oder Wahrscheinlichkeit besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und wenn gefestigte Beziehungen zu diesem früheren Aufenthaltsort aufrechterhalten bleiben. Das BSG hat zur Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes ein Dreistufenschema entwickelt. Es prüft: 1. den tatsächlichen Aufenthalt, 2. die Umstände des Aufenthalts und nimmt 3. eine Würdigung der Umstände vor, wobei es insbesondere ermittelt, ob der Betroffene am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet nicht nur vorübergehend verweilt, wo er sozusagen seinen Lebensmittelpunkt hat.

Der Lebensmittelpunkt bleibt erhalten, wenn am Heimatort eine Unterkunft verfügbar ist und wenn der auswärtige Aufenthalt von seiner Zweckbestimmung her auf den vorhandenen Rückkehrwillen schließen lässt. Das ist z. B. in folgenden Fällen anzunehmen:

  • Von vornherein befristeter Arbeitsvertrag z. B. Saisonarbeit.
  • Besuch einer auswärtigen Internatsschule, wenn die familiären Beziehungen bestehen bleiben, wofür Wochenendheimfahrten und Ferienaufenthalte bei den Eltern ein Indiz sind.
  • Berufsausbildung oder Berufsumschulung in einem anderen Land, insbesondere, wenn diese Ausbildung oder Umschulung in einem Berufsbildungs- bzw. Berufsförderungswerk oder anderem Rehabilitationszentrum absolviert wird. Rehabilitationsmaßnahmen sind stets befristet.
  • Auswärtiger Studienaufenthalt, soweit die familiären Bindungen bestehen bleiben und die Rückkehr an den Heimatort nicht nur rein besuchsmäßigen Charakter hat.

Vgl. dazu Urteil des BSG SozR 7833, § 1 Nr. 1; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.03.1992 - L 7 V 757/91 (hier wurde die Beibehaltung des heimatlichen gewöhnlichen Aufenthaltes in Baden-Württemberg für einen Rehabilitanden, der sich zunächst für ein Jahr im Berufsförderungswerk Veitshöchheim und dann für ein weiteres halbes Jahr zur Absolvierung einer Masseurausbildung, ebenfalls in Veitshöchheim, aufhielt, angenommen); Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 12.06.1997 - L 4 V 14/97; Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25.02.1994 - L 4 V 76/93 = Behindertenrecht 1994, S. 134 ff. (Auch nach dieser Entscheidung wird durch die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme mit internatsmäßiger Unterbringung in einem Berufsförderungswerk (Berufsförderungswerk Veitshöchheim) unter Beibehaltung der bisherigen Wohnung am Heimatort am Ort des Berufsförderungswerkes kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des SGB I, § 30 Abs. 3 begründet. Mit dieser Entscheidung wurde gleichzeitig die Rechtsprechung des LSG für Rheinland-Pfalz in den Entscheidungen des 2. Senats, Urteil vom 25.02.1991 - L 2 P 2/92 und - L 2 P 5/90 aufgegeben).

Bei Ausländern ergibt sich der Zweck des Aufenthalts, der für die Beurteilung als vorübergehend oder dauernd maßgebend ist, oft aus der ausländerrechtlichen Behandlung der Einreise (Sichtvermerk).

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6.4.3 Der tatsächliche Aufenthalt

Für die Zuständigkeit bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist grundsätzlich der tatsächliche Aufenthalt maßgebend. Für Blinde, die wegen Heimbetreuungsbedürftigkeit in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen leben, ist jedoch abweichend davon für die Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt, welcher vor der Aufnahme bestand, maßgebend. Das ergibt sich aus § 109 SGB XII. Diese Vorschrift dient dem Schutz der Sozialhilfeträger, in deren Zuständigkeitsbereich Einrichtungen und Vollzugsanstalten gelegen sind (so genannter Schutz der Einrichtungs- bzw. Anstaltsorte). Der gewöhnliche Aufenthalt in einer solchen Institution könnte an sich sowohl die Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen als auch die Kostenerstattungspflicht gegenüber einem anderen Träger der Sozialhilfe begründen. Dies schließt § 109 aus, in dem fingiert wird, dass der Aufenthalt in einer Einrichtung bzw. Vollzugsanstalt nicht als gewöhnlicher Aufenthalt gilt, soweit dieser Aufenthalt Bedeutung für die Zuständigkeitsregelungen des Kap. 12 SGB XII und für die Kostenerstattungsvorschriften zwischen Sozialhilfeträgern des Kap. 13 Abschn. 2 SGB XII hat. Um welche Einrichtungen es sich handelt, ist § 98 Abs. 2 SGB XII zu entnehmen, auf welchen in § 109 SGB XII verwiesen wird. Hierunter fallen nach § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 SGB XII Institutionen, in denen der Betroffene lebt und die erforderlichen Hilfen in Form der Pflege, der Behandlung oder eines sonstigen nach SGB XII zu deckenden Bedarfs oder der Erziehung erhält. Der Leistung Begehrende muss der Betreuung durch diese Einrichtung bedürfen, so genannte Einrichtungsbetreuungsbedürftigkeit. Das ist der Fall, wenn der Leistung Begehrende der Fürsorge durch Andere bedarf und aus diesem Grund seine Aufnahme in die Einrichtung nützlich und zweckmäßig, wenn auch nicht unbedingt erforderlich ist (VGH BW, Urteil vom 01.12.1995, 6 S 1814/95, FEVS 46 S. 296).

Zieht dagegen der Blinde in eine Einrichtung, z. B. ein Altenheim, ohne dass Heimbetreuungsbedürftigkeit z. B. infolge von Pflegebedürftigkeit gegeben ist, bleibt es bei der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des tatsächlichen Aufenthaltes gemäß § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII , also am Ort der Einrichtung.

Tatsächlicher Aufenthalt (§ 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII) bedeutet die körperliche Anwesenheit des Leistungsuchenden im Bereich eines Sozialhilfeträgers - entweder eines örtlichen oder eines überörtlichen (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 98 Rn. 6; Schoch, in: LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 98 Rn. 8). Die Vorschrift setzt voraus, dass jede Person zum gleichen Zeitpunkt immer nur einen einzigen tatsächlichen Aufenthalt haben kann. Andernfalls gäbe es in bestimmten Fällen mehrere zuständige Sozialhilfeträger, was ja gerade durch Abs. 1 Satz 1 ausgeschlossen werden soll. Es spielt keine Rolle, ob es sich bei dem tatsächlichen Aufenthalt um einen nur vorübergehenden oder um einen ständigen Aufenthalt handelt. Deshalb reicht auch eine nur kurze Aufenthaltsdauer zur Begründung der Zuständigkeit aus (Fichtner/Wenzel, a.a.O., § 98 Rn. 3). Bewegt sich ein Leistungsuchender regelmäßig zwischen zwei Orten, so hängt die örtliche Zuständigkeit davon ab, welcher Ort den familiären Lebensmittelpunkt bildet und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungssuchenden maßgeblich bestimmt (VGH BW, Urteil v. 23.11.1995, 6 S 941/93, FEVS 46, 449; BVerwG, Urteil v. 23.6.1994, 5 C 26/92, FEVS 45 S. 138). Ein nur kurzer Aufenthalt an einem anderen Ort beendet weder die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des Lebensmittelpunktes noch begründet er einen neuen Aufenthaltsort (BVerwG, Urteil v. 5.3.1998, 5 C 12/97, FEVS 48 S. 433; BVerwG, Urteil v. 22.12.1998, 5 C 21/97, FEVS 51 S. 146). Andernfalls würde ein ständiger Wechsel der Zuständigkeit eintreten, was ersichtlich von § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verhindert werden soll.

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6.4.4 Einrichtungen

Auf den Blindengeldanspruch wirkt sich die Unterbringung in einer "Einrichtung" in verschiedener Weise aus. Von ihr kann das Bestehen des Anspruchs, die Zuständigkeit des zur Leistung verpflichteten oder auch die Höhe der Leistung abhängen. Die Landesblindengeldgesetze enthalten keine Definition des Begriffes einer Einrichtung. Sie sprechen von "Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen". Auch wenn nicht auf § 13 SGB XII verwiesen wird, ist im Interesse einer Rechtseinheit auf die dort enthaltene Definition, die ja auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII maßgebend ist, zurückzugreifen. Der Begriff der "Einrichtung" wird in § 13 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 SGB XII definiert. Die Definition wurde aus dem früheren § 97 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes entnommen, so dass auch auf die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann.

Einrichtungen sind danach alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen. Vollstationäre Einrichtungen sind nach § 13 Abs. 1 S. 2 SGB XII Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte rund um die Uhr leben und die erforderlichen Hilfen erhalten.

Die Begriffe Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtung sind hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung und Qualität identisch, so dass von einem einheitlichen Begriff auszugehen ist. Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Der Anstaltsbegriff wird häufig bei Großeinrichtungen, wie z. B. Kliniken, Krankenhäusern, Sanatorien oder Rehabilitationszentren verwendet. Unter Heimen werden Einrichtungen von mittlerer Größe mit überschaubarem, familiärem Charakter verstanden. Von gleichartigen Einrichtungen spricht man bei heimäquivalenten Institutionen, bei denen die Bezeichnung Anstalt oder Heim nicht recht passen würde, wie z. B. bei therapeutischen Wohngemeinschaften, auf die aber zum Unterschied freier Wohngemeinschaften alle wesentlichen Merkmale des Anstalts- bzw. Heimbegriffes zutreffen. Damit von Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen gesprochen werden kann, muss zur Durchführung von Hilfen nach dem SGB XII eine besondere Organisationsform unter verantwortlicher Leitung bestehen. Es muss ein unter dieser Leitung zusammengefasster Bestand an persönlichen und sächlichen Mitteln, der auf eine gewisse Dauer angelegt und für einen größeren, wechselnden Personenkreis bestimmt ist, vorhanden sein.

Da sich in der Praxis mittlerweile ganz verschiedene Angebote von "Betreuungsformen bzw. -angeboten" entwickelt haben, muss immer genau geprüft werden, ob eine Einrichtung vorliegt oder nicht.

Zu den Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen zählen z. B.: Altenpflegeheime, Altenheime, Blindenheime, sofern sie keine reinen Wohnheime sind, mit Förderschulen verbundene Internate, Internatsschulen, Kinderheime, SOS-Kinderdörfer, Waisenhäuser, Schüler- und Lehrlingsheime, Wohnheime für Behinderte, die in einer davon getrennten Werkstätte betreut werden, Erholungsheime, Sanatorien und Krankenhäuser. So genannte Wohngruppen sind eine Einrichtung, wenn sie einer Einrichtung zugeordnet oder in einem Einrichtungsverbund angesiedelt sind oder wenn sie etwa als Außenwohngruppe geführt werden.

Nicht zu den Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im Sinn von § 13 Abs. 2 SGB XII zählen z. B. Altenwohnheime, Blindenwohnheime, Wohnheime für Studenten und Berufstätige, Frauenhäuser, Asylbewerberheime, Spätaussiedlerheime, Jugendherbergen, Übernachtungsstätten für Wohnungslose. Wohngemeinschaften, selbst in der Form des "betreuten Wohnens", sind in der Regel keine Heime oder gleichartigen Einrichtungen; denn die Mitglieder der Wohngemeinschaft haben eine höhere Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit. Das gilt insbesondere dann, wenn die notwendige Hilfe selbst organisiert und bezahlt werden muss. In diesen Fällen tritt die durch die Heimunterbringung entstehende Entlastung nicht ein.

Die richterlich angeordnete Freiheitsentziehung spielt im Blindengeldrecht ebenso wie die Betreuung in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen eine Rolle.

Einrichtungen für den Vollzug des richterlich angeordneten Freiheitsentzugs sind jedoch keine Anstalten, Heime oder gleichartigen Einrichtungen im Sinn von § 13 Abs. 2 SGB XII. Sie sind durch den besonderen Zweck geprägte Institutionen. Richterlich angeordnete Freiheitsentziehung liegt vor beim Vollzug von Strafhaft, Untersuchungshaft, der Durchführung von Maßregeln zur Besserung und Sicherung, der Absonderung nach dem Infektionsschutzgesetz, nach dem Geschlechtskrankheitengesetz, bei der Unterbringung psychisch Kranker und Suchtkranker nach den Unterbringungsgesetzen der Länder. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung sind z. B. die Justizvollzugsanstalten, die Einrichtungen zur Sicherungsverwahrung, die geschlossenen Abteilungen eines psychiatrischen Krankenhauses und Entziehungsanstalten für Suchtkranke. Zur richterlich angeordneten Freiheitsentziehung vgl. auch 7.4.7.

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6.4.5 Verlegung des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes innerhalb Deutschlands

Zu den Begriffen "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" vgl. oben 6.4.1 und 6.4.2. Mehrere Wohnsitze und auch mehrere gewöhnliche Aufenthalte nebeneinander sind möglich. Zu den Wohnsitzen oder Aufenthalten müssen jedoch gleichwertige Beziehungen bestehen (BSG, Urteil vom 27.04.1978 - 8 RKg 2/77 SozSich 1978, S. 221). Mehrere Wohnsitze und/oder gewöhnliche Aufenthalte können jedoch nicht zu einem mehrfachen Bezug von Sozialleistungen führen, die ein und demselben Zweck dienen. Wenn die Voraussetzungen für die Sozialleistungen an verschiedenen Orten gleichzeitig bestehen, hat der Berechtigte ein Wahlrecht. Die Sozialleistung kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Anspruch auch an einem anderen Ort gegeben wäre. Für das Vorliegen der Voraussetzungen ist derjenige beweispflichtig, der einen Anspruch auf Sozialleistungen geltend macht (objektive Beweislastregel).

Die Begründung oder Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes bzw. die Ausübung des Wahlrechts bei mehreren Wohnsitzen oder gewöhnlichen Aufenthalten wirkt sich auf die Zuständigkeit des Leistungspflichtigen aus.

Bei der Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes innerhalb eines Landes bleibt der Anspruch auf Blindengeld nach dem in diesem Land geltenden Landesblindengeldgesetz erhalten. Sollte die Zuständigkeit der das Gesetz ausführenden Behörde wechseln, so ist kein neuer Antrag, sondern nur eine Benachrichtigung der für den neuen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Behörde notwendig.

Komplizierter wird es, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in ein anderes Bundesland verlegt wird.

Obwohl der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Geltungsbereich des jeweiligen Landesblindengeldgesetzes Voraussetzung für den Anspruch ist, bedeutet das nicht, dass nicht auch ein Anspruch auf Leistungen beim Aufenthalt außerhalb der Landesgrenzen bestehen bzw. beim Aufenthalt innerhalb der Landesgrenzen ausgeschlossen sein kann. Die Ursache dafür ergibt sich einmal aus den Begriffen Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt (vgl. oben 6.4.1 und 6.4.2) und zum anderen aus einschränkenden bzw. grenzüberschreitenden Bestimmungen in den Landesblindengeldgesetzen. Diese Regelungen beziehen sich auf die dauerhafte Aufnahme in eine Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung bzw. auf die Unterbringung aufgrund einer richterlichen Entscheidung.

Verlegt ein Blinder seinen ersten Wohnsitz in ein anderes Bundesland bzw. gibt er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Bundesland auf, entfällt der Blindengeldanspruch in dem Bundesland des ursprünglichen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, soweit nicht Sonderregelungen für die Aufnahme in eine Einrichtung bestehen. Der Blindengeldanspruch richtet sich dann nach dem Blindengeldgesetz des Zuzugslandes. Dort muss deshalb ein neuer Antrag gestellt werden. Es liegt kein Fall des § 16 SGB I vor. Nur wenn feststeht, dass trotz Wegzuges der erste Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt beibehalten worden ist, z. B. weil der Aufenthalt in einem anderen Bundesland von vornherein zeitlich beschränkt war (z. B. Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in einem anderen Bundesland) besteht der Blindengeldanspruch nach dem Blindengeldgesetz des "Heimatlandes" weiter (vgl. 6.4.1 und 6.4.2). Wenn der Wegzug, der zum Untergang des Blindengeldanspruchs führt, der für das Blindengeld im Ursprungsland zuständigen Stelle verspätet gemeldet wird, muss der überzahlte Betrag nach Maßgabe von § 48 SGB X zurückerstattet werden.

Besondere Probleme ergeben sich, wenn ein Blinder unmittelbar von einem Bundesland auf Dauer in eine Einrichtung in einem anderen Bundesland verzieht. Im Wegzugsland besteht dann kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt mehr. Einerseits geht der Blindengeldanspruch unter, wenn im Blindengeldgesetz des Wegzugslandes für diesen Fall keine Sonderregelung besteht. Andererseits schließen einige Landesblindengeldgesetze für den Fall einer unmittelbaren Aufnahme in eine Einrichtung (d.h. innerhalb von 2 Monaten nach dem grenzüberschreitenden Umzug) beim Zuzug aus einem anderen Bundesland den Blindengeldanspruch aus. In solchen Fällen bleibt nur der Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, wobei es für die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers wegen § 109 SGB XII auf den tatsächlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung ankommt (s. o. 5.2.4.3).

Solche Abwehrregelungen enthalten die Blindengeldgesetze von Bremen (§ 1 Abs. 1 S. 3), Hamburg (§ 1 Abs. 2 Nr. 3), Hessen (§ 1 Abs. 1 S. 2 und 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs1 1 S. 3), Niedersachsen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3) und Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 1 S. 3). Zur Abwehr wird dabei in aller Regel auf § 109 SGB XII bzw. noch auf § 109 BSHG verwiesen. § 109 SGB XII lautet: "Als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels, Zweiter Abschnitt, gelten nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 (SGB XII) und der auf richterlich angeordneter Freiheitsentziehung beruhende Aufenthalt in einer Vollzugsanstalt."

Gemäß dieser Vorschrift wird im Zusammenhang mit den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit der Sozialämter und über die interne Kostenerstattung zwischen den Sozialämtern fingiert, dass der Aufenthalt in einer Einrichtung kein "gewöhnlicher Aufenthalt" ist.

Das gleiche Problem besteht beim Zuzug in eine Einrichtung in Brandenburg und Rheinland-Pfalz. In Brandenburg (§ 4 Abs. 1) und in Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 1) wird nämlich Blinden in einer Einrichtung überhaupt kein Blindengeld gewährt. Nur wenn das Blindengeldgesetz des Ursprungslandes eine grenzüberschreitende Regelung für die Aufnahme in einer Einrichtung in einem anderen Land enthält, bleibt nach Maßgabe dieser Sonderregelungen der Blindengeldanspruch gegenüber dem Wegzugsland erhalten.

Grenzüberschreitende Regelungen, nach welchen Blindengeld auch bei Aufnahme in eine Einrichtung in einem anderen Land gewährt wird, enthalten die Blindengeldgesetze von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 1 S. 2), Bremen (§ 1 Abs. 1 S. 2), Hamburg (§ 1 Abs. 2 Nr. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 1 S. 2), Niedersachsen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2), Nordrhein-Westfalen (§ 1 Abs. 2) (für Blinde, nicht jedoch für Sehbehinderte), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 1 S. 2), Schleswig-Holstein( § 1 Abs. 1 S. 2) und Thüringen (§ 1 Abs. 1 S. 2). Zum Begriff der Einrichtung vgl. oben 6.4.4. Die grenzüberschreitenden Regelungen in den Gesetzen von Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Thüringen weisen dabei die Einschränkung auf, dass das Blindengeld in einer Einrichtung im übrigen Bundesgebiet nur geleistet wird, wenn kein Blindengeldanspruch nach dem Landesblindengeldgesetz des Zuzugslandes besteht. Wenn sowohl ein Blindengeldanspruch nach dem Landesblindengeldgesetz des Zuzugslandes, weil dieses keine Abwehrklausel enthält, als auch nach dem Landesblindengeldgesetz des Ursprungslandes besteht, weil dieses eine grenzüberschreitende Regelung ohne Einschränkung enthält, ist das Wahlrecht des Blinden zu beachten.

Bedeutsam zum Problem der grenzüberschreitenden Regelungen ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts für Nordrhein-Westfalen vom 24.04.2008 AZ.: 16 A 3089/07. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die 1908 geborene Klägerin zog im Jahr 2001 von ihrer Wohnung in Thüringen unmittelbar in ein Pflegeheim in Nordrhein-Westfalen. Im Jahre 2007 erblindete sie und beantragte Landesblindengeld nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG). Obwohl das GHBG von Nordrhein-Westfalen nicht auf § 109 SGB XII sondern in § 7 nur allgemein auf das SGB verweist, wurde der Antrag abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte keinen Erfolg. Sie wurde mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2007, AZ.: 21 K 3634/07 zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde vom OVG Münster im Berufungsverfahren mit seinem Urteil vom 24.04.2008 AZ.: 16 A 3089/07 durch Aufhebung des ablehnenden Bescheides und des Widerspruchsbescheides abgeändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin das Blindengeld nach dem GHBG von Nordrhein-Westfalen zu gewähren. Da man nicht ausschließen kann, dass auch in anderen Bundesländern Behörden und Gerichte auf die Idee kommen könnten, der § 109 SGB XII sei auch ohne ausdrückliche Verweisung anzuwenden, ist das Urteil des OVG Münster auch außerhalb Nordrhein-Westfalens von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

In RN. 24 geht das OVG auf die Frage ein, ob das Rechtsschutzbedürfnis fehlen könnte, weil das Landesblindengeldgesetz für Thüringen einen Blindengeldanspruch auch bei Unterbringung in einer Einrichtung in einem anderen Bundesland gewährt, wenn in dem betreffenden Land kein Anspruch auf ein Blindengeld besteht. Das OVG stellt dazu fest: "Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht das Fehlen eines billigenswerten Rechtsschutzinteresses entgegen. Daran würde es nur mangeln, wenn der Klägerin ein gleichwertiger, aber einfacher zu realisierender Weg zur Verfügung stünde, Blindengeld zu erlangen. Das ist aber nicht der Fall. Insbesondere kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, sich anstelle der Inanspruchnahme des Beklagten unter Berufung auf das dortige Blindengeldrecht an den für ihren früheren Wohnort in F. zuständigen Träger der Blindenhilfe zu wenden....abgesehen davon, dass sich dieser Anspruch für blinde Menschen, die in einer Einrichtung leben, auf 50 Euro beläuft (§ 2 Abs. 2 ThürBliGG 2008) und damit deutlich unter dem in Nordrhein-Westfalen gewährten Betrag liegt, bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 2 ThürBliGG 2008, dass blinde Menschen, die sich wie die Klägerin in stationären Einrichtungen im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes - also außerhalb des Landes Thüringen - aufhalten und zur Zeit der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Thüringen hatten, nur unter der weiteren Voraussetzung einen Anspruch auf Blindengeld haben, dass sie am Ort der Einrichtung nach den dortigen landesrechtlichen Vorschriften keinen solchen Anspruch haben. Die Geltendmachung eines Blindengeldanspruchs nach dem ThürBliGG 2008 setzt somit für den betroffenen Personenkreis voraus, dass vorab die Blindengeldberechtigung nach dem Recht des Einrichtungsorts geprüft wird. Da - wie noch zu zeigen sein wird - die sachlichen Voraussetzungen für einen gegen den Beklagten gerichteten Blindengeldanspruch nach § 1 GHBG gegeben sind, würde der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 ThürBliGG 2008 eingreifen."

Zur Begründetheit des Anspruchs der Klägerin auf das Blindengeld nach § 1 GHBG stellt das OVG in RN. 25 fest: dass bei der Klägerin die einzelnen Voraussetzungen für die Blindengeldgewährung vorliegen. Interessant sind folgende Sätze: "Es ist auch nichts vorgetragen, was für einen Leistungsausschluss nach § 6 Abs. 2 GHBG spricht. Allein das hohe Alter und die Heimpflegebedürftigkeit der Klägerin geben nichts für die Annahme her, sie könne das Blindengeld nicht mehr bestimmungsgemäß verwenden; hiergegen spricht insbesondere die im GHBG getroffene Wertung, denn gemäß § 2 GHBG führt der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung bzw. gemäß § 3 Abs. 2 und 3 GHBG der Empfang von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nur zu anteiligen Kürzungen, aber nicht zum vollständigen Wegfall des Blindengeldanspruchs."

Auf die Frage des "gewöhnlichen Aufenthalts" in Nordrheinwestfalen bei Unterbringung in einer Einrichtung geht das OVG in RN 26 und 27 ein. Das OVG stellt zunächst fest, dass das GHBG in § 1 Abs. 2 auf den allgemeingültigen Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" Bezug nimmt. Bei der Auslegung dieses Begriffs wiederum kann, so das OVG, die Legaldefinition in § 30 Abs. 1 SGB I herangezogen werden. Und daraus ergibt sich eindeutig, dass die seit 6 Jahren in einem Heim in NRW lebende Klägerin dort auch ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" hat. (Nicht genug damit: Das OVG hat sogar noch ein Protokoll aus dem Jahre 1970 herangezogen, demzufolge im Sozialausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags auf eine Anfrage hin ausdrücklich erklärt wurde, auch diejenigen Blinden aus anderen Bundesländern, die in Heimen und Anstalten des Landes wohnen, würden sich im Land NRW "aufhalten". – RN 28 und 29 des Urteils).

In den RN 31 ff nimmt dann das OVG zur entscheidenden Frage Stellung, nämlich zur Frage, ob der "gewöhnliche Aufenthalt" in NRW durch § 109 SGB XII wieder aufgehoben wird? Ist der § 109 SGB XII hier überhaupt anzuwenden? Das OVG verneint das mit zahlreichen Gegenargumenten. Es stellt fest:

"Die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin in N. /S. und damit im Land Nordrhein-Westfalen ist auch nicht deshalb in Frage gestellt, weil gemäß § 109 SGB XII der Aufenthalt unter anderem in einer Einrichtung iSv § 98 Abs. 2 SGB XII nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels, Zweiter Abschnitt, des SGB XII gilt. Denn § 7 GHBG verweist nur insoweit auf das Sozialgesetzbuch, als darin vorbehaltlich entsprechender Bestimmungen im GHBG Regelungen über das Verwaltungsverfahren oder die Zuständigkeit getroffen sind. ((...)) die Regelung des persönlichen Anwendungsbereichs im Hinblick auf die Aufenthaltsverhältnisse (§ 1 Abs. 2 GHBG) ist demgegenüber nicht verfahrensrechtlicher Natur, sondern betrifft eine materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung, die überdies im GHBG abschließend geregelt ist und gerade nicht in dem Sinne ausfüllungsbedürftig ist, dass verfahrensrechtliche Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs ergänzend heranzuziehen wären. Im Übrigen handelt es sich auch bei der vom Beklagten angeführten Bestimmung des § 109 SGB XII (iVm § 98 Abs. 2 SGB XII) weder um eine verfahrensrechtliche Regelung noch um eine solche Bestimmung, die sich als umfassende und auf andere Rechtsbereiche ausstrahlende Normierung - etwa des Prinzips des Schutzes der Anstaltsorte - verstehen lässt. Denn § 109 SGB XII beschränkt die Reichweite des dort geregelten "Ausschlusses des gewöhnlichen Aufenthalts" ausdrücklich auf das Zwölfte Kapitel ("Zuständigkeit der Träger der Sozialhilfe") und auf den Zweiten Abschnitt des Dreizehnten Kapitels des SGB XII ("Kostenerstattung zwischen Trägern der Sozialhilfe") des SGB XII. Schließlich spricht auch die - oben näher dargestellte - Strukturverschiedenheit zwischen der landesrechtlich geregelten Blinden- und Gehörlosenhilfe einerseits und des Sozialhilferechts andererseits gegen eine das Regelungsgefüge des GHBG ergänzende bzw. modifizierende Heranziehung spezifisch sozialhilferechtlicher Vorschriften oder Strukturprinzipien.

- Das nächste Argument ist, dass "§ 109 SGB XII im Rahmen seines - wie gesehen - beschränkten Anwendungsbereichs lediglich fingiert, dass der Aufenthalt in einer Einrichtung (...) keinen gewöhnlichen Aufenthalt (...) darstellt, und damit indirekt den Grundsatz bestätigt, dass ansonsten der Aufenthalt in einer Einrichtung gerade doch als gewöhnlicher Aufenthalt zu bewerten ist. (RN 35 des Urteils)"

Zum Schluss beschäftigt sich das Gericht in RN 36 damit, dass Das GHBG eine grenzüberschreitende Regelung für die eigenen "Landeskinder" hat, die nach Umzug in ein anderes Bundesland wegen der dort geltenden Regelung zum Schutz des "Anstaltslandes" leer ausgehen. Daraus könne man aber nicht schließen, dass auch das eigene Land den "Schutz des Anstaltslandes" beanspruche und die zugezogenen Heimbewohner entsprechend behandeln wolle. diesen Gedanken weist das OVG zurück indem es feststellt: "Eine gleichsam spiegelbildliche Anwendung des (Kompensations-)Gedankens dergestalt, dass Bewohner von Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, die wie die Klägerin vormals ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Bundesland hatten, nicht blindengeldberechtigt seien, wäre weder mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 GHBG bzw. den entsprechenden Vorläuferregelungen noch - wie oben dargelegt - mit den gesetzgeberischen Absichten und Vorstellungen zu vereinbaren. Gegen ein solches Normverständnis spricht auch, dass in anderen landesrechtlichen Bestimmungen - zu verweisen ist insoweit insbesondere auf § 12 Abs. 6 des Landespflegegesetzes - spezielle Ausschlussregelungen getroffen worden sind, wenn Leistungen mit sozialer Zielsetzung "Landeskindern" vorbehalten sein sollen."

Sonderregelungen für den Fall der Verbüßung einer Freiheitsstrafe, der Sicherungsverwahrung, der Unterbringung auf Grund eines strafgerichtlichen Urteils in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder der anderweitigen Unterbringung auf Grund einer sonstigen richterlichen Entscheidung enthalten die Landesblindengeldgesetze von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3), Brandenburg (§ 4 Abs. 2), Hamburg (§ 5 Buchst. b) und c), Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 1 Buchst. c), Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 Buchst. c), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs. 3), Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) und Thüringen (§ 2 Abs. 3).

Bei diesen Regelungen sind drei Varianten vorhanden: Nach den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3), Brandenburg (§ 4 Abs. 2), Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 1 Buchst. c) (Unterbringung nur auf Grund eines strafrechtlichen Urteils), Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 Buchst. c) (Unterbringung nur auf Grund eines strafrechtlichen Urteils), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 2) und Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) (Unterbringung nur auf Grund eines strafrechtlichen Urteils) wird der Anspruch völlig ausgeschlossen. Nach den Landesgesetzen von Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs. 3) (bei Freiheitsstrafen nur, wenn diese mehr als drei Monate betragen) und Thüringen (§ 2 Abs. 3) wird das Blindengeld im gleichen Umfang wie bei der Unterbringung in einer Einrichtung gekürzt. Nach dem Blindengeldgesetz von Hamburg (§ 5 Buchst. b) und c) (bei Freiheitsstrafen mit der Einschränkung, dass diese mehr als drei Monate betragen müssen), kann das Blindengeld versagt werden. Es ist also eine Ermessensentscheidung zu treffen. Für die Ausübung des Ermessens kommt es darauf an, ob trotz der mit der Unterbringung verbundenen Fürsorgepflicht blindheitsbedingte Mehraufwendungen bestehen bleiben. Der Zweck des Blindengeldes muss bei der Ausübung des Ermessens beachtet werden. Gegebenenfalls ist das Blindengeld nicht vollständig zu versagen, sondern nur zu kürzen.

Für die Blindenhilfe enthält § 72 SGB XII keine Regelung, ob diese während der richterlichen Unterbringung z. B. auch in einer Justizvollzugsanstalt gewährt werden kann. Auch in solchen Fällen können blindheitsbedingte Mehraufwendungen vorhanden sein. Bei den entsprechenden Einrichtungen handelt es sich um keine Einrichtungen im Sinn von § 13 Abs. 2 SGB XII (vgl. oben 6.4.4). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 04.11.1976 - V C 7.76 -, welches zu § 67 BSHG ergangen war (der früheren Anspruchsgrundlage für die Blindenhilfe), festgestellt, dass es nicht auszuschließen sei, dass ein Blinder auch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe blindheitsbedingte Mehraufwendungen haben kann, so dass die bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe durch oder für ihn möglich ist. Die Blindenhilfe kann nicht allein mit der Begründung völlig versagt werden, dass für den Lebensunterhalt des Blinden während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe umfassend gesorgt sei. Die Gewährung der Blindenhilfe ist, wie das Bundesverwaltungsgericht hervorhebt, davon abhängig, dass ihre bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für den Blinden möglich ist. Das wird auch für den Fall der Strafhaft zu Recht bejaht. Weil eine Einzelprüfung, in welchem Umfang blindheitsbedingte Mehraufwendungen bestehen, nicht möglich ist, hält das Bundesverwaltungsgericht die Herabsetzung der Blindenhilfe auf die Hälfte für zulässig, wobei in der Entscheidung offen gelassen wird, ob die Kürzung auf eine analoge Anwendung von § 67 Abs. 3 oder auf § 67 Abs. 4 S. 2 gestützt werden kann, weil insoweit keine Revision eingelegt worden war. § 72 SGB XII enthält keine Bestimmung mehr, wie sie in § 67 Abs. 4 BSHG enthalten war. Danach war die Kürzung oder Versagung der Blindenhilfe möglich, soweit die bestimmungsmäßige Verwendung nicht möglich war. Nach der jetzigen Rechtslage sollte § 72 Abs. 3 SGB XII analog angewendet und die Blindenhilfe auf die Hälfte gekürzt werden.

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6.4.6 Blindengeld oder Blindenhilfe im Ausland

Ein Anspruch auf Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen im Ausland besteht nicht, wenn kein inländischer Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt gegeben ist. Er besteht jedoch auch während des Aufenthaltes im Ausland, wenn der im jeweiligen Landesgesetz geforderte Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Inland bestehen bleibt. Zu den Begriffen Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt vgl. 6.4.1 und 6.4.2. Der häufigste Fall, in welchem trotz Auslandsaufenthalt der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Inland nicht verloren geht, dürfte eine Schulausbildung, Berufsausbildung oder ein Studium im Ausland sein. Selbst bei einem mehrjährigen Studium kann der im Inland gelegene Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt erhalten bleiben, wenn dessen Voraussetzungen im Inland weiter gegeben sind. Der inländische Lebensmittelpunkt muss bestehen bleiben. Dem Rückkehrwillen dürfen keine objektiven Hindernisse entgegenstehen (BSG, Urteil vom 22.03.1988 - 8/5a RKn 11/87 = SozR 2200, § 205 Nr. 65). Die inländische Wohnung bzw. Unterkunft darf nicht nur besuchsweise genutzt werden (BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 14/94 = SGB 1997, S. 418). Sofern bei Blinden der Lebensmittelpunkt im Inland fortbesteht, insbesondere eine Unterkunft zur jederzeitigen Benutzung verfügbar ist, wird bei einem Studienaufenthalt oder Aufenthalt zur Ausbildung im Ausland der Rückkehrwille schon deshalb häufig gegeben sein, weil die Chancen zur beruflichen Integration in der Bundesrepublik Deutschland bei entsprechender Qualifikation aufgrund des Schwerbehindertenrechts (SGB IX, Teil 2) international gesehen günstig sind.

Ein Anspruch auf Blindenhilfe bzw. bei niedrigerem Landesblindengeld auf ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bleibt auch bei einem Aufenthalt Deutscher im Ausland erhalten, wenn der inländische Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt fortbesteht und kein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland vorhanden ist. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 24 Abs. 1 SGB XII; denn nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, grundsätzlich keine Leistungen der Sozialhilfe mehr. Zu Ausnahmen vgl. unten. Für Sozialhilfeleistungen, also auch die Blindenhilfe, im Ausland wird auf Deutsche nach Art. 116 GG abgestellt. Das gleiche gilt allerdings für Ausländer, die auf Grund eines Fürsorgeabkommens Deutschen gleichgestellt sind.

Wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland besteht, und Sozialhilfeleistungen im Ausland notwendig werden, richten sich die Anspruchsvoraussetzungen nach § 24 SGB XII. Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten nunmehr nach § 24 grundsätzlich keine Leistungen der Sozialhilfe mehr. Eine Ausnahme besteht nur im Fall einer außergewöhnlichen Notlage, die in Abs. 1 auf drei Ausnahmefälle beschränkt wird. Der Gesetzgeber erwartet bei Eintritt von Bedürftigkeit im Ausland grundsätzlich die Rückkehr nach Deutschland, die nur in den von Abs. 1 aufgeführten drei Fällen als unzumutbar angesehen wird (BT-Drs. 15/1761 S. 6). Danach kann Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus folgenden Gründen nicht möglich ist:

  1. Pflege und Erziehung eines Kindes, das aus rechtlichen Gründen im Ausland bleiben muss,
  2. längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflegebedürftigkeit oder
  3. hoheitliche Gewalt.

Leistungen werden auch in diesen Fällen nach § 24 Abs. 2 SGB XII nicht erbracht, soweit sie von dem hierzu verpflichteten Aufenthaltsland oder von anderen erbracht werden oder zu erwarten sind. Das entspricht dem Nachrangprinzip des Sozialhilferechts nach § 2 Abs. 1 SGB XII.

Wenn die Leistungsvoraussetzungen nach § 24 Abs. 1 und 2 SGB XII erfüllt sind, richten sich die Verpflichtung zum Einsatz des eigenen Einkommens oder Vermögens (§§ 82 ff.) sowie Art und Maß der zu beanspruchenden Leistung gemäß Abs. 3 nach den besonderen Verhältnissen des Aufenthaltslandes.

Als Leistungsarten kommen grundsätzlich alle Leistungen in Betracht, die auch im Inland gewährt werden. Deutsche im Ausland können deshalb in besonderen Einzelfällen nach §§ 24, 72 SGB XII einen Anspruch auf Blindenhilfe gegenüber dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe ihres Geburtsortes geltend machen (§ 24 Abs. 4 und 5 SGB XII). Leben Ehegatten oder Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte bei Einsetzen der Sozialhilfe zusammen, richtet sich die örtliche Zuständigkeit gemäß Abs. 5 nach der ältesten Person von ihnen, die im Inland geboren ist. Ist keine dieser Personen im Inland geboren, ist ein gemeinsamer örtlich zuständiger Träger nach Absatz 4, d. h. durch eine Schiedsstelle, zu bestimmen. Die Anträge sind grundsätzlich beim zuständigen Sozialhilfeträger zu stellen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Sie werden jedoch auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und - was im Rahmen von § 24 SGB XII besonders wichtig ist - bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I).

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6.4.7 Blindengeld und Blindenhilfe für Ausländer

Entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz ist der berechtigte Aufenthalt in Form eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Geltungsbereich der jeweiligen Gesetze. Die Berechtigung ist für Deutsche und Ausländer unterschiedlich. Bei Ausländern kann der Anspruch trotz des berechtigten Aufenthalts im Geltungsbereich der Gesetze auf Grund ihres Status ausgeschlossen sein. Es sind aber auch internationale Vereinbarungen zu beachten.

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6.4.7.1 Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern

Alle Deutschen genießen nach Art. 11 Abs. 1 GG Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Sie können deshalb ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in jedem Bundesland frei wählen. Der Blindengeldanspruch sowohl nach den Landesblindengeldgesetzen als auch nach § 72 SGB XII besteht deshalb, wenn die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII kommt es auf den tatsächlichen Aufenthalt gemäß § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII an.

Wer Deutscher ist, richtet sich nach Art. 116 GG. Deutscher ist danach vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

Aussiedler/Spätaussiedler sind Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes und bedürfen keines Aufenthaltstitels für die Begründung ihres Wohnsitzes oder ihres gewöhnlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet. Das gilt auch für ihre Ehegatten und Abkömmlinge, die mit Zuzug den Status als "Deutsche" erlangen.

Ausländer, die berechtigt sind, sich in einem Bundesland der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten und dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erhalten Blindengeld nach den einschlägigen Landesgesetzen, soweit der Anspruch nicht auf Grund ihres besonderen Status ausgeschlossen ist.

Für Sozialhilfeleistungen und damit auch für die Blindenhilfe enthält § 23 SGB XII für Ausländer Einschränkungen. Zu beachten sind aber Sonderregelungen auf Grund des Status oder auf Grund internationaler Abkommen.

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6.4.7.2 Der Blindengeldanspruch und das Aufenthaltsrecht von Ausländern

Für die Aufenthaltsberechtigung von Ausländern ist zwischen verschiedenen Gruppen zu unterscheiden, und zwar zwischen Bürgern der Europäischen Union, Ausländern aus Staaten, mit welchen ein internationales Abkommen besteht, Ausländern, für welche sich das Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ergibt, heimatlose Ausländer, Asylbewerber und andere unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallende Personen, Asylberechtigten, Diplomaten und Personen mit internationalem Status sowie NATO-Angehörigen.

Die Rechtsgrundlagen, aus denen sich das Aufenthaltsrecht von Ausländern ergibt, sind durch das zum 01.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl I 2004, S. 1950 ff.) neu gestaltet worden. Dieses Gesetz enthält als Rechtsquellen u. a. in Art. 1 das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz AufenthG) vom 30.07.2004 und in Art. 2 das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) vom 30.07.2004.

Ausländer ist nach § 2. Abs. 1 Aufenthaltsgesetz jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

Die Aufenthaltsberechtigung von Ausländern richtet sich nach dem Aufenthaltsgesetz, soweit seine Gültigkeit nicht nach § 1 Abs. 2 eingeschränkt ist. Danach findet das Aufenthaltsgesetz keine Anwendung auf Ausländer,

  1. deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
  2. die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
  3. soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können (vgl. dazu 6.4.7.3).

Im Folgenden wird auf die Situation der verschiedenen Gruppen näher eingegangen.

Bürger der Europäischen Union:

Für Bürger der Europäischen Union richtet sich die Aufenthaltsberechtigung nach dem FreizügG/EU, soweit einer der dort geregelten Tatbestände vorliegt. Nach § 2 Abs. 4 FreizügG/EU benötigen Staatsangehörige anderer EU-Staaten (Unionsbürger) für den Aufenthalt in Deutschland keinen Aufenthaltstitel. Dies gilt nach § 12 FreizügG/EU auch für die Staatsangehörigen der übrigen EWR-Staaten. Dem Europäischen Wirtschaftsraum gehören neben den EU-Staaten folgende weitere Staaten an: Island, Liechtenstein und Norwegen. Damit können sie einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründen, der grundsätzlich als rechtmäßig anzusehen ist. Zu den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern zählen u. a. Arbeitnehmer, Selbständige, Familienangehörige, Studenten, ehemalige Arbeitnehmer und Selbständige sowie Personen, die über eine Krankenversicherung und ausreichende Existenzmittel (keine Sozialhilfebedürftigkeit) verfügen.

Freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und Bürgern eines EWR-Staates sowie ihren Familienangehörigen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes wird gemäß § 5 Abs.

1 FreizügG/EU von Amts wegen eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt. Wenn Familienangehörige von Unionsbürgern selbst keine Unionsbürger oder Bürger eines EWR-Staates sind, benötigen sie dagegen einen Aufenthaltstitel. Ihnen wird gemäß § 5 Abs. 2 FreizügG/EU von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis-EU ausgestellt.

Der Nachweis über die Aufenthaltsberechtigung ist von Angehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) durch eine Meldebescheinigung der zuständigen Meldebehörde zu erbringen.

Staatsangehörige anderer Staaten:

Staatsangehörige anderer Staaten benötigen für den Aufenthalt in Deutschland einen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG), das mit Wirkung vom 01.01.2005 an die Stelle des Ausländergesetzes (AuslG) getreten ist.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG werden die Aufenthaltstitel erteilt als

  1. Visum (§ 6)
  2. Aufenthaltserlaubnis (§ 7) oder
  3. Niederlassungserlaubnis (§ 9)

Bei einer Niederlassungserlaubnis, die nach § 9 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein unbefristeter Aufenthaltstitel ist, liegt ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt vor.

Bei einer Aufenthaltserlaubnis, die nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein befristeter Aufenthaltstitel ist, liegt ein rechtmäßiger Aufenthalt vor. Ob auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinn von § 30 Abs. 3 SGB I anzunehmen ist, hängt vom Aufenthaltszweck ab, d. h. von der Vorschrift des AufenthG, aufgrund derer die Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wurde.

Bei einem nationalen Visum nach § 6 Abs. 4 AufenthG kann nur unter bestimmten Voraussetzungen, die vom Aufenthaltszweck abhängen, ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt angenommen werden.

Der Nachweis über die Aufenthaltsberechtigung ist durch einen von der Ausländerbehörde erteilten entsprechenden Aufenthaltstitel zu erbringen.

Für den Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz ist auch für Ausländer erforderlich, dass ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Sinn von § 30 Abs. 3 SGB I besteht, dass es sich also nicht um einen nur vorübergehenden Aufenthalt handelt. Vgl. dazu 6.4.1 und 6.4.2. Hält sich ein Ausländer zunächst als Tourist genehmigungsfrei in der BRD auf und wird ihm dann ein Aufenthaltstitel erteilt, kann frühestens ab Erteilung des qualifizierten Aufenthaltstitels Blindengeld zustehen. Außerdem darf der Anspruch eines Ausländers nicht auf Grund des besonderen Status z. B. als Diplomat ausgeschlossen sein.

Heimatlose Ausländer:

Für "heimatlose Ausländer" besteht eine gesetzliche Sonderregelung gegenüber dem Aufenthaltsgesetz. Sie haben gem. § 12 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) eine Aufenthaltsberechtigung kraft Gesetzes. Sie benötigen für den Aufenthalt in Deutschland keinen Aufenthaltstitel. § 4 AufenthG findet keine Anwendung. Heimatlose Ausländer genießen Freizügigkeit und können ihren Aufenthalt im Bundesgebiet frei wählen.

Heimatloser Ausländer ist nach § 1 Abs. 1 HeimatlG ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der

  1. nachweist, dass er der Obhut der internationalen Organisation untersteht, die von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragt ist (Diese Organisation der Vereinten Nationen ist die International Refugee Organisation - IRO), und
  2. nicht Deutscher nach Art. 116 GG ist sowie
  3. am 30.06.1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte oder die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers aufgrund der Bestimmungen des § 2 Abs. 3 HAuslG erwirbt. Letzteres ist der Fall, wenn ein heimatloser Ausländer, der nach dem 01.07.1948 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte und ihn danach außerhalb dieses Gebietes verlegt hat, innerhalb von zwei Jahren seit dem Zeitpunkt seiner Ausreise rechtmäßig seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in den Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückverlegt.

Zum Personenkreis der unter das HAuslG fallenden (Flüchtlinge und zur Zwangsarbeit verschleppte Personen - DP) vgl. Urteil des BSG vom 14.05. 1991 -5 RJ 29/90 = SozR 35050, § 1 Nr. 1.

Wer seine Staatsangehörigkeit von einem heimatlosen Ausländer ableitet und am 01.01.1991 seinen gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des HAuslG hatte, steht einem heimatlosen Ausländer gleich (§ 1 Abs. 2 HAuslG).

Weil heimatlose Ausländer aufenthaltsberechtigt sind, haben sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch auf Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen oder auf Blindenhilfe nach § 72SGB XII. § 19 HAuslG bestimmt ausdrücklich, dass heimatlose Ausländer Leistungen der öffentlichen Fürsorge in gleicher Höhe wie deutsche Staatsangehörige erhalten.

Der Rechtsstatus als heimatloser Ausländer kann durch einen Pass/Reiseausweis, der einen entsprechenden Vermerk über die Rechtsstellung enthält bzw. durch eine entsprechende Bescheinigung der Ausländerbehörde nachgewiesen werden.

Asylbewerber und andere unter das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) fallende Personen:

Asylbewerber sind Personen, welche um Asyl nachsuchen, über deren Antrag aber noch nicht entschieden worden ist. Asylbewerbern wird der Aufenthalt für die Dauer des Asylverfahrens gestattet (§ 55 Asylverfahrensgesetz, AsylVfG). Aber nicht nur Asylbewerber, sondern auch andere Personengruppen erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Leistungen nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes erhalten Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die

  1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,
  2. über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist,
  3. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 wegen des Krieges in ihrem Heimatland oder nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
  4. eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
  5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
  6. Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne das sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, oder
  7. einen Folgeantrag nach § 71 des Asylverfahrensgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylverfahrensgesetzes stellen.

Von Bedeutung ist insbesondere der neu gefasste § 1 Absatz 1 Ziffer 3 AsylbLG. Danach sind nach dem Asylverfahrensleistungsgesetz auch Ausländer leistungsberechtigt, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 AufenthG wegen des Krieges in ihrem Heimatland (Kriegsflüchtlinge) oder nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes aus humanitären Gründen besitzen. Nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll nach § 25 Abs. 5 S. 2 erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

Für die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungsberechtigten ergeben sich nach dem Asylverfahrensleistungsgesetz Einschränkungen, die auch das Blindengeld betreffen.

Ausländer, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt sind, haben keinen Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz oder auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Das ergibt sich aus § 23 Abs. 2 SGB XII für Sozialhilfeleistungen und aus § 9 Abs. 1 AsylbLG für die Landesblindengeldgesetze. Nach diesen Bestimmungen erhalten Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder vergleichbaren Landesgesetzen. Darunter fallen auch die Landesblindengeldgesetze.

Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG erlischt, wenn der Asylantrag zurückgenommen wird oder unanfechtbar abgelehnt worden ist. Vor allem aus humanitären Gründen kann aber in solchen Fällen dennoch der weitere Aufenthalt geduldet werden (§ 60 a AufenthG) oder es kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Wird der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland gemäß § 60 a AufenthG geduldet, ist er nicht rechtmäßig. Dem Ausländer wird eine Bescheinigung darüber ausgestellt. Ein Anspruch auf Blindengeld besteht damit ab 01.01.2005 nicht mehr.

Asylberechtigte:

Anerkannte Asylberechtigte erhalten nach § 25 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis und in der Regel nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG. Ein Anspruch auf Blindengeld besteht bei anerkannten Asylberechtigten wegen ihrer besonderen grundrechtlich nach Art. 16a GG geschützten Stellung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen.

Einschränkungen bei der Blindenhilfe für Ausländer:

§ 23 SGB XII bringt für Ausländer erhebliche Einschränkungen bei Sozialhilfeleistungen mit sich, die sich auch auf die Blindenhilfe auswirken, soweit ihnen nicht auf Grund ihres Status oder eines internationalen Abkommens die gleichen Sozialhilfeleistungen zu gewähren sind, wie Deutschen.

Nach § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten und nicht von einer Sonderregelung privilegiert werden, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Diese Ermessensleistungen beziehen sich auf alle Leistungen, die von § 23 Abs. 1 S. 1 nicht als Pflichtleistungen erfasst werden. Das bedeutet, dass in diesem Rahmen auch Leistungen zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen möglich sind.

Durch § 23 Abs. 1 S4 ‚SGB XII werden alle diejenigen Ausländer privilegiert, die über einen besonderen Status verfügen. Die oben genannten Einschränkungen gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Zu diesen Begriffen aus dem Zuwanderungsgesetz vgl. oben.

Privilegierungen ergeben sich aus internationalen Abkommen. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in § 23 Abs. 1 S. 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben nämlich nach § 23 Abs. 1 S. 5 SGB XII zu beachten. Anzunehmen ist dies bei folgenden völkerrechtlichen Regelungen:

Artikel 1 Europäisches Fürsorgeabkommen v. 11.12.1953 (BGBl. II 1956 S. 563), wonach sich die vertragsschließenden Staaten verpflichten, "den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge ... zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind."

Artikel 23 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) v. 28.7.1951 (BGBl. II 1953 S. 559), wonach die vertragsschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren, weil Art. 2 i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Fürsorgeabkommen (a.a.O.) die Vorschriften von dessen Teil I auch auf Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention für anwendbar erklärt. Flüchtlinge in diesem Sinne sind Asylberechtigte, Konventionsflüchtlinge, Kontingentflüchtlinge und heimatlose Ausländer.

Artikel 7 Abs. 2 VO Nr. 1612/68 (EWG), wonach Arbeitnehmern aus der Europäischen Union die gleichen sozialen Vergünstigungen zustehen wie inländischen Arbeitnehmern. Hierzu gehört auch die Gewährung von Sozialhilfe Österreichische Staatsangehörige und Schweizer Staatsangehörige, die sich im Geltungsbereich des SGB XII aufhalten, sind bei der Gewährung von Sozialhilfe Deutschen gleichgestellt, sofern sie nicht zwecks Inanspruchnahme von Sozialhilfe nach Deutschland eingereist sind (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.1.1966, BGBl. II 1969 S. 1; Art. 1 i.V.m. Art. 8 der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizer Eidgenossenschaft über die Fürsorge für Hilfsbedürftige vom 14.7.1952, BGBl. II 1953 S. 31, 129; II 1954 S. 779).

In diesen privilegierten Fällen besteht beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch ein Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII.

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6.4.7.3 Ausschluss von Blindengeldleistungen für Diplomaten und andere Personen mit internationalem Status

Diplomaten und andere Personen mit besonderem internationalem Status genießen eine eigene Rechtsstellung. Das Territorialitätsprinzip ist der Anknüpfungspunkt dafür, dass das Aufenthaltsgesetz für bestimmte Personengruppen aufgrund ihres besonderen Status nicht gilt und dass für diese Personengruppen aufgrund spezieller Vereinbarungen kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht. Das Territorialitätsprinzip kann als juristischer Begriff elastisch angewandt werden.

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Aufenthaltsgesetz findet dieses keine Anwendung auf Ausländer, die nach Maßgabe der §§ 18-20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, bzw. soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Ausländermeldepflicht und dem Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit sind. Nach § 18 GVG sind die Mitglieder der in der Bundesrepublik Deutschland errichteten diplomatischen Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18.04.1961 (BGBl. 1964, II, S. 957) von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Eine entsprechende Befreiung enthält § 19 Abs. 1 GVG für die Mitglieder der in der Bundesrepublik Deutschland errichteten konsularischen Vertretungen, einschließlich der Wahlkonsularbeamten, nach Maßgabe des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.04.1963 (BGBl. 1969, II, S. 1585).

Nach den Art. 33 Abs. 1 und 37 Abs. 1 und 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) (BGBl 1964 II S. 957) bzw. Art. 48 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) (BGBl 1969 II S. 1585) ist dieser Personenkreis grundsätzlich von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit ausgeschlossen. Es besteht dann kein Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII.

Der Anspruch auf Sozialhilfe, und damit für die Blindenhilfe ist nach der Rechtsprechung von vornherein für Ausländer mit Diplomatenstatus ausgeschlossen. Artikel 33 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v. 18.4.1961 (BGBl. II 1964 S. 957, 1006, 1018) lässt sich zur Begründung eines solchen Ausschlusses allerdings nicht heranziehen. Danach sind diplomatische Vertreter nur in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestaat von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit. Das System der deutschen Sozialhilfe knüpft jedoch, anders als die Sozialversicherung, nicht an die Beschäftigung und damit auch nicht an die "Dienste" an. Die Sozialhilfe begründet zudem primär Vorteile und zwingt nicht zur Beteiligung an einem System der sozialen Sicherheit. Nach Auffassung des BVerwG ergibt sich der Anspruchsausschluss für Ausländer mit Diplomatenstatus jedoch daraus, dass er mit dem Wesen und der Funktion des diplomatischen Dienstes unvereinbar sei (BVerwG, Urteil v. 29.2.1996, 5 C 23/95, BVerwGE 100 S. 300; Zeitler, in: Mergler/Zink, BSHG-Kommentar, Stand 2002, § 120 Rn. 18.

Diese Regelungen beziehen sich auf:

  1. Diplomaten (der Missionschef und die in diplomatischem Rang stehenden Mitglieder des Personals der Mission, wie Gesandte, Räte, Sekretäre, Attachés) und Berufskonsularbeamte (Leiter der konsularischen Vertretung, Konsul, Vizekonsul, Konsularagenten u. a.),
  2. Mitglieder des Verwaltungspersonals und des technischen Personals der Missionen und Vertretungen (z. B. Kanzleibeamte, Chiffreure, Übersetzer, Stenotypisten),
  3. Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals der Missionen und Vertretungen (z.B. Köche, Kraftfahrer), wenn sie weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch in Deutschland ständig ansässig sind,
  4. ausschließlich bei einem Diplomaten oder Konsularbeamten beschäftigte private Hausangestellte, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch in Deutschland ständig ansässig sind, sofern sie den Rechtsvorschriften des Entsendestaates oder eines dritten Staates über soziale Sicherheit unterstehen,
  5. die zum Haushalt eines Diplomaten oder Konsularbeamten gehörenden Familienmitglieder (Ehegatte, Kinder, Eltern), sofern sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen,
  6. die zum Haushalt eines Mitglieds des Verwaltungspersonals oder des technischen Personals gehörenden Familienmitglieder, wenn sie weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, noch in Deutschland ständig ansässig sind.
  7. Nach europäischem Recht haben jedoch Mitglieder des Geschäftspersonals der diplomatischen Vertretungen und konsularischen Dienststellen eines EU-/EWR-Staates als Staatsangehörige des Entsendestaates ggf. ein Wahlrecht, ob sie dem System der sozialen Sicherheit im Beschäftigungsland oder in Deutschland unterliegen wollen. Wird das Wahlrecht genutzt, erhalten die Wählenden eine Bescheinigung des zuständigen Trägers des Heimatstaates. Anhand dieser Bescheinigung oder der Bescheinigung über die versicherungspflichtige Beschäftigung der deutschen Krankenkasse ist ggf. zu überprüfen, ob der Betroffene unter das deutsche System der sozialen Sicherheit fällt. Wenn dies der Fall ist, besteht Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, sofern die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.

Die gleiche Situation wie für Diplomaten ergibt sich für Angehörige einer in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppe der NATO-Streitkräfte, für die Mitglieder des zivilen Gefolges dieser Truppen sowie für die Familienangehörigen dieses Personenkreises. Sie sind nach dem NATO-Truppenstatut als Exterritoriale zu bezeichnen. Auf die unter das NATO-Truppenstatut fallenden Personen finden

gemäß Art. 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut die Bestimmungen über soziale Sicherung keine Anwendung. Sie haben keinen Anspruch auf ein Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 72SGB XII. Unter "zivilem Gefolge" ist nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe b) des NATO-Truppenstatuts das die Truppe einer Vertragspartei begleitende Zivilpersonal zu verstehen. Zum zivilen Gefolge gehören allerdings nicht Staatsangehörige des Staates in welchem die Truppe stationiert ist bzw. die zivilen Bediensteten, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und von NATO-Streitkräften lediglich im Rahmen ihres örtlichen Arbeitskräftebedarfs beschäftigt werden (Art. 9 Abs. 4 NATO-Truppenstatut).

Art. 13 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut ist auf den Ehegatten des Mitglieds einer Truppe oder eines zivilen Gefolges eines NATO-Mitgliedsstaates dann nicht anwendbar, wenn dieser Deutscher im Sinn von Art. 116 GG ist oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzt, sofern er nicht als dessen Ehegatte in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. In diesen Fällen besteht deshalb bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. auf Blindenhilfe nach § 72SGB XII.

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6.5 Beginn der Leistung

Auf Blindengeldleistungen besteht nur solange ein Anspruch, als die Voraussetzungen gegeben sind. Zu unterscheiden ist vor allem auch für den Beginn der Leistung zwischen den Regelungen in den Landesblindengeldgesetzen und der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII.

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6.5.1 Auswirkung des Lebensalters auf den Beginn des Leistungsanspruches

Nach den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 1 S. 1), Berlin (§ 1 Abs. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 1), Bremen (§ 1 Abs. 1), Hessen (§ 1 Abs. 1) und Sachsen (§ 1 Abs. 1) wird Blindengeld frühestens ab Vollendung des ersten Lebensjahres gewährt.

Der Anspruch auf Blindengeld nach den anderen Landesgesetzen und auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII kann demgegenüber bereits ab Geburt bestehen. Dabei müssen selbstverständlich die übrigen Tatbestands- und Verfahrensvoraussetzungen gegeben sein.

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6.5.2 Antragserfordernis

Während für das Blindengeld nach den Landesgesetzen ein Antrag erforderlich ist, ist dieser für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII nicht notwendig, aber zweckmäßig.

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6.5.2.1 Antrag auf Blindengeld nach den Landesgesetzen

Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen wird auf Antrag gewährt.

  • Folgende Bestimmungen der Landesgesetze sind einschlägig:
  • Baden-Württemberg: Landesblindengeldgesetz § 5 Abs. 1;
  • Bayern: Landesblindengeldgesetz Art. 1 Abs. 1 (Antrag), Art. 5 Abs. 1 (Form des Antrags);
  • Berlin: Landespflegegeldgesetz § 1 Abs. 1;
  • Brandenburg: Landespflegegeldgesetz § 7 Abs. 1;
  • Bremen: Landespflegegeldgesetz § 6 Abs. 1 S. 1;
  • Hamburg: Landesblindengeldgesetz § 6 Abs. 1;
  • Hessen: Landesblindengeldgesetz § 5 Abs. 1 S. 1
  • Mecklenburg-Vorpommern: Landesblindengeldgesetz § 7 Abs. 1;
  • Niedersachsen: Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde § 7 Abs. 1 S. 1;
  • Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose § 6 Abs. 1;
  • Rheinland-Pfalz: Landesblindengeldgesetz § 6 Abs. 1;
  • Saarland: Blindheitshilfegesetz für das Saarland § 1 Abs. 1;
  • Sachsen: Landesblindengeldgesetz § 4 Abs. 1 S. 1;
  • Sachsen-Anhalt: Landesblindengeldgesetz § 4 Abs. 1 S. 1;
  • Schleswig-Holstein: Landesblindengeldgesetz § 8 Abs. 1;
  • Thüringen: Thüringer Blindengeldgesetz § 9 Abs. 1.

Besondere formale Anforderungen werden an den Antrag nicht gestellt. Der Antrag muss erkennen lassen, was begehrt wird. Weil bestimmte Formen nicht vorgeschrieben sind, ist es gleichgültig, ob er schriftlich oder zur Niederschrift einer zur Entgegennahme des Antrages zuständigen Stelle gestellt wird (§ 16 SGB I).

Durch den Antrag wird das Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt (§ 18 SGB X bzw. § 22 der Verwaltungsverfahrensgesetze in Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen). Im Rahmen dieses Verfahrens müssen die Anspruchsvoraussetzungen, also auch das Vorliegen von Blindheit oder, wenn auch hochgradig Sehbehinderte eine Leistung erhalten, der hochgradigen Sehbehinderung festgestellt werden.

Einige Landesgesetze enthalten Bestimmungen darüber, wie die medizinischen Voraussetzungen des Anspruches nachgewiesen werden sollen. So wird im Landespflegegeldgesetz von Brandenburg (§ 10 Abs. 2) der Nachweis durch ein Gutachten des medizinischen Dienstes, im Landesblindengeldgesetz für Niedersachsen in § 1 Abs. 3 und im Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein (§ 2) der Nachweis durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 SGB IX sowie im Landesblindengeldgesetz für Thüringen (§ 9 Abs. 1 S. 2) der Nachweis der Blindheit durch eine augenfachärztliche Bescheinigung gefordert.

Hier handelt es sich um Bestimmungen für das durch den Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren, dagegen nicht um Formvorschriften, die sich auf den Antrag als solchen bezögen. Das ist wegen des Beginns der Leistung bedeutsam. Als Zeitpunkt der Antragstellung kann nicht erst der Zeitpunkt der Vorlage dieser Unterlagen gelten. Die Vorschriften wenden sich nicht an den Antragsteller, sondern an die für die Gewährung des Blindengeldes zuständige Behörde. Die Voraussetzungen für den Anspruch sind gemäß dem in § 20 SGB X für das Verwaltungsverfahren festgelegten Amtsermittlungsgrundsatz nämlich von Amts wegen zu ermitteln. Wenn die Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung jedoch bereits nach § 69 Abs. 1 SGB IX festgestellt worden ist, sind die für die Gewährung des Blindengeldes zuständigen Stellen an diese Statusentscheidungen gebunden. Nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Den Schwerbehinderten soll erspart werden, bei der Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen stets wieder aufs Neue ihre Behinderung und die damit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen untersuchen und beurteilen zu lassen. Diese Bindungswirkung ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die gesetzlichen Begriffe in den verschiedenen Gesetzen gleich sind. Das trifft für die "Blindheit" in den Landesblindengeldgesetzen und für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII zu. Vgl. zur Bindungswirkung von Statusfestellungen Urteil des BVerwG 5. Senat vom 27. Februar 1992, Az: 5 C 48/88, ZfSH/SGB 1992, S. 364. Wenn ein Feststellungsbescheid vorliegt, in welchem Blindheit attestiert wird, sollte im Antrag auf diesen hingewiesen bzw. eine Kopie beigefügt werden. Soweit vorhanden, sollten auch augenfachärztliche Atteste, welche über das Sehvermögen Auskunft geben, beigefügt werden.

Der Antrag könnte lauten:

"Antrag auf Gewährung von Blindengeld

Ich beantrage Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz für (...). (wenn möglich genaue Bezeichnung des Gesetzes). Ich wohne in (Anschrift). (Wenn vorhanden) Zum Nachweis meiner Blindheit füge ich ein Attest von Dr. (...) bei. (oder) Den Bescheid über meine Schwerbehinderung, in welchem Blindheit festgestellt wird, füge ich in Kopie bei."

Wenn ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII begehrt wird, kann dieses Schreiben um folgenden Zusatz ergänzt werden:

"Ferner beantrage ich ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Sollte für die Entscheidung über die ergänzende Blindenhilfe eine andere Stelle zuständig sein, bitte ich um Weiterleitung meines Antrags und von Kopien der beigefügten Unterlagen an die zuständige Behörde."

Hier ein praktischer Hinweis: Wenn die Beweislage unklar ist, kann bei weiterer Verschlechterung des Sehvermögens ein erneuter Antrag rascher zum Ergebnis führen als ein langwieriger und in seinem Ausgang ungewisser Rechtsstreit.

Ein neuer Antrag ist notwendig, wenn ein Blinder vom Geltungsbereich eines Landesgesetzes in den Geltungsbereich eines anderen Landesgesetzes verzieht und dort nach dem Landesgesetz im Zuzugsland Blindengeld beanspruchen will. Weil der Antrag Anspruchsvoraussetzung ist, kann sich dieser nur auf das jeweilige Landesgesetz auswirken. Der Antrag im Wegzugsland ist deshalb verbraucht. Beim Umzug innerhalb des Landes ist ein neuer Antrag nicht erforderlich. Die zuständige Behörde muss lediglich informiert werden.

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6.5.2.2 Kein Antragserfordernis bei der Blindenhilfe

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist ein Antrag nicht notwendig. Nach § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Der Blinde hat einen Rechtsanspruch auf die Blindenhilfe, wenn die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind und dies dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird. Der Sozialhilfe liegt das Offizialprinzip und nicht das Antragsprinzip zu Grunde.

Die Entbehrlichkeit eines Antrags bedeutet jedoch nicht, dass es dem Hilfebedürftigen verwehrt wäre, einen solchen Antrag zu stellen. Das ist sogar zweckmäßig und dringend zu empfehlen, weil dadurch der Sozialhilfeträger die erforderliche Kenntnis vom Hilfebedarf erhält. Dem Antrag sollten - falls vorhanden - Augenfachärztliche Atteste, welche über das vorhandene Sehvermögen Auskunft geben und eine Kopie des Feststellungsbescheides nach § 69 SGB IX beigefügt werden. Nicht nur der Sozialhilfeträger selbst, sondern auch alle anderen Leistungsträger von Sozialleistungen (§ 12 SGB I) und Gemeinden sowie bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch die amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland sind verpflichtet, Anträge auf Sozialhilfe entgegenzunehmen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Ein Mustertext für den Antrag ist unter 5.2.7.1 zu finden.

Das Fehlen des Antragserfordernisses bedeutet nicht, dass man sich die Sozialhilfeleistung, also etwa ergänzende Blindenhilfe aufdrängen lassen muss.

Wird dem Sozialhilfeträger oder einer von ihm beauftragten Stelle eine Notlage bekannt, so ist er verpflichtet, von Amts wegen, d.h. von sich aus, einzugreifen, soweit die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. "Bekannt" sind die Leistungsvoraussetzungen dem Sozialhilfeträger, wenn sie ihm dargelegt werden oder wenn er sie auf andere Weise erkennen kann. Unerheblich ist, auf welche Weise die Kenntnis erlangt wird, also aufgrund von Mitteilungen des Leistungsberechtigten, aufgrund eigener Wahrnehmung von Mitarbeitern oder durch Dritte (z.B. freie Wohlfahrtsverbände, Kirchen o.ä.). Nicht ausreichend ist, dass der Sozialhilfeträger die Leistungsvoraussetzungen lediglich "erahnen" kann (BVerwG, Beschluss v. 9.11.1976, V B 80.76, FEVS 25 S. 133; Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 16 zu § 18).

Da das Blindengeld nach den meisten Landesblindengeldgesetzen niedriger als die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist, wird in vielen Fällen Kenntnis des Sozialhilfeträgers über die Notwendigkeit der ergänzenden Blindenhilfe gegeben sein. Die für die Ausführung der Landesblindengeldgesetze zuständigen Stellen sind auf jeden Fall verpflichtet, auf einen möglichen Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII hinzuweisen (§ 14 SGB I).

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6.5.3 Berücksichtigung der Grundsätze des Sozialhilferechts, insbesondere von Einkommen und Vermögen

Bei den Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen handelt es sich nicht um "Sozialhilfeleistungen", so dass für sie die Grundsätze des Sozialhilferechts nicht gelten. Die Leistungen nach allen Landesblindengeldgesetzen werden insbesondere ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt.

Bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII handelt es sich um eine Sozialhilfeleistung. Sie wird als pauschalierte Geldleistung erbracht, hat aber dennoch nicht den Charakter einer rentengleichen Dauerleistung, sondern ist Hilfe zur Überwindung einer konkreten Notsituation (Haufe Onlinekommentar zum SGB XII, RN. 3 zu § 72 - BVerwG, Urteil v. 15.11.1967, V C 71.67, FEVS 15 S. 361). Deshalb sind die Grundsätze und Besonderheiten des Sozialhilferechts zu beachten. Daraus ergibt sich u. a. folgendes:

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist vom aktuellen Einkommen und Vermögen abhängig. Vgl. dazu im einzelnen 6.5.3.1 und 6.5.3.2 mit den jeweiligen Unterpunkten. Bei den Einkommens- und Vermögensgrenzen kommt es dabei nicht nur auf das Einkommen und Vermögen des Blinden an, sondern auf dasjenige der "Bedarfsgemeinschaft". Zu dieser gehören neben dem Anspruchsberechtigten auch der nicht getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspartner und die minderjährigen Kinder (§ 19 Abs. 3 SGB XII).

Berücksichtigt wird ferner, welche Unterhaltsansprüche der Bedürftige gegen seine erwachsenen Kinder, gegen seine Eltern oder gegen den außerhalb der Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehegatten hat. Diese Ansprüche sind im BGB geregelt (§§ 1360 und 1360a BGB für den Ehegattenunterhalt, § 1361 BGB für den Ehegattenunterhalt während des Getrenntlebens, Unterhaltsansprüche unter Verwandten in gerader Linie § 1601 ff. BGB). Der Unterhaltsanspruch gegenüber Lebenspartner ergibt sich aus § 5 Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG). Das Maß des Unterhaltsanspruchs richtet sich nach § 1610 BGB. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt) (§1610 Abs. 1 BGB). Der Unterhalt umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung. Die Frage ist, ob der Unterhaltsanspruch auch den blindheitsbedingten Mehrbedarf umfasst. Das wird von den Sozialhilfeträgern unterschiedlich beurteilt. Die Heranziehung von Unterhaltspflichtigen wird deshalb bei der Blindenhilfe unterschiedlich gehandhabt. So wird zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Meinung vertreten, dass zivile Unterhaltsansprüche allein den Lebensunterhalt abdecken sollen und nicht den besonderen Blindheitsbedarf; dies darf dann auch im Rahmen der Sozialhilfe nicht zu einer entsprechenden Inanspruchnahme der Unterhaltspflichtigen führen (vgl. T 94, Ziff. 4.9.4 der vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe herausgegebenen "Empfehlungen zum Sozialhilferecht".) In anderen Ländern werden jedoch die Unterhaltspflichtigen im Rahmen ihrer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht herangezogen. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten: Der zivile Unterhaltsanspruch richtet sich darauf, dass der "Lebensbedarf" des Unterhaltsberechtigten angemessen befriedigt wird. Unter "Lebensbedarf" fallen Essen, Kleidung, Wohnung und auch Ausbildung, aber nicht der spezielle behinderungsbedingte Bedarf eines Blinden. Selbst wenn ein Unterhaltsanspruch bejaht wird, ist dieser nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07.06.2005 (Az.: 1 BVR 1508/96) erheblich eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht stellt u. a. fest: "Die zivilen Unterhaltspflichten, das heißt: der Umfang der Pflicht und die Rangfolge der Verpflichteten, sind im BGB abschließend geregelt. Das Sozialhilferecht ist demgegenüber nachrangig. Durch das Sozialhilferecht können Unterhaltspflichten nicht erweitert werden. Es ist der erkennbare Wille des Gesetzgebers, dass den Unterhaltspflichten der Kinder gegenüber ihren Eltern besondere Grenzen gesetzt sind, das heißt: die Grenzen sind hier enger als bei Ansprüchen in der umgekehrten Richtung."

Veränderungen in der Einkommens- und Vermögenslage wirken sich aus. Sozialhilfe und damit auch die Blindenhilfe wird für den gegenwärtigen Bedarf geleistet (§ 18 SGB XII). Bezieht z. B. ein Blinder mit nur geringem Einkommen und Vermögen ergänzende Blindenhilfe und kommt er (indem er eine Berufstätigkeit aufnehmen kann oder durch eine Erbschaft oder einen Lottogewinn) später wieder zu mehr Geld, so muss er dies unverzüglich dem Sozialamt melden und die Auszahlung der Blindenhilfe wird dann eingestellt. In diesem Fall braucht er aber die zuvor erhaltene Blindenhilfe aus dem neuen Einkommen oder Vermögen nicht zurückzuzahlen.

Der "Bedarfszeitraum", auf den es ankommt, ist mit dem jeweiligen Kalendermonat identisch.

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6.5.3.1 Berücksichtigung des Einkommens bei der Blindenhilfe

Das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft (§ 19 Abs. 3 SGB XII), also des Leistungsberechtigten, des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners und - wenn sie minderjährig und unverheiratet sind - auch der Eltern oder eines Elternteils, wird bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII der für diese geltenden Einkommensgrenze gegenüber gestellt.

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6.5.3.1.1 Ermittlung des Einkommens

Was zum Einkommen zählt, ist den §§ 82 - 89 SGB XII zu entnehmen.

In § 82 Abs. 1 definiert der Gesetzgeber den Einkommensbegriff und normiert zugleich, welche Einkünfte nicht zum Einkommen zählen. Zum Einkommen gehören danach alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme einiger ausdrücklich genannter (öffentlich-rechtlicher) Leistungen.

Absatz 2 schreibt zwingend vor, welche Aufwendungen vom (Brutto-)Einkommen abzusetzen sind, um das maßgebende (Netto-)Einkommen zu ermitteln. Darüber hinaus bestimmt Abs. 3, welche weiteren Beträge vom Einkommen abzuziehen sind.

Auszugehen ist also vom Bruttoeinkommen. Zum Einkommen zählen nach § 82 Abs. 1 SGB XII alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, d. h. in Geld messbare Leistungen.

Der Einkommensbegriff des § 82 erstreckt sich auf einen weiten Anwendungsbereich, der durch § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII ausgefüllt wird. Danach gehören zum Einkommen alle Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsnatur sowie ohne Rücksicht darauf, ob sie zu den Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes zählen oder ob sie der Steuerpflicht unterliegen. Zum Einkommen gehören alle laufenden und einmaligen Mittel, die dem Hilfebedürftigen im Bedarfszeitraum tatsächlich zufließen (so genannte Zuflusstheorie). Dabei ist unerheblich, ob die Mittel überhaupt für den Bedarfszeitraum bestimmt sind, was z. B. bei Nachzahlungen nicht der Fall ist, oder ob sie den sozialhilferechtlichen Bedarf decken sollen (BVerwG, Urteile v. 18.2.1999, 5 C 35/97, = BVerwGE 108 S. 296 und v. 19.2.2001, 5 C 4/00). Ansprüche zählen erst zum Einkommen, wenn sie fällig sind. Fällige Ansprüche des Leistungsberechtigten gegen Dritte, die nicht rechtzeitig durchsetzbar sind, um den Bedarf zu decken, sind kein Einkommen (BVerwG, Urteile v. 29.9.1971, V C 2.71, und v. 22.4.2004, 5 C 68/03, NJW 2004 S. 2608 f.). Denn der Hilfesuchende darf wegen seines gegenwärtigen Bedarfs nicht auf Mittel verwiesen werden, die ihm erst in Zukunft tatsächlich zur Verfügung stehen werden (BVerwG, Urteile v. 19.1.1972, V C 10.71, = BVerwGE 39 S. 261, 267 = und v. 22.4.2004, 5 C 68/03, NJW 2004 S. 2608 f.). Macht er dagegen fällige Ansprüche nicht geltend, obwohl ihre Durchsetzung erfolgversprechend und zumutbar ist, kann dies die Hilfe ausschließen (BVerwG, Urteil v. 2.6.1965, V C 63.64, = BVerwGE21 S. 208, 212). Bedarfs- und Zuflusszeitraum müssen also identisch sein (vgl. BVerwG, Urteil v. 22.4.2004, 5 C 68/03, NJW 2004 S. 2608). Als Bedarfszeit ist dabei auf den jeweiligen Kalendermonat und nicht auf einen im Beginn variablen Zeitraum von 30 Tagen abzustellen (BVerwG, Urteil v. 22.4.2004, 5 C 68/03, NJW 2004 S. 2608).

Zu Einnahmen zählen z.B.:

  • Arbeitslohn und Arbeitseinkünfte auch aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen,
  • Weihnachts- und Urlaubsgeld (auf 12 Monate zu verteilen),
  • Krankengeld, Lohnfortzahlung,
  • Renten,
  • erhaltene Unterhaltszahlungen und Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz,
  • Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung,
  • Wohngeld,
  • Kapital- und Zinserträge,
  • Steuererstattungen,
  • Kindergeld, das bei Minderjährigen dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird,
  • Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Das sind solche aus gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit, Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 4 DVO zu § 82 SGB XII) abzüglich Werbungskosten.

Einkünfte in Geldeswert sind vor allem Sachbezüge, d.h. solche Waren und Dienstleistungen, die einen Marktwert haben, also mit Geld erworben werden können (Deputate, Warenleistungen, freie Unterkunft und/oder Verpflegung, Mitarbeiterrabatte bei Wareneinkäufen, unentgeltliche Überlassung eines Kfz, OVG Hamburg, Beschluss v. 20.12.1994, Bs IV 196/94, NVwZ-RR 1995 S. 400 f.). Für die Bewertung sind die Werte der Sachbezüge maßgebend, die aufgrund des § 17 Abs. 2 SGB IV für die Sozialversicherung zuletzt festgestellt worden sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DVO zu § 82 SGB XII). Soweit der Wert der Sachbezüge nicht festgesetzt ist, sind der Bewertung die üblichen Mittelpreise des Verbrauchsortes zu Grunde zu legen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 DVO zu § 82 SGB XII). Das gilt auch, wenn in einem Tarifvertrag, einer Tarifordnung, einer Betriebs- oder Dienstordnung, einer Betriebsvereinbarung, einem Arbeitsvertrag oder einem sonstigen Vertrag andere Werte festgesetzt worden sind § 2 Abs. 2 DVO zu § 82 SGB XII). Dennoch können derartige Vereinbarungen ein wichtiges Indiz für den Wert der Sachbezüge sein (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ 18 zu § 82).

Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen mindern die Einkünfte nicht.

Nicht zum Einkommen gehören nach § 82 Abs. 1 SGB XII Leistungen nach dem SGB XII, die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen (§§ 80 ff. Soldatenversorgungsgesetz, §§ 42 ff. Zivildienstgesetz, §§ 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz für Impfopfer, §§ 1 ff. Opferentschädigungsgesetz für Opfer von Gewalttaten) und die Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (§§ 28 bis 42 BEG), bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Von dem so ermittelten Einkommen sind nach § 82 Abs. 2 SGB XII abzusetzen:

  1. auf das Einkommen entrichtete Steuern,
  2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
  3. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes ("Riester-Rente"), soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
  4. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (Werbungskosten - Einzelheiten sind in der DVO zu § 82 SGB XII zu den verschiedenen Einkunftsarten geregelt),
  5. das Arbeitsförderungsgeld und Erhöhungsbeträge des Arbeitsentgelts für in Werkstätten für behinderte Menschen Beschäftigte im Sinne von § 43 Satz 4 des Neunten Buches.

Zu Nr. 3: Gesetzlich vorgeschrieben sind die Beiträge zur Pflegeversicherung für privat Krankenversicherte (§ 23 SGB XI) und in einigen Bundesländern die Gebäudebrand-(Feuer-)Versicherung.

Freiwillige Versicherungen sind ihrem Grund nach angemessen, wenn sie den Hilfebedürftigen in ähnlicher Weise vor den Wechselfällen des Lebens schützen wie die Sozialversicherung. Ist der Hilfebedürftige in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung freiwillig versichert, so sind seine Beiträge nach Grund und Höhe immer angemessen. Der Abschluss einer privaten Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung ist zumindest dem Grunde nach angemessen (vgl. auch § 32 SGB XII). Ansonsten ist entscheidend, ob der Hilfebedürftige einen möglichen Bedarf versichert, der bei Eintritt des Schadensfalls durch die Sozialhilfe abgedeckt werden müsste (OVG NW, Urteil v. 13.11.1979, VIII A 80/78, FEVS 28 S. 412, 414). Dies kann vor allem bei freiwilligen Haftpflicht-, Hausrat-, Feuer-, Unfall- und Sterbegeldversicherungen der Fall sein (vgl. OVG Berlin, Urteil v. 26.5.1983, 6 B 32.82, FEVS 33 S. 328, 330; OVGNW, Urteil v. 13.11.1979, FEVS 28 S. 412, 414; a.A. OVG Hamburg, Urteil v. 22.8.1991, Bf IV 42/90, NVwZ-RR 1992 S. 424 f. = FEVS 43 S. 145). Versicherungsprämien, die in erster Linie der Vermögensbildung dienen (z.B. hohe Lebensversicherungen, Aussteuerversicherungen u.ä.), sind nicht absetzbar (BVerwG, Urteil v. 14.10.1988, 5 C 48/85, NJW 1989 S. 539 f.; OVG Lüneburg, Urteil v. 29.5.1985, 4 A 93/82, FEVS 36 S. 108, 119). Auch Rechtsschutzversicherungen sind nicht abzugsfähig (vgl. zum Ganzen Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 33, 34 und 35 zu § 82).

Zu Nr. 4: Zu den Werbungskosten gehören z. B. Aufwendungen für

  • Arbeitsmittel (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 DVO zu § 82 SGB XII) wie Werkzeug, Berufsbekleidung, Fachbücher usw.,
  • Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz (§ 3 Abs. 4 Nr. 2 DVO zu § 82 SGB XII),
  • Beiträge zu Berufsverbänden, z. B. Gewerkschaften (§ 3 Abs. 4 Nr. 3 DVO zu § 82 SGB XII),
  • Doppelte Haushaltsführung bis zu einem Betrag von monatlich 130,00 EUR sowie die Kosten für Familienheimfahrten (§ 3 Abs. 4 Nr. 4 DVO zu § 82 SGB XII) wenn der Arbeitsplatz außerhalb des Wohnortes liegt und weder ein Umzug noch die tägliche Rückkehr zugemutet werden kann (§ 3 Abs. 7 DVO zu § 82 SGB XII),
  • Kinderbetreuungskosten allein erziehender Elternteile, denn die Aufzählung in § 3 Abs. 4 der DVO zu § 82 SGB XII ist nicht abschließend (VGH BW, Urteil v. 1.9.1992, 6 S 2640/90, FEVS 43 S. 261, 264).

Bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 4 DVO zu § 82 SGB XII und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 6 DVO zu § 82 SGB XII sowie bei den Einkünften sonstiger Art nach § 8 DVO zu § 82 SGB XII sind die Werbungskosten abzusetzen, die das Finanzamt anerkannt hat und die mit der Einkommenserzielung unmittelbar zusammenhängen. Bei Einkünften aus Kapitalvermögen sind Depotkosten, Bankspesen, Beiträge zu Schutzvereinigungen von Wertpapierbesitzern u.ä. abzusetzen (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 44 zu § 82).

Im Hinblick auf die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung regelt § 7 Abs. 2 DVO zu § 82 SGB XII, welche notwendigen Ausgaben geltend gemacht werden können:

  • Schuldzinsen (keine Tilgungsleistungen, BVerwG, Urteil v. 9.12.1970, V C 73.70, Buchholz 436.0, § 79 BSHG Nr. 2 = BVerwGE 37 S. 13);
  • dauernde Lasten (Erbpachtzinsen, Altenteilslasten);
  • Grundbesitzsteuern (Grundsteuer, Einkommensteuer auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung);
  • sonstige öffentliche Abgaben (Erschließungs- und Anliegerbeiträge, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Schornsteinfeger);
  • Versicherungsbeiträge (Feuer, Einbruch, Unwetter, Haftpflicht);
  • Zinsen auf die Hypothekengewinnabgabe und die Kreditgewinnabgabe nach § 211 Abs. 1 Nr. 2 des LAG;
  • Erhaltungsaufwand (Instandsetzung und Instandhaltung, nicht: Verbesserungen);
  • sonstige Aufwendungen zur Bewirtschaftung des Haus- und Grundbesitzes (z.B. Verwalterkosten, Flurbeleuchtung), ohne besonderen Nachweis Aufwendungen in Höhe von 1 % der Jahresroheinnahmen.

Einkünfte, die nicht monatlich oder monatlich in unterschiedlicher Höhe zufließen, werden nach dem Jahresdurchschnitt angerechnet. Sonderzahlungen wie z. B. Urlaubsgeld, Steuererstattungen, Weihnachtszuwendungen sind in der Regel auf 12 Monate zu verteilen, also mit 1/12 als Monatsbetrag anzusetzen.

Nachzahlungen von Renten oder Arbeitslosengeld werden von dem Zeitpunkt an als Einkommen berücksichtigt, in dem sie ausgezahlt werden. Das heißt: Sie gelten nicht nachträglich als Einkommen für die Zeit, in der sie eigentlich hätten ausgezahlt werden müssen, sondern sind gegenwärtiges Einkommen. Wird bei der Nachzahlung ein größerer Betrag "auf einen Schlag" ausgezahlt, gilt der Betrag in dem Monat, in dem er ausgezahlt wird, als "Einkommen", vom folgenden Monat an wird er als "Vermögen" behandelt. Zur Frage, inwieweit solche Nachzahlungen dann als Vermögen eingesetzt werden müssen, vgl. 6.5.3.2.3.

Wichtig ist die Behandlung zweckidentischer Leistungen nach § 83 SGB XII. Die Vorschrift schränkt das berücksichtigungsfähige Einkommen im Sinne von § 82 weiter ein. Zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen sollen für den jeweiligen Zweck und nicht für die andersartigen Maßnahmen der Sozialhilfe herangezogen werden. Außerdem schließt die Regelung Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für ein- und denselben Zweck aus.

Nach Abs. 1 sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Diese Regelung entspricht dem Subsidiaritätsprinzip des Sozialhilferechts. Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind Zuwendungen, die von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts aufgrund eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung, einer Satzung oder einer Verwaltungsvorschrift erbracht werden. Hierzu gehören in erster Linie Sozialleistungen (vgl. § 11 Satz 1 SGB I), nicht jedoch Dienstbezüge von Beamten oder Steuervergünstigungen (OVG NW, Urteil v. 13.11.1979, VIII A 80/78, FEVS 28, 412, 414). Maßgebend ist die Zweckbestimmung. Die Zweckbestimmung muss sich direkt aus der Vorschrift ohne aufwendige Auslegung herleiten lassen (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 6 zu § 83). Zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen sind nur dann auf die Sozialhilfe anzurechnen, wenn sie demselben Zweck dienen. Diese Zweckidentität liegt vor, wenn beide Leistungen denselben Bedarf decken sollen. Wie sich aus dem Wort "soweit" in Abs. 1 ergibt, kann die Zweckidentität auch nur teilweise bestehen (Haufe Onlinekommentar a.a.O. RZ. 7).

Alle Sozialleistungen, die als Einkommensersatz dienen, also Renten, Arbeitslosengeld I und II, Kindergeld, BAföG, Krankengeld, Sozialhilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zählen zum Einkommen.

Beim Kindergeld wird angenommen, dass es sich nicht um eine "zweckbestimmte" staatliche Leistung handelt, sondern um eine allgemeine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie; es ist deshalb grundsätzlich als Einkommen anzurechnen. Allerdings ist vorrangig zu beachten: "Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird." (§ 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Besonderheiten gibt es unter anderem auch bei der Anrechnung von BAföG (hier kann ein Anteil von 20% für Ausbildungskosten als zweckbestimmte Leistung abgesetzt werden, vgl. Empfehlungen zum Sozialhilferecht T 83 Nr. 2.9).

Andere Sozialleistungen hingegen, die nicht als Einkommensersatz gedacht sind, sondern zu anderen bestimmten Zwecken gewährt werden, wie z. B. Leistungen der Eingliederungshilfe, sind weder eine "gleichartige Leistung" gegenüber dem Landesblindengeld oder der Blindenhilfe, noch dürfen sie bei der Einkommensprüfung als "Einkommen" berücksichtigt werden (§ 83 Abs. 1 SGB XII).

Die Berücksichtigung des Landesblindengeldes bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII erfolgt nicht über die Einkommensermittlung nach § 83 Abs. 1 SGB XII, sondern auf Grund der Spezialregelung in § 72 Abs. 1 SGB XII im Wege der Anrechnung auf die Sozialhilfeleistung. In § 72 Abs. 1 heißt es ausdrücklich, dass blinden Menschen Blindenhilfe gewährt wird, "soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten". Das hat das OVG Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 29.9.2004 - 2 LB 40/04 übersehen. Es hat das Landesblindengeld in Höhe von 450,00 Euro als zweckidentische Leistung mit der Blindenhilfe gemäß § 77 Abs. 1 BSHG - heute § 83 Abs. 1 SGB XII - zum Einkommen des Klägers hinzugerechnet und deshalb den Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe abgelehnt. Der Fehler im Urteil des OVG ergibt sich daraus, dass folgendes nicht beachtet worden ist: § 77 Abs. 1 BSHG - heute § 83 Abs. 1 SGB XII - ist zunächst eine Schutzvorschrift zugunsten des Hilfeempfängers: Bei zwei Leistungen, die verschiedenen Zwecken dienen, soll keine Leistung so behandelt werden, dass sie als anzurechnendes Einkommen den Anspruch auf die jeweils andere Leistung mindert, denn sonst würde der für den ersten Leistungszweck bestimmte Betrag praktisch umgewidmet für den zweiten Leistungszweck. Andererseits soll die Norm in den Fällen eines identischen Leistungszwecks die Verdoppelung der Leistung verhindern, was eben dadurch geschieht, dass die eine der beiden Leistungen bei der anderen als Einkommen angerechnet wird.

Was nun aber das OVG übersieht, ist folgendes: Eben diese und nur diese Funktion - die Verhinderung der Leistungsverdoppelung - hat auch die in § 67 Abs. 1 BSHG (heute § 72 Abs. 1 SGB XII) geforderte Anrechnung gleichartiger Leistungen auf die Blindenhilfe, nur dass die Methode der Verhinderung hier eine andere ist: Der Betrag der einen Leistung wird direkt von dem der anderen abgezogen. Nun kann man aber, einmal am Ziel angelangt, dieses nicht doppelt erreichen. Und das hat das OVG übersehen: Es wendet die Anrechnungsregel des § 77 Abs. 1 BSHG (jetzt § 83 Abs. 1 SGB XII) und die des § 67 Abs. 1 BSHG (jetzt § 72 Abs. 1 SGB XII) kumulativ (!) an und kommt durch eine doppelte Leistungsanrechnung zu einer zweifach verhinderten Leistungsverdoppelung. Eine solche doppelte Anrechnung ist weder gerechtfertigt, noch war sie jemals von den Regelungen in §§ 77 und 67 BSHG beabsichtigt.

Um diesen Fehler zu vermeiden, muss man § 67 Abs. 1 BSHG (bzw. § 72 Abs. 1 SGB XII) als lex specialis gegenüber § 77 Abs. 1 BSHG (bzw. § 83 Abs. 1 SGB XII) ansehen und darf von den beiden nur die letztgenannte Regelung anwenden. Beide Regelungen verfolgen ein und denselben Zweck, die letztgenannte ist jedoch die speziellere und in diesem Falle auch die strengere. Die Eigenschaft der Anrechnungsregelungen in § 72 SGB XII als Spezialregelungen betont auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 21.09.2006 - L 7 SO 5514/05. Dieses Urteil befasst sich mit der Anrechenbarkeit verschiedener Sozialleistungen, nämlich des Landesblindengeldes auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII und dieser Leistungen auf das sozialhilferechtliche Pflegegeld nach § 64 SGB XII.

Wegen der fehlenden Zweckidentität darf andererseits die Blindenhilfe oder ein Landesblindengeld bei Sozialhilfeleistungen, die nicht dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen dienen, nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Die Zweckidentität muss für die jeweils konkret in Betracht zu ziehenden Sozialleistungen geprüft werden (BVerwG, Urteil vom 28.5.2003 - 5 C 41.02 - FEVS 55, 102, 106).

Die hier vertretene Auffassung wird auch durch folgende Überlegungen gestützt:

Nach § 82 Abs. 1 SGB XII zählen die Leistungen nach dem SGB XII nicht zum Einkommen, welches bei der Gewährung von Sozialhilfe zu berücksichtigen ist. Das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz ist zwar keine Leistung nach dem SGB XII, es tritt aber an die Stelle der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Es dient dem selben Zweck, nämlich blindheitsbedingte Nachteile auszugleichen und so eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen und die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bilden, wie sich aus der geschichtlichen Entwicklung zeigt, ein spezielles Hilfesystem. Deshalb enthält § 72 Abs. 1 SGB XII für die Anrechnung des Blindengeldes auch eine Spezialregelung, welche den Regelungen über die Berücksichtigung als Einkommen nach den §§ 82 ff SGB XII vorgeht. In § 72 Abs. 1 heißt es ausdrücklich, dass blinden Menschen Blindenhilfe gewährt wird, "soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten". Das hat das OVG Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 29.9.2004 - 2 LB 40/04 übersehen.

Dass das Urteil des OVG Schleswig-Holstein dem Blindengeldsystem nicht gerecht wird und damit dem Sinn des Gesetzes nicht entspricht, zeigt sich auch daran, dass derjenige ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII erhält, welcher wegen fehlenden eigenen Einkommens Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit nach den §§ 41 ff SGB XII erhält, weil in diesem Fall das Landesblindengeld unter dem anrechnungsfreien Betrag des doppelten Regelsatzes nach § 85 SGB XII bleibt. Allerdings wäre das Landesblindengeld auch in diesem Fall nach § 72 Abs. 1 SGB XII auf die Blindenhilfe anzurechnen. Eine solche doppelte Berücksichtigung, einmal beim Einkommen nach §§ 82 ff SGB XII und sodann erneut bei der Anrechnung nach § 72 Abs. 1 SGB XII kann nicht richtig sein.

Schmerzensgeld nach § 847 BGB, das wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung für den immateriellen Schaden geleistet wird (§ 253 Abs. 2 BGB), zählt wegen der Zweckbestimmung nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 83 Abs. 2 SGB XII nicht zum Einkommen.

§ 84 SGB XII enthält eine Sonderregelung für Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder von anderer Seite.

In der Regel sind Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Dagegen sollen (intendiertes Ermessen) freiwillige Zuwendungen anderer nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Anrechnung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde (§ 84 Abs. 2). Beruht die Zuwendung jedoch auf einer sittlichen oder rechtlichen Pflicht, ist sie als Einkommen zu berücksichtigen.

Als Zuwendungen gelten Sach- und Geldleistungen, nicht dagegen Dienst- oder persönliche Hilfeleistungen. Unter der freien Wohlfahrtspflege sind neben den in § 5 SGB XII aufgeführten Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege wie Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Paritätischer Wohlfahrtsverband auch sonstige Vereinigungen zu verstehen, die Bedürftige betreuen (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 3 zu § 84). Die Zuwendungen müssen Ausdruck der karitativen Tätigkeit sein und dürfen nicht auf einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht beruhen. Gewährt eine Werkstatt für behinderte Menschen, die von einem Verband der freien Wohlfahrtspflege betrieben wird, ein Entgelt, so geschieht dies aufgrund einer Rechtspflicht. Dies hat zur Folge, dass das Entgelt als Einkommen anzurechnen ist (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 4 zu § 84, OVG Berlin, Urteil v. 14.5.1981, 6 B 48.80, FEVS 31 S. 418, 420). Die Zuwendungen sind jedoch ausnahmsweise als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie die Lage der Leistungsberechtigten so günstig beeinflussen, dass daneben Sozialhilfe ungerechtfertigt wäre. Hierfür trägt die Behörde die Feststellungslast. Gegebenenfalls kommt auch eine teilweise Anrechnung in Frage.

Aus § 84 Abs. 2 SGB XII ergibt sich folgendes: Wenden andere (als die Träger der freien Wohlfahrtspflege) dem Leistungsberechtigten Mittel zu, weil sie hierzu rechtlich oder sittlich verpflichtet sind, so sind diese Mittel als Einkommen zu berücksichtigen. Eine rechtliche Pflicht kann gesetzlich (z.B. Unterhaltspflicht) oder vertraglich (z.B. Unterhaltsvereinbarung, Dienstvertrag) begründet sein. Ob eine sittliche Pflicht besteht, lässt sich oftmals nur schwer beurteilen. So können Unterhaltsleistungen von Geschwistern, obwohl gegen sie kein Unterhaltsanspruch besteht, sittlich geboten sein (vgl. Haufe, Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 6 zu § 84). Zuwendungen anderer, zu denen keine rechtliche oder sittliche Pflicht besteht, werden als Einkommen berücksichtigt, wenn das für die Leistungsberechtigten keine besondere Härte bedeuten würde. Solche freiwilligen Zuwendungen, welche auf keiner sittlichen Verpflichtung bestehen, sind z. B. freiwillige Leistungen des Arbeitgebers (aus Unterstützungsfonds) an frühere Mitarbeiter, privatrechtliche Stiftungsleistungen, Ehrengaben oder Trinkgelder (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 7 zu § 84). Um zu entscheiden, ob eine besondere Härte vorliegt, sind die Verhältnisse der nachfragenden Person mit den Verhältnissen anderer Leistungsberechtigter zu vergleichen. Maßgebend sind auch hier die besonderen Umstände des Einzelfalles.

Erbringt ein Dritter freiwillige Unterhaltsleistungen an einen Berechtigten und wohnen beide in einer Haushaltsgemeinschaft, so verdrängt die Spezialvorschrift

des § 36 SGB XII den § 84 SGB XII; denn nach § 36 Satz 1 wird vermutet, dass Personen einer Haushaltsgemeinschaft gemeinsam wirtschaften und ihren Lebensunterhalt untereinander sichern. Folglich tritt § 84 hinter § 36 zurück (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 9 zu § 84).

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6.5.3.1.2 Einkommensgrenze – Einsatz des die Grenze übersteigenden Einkommens

Das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft (§ 19 Abs. 3 SGB XII) ist gemäß § 87 SGB XII nur insoweit anzurechnen, als es die in den §§ 85 und 86 SGB XII festgelegten Einkommensgrenzen übersteigt. Es ist also diesen Einkommensgrenzen gegenüberzustellen.

Anders als für die Hilfe zum Lebensunterhalt, bei welcher das gesamte verwertbare Einkommen eingesetzt werden muss, ist es für die Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 bis 52), die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60), die Hilfe zur Pflege (§§ 61 bis 66), die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 bis 69) und die Hilfen in anderen Lebenslagen (§§ 70 bis 74 darunter auch die Blindenhilfe nach § 72) nur insoweit einzusetzen, als dies zumutbar ist (vgl. § 19 Abs. 3 SGB XII); denn diese Leistungen sollen auch solche Personen erhalten, deren Einkünfte die Bedarfssätze für den notwendigen Lebensunterhalt (§ 27) übersteigen. Dabei erstreckt sich Abs. 1 auf das Einkommen der nachfragenden Person, ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners und Abs. 2 auf das Einkommen der Minderjährigen unverheirateten Kinder und deren Eltern oder Elternteile.

Die Zumutbarkeitsgrenze nach § 85 Abs. 1 SGB XII umfasst den Grundbetrag, die Kosten der Unterkunft und den Familienzuschlag.

Der Grundbetrag (§ 85 Abs. 1 Nr. 1) beträgt das Zweifache des Eckregelsatzes, d.h. des Regelsatzes, der für den Haushaltsvorstand maßgebend ist (§ 28 Abs. 2 Satz 3 SGB XII, § 3 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung – RSV). Das sind nach dem Stand von 2005 zwei mal 345,00 Euro = 690,00 Euro, wobei eine Erhöhung durch die Länder nach § 86 SGB XII möglich ist.

Die Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs. 1 Nr. 2) sind zu berücksichtigen, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen. Bei einer Mietwohnung zählen zu den Aufwendungen für die Unterkunft der vereinbarte Mietzins und die Nebenkosten inklusive der Heizkosten. Nicht zu den Nebenkosten gehören die Aufwendungen für den Haushaltsstrom und die Warmwasserversorgung, weil dieser Bedarf bereits im Regelsatz enthalten ist. Wohngeld ist abzusetzen. Bei einem Eigenheim oder einer Eigentumswohnung, welche selbst bewohnt werden, können der Kapitalzins und die anfallenden Nebenkosten geltend gemacht werden Das sind die Belastungen, welche nach § 7 Abs. 2 DVO zu § 82 SGB XII bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind. Tilgungsbeträge für Darlehen können nicht berücksichtigt werden, weil hierdurch Vermögen gebildet wird. Für die Frage, ob die Aufwendungen für die Unterkunft angemessen sind, ist auf die Verhältnisse des örtlichen Wohnungs- und Grundstückmarktes abzustellen. Für Unterkunftskosten werden in den meisten Fällen bei einem Einpersonenhaushalt bis ca. 400,00 € als angemessen anerkannt. Für einen Mehrpersonenhaushalt erhöht sich dieser Betrag. Der Wert hängt ab

  1. von der Angemessenheit der Größe der bewohnten Räume und
  2. von der Angemessenheit der Kosten bezogen auf den durchschnittlichen Preis in der jeweiligen Wohngegend.

Zu a) werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit folgende Durchschnittswerte angegeben (vgl. BT-Drucksache 15/3663 S. 10):

  • 1 Person ca. 45 bis 50 qm
  • 2 Personen ca. 60 qm oder 2 Wohnräume
  • 3 Personen ca. 75 qm oder 3 Wohnräume
  • 4 Personen ca. 85 bis 90 qm oder 4 Wohnräume
  • sowie für jedes weitere Familienmitglied ca. 10 qm oder 1 Wohnraum mehr.

Hier müsste auch der erhöhte Wohnraumbedarf wegen Blindheit oder Sehbehinderung berücksichtigt werden, der in DIN 18025 Teil 2 mit 15 qm oder 1 Raum mehr angegeben wird. Die Höhe des Mietzinses ist angemessen, wenn er sich im unteren Bereich des örtlichen Mietniveaus bewegt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass alters- und behindertengerechtes Wohnen in der Regel zu höheren Wohnkosten führt, als sie für Wohnungen einfachen Standards durchschnittlich anfallen. Ist ein Umzug alters- oder behinderungsbedingt unzumutbar, können auch höhere Aufwendungen für eine große Wohnung "angemessen" sein (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 12 zu § 85). Bei einem Blinden kann hier die im Wohnumfeld erlangte Mobilität ein wichtiger Gesichtspunkt sein. Ein Eigenheim ist angemessen, wenn es nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften (II. WoBauG i.d.F. der Bkm. v. 19.8.1994, BGBl. I S. 2137, WoBauFG v. 22.12.1989, BGBl. I S. 2408) gefördert werden könnte.

Der Familienzuschlag (§ 85 Abs. 1 Nr. 3) für den nicht getrennt lebenden Ehegatten

oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden, beträgt 70 % des Eckregelsatzes, wobei auf volle Euro-Beträge aufzurunden ist. Lebenspartner sind Personen gleichen Geschlechts, die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) eine Lebenspartnerschaft begründet haben. Ob Ehegatten oder Lebenspartner zusammen oder getrennt leben, richtet sich nach den Grundsätzen, die der Gesetzgeber im Familienrecht aufgestellt hat. Nach § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben Ehegatten getrennt, wenn sie ihre häusliche Gemeinschaft, d. h. ihre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, vollständig aufgelöst haben (vgl. BVerwG, Urteil v. 26.1.1995, 5 C 8/93, BVerwGE 97 S. 344). Das ist der Fall, wenn sie nicht (mehr) in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben und zumindest ein Ehegatte die häusliche Gemeinschaft nicht (wieder) herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Nach § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB kann das Getrenntleben allerdings auch innerhalb der ehelichen Wohnung verwirklicht werden. Der Nachweis des Getrenntlebens lässt sich in diesen Fällen allerdings nur schwer führen, weil gemeinsame Berührungspunkte (die beiderseitige Benutzung von Küche, Bad, Flur usw.) meist unvermeidbar sind. Ein Getrenntleben liegt deshalb nur vor, wenn die Ehegatten oder Partner keinen gemeinsamen Haushalt mehr führen und sich ein gelegentliches Zusammentreffen als bloßes räumliches Nebeneinander ohne persönliche Beziehung darstellt (BGH, Urteil v. 11.4.1979, IV ZR 77/78, FamRZ 1979 S. 469 f. = NJW 1979 S. 1360 f.).

Für hilfebedürftige unverheiratete Minderjährige ist hinsichtlich der Zumutbarkeitsgrenze die abweichende Regelung in § 85 Abs. 2 SGB XII zu beachten. Die Einkommensgrenze nach Abs. 2 Satz 1 entspricht im Hinblick auf den Grundbetrag und die Unterkunftskosten im Wesentlichen § 85 Abs. 1 SGB XII. An die Stelle des nicht vorhandenen Ehegatten oder Lebenspartners treten die Eltern des Minderjährigen. Minderjährig sind nach § 2 BGB Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Zum Grundbetrag (§ 85 Abs. 2 Nr. 1) und zu den Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs. 2 Nr. 2) kann auf die obigen Ausführungen zu § 85 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 verwiesen werden. Wenn die Einkünfte der Eltern oder eines Elternteils des Leistungsberechtigten maßgebend sind, richtet sich die Höhe des Eckregelsatzes nach deren gewöhnlichem Aufenthalt (§ 85 Abs. 3 Satz 2). Ist ihr gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, bestimmt sich der Eckregelsatz nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält (§ 85 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 1).

Für den Familienzuschlag nach § 85 Abs. 2 Nr. 3 gilt folgendes: Leben die Eltern mit ihrem minderjährigen, unverheirateten Kind zusammen, so sind für einen Elternteil und das Kind (= nachfragende Person) jeweils der Familienzuschlag in Höhe von 70 % des Eckregelsatzes eines Haushaltungsvorstandes zu berücksichtigen. Für den anderen Elternteil ist das nicht der Fall, weil er durch den Grundbetrag in Höhe des doppelten Eckregelsatzes nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 berücksichtigt ist. Kinder und Eltern leben zusammen, wenn sie eine Lebens- bzw. Haushaltsgemeinschaft bilden. Lebt der Minderjährige bei einem Elternteil, leben die Eltern aber nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem der Minderjährige lebt (§ 85 Abs. 2 Satz 2). Auch hier ist maßgebend, ob zwischen dem Elternteil und dem minderjährigen, unverheirateten Kind eine Lebensgemeinschaft besteht. Besteht zwischen dem Minderjährigen und seinen Eltern, die zusammen leben, weder eine Lebens- noch eine Haushaltsgemeinschaft, so bestimmen sich die Einkommensgrenzen nach § 85 Abs. 1 (vgl. § 85 Abs. 2 Satz 3). Diese alleinlebenden Minderjährigen werden also wie Volljährige behandelt.

Ein Familienzuschlag in Höhe von 70 % des Eckregelsatzes ist ferner für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden, anzusetzen (§ 85 Abs. 2 Nr. 3).

Der maßgebende Eckregelsatz bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält (§ 85 Abs. 3 S. 1). Wenn der Leistungsberechtigte in einer Einrichtung lebt bzw. in einer anderen Familie oder bei anderen Personen untergebracht ist, bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt (§ 85 Abs. 3 S. 2). Der Eckregelsatz kann in den Ländern eine unterschiedliche Höhe aufweisen; denn die Regelsätze werden gemäß § 28 Abs. 2 SGB XII von den Landesregierungen durch Rechtsverordnung im Rahmen der Rechtsverordnung nach § 40 (Regelsatzverordnung) festgesetzt. Die Länder und - soweit landesrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen - auch die Träger der Sozialhilfe können außerdem für bestimmte Arten der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel, darunter z.B. die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und die Blindenhilfe, einen höheren Grundbetrag zu Grunde legen (§ 86).

Aber auch wenn das zu berücksichtigende Einkommen die sich aus den §§ 85 und 86 SGB XII ergebende Einkommensgrenze übersteigt, ist das diese Grenze übersteigende Einkommen nicht voll einzusetzen. Nach § 87 Abs. 1 SGB XII ist die Aufbringung der Mittel nämlich nur in angemessenem Umfang zuzumuten. In § 87 Abs. 1 heißt es dazu ausdrücklich: "Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen.

Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs. 3 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.". Mit § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII pauschaliert der Gesetzgeber den unzumutbaren Eigenanteil für schwerstpflegebedürftige (§ 64 Abs. 3) und blinde Menschen (§ 72), die durch ihre Behinderung besonders schwer betroffen sind (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urteil v. 29.11.1989, 4 A 205/88, FEVS 42 S. 104, 111 = DÖV 1990 S. 485).

Das zeigt, dass selbst bei einem verhältnismäßig hohen Einkommen ein Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bestehen kann. Folgende Beispiele nach dem Stand von 2006 sollen das verdeutlichen.

Beispiel 1: Eine über 25 Jahre alte blinde Person aus Niedersachsen und ihr nicht getrennt lebender Ehegatte verfügen über ein zu berücksichtigendes Einkommen (Einkommen nach Abzug der sich aus § 82 Abs. 2 SGB XII ergebenden Beträge) von 1.932,00 Euro. Dieses Einkommen ist der Einkommensgrenze gegenüberzustellen.

Diese errechnet sich nach § 85 Abs. 1 wie folgt:

  1. nach Nr. 1 der zweifache Eckregelsatz = 690,00 Euro,
  2. nach Nr. 2 die angemessenen Mietkosten, hier angenommen mit 300,00 Euro und
  3. nach Nr. 3 der Familienzuschlag von 70% des Eckregelsatzes = 242,00 Euro, also 1.232,00 Euro.

Dieser Betrag ist vom zu berücksichtigenden Einkommen von 1.932,00 Euro abzuziehen. Die Einkommensgrenze wird um 700,00 Euro überschritten.

Von dem die Einkommensgrenze übersteigenden Betrag von 700,00 Euro ist nach § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII der Einsatz von mindestens 60 % dieses Betrages, also von 420,00 Euro nicht zuzumuten. Zuzumuten ist somit höchstens der Einsatz von 280,00 Euro.

Die ergänzende Blindenhilfe beträgt damit 585,00 Euro (Blindenhilfe nach § 72 SGB XII) abzüglich 220,00 Euro (Landesblindengeld) = 365,00 Euro. Von diesem Betrag ist der zuzumutende Betrag aus dem eigenen Einkommen, also 220,00 Euro abzuziehen. Es verbleibt ein Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe in Höhe von 145,00 Euro.

Beispiel 2: Wären im Beispiel 1 beide Ehegatten blind, so würde sich zwar an der Einkommensgrenze nichts ändern. Beide hätten jedoch je einen Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe in Höhe von 365,00 Euro. Also zusammen 730,00 Euro. Von diesem Betrag wäre die zumutbare Eigenleistung in Höhe von 40 % des die Einkommensgrenze übersteigenden Betrages, also von 220,00 Euro abzuziehen. Es verbliebe somit eine ergänzende Blindenhilfe von insgesamt 510,00 Euro, also für jeden der Ehegatten eine ergänzende Blindenhilfe in Höhe von 255,00 Euro.

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6.5.3.2 Berücksichtigung des Vermögens bei der Blindenhilfe

Der Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII scheitert eher an den Bestimmungen über den Einsatz des Vermögens als über diejenigen über den Einsatz des Einkommens.

Rechtsgrundlage für den Einsatz des Vermögens im Sozialhilferecht ist § 90 SGB XII. Einzusetzen ist nach Abs. 1 das Vermögen, das verwertbar ist, soweit es nicht zum Schonvermögen nach Abs. 2 gehört oder die Verwertung nach der Härteklausel in § 90 Abs. 3 SGB XII nicht verlangt werden kann.

Dabei kommt es nicht nur auf das Vermögen des Leistungsberechtigten, sondern auch auf das Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners und, wenn er minderjährig und unverheiratet ist, auch seiner Eltern an (Bedarfsgemeinschaft nach § 19 Abs. 3 SGB XII).

In einem ersten Schritt ist zu klären, was zum verwertbaren Vermögen gehört. In einem zweiten Schritt ist die Grenze des einzusetzenden Vermögens zu ermitteln. Diese Vermögensgrenze wird durch die Regelungen über das Schonvermögen beeinflusst (§ 90 Abs. 2 und die Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9). In einem dritten Schritt ist zu prüfen, ob dieses die Vermögensgrenze übersteigende Vermögen voll eingesetzt werden muss oder ob auf Grund der Härteregelung in § 90 Abs. 3 von einem vollen Einsatz abgesehen werden kann.

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6.5.3.2.1 Begriff des verwertbaren Vermögens

In § 90 SGB XII wird der Vermögensbegriff vom Gesetzgeber vorausgesetzt. Wie beim Begriff des Einkommens, handelt es sich auch beim Begriff des Vermögens um eine wirtschaftliche Größe. Zum Vermögen zählen Geld oder Geldeswerte, d. h. Ersatzmittel, die im wirtschaftlichen Verkehr wie Geld behandelt werden (Gutscheine, Schecks u. ä.) und einer Person gehören, soweit sie nicht dem Einkommen zuzurechnen sind (zum Einkommensbegriff vgl. auch 6.5.3.1). Zum Einkommen zählen alle laufenden und einmaligen Mittel, die dem Leistungsberechtigten im Bedarfszeitraum tatsächlich zufließen (so genannte Zuflusstheorie). Einkommen ist somit alles, was der Leistungsberechtigte im Bedarfszeitraum wertmäßig erhält ("alle eingehenden Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und andere Leistungen"), während zum Vermögen zählt, was jemand in der Bedarfszeit bereits hat ("Inbegriff all dessen, was einem Rechtsträger schon zusteht") (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 8 zu § 90). Mittel, die im Zuflussmonat nicht ausgegeben werden, sind nicht mehr für den Bedarf dieses Zeitraums bestimmt. Sie zählen deshalb zum Vermögen. Deshalb werden auch Nachzahlungen, z. B. Renten- oder Pensionsnachzahlungen, zum Vermögen. Auch angespartes Blindengeld wird Vermögen. Zum Vermögen gehören weiter Immobilien, z. B. bebaute und unbebaute Grundstücke, sowie bewegliche Sachen wie Schmuckstücke, Kunstgegenstände, Sammlungen u. ä. Des Weiteren gehören Forderungen oder sonstige Rechte zum Vermögen. Die Höhe des Vermögens bestimmt sich entweder nach dem Geldwert oder, soweit dieser nicht ohne weiteres ersichtlich ist, nach dem Wert, der bei der Veräußerung zu erzielen ist (Verkehrswert).

Die Sozialhilfe darf allerdings nur von verwertbarem Vermögen abhängig gemacht werden. Ein Vermögensgegenstand ist verwertbar, wenn er für den Lebensunterhalt verwendet oder sein Geldwert zu diesem Zweck verfügbar gemacht werden kann. Die Verwertbarkeit kann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein.

Gegenstände, die ein menschenwürdiges Dasein sichern, dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht verwertet werden. Dazu zählen alle Sachen des persönlichen Gebrauchs, die der Hilfebedürftige zu einer bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung benötigt (Kleidung, Wäsche, Bett, Haus- und Küchengeräte, Lebensmittel, Heizungsmaterial, vgl. auch

die Regelung über den notwendigen Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27 SGB XII ). Dasselbe gilt für alle nichtpfändbaren Gegenstände im Sinne der §§ 811, 812 ZPO. Ein Kfz gehört z. B. nicht zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. § 27 (vgl. BVerwG, Urteil v. 27.3.1968, V C 3.67, BVerwGE 29 S. 229, 232 = FEVS 15 S. 447) und stellt deshalb verwertbares Vermögen dar, sofern es nicht ausnahmsweise zum Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 5 oder 9 zählt (OVG Münster, Urteil v. 27.10.1992, NJW 1993 S. 1412).

Zum Vermögen gehören auch alle geldwerten Forderungen.

Wenn der Hilfebedürftige sein Vermögen verschenkt hat, muss er - um seine Bedürftigkeit abzuwenden - den Wert der Schenkung gemäß § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 818 Abs. 2 BGB) zurückverlangen. Dieser Rückforderungsanspruch gehört zum Vermögen. Er ist jedoch nicht verwertbar, wenn sich der Beschenkte auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) oder sonstige Einreden (§§ 529, 534 BGB) berufen kann. Die Sozialhilfeleistung kann nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII gekürzt werden, wenn Leistungsberechtigte nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen.

Wirtschaftlich nicht verwertbar sind Forderungen, die der Hilfesuchende nicht realisieren kann, weil der Schuldner weder zahlungsbereit ist noch Vollstreckungsaussichten bestehen.

Vermögensgegenstände, die im Zeitpunkt der Hilfebedürftigkeit nur mit Verlust veräußert werden können, sind grundsätzlich verwertbar. Denn dem Leistungsberechtigten sind in der Notsituation gewisse Einbußen zuzumuten. Um zu verhindern, dass er in diesen Fällen sein Vermögen verschleudern muss, um die (vorübergehende) Notlage zu beseitigen, kann der Sozialhilfeträger ein Darlehen gewähren (§ 91 SGB XII). Die Verwertung kann allerdings nicht verlangt werden, wenn der Erlös voraussichtlich unter dem Freibetrag des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII liegt (BVerwG, Urteil v. 18.12.1997, 5 C 6/97, NDV-RD 1998 S. 71 f.).

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6.5.3.2.2 Begrenzung des Vermögenseinsatzes durch das Schonvermögen

Die Sozialhilfe darf nicht vom Einsatz des so genannten "Schonvermögens" abhängig gemacht werden, denn die Existenzgrundlage soll erhalten bleiben. Dieses vom Sozialamt unberührt zu lassende "Schonvermögen" wird in § 90 Abs. 2 SGB XII wie folgt aufgezählt:

"Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

  1. eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
  2. eines Kapitals einschließlich seiner Erträge, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient, und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde,
  3. eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nr. 8 (siehe unten) bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (...) oder pflegebedürftiger Menschen (...) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
  4. eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
  5. von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
  6. von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
  7. von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
  8. eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Personen allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
  9. kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte, dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen."

Zu den wichtigsten Nummern ist folgendes anzumerken:

Zu Nr. 2. - Altersvorsorge: Es wird nur die staatlich geförderte Vorsorge ("Riester-Rente") geschützt. Sonstige private Vorsorgemaßnahmen genießen diesen Schutz nicht. Bei Versicherungsverträgen wird zugemutet, ihren Wert selbst dann vorrangig vor der Sozialhilfe einzusetzen, wenn der aktuelle Wert in einem "Rückkaufswert" besteht, bei dessen Inanspruchnahme der Versicherte einen Nachteil in Kauf nehmen muss. In Einzelfällen kann hier jedoch die Härtefallklausel nach § 90 Abs. 3 (siehe unten. 5.2.6.2.3) helfen.

Zu Nr. 3. - Das Vermögen muss dazu bestimmt sein, ein angemessenes Hausgrundstück i.S.d. Nr. 8 für Wohnzwecke behinderter oder pflegebedürftiger Menschen zu beschaffen oder zu erhalten. Unter dem Beschaffen eines Hausgrundstückes sind der Erwerb eines Grundstücks (Kauf oder Abschluss eines Erbbauvertrages) und der Bau eines Eigenheimes sowie der Kauf einer Eigentumswohnung zu verstehen. Geschützt ist ferner das Vermögen, mit dem eine solche Immobilie erhalten, d.h. instand gesetzt oder zweckdienlich verbessert werden soll. Es müssen bereits konkrete, d.h. objektbezogene Dispositionen getroffen worden sein, aus denen sich eine eindeutige, ernsthafte und unmissverständliche Absicht zur Umwandlung des Vermögens in Wohneigentum ergibt (vgl. BSG, Urteile v. 4.9.1979, 7 RAr 115/78, SozR 4220 § 6 Rn. 3 = BSGE 49 S. 30 und v. 29.1.1997, 11 RAr 63/96). Als Nachweis kommt die Vorlage von Bau- und Finanzierungsplänen, Bauanträgen, Kaufverträgen sowie Aufträgen an Makler, Architekten und Handwerker in Betracht. Der Abschluss oder die bloße Existenz eines Bausparvertrages reicht dagegen nicht aus, da er auch ohne Bauabsicht abgeschlossen werden kann. Er stellt aber ein Indiz dar. Der Erwerb muss außerdem in naher Zukunft bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der Leistungsberechtigte über ein bestimmtes Bau- oder Kaufobjekt ernsthafte Vertragsverhandlungen aufgenommen hat und über ein tragfähiges Finanzierungskonzept verfügt. Der Abschluss eines Kauf- oder Vorvertrages ist jedoch noch nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil v. 4.9.1979, 7 RAr 115/78, SozR 4220 § 6 Rn. 3 = BSGE 49 S. 30). Der Leistungsberechtigte muss noch nicht über die vollen erforderlichen Eigenmittel verfügen. Ihm ist ausreichend Zeit zu gewähren, seine Eigenmittel zu ergänzen (vgl. BT-Drs. 11/391 S. 5).

Das Objekt muss für Wohnzwecke behinderter oder pflegebedürftiger Menschen bestimmt sein. Wenn dieser Wohnzweck entfällt, weil der Betroffene z. B. dauerhaft in ein Heim aufgenommen wird, so endet der Vermögensschutz.

Zu Nr. 5. - Zu den geschützten Gegenständen gehört alles, was direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Berufsausbildung bzw. Erwerbstätigkeit verwendet wird, also z. B. Werkzeuge, Maschinen, Schreib-, Diktier- und Zeichengeräte, Musikinstrumente, Büroutensilien (Möbel, Anrufbeantworter, Kopier- und Faxgeräte, PC nebst Zubehör), Arbeitskleidung und -material, Fachliteratur sowie Betriebsgrundstücke. Auch Kraftfahrzeuge können dazu gehören, wenn sie zur Berufsausübung unentbehrlich sind. Das gilt auch, wenn ein Kfz notwendig ist, um den Arbeitsweg zurückzulegen, und wenn dazu die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich ist. Die Gegenstände sind unentbehrlich, wenn ohne sie die Berufsausbildung oder die Erwerbstätigkeit weder aufgenommen noch sinnvoll fortgeführt werden kann. Die Unentbehrlichkeit muss überzeugend dargestellt werden.

Zu Nr. 7 – Zu den geistigen Bedürfnissen gehören neben wissenschaftlichen oder künstlerischen Bedürfnissen auch solche literarischer und technischer Natur. Hierzu gehören Bücher, Musikinstrumente, Film- und Tonträger (DVD, CD, Schallplatten) sowie die dafür erforderlichen Abspielgeräte usw. Der Besitz dieser Gegenstände darf kein Luxus sein, d.h. nicht weit über das hinausgehen, was bei vergleichbaren Bevölkerungsgruppen üblich ist (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 33 zu § 90).

Zu Nr. 8. - Das selbstbewohnte Hausgrundstück: Eigenheime und Eigentumswohnungen gehören grundsätzlich zum verwertbaren Vermögen des Leistungsberechtigten. Selbstbewohnte Hausgrundstücke können dagegen nach § 90 Abs. 2 SGB XII zum Schonvermögen zählen. Ein (Wohn-)Hausgrundstück ist nur privilegiert, wenn es der Leistungsberechtigte oder andere Personen der Bedarfsgemeinschaft (nicht getrennt lebender Ehegatte oder Lebenspartner, minderjährige unverheiratete Kinder) allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnen und nach dem Tod des Leistungsberechtigten weiter bewohnen sollen. Damit schließt der Gesetzgeber die bisherige Familienwohnung als zentrales Element menschenwürdigen Daseins von der Verwertung aus (vgl. BSG, Urteil v. 4.9.1979, 7 RAr 115/78, SozR 4220 § 6 Rn. 3 = BSGE 49 S. 30). Angehörige sind Personen im engen verwandtschaftlichen oder schwägerschaftlichen Verhältnis (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 36 zu § 90). Dies ist mit die wichtigste Regelung. Sie enthält aber viel Streitpotential. Wann ist das Hausgrundstück und dessen Wert noch "angemessen"? Auch in diesem Zusammenhang kommt es sehr stark auf den im Einzelfall individuell geltend gemachten Wohnraumbedarf, aber auch noch auf andere Faktoren an. Unter den Begriff des "Hausgrundstückes" sind auch Eigentumswohnungen zu fassen. Zweifamilienhäuser sind geschützt, wenn der Teil, den der Hilfesuchende bewohnt, angemessen ist. Nicht erfasst werden Zweitwohnungen, Ferienhäuser und Mehrfamilienhäuser.

Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (z.B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes. Diese sieben Kriterien sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter- und gegeneinander abzuwägen. Als Faustregel gilt: Für einen Haushalt mit bis zu vier Personen ist bei Eigentumswohnungen eine Wohnfläche bis zu 120 qm und bei einem Eigenheim die Hausgröße bis zu einer Wohnfläche von 130 qm generell angemessen (OVG NW, Urteil v. 19.7.1995, 8 A 789/95, NJW 1996 S. 738 ff. = FEVS 46 S. 314, 317). Wohnen im Haushalt mehr als 4 Personen, so erhöht sich die angemessene Wohnfläche für jeden weiteren Bewohner um 20 qm. Diese Grenzen können bei zusätzlichem Wohnbedarf überschritten werden. Hierzu zählen vor allem besondere persönliche Bedürfnisse (z.B. infolge einer Behinderung) oder berufliche Erfordernisse. Wird eine Person im Haushalt gepflegt, so erhöhen sich die Wohnflächengrenzen um 20 %, also bei Eigentumswohnungen auf 144 qm und bei Familienheimen auf 156 qm (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ 41 zu § 90). Rollstuhlfahrer haben einen zusätzlichen Flächenbedarf von 15 qm (BVerwG, Urteil v. 1.10.1992, 5 C 28/89, NJW 1993 S. 1024 ff.; vgl. auch das außer Kraft getretene 2. WoBauG). Der zusätzliche Wohnraumbedarf blinder Personen muss hier ebenfalls berücksichtigt werden.

Die Grundstücksgröße ist bei einem Reihenhaus bis zu 250 qm, bei einer Doppelhaushälfte bis zu 350 qm und bei einem frei stehenden Haus bis zu 500 qm angemessen (BayObLG, Beschluss v. 5.9.1995, 3Z BR 55/95, FamRZ 1996, 245 f.; Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 42 zu § 90).

Zuschnitt und Ausstattung des Wohngebäudes sind unangemessen, wenn sie den Standard übersteigen, der für den öffentlich geförderten bzw. steuerbegünstigten Wohnungsbau üblich ist (z.B. Swimming Pool; Luxusbäder, vgl. Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 43 zu § 90).

Schließlich ist der (Verkehrs-)Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes zu berücksichtigen. Wertbestimmend ist vor allem die Lage des Grundstücks, wobei Maßstab für die Angemessenheit des Verkehrswerts die Verhältnisse am Wohnort sind. Denn der Hilfesuchende darf nicht darauf verwiesen werden, dass er an einem anderen Ort billiger leben könnte (BVerwG, Urteil v. 17.1.1991, 5 C 53/86, NJW 1991 S. 1968 f. = BVerwGE 87 S. 278). Der Verkehrswert muss sich im unteren Bereich der Verkehrswerte vergleichbarer Häuser am Wohnort halten (BVerwG, v. 17.1.1991, a.a.O. und Urteil v. 1.10.1992, 5 C 28/89, NJW 1993 S. 1024 ff.). Als Anhalt können pro qm anzuerkennende Wohn- und Grundstücksfläche die im Bereich des örtlichen Trägers der Sozialhilfe üblichen Baukosten je qm Wohnfläche im sozialen Wohnungsbau (Gesamtkosten ohne Baugrundstück) und die aus der einschlägigen Kaufpreissammlung ersichtlichen Bodenrichtwerte herangezogen werden (Empfehlungen DV, NDV 1992 S. 145). Etwaige Belastungen mit Grundpfandrechten sind bei der Wertbestimmung nicht zu berücksichtigen (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 44 zu § 90).

Zu Nr. 9: - Barbeträge sind alle gesetzlichen Zahlungsmittel, Geldwerte alle Gegenstände, in denen - den Barbeträgen vergleichbar - ein jederzeit verfügbarer Geldwert verkörpert ist (Schecks, Einkaufsgutscheine, Sparbücher, Forderungen aus Girokontenverträgen). Für die Bestimmung der "kleineren Barbeträge und sonstigen Geldwerte" gibt es eine eigene Verordnung (Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Nach § 1 dieser DVO gilt für die bei der Blindenhilfe bestehenden Freigrenzen folgendes:

  • Grenze für den Alleinstehenden: 2.600,00 € (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. B DVO),
  • Grenze für einen Blinden mit sehendem Ehegatten oder Lebenspartner:
  • 2.600,00 € plus 614,00 € gleich 3.214,00 € (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 DVO),
  • Grenze für einen Blinden mit ebenfalls blindem Ehepartner oder Lebenspartner:
  • 2.600,00 € plus 1.534,00 € gleich 4.134,00 € (§ 1 Abs. 1 letzter Satz DVO),
  • Grenze für einen minderjährigen unverheirateten Blinden und seine Eltern:
  • 2.600,00 € plus 614,00 € für einen Elternteil plus 256,00 € für die nachfragende Person gleich 3.470,00 € (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DVO).

Für jede weitere von der Bedarfsgemeinschaft überwiegend unterhaltene Person (insbesondere für die Kinder) gibt es einen Zuschlag von 256,00 € (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 DVO).

Die Beträge sind nicht dynamisiert.

An diesen niedrigen Grenzen scheitern viele Anträge, sofern nicht eine Erhöhung aus Gründen einer besonderen Härte im Einzelfall vorgenommen wird.

Gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII "ist der (...) maßgebende Betrag (kleinere Barbetrag) nämlich angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage der nachfragenden Person besteht. Bei der Prüfung, ob eine besondere Notlage besteht, sowie bei der Entscheidung über den Umfang der Erhöhung sind vor allem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen." Das Sozialamt muss also im Fall einer "besonderen Notlage" eben diese Besonderheiten berücksichtigen, dies aber nur "im Einzelfall"; die dauerhafte Blindheit eines Blindenhilfeempfängers ist in diesem Sinne kein "Einzelfall". Die Entscheidung des Sozialhilfeträgers über die Erhöhung des Freibetrages ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (OVG Berlin, Entscheidung v. 13.3.1969, VI B 43.67, FEVS 17 S. 176).

Nach § 2 Abs. 2 der DVO zu § 90 SGB XII ist aber auch eine Herabsetzung der Freibeträge möglich. Der maßgebende Freibetrag kann angemessen herabgesetzt werden (Ermessensentscheidung), wenn jemand nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat (vgl. § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Der Freibetrag kann außerdem vermindert werden, soweit die Voraussetzungen des § 94 SGB XII "Übergang von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen" vorliegen. Das sind grob gesagt die Fälle, in denen sich das Sozialamt die Leistung von einem Dritten zurückholen könnte, etwa von einem Unterhaltspflichtigen oder von einer Versicherung, die für die Folgen einer unfallverursachten Erblindung haftet (vgl. dazu 12.2). Der Grund dafür ist, dass sich der Antragsteller möglichst erst durch die Inanspruchnahme des Dritten schadlos halten soll.

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6.5.3.2.3 Berücksichtigung von Härtefällen

Grundsätzlich ist das gesamte verwertbare Vermögen, soweit es nicht zum Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 SGB XII gehört, einzusetzen. § 90 Abs. 3 SGB XII enthält eine allgemeine Härtefallklausel, welche sich auf das nach Aussparung des Schonvermögens einzusetzende Vermögen bezieht. Diese Regelung ist also von der Erhöhung des kleinen Barbetrages im Rahmen des Schonvermögens nach § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 abs. 2 Nr. 9 SGB XII (vgl. dazu o. 6.5.3.2.2) zu unterscheiden.

Nach § 90 Abs. 3 darf die Sozialhilfe "nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen

einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde." Bevor ein Härtefall nach § 90 Abs. 3 Satz 1 angenommen werden kann, ist zunächst zu prüfen, ob das Vermögen überhaupt verwertbar ist (§ 90 Abs. 1), anschließend, ob es zum Schonvermögen zählt (§ 90 Abs. 2) und sodann, ob ein Regelbeispiel nach § 90 Abs. 3 Satz 2 vorliegt. Ein Härtefall im Sinn von § 90 Abs. 3 S. 1 liegt bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel, also auch bei der Blindenhilfe, insbesondere vor, wenn und soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde (Regelfälle). § 90 Abs. 3 S. 2 ist nicht abschließend. Auch andere Härten sind zu berücksichtigen. Die angemessene Lebensführung wird wesentlich erschwert, wenn der Vermögenseinsatz die bisherigen Lebensverhältnisse des Leistungsberechtigten, anderer Personen der Einsatzgemeinschaft oder der unterhaltsberechtigten Angehörigen ungerechtfertigt verschlechtern würde. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles ebenso zu berücksichtigen wie das Lebensschicksal und die (krankheits- bzw. behinderungsbedingten) Bedürfnisse des Betroffenen (vgl. BayVGH, Urteil v. 2.12.1983, 12 B 83 A.618, FEVS 33 S. 403, 410 ff.). Die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wird wesentlich erschwert, wenn aus dem Vermögen die spätere Altersversorgung des Leistungsberechtigten oder anderer Personen der Einsatzgemeinschaft oder unterhaltsberechtigter Angehöriger sichergestellt werden soll. Die Vorschrift trägt dem Bedürfnis nach ergänzender, privater Altersvorsorge Rechnung und beugt damit gleichzeitig Altersarmut vor. Vermögen dient der Alterssicherung, wenn daraus der laufende Lebensunterhalt im Alter bestritten werden soll. Diese subjektive Zweckbestimmung muss mit den objektiv erkennbaren Begleitumständen in Einklang stehen (z.B. lückenhafte Versicherungsbiographie, Anlageform, Bindung der Kapitalanlage bis zum Rentenalter, Auszahlung in Form einer Rente). Unter "Alter" ist der Zeitraum zu verstehen, ab dem eine Rente wegen Alters (vgl. § 33 Abs. 2, §§ 35 ff. SGB VI) in Anspruch genommen werden kann (BSG, Urteil v. 17.10.1996, 7 RAr 2/96, SozR 3-4100 § 137 Rn. 7 = NZS 1997 S. 290 ff.). Die Angemessenheit hängt von der Lebensstellung des Vermögensinhabers, dem Umfang der sonstigen Alterssicherung und der Zahl der Personen ab, die durch das Vermögen gesichert werden sollen. Dabei wird der Wunsch des Hilfebedürftigen, die Alterssicherung über den Betrag der so genannten Bruttostandardrente aufzustocken, in der Regel nicht mehr angemessen sein (Haufe Onlinekommentar RZ 57 zu § 90 SGB XII).

"Wie oben bereits bemerkt, wird auch angespartes Blindengeld zum Vermögen. Wegen seiner Zweckbestimmung kann die Härteregelung nach § 90 Abs. 3 BSHG einer Verwertung aber entgegenstehen. Das hat das BSG in seinem Urteil des 8. Senats vom 11.12.2007 AZ.: B 8/9b SO 20/06 R = RegNr 28183 (BSG-Intern) ausdrücklich festgestellt. In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Fall wandte sich der Kläger gegen die Berücksichtigung von durch Blindengeld angespartem Vermögen bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bzw. SGB XII. Aus dem Blindengeld, welches er nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über Hilfe für Blinde und Gehörlose (GHBG) erhält, hatte er 8.912,03 Euro angespart, um größere Hilfsmittel finanzieren zu können. Der Sozialhilfeträger lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem BSHG mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über Vermögen in Höhe von 7.633,03 € (Spar- und Fondsguthaben in Höhe von insgesamt 8.912,03 € abzüglich des Vermögensfreibetrages in Höhe von 1.279,00 €).

Das BSG hat im Revisionsverfahren festgestellt: "der Verwertung bzw. dem Einsatz des durch Blindengeld angesparten Vermögens (bei der Hilfe zum Lebensunterhalt) steht die Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bzw. des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegen." Es hat aber auch festgestellt, dass der Senat nicht über die Anrechnung angesparten Blindengeldes auf andere Sozialhilfeleistungen als die Hilfe zum Lebensunterhalt zu entscheiden hatte.

Für die Frage, ob eine Härte im Sinn von § 90 Abs. 3 SGB XII vorliege, spiele, wie das BSG ausführt, die Herkunft des Vermögens regelmäßig keine entscheidende Rolle. Dies gelte jedoch nicht ausnahmslos. "In Einzelfällen kann die Herkunft des Vermögens dieses so prägen, dass seine Verwertung eine Härte darstellen kann."

Dies habe die Rechtsprechung insbesondere in Fällen angenommen, in denen anrechnungsfreies Einkommen angespart wurde oder aus entsprechenden Nachzahlungen resultierte (vgl. etwa BVerwGE 45, 135ff bei Vermögen, das aus einer Grundrentennachzahlung stammt; BVerwGE 105, 199 ff bei angespartem Erziehungsgeld für die Dauer des gesetzlichen Förderungszeitraums ). Diese Voraussetzungen nimmt das BSG auch für angespartes Blindengeld an. Es führt dazu aus:

"Die Herkunft des Vermögens ist auch bei angespartem Landesblindengeld nicht ohne Bedeutung und rechtfertigt im Zusammenspiel mit weiteren Erwägungen die Feststellung, dass die Verwertung des angesparten Blindengeldes eine Härte für den Kläger bedeuten würde. Dabei ist zunächst zu beachten, dass das Blindengeld zum Zeitpunkt des Zuflusses als zweckbestimmte Leistung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG/§ 83 Abs. 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 - BGBl I 3022) nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach diesen Vorschriften sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als diese zur Hilfe im Einzelfall demselben Zweck dienen. Während die Sozialhilfe der Sicherung des Lebensunterhaltes dient (§ 1 Abs. 1 BSHG/1 Satz 1 und 2 SGB XII), dient das Landesblindengeld nach § 1 Abs. 1 GHBG des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 25. November 1997 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land NRW 1997, 430) dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen (vgl. BVerwGE 58, 265 ff ). (...) Der Zweck des Blindengeldes allein rechtfertigt es zwar noch nicht, den Einsatz oder die Verwertung des aus Blindengeld angesparten Vermögens als objektive Härte anzusehen. Hinzu kommt aber, dass das Landesblindengeld unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gezahlt wird. Dieser Umstand und die Tatsache, dass es pauschal ohne Rücksicht auf einen im einzelnen Fall nachzuweisenden Bedarf gezahlt wird, lassen nämlich den Schluss zu, dass der Gesetzgeber mit dem Blindengeld nicht allein einen wirklichen oder erfahrungsgemäß vorhandenen wirtschaftlichen Bedarf (typisierend) steuern, sondern mit dem Blindengeld auch Mittel zur Befriedigung laufender und immaterieller Bedürfnisse des Blinden ermöglichen wollte. Hierdurch wird dem Blinden die Gelegenheit eröffnet, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1 S 4; BVerwGE 32, 89, 91 f - zur Blindenhilfe). Dabei bleibt es dem Blinden überlassen, welchen blindheitsbedingten Bedarf er mit dem Blindengeld befriedigen will. Art und Umfang des Bedarfs hängen auch von seinen persönlichen Wünschen ab. Ob der Blinde das Blindengeld tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet, ist dabei nicht zu prüfen ( Niedersächsisches OVG, Urteil vom 21. Januar 1970 - IV A 104/68 - FEVS 17, 256 ). (...) Angesichts der Tatsache, dass Art und Umfang des Bedarfs auch von den persönlichen Wünschen des Blinden abhängen, liegt es auf der Hand, dass eine zweckentsprechende Verwendung auch dann gegeben ist, wenn der Blinde eine Anschaffung in höherem Wert tätigt, die nicht durch das laufende Blindengeld, sondern nur durch ein Ansparen ermöglicht werden kann. Wenn sich weder der blindenspezifische Mehraufwand verbindlich und abschließend umschreiben lässt, ein solcher Mehraufwand sogar gänzlich fehlen kann, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen hierfür entfallen (BSG SozR 4-5921 Art 1 Nr. 1 S 3), noch ein Nachweis über die bestimmungsgemäße Verwendung gefordert werden kann, so kann von dem Blinden auch nicht verlangt werden, dass aus dem angesparten Blindengeld zu tätigende größere Anschaffungen bereits konkret in die Wege geleitet worden sind, wie das LSG andeutet. Das angesparte Blindengeld wird also, wenn es nicht verbraucht wird, nicht zweckneutral, sondern dient auch weiterhin dem blindheitsbedingten Mehrbedarf, dessen Art und Umfang von den persönlichen Wünschen des Betroffenen abhängen, ohne dass geprüft werden dürfte, ob es tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet wird. Dies gilt jedenfalls so lange die Blindheit fortbesteht; ist dies nicht mehr der Fall, kann auch das aus dem Blindengeld angesparte Vermögen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen mehr befriedigen."

Nach Ansicht des Bundessozialgerichts im Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 20/06 ist das Ansparen von Blindengeld grundsätzlich zulässig. Das ist zu begrüßen. Man sollte sich aber genau überlegen, wofür man das Geld anspart, und sollte genau Auskunft darüber erteilen können, welcher Anteil an dem, was man sich zurückgelegt hat, aus dem Blindengeld stammt und welchen blindheitsbezogenen Sparzielen es dienen soll (etwa zum Erwerb eines teuren Hilfsmittels oder zur Vergütung einer Haushaltshilfe oder einer Reisebegleitung). Wichtig ist dies insbesondere dann, wenn man, neben dem Blindengeld noch weitere Sozialleistungen in Anspruch nimmt, und sei es nur die ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, erst recht aber wenn man Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Hilfe zum Lebensunterhalt ist. In diesen Fällen ist das Vermögen einschließlich des angesparten Blindengelds unbedingt gegenüber der Behörde anzugeben. Denn anders als bei der Einkommensprüfung, wo regelmäßig gilt, dass das monatlich bezogene Blindengeld als Einkommen nicht angerechnet wird (aber auch in diesem Fall sollte man den Blindengeldbezug der Behörde besser nicht verschweigen), anders also als bei der Einkommensprüfung ist bei der Vermögensprüfung nicht automatisch davon auszugehen, dass das angesparte Blindengeld als so genanntes "Schonvermögen" unangetastet bleibt. Diese Frage wird vielmehr in jedem Einzelfall geprüft.

Zu beachten ist im Zusammenhang mit § 90 SGB XII noch folgendes: Soweit nach § 90 SGB XII für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die, die es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde, soll die Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden (§ 91 S. 1 SGB XII). Die Regelungen in § 90 Abs. 3 und § 91 Satz 1 unterscheiden sich dadurch, dass bei § 90 Abs. 3 der Einsatz oder die Verwertung des Vermögens zu jeder Zeit eine Härte bedeuten würde, während § 91 nur die Härte erfasst, die durch den sofortigen Verbrauch bzw. die sofortige Verwertung entstehen würde. Bei § 91 besteht die Härte - mit anderen Worten - in der Verwertung als solcher und nicht - wie in § 90 Abs. 3 Satz 1 - in der Beeinträchtigung der sozialen Stellung des Leistungsberechtigten (BVerwG, Urteil v. 14.5.1969, V C 167.67 – vgl. Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 52 zu § 90). Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist eine Härte in der Regel auch dann anzunehmen, wenn Vermögen aus Einkommen gebildet wurde, das nicht eingesetzt werden musste. Dies gilt auch für Vermögen, das auf einer Nachzahlung beruht, die als Einkommen gemäß §§ 82 bis 84 oder anderen Vorschriften nicht angerechnet werden darf (vgl. BVerwG, Urteil v. 28.3.1974, V C 29.73, = BVerwGE 45 S. 135; Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 53).

Ansonsten gilt: Auch dann, wenn die Vermögensgrenze nur um einen geringen Betrag überschritten wird und keine der Härteregelungen eingreift, wird die Blindenhilfe so lange verweigert, bis dieser Betrag vom Eigentümer verbraucht ist. Eine Anrechnungsregelung wie im Fall der Überschreitung der Einkommensgrenze (§ 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII), wonach 60 % des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens unberücksichtigt bleiben, gibt es bei der Vermögensgrenze nicht.

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7. Höhe der Leistungen, Leistungseinschränkungen und Leistungsausschlüsse

Die Blindengeldleistungen nach den Landesblindengeldgesetzen und nach § 72 SGB XII weisen erhebliche Unterschiede auf. Diese Unterschiede betreffen

  • die Höhe der Leistung,
  • die Bezifferung der Leistung oder ihre Anpassung durch eine Dynamisierungsklausel und
  • die Auswirkung des Lebensalters.

Der DBSV veröffentlicht jährlich einen Überblick über die aktuelle Höhe der Blindengeldleistungen. Diese Übersicht kann im Internet unter www.dbsv.org.

eingesehen werden.

Auf die Höhe der Leistung wirken sich außerdem Kürzungen infolge der Anrechnung anderer Sozialleistungen oder Leistungseinschränkungen bzw. Leistungsausschlüsse aus persönlichen Gründen aus. Dazu vgl. unten.

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7.1 Leistungen bei Blindheit

Hinsichtlich der Höhe des Blindengeldes unterscheiden sich die Landesgesetze danach, ob die Leistung dynamisiert ist oder die Beträge im Gesetz festgeschrieben sind. Die Dynamisierung erfolgt durch Verweisung auf § 72 Abs. 2 S. 2 SGB XII. Nach § 72 Abs. 2 S. 2 SGB XII verändert sich die Blindenhilfe jeweils zu dem Zeitpunkt und im selben Umfang, wie der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung. Allerdings entspricht allein in Nordrhein-Westfalen und dort nur bei den Blinden bis zum vollendeten 60. Lebensjahr der Betrag des Landesblindengeldes dem der Blindenhilfe. In den anderen Bundesländern ist er niedriger, dort wird bei der Dynamisierung ein entsprechender prozentualer Abschlag vorgenommen.

Eine Bezugnahme auf § 72 SGB XII und damit eine Dynamisierung enthalten folgende Landesgesetze: Bayern (Art. 2 Abs. 1), Berlin (§ 2 Abs. 1), Bremen (§ 2 Abs. 1 S. 2), Hessen (§ 2 Abs. 1) und Nordrhein-Westfalen für Blinde bis zum vollendeten 60. Lebensjahr (§ 2 Abs. 1 S. 1).

Der Betrag des Landesblindengeldes wird in den Landesgesetzen folgender Länder festgeschrieben, ohne dass diese Gesetze eine Anpassungsregelung enthalten:

Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 1 S. 1), Brandenburg (§ 3 Abs. 1), Hamburg (§ 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 2), Niedersachsen (§ 2 Abs. 1), Rheinland-Pfalz (§ 2), Saarland (§ 1 Abs. 2), Sachsen (§ 2), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 4 - nach § 7 Abs. 2 ist im Gesetz die Überprüfung einer Anpassung vorgesehen), Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 2) und Thüringen (§ 2 Abs. 1).

Nach den Landesgesetzen für Bayern, Berlin, Hamburg und Thüringen ist das Blindengeld für Minderjährige und Volljährige gleich hoch. Nach dem Landesblindengeldgesetz von Niedersachsen erhalten Blinde bis zum vollendeten 25. Lebensjahr ein Blindengeld in Höhe von 300,00 Euro, für Blinde nach Vollendung des 25. Lebensjahres beträgt es 220,00 Euro. Nach den anderen Landesgesetzen mit Ausnahme von Sachsen beträgt es für Minderjährige 50 % des vollen Blindengeldes. In Sachsen erhalten Blinde, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nach § 2 Abs. 2 75 % und Blinde ab Vollendung des 14. Lebensjahres das volle Blindengeld.

Eine Absenkung des Blindengeldes ab Vollendung des 60. Lebensjahres enthält als einziges Landesgesetz dasjenige von Nordrhein-Westfalen. Danach beträgt es ab diesem Alter 473,00 Euro nach § 2 Abs. 1 S. 2. Dieser Betrag kann durch Rechtsverordnung des für die Behindertenpolitik federführenden Ministeriums nach Zustimmung des für die kommunale Selbstverwaltung zuständigen Ausschusses des Landtags erhöht werden.

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7.2 Leistungen bei hochgradiger Sehbehinderung

Leistungen bei hochgradiger Sehbehinderung werden nur nach den Blindengeldgesetzen von Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gewährt. Die Leistung ist nur in den Gesetzen von Berlin und Hessen dynamisiert.

In Berlin erhalten hochgradig Sehbehinderte nach § 2 Abs. 2 ein Pflegegeld in Höhe von 20 % der nach § 67 BSHG an Volljährige gezahlten Blindenhilfe.

In Hessen erhalten nach § 2 Abs.3 wesentlich Sehbehinderte 30% des Blindengeldes für blinde Personen.

In Mecklenburg-Vorpommern erhalten Sehbehinderte mit Visus 1/20 gemäß § 1 Abs. 4 ein Blindengeld in Höhe von 25%.

In Nordrhein-Westfalen erhalten nach § 4 hochgradig Sehbehinderte, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, 77,00 Euro. Es ist keine Anpassung vorgesehen.

In Sachsen erhalten nach § 2 Abs. 1 hochgradig Sehbehinderte 52,00 Euro, Kinder von 1 bis 14 Jahren davon 75% (§ 2 Abs. 2).

In Sachsen-Anhalt erhalten hochgradig Sehbehinderte 41,00 Euro nach § 1 Abs. 4.

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7.3 Berücksichtigung anderer Leistungen

Eine Kürzung oder ein Ausschluss des Blindengeldes kann sich durch die Gewährung anderer Leistungen ergeben.

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7.3.1 Zweckgleiche Leistungen wegen Blindheit oder Sehbehinderung

Die Blindengeldgesetze enthalten Regelungen über die Anrechnung zweckgleicher Leistungen auf Grund anderer Rechtsvorschriften auf das Blindengeld bzw. über den Ausschluss des Blindengeldanspruches durch solche Leistungen. Für die Anrechnung von Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) bei häuslicher Pflege enthalten die Blindengeldgesetze spezielle Anrechnungsklauseln. Dazu vgl. 7.3.3. Im Zusammenhang mit den Anrechnungsklauseln erhebt sich die Frage, welche Leistungen als zweckgleich zu beurteilen und in welchem Umfang sie anzurechnen sind. Die Bestimmungen weisen erhebliche Unterschiede auf.

Regelungen in den Landesblindengeldgesetzen:

In folgenden Landesblindengeldgesetzen wird bestimmt, dass Leistungen, die dem Blinden zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften zustehen, auf die Landesblindenhilfe angerechnet werden:

Baden-Württemberg (§ 3 Abs. 1), Bremen (§ 4 Abs. 1), Hamburg (§ 3 Abs. 1) mit der Einschränkung der Anrechnung auf Leistungen nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Hessen (§ 4 Abs. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 3 Abs. 1) mit der Einschränkung der Anrechnung auf Leistungen nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Niedersachsen (§ 3 Abs. 1), Nordrhein-Westfalen (§ 3 Abs. 1) mit dem Zusatz: "Ausgenommen sind Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen, jedoch nicht Leistungen von Schadensersatz", Rheinland-Pfalz (§ 4 Abs. 1) mit dem Zusatz: "auch soweit es sich um Sachleistungen handelt", Saarland (§ 3 Abs. 1), Sachsen-Anhalt (§ 2 Abs. 1) mit der Einschränkung auf "gleichartige Leistungen, die der Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen auf Grund anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften erhält" und Schleswig-Holstein (§ 4 Abs. 1).

Die übrigen Landesgesetze enthalten Ausschluss- und Anrechnungsregelungen.

In den Landesgesetzen von Bayern (Art. 3), Brandenburg (§ 4 Abs. 3), Sachsen (§ 3) und Thüringen (§ 3) werden die Leistungen, welche zum Ausschluss des Anspruchs auf Landesblindengeld führen, präzis bezeichnet. In Art. 3 Bayerisches Blindengeldgesetz heißt es z. B.:

"Keinen Anspruch nach diesem Gesetz haben Personen, die Leistungen wegen Blindheit

  1. nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
  2. aus der gesetzlichen Unfallversicherung und
  3. aus öffentlichen Kassen aufgrund gesetzlich geregelter Unfallversorgung oder Unfallfürsorge erhalten."

Für andere zweckgleiche Leistungen enthalten diese Gesetze Anrechnungsregelungen. In Bayern werden nach Art. 4 Abs. 3 Leistungen, die Berechtigten zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen nach sonstigen Rechtsvorschriften zustehen, auf das Blindengeld nur wie das Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI mit 60 v. H. der Pflegestufe I angerechnet. Für das Landespflegegeldgesetz von Brandenburg vgl. § 5 Abs. 1. Ausgenommen von der Anrechnung werden dabei ausdrücklich "Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen". In Sachsen werden nach § 5 Abs. 1 Leistungen, die der Berechtigte zum Ausgleich der durch seine Behinderung bedingten Mehraufwendungen nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erhält, voll auf die Leistungen nach dem sächsischen Landesblindengeldgesetz angerechnet, mit Ausnahme der Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch, für welche wie auch in den anderen Blindengeldgesetzen eine spezielle Anrechnungsregelung gilt. In Thüringen erfolgt nach § 4 S.1 die Anrechnung von Leistungen, die Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt.

Das Landespflegegeldgesetz von Berlin enthält in § 3 Abs. 2 und 3 eine inhaltlich ähnliche Regelung wie sie in Bayern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen gilt. § 3 Abs. 2 und 3 lauten:

"(2) Pflegegeld nach diesem Gesetz wird nicht gewährt, wenn die Blindheit, hochgradige Sehbehinderung oder Gehörlosigkeit die Folge einer gesundheitlichen Schädigung ist, für welche die Gewährung eines Pflegegeldes oder einer gleichartigen Leistung durch Bundesrecht abschließend geregelt ist.
(3) Leistungen, auf die die oder der Berechtigte zum Ausgleich der durch die Blindheit, hochgradige Sehbehinderung oder Gehörlosigkeit bedingten Mehraufwendungen aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch hat, werden auf das Pflegegeld nach diesem Gesetz angerechnet."

Regelung im SGB XII für die Blindenhilfe:

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII besteht ebenfalls eine Ausschlussklausel. Blindenhilfe wird nur gewährt, wenn blinde Menschen keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten (§ 72 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Neben dieser umfassenden Ausschlussklausel enthält § 72 Abs. 1 in den Sätzen 2 und 3 eine spezielle Anrechnungsklausel für Leistungen aus der Pflegeversicherung (dazu vgl. 7.3.2.9).

Begriff der zweckgleichen Leistungen:

Gleichartige Leistungen liegen vor, wenn sie dem gleichen Zweck wie das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen bzw. die Blindenhilfe dienen, d.h. dazu bestimmt sind, einen Ausgleich für die durch Blindheit bedingten materiellen Mehraufwendungen zu schaffen.

Zweckgleiche Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Versorgungssystemen und nach anderen öffentlich-rechtlichen Regelungen:

Gleichartige Leistungen sind die wegen Blindheit gewährten Leistungen nach dem BVG und den Gesetzen, die seine entsprechende Anwendung vorsehen. Diese Nebengesetze sind: SVG, ZDG, OEG, BSeuchG, HHG, VwRehaG und StrRehaG.

Für die Anrechnung in Frage kommende Leistungen sind die Pflegezulage nach § 35 BVG, die Kleiderverschleißpauschale (§ 15 BVG), die Führzulage bzw. das Führhundfuttergeld nach § 14 BVG. Anders ist die Leistung der gesetzlichen Krankenkasse zur Unterhaltung des als Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 SGB V gewährten Blindenführhundes zu beurteilen. Hier handelt es sich um eine konkrete medizinische Maßnahme mit eindeutiger Zweckbestimmung, so dass keine gleichartige Leistung vorliegt.

Zweckgleiche Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) sind das Pflegegeld bzw. Pflegeleistungen nach § 44 SGB VII. Zweckgleich sind diese Leistungen aber nur, soweit sie zum Ausgleich von Blindheit, also nicht zum Ausgleich anderer unfallbedingter Schäden, gewährt werden.

Leistungen aus öffentlichen Kassen aufgrund gesetzlich geregelter Unfallversorgung oder Unfallfürsorge sind Pflegeleistungen nach § 34 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG), der Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach dem BVG (§ 35 BeamtVG) und eine Kleiderverschleißpauschale (§ 33 Abs. 4 S. 1 BeamtVG).

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Leistungen nach den genannten drei Versorgungssystemen nicht nur Personen erhalten, die unmittelbar durch den Unfall bzw. ein schädigendes Ereignis erblindet sind, bei denen also Blindheit als Unfall- bzw. Schädigungsfolge anerkannt ist. Vielmehr können wegen der geltenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung auch Personen Leistungen erhalten, die unfall- oder schädigungsbedingt nur auf einem Auge erblindet sind, wenn die Erblindung auf dem anderen Auge auf eine andere Ursache, z. B. eine Erkrankung, zurückzuführen ist. Ist z. B. bei einem Kriegsbeschädigten der Verlust eines Auges als Schädigungsfolge anerkannt, und erblindet er nunmehr auf dem anderen Auge auf Grund einer Krankheit wie z. B. Katarakt (grauer Star), an einem Glaukom (grüner Star) oder Retinitis Pigmentosa, so erhält er nach § 35 BVG eine Pflegezulage nach Stufe 3 wie ein Kriegsblinder, da die durch Blindheit hervorgerufene Pflegebedürftigkeit zumindest gleichwertig durch die schädigungsbedingte Erblindung des rechten Auges verursacht worden ist. Die aus der im Versorgungs- und Unfallrecht herrschenden Kausallehre der wesentlichen Bedingung abgeleitete Folge zum Nachschaden wurde in zahlreichen Urteilen des BSG und des BVwG bestätigt (vgl. zum Entschädigungsrecht: die Urteile BSGE 17,99; 17,144; 19,201; 23,188; 27,75; 41,75; zum Unfallversicherungsrecht: BSGE 43,208; für das Dienstunfallrecht der Beamten: BVerwGE 32,110; zu den Konsequenzen, nämlich eine erhöhte Pflegezulage zu gewähren, vgl. BSGE 41,80 und in der Unfallversicherung BSGE 25,49).

Zweckgleiche Leistungen nach öffentlich-rechtlichen Regelungen sind ferner die Pflegezulage nach § 269 Lastenausgleichsgesetz, wenn sie wegen Blindheit gewährt wird (OVG Lüneburg, FEVS 25 S. 70) und mit Bezug auf die Blindenhilfe die Leistungen nach den Blinden- und Pflegegesetzen der Länder (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ. 7 zu § 72).

Da es sich bei den Blindengeldleistungen sowohl nach den Landesgesetzen als auch nach § 72 SGB XII um Geldleistungen handelt, sind auch nur Geldleistungen als gleichartige Leistungen zu berücksichtigen, soweit nicht ausdrücklich bestimmt wird, dass auch Sachleistungen angerechnet werden. Das ist nach den Anrechnungsklauseln in den Blindengeldgesetzen von Rheinland-Pfalz (§ 4 Abs. 1) und Thüringen (§ 4) der Fall. Solche Sachleistungen sind z. B. die Gewährung von Pflege nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB VII, zweite Alternative (Stellung einer Pflegekraft) bzw. dritte Alternative (Heimpflege).

Privatrechtliche Ausgleichsleistungen:

Bei den anzurechnenden Leistungen kommt es nicht darauf an, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche handelt, soweit das Blindengeldgesetz nicht in dieser Hinsicht Einschränkungen enthält.

In vier Landesgesetzen, nämlich Hamburg (§ 3 Abs. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 3 Abs. 1), Sachsen (§ 5 Abs. 1) und Sachsen-Anhalt (§ 2 Abs. 1) wird ausdrücklich bestimmt, dass nur Leistungen angerechnet werden, die der Berechtigte aufgrund von "öffentlich-rechtlichen Vorschriften" erhält. Die übrigen Blindengeldgesetze enthalten eine solche Einschränkung nicht. Auch die Landesgesetze von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen enthalten keine Einschränkung auf öffentlich-rechtliche Ansprüche. In den Gesetzen dieser beiden Länder sind lediglich "Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen" ausdrücklich von der Anrechnung ausgeschlossen (Brandenburg: § 5 Abs. 1 S. 2; Nordrhein-Westfalen: § 3 Abs. 1 S. 2, Halbsatz 1). Das verdeutlicht, dass nicht nur öffentlich-rechtliche Ansprüche berücksichtigt werden sollen. Zu denken ist hier an Schadensersatzansprüche bzw. an unterhaltsrechtliche Ansprüche.

Berücksichtigung von Schadensersatzansprüchen als zweckgleiche Leistungen:

Wenn ein schädigendes Ereignis zur Erblindung geführt hat und daraus Schadensersatzansprüche bestehen, ist die Frage, inwieweit es sich um zweckgleiche Leistungen handelt.

Das Landesgesetz über Leistungen für Blinde und Gehörlose Nordrhein-Westfalen bezieht in § 3 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz Schadensersatzansprüche in die Anrechnung ausdrücklich ein. Soweit sich der Schadensersatzanspruch auf den Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen bezieht, ist die Berücksichtigung von Schadensersatzansprüchen im Wege des Forderungsüberganges nach § 116 SGB X oder, wenn ein Forderungsübergang nicht stattfindet, durch Anrechnung nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern auch für die anderen Blindengeldgesetze zu bejahen. Würde der Schädiger weder im Wege des Forderungsüberganges nach § 116 SGB X noch im Wege der Anrechnung herangezogen, könnte er bzw. seine Haftpflichtversicherung sich darauf berufen, dass in Höhe der Blindengeldleistung überhaupt kein Schaden gegeben sei, denn die Ersetzung eines Schadens kann nicht zweimal verlangt werden. Der Schädiger soll nicht durch Sozialleistungen entlastet werden. Für den Forderungsübergang nach § 116 SGB X, welcher nach allen Landesblindengeldgesetzen, die auf das SGB X verweisen und die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII erfolgt, sowie für die Anrechnung kommt von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB nur der Anspruch auf Geldrente wegen Vermehrung der blindheitsbedingten Bedürfnisse gemäß § 843 Abs. 1 (2. Alternative) BGB in Betracht, weil nur insoweit Zweckidentität besteht. Nicht in Frage kommen der Schmerzensgeldanspruch gemäß § 847 BGB wegen seiner Genugtuungsfunktion und ein Anspruch auf Geldrente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 843 Abs. 1 BGB (1. Alternative), weil das Blindengeld diesem Zweck nicht dient.

Berücksichtigung zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche als zweckgleiche Leistungen:

Gemäß dem Pflegegeldgesetz von Brandenburg (§ 5 Abs. 1 S. 2) und von Nordrhein-Westfalen (§ 3 Abs. 1 S. 2, 1. Halbsatz) werden Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen ausdrücklich nicht angerechnet.

Das muss aber auch für die anderen Landesblindengeldgesetze gelten. Gegen die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen nach dem bürgerlichen Recht zumindest bei den Landesblindengeldgesetzen spricht, dass das Blindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt wird und dass es sich um eine pauschalierte Leistung handelt, bei welcher es anders als im Unterhaltsrecht nicht auf einen konkreten Bedarf ankommt. Damit fehlt es aber an der Gleichartigkeit der Leistungen.

Die Anrechnung zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist sehr umstritten. Der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch richtet sich gemäß § 1610 BGB darauf, dass der "Lebensbedarf" des Unterhaltsberechtigten angemessen befriedigt wird. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts richtet sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs. 1 BGB). Unter "Lebensbedarf" fallen Essen, Kleidung, Wohnung und auch Ausbildung (Palandt Rdnr. 11 zu § 1610 BGB). Er umfasst auch einen behinderungsbedingten Sonderbedarf (Palandt, Rdnr. 1 zu § 1610 BGB). Die Frage ist, ob darunter auch der spezielle blindheitsbedingte Mehrbedarf eines Blinden, welcher der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII zu Grunde liegt, fällt. Münder verneint das im Praxiskommentar Rdnr. 54 zu § 91 BSHG (jetzt § 94 SGB XII), weil es sich um eine spezielle sozialpolitisch gewollte Leistung handle. So auch die "Empfehlungen zum Sozialhilferecht, herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe, T 94 Nr. 4.9.4". Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII tritt nach dieser Auffassung deshalb auch kein Forderungsübergang nach § 94 SGB XII ein. Wenn die Auffassung vertreten wird, dass der Unterhaltsanspruch auch den blindheitsbedingten Mehrbedarf umfasst und deshalb bei der Blindenhilfe eine Überleitung nach § 94 SGB XII möglich sei, muss der tatsächlich gegebene Bedarf festgestellt werden. Ferner müsste berücksichtigt werden, dass Unterhaltspflichtige, z. B. Eltern ihrem blinden Kind oder Kinder einem erblindeten Elternteil durch persönliche Dienste helfen, blindheitsbedingte Nachteile auszugleichen. Eine Überleitung in Höhe der als Pauschalleistung zu gewährenden Blindenhilfe wäre nicht hinzunehmen. Wenn es sich bei Unterhaltsleistungen auch nicht um auf die Blindenhilfe anzurechnende zweckgleiche Leistungen handelt, so sind sie doch bei der Blindenhilfe als Einkommen nach § 82 SGB XII zu berücksichtigen (vgl. 6.5.3.1.1 Ermittlung des Einkommens).

Besonderheit für unabhängig von der Kriegsschädigung erblindete Kriegsopfer:

Eine besondere Situation besteht für Kriegsopfer, die nachträglich und unabhängig von der Kriegsschädigung erblindet sind und deren Hinterbliebene, wenn sie wegen Behinderung der Hilfe bedürfen. Sie haben im Rahmen der Kriegsopferfürsorge Anspruch auf eine (einkommens- und vermögensabhängige) Blindenhilfe nach § 27d Abs. 1 Nr. 4 Bundesversorgungsgesetz. Das einzusetzende Einkommen und Vermögen richten sich nach den §§ 25c ff. BVG. Dabei gelten nach § 27d Abs. 5 BVG erhöhte Grundbeträge für die Einkommensgrenzen. Das Besondere in diesem Fall: Erst wenn feststeht, dass sie diese Leistung nicht erhalten (weil die Einkommens- und Vermögensgrenzen überschritten sind), ist der Weg frei für den Antrag auf Landesblindengeld. Die Betreffenden müssen sich also einer Überprüfung von Einkommen und Vermögen unterziehen, auch wenn sie am Ende nur das (einkommens- und vermögensunabhängige) Landesblindengeld bekommen.

Keine zweckgleichen Leistungen:

Keine gleichartigen Leistungen - und deshalb nicht auf das Blindengeld nach einem Landesgesetz oder die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII anzurechnen - sind die Leistungen der Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RZ 9 zu § 72). Sie sind als Sozialhilfeleistung nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Keine gleichartige anzurechnende Leistung ist die Unterhaltspauschale für einen Blindenführhund durch die gesetzlichen Krankenkassen. Hier handelt es sich um eine konkrete medizinische Maßnahme im Zusammenhang mit der Ausstattung mit dem Hilfsmittel "Führhund". Sie dient dem Unterhalt und der tierärztlichen Versorgung dieses Hilfsmittels, hat also eine ganz konkrete Zweckbestimmung.

Die in der DDR an Blinde gezahlte Invalidenrente, die aufgrund Art. 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages im Rahmen des westdeutschen Rentensystems weitergezahlt wird, ist nicht als "gleichartige Leistung" gegenüber dem Landesblindengeld oder gegenüber der Blindenhilfe anzusehen und mindert deshalb nicht das Landesblindengeld oder die Blindenhilfe. Sie ist jedoch wie jede andere Rente auch "Einkommen", das - wenn es um die Blindenhilfe geht - bei der Einkommensprüfung zu berücksichtigen ist.

Ausmaß der Anrechnung:

72 Abs. 1 S. 1 SGB XII enthält eine Ausschlussklausel für zweckgleiche Leistungen. Nach dieser Bestimmung besteht der Anspruch auf Blindenhilfe nur, "soweit" blinde Menschen "keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten". Wenn die zum Ausschluss führenden zweckgleichen Leistungen niedriger als die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sind, besteht Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe, soweit die übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind. Deshalb besteht häufig neben dem Anspruch auf ein Landesblindengeld ein Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe.

Nach den Anrechnungsbestimmungen in den Landesgesetzen sind mit Ausnahme von Bayern zweckgleiche Leistungen voll anzurechnen. Nach dem Landesblindengeldgesetz von Bayern (Art. 4 Abs. 3) sind sie, soweit kein Ausschluss nach Art. 3 gegeben ist, mit 60 v. H. des Betrages des Pflegegeldes der Pflegestufe I nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI anzurechnen. Das sind 60 % von 205,00 Euro = 123,00 Euro. Sollte die anzurechnende Leistung geringer als 205,00 € sein, werden 60 % der tatsächlichen Leistung angerechnet.

Für den Ausschluss bei der Blindenhilfe bzw. die Anrechnung nach den Landesblindengeldgesetzen muss im Einzelfall festgestellt werden, in welchem Umfang die zu berücksichtigende Leistung dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen oder Nachteile dient. Nur in diesem Ausmaß ist eine volle Anrechnung bzw. in Bayern in Höhe von 60 Prozent des Betrages der Pflegestufe I nach § 37 SGB XI möglich.

Erhält z. B. ein Versorgungsberechtigter wegen anderer anerkannter Schäden nach § 35 BVG ein Pflegegeld der Stufe III und wird nach hinzutretender nicht schädigungsbedingter Erblindung die Pflegestufe IV eingeräumt, so darf nur die Differenz zwischen der Pflegestufe III und der Pflegestufe IV für den Ausschluss bzw. die Anrechnung auf das Blindengeld berücksichtigt werden.

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7.3.2 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit im Sinn des SGB XI und bei der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII

Die Leistungen bei Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI oder XII werden im Wege der Anrechnung oder des Ausschlusses des Anspruches auf Blindengeld berücksichtigt.

Der Grund für die Anrechnung liegt darin, dass sich der Hilfebedarf wegen Blindheit mit dem Hilfebedarf bei Pflegebedürftigkeit im Sinn von § 14 SGB XI bzw. § 61 SGB XII zwar überschneidet, aber nicht vollständig deckt. Vgl. zu diesem Kapitel besonders Hennies "Der Blinde im geltenden Recht", Kapitel XIII Pflegebedürftigkeit - Hilflosigkeit S. 133 ff.

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7.3.2.1 Rechtsquelle für die soziale Pflegeversicherung

Rechtsquelle für die soziale Pflegeversicherung ist das SGB XI - Soziale Pflegeversicherung - vom 26. Mai 1994, in Kraft getreten am 01.01.1995 (§ 68 SGB XI).

In den Schutz der sozialen Pflegeversicherung sind nach § 1 Abs. 2 SGB XI kraft Gesetzes alle einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen. Damit werden über 90 % der Bevölkerung erfasst. Die Versicherungspflicht ist im Einzelnen den §§ 20 ff. SGB XI zu entnehmen. Soweit kein Schutz durch die soziale Pflegeversicherung besteht, kommt Hilfe zur Pflege nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) in Betracht. Sie ist dort im siebten Kapitel (§§ 61 ff.) geregelt und weitgehend den Regelungen im SGB XI angepasst (s. u.).

Damit bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Leistungen besteht, muss Pflegebedürftigkeit vorliegen.

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7.3.2.2 Feststellung und Begriff der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI

Die Leistungen der Pflegeversicherung werden auf Antrag gewährt (§ 33 Abs. 1 SGB XI). Das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist in § 18 SGB XI geregelt. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben die Pflegekassen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung prüfen zu lassen, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliegt. Beim Prüfungsauftrag sind die PflegebedürftigkeitsRichtlinien nach § 17 SGB XI und die BegutachtungsRichtlinien (BRi) zu beachten. Im Rahmen dieser Prüfungen hat der Medizinische Dienst durch eine Untersuchung des Antragstellers die Einschränkungen bei den Verrichtungen im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI zu ermitteln sowie Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der Hilfebedürftigkeit und gegebenenfalls das Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI festzustellen. Letzteres weil in diesem Fall auch ohne Pflegebedürftigkeit nach Stufe I (§ 15 SGB XI)Leistungen nach § 45b gewährt werden können. Darüber hinaus sind auch Feststellungen darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen zur Beseitigung, Minderung oder Verhütung einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit einschließlich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind; insoweit haben Versicherte einen Anspruch gegen den zuständigen Rehabilitationsträger auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Durch § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB XI wird der MDK verpflichtet, in jedem Gutachten darüber Aussagen zu treffen, ob und welche angemessenen Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation geboten sind.

Die Untersuchung durch den medizinischen Dienst muss im Wohnbereich des Versicherten durchgeführt werden (§ 18 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Wohnbereich kann z.B. auch eine Wohngemeinschaft oder eine stationäre Einrichtung sein. Wenn zu dieser Untersuchung im Wohnbereich das erforderliche Einverständnis verweigert wird, kann die Pflegekasse die beantragten Leistungen verweigern (§ 18 Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Die Untersuchung im Wohnbereich des Pflegebedürftigen kann ausnahmsweise unterbleiben, wenn auf Grund einer eindeutigen Aktenlage das Ergebnis der medizinischen Untersuchung bereits feststeht (§ 18 Abs. 2 Satz 4 SGB XI).

§ 18 Abs. 3 SGB XI dient der Beschleunigung des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und zur Feststellung der Pflegestufe. Dem Antragsteller soll nach Abs. 3 Satz 2 spätestens fünf Wochen nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse die Entscheidung der Pflegekasse schriftlich mitgeteilt werden. Besonders kurze Fristen gelten, wenn der Antragsteller bereits stationär versorgt wird. Wenn sich der Antragsteller im Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung befindet und wenn Hinweise vorliegen, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erforderlich ist, oder wenn die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt wurde, ist die Begutachtung dort unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen. Die verkürzte Begutachtungsfrist gilt auch dann, wenn der Antragsteller sich in einem Hospiz befindet oder ambulant palliativ versorgt wird. Befindet sich der Antragsteller in häuslicher Umgebung, ohne palliativ versorgt zu werden, und wurde die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt, ist eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen und der Antragsteller seitens des Medizinischen Dienstes unverzüglich schriftlich darüber zu informieren, welche Empfehlung der Medizinische Dienst an die Pflegekasse weiterleitet.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung hat nach § 18 Abs. 6 SGB XI der Pflegekasse das Ergebnis seiner Prüfung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit unverzüglich zu übermitteln. In seiner Stellungnahme hat der Medizinische Dienst auch das Ergebnis der Prüfung, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Prävention und der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind, mitzuteilen und Art und Umfang von Pflegeleistungen sowie einen individuellen Pflegeplan zu empfehlen. Wenn der Pflegebedürftige Pflegegeld beantragt, hat sich die Stellungnahme auch darauf zu erstrecken, ob die häusliche Pflege in geeigneter Weise sichergestellt ist. Die Pflegekasse hat das Ergebnis der Prüfung dem Pflegebedürftigen und mit seiner Zustimmung dem zuständigen Rehabilitationsträger und dem behandelnden Arzt sofort bekanntzugeben (§ 31 Abs. 3 SGB XI). Die mit Einwilligung des Versicherten an den zuständigen rehabilitationsträger weitergeleitete Mitteilung gilt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB XI als Antragstellung für das Verfahren zur Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB IX.

Die Aufgaben des Medizinischen Dienstes werden durch Ärzte in enger Zusammenarbeit mit Pflegefachkräften und anderen geeigneten Fachkräften wahrgenommen (§ 18 Abs. 7 Satz 1 SGB XI).

Auf Grund der Begutachtung hat die Pflegekasse die Entscheidung über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit als Versicherungsfall und die Zuordnung der Pflegestufe zu treffen. Sie entscheidet über die zu erbringenden Leistungen durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X). Die Zuordnung zu einer Pflegestufe, die Anerkennung als Härtefall sowie die Bewilligung von Leistungen können nach § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB XI befristet werden und enden mit Ablauf der Frist. Die Befristung erfolgt, wenn und soweit eine Verringerung des Hilfebedarfs nach der Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu erwarten ist. Das kann z.B. die Folge von Rehabilitationsmaßnahmen sein. Die Befristung kann wiederholt werden. Durch die Befristung werden Änderungen bei der Zuordnung zu einer Pflegestufe, bei der Anerkennung als Härtefall sowie bei bewilligten Leistungen im Befristungszeitraum nicht ausgeschlossen, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuches angeordnet oder erlaubt ist (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB XI). Der Befristungszeitraum darf insgesamt die Dauer von drei Jahren nicht überschreiten. Um eine nahtlose Leistungsgewährung sicherzustellen, hat die Pflegekasse vor Ablauf einer Befristung rechtzeitig zu prüfen und dem Pflegebedürftigen sowie der ihn betreuenden Pflegeeinrichtung mitzuteilen, ob Pflegeleistungen weiterhin bewilligt werden und welcher Pflegestufe der Pflegebedürftige zuzuordnen ist. Vor Ablauf der Befristung hat die Pflegekasse von Amts wegen tätig zu werden. Sie hat die Möglichkeit einer nahtlosen Fortsetzung der Pflegeleistungen sicherzustellen, ohne dass der Pflegebedürftige einen Antrag stellen muss. Diese Regelungen unterstreichen die Bedeutung von Prävention und Rehabilitation. Insbesondere in den Fällen, in denen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung aufgrund der Verpflichtung nach § 18 Abs. 6 SGB XI ein Rehabilitationspotential bei dem Versicherten feststellt, wird durch die nur befristete Leistungsbewilligung ein negativer Anreiz vermieden, sich der notwendigen Rehabilitation zu versagen (vgl. amtliche Begründung in BT-Drs. 16/7439 S. 54).

Die Pflegebedürftigkeit nach dem sozialen Pflegeversicherungsgesetz ist in § 14 SGB XI definiert. Pflegebedürftig sind danach Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen (§ 14 Abs. 1).

Krankheiten oder Behinderungen im Sinne von § 14 Abs. 1 sind gemäß § 14 Abs. 2:

  1. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat,
  2. Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane,
  3. Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen.

In § 14 Abs. 4 wird erschöpfend beschrieben, was im Einzelnen zu den "gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen" gehört. Die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen werden vier Bereichen, nämlich dem Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung, zugeordnet. Die ersten drei Bereiche umfassen die Grundpflege. Zur Grundpflege gehören in Abgrenzung zur Rehabilitation, welche den Eintritt der Pflegebedürftigkeit verhindern soll, die Leistungen der aktivierenden Pflege nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB V).

Zum Bereich der Körperpflege zählen: das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren sowie die Darm- oder Blasenentleerung.

Zum Bereich der Ernährung gehört das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung.

Zum Bereich der Mobilität zählt das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Die hauswirtschaftliche Versorgung umfasst das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen der Wohnung.

Zwischen Krankheit oder Behinderung und dem Hilfebedarf muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Es muss sich bei der Krankheit oder Behinderung um die rechtlich wesentliche Bedingung für die Hilfsbedürftigkeit handeln.

Der Pflegebedarf setzt einen tatsächlichen Funktionsausfall voraus, aufgrund dessen "die Fähigkeit, bestimmte Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auszuüben", aktuell eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Entscheidend sind nicht Art und Schwere der Krankheit oder Behinderung und die durch sie gegebenenfalls bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Grad der Behinderung, sondern das Ausmaß der durch sie verursachten Funktionsdefizite.

Die drei Pflegestufen, denen die Pflegebedürftigen nach dem Ausmaß, in welchem sie der Hilfe bedürfen, zuzuordnen sind, werden in § 15 SGB XI wie folgt beschrieben:

  1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
  2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Hier wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich verlangt. Auf die Grundpflege müssen mindestens zwei Stunden entfallen.
  3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der durchschnittliche Zeitaufwand muss täglich mindestens fünf Stunden betragen. Hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen.

Bei Kindern ist wegen des in den ersten Lebensjahren ohnehin vorhandenen Pflege- und Betreuungsbedarfs für die Zuordnung zu einer der Pflegestufen der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs. 2 SGB XI).

Der oben für die Pflegestufen angegebene erforderliche Zeitaufwand ist § 15. Abs. 3 SGB XI zu entnehmen.

Zusätzlich zu den im Gesetz bereits in einem außergewöhnlichen Maße vorgenommenen Detailregelungen verpflichtet § 17 SGB XI den Spitzenverband Bund der Pflegekassen mit dem Ziel, eine einheitliche Rechtsanwendung zu fördern, unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Richtlinien zur näheren Abgrenzung der in § 14 genannten Merkmale der Pflegebedürftigkeit, der Pflegestufen nach § 15 und zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu erlassen. Dementsprechend sind folgende Richtlinien erlassen worden:

  • Richtlinien über die Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit v. 7.11.1994 i.d.F. v. 22.8.2001, zuletzt geändert am 11.05.2005 (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien - PflRi) und
  • Richtlinien zur Anwendung der Härtefallregelungen v. 10.7.1995 i.d.F. v. 28.10.2005 (Härtefall-Richtlinien) und
  • Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit v. 08.06.2009 (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) aufgrund des § 53a SGB XI.

Bei der Auslegung und Abgrenzung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, z. B. des Begriffs der Pflegebedürftigkeit, sind die Gerichte nicht an den Inhalt dieser Richtlinien gebunden. Sie haben keine Rechtsnormqualität, weil es dafür an der erforderlichen Ermächtigung insbesondere zum Erlass von Rechtsnormen mit Außenwirkung gegenüber den Versicherten fehlt. Rechtswirkungen im Außenverhältnis kommen den Richtlinien allein über Art. 3 GG zu, weil sich die Verwaltungspraxis an ihnen orientiert. Soweit sich die Richtlinien innerhalb des durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, sind sie als Konkretisierung zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten (vgl. BSG, Urteil v. 19.2.1998, B 3 P 7/97 R, SozR 3-3300 § 15 Nr. 1; BSG SozR 3-2500 § 53 Nr. 5). Vgl. zum Begriff der Pflegebedürftigkeit Hennies "Der Blinde im geltenden Recht" S. 133 ff. und 137 ff.

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7.3.2.3 Die Auswirkung der Blindheit auf Pflegebedürftigkeit

Die Blindheit oder Sehbehinderung hat Auswirkungen bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Blinde und Sehbehinderte sind aber nicht schon automatisch wegen ihrer Blindheit oder Sehbehinderung pflegebedürftig, weil ausschließlich die Fähigkeit, bestimmte Verrichtungen zu leisten, nicht Art oder Schwere von Schädigungen (wie z.B. Taubheit, Blindheit, Lähmung) zum Maßstab genommen werden (vgl. dazu Nr. 3.3 der Pflegerichtlinien; diese Ziffer besagt nicht, dass Blindheit alleine überhaupt nicht zur Pflegebedürftigkeit führen kann, das heißt: sie schließt nicht aus, dass Pflegebedürftigkeit auch ausschließlich auf Blindheitsfolgen beruhen kann). Hier zeigt sich der Systemunterschied zwischen dem Blindengeldrecht als Leistung der sozialen Förderung (Anbindung an die Blindheit) und dem Recht der sozialen Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII als Leistung des Sozialhilferechts (Anknüpfung an die Auswirkung). Blindheit und Sehbehinderungen sind aber Behinderungen im Sinn von § 14 Abs. 1 SGB XI bzw. § 61 Abs. 3 SGB XII. Es handelt sich um Funktionsstörungen der Sinnesorgane, nämlich des Sehsinnes (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI). Blinde und Sehbehinderte benötigen auch für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer Hilfe (§ 14 Abs. 1 SGB XI, § 61 Abs. 1 SGB XII). Die Beurteilung, in welchem Ausmaß das der Fall ist, kann nicht pauschal festgestellt werden, sondern muss im Einzelfall im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI durch den medizinischen Dienst erfolgen. Hilfebedarf kann wegen der fehlenden optischen Kontrolle vor allem bei rasch eintretender Erblindung im Bereich der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI, § 61 Abs. 5 Nr. 1 SGB XII) auftreten. Er wird insbesondere im Bereich der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2, § 61 Abs. 5 Nr. 2 SGB XII) gegeben sein, z. B. das mundgerechte Zubereiten der Nahrung (3.4.1 Nr. 8 der Pflegerichtlinien). Im Bereich der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) wird in der Regel das selbständige Verlassen und Wiederauffinden der Wohnung (3.4.1 Nr. 15 der Pflegerichtlinien) ohne Hilfe nicht möglich sein. Der Bereich der Mobilität wird jedoch nur in einem sehr begrenzten Ausmaß anerkannt. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (lfd. Nr. 15) sind nur solche Maßnahmen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die unmittelbar für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig sind und regelmäßig und auf Dauer anfallen und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern. Unberücksichtigt bleibt insbesondere die für Blinde notwendige körperliche Bewegung im Freien, z.B. bei Spaziergängen bzw. die Mobilitätseinschränkung beim Besuch kultureller Veranstaltungen oder bei Reisen und der darauf beruhende Hilfebedarf.

Hilfebedarf wird sich in der Regel auch bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI, § 61 Abs. 5 Nr. 4 SGB XII) ergeben. So zählt zum Einkaufen (3.4.1 Nr. 16 der Pflegerichtlinien) auch der Überblick über Einkaufsmöglichkeiten. Das erfordert die Orientierung in Geschäften und die Möglichkeit eines Preisvergleichs, das Erkennen des Wertes von Geldmünzen und Banknoten und die Feststellung der Haltbarkeit von Lebensmitteln (vgl. 3.4.2 der Pflegerichtlinien). Das Kochen von Mahlzeiten einschließlich der Vor- und Zubereitung der Bestandteile der Mahlzeiten wird einem Blinden häufig nicht möglich sein. Dasselbe gilt für das Reinigen der Wohnung.

Die Wäsche- und Kleiderpflege (3.4.1 Nr. 20 der Pflegerichtlinien) umfasst die gesamte Pflege der Wäsche und Kleidung, z. B. auch das Bügeln und Ausbessern. Tätigkeiten, die einem Blinden sehr häufig ebenfalls nicht möglich sind.

Ob die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, d. h. mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten besteht (§ 14 Abs. 1 SGB XI), richtet sich auch danach, ob die Beeinträchtigungen durch Rehabilitationsmaßnahmen behoben werden können. Das entspricht dem Grundsatz, wonach Rehabilitation vor Pflege geht (§ 5 SGB XI). Zumindest teilweise lassen sich die durch die Blindheit verursachten Beeinträchtigungen, die für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit maßgebend sind, durch Rehabilitationsmaßnahmen, wie z. B. eine Orientierungs- und Mobilitätsschulung und die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten beseitigen.

Der Hilfebedarf eines Blinden ist im Übrigen von anderer Art. Er ist nicht "auf den engen Radius des eigenen Körpers und der unmittelbaren Umgebung" beschränkt.

Blindheit oder Sehbehinderung alleine wird nur ausnahmsweise zur Feststellung einer Pflegebedürftigkeit im Sinn des § 14 SGB XI führen. Anders ist der Sachverhalt zu bewerten, wenn zur Blindheit eine zusätzliche Krankheit oder Behinderung hinzukommt und dadurch als Gesamtwirkung das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit erreicht wird, der Blinde also ohne ein erhebliches Ausmaß an Hilfe nicht mehr imstande ist, die im § 14 Abs. 4 SGB XI bzw. § 61 Abs. 5 SGB XII bezeichneten Verrichtungen auszuüben. In solchen Fällen können je nach dem individuell notwendigen Hilfebedarf und dem Zeitaufwand für die erforderlichen Pflegeleistungen die Grenzen zu einer der drei Pflegestufen (§ 15 SGB XI) rasch überschritten sein. Bei der Beurteilung dürfen die Auswirkungen der Blindheit oder Sehbehinderung nicht unterschätzt werden.

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7.3.2.4 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

Die Leistungen der Pflegeversicherung sind gemäß § 4 Abs. 1 SGB XI Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung sowie Kostenerstattung, soweit dies im SGB XI vorgesehen ist. Art und Umfang der Leistungen richten sich nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und danach, ob häusliche, teilstationäre oder vollstationäre Pflege in Anspruch genommen wird.

Die Leistungsarten der sozialen Pflegeversicherung und Grundsätze für die Leistungserbringung sind im Einzelnen in § 28 Abs. 1 SGB XI festgelegt. Danach gewährt die soziale Pflegeversicherung folgende Leistungen:

  1. Pflegesachleistung (§ 36),
  2. Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37),
  3. Kombination von Geldleistung und Sachleistung (§ 38),
  4. häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39),
  5. Pflegehilfsmittel und technische Hilfen (§ 40),
  6. Tagespflege und Nachtpflege (§ 41),
  7. Kurzzeitpflege (§ 42),
  8. vollstationäre Pflege (§ 43),
  9. Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a),
  10. Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen (§ 44),
  11. zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit (§ 44a),
  12. Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen (§ 45),
  13. zusätzliche Betreuungsleistungen (§ 45b),
  14. Leistungen des Persönlichen Budgets nach § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches und Pflegeberatung nach § 28 Abs. 1a.

Bei der umfassenden Aufstellung der Leistungen in den Abs. 1 und Abs. 1a SGB XI handelt es sich um einweisende Vorschriften ohne anspruchsbegründenden Charakter. Die Tatbestandsvoraussetzungen und der Umfang der jeweiligen Leistungen werden in den §§ 7a, 36 bis 45b sowie § 17 SGB XI genannt.

Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit und Pflege Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben, erhalten die jeweils zustehenden Leistungen zur Hälfte; dies gilt auch für den Wert von Sachleistungen (§ 28 Abs. 2 SGB XI). Im Übrigen richten sich ihre Ansprüche nach den Beihilfebestimmungen. Vgl. dazu besonders Hennies "Der Blinde im geltenden Recht" S. 141 ff.

Die Pflege soll auch die Aktivierung des Pflegebedürftigen zum Ziel haben, um vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und, soweit dies möglich ist, verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen. Um die Gefahr einer Vereinsamung des Pflegebedürftigen entgegenzuwirken, sollen bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen nach Kommunikation berücksichtigt werden (§ 28 Abs. 4 SGB XI).

Die Höhe der Sach- bzw. Geldleistungen richtet sich nach der jeweiligen Pflegestufe.

Nach § 3 SGB XI ist es Eines der Ziele der Pflegeversicherung, die häusliche Pflege in besonderem Maß zu unterstützen und zu fördern. Die häusliche Pflege (§§ 36 bis 40 SGB XI), teilstationäre Pflege (§ 41 SGB XI) und die Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) haben gegenüber der vollstationären Pflege (§ 43 SGB XI) Vorrang. Die Pflegeversicherung soll deshalb mit ihren Leistungen die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Die Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege ergänzen und unterstützen gewissermaßen die häusliche Pflege insbesondere auch in Krisensituationen.

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7.3.2.4.1 Pflegeberatung (§ 7a SGB XI)

Die Beratung ist für Pflegebedürftige von großer Bedeutung. Wer Leistungen der Pflegeversicherung erhält oder beantragt, hat ab 1.1.2009 nach § 7a SGB XI einen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch eine Pflegeberaterin/einen Pflegeberater.

Die Verpflichtung der Pflegekassen zur Beratung ergibt sich allgemein aus § 14 SGB I. Der Umfang der Beratung Pflegebedürftiger ist in § 7 SGB XI konkretisiert. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB XI haben die Pflegekassen die Versicherten und ihre Angehörigen und Lebenspartner in den mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen, insbesondere über die Leistungen der Pflegekassen sowie über die Leistungen und Hilfen anderer Träger, zu unterrichten und zu beraten.

Es hat sich aber gezeigt, dass die Aufklärungs- und Beratungspflicht der Pflegekassen nach § 7 im Einzelfall häufig nicht ausreicht, um dem Unterstützungsbedarf des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen in schwieriger, oft plötzlich eintretender Lebenssituation Rechnung zu tragen. Dem Ergebnis der bereits seit einiger Zeit geführten pflegefachlichen Diskussion über die Schaffung begleitender Strukturen zur Beratung und Unterstützung und zur besseren Koordinierung von Leistungsangeboten hat der Gesetzgeber deshalb unter anderem mit der Schaffung des § 7a nun Rechnung getragen (Haufe Onlinekommentar RZ. 2 zu § 7a SGB XI). Der Anspruch auf individuelle Beratung wurde durch das Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PflegeWG) vom 28.05.2008 im SGB XI eingeführt. Die Vorschrift verschafft dem Pflegebedürftigen einen (einklagbaren) Anspruch auf Pflegeberatung. Pflegeberatung beinhaltet ein allgemeines Fallmanagement. Pflegeberatung ist nach § 7a Abs. 1 SGB XI die individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin bei der Auswahl und Inanspruchnahme von bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- oder Betreuungsbedarf ausgerichtet sind. Auf die Pflegeberatung besteht ein einklagbarer Rechtsanspruch des Pflegebedürftigen. Ob er sie in Anspruch nimmt, obliegt indes seiner freien Entscheidung; die in § 66 SGB I vorgesehenen Sanktionen wegen "fehlender Mitwirkung" gelten insoweit nicht (Haufe Onlinekommentar RZ. 3 zu § 7a SGB XI). Der Anspruch richtet sich gegen die Pflegekasse. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Kasse nach Abs. 1 Satz 7 Aufgaben der Pflegeberatung nicht selbst durchführen muss, sondern unter Beachtung der Regelungen des § 80 SGB X ganz oder teilweise auf Dritte übertragen kann. Der Anspruch auf Pflegeberatung entsteht nicht erst mit der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XI, sondern nach § 7a Abs. 1 Satz 8 SGB XI bereits mit der Stellung des Leistungsantrages, wenn erkennbar ein Hilfe- und Beratungsbedarf besteht.

Die Aufgaben der Pflegeberatung sind in § 7a Abs. 1 Satz 2 in 5 Ziffern aufgeführt. Im Zentrum des Aufgabenfeldes steht die Aufstellung eines auf die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen ausgerichteten individuellen Versorgungsplans. Die Sätze 3 bis 6 des § 7a Absatz 1 SGB XI enthalten Einzelregelungen zum Versorgungsplan. Der Versorgungsplan ist nicht rechtsverbindlich, sondern hat nur empfehlenden Charakter. Die Pflegeberatung wird in den Pflegestützpunkten i.S.d. § 92c SGB XI durchgeführt. Auf Wunsch des Pflegebedürftigen erfolgt sie alternativ hierzu in häuslicher Umgebung bzw. in der Einrichtung, in welcher der Pflegebedürftige stationär betreut wird. Dabei sind, ebenfalls auf Wunsch des Pflegebedürftigen, Angehörige oder sonstige dritte Personen einzubeziehen (§ 7a Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Als Pflegeberater oder Pflegeberaterin müssen die Pflegekassen gemäß § 7a abs. 3 Satz 2 entsprechend qualifiziertes Personal einsetzen, insbesondere Pflegefachkräfte, Sozialversicherungsfachangestellte oder Sozialarbeiter mit der jeweils erforderlichen Zusatzqualifikation. Der Versicherte ist nach Maßgabe von § 7a Abs. 2 Satz 2 SGB XI befugt, Leistungsanträge sowohl nach dem SGB V als auch nach dem SGB XI gegenüber dem Pflegeberater oder der Pflegeberaterin zu stellen. Der Antrag ist nach Abs. 2 Satz 3 unverzüglich der zuständigen Pflege- oder Krankenkasse zu übermitteln.

Der Anspruch auf Pflegeberatung besteht auch gegenüber den privaten Versicherungsunternehmen. Der Gesetzgeber folgt insofern dem Prinzip, dass das Leistungsangebot der privaten Pflegeversicherung nach Art und Umfang mit dem Angebot in der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig sein muss. Sie können gemäß § 7a Abs. 5 SGB XI dazu Pflegeberater und Pflegeberaterinnen der sozialen Pflegekassen für die bei ihnen versicherten Personen nutzen. Das setzt entsprechende vertragliche Vereinbarungen voraus.

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7.3.2.4.2 Häusliche Pflege (§§ 36 bis 40 SGB XI)

Die häusliche Pflegehilfe setzt sich aus der Grundpflege einschließlich aktivierender Pflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen. Sie ist in drei Formen ausgestaltet, zwischen welchen der Pflegebedürftige ein Wahlrecht hat:

1. Sachleistung (§ 36 SGB XI):

Die häusliche Pflegehilfe wird nach § 36 Abs. 1 SGB XI durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. Leistungen der häuslichen Pflege sind auch zulässig, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden. Der Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe) besteht auch dann, wenn der Pflegebedürftige in einer Altenwohnung oder in einem Altenwohnheim lebt. Unerheblich ist dabei, ob der Pflegebedürftige die Haushaltsführung eigenverantwortlich regeln kann oder nicht. Möglich ist also auch, in unterschiedlichsten Weisen neue Wohnformen zu praktizieren (Haufe Onlinekommentar RZ. 10 zu § 36 SGB XI). Mehrere Pflegebedürftige können Pflege- und Betreuungsleistungen sowie hauswirtschaftliche Versorgung gemeinsam als Sachleistung in Anspruch nehmen. Ein solcher Pool ist vor allem bei Wohngemeinschaften pflegebedürftiger Personen denkbar. Der Anspruch auf häusliche Pflege ist jedoch ausgeschlossen, wenn es sich bei der Einrichtung, in der sich der Pflegebedürftige aufhält, um ein Pflegeheim gemäß § 71 Abs. 2 SGB XI i.V.m. § 72 SGB XI handelt. Hier beschränken sich die Ansprüche auf die Leistungen nach § 43 SGB XI (vollstationäre Pflege) (Haufe, Onlinekommentar RZ. 11 zu § 36 SGB XI).

Nach § 36 Abs. 2 SGB XI umfassen Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI genannten Verrichtungen; die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen gehören nicht dazu, soweit diese im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 des SGB V zu leisten sind.

Der Anspruch auf häusliche Pflegehilfe umfasst nach § 36 Abs. 3 SGB XI je Kalendermonat

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von
    • a) 420 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 440 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 450 Euro ab 1. Januar 2012,
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von
    • a) 980 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.040 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.100 Euro ab 1. Januar 2012,
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von
    • a) 1.470 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.510 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.550 Euro ab 1. Januar 2012.

In besonders gelagerten Fällen können die Pflegekassen zur Vermeidung von Härten gemäß § 36 Abs. 4 SGB XI Pflegebedürftigen der Stufe III weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1.918 Euro monatlich gewähren, wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise wenn im Endstadium von Krebserkrankungen regelmäßig mehrfach auch in der Nacht Hilfe geleistet werden muss. Die Ausnahmeregelung des Satzes 1 darf für nicht mehr als 3 vom Hundert aller versicherten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III, die häuslich gepflegt werden, Anwendung finden.

Die Leistungen können auch in Form eines "persönlichen Budgets" nach § 17 Abs. 2 SGB IX erbracht werden, so dass sich der Pflegebedürftige die Leistungen nach seiner Wahl "einkaufen" kann. Auf das persönliche Budget besteht ein Rechtsanspruch, d. h. der Pflegebedürftige hat das Recht, sich für die Form des persönlichen Budgets zu entscheiden. Das persönliche Budget kann als Geldleistung oder durch Gutscheine erbracht werden (§ 17 Abs. 2 SGB IX).

Wenn seitens des Leistungserbringers Vergütungsansprüche gegenüber dem Pflegebedürftigen entstehen, die über den jeweiligen Gesamtwert je Pflegestufe Hinausgehen, hat diese der Pflegebedürftige zu bezahlen. Soweit ein höherer Pflegebedarf besteht, den der Pflegebedürftige nicht finanzieren kann, sind die Aufwendungen hierfür vom Träger der Sozialhilfe unter den Voraussetzungen der §§ 61 bis 66 SGB XII zu übernehmen.

2. Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37 SGB XI):

Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 SGB XI anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I
    • a) 215 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 225 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 235 Euro ab 1. Januar 2012,
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II
    • a) 420 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 430 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 440 Euro ab 1. Januar 2012,
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III
    • a) 675 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 685 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 700 Euro ab 1. Januar 2012.

Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige, die Pflegegeld nach Absatz 1 beziehen,

  1. bei Pflegestufe I und II halbjährlich einmal,
  2. bei Pflegestufe III vierteljährlich einmal

eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit durch eine zugelassene Pflegeeinrichtung, durch eine von den Landesverbänden der Pflegekassen nach Absatz 7 anerkannte Beratungsstelle mit nachgewiesener pflegefachlicher Kompetenz oder, sofern dies durch eine zugelassene Pflegeeinrichtung vor Ort oder eine von den Landesverbänden der Pflegekassen anerkannte Beratungsstelle mit nachgewiesener pflegefachlicher Kompetenz nicht gewährleistet werden kann, durch eine von der Pflegekasse beauftragte, jedoch von ihr nicht beschäftigte Pflegefachkraft abzurufen. Die Beratung dient der Sicherung der Qualität der häuslichen Pflege und der regelmäßigen Hilfestellung und praktischen pflegefachlichen Unterstützung der häuslich Pflegenden. Die Vergütung für die Beratung ist von der zuständigen Pflegekasse, bei privat Pflegeversicherten von dem zuständigen privaten Versicherungsunternehmen zu tragen, im Fall der Beihilfeberechtigung anteilig von den Beihilfefestsetzungsstellen.

Soweit es sich um Anspruchsberechtigte nach § 45a SGB XI handelt, bei denen ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung festgestellt ist, können Beratungsbesuche in doppeltem Umfang abgerufen werden. Halbjährlich können auch diejenigen einen Beratungsbesuch in Anspruch nehmen, die "nur" Leistungen gemäß § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 beziehen. Das sind Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, aber mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben.

Nach § 37 Abs. 6 SGB XI hat die Pflegekasse oder das private Versicherungsunternehmen das Pflegegeld angemessen zu kürzen, wenn Pflegebedürftige die Beratung nach Absatz 3 Satz 1 nicht abrufen. Im Wiederholungsfall ist es zu entziehen.

Voraussetzung für den Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI ist die eigenständige Sicherstellung häuslicher Pflegehilfe durch den Pflegebedürftigen, also die Pflege in häuslicher Umgebung.

Dies kann der eigene Haushalt, der Haushalt der Pflegeperson oder auch ein beliebig anderer Haushalt sein, in den der Pflegebedürftige aufgenommen und gepflegt wird. Die häusliche Pflege wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Pflegebedürftige in einem Altenwohnheim oder einer Altenwohnung lebt, gleichgültig ob er seine Haushaltsführung noch eigenverantwortlich regeln kann oder nicht (vgl. § 36 Abs. 1 SGB XI). Ausgeschlossen ist der Anspruch auf Pflegegeld hingegen, wenn sich der Pflegebedürftige in einer Einrichtung nach § 71 Abs. 2 i.V.m. § 72 aufhält (Pflegeheim). Hier bestehen Leistungsansprüche nur im Rahmen des § 43. SGB XI (vollstationäre Pflege).

Hält sich der Pflegebedürftige in einer nicht zugelassenen vollstationären Pflegeeinrichtung auf (nicht Einrichtungen nach § 71 Abs. 4 SGB XI), so besteht aufgrund der insoweit selbst sichergestellten Pflege Anspruch auf Pflegegeld (Haufe Onlinekommentar RZ. 5 zu § 37 SGB XI).

Für Pflegebedürftige, die internatsmäßig in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe untergebracht sind, kommt für die Zeit der Pflege im häuslichen Bereich (Wochenenden, Ferienzeiten) unter Berücksichtigung des Pauschbetrages nach § 43a SGB XI ebenfalls eine (eingeschränkte) Pflegegeldzahlung in Betracht (Haufe Onlinekommentar RZ. 6 zu § 37 SGB XI).

3. Kombination von Geldleistung und Sachleistung – Kombinationsleistung (§ 38 SGB XI:)

Der Pflegebedürftige hat nach § 38 SGB XI auch das Recht, sich für eine Kombination von Geld- und Sachleistungen zu entscheiden. Nimmt der Pflegebedürftige die ihm nach § 36 Abs. 3 und 4 SGB XI zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch, erhält er daneben ein anteiliges Pflegegeld im Sinne des § 37 SGB XI. Das Pflegegeld wird um den Vomhundertsatz vermindert, in dem der Pflegebedürftige Sachleistungen in Anspruch genommen hat. Der Anteil des Pflegegeldes berechnet sich nach dem Verhältnis zwischen dem jeweiligen Höchstbetrag der Sachleistung (je Pflegestufe) und dem tatsächlich in Anspruch genommenen Betrag. Entsprechend diesem Verhältnis ist das Pflegegeld anteilig auszuzahlen. Vgl. dazu folgendes Beispiel (entnommen Haufe Onlinekommentar RZ. 2 zu § 38 SGB XI):

1) Pflegebedürftiger/Pflegestufe II: max. Gesamtwert für Pflegesachleistung mtl. = 980,00 EUR

2) angenommener Aufwand im Beispielsmonat für Pflegesachleistung = 784,00 EUR

3)Verhältnis zwischen 1) und 2) = 100 : 80

4) Pflegegeld/Pflegestufe II mtl. = 420,00 EUR

5) Kürzung des Pflegegeldes um 80 % (vgl. 3) = 336,00 EUR Verbleibender Pflegegeldanteil 20 % = 84,00 EUR

An die Entscheidung, in welchem Verhältnis er Geld- und Sachleistung in Anspruch nehmen will, ist der Pflegebedürftige für die Dauer von sechs Monaten gebunden.

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7.3.2.4.3 Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI)

der häuslichen Pflege bei Verhinderung einer Pflegeperson dient § 39 SGB XI. Ist eine Pflegeperson an der Pflege verhindert, sei es wegen Krankheit, Erholungsurlaub oder aus anderen Gründen, übernimmt die Pflegekasse die Kosten für eine Ersatzkraft für längstens vier Wochen je Kalenderjahr (§ 39 SGB XI). Diese Regelung hat zum Ziel, der Pflegekraft die nötige Erholung zu ermöglichen. Bei der Pflegeperson, deren zeitlich begrenzter Ausfall durch Ersatzpflege überbrückt werden soll, handelt es sich in erster Linie um pflegende Angehörige, aber auch um andere selbstbeschaffte Pflegepersonen (§ 19 SGB XI), die in der Vergangenheit Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung geleistet haben, wodurch das Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch genommen werden konnte.

Wenn eine professionelle Pflegekraft ausfällt, deren Dienste der Pflegebedürftige als Pflegesachleistung (§ 36) in Anspruch nimmt, liegen die Voraussetzungen der Verhinderungspflege nicht vor.

Die Aufwendungen der Pflegekassen für die Verhinderungspflege können sich nach § 39 Satz 3 SGB XI im Kalenderjahr auf bis zu 1470 Euro ab 1. Juli 2008, auf bis zu 1510 Euro ab 1.

Januar 2010 und auf bis zu 1550 Euro ab 1. Januar 2012 belaufen, wenn die Ersatzpflege durch Pflegepersonen sichergestellt wird, die mit dem Pflegebedürftigen nicht bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind und nicht mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben. Verwandte bis zum 2. Grad des Pflegebedürftigen sind Eltern, Kinder (einschl. der für ehelich erklärten und angenommenen Kinder), Großeltern, Enkelkinder, Geschwister (§ 1589 BGB). Verschwägerte bis zum 2. Grad des Pflegebedürftigen sind Stiefeltern, Stiefkinder, Stiefenkelkinder (Enkelkinder des Ehegatten), Schwiegereltern, Schwiegerkinder (Schwiegersohn, Schwiegertochter, Schwiegerenkel, Ehegatten der Enkelkinder), Großeltern des Ehegatten, Stiefgroßeltern, Schwager und Schwägerin (§ 1590 BGB). Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse nach § 39 Satz 4 SGB XI regelmäßig den Betrag des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 nicht überschreiten, es sei denn, die Ersatzpflege wird erwerbsmäßig ausgeübt; in diesen Fällen findet der Leistungsbetrag nach § 39 Satz 3 SGBXI Anwendung. Wenn die Aufwendungen für die Ersatzpflege gemäß § 39 Satz 4 bis zur Höhe des Pflegegeldes gemäß § 37 SGB XI übernommen werden, können nach § 39 Satz 5 SGB XI der Pflegeperson, die mit dem zu Pflegenden im ersten oder zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt, auf Nachweis Aufwendungen erstattet werden, die im Zusammenhang mit der Pflege entstanden sind. Solche Aufwendungen sind z.B. Verdienstausfall oder Fahrkosten. Die Aufwendungen der Pflegekasse nach den Sätzen 4 und 5 dürfen jedoch zusammen den in § 39 Satz 3 SGB XI genannten Betrag nicht übersteigen d.h. bis zu 1.470,00 EUR ab 1.7.2008, bis zu 1.510,00 EUR ab 1.1.2010 und bis zu 1.550,00 EUR ab 1.1.2012.

Während der Verhinderungspflege wird Pflegegeld nach § 37 SGB XI nicht ausbezahlt (Haufe Onlinekommentar RZ. 7 zu § 39 SGB XI).

In einem Jahr kann sowohl ein Anspruch auf Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI als auch auf Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XII bestehen. Auf die Dauer des Leistungsanspruchs nach § 39 SGB XI werden Zeiten des Leistungsbezugs nach § 42 SGB XI (Kurzzeitpflege) nicht angerechnet.

Praxis-Beispiel:

Die Pflegeperson befindet sich vom 1.5. bis 28.5. im Urlaub. Dies bedeutet eine Kostenübernahme für die Ersatzpflege nach § 39 SGB XI. Im gleichen Kalenderjahr erkrankt die Pflegeperson vom 1.10. bis 28.10. In diesem Fall ist eine Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI zu gewähren (Haufe Onlinekommentar RZ. 9 zu § 39 SGB XI).

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7.3.2.4.4 Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI)

Auch durch die Tages- oder Nachtpflege nach § 41 SGB XI wird die häusliche Pflege ergänzt und unterstützt. Pflegebedürftige sollen solange als möglich in der häuslichen Pflege und Umgebung belassen werden. Der Vorrang der häuslichen Pflege macht es erforderlich, in Krisensituationen, besonders im Falle einer kurzfristigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, flexibel zu reagieren. Durch Tages- oder Nachtpflege werden zudem pflegende Angehörige erheblich entlastet. Vor allem durch Nachtpflege können sie oft erst wieder in ausreichendem Maße Nachtruhe finden.

Kann häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden oder ist es erforderlich, sie zu ergänzen oder zu verstärken, besteht gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XI ein Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege. Wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, besteht der Anspruch ohne zeitliche Begrenzung. Die Leistungen der teilstationären Pflege gehen denjenigen der vollstationären Pflege gemäß § 3 Satz 2 SGB XI vor.

Die für die Tages- oder Nachtpflege zu übernehmenden Leistungsbeträge ergeben sich aus § 41 Abs. 2 SGB XI. Die Pflegekasse übernimmt danach im Rahmen der Leistungsbeträge nach § 41 Abs. 2 S. 2 die pflegebedingten Aufwendungen der teilstationären Pflege, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für die in der Einrichtung notwendigen Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Wie bei der vollstationären Pflege werden also weder Investitionskosten noch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung übernommen.

Die teilstationäre Pflege umfasst auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück (§ 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI).

Die Fahrkosten - wie immer sie auch entstehen können (Abholdienst, Taxi oder erforderlichenfalls auch Krankenkraftfahrzeug) - werden der Pflegeeinrichtung von der Pflegekasse nur gemeinsam mit den Pflegesätzen als Bestandteil des Vertragspreises und im Rahmen der Höchstbeträge des § 41 Abs. 2 SGB XI ersetzt (Haufe Onlinekommentar RZ. 22 zu § 41 SGB XI).

Der Anspruch auf teilstationäre Pflege umfasst je Kalendermonat

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I einen Gesamtwert bis zu
    • a) 420 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 440 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 450 Euro ab 1. Januar 2012,
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II einen Gesamtwert bis zu
    • a) 980 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.040 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.100 Euro ab 1. Januar 2012,
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III einen Gesamtwert bis zu
    • a) 1.470 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.510 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.550 Euro ab 1. Januar 2012.

Nach § 41 Abs. 3 SGB XI können Pflegebedürftige die Ansprüche auf Tages- und Nachtpflege mit Pflegesachleistung (§ 36 SGB XI), Pflegegeld (§ 37 SGB XI) oder der Kombinationsleistung (§ 38 SGB XI) nach ihrer Wahl miteinander kombinieren. Der Leistungsumfang ergibt sich in diesem Fall aus § 41 Abs. 4 bis 6 SGB XI. Als Grundregel gilt dabei, dass der Leistungsumfang insgesamt 150 % z.B. des Betrages der Sachleistung umfasst.

Die teilstationäre Pflege findet in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege statt (vgl. §§ 71, 72 SGB XI).

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7.3.2.4.5 Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI)

Wenn die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und auch teilstationäre Pflege nicht ausreicht, besteht nach § 42 Abs. 1 SGB XI Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung. Dies gilt nach Abs. 1 Satz 2:

  1. für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder
  2. in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist.

Eine solche Krisensituation im Sinn von Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XI ist etwa bei plötzlich eintretender erheblicher Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Pflegebedürftigen oder aber bei plötzlichem Ausfall der Pflegeperson gegeben. Keine Krisensituation stellt der Urlaub der Pflegeperson dar. Gleichwohl erfolgt die Inanspruchnahme von Leistungen der Kurzzeitpflege mit Billigung der Pflegekassen gegenwärtig weit überwiegend als "Urlaubspflege" in Gestalt sog. eingestreuter Kurzzeitpflege. Möglicherweise ist dieses Phänomen zumindest teilweise auf die Nennung des Urlaubs als Kurzzeitpflegetatbestand in den Gesetzgebungsmaterialien zurückzuführen vgl. BT-Drs. 12/5262 und Haufe Onlinekommentar RZ 8 zu § 42 SGB XI). Hinzuweisen ist darauf, dass der Pflegebedürftige die Möglichkeit hat, bei Urlaub seiner Pflegeperson die Leistung der Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI in Anspruch zu nehmen. Vgl. dazu oben. Der Erholungsurlaub ist im dortigen Tatbestand eigens genannt.

Eine Anwartschaftszeit für Leistungen der Kurzzeitpflege besteht im Gegensatz zur Rechtslage bei der Verhinderungspflege i.S.d. § 39 SGB XI seit Inkrafttreten des Vierten SGB-XI-Änderungsgesetzes zum 1.8.1999 nicht mehr.

Nach § 42 Abs. 2 SGB XI ist der Anspruch auf Kurzzeitpflege auf vier Wochen pro Kalenderjahr beschränkt. Die Pflegekasse übernimmt die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen

der sozialen Betreuung sowie die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege – jedoch nicht der Unterkunft und Verpflegung - bis zu dem Gesamtbetrag von 1.470 Euro ab 1. Juli 2008,

1.510 Euro ab 1. Januar 2010 und 1.550 Euro ab 1. Januar 2012 im Kalenderjahr.

Abweichend von den Absätzen 1 und 2 besteht nach § 42 Abs. 3 SGB XI der Anspruch auf Kurzzeitpflege in begründeten Einzelfällen bei zu Hause gepflegten Kindern bis zur Vollendung

des 18. Lebensjahres auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen, wenn die Pflege in einer von den Pflegekassen zur Kurzzeitpflege zugelassenen Pflegeeinrichtung nicht möglich ist oder nicht zumutbar erscheint.

Neben der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI besteht kein Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI.

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7.3.2.4.6 Pflege in vollstationären Einrichtungen (§ 43 SGB XI)

Die Pflege in vollstationären Einrichtungen nach § 43 SGB XI steht an letzter Stelle der Versorgung, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheiten des einzelnen Falles nicht in Betracht kommt, z.B. auch, weil die bisherige Pflegeperson überfordert ist.

Die Pflegekasse trägt den pflegebedingten Aufwand für die im Einzelfall erforderlichen Leistungen der Grundpflege, der aktivierenden Pflege und für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, soweit Letztere nicht von den Krankenkassen oder anderen Leistungsträgern zu tragen sind. Hinzu kommt der Aufwand für die medizinische Behandlungspflege und die soziale Betreuung. Diese Kosten sind mit dem Höchstbetrag abzudecken. Die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegungsowie für etwaige Zusatzleistungen hat der Pflegebedürftige selbst zu finanzieren (Haufe Onlinekommentar RZ 15 zu § 43 SGB XI).

Eine Abrechnung ist nach dem Prinzip der Sachleistungen unmittelbar zwischen Pflegeheimen und Pflegekassen vorzunehmen.

Die Pflegebedürftigen erhalten insgesamt feste Pauschalbeträge. Es gelten folgende Pauschbeträge monatlich:

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 1.023 Euro,
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II 1.279 Euro,
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III
    • a) 1.470 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.510 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.550 Euro ab 1. Januar 2012,
  4. für Pflegebedürftige, die nach § 43 Absatz 3 als Härtefall anerkannt sind,
    • a) 1.750 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 1.825 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 1.918 Euro ab 1. Januar 2012.

Der von der Pflegekasse einschließlich einer Dynamisierung nach § 30 zu übernehmende Betrag darf jedoch 75 vom Hundert des Gesamtbetrages aus Pflegesatz, Entgelt für Unterkunft und Verpflegung und gesondert berechenbaren Investitionskosten nach § 82 Abs. 3 und 4 nicht übersteigen. Übersteigt er diese Grenze, wird er gekappt.

Beispiel (entnommen Haufe Onlinekommentar RZ 21 zu § 43 SGB XI):

Das Heimentgelt eines Pflegebedürftigen in der Pflegestufe II beträgt 1.500,00 EUR; davon 75 % = 1.125,00 EUR. Der für die Pflegestufe II festgelegte Betrag von 1.279,00 EUR wird um 154,00 EUR gekürzt.

Die Pflegekassen können nach § 43 Abs. 3 SGB XI in besonderen Ausnahmefällen zur Vermeidung von Härten die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege pauschal in Höhe des nach § 43 Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 SGB XI geltenden Betrages übernehmen, wenn ein außergewöhnlich hoher und intensiver Pflegeaufwand erforderlich ist, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise bei Apallikern, schwerer Demenz oder im Endstadium von Krebserkrankungen. Die Ausnahmeregelung des Satzes 1 darf für nicht mehr als 5 vom Hundert aller versicherten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III, die stationäre Pflegeleistungen erhalten, Anwendung finden.

Pflegebedürftige können vollstationäre Pflege wählen, obwohl diese nach Feststellung der Pflegekasse nicht erforderlich ist. In diesem Fall erhalten sie zu den pflegebedingten Aufwendungen einen Zuschuss in Höhe des in § 36 Abs. 3 SGB XI für die jeweilige Pflegestufe vorgesehenen Gesamtwertes.

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7.3.2.4.7 Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI)

Wenn sich Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe befinden, übernimmt die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen für Pflegeleistungen zehn vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalendermonat 256 Euro nicht überschreiten.

Einrichtungen in diesem Sinne sind solche, bei welchen die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen und die Pflege nur untergeordnete Bedeutung hat. Hierher gehören z.B. Bildungszentren vor allem für mehrfach behinderte blinde oder sehbehinderte Kinder und Jugendliche oder Werkstätten für behinderte Menschen, wenn mit dem Werkstattbesuch eine internatsmäßige Betreuung verbunden ist.

Als Einrichtungen der Behindertenhilfe in diesem Sinne gelten nur solche, in denen sich der behinderte Mensch internatsmäßig aufhält; bei teilstationärer Eingliederung (z.B. Werkstatt für Behinderte ohne internatsmäßiger Betreuung) werden i.d.R. keine Leistungen der Pflegeversicherung in der Einrichtung erbracht, so dass dem behinderten Menschen die vollen Leistungen der ambulanten häuslichen Pflege zustehen.

Für die Leistung genügt, dass Pflegebedürftigkeit nach Stufe I vorliegt.

Pflegebedürftige behinderte Menschen, die sich nur wochentags in der stationären Einrichtung aufhalten und am Wochenende und in den Ferien zu Hause gepflegt werden, erhalten wahlweise entweder ein anteiliges Pflegegeld oder anteilige Pflegesachleistung, bis zum Höchstbetrag der jeweiligen Pflegestufe.

Dies erfordert allerdings eine präzise Feststellung der maßgeblichen Pflegestufe.

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7.3.2.4.8 zusätzliche Betreuungsleistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz (§§ 45a ff SGB XI)

Nach übereinstimmender Auffassung aller in der Pflege Verantwortlichen war eine Verbesserung der Versorgungssituation - insbesondere von demenzkranken Menschen - dringend erforderlich. Dem dienen die §§ 45a bis 45c SGB XI.

Wer unter welchen Voraussetzungen zusätzliche Betreuungsleistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz erhält, also die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, ergibt sich aus § 45a SGB XI. Welche Leistungen gewährt werden (Rechtsfolge), richtet sich nach § 45b SGB XI. § 45c SGB XI hat durch die Förderung des Aufbaues und der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte insbesondere für demenzkranke Pflegebedürftige eine Verbesserung der Infrastruktur zum Ziel. Insbesondere niedrigschwellige Hilfs- und Beratungsangebote sollen geschaffen werden.

Zunächst ist zu ermitteln, ob der Hilfebedürftige die Erfordernisse des § 45a SGB XI erfüllt, also der Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung in der vorgesehenen Art und Weise festgestellt ist.

Nach § 45a Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten die Leistungen Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist. Dies sind nach § 45a Abs. 1 Satz 2 SGB XI

  1. Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie
  2. Personen, die zwar einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der aber nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, wenn demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen vorliegen.

Mit der Ausdehnung des berechtigten Personenkreises auf Personen, unterhalb der Pflegestufe I wurde eine Pflegestufe 0 geschaffen. Voraussetzung für die Leistung nach § 45b SGB XI ist, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI festgestellt hat, dass die Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens hat und dass das dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt hat. Dauerhaft bedeutet, dass die maßgeblichen Störungen mit dem sich daraus ergebenden Hilfebedarf voraussichtlich für mindestens 6 Monate bestehen müssen, es sei denn, dass die noch zu erwartende Lebensspanne weniger als 6 Monate beträgt (§ 14 SGB XI).

Das Bestehen eines erheblichen Bedarfs an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung berücksichtigt § 45a Abs. 1 Satz 2 ausschließlich bei Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Liegt ein Krankheitsbild außerhalb dieser Diagnosen vor, scheiden Leistungen nach §§ 45a ff. aus.

Zur Beurteilung und Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind ausschließlich die in § 45a Abs. 2 in 13 Ziffern aufgeführten Schädigungen und Fähigkeitsstörungen maßgebend. Es sind dies:

  1. unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz);
  2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen;
  3. unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen;
  4. tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation;
  5. im situativen Kontext inadäquates Verhalten;
  6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen;
  7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung;
  8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben;
  9. Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus;
  10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren;
  11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen;
  12. ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten;
  13. zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.

Die Alltagskompetenz ist erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des Medizinischen Dienstes bei dem Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen feststellt.

Näheres zur einheitlichen Begutachtung und Feststellung des erheblichen und dauerhaften Bedarfs an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung ist in der Richtlinie zur Feststellung von Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz und zur Bewertung des Hilfebedarfs vom 22.3.2002, geändert durch Beschlüsse v. 11.5.2006 und 10.6.2008, festgelegt.

Nach § 45b SGB XI erhalten die nach § 45a SGB XI Anspruchsberechtigten Personen neben den Leistungen nach §§ 36 ff. SGB XI als Ergänzung zur ambulanten oder teilstationären Pflege im Rahmen der häuslichen Pflege.

Einen zusätzlichen Betreuungsbetrag für den Aufwand der weitergehenden Betreuung und Beaufsichtigung. Deshalb scheidet ein Anspruch des Hilfebedürftigen bei vollstationärer Pflege von vornherein aus. Die Regelungen des § 45b enthalten allerdings Einschränkungen für die Verwendung der zusätzlichen Betreuungsbeträge. Sie dürfen nur zweckgebunden für die im Gesetz genannten Sachleistungsangebote eingesetzt werden und dienen insbesondere dem Zweck der Entlastung pflegender Angehöriger (Haufe Onlinekommentar RZ 2 zu § 45b SGB XI).

In § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 bis 4 SGB XI werden die zulässigen Sachleistungsangebote aufgeführt. Es muss sich um qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen handeln. Der Betrag dient der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen

  1. der Tages- oder Nachtpflege,
  2. der Kurzzeitpflege,
  3. der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung und nicht um Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung handelt, oder
  4. der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die nach § 45c SGB XI gefördert oder förderungsfähig sind.

Gefördert werden nicht nur Zusatzleistungen im Zusammenhang mit der Tages- oder Nachtpflege (Nr. 1) und der Kurzzeitpflege (Nr. 2). Auch zugelassene Pflegedienste können nach § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 SGB XI in die Leistungsgewährung nach § 45b einbezogen werden. Solche ambulanten Pflegeeinrichtungen haben allerdings zunächst ein Konzept des über die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung hinausgehenden Angebots spezieller Hilfen der allgemeinen Anleitung und Betreuung zu erarbeiten. Aus der Konzeption muss eindeutig die Abgrenzung zum Regelangebot nach § 36 SGB XI und die Qualität des Angebots hervorgehen (Haufe Onlinekommentar RZ 7 zu § 45b SGB XI).

Nach § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 4 SGB XI ist des Weiteren die Inanspruchnahme von Leistungen niedrigschwelliger Betreuungsangebote förderungsfähig. Niedrigschwellig sind nach Maßgabe von § 45c Abs. 3 Satz 1 SGB XI solche Betreuungsangebote, in denen Helfer und Helferinnen unter pflegefachlicher Anleitung die Betreuung von Pflegebedürftigen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung in Gruppen oder im häuslichen Bereich übernehmen sowie pflegende Angehörige entlasten und beratend unterstützen. Ein solches Leistungsangebot setzt allerdings voraus, dass es sich um nach Landesrecht anerkannte und nach § 45c SGB XI geförderte bzw. förderungsfähige Angebote handelt. Alles Nähere hierzu ist den Empfehlungen zu § 45c Abs. 6 SGB XI zu entnehmen. Das jeweilige Bundesland bestimmt gemäß § 45b Abs. 3 SGB XI per Rechtsverordnung, welche niedrigschwelligen Betreuungsangebote als solche anerkannt sind. Die Landesverbände der Pflegekassen werden entsprechend informiert (Haufe Onlinekommentar RZ. 8 zu § 45b SGB XI).

Nimmt der Versicherte ein förderungsfähiges Leistungsangebot i.S.d. § 45b Abs. 1 Satz 6 SGB XI in Anspruch, so erhält er seine Kosten nach § 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI ersetzt, dies allerdings nur bis zu einem Höchstbetrag von 100,00 EUR monatlich (Grundbetrag) oder 200,00 EUR monatlich (erhöhter Betrag). Die Höhe des Betrages wird nach Maßgabe von § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI von der Pflegekasse auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes festgelegt. Voraussetzung für die Leistungserbringung ist nach § 45b Abs. 2 Satz 1 SGB XI ein Antrag des Versicherten. Dem Antrag sind Belege dafür beizufügen, dass die Eigenbelastungen im Zusammenhang mit den förderungsfähigen Betreuungsleistungen entstanden sind. Es handelt sich mithin um einen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten. Abgerechnet wird zwischen ihm und der Pflegekasse, nicht zwischen der Pflegekasse und dem Leistungserbringer.

Durch § 45d SGB XI werden Gruppen ehrenamtlicher Helfer und Selbsthilfegruppen in die Förderung zum Aufbau niedrigschwelliger Angebote aufgenommen. Dadurch soll die sich außerhalb der Familien entwickelnde Hilfsbereitschaft gestärkt und dadurch die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen verbessert werden. Die dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen zur Förderung der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte insbesondere für demenziell Erkrankte gemäß § 45c SGB XI zur Verfügung stehenden Mittel des Ausgleichsfonds können nach § 45d Abs. 1 SGB XI auch verwendet werden zur Förderung und zum Auf- und Ausbau

  1. von Gruppen ehrenamtlich tätiger sowie sonstiger zum bürgerschaftlichen Engagement bereiter Personen, die sich die Unterstützung, allgemeine Betreuung und Entlastung von Pflegebedürftigen, von Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zum Ziel gesetzt haben, und
  2. von Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen, die sich die Unterstützung von Pflegebedürftigen, von Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zum Ziel gesetzt haben.

Was unter Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Kontaktstellen gemäß § 45d Abs. 1 Nr. 2 zu verstehen ist, wird in § 45d Abs. 2 definiert. Selbsthilfegruppen im Sinne von Absatz 1 sind freiwillige, neutrale, unabhängige und nicht gewinnorientierte Zusammenschlüsse von Personen, die entweder auf Grund eigener Betroffenheit oder als Angehörige das Ziel verfolgen, durch persönliche, wechselseitige Unterstützung, auch unter Zuhilfenahme von Angeboten ehrenamtlicher und sonstiger zum bürgerschaftlichen Engagement bereiter Personen (§ 45d Abs. 1 Nr. 1 SGB XI), die Lebenssituation von Pflegebedürftigen, von Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zu verbessern. Selbsthilfeorganisationen im Sinne von Absatz 1 sind die Zusammenschlüsse von Selbsthilfegruppen nach § 45D Abs. 2 Satz 1 SGB XI in Verbänden. Selbsthilfekontaktstellen im Sinne von Absatz 1 sind örtlich oder regional arbeitende professionelle Beratungseinrichtungen mit hauptamtlichem Personal, die das Ziel verfolgen, die Lebenssituation von Pflegebedürftigen, von Personen mit erheblichem allgemeinemBetreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zu verbessern. Gemäß § 45d Abs. 3 SGB XI gilt die Ermächtigung der Länder nach § 45d Abs. 6 Satz 4 SGB XI zum Erlass von Rechtsverordnungen, in welchen die Einzelheiten zum Mitteleinsatz geregelt werden entsprechend.

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7.3.2.4.9 Leistungen für pflegende Angehörige

Nicht nur der Pflegebedürftige hat Anspruch auf Sozialleistungen. Zur Sicherung der Pflege werden auch Leistungen für pflegende Angehörige erbracht. Dies sind gemäß der Auflistung in § 28 Abs. 1:

  • nach Nr. 10 Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen (§ 44 SGB XI),
  • nach Nr. 11 zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit (§ 44a) und
  • nach Nr. 12 Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen (§ 45 SGB XI).

Die soziale Absicherung der Pflegepersonen nach § 44 SGB XI hat das Ziel, die häusliche Pflege zu ermöglichen. Zu diesem Zweck sieht § 44 vor, dass für die Pflegeperson unter bestimmten Bedingungen Rentenversicherungsbeiträge entrichtet werden, um eine entsprechende Alterssicherung zu bewirken. Darüber hinaus werden Pflegepersonen während der pflegerischen Tätigkeit in den Unfallversicherungsschutz einbezogen. Für die Zeit nach dem Ende der Pflegetätigkeit kann durch die Zahlung von Unterhaltsgeld der Wiedereintritt ins Erwerbsleben für die Pflegeperson erleichtert werden. Rechtsansprüche auf die vorgenannten Leistungen können jedoch direkt aus § 44 Abs. 1 nicht abgeleitet werden. Vielmehr fungiert § 44 Abs. 1 als Einweisungsvorschrift (vgl. auch Begründung zum Gesetzentwurf zum Pflege-Versicherungsgesetz [PflegeVG], BT-Drs. 12/5262, S. 116). Die Vorschrift verweist also auf die entsprechenden,ebenfalls mit dem PflegeVG eingeführten Vorschriften des SGB VI (Rentenversicherung), des SGB VII (Unfallversicherung) und des SGB III (Arbeitslosenversicherung), die die Rechtsgrundlage für die vorgenannten Leistungen enthalten (Haufe Onlinekommentar RZ. 2 zu § 44 SGB XI).

Für den Begriff der Pflegepersonen wird in § 44 Abs. 1 SGB XI auf § 19 SGB XI verwiesen. Pflegepersonen sind demnach Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Zu den Pflegepersonen zählen i.d.R. also Familienangehörige, Nachbarn, Freunde und sonstige ehrenamtliche Helfer. Leistungen zur sozialen Sicherung nach § 44 SGB XI erhält eine Pflegeperson nur dann, wenn sie eine pflegebedürftige Person wenigstens 14 Stunden wöchentlich pflegt.

Zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vgl. § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI. Für den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII. Zuständige Unfallversicherungsträger für Pflegepersonen sind die Gemeinden bzw. Gemeindeunfallversicherungsverbände (§ 129 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII).

Zur Erleichterung des Wiedereintritts ins Erwerbsleben nach Beendigung der Pflegetätigkeit verweist § 44 Abs. 1 Satz 7 auf das SGB III. Auf weitere Einzelheiten wird hier nicht eingegangen.

Durch das Pflegezeitgesetz vom 28.05.2008 soll Beschäftigten die Möglichkeit eröffnet werden, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern (§ 1 Pflegezeitgesetz) bzw. die Pflege zu organisieren. Zu unterscheiden sind die kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG und der Anspruch auf "Pflegezeit" nach den §§ 3 ff PflegeZG.

Nahe Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind gemäß § 7 Abs. 4 PflegeZG

  1. Großeltern, Eltern, Schwiegereltern,
  2. Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister,
  3. Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder.

Wegen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung haben Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz das Recht, bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Dem Arbeitgeber ist dies unverzüglich mitzuteilen, auf dessen Verlangen ist eine ärztliche Bescheinigung über die Erforderlichkeit vorzulegen (§ 2 Abs. 2 PflegeZG). Der betreffende Arbeitnehmer ist in dieser Zeit weiter sozialversichert, ob er aber eine Fortzahlung der Vergütung erhält, hängt von den arbeitsrechtlichen Vereinbarungen ab (§ 2 Abs. 3 PflegeZG).

Die "Pflegezeit", d.h. die vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung bis zu einer Dauer von 6 Monaten zur Wahrnehmung der Pflege naher Angehöriger in häuslicher Umgebung, ist in den §§ 3 ff PflegeZG geregelt. Der Anspruch besteht nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten (§ 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeZG). Die Dauer der Pflegezeit, die längstens bis zu 6 Monaten je pflegebedürftigem Angehörigen betragen kann, ist in § 4 PflegeZG geregelt.

Das arbeitsrechtliche PflegeZG wird durch sozialrechtliche Regelungen ergänzt, welche die Rechtstellung der die Pflegezeit in Anspruch nehmenden Beschäftigten verbessern oder sichern. In dieser Zeit ist der Beschäftigte bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen sozialversichert, bezieht aber bei vollständiger Freistellung kein Arbeitseinkommen. Gegebenenfalls ist bei der Krankenkasse Antrag auf freiwillige Versicherung zu stellen. Beschäftigte, die nach § 3 des Pflegezeitgesetzes von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt wurden oder deren Beschäftigung durch Reduzierung der Arbeitszeit zu einer geringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1des SGB IV wird, erhalten auf Antrag nach § 44a SGB XI von der Pflegekasse Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung. Einzelheiten sind § 44a SGB XI zu entnehmen. Die Pflegekasse zahlt nur dann Beiträge nach § 44 SGB XI in die Rentenversicherung, wenn mindestens 14 Stunden Pflege in der Woche geleistet werden (§ 19 SGB XI).

Sowohl während der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung als auch während der Pflegezeit genießt der Beschäftigte Kündigungsschutz (§ 5 PflegeZG).

Zu den Leistungen der Pflegeversicherung, welche die häusliche Pflege fördern sollen, gehören, wie § 28 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI zu entnehmen ist, Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen. Diese sollen in ihrer Tätigkeit durch von den Pflegekassen angebotene unentgeltliche Pflegekurse unterstützt werden (§ 45 SGB XI). Die Pflegekurse haben, das Ziel, soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern und pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern (§ 45 Abs. 1 Satz 1) sowie Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege zu vermitteln (§ 45 Abs. 1 Satz 2). Die Schulung soll auch in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden. Die Pflegekasse kann die Kurse entweder selbst oder gemeinsam mit anderen Pflegekassen durchführen oder geeignete andere Einrichtungen mit der Durchführung beauftragen (§ 45 Abs. 2 SGB XI).

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7.3.2.5 Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungen insbesondere zu Leistungen nach dem SGB XII

Zum Verhältnis der Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zu Leistungen anderer Sozialleistungsträger vgl. § 13 SGB XI und Hennies "Der Blinde im geltenden Recht" S. 139 ff.

Den Leistungen der Pflegeversicherung gehen nach § 13 Abs. 1 SGB XI die Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit

  1. nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
  2. aus der gesetzlichen Unfallversicherung und
  3. aus öffentlichen Kassen auf Grund gesetzlich geregelter Unfallversorgung oder Unfallfürsorge

vor.

Besonders wichtig ist das Verhältnis zu Leistungen bei Pflegebedürftigkeit aus der Sozialhilfe nach §§ 61 ff. SGB XII.

§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB XI stellt klar, in welchen Fällen die Leistungen der Pflegeversicherung Vorrang vor den Leistungen anderer Gesetze haben. Hierzu gehören grundsätzlich neben den Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG), Reparationsschädengesetz (RepG) und Flüchtlingshilfegesetz (FlüHG) auch die Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 26c BVG sowie die Leistungen nach dem SGB XII, soweit diese dem gleichen Zweck entsprechen wie die Leistung der Pflegeversicherung. Dies gilt insbesondere für die häusliche Pflege und das Pflegegeld nach § 61 ff. SGB XII (Haufe Onlinekommentar RZ. 22 zu § 13 SGB XI).

Das Risiko der Pflegebedürftigkeit ist in der Pflegeversicherung aber nicht vollständig abgedeckt. Wenn Pflegebedürftige mit hohem Pflegebedarf ihre Pflege nicht voll finanzieren können, tritt im Falle ihrer Bedürftigkeit die Sozialhilfe ergänzend mit Leistungen bis zur vollen Höhe des Bedarfs ein Das ergibt sich aus § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB XI. Dieser lautet: "Leistungen zur Pflege nach diesen Gesetzen sind zu gewähren, wenn und soweit Leistungen der Pflegeversicherung nicht erbracht werden oder diese Gesetze dem Grunde oder der Höhe nach weitergehende Leistungen als die Pflegeversicherung vorsehen." (vgl. dazu auch unten).

Die notwendige Pflege bei Pflegebedürftigkeit unterhalb der Pflegestufe I (§ 15 SGB XI) ist als Sachleistung nach wie vor von den Trägern der Sozialhilfe zu übernehmen.

Sozialhilfeleistungen, die keine Pflegebedürftigkeit i.S.d. Pflegeversicherung voraussetzen oder anderen bzw. weitergehenden Zwecken als die Leistungen der Pflegeversicherung dienen, wie z.B. Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Eingliederungshilfe, bleiben unberührt und können allein oder neben den Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden. Ebenso finden die zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI bei den Fürsorgeleistungen zur Pflege keine Berücksichtigung. Beide Leistungsansprüche bestehen daher nebeneinander.

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7.3.2.6 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII – Sozialhilfe

Die Hilfe zur Pflege ist im siebten Kapitel in den §§ 61 ff. SGB XII geregelt. Die Leistungen aus der Sozialhilfe werden gegenüber allen anderen Zweigen der sozialen Sicherung nur nachrangig gewährt. Wer sich selbst helfen oder wem von anderer Seite geholfen werden kann, besonders von anderen Sozialleistungsträgern, hat insoweit keinen Anspruch aus der Sozialhilfe. Das Einkommen und Vermögen ist im Rahmen der im SGB XII festgelegten Grenzen einzusetzen, bevor ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege besteht. Ergänzend zu den Pflegekassen und den Unternehmen der privaten Pflege(pflicht)versicherung sowie sonstigen gegebenenfalls zu Pflegeleistungen verpflichteten Leistungsträgern haben die §§ 61 ff. SGB XII eine Auffang- und Garantiefunktion. Sie greifen dem Grunde nach ein für Nichtversicherte, Versicherte, für die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen oder die erforderlichen Vorpflegezeiten nach den §§ 33, und 39 SGB XI (noch) nicht vorliegen und für sonstige pflegerische Bedarfslagen, die die engen Katalogvoraussetzungen nach den §§ 14, 15 SGB XI nicht erfüllen oder die sich dem Umfang nach nicht über die pauschalierten ("Teil-Kasko-")Leistungen der Pflegeversicherung nach den §§ 36 ff. SGB XI abdecken lassen (Haufe Onlinekommentar RZ. 2 zu § 61 SGB XII).

Die Regelungen in §§ 61 ff. SGB XII sind weitgehend denen der Pflegeversicherung im SGB XI angeglichen. Es gilt nach § 61 Abs. 1 S. 1 SGB XII der gleiche Begriff der Pflegebedürftigkeit wie in § 14 SGB XI und ebenso der Katalog der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 (§ 61 Abs. 5 SGB XII). Die in § 64 Abs. 1 - 3 SGB XII für die Bemessung des Pflegegeldes beschriebenen Schweregrade der Pflegebedürftigkeit entsprechen den drei Pflegestufen des § 15 SGB XI. Entscheidungen der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI sind im Rahmen der Hilfe zur Pflege für die Träger der Sozialhilfe bindend, soweit sie auf Tatsachen beruhen, die bei Entscheidungen in beiden Bereichen zu berücksichtigen sind (§ 62 SGB XII). Dadurch wird eine Gefahr divergierender Entscheidungen zu Lasten der Pflegebedürftigen ausgeschlossen.

Ebenso wie der § 14 SGB XI nur i.V.m. § 15 SGB XI gelesen werden kann, ist § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nur im Zusammenhang mit den Bestimmungen in § 61 Abs. 2 bis 6 SGB XII sowie des § 64 Abs. 1 bis 4 SGB XII (Anspruch auf Pflegegeld) zu lesen. § 64 Abs. 1 bis 4 SGB XII enthalten die Legaldefinitionen der erheblichen, der Schwer- und Schwerstpflegebedürftigkeit sowie die besonderen Voraussetzungen des Pflegebedürftigkeitsbegriffs bei Kindern.

Die Leistungsvoraussetzungen und der Leistungsumfang sind in § 61 Abs. 1 SGB XII durch den erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff nach Satz 2 jedoch flexibler als in § 15 SGB XI gestaltet. Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII erhalten Hilfe zur Pflege auch Kranke und Behinderte, die

  • voraussichtlich für weniger als sechs Monate der Hilfe bedürfen, oder
  • einen geringeren Hilfebedarf als nach der Grundvorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben oder
  • der Hilfe für andere Verrichtungen bedürfen als sie im Katalog nach § 61 Abs. 5 SGB XII bezeichnet sind.

§ 61 Abs. 5 SGB XII lautet in Übereinstimmung mit § 14 Abs. 4 SGB XI:

"(5) Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind:

  1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung,
  2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
  3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
  4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen."

Pflegebedürftigkeit nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII setzt somit keinen mindestens erheblichen Grad von Pflegebedürftigkeit voraus. Daraus folgt, dass auch Pflegebedürftige der so genannten "Pflegestufe Null", d.h. Personen, bei denen der krankheits- oder behinderungsbedingte Hilfebedarf bei den täglich wiederkehrenden Verrichtungen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität nicht den zeitlich in Minuten geschätzten Umfang von wenigstens 45 Minuten Laienpflegezeit erreicht oder die bei ausschließlich einer Grundpflege-Verrichtung der Hilfe bedürfen, Leistungen nach §§ 61 ff. SGB XII erhalten müssen, wenn ihr voller Pflegebedarf andernfalls aus einsatzpflichtigem eigenen Einkommen und Vermögen nicht gedeckt werden kann (BVerwG, Urteil v. 15.6.2000, 5 C 34/99, NJW 2000 S. 3512). Dies gilt entsprechend für als notwendig anerkannten Pflegebedarf, der bereits über der Leistungsgrenze der einen, aber noch unter der Leistungsgrenze der nächsten Pflegestufe liegt, da dieser nach dem starren Raster des SGB XI mit den festen Pflegestufen-Sprüngen zwischen 45, 120 und 240 Minuten geschätzter Laienpflege für Körperpflege, Ernährung und Mobilität pro Tag ansonsten grundsätzlich unberücksichtigt bleibt (Haufe Onlinekommentar RZ. 11 zu § 61 SGB XII; Jens Löcher, Eva Marie vom Rath, ZfS 2006, S. 129-141).

Weiterhin sind über den für die Pflegeversicherung gemäß § 14 SGB XI geltenden abschließenden Katalog von Verrichtungen hinaus bei der Hilfe zur Pflege im Sozialhilferecht nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch "andere Verrichtungen" zu berücksichtigen. Umfasst werden danach auch Pflegeverrichtungen, die nicht täglich, aber doch in regelmäßigen Zeitabständen anfallen (so z.B. das Schneiden der Fußnägel oder Begleitung bei Spaziergängen; hierzu OVG Lüneburg, FEVS 52 S. 180; 52 S. 33) (Haufe Onlinekommentar RZ. 12 zu § 61 SGB XII).

Derartige Hilfen können daher auch Blinden, welche nicht pflegebedürftig nach den Pflegestufen I, II oder III sind, aus der Sozialhilfe gewährt werden (vgl. Hennies "Der Blinde im geltenden Recht" S. 144). Die Hilfen müssen aber einen Bezug zur Pflegebedürftigkeit haben. Sie sind deshalb von anderen Hilfen, z. B. der Eingliederungshilfe, abzugrenzen.

Außerdem ist für die Hilfe zur Pflege im SGB XII auch die aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGB XI übernommene Aufstellung der für die Pflegebedürftigkeit erheblichen Krankheiten und Behinderungen in § 61 Abs. 3 SGB XII um einen 4. Punkt erweitert. § 61 Abs. 3 SGB XII lautet:

"(3) Krankheiten oder Behinderungen im Sinne des Absatzes 1 sind:

  1. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat,
  2. Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane,
  3. Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen,
  4. andere Krankheiten oder Behinderungen, infolge derer Personen pflegebedürftig im Sinne des Absatzes 1 sind."

Die Hilfe zur Pflege umfasst nach § 61 Abs. 2 SGB XII wie in der sozialen Pflegeversicherung häusliche Pflege, Hilfsmittel, teilstationäre Pflege, Kurzzeitpflege und stationäre Pflege. Der Inhalt der Leistungen nach Satz 1 bestimmt sich nach den Regelungen der Pflegeversicherung für die in § 28 Abs. 1 Nr. 1, 5 bis 8 des Elften Buches aufgeführten Leistungen; § 28 Abs. 4 des Elften Buches gilt entsprechend. Die Hilfe zur Pflege kann auf Antrag auch als Teil eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets erbracht werden.

Wie in der Pflegeversicherung hat die häusliche Pflege (§§ 63 bis 66 SGB XII) Vorrang vor der Pflege in teilstationären und vollstationären Formen. Die Hilfe in teilstationären und vollstationären Formen umfasst anders als im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung auch die so genannten Hotelkosten (Unterkunft und Verpflegung) und den Anteil der Investitionskosten, der den Heimbewohnern nach § 82 SGB XI getrennt in Rechnung zu stellen ist.

Die Bestimmungen über die häusliche Pflege in den §§ 63 bis 66 SGB XII weisen gegenüber der häuslichen Pflege, wie sie in den §§ 36 ff. SGB XI geregelt sind, einige Besonderheiten auf.

In § 63 Satz 1 SGB XII wird bestimmt, dass, wenn häusliche Pflege ausreicht, der Träger der Sozialhilfe darauf hinwirken soll, dass die Pflege einschließlich der hauswirtschaftlichen Versorgung durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahe stehen, oder als Nachbarschaftshilfe übernommen wird. Für den Begriff der "nahestehenden Person" kommt es auf Verwandtschaftsverhältnisse nicht an. Unter Nachbarschaftshilfe ist die ehrenamtliche nicht sozialversicherungspflichtige Pflege i.S.d. § 19 Satz 1 SGB XI zu verstehen. Sie ist der Hilfe durch nahe stehende Personen gleichgestellt. Keine Übernahme der Pflege i.S.d. § 63 SGB XII liegt vor, wenn Haushalts- oder Pflegetätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden. Die Zahlung eines regelmäßigen Entgelts steht der Stellung als ehrenamtliche Pflegeperson freilich so lange nicht entgegen, wie dieses das Pflegegeld im Umfang nicht übersteigt (§ 3 Satz 2 SGB VI) (Haufe Onlinekommentar RZ. 5 zu § 63 SGB XII).

Nach § 63 Satz 3 SGB XII erhalten Pflegebedürftige in einer stationären oder teilstationären Einrichtung keine Leistungen zur häuslichen Pflege. Sie erhalten deshalb auch kein Pflegegeld nach § 64 SGB XII.

Wenn die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sichergestellt wird, besteht nach § 64 SGB XII bei häuslicher Pflege, und nur bei dieser, ein Anspruch auf Pflegegeld (§ 64 Abs. 5 SGB XII). Berechtigter des Pflegegeldes ist der pflegebedürftige Leistungsempfänger, nicht die Pflegeperson. Die Höhe des Pflegegeldes richtet sich entsprechend den in § 64 Abs. 1 bis 3 SGB XII enthaltenen drei Pflegestufen nach § 37 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 SGB XI. Es beträgt also:

  1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I
    • a) 215 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 225 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 235 Euro ab 1. Januar 2012,
  2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II
    • a) 420 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 430 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 440 Euro ab 1. Januar 2012,
  3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III
    • a) 675 Euro ab 1. Juli 2008,
    • b) 685 Euro ab 1. Januar 2010,
    • c) 700 Euro ab 1. Januar 2012.

Außer dem Anspruch auf Pflegegeld nach § 64 SGB XII besteht im Rahmen der häuslichen Pflege ein Anspruch auf die weiteren Leistungen nach § 65 SGB XII. Nach § 65 Abs. 1 SGB XII sind Pflegebedürftigen im Sinne des § 61 Abs. 1 SGB XII die angemessenen Aufwendungen der Pflegeperson zu erstatten; auch können angemessene Beihilfen geleistet sowie Beiträge der Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung übernommen werden, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Ist neben oder anstelle der Pflege nach § 63 Satz 1 SGB XII die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich oder eine Beratung oder zeitweilige Entlastung der Pflegeperson geboten, sind die angemessenen Kosten zu übernehmen.

Die Aufwendungen der Pflegepersonen sind zu erstatten, soweit sie "angemessen" sind. Darauf besteht ein Rechtsanspruch. Aufwendungen sind vor allem Fahrtkosten von und zum Pflegebedürftigen, Mehrkosten für die Beschaffung und Reinigung besonderer Kleidung, die für die Ausübung der Pflegearbeiten benötigt wird, Mehraufwand für Mahlzeiten, die infolge der Ausübung der Pflegetätigkeit außerhalb des eigenen Haushalts eingenommen werden müssen etc. Die Aufwendungen müssen z. B. durch Quittungen nachgewiesen, zumindest glaubhaft gemacht werden. Der Aufwendungsersatz ist keine Entlohnung und damit auch kein Einkommen i.S.d. § 82 Abs. 1 SGB XII.

Neben den angemessenen Aufwendungen, die der Träger der Sozialhilfe zu erstatten hat, können nach § 65 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII auch Beihilfen geleistet werden. Sie sind vor allem dann angebracht, wenn nicht oder nur schwer nachweisbare Aufwendungen der Pflegeperson entstehen. Die Beihilfen können pauschaliert werden (OVG Lüneburg, FEVS 49 S. 161). Ihre Gewährung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der Sozialhilfe. Die Ermessensausübung muss erkennen lassen, dass den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen worden ist (OVG NRW, FEVS 38 S. 290). Die Beihilfe soll im Einzelfall vor allem dazu dienen, den Angehörigen oder den sonstigen nahe stehenden Personen die Übernahme der Wartung und Pflege zu ermöglichen und damit die Pflegebereitschaft zu erzielen und zu erhalten. Berücksichtigungsfähig sind damit auch ein etwaiger Verdienstausfall und ein an die Pflegeperson geleistetes Taschengeld. Die Beihilfen müssen, gemessen an den Umständen des Einzelfalls, angemessen sein (Haufe Onlinekommentar RZ. 5 zu § 65 SGB XII).

Während nach § 65 Abs. 1 SGB XII bei Pflegebedürftigen, die keinen Anspruch auf Pflegegeld nach § 64 SGB XII haben, Beiträge der Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung als Ermessensleistung übernommen werden können, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist, hat der Pflegebedürftige, der nach § 64 SGB XII Pflegegeld erhält, nach § 65 Abs. 2 SGB XII einen Rechtsanspruch auf die Übernahme der Kosten für eine angemessene Alterssicherung der Pflegeperson. Der Pflegebedürftige braucht also nicht zuerst die Beiträge aufzubringen, um sie anschließend erstattet zu bekommen, sondern der Träger der Sozialhilfe hat die Beiträge zu übernehmen, d.h. selbst unmittelbar an die für die Pflegeperson zuständige Einrichtung der Alterssicherung abzuführen (BVerwG, FEVS 26 S. 409).

Als Maßstab für eine angemessene Alterssicherung kann § 44 SGB XI herangezogen werden (Haufe Onlinekommentar RZ. 11 und 12 zu § 65 SGB XII). Bei der Bemessung der Höhe der Beiträge kommt es danach auf die aufgewendete Zeit an. § 44 SGB XI setzt eine Mindestpflegezeit von 14 Stunden wöchentlich voraus. Ein darunter liegender Einsatz ehrenamtlicher Pflegepersonen rechtfertigt keine Altersvorsorgeleistungen. Die berücksichtigungsfähige Laienpflegezeit ergibt sich aus den Feststellungen der Pflegekasse bzw. des privaten Versicherungsunternehmens und ist um die Laienpflegezeit für die im Einzelfall ggf. nach dem SGB XII maßgeblichen "anderen" Verrichtungen zu erhöhen. Wie bei den Verrichtungen des SGB XI sind dazu nur Zeiten zu berücksichtigen, wenn sie sich unmittelbar auf Verrichtungen i.S.d. § 61 SGB XII (einschließlich der dort genannten "anderen" Verrichtungen) beziehen. Im Unterschied zu § 44 SGB XI besteht der Anspruch bei § 65 SGB XII dann nicht, wenn die angemessene Altersversorgung der Pflegeperson anderweitig sichergestellt ist (§ 65 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) und er erlischt, sobald durch die bisher erstatteten Versicherungsbeiträge eine angemessene Alterssicherung erreicht wird (OVG Berlin, FEVS 31 S. 177). Die Alterssicherung kann auch durch ein entsprechendes Erwerbs- oder Renteneinkommen des Ehegatten sichergestellt sein (HessVGH, FEVS 36 S. 177) (Haufe Onlinekommentar RZ. 13 zu § 65 SGB XII).

Die Leistungen für die häusliche Pflege können auch in Form eines "persönlichen Budgets" nach § 17 Abs. 2 SGB IX erbracht werden, so dass sich der Pflegebedürftige die Leistungen nach seiner Wahl "einkaufen" kann. Auf das persönliche Budget besteht ein Rechtsanspruch. Das persönliche Budget kann als Geldleistung oder durch Gutscheine erbracht werden (§ 17 Abs. 2 SGB IX).

§ 66 SGB XII enthält Regelungen über den Ausschluss der Leistungen bzw. deren Kürzung durch Anrechnung auf Grund anderer Leistungen (Leistungskonkurrenzen). Blindenhilfe nach § 72 SGB XII und Landesblindengelder werden gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII als gleichartige Leistungen mit 70 v.H. auf das Pflegegeld angerechnet.

Neben der Blindenhilfe wird Hilfe zur Pflege wegen Blindheit nach § 61 und 63 SGB XII außerhalb von stationären Einrichtungen sowie ein Barbetrag (§ 35 Abs. 2 SGB XII) nicht gewährt. Dieser Ausschluss ergibt sich aus § 72 Abs. 4 S. 1 SGB XII. Ist der Blinde jedoch wegen seiner Blindheit und einer zusätzlichen Krankheit oder Behinderung erheblich oder in einem höheren Grad pflegebedürftig, so wird Hilfe zur Pflege in der Regel entsprechend dem jeweiligen individuellen Bedarf in vollem Umfang, also in ambulanter oder, wenn notwendig, in stationärer Form geleistet. Die Regelung des § 72 Abs. 4 S. 1 SGB XII hat den Sinn, die Leistungen der Sozialhilfe aufeinander abzustimmen. Diese Regelungen gelten auch für blinde Menschen, die Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz erhalten, denn nach § 72 Abs. 4 Satz 3 SGB XII gelten § 72 Abs. 4 Sätze 1 und 2 entsprechend für blinde Menschen, die nicht Blindenhilfe, sondern gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten.

Sachlich zuständig für die Hilfe zur Pflege ist nach § 97 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII der überörtliche Träger der Sozialhilfe, sofern Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt.

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7.3.3 Einfluss von Leistungen bei häuslicher Pflege wegen Pflegebedürftigkeit auf das Blindengeld

Die Landesblindengeldgesetze und § 72 SGB XII für die Blindenhilfe enthalten spezielle Regelungen für die Anrechnung von Leistungen bei häuslicher Pflege. Nach diesen Bestimmungen wird das Blindengeld gekürzt, wenn Pflegebedürftigkeit im Sinn von § 14 SGB XI vorliegt und deshalb Leistungen zur häuslichen Pflege erbracht werden (vgl. dazu auch 7.3.2.5). Bei der Anrechnung wird die Kürzung beim Blindengeld und nicht umgekehrt bei den Leistungen der Pflegeversicherung vorgenommen; dies folgt daraus, dass das Blindengeld steuerfinanziert ist, während die Leistungen der Pflegeversicherung auf Beiträgen beruhen.

Die Anrechnungsregelungen beziehen sich sowohl auf die Leistungen der sozialen Pflegeversicherungen nach dem SGB XI als auch auf entsprechende Leistungen privater Pflegeversicherungen im Sinn von § 23 SGB XI oder nach beamtenrechtlichen Vorschriften.

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7.3.3.1 Die unterschiedlichen Regelungen in den Landesgesetzen

Die Anrechnungsregelungen in den Landesgesetzen sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Nach den meisten erfolgt die Anrechnung in Höhe eines Prozentsatzes der Pflegegeldbeträge nach § 37 Abs. 3 SGB XI, ganz gleich, ob Pflegegeld (§ 37 SGB XI), Pflege in Form einer Sachleistung (§ 36 SGB XI) oder eine Kombination aus Pflegegeld und Pflegesachleistung (§ 38 SGB XI) gewährt wird. Der Grund dafür ist, dass blinden Pflegebedürftigen, die auf Pflege durch eine Berufspflegekraft, also auf Sachleistungen angewiesen sind, nicht weniger Blindengeld verbleiben sollte als Blinden, die von ihren Angehörigen gepflegt werden können und deshalb Pflegegeld erhalten. In einigen Gesetzen wird trotzdem bei der Gewährung der Sach- oder Kombinationsleistungen (aus Pflegegeld und Pflegesachleistung) der Wert der tatsächlich gewährten Leistung zu Grunde gelegt. Wegen der unterschiedlichen Höhe des Blindengeldes nach den Landesgesetzen und wegen der (mit Ausnahme von Bayern, Berlin und Hamburg) unterschiedlichen Höhe des Blindengeldes für Volljährige und Minderjährige wirkt sich diese Regelung sehr unterschiedlich aus. In einigen Blindengeldgesetzen wird deshalb durch eine Sperrklausel bestimmt, dass das Blindengeld höchstens um 50 % gekürzt werden darf. Eine solche Sperrklausel ist deshalb vor allem dann wichtig und wünschenswert, wenn im Landesblindengeldgesetz keine Dynamisierung vorgesehen ist; denn infolge der ab 1. Januar 2010 und 2012 bereits festgelegten Steigerungen und der nach § 30 SGB XI auch in der Zukunft zu erwartenden Erhöhungen der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung verringert sich das verbleibende Blindengeld entsprechend.

In neun Landesgesetzen finden sich in etwa gleiche Anrechnungsregelungen:

bei Pflegestufe I (60% der Geldleistung nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB XI = 60% aus 225 Euro = 135 Euro ab 1. Januar 2010, bzw.

60 % aus 235 Euro = 141 Euro ab 1. Januar 2012 und

bei den Pflegestufen II und III 40% der Geldleistung nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 = 40 % aus 430 Euro = 172 Euro ab 1. Januar 2010 bzw. 40 % aus 440 Euro = 176 Euro ab 1. Januar 2012.

Dabei ist es gleichgültig, ob der Pflegebedürftige Geld- oder Sachleistungen erhält.

Es handelt sich um:

  • Baden-Württemberg: § 3 Abs. 2,
  • Bayern: Art. 4 Abs. 1 und 2,
  • Berlin: § 3 Abs. 4,
  • Hamburg: § 3 Abs. 2 (mindestens 50 % des Blindengeldes müssen bleiben),
  • Hessen: § 4 Abs. 2 (bei Minderjährigen Anrechnung nur der halben Sätze),
  • Niedersachsen: § 3 Abs. 2,
  • Rheinland-Pfalz: § 4 Abs. 2,
  • Saarland: § 3 Abs. 2,
  • Sachsen-Anhalt: § 2 Abs. 2 und 3.

Eine ähnliche Regelung wie die oben genannten Gesetze findet sich im GHBG für Nordrhein-Westfalen (§ 3 Abs. 2 S. 1). In Pflegestufe I werden 70% des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB XI und in den Pflegestufen II und III 35% des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB XI angerechnet, gleichgültig, ob Geld- oder Sachleistungen in Anspruch genommen werden.

In Schleswig-Holstein erfolgt gemäß § 4 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz eine Anrechnung in Höhe von 50% (bei Minderjährigen 25 %) des Pflegegeldes der jeweiligen Pflegestufe nach § 37 Abs. 1 S. 3 SGB XI.

In Sachsen werden bei Blinden gemäß § 5 Abs. 2 Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38 SGB XI sowie bei Tages- und Nachtpflege nach § 41 SGB XI und bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, bei Pflegestufe I mit 50 %, bei Pflegestufe II mit 33,3 % und bei Pflegestufe III mit 25 % des für diese Stufen jeweils gewährten Pflegegeldes angerechnet.

In Mecklenburg-Vorpommern werden nach § 4 Abs.2 Sach- und Geldleistungen bei häuslicher Pflege in Pflegestufe I in Höhe von 50% der Leistung des Pflegegeldes der Stufe I, in Pflegestufe II in Höhe von 33,3% des Pflegegeldes der Stufe II, in Pflegestufe III in Höhe von 25% des Pflegegeldes der Stufe III angerechnet. Das gilt nach § 4 Abs. 3 auch bei Leistungen der privaten Pflegeversicherung.

In Brandenburg werden nach § 5 Abs. 2 bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, Geld- und Sachleistungen, bei Blinden mit 70 vom Hundert angerechnet. Bei Sachleistungen wird somit der Wert der Sachleistung zugrunde gelegt.

In Thüringen erfolgt die Berücksichtigung der Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38 des SGB XI, bei teilstationärer Pflege nach § 41 SGB XI oder bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI dadurch, dass das Blindengeld nach § 2 Abs. 1 bei der Pflegestufe I 100 Euro monatlich und bei den Pflegestufen II und III jeweils 70 Euro monatlich beträgt.

In Bremen werden – anders als in allen anderen Ländern - nach § 4 Abs. 1 des Landespflegegeldgesetzes Leistungen, die Berechtigte zum Ausgleich ihrer durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften, insbesondere nach den §§ 36 bis 39 und §§ 41 bis 43a des Elften Buches Sozialgesetzbuch erhalten oder erhalten haben, vollständig auf das Landespflegegeld angerechnet. Das gilt entsprechend für Pflegeleistungen aus einer privaten Pflegeversicherung oder aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften.

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7.3.3.2 Auswirkung der Anrechnungsregelungen auf Minderjährige

Da die Blindengeldleistungen für Minderjährige, mit Ausnahme der Landesblindengeldgesetze für Bayern, Berlin und Hamburg, in der Regel nur 50% bzw. fast 50 % des Blindengeldes für Volljährige betragen, werden Minderjährige erheblich benachteiligt, wenn die Leistungen nach dem SGB XI auf ihr Blindengeld in gleicher Höhe angerechnet werden wie bei Volljährigen.

In den Landesgesetzen der vier Länder Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein wird diese Benachteiligung durch spezielle Regelungen verhindert.

In § 3 Abs. 3 des Blindenhilfegesetzes für Baden-Württemberg bzw. in § 4 Abs. 2 S. 4 des hessischen Landesblindengeldgesetzes heißt es: "Bei Minderjährigen verringert sich der nach Abs. 2 jeweils anzurechnende Betrag um 50 v. H."

Nach § 4 Abs. 2 des Blindengeldgesetzes von Schleswig-Holstein werden bei Minderjährigen Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38 SGB XI mit 25 % des Pflegegeldes der jeweiligen Pflegestufe angerechnet.

In § 3 Abs. 2 S. 4 des nordrhein-westfälischen GHBG heißt es: "S. 1 gilt nicht für Blinde, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben." S. 1 enthält die spezielle Anrechnungsregelung für Leistungen nach dem SGB XI. Bei Minderjährigen findet somit überhaupt keine Anrechnung statt.

In Sachsen hat die Rechtsprechung für die Vermeidung der Benachteiligung Minderjähriger gesorgt. Nach dem Urteil des LSG Sachsen vom 24.03. 1999 - L 2 B1 3/98 - muss stets das halbe Blindengeld auch bei häuslicher Pflege verbleiben. Das hat zur Folge, dass auch bei der Anrechnung von Pflegeleistungen auf das Blindengeld Minderjähriger diese Sperrwirkung eintritt. Das Landessozialgericht Sachsen entnimmt § 4 Abs. 2 S. 1 des Landesblindengeldgesetzes, wonach bei aus öffentlichen Mitteln finanzierter Heimbetreuung eine Kürzung auf höchstens 50 v. H. eintritt, über seinen spezifischen Anwendungsbereich hinaus die Grundentscheidung des sächsischen Gesetzgebers, für pflegerische Aufwendungen in einem weiten Sinn, zu dem auch die Zusammenführung der Blinden zu anderen Menschen und die Kommunikation mit diesen sowie Hilfeleistungen bei den Alltagserfordernissen gehört, nur die Hälfte des Blindengeldes anzusetzen und den übrigen Teil der Leistung den Blinden zur freien Verfügung zu überlassen.

In den übrigen Ländern wirkt sich der gleiche Anrechnungssatz für Minderjährige negativ aus, weil das verbleibende Blindengeld wegen des ohnehin niedrigeren Satzes wesentlich geringer ist. Das führt dazu, dass der Blindengeldanspruch für Minderjährige, die pflegebedürftig nach den Pflegestufen II oder III sind, in aller Regel ganz entfällt.

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7.3.3.3 Anrechnung bei Leistungen an hochgradig Sehbehinderte

Die Anrechnung von Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit auf Leistungen für hochgradig Sehbehinderte nach den Landesblindengeldgesetzen bzw. Landespflegegeldgesetzen von Berlin (§ 2 Abs. 2), Hessen (§ 2 Abs. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 2), Nordrhein-Westfalen (§ 4), Sachsen (§ 2 Abs. 1) und Sachsen-Anhalt § 1 Abs. 4) ist ebenfalls unterschiedlich geregelt.

Spezielle Anrechnungsregelungen enthalten folgende Gesetze:

Hessisches Landesblindengeldgesetz. Nach § 4 Abs. 2 Satz 5 wird der Anrechnungsbetrag, der sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 bei häuslicher Pflege, teilstationärer Pflege oder Kurzzeitpflege für Blinde ergibt, um 30 % verringert. Ausgangspunkt ist also die Kürzungsregelung für Blinde. Dazu vgl. oben 7.3.3.1.

Anzurechnen sind demnach in Pflegestufe I

ab 01.01.2010 135 minus 30 % aus diesem Betrag = 40,50 Euro = 94,50 Euro

ab 01.01.2012 141 minus 30 % aus diesem Betrag = 42,30 Euro = 98,70 Euro.

In den Pflegestufen II und III

Ab 01.01.2010 172 minus 30 % aus diesem Betrag = 51,60 = 120,40 Euro

Ab 01.01.2012 176 minus 30 % aus diesem Betrag = 52,80 = 123,20 Euro.

Sachsen sieht im Landesblindengeldgesetz für die Leistung an hochgradig Sehbehinderte bei häuslicher Pflege keine Anrechnung vor. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz, in welchem nur "Blinde" erwähnt werden.

In den anderen Gesetzen, also in den Gesetzen von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt gelten die gleichen Anrechnungsregelungen wie für Blinde. Dazu vgl. oben 7.3.3.1. Das führt dazu, dass bei häuslicher Pflege keine Leistung nach den Landesblindengeldgesetzen bleibt.

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7.3.3.4 Anrechnungsregel bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII

Die Anrechnungsregeln sind in § 72 Abs. 1 S. 2 und 3 enthalten. Diese lauten:

"Auf die Blindenhilfe sind Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem Elften Buch, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, mit 70 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe I und bei Pflegebedürftigen der Pflegestufen II und III mit 50 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe II, höchstens jedoch mit 50 vom Hundert des Betrages nach Absatz 2, anzurechnen. Satz 2 gilt sinngemäß für Leistungen nach dem Elften Buch aus einer privaten Pflegeversicherung und nach beamtenrechtlichen Vorschriften."

Die Vorschrift ist ähnlich gestaltet wie die Regelungen in den Landesgesetzen der ersten Ländergruppe. Die Bestimmung, dass die Anrechnung "höchstens jedoch mit 50 vom Hundert des Betrages nach Absatz 2" erfolgen darf, besagt, dass 50 % der Blindenhilfe verbleiben müssen, denn in Abs. 2 wird die Höhe der Blindenhilfe festgelegt.

Da in aller Regel Anspruch auf Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz (ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen) und, sofern die Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden, ein Anspruch auf ergänzende Blindenhilfe besteht, ist die Frage, wie in diesem Fall bei Pflegebedürftigkeit die Anrechnungsregeln anzuwenden sind.

Es ist in drei Schritten vorzugehen:

Erster Schritt: Zunächst ist die Kürzung des Landesblindengeldes nach den für dieses geltenden Regelungen vorzunehmen und so die Höhe des Landesblindengeldes zu ermitteln.

Zweiter Schritt: Danach ist die Höhe der Blindenhilfe zu bestimmen, so als gäbe es das Landesblindengeld nicht. Die Kürzungsregelung für die volle Blindenhilfe nach § 72 Abs. 1 S. 2 ist anzuwenden.

Dritter Schritt: Von der so errechneten Blindenhilfe ist das gewährte Landesblindengeld abzuziehen. Die Differenz zwischen dem gekürzten Landesblindengeld und der gekürzten Blindenhilfe ergibt die ergänzende Blindenhilfe.

Beispiel nach dem Stand ab 01.012010:

Der volljährige blinde A. aus Baden-Württemberg ist pflegebedürftig nach Pflegestufe I. Einschlägig sind die §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 2 des Landesblindenhilfegesetzes Baden-Württemberg.

Das Landesblindengeld beträgt 409,00 Euro abzüglich eines Betrages in Höhe von 60 % des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI, = 60 % von 225 = 135,00 Euro. Das Landesblindengeld beträgt somit 274,00 Euro.

Die Blindenhilfe nach § 72 Abs. 2 beträgt 609 Euro abzüglich 70 % von 225,00 Euro = 157,50 Euro = 451,50 Euro.

Die ergänzende Blindenhilfe beträgt somit 451,50 Euro minus 274,00 Euro = 177,50 Euro.

Anrechnung des Blindengeldes und der Blindenhilfe auf Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 64 und 66 SGB XII):

Von der Kürzung der Blindenhilfe wegen der Leistungen bei häuslicher Pflege durch die soziale Pflegeversicherung ist der Fall zu unterscheiden, in welchem Pflegegeld nach § 64 SGB XII im Rahmen der Pflegehilfe vom Sozialhilfeträger gewährt wird. Diese Situation besteht für Personen, die in der gesetzlichen Pflegeversicherung (oder ersatzweise in einer privaten Pflegeversicherung) nicht versichert sind und die deshalb auf die von der Sozialhilfe zu gewährende "Hilfe zur Pflege" angewiesen sind. Diese "Hilfe zur Pflege" wurde zwar inhaltlich an die Regelungen des SGB XI angepasst; rechtssystematisch gehört sie jedoch zum Sozialhilferecht. Die Normen, wie sie bereits im BSHG (Vorläufer des SGB XII) galten, wurden in die §§ 61 ff. SGB XII, in welchen die Hilfe zur Pflege geregelt ist, übernommen. Folge: Das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz und die Blindenhilfe bleiben unangetastet. Die Anrechnung erfolgt hier genau umgekehrt. Gekürzt wird in diesem Fall das nach § 64 SGB XII gewährte Pflegegeld, indem gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Blindengeld oder Blindenhilfe jeweils zu 70 % auf das Pflegegeld angerechnet werden. Dass dies so ist, wird in einem beachtenswerten Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21.9.2006 - L 7 SO 5514/05 - bestätigt. Eine doppelte Anrechnung, nämlich die fälschliche Anrechnung der Pflegeleistung auf das Blindengeld und des Blindengeldes auf das nach § 64 SGB XII gewährte Pflegegeld, wie das in dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsstreit erfolgt war, ist unzulässig.

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7.3.4 Einfluss von Ersatzpflege, teilstationärer Pflege und Kurzzeitpflege auf das Blindengeld

Grundsätzliches zu den die häusliche Pflege sichernden Leistungen:

Die Kostenübernahme für eine Ersatzpflege bei kurzzeitiger Verhinderung der Pflegeperson (§ 39 SGB XI), die teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege (§ 41 SGB XI) und die Kurzzeitpflege in einer vollstationären Einrichtung (§ 42 SGB XI) sollen die häusliche Pflege stärken und ergänzen. Diese Vorschriften reihen sich ein in das Bemühen, Pflegebedürftige solange als möglich in der häuslichen Pflege und der häuslichen Umgebung zu belassen. Diese Leistungen gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor (§ 3 SGB XI - vgl. auch die Ausführungen unter 7.3.2.4 mit Unterpunkten, insbesondere für Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI 7.3.2.4.3, für teilstationäre Pflege nach § 41 SGB XI 7.3.2.4.4, für Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI 7.3.2.7.5 und für Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII 7.3.2.6).

Regelungen über die Auswirkung der Ersatzpflege, der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege auf das Blindengeld

Regelungen in den Landesgesetzen:

In neun Landesgesetzen wird in den Bestimmungen über die Anrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege ausdrücklich festgestellt, dass diese auch bei Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), teilstationärer Pflege (§ 41 SGB XI) oder bei der Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) zur Anwendung kommen.

Es handelt sich um die Gesetze von

  • Baden-Württemberg (§ 3 Abs. 2),
  • Berlin (§ 3 Abs. 4),
  • Bremen (§ 4 Abs. 1),
  • Hessen (§ 4 Abs. 2),
  • Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 2 und 3),
  • Nordrhein-Westfalen (§ 3 Abs. 2),
  • Sachsen (§ 5 Abs. 2 und 3),
  • Sachsen-Anhalt (§ 2 Abs. 2) und
  • Thüringen (§ 4 Abs. 2).

In den Landesgesetzen von Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wird an die Regelung für die Anrechnung der Pflegeleistungen bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI angeknüpft und eine prozentuale Anrechnung vorgenommen. In diesen Gesetzen wird damit der Zusammenhang zwischen häuslicher Pflege und Verhinderungspflege, teilstationärer Pflege bzw. Kurzzeitpflege im SGB XI deutlich.

Im Einzelnen:

Für Baden-Württemberg ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Blindenhilfegesetz, dass, ebenso wie bei häuslicher Pflege, auch bei Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI, bei teilstationärer Pflege nach § 41 SGB XI und bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI in der Pflegestufe I 60 v. H. des Pflegegeldes der Pflegestufe I und in den Pflegestufen II und III 40 % des Pflegegeldes der Pflegestufe II auf die Blindenhilfe angerechnet werden. Bei Minderjährigen verringern sich die Anrechnungsbeträge um 50 % (§ 3 Abs. 3).

Für Berlin gilt nach § 3 Abs. 4 die gleiche Regelung wie für Baden-Württemberg, wobei allerdings zwischen Minderjährigen und Volljährigen kein Unterschied besteht, weil ihr Blindengeld gleich hoch ist.

Für Hessen ergibt sich aus § 4 Abs. 2 die gleiche Regelung wie in Baden-Württemberg. Bei Minderjährigen verringert sich der nach § 4 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 jeweils anzurechnende Betrag um 50 vom Hundert und bei wesentlich Sehbehinderten um 30 vom Hundert.

Für Mecklenburg-Vorpommern ergibt sich aus § 4 Abs. 2, dass Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung nach den §§ 36 bis 38, 41 und 42 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt,

  1. bei der Pflegestufe I mit 50 Prozent des Betrages nach § 37 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch,
  2. bei der Pflegestufe II mit 33,3 Prozent des Betrages nach § 37 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und
  3. bei der Pflegestufe III mit 25 Prozent des Betrages nach § 37 Absatz 1 Satz 3 Nummer 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch

auf das Landesblindengeld angerechnet werden.

Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich aus § 3 Abs. 2 des GHBG, dass bei teilstationärer Pflege (§ 41 SGB XI) und bei Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) in der Pflegestufe I 70 v. H. des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB XI und in den Pflegestufen II und III jeweils 35% des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 angerechnet werden. Bei Minderjährigen erfolgt jedoch keine Anrechnung (§ 3 Abs. 2 S. 4).

Für Sachsen bestimmt § 5 Abs. 2, dass Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36 bis 38 SGB XI sowie bei teilstationärer Pflege nach § 41 SGB XI und bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI bei Blinden, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, bei der Pflegestufe I mit 50 Prozent des Betrages nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI, bei der Pflegestufe II mit 33,3 Prozent des Betrages nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XI und bei der Pflegestufe III mit 25 Prozent des Betrages nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI auf das Blindengeld angerechnet werden.

Für Sachsen-Anhalt erfolgt nach § 2 Abs. 1 bei häuslicher Pflege und bei teilstationärer Pflege eine Anrechnung bei Pflegestufe I in Höhe von 60 % des Pflegegeldes der Pflegestufe I und bei Pflegestufe II und III in Höhe von 40 % des Pflegegeldes der Pflegestufe II (§ 37 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 SGB XI).

Für Thüringen bestimmt § 4 Abs. 2, dass das Blindengeld nach § 2 Abs. 1 bei der Pflegestufe I 100 Euro monatlich und bei den Pflegestufen II und III jeweils 70 Euro monatlich beträgt, wenn blinde Menschen Leistungen der häuslichen Pflege nach den §§ 36 bis 38 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI), der teilstationären Pflege nach § 41 SGB XI oder der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI erhalten.

Zwar fehlt in diesen Gesetzen teilweise der Hinweis auf § 39 SGB XI "Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson" und auf § 42 SGB XI "Kurzzeitpflege". Da es sich aber bei diesen Leistungen auch um "Sachleistungen" handelt, werden sie von den Anrechnungsregelungen mit umfasst.

In den fünf Landesblindengeldgesetzen von Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Saarland und Schleswig-Holstein finden sich keine speziellen Regelungen über die Anrechnung bei Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI, bei teilstationärer Pflege nach § 41 SGB XI oder bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI. Es handelt sich jedoch bei diesen Leistungen ebenso um Leistungen bei häuslicher Pflege wie bei den Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI), dem Pflegegeld (§ 37 SGB XI) und der Kombinationsleistung (§ 38 SGB XI). Deshalb finden auch hier die allgemeinen Anrechnungsregeln für die häusliche Pflege Anwendung. Vgl. dazu oben 7.3.3.

Eine von den obigen Mustern völlig abweichende Regelung enthalten die Blindengeldgesetze von Brandenburg, Bremen und Rheinland-Pfalz. Diese Regelungen sehen im Einzelnen wie folgt aus:

Brandenburg:

Für Brandenburg ist die Frage, wie sich Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), teilstationäre Pflege (§41 SGB XI) und Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) auf das Blindengeld nach dem Landespflegegeldgesetz auswirken. Aus einer Auskunft per E-Mail des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und

Familie des Landes Brandenburg vom 14.01.2010 ergibt sich folgende Praxis:

Bei Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) erfolgt die Anrechnung wie bei häuslicher Pflege, wenn diese ambulant durchgeführt wird, also nach § 5 Abs. 2 Landespflegegeldgesetz mit 70 vom Hundert der Leistung der Pflegeversicherung; denn sie ist eine Leistung im Zusammenhang mit der häuslichen Pflege. Wenn die Verhinderungspflege jedoch, wie in der Praxis üblich, stationär durchgeführt wird, besteht nach § 4 Abs. 1 kein Anspruch auf Landespflegegeld, wobei die Einstellung gemäß § 8 Abs. 2 ab dem 1. auf die Aufnahme in die Einrichtung folgenden Monat erfolgt.

Für teilstationäre Pflege (§ 41 SGB XI) gilt folgendes: Da sie der Sicherung und Stärkung der häuslichen

Pflege dient, kommt § 5 Abs. 2 Landespflegegeldgesetz (Anrechnung von 70 % des Wertes der Leistung) zur Anwendung. Darüber hinaus erfolgt eine Kürzung des verbleibenden Pflegegeldes nach § 6 Abs. 2 Landespflegegeldgesetz. § 6 Abs. 2 Landespflegegeldgesetz bestimmt, dass das Pflegegeld angemessen gekürzt werden kann, wenn der Anspruchsberechtigte eine Einrichtung zur teilstationären Betreuung besucht. Bei fünf Ganztagsbetreuungen

Pro Woche sind nach dieser Bestimmung in der Regel zwanzig vom Hundert angemessen. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung.

Für Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) gilt, weil diese in vollstationären Einrichtungen durchgeführt wird, § 4 Abs. 1 des Landespflegegeldgesetzes, wonach bei vollstationärer Betreuung kein Anspruch auf Blindengeld besteht. § 8 Abs. 2 des Landespflegegeldgesetzes ist zu beachten. Nach dieser Vorschrift sind Änderungen von Tatsachen, die eine Herabsetzung oder eine Einstellung des Pflegegeldes bewirken, vom Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat ihres Eintritts folgt.

Rheinland-Pfalz:

Für Rheinland-Pfalz ist ebenfalls die Frage, wie sich Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), teilstationäre Pflege (§41 SGB XI) und Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) auf das Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz auswirken.

Bei Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) muss die Anrechnung entsprechend § 4 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz wie bei häuslicher Pflege erfolgen, also bei der Pflegestufe I mit 60 v. H. des Pflegegeldes dieser Pflegestufe nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI und bei den Pflegestufen II und III mit 40 v. H. des Pflegegeldes der Pflegestufe II nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des SGB XI.

Für teilstationäre Pflege nach § 41 SGB XI ist die Frage, ob eine Anrechnung nach § 4 Abs. 2 des Landesblindengeldgesetzes in Höhe von 60 % des Pflegegeldes der Stufe I (§ 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB XI) bzw. 40 % der Pflegestufe II bei Pflegebedürftigen der Stufen II oder III (§ 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XI) erfolgt, oder ob eine Kürzung nach § 5 Abs. 3 des Landesblindengeldgesetzes vorgenommen wird. Nach § 5 Abs. 3 Landesblindengeldgesetz ist das Blindengeld unter Berücksichtigung der Dauer des Aufenthaltes um bis zu 25 v. H. zu kürzen, wenn blinde Menschen eine Einrichtung zur teilstationären Betreuung, eine Kindertagesstätte oder eine Schule, besuchen. Weil die teilstationäre Betreuung nach § 41 SGB XI im Zusammenhang mit der häuslichen Pflege steht, geht § 4 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz als Lex Spezialis gegenüber § 5 Abs. 3 Landesblindengeldgesetz vor. Für § 5 Abs. 3 Landesblindengeldgesetz kommt es, wie die genannten Einrichtungen (Schule, Kindertagesstätte) zeigen, auf Pflegebedürftigkeit nicht an. Es handelt sich vielmehr häufig um Maßnahmen im Sinn der Eingliederungshilfe.

Auch bei der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI erfolgt eine Anrechnung nach § 4 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz. Sie steht im Zusammenhang mit der häuslichen Pflege. Obwohl die Kurzzeitpflege in vollstationären Einrichtungen durchgeführt wird, tritt deshalb kein Ruhen des Blindengeldanspruchs nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Landesblindengeldgesetz ein.

Bremen:

In Bremen besteht eine völlig abweichende Regelung: Dort werden nach § 4 Abs. 1 die Leistungen nach den §§ 36 bis 39 und 41 bis 43a des Elften Buches Sozialgesetzbuch vollständig auf das Landespflegegeld angerechnet.

Blindenhilfe nach § 72 SGB XII:

Für die Blindenhilfe bestimmt § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, dass auf die Blindenhilfe Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, mit 70 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe I und bei Pflegebedürftigen der Pflegestufen II und III mit 50 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe II, höchstens jedoch mit 50 vom Hundert des Betrages der Blindenhilfe, wie er sich aus § 72 Abs. 2 SGB XII ergibt, anzurechnen sind. Diese Anrechnung findet auch bei Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI, bei teilstationärer Pflege nach § 41 SGB XI und bei Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI statt.

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7.3.5 Einfluss von vollstationärer Betreuung auf das Blindengeld

Wenn ein blinder Mensch in einer vollstationären Einrichtung lebt, und die Kosten ganz oder teilweise von einem Kostenträger getragen werden, erfolgt sowohl nach den Landesblindengeldgesetzen als auch nach § 72 SGB XII (Blindenhilfe) eine Kürzung des Blindengeldes, weil in vollstationären Einrichtungen in aller Regel Leistungen geboten werden, die den vom Blinden zu tragenden blindheitsbedingten Mehraufwand verringern. Verlangt wird, dass die in der Einrichtung gebotene Betreuung zu einer erheblichen Verringerung der blindheitsbedingten Aufwendungen führt. Weil der Grund für diese Kürzung die in der Einrichtung geleistete Betreuung ist, kommen nur solche Leistungen öffentlich-rechtlicher Träger in Frage, die für den Aufenthalt in der Einrichtung zweckbestimmt sind. Die Zweckbestimmung muss sich auf die Betreuung in der Einrichtung beziehen.

Beispiele für Leistungen öffentlicher Träger, die den Zweck haben, der Betreuung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung zu dienen und die deshalb zur Kürzung führen, sind:

  • im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung stationäre Krankenbehandlung (§ 39 SGB V) und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in vollstationären Rehabilitationseinrichtungen (§ 40 Abs. 2 SGB V);
  • Leistungen der Rentenversicherungsträger zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn diese Maßnahmen in vollstationären Einrichtungen durchgeführt werden (§§ 9 ff. SGB VI);
  • in der gesetzlichen Unfallversicherung Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft und bei Pflegebedürftigkeit, wenn diese Maßnahmen in vollstationären Einrichtungen durchgeführt werden (§§ 26 ff. SGB VII);
  • im Versorgungsrecht nach dem BVG entsprechende Leistungen auch im Rahmen der Kriegsopferfürsorge (§ 10 ff. bzw. §§ 25b ff. BVG);
  • im Bereich der Arbeitsförderung Leistungen der besonderen Förderung für Behinderte zur Eingliederung in das Berufsleben (§§ 102, 103 SGB III).
  • im Sozialhilferecht mit einer Unterbringung verbundene Eingliederungsmaßnahmen nach §§ 54 ff. SGB XII.

Als Leistungen öffentlicher Leistungsträger kommen ferner Maßnahmen zur stationären Pflege in Betracht, also insbesondere:

  • die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach § 43 SGB XI;
  • entsprechende Leistungen der stationären Pflege der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 44 SGB VII;
  • Leistungen zur Pflege im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach § 25b Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 26c BVG sowie
  • Leistungen zur stationären Pflege nach § 61 ff. SGB XII und
  • Beihilfen des Dienstherrn bzw. des Trägers der Versorgungslast für stationäre Betreuung nach beamtenrechtlichen Vorschriften, und zwar sowohl für den Beihilfeberechtigten selbst als auch für dessen Angehörige.

Die Regelungen in den Blindengeldgesetzen bzw. Pflegegeldgesetzen der Länder:

Die Leistungseinschränkungen erstrecken sich vom vollständigen Ausschluss des Blindengeldanspruches bis zur Kürzung auf 50 % des Blindengeldes. Es gelten folgende sehr unterschiedliche Regelungen:

  1. In den Ländern Brandenburg (§ 4 Abs. 1) Ausschluss des Blindengeldanspruches; Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 1 S. 1) Ruhen des Anspruchs wird kein Blindengeld gewährt. Nach beiden Gesetzen kommt es nicht darauf an, wer die Kosten trägt, es werden auch Selbstzahler betroffen. Auf den Unterschied der Regelungen in diesen Gesetzen wird unten, im Abschnitt "Auswirkung des Beginns des Aufenthalts" eingegangen.
  2. Niedersachsen (§ 2 Abs. 2) Blindengeld in Höhe von 100,00 Euro monatlich und Thüringen (§ 2 Abs. 2) Blindengeld in Höhe von 50 Euro: Auch hier kommt es nicht darauf an, wer die Kosten trägt.
  3. In den Ländern Bremen (§ 2 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2); Hamburg (§ 2 Abs. 2); Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 2); Saarland (§ 4 S. 1); Sachsen (§ 4 Abs. 2); und Schleswig-Holstein (§ 5 S. 1): Bei öffentlich-rechtlichen Kostenträgern oder Leistung einer privaten Pflegeversicherung im Sinn des SGB XI Kürzung um die Leistung des Kostenträgers, jedoch höchstens auf 50 %, für Sachsen gilt das nur, wenn die Kosten aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden (§ 4 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz). Bei Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach § 43 SGB XI (vollstationäre Pflege) erfolgt dagegen eine Kürzung auf 50 % (§ 4 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz).
  4. In den Ländern Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 2); Bayern (Art. 2 Abs. 2); Berlin (§ 4 Abs. 1 S. 2); Hessen (§ 2 Abs. 2); Mecklenburg-Vorpommern (§ 3 Abs. 1, wobei hier nicht der Prozentsatz angegeben, sondern die Beträge genannt werden) und Sachsen-Anhalt (§ 3) Kürzung auf 50 % des Blindengeldes, wenn die Kosten von einem öffentlich- rechtlichen Leistungsträger oder einer privaten Pflegeversicherung im Sinn des SGB XI getragen werden. Wenn diese zur Kürzung auf die Hälfte führende Leistung niedriger als das halbe Blindengeld ist, was in der Praxis kaum der Fall sein dürfte, kann der Betroffene auf sie verzichten, die Heimkosten als Selbstzahler tragen und das volle Blindengeld in Anspruch Ein Rechtsmissbrauch kann ihm in diesem Fall nicht vorgeworfen werden.
  5. Bei der Blindenhilfe § 72 Abs. 3 SGB XII: Kürzung um die Leistung des öffentlich-rechtlichen Kostenträgers, höchstens bis auf 50 % der Blindenhilfe.

Wenn das Blindengeld bei einem Heimaufenthalt niedriger ist oder, wie in Brandenburg und Rheinland-Pfalz, völlig entfällt, kommt auch hier ein (ergänzender) Anspruch auf Blindenhilfe in Frage, sofern die sozialhilferechtlichen Voraussetzungen gegeben sind.

Auf den Grund der Heimbetreuung kommt es nicht an. Sie kann z. B. im Rahmen der Schulbildung, der Berufsausbildung, der Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, der Krankenbehandlung oder der Pflege in einer vollstationären Einrichtung erfolgen. Für den Sonderfall der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI vgl. oben 7.3.4.

Der Begriff der Einrichtungen

Die Landesblindengeldgesetze enthalten keine Definition des Begriffes einer Einrichtung. Sie sprechen von "Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen". Auch wenn nicht auf § 13 SGB XII, welcher den Begriff der "stationären Einrichtung" für das Sozialhilferecht definiert, verwiesen wird, ist im Interesse einer Rechtseinheit auf die dort enthaltene Definition, die ja auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII maßgebend ist, zurückzugreifen. Stationäre Einrichtungen sind nach § 13 Abs. 1 S. 2 SGB XII Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. Es muss sich also nicht um Pflegeheime im Sinn von § 43 SGB XI handeln. Zum Begriff der vollstationären Einrichtungen und zu Abgrenzungsfragen vgl. 6.4.4. Hier sei nur nochmals hervorgehoben, dass z. B. nicht zu den Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen reine Wohnheime, Wohnheime für Studenten und Berufstätige, Frauenhäuser, Asylbewerberheime, Spätaussiedlerheime, Jugendherbergen, Übernachtungsstätten für Wohnungslose zählen. Auch Wohngemeinschaften sind keine Heime, wenn sie nicht in eine Organisation eines Heimes eingebunden sind und die notwendigen Hilfen von den Teilnehmern der Wohngemeinschaft selbst organisiert werden.

Die gewährte Betreuung des Blinden muss zu einer erheblichen Entlastung von blindheitsbedingten Mehraufwendungen führen (BSG, Urteil vom 5.12.2001 - B 7/1 SF 1/00 R zum Landesblindengeldgesetz von Niedersachsen). Das gilt aber auch für die Blindenhilfe. Es muss sich um Einrichtungen handeln, die neben Unterkunft und Verpflegung auch persönliche Betreuungsleistungen bieten. Maßgebend ist, ob der Aufenthalt im Heim zu geringeren Aufwendungen führt, als sie Blinde in ihrer häuslichen Umgebung haben. Nur dann entstehen geringere blindheitsbedingte Mehraufwendungen, die eine Kürzung überhaupt rechtfertigen. Diese Forderung ergibt sich aus der Zweckbestimmung des Blindengeldes. Die Prüfung muss aber nicht konkret für den Einzelfall, sondern kann abstrakt erfolgen, D. h. entscheidend ist allein, ob die neben Unterkunft und Verpflegung angebotenen Betreuungsleistungen grundsätzlich geeignet sind, beim Aufenthalt außerhalb der Einrichtung möglicherweise anfallende spezifisch blindheitsbedingte Mehraufwendungen zu ersetzen (Bayer. LSG-Urteil vom 16.07.2002, Az. L 15 BL 6/01).

Als Betreuungsleistungen kommen z.B. in Betracht:

  • Rufbereitschaft in der Nacht,
  • vorübergehende Pflege im Krankheitsfall,
  • Begleitung innerhalb des Hauses zum Speisesaal oder Garten,
  • gelegentliches Vorlesen von Post und Erledigung von Schreibarbeiten,
  • soziale Beratung

Es ist nicht entscheidend, ob der Blinde die Betreuungsangebote auch tatsächlich nutzt. Die Betreuungsleistungen müssen in den Heimkosten enthalten sein.

Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, inwieweit Rehabilitationseinrichtungen, wie Berufsbildungswerke oder Berufsförderungswerke Heime oder gleichartige Einrichtungen im Sinn der Blindengeldgesetze sind. Sie erfüllen dann die Voraussetzungen eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung, wenn über Unterkunft und Verpflegung hinaus Betreuungsleistungen angeboten werden, was jeweils im Einzelfall zu klären ist. Die Voraussetzungen können sich z. B. durch Veränderungen in der Organisation ändern. Zum Problem wird auf folgende Urteile hingewiesen:

Das Sozialgericht Nürnberg hat in seinem Urteil vom 09.11.2000 - S 16 BL 4/00 - die Eigenschaft des BFW Würzburg (früher Veitshöchheim) als "Heim oder gleichartige Einrichtung" verneint und dem Kläger das volle Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz zuerkannt. Das SG Nürnberg hat seine Entscheidung damit begründet, dass im BFW Würzburg neben blinden und sehbehinderten Rehabilitanden auch andere Rehabilitanden aufgenommen werden und im Internat für Blinde keine besonderen Betreuungsleistungen angeboten würden. Ein Indiz dafür sei, dass die Internatskosten für alle Rehabilitanden gleich hoch sind. Dass im Ausbildungs- und Beratungsbereich im Gegensatz zum Wohnbereich Betreuungsleistungen erbracht werden, ändere den Charakter der Einrichtung deshalb nicht, weil die für diesen Bereich entstehenden Kosten gesondert von den Internatskosten in Rechnung gestellt werden und die Kurse auch von Pendlern besucht werden können, welchen die Betreuungsangebote ebenfalls zur Verfügung stehen.

Demgegenüber hat der VGH Mannheim mit Urteil vom 06.04.2000 - 7 S 1967/98 (= fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte, Heft 4/2001, S. 159 ff.) zum Berufsförderungswerk in Düren entschieden, dass dieses eine gleichartige Einrichtung im Sinn von § 2 Abs. 2 Landesblindenhilfegesetz von Baden-Württemberg sei, weil die Betreuung in dieser Einrichtung, wenn sie auch nicht als volle Betreuung anzusehen sei, einen großen Teil der blindheitsbedingten Mehraufwendungen abnehme.

Für das Berufsförderungswerk Düren hat auch das Landessozialgericht Niedersachsen mit Urteil vom 28.01.2000 - L 9 Bl 97/98 -, ergangen zu § 2 Abs. 2 S. 1 Landesblindengeldgesetz für Niedersachsen, angenommen, dass es sich um eine gleichartige Einrichtung handle, die eine Kürzung des Blindengeldes rechtfertige. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass den Kursteilnehmern neben Vollverpflegung und Zimmerreinigung auch Freizeit- und Betreuungsangebote zur Verfügung stünden.

Auf die Revision der Klägerin hin wurde dieses Urteil durch Urteil des 7. Senats des BSG vom 05.12.2001 - B 7/1 SF 1/00 R - (SozR 3-5922 § 1 Nr. 1) aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückverwiesen. Das BSG fordert ebenfalls, dass Blinde durch die in der Einrichtung gewährten Betreuungsleistungen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen nicht unerheblich entlastet werden. In diesem Zusammenhang sei der Zweck des Blindengeldes besonders zu beachten. Das BSG hielt die bisher erfolgte Sachaufklärung insoweit nicht für ausreichend. Das BSG stellt zu den Anforderungen an eine Einrichtung fest, dass die bloße Gewährung von Unterkunft und Verpflegung (hier: Unterkunft mit Zimmerreinigung, Vollverpflegung) allein nicht ausreichen kann, "um von einer blindheitsbedingte Mehraufwendungen mindernden Betreuung in einem erheblichen Umfang auszugehen."

Auswirkung von Beginn, Unterbrechung und Ende des Aufenthalts in einer Einrichtung auf die Höhe des Blindengeldes:

Auswirkung des Beginns des Aufenthalts:

In sämtlichen Landesblindengeldgesetzen sowie in § 72 SGB XII tritt die Kürzung bzw. Einstellung oder das Ruhen des Blindengeldanspruches nicht sofort mit dem Eintritt in die Einrichtung ein. Dadurch soll die Kürzung oder der Verlust des Blindengeldanspruches bei kurz dauerndem Aufenthalt in einer Einrichtung, z. B. in einem Krankenhaus oder in einer Rehabilitationseinrichtung vermieden werden. Ferner wird berücksichtigt, dass mit der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung eine Umstellung auf eine neue Umgebung erfolgt. Die Eingewöhnungsphase kann sogar zu erhöhten Mehraufwendungen führen.

Nach den Regelungen in den Gesetzen der 5 Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt beginnt die Kürzung ab dem 1. des auf den Eintritt folgenden Monats. Das kann je nach dem Termin des Eintritts zu einer Gewährung des ungekürzten Blindengeldes von einem Monat bis zu nur einem Tag führen. Erfolgt z. B. der Eintritt am 1. März, so tritt die Kürzung ab 1. April ein. Erfolgt der Eintritt am 31. März, tritt die Kürzung ebenfalls schon ab 1. April ein. Im Einzelnen:

Für Berlin ergibt sich aus § 4 Abs. 1 S. 1 des Pflegegeldgesetzes, dass der Anspruch auf das volle Blindengeld mit Ablauf des Monats der Aufnahme in die Einrichtung ruht, wenn sich der Berechtigte länger als einen Monat in einer Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthalts oder der Pflege und Betreuung ganz oder teilweise von einem öffentlich-rechtlichen Kostenträger oder einem Pflegeversicherung betreibenden Versicherungsunternehmen nach den Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch getragen werden. Wenn der Aufenthalt länger als einen Monat dauert, ist mit Beginn des auf die Aufnahme folgenden Monats das um die Hälfte gekürzte Blindengeld zu gewähren (§ 4 Abs. 4 S. 2).

Für Brandenburg ergibt sich aus § 8 Abs. 2 des Pflegegeldgesetzes, dass die sich aus § 4 Abs. 1 ergebende Einstellung des Pflegegeldes vom 1. des Monats an wirksam wird, der auf den Aufnahmemonat folgt.

Für Hamburg ergibt sich aus § 6 Abs. 2 S. 2, dass bei Aufnahme in eine Einrichtung die Herabsetzung des Blindengeldes gemäß § 2 Abs. 2 vom 1. des Monats ab bewirkt wird, der auf den Aufnahmemonat folgt; denn es wird monatlich im Voraus gewährt.

Für Sachsen bestimmt § 4 Abs. 3 S. 2, dass die Kürzung für jeden vollen Kalendermonat gilt. Sie gilt nach § 4. Abs. 3 S. 3 ab dem ersten Tag des Folgemonats, der auf den Eintritt in die Einrichtung folgt.

Für Sachsen-Anhalt bestimmt § 3 Abs. 1 S. 2, dass die Kürzung des Blindengeldes bei Heimaufenthalt für jeden ganzen Kalendermonat gilt. Nach § 3 Abs. 1 S. 3 gilt die Kürzung ab dem ersten Tag des Folgemonats, der auf den Eintritt in die Einrichtung folgt.

Eine abweichende Regelung gilt in Rheinland-Pfalz. § 3 Abs. 1 S. 2 bestimmt, dass das Ruhen des Blindengeldanspruches nicht eintritt, wenn der Aufenthalt in einer Einrichtung nicht länger als vier Wochen dauert. Befindet sich der Blinde länger als vier Wochen in einer Einrichtung, so tritt das Ruhen nach § 3 Abs. 2 S. 1 am ersten Tag der fünften Woche ein. Das bewirkt, dass für die ersten vier Wochen einer vollstationären Betreuung in einer Einrichtung stets der volle Blindengeldanspruch bestehen bleibt. Auf den Termin des Eintritts kommt es nicht an. Erfolgt der Eintritt z. B. am 31. März, so tritt das Ruhen des Blindengeldanspruches am 28. April ein.

Nach den übrigen 10 Landesgesetzen und nach § 72 SGB XII erfolgt die Kürzung des Blindengeldes bzw. der Blindenhilfe erst vom ersten Tag des zweiten Monats an, der auf die Aufnahme erfolgt. Vgl. die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 2 S. 1), Bayern (Art. 2 Abs. 2 S. 2), Bremen (§ 7 Abs. 2 S. 1), Hessen (§ 2 Abs. 2 S. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 1 S. 3), Niedersachsen (§ 2 Abs. 2 S. 3), Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 2 S. 1, Halbsatz 2), Saarland (§ 4 S. 1, Halbsatz 2), Schleswig-Holstein (§ 5 S. 2) und Thüringen (§ 2 Abs. 2). Für Thüringen bestimmt zwar § 9 Abs. 3 S. 1, dass eine Änderung der Tatsachen, die eine Herabsetzung oder eine Einstellung des Blindengeldes bewirken, vom 1. des Monats an zu berücksichtigen ist, der auf den Monat folgt, in welchem die Tatsachen sich geändert haben. In § 9 Abs. 3 S. 2 wird aber bestimmt, dass § 2 Abs. 2 unberührt bleibt. § 2 Abs. 2 verweist auf § 72 Abs. 3 SGB XII. In § 72 Abs. 3 S. 2 wird für die Blindenhilfe bestimmt, dass die Kürzung mit dem 1. des zweiten, auf den Eintritt erfolgenden Monats beginnt.

Erfolgt in diesen Ländern z. B. der Eintritt am 31. März, so erfolgt die Kürzung erst ab dem 1. Mai. Aber auch wenn der Eintritt am 1. März erfolgt, beginnt die Kürzung erst am 1. Mai.

Auswirkung einer Unterbrechung des Aufenthalts:

Sowohl § 72 Abs. 3 S. 3 SGB XII für die Blindenhilfe als auch die Landesgesetze, mit Ausnahme der Gesetze von Brandenburg und Hamburg, enthalten Regelungen für die vorübergehende Abwesenheit aus der Einrichtung. Sinn dieser Bestimmungen ist es, den Blinden für Ferien- oder Urlaubszeiten das ungekürzte Blindengeld zu gewähren, weil in dieser Zeit ihr blindheitsbedingter Mehraufwand nicht durch die Heimbetreuung reduziert ist.

§ 72 Abs. 3 S. 2 lautet: "Für jeden vollen Tag vorübergehender Abwesenheit von der Einrichtung wird die Blindenhilfe in Höhe von je einem Dreißigstel des Betrages nach Abs. 2 (ungekürztes Blindengeld) gewährt, wenn die vorübergehende Abwesenheit länger als sechs volle zusammenhängende Tage dauert; der Betrag nach S. 1 wird im gleichen Verhältnis gekürzt." Der 2. Halbsatz stellt klar, dass das Blindengeld von 1/30 des ungekürzten Blindengeldes nicht zusätzlich zum gekürzten Blindengeld gewährt wird.

Die in § 72 Abs. 3 S. 2 getroffene Regelung gilt aufgrund der Verweisung auch für das Pflegegeldgesetz für Berlin (§ 2 Abs. 1) und Thüringen (§ 2 Abs. 2).

Ausdrücklich dieser Regelung entsprechende Bestimmungen finden sich in den Landesgesetzen für Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 2 S. 2), Bayern (Art. 2 Abs. 3), Bremen (§ 7 Abs. 2 S. 2), Hessen (§ 2 Abs. 2 S. 2 und 3), Mecklenburg Vorpommern (§ 4 Abs. 1 S. 4), Niedersachsen (§ 2 Abs. 2 S. 3), Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 2 S. 2), wobei in Nordrhein-Westfalen für Blinde vor Vollendung des 18. Lebensjahres die Besonderheit gilt, dass sie 1/30 des vollen Blindengeldes bereits dann erhalten, wenn die Abwesenheit nicht sechs, sondern nur einen vollen Tag beträgt, Saarland (§ 4 S. 3), Sachsen (§ 2 Abs. 2 S. 4), Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs.2) und Schleswig-Holstein (§ 5 S. 3).

Zur Beurteilung, wann eine Unterbrechung des Aufenthalts mehr als sechs zusammenhängende Tage beträgt, vgl. Urteil des Bayerischen LSG vom 20.01.2009 AZ.: L 15 BL 7/08. Danach genügt es, wenn dem Abreisetag sechs zusammenhängende Tage der Abwesenheit folgen oder wenn sechs zusammenhängenden Tagen der Abwesenheit der Rückreisetag folgt. Die Klägerin ist in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall vom 12.10.2005 (15.00 Uhr) bis einschließlich 19.10.2005 (09.15 Uhr) von dem Internat, das sie besucht, abwesend gewesen. Es muss also über die sechs vollen Abwesenheitstage hinaus nicht nochmals ein voller Tag der Abwesenheit vorliegen, damit das Tatbestandsmerkmal "länger als sechs volle zusammenhängende Tage" erfüllt ist.

Keine Regelung für den Fall der vorübergehenden Abwesenheit von einer Einrichtung enthalten die Blindengeldgesetze von Brandenburg und Hamburg. Für das Blindengeldgesetz von Hamburg ist die Frage, ob hier § 72 Abs. 3 SGB XII im Wege der ergänzenden Gesetzesauslegung herangezogen werden kann. Früher galt diese Regelung auf Grund der Bezugnahme in § 2 auf die Höhe der Blindenhilfe. Bei der Neuregelung und dem Wegfall dieser Verweisung durch die Gesetzesänderung vom 28.12.2004 wurde offensichtlich übersehen, eine entsprechende Regelung in das Blindengeldgesetz von Hamburg aufzunehmen.

Eine abweichende Regelung gilt in Rheinland-Pfalz. Nach § 3 Abs. 2 S. 2 und 3 des Landesblindengeldgesetzes für Rheinland-Pfalz erhalten Blinde, die sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung aufhalten, für jeden Tag der vorübergehenden Abwesenheit Blindengeld in Höhe von 1/30 des vollen Betrages. Eine Beschränkung dahingehend, dass diese Leistung nur gewährt wird, wenn die Abwesenheit länger als sechs zusammenhängende volle Tage beträgt, enthält das Gesetz nicht. Hintergrund der Regelung ist, dass für die Zeit des Aufenthaltes in einer Einrichtung nach dem Landesblindengeldgesetz von Rheinland-Pfalz der Blindengeldanspruch gemäß § 3 Abs. 1 nicht ausgeschlossen ist, sondern nur ruht.

Das Pflegegeldgesetz für Brandenburg enthält keine Regelung für den Fall der vorübergehenden Abwesenheit. Nach § 4 Abs. 1 besteht beim Aufenthalt in einer Einrichtung kein Anspruch auf Blindengeld. Das gilt auch für eine vorübergehende Abwesenheit. Soweit in Einrichtungen Betreute wegen des Fehlens eines Anspruches nach dem Pflegegeldgesetz von Brandenburg Blindenhilfe nach § 72 SGB XII erhalten, bekommen sie nach § 72 Abs. 3 S. 3 für die Abwesenheit von mehr als sechs vollen zusammenhängenden Tagen 1/30 der Blindenhilfe.

Auswirkung der Beendigung des Aufenthalts:

Das Wiederaufleben des vollen Blindengeldanspruches beim Austritt aus einer Einrichtung ist unterschiedlich geregelt.

Wenn die Kürzung nur für volle Monate des Aufenthalts eintritt und der Austritt im Laufe eines Monats erfolgt, besteht ab dem 1. des Austrittmonats wieder der Anspruch auf das volle Blindengeld. Das gilt für die meisten Landesblindengeldgesetze und für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Erfolgt also z. B. der Austritt am 15. April, so besteht ab 1. April wieder der Anspruch auf das volle Blindengeld.

Das ist nach folgenden Blindengeldgesetzen der Fall:

Baden-Württemberg (§ 2 Abs. 2 S. 2), Bayern (Art. 2 Abs. 2 S. 2), Bremen (§ 7 Abs. 2 S. 1), Hessen (§ 2 Abs. 2 S. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 1 S. 3), Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 2 S. 2), Saarland (§ 4 S. 2), Sachsen (§ 4 Abs. 2 S. 2) Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs. 1 S. 2), Schleswig-Holstein (§ 5 S. 2) und Thüringen (§ 2 Abs. 2 durch Verweisung auf § 72 Abs. 3 SGB XII).

Dasselbe gilt auf Grund ausdrücklicher Regelung auch in folgenden Ländern:

Berlin (§ 4 Abs. 2 S. 2) und Niedersachsen (§ 2 Abs. 2 S. 4).

Das Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz von Brandenburg ist ebenfalls ab dem 1. des Austrittsmonats zu gewähren, wenn der Austritt vor Monatsende erfolgt und gemäß § 7 Abs. 1 ein Antrag gestellt wird. Das ergibt sich daraus, dass nach § 4 Abs. 1 Blinde in Einrichtungen keinen Anspruch auf Blindengeld haben, dass aber nach § 8 Abs. 1 S. 1 die Gewährung des Pflegegeldes mit dem Ersten des Monats beginnt, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens aber mit dem Ersten des Antragsmonats.

In Rheinland-Pfalz gilt eine abweichende Regelung. Dort wird das volle Blindengeld ab dem auf den Austritt folgenden Tag gewährt. Das wird in § 3 Abs. 2 S. 1 des Landesblindengeldgesetzes ausdrücklich geregelt. Soweit das Blindengeld für den Rest eines Monats nach Tagessätzen zu gewähren ist, beträgt es für jeden Tag 1/30 des Monatsbetrages.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich aus Abs. 3 S. 2, dass beim Austritt aus einer Einrichtung ab dem 1. des Austrittsmonats wieder der volle Betrag zu zahlen ist; denn die Kürzung auf die Hälfte tritt nur für volle Monate des Aufenthalts ein.

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7.4 Leistungseinschränkungen oder Leistungsentzug

In den Landesblindengeldgesetzen und im Sozialhilferecht für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII wird auf bestimmte Tatbestände mit der Versagung, dem Entzug oder der Einschränkung des Blindengeldanspruches reagiert. Die Regelungen sind sehr unterschiedlich. Leistungseinschränkungen werden vor allem bei Pflichtverletzungen vorgenommen. Zu behandeln sind im Folgenden:

  • Allgemeines zum Leistungsausschluss bei Pflichtverletzungen (dazu 7.4.1),
  • fehlende Ausbildungs- und Erwerbsbereitschaft (dazu 7.4.2),
  • unterlassene Geltendmachung vorrangiger Ansprüche (dazu 7.4.4),
  • Verletzung von Anzeigepflichten (dazu 7.4.5),
  • weitere Leistungseinschränkungen können sich ergeben bei fehlender Verwendbarkeit der Leistung (dazu 7.4.6) und
  • beim richterlich angeordneten Freiheitsentzug (dazu 7.4.7).

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7.4.1 Allgemeines zum Leistungsausschluss bei Pflichtverletzungen

Pflichtverletzungen des Anspruchsberechtigten können zu Leistungseinschränkungen oder zum Leistungsausschluss führen. Zu unterscheiden sind Pflichtverletzungen von reinen Obliegenheiten. Obliegenheiten sind gesetzlich geforderte Handlungen, die notwendig sind, um einen Anspruch zum Entstehen zu bringen, deren Vornahme oder Unterlassung aber frei steht. Wird eine reine Obliegenheit unterlassen, wie z. B. die vorgeschriebene Antragstellung, so liegt darin keine Rechtswidrigkeit. Die Unterlassung dieser Obliegenheit, welche im eigenen Interesse besteht, führt dazu, dass der Sozialrechtsanspruch nicht zur Entstehung kommt. Dem Leistungsberechtigten können aber auch bestimmte Verhaltensweisen auferlegt werden, deren Verletzung zur Versagung oder zum Entzug der Leistung führen kann. Solche Pflichten und die daran geknüpften Rechtsfolgen ergeben sich aus den Landesblindengeldgesetzen und für die Blindenhilfe aus dem SGB XII sowie aus den Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I. Im Folgenden werden einzelne Pflichtverletzungen behandelt.

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7.4.2 Fehlende Ausbildungs- und Erwerbsbereitschaft

In den sieben Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3 Nr. 1), Bremen (§ 8 Nr. 1), Hamburg (§ 5 Buchstabe a), Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 5 Abs. 1 Buchstabe a), Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 Buchstabe a) und Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 1) findet sich die Verpflichtung, eine zumutbare Arbeit zu leisten oder sich zu einem angemessenen Beruf oder zu einer sonstigen angemessenen Tätigkeit ausbilden, fortbilden oder umschulen zu lassen.

Weigert sich der Blinde, dieser Verpflichtung nachzukommen, so besteht nach den Landesgesetzen von Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein kein Anspruch auf das Blindengeld. Nach den Landesgesetzen von Bremen und Hamburg kann in diesem Fall die Leistung versagt oder widerrufen werden. Nach diesen beiden Gesetzen ist der zuständigen Behörde ein Ermessen eingeräumt.

Eine entsprechende Regelung enthielt für die Blindenhilfe § 67 Abs. 4 S. 1 BSHG. Für die Blindenhilfe ist durch § 72 SGB XII jedoch eine Änderung eingetreten. Nach § 72 Abs. 1 S. 4 ist auf die Blindenhilfe § 39 SGB XII entsprechend anzuwenden. Daraus ergibt sich: Wenn Leistungsberechtigte entgegen ihrer Verpflichtung die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung ablehnen, vermindert sich der Anspruch auf die Blindenhilfe in einer ersten Stufe um bis zu 25 vom Hundert, bei wiederholter Ablehnung in weiteren Stufen um jeweils bis zu 25 vom Hundert. Die Leistungsberechtigten sind vorher entsprechend zu belehren.

Da für erwerbsfähige Blinde das SGB II einschlägig ist, sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit die Kriterien des § 10 SGB II heranzuziehen (Haufe Online-Kommentar RZ. 11 zu § 72 SGB XII). Nach § 10 Abs. 1 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass er zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist, die Ausübung der Arbeit ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt, die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde, die Ausübung der Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann oder der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.

Eine Arbeit ist nach § 10 Abs. 2 SGB II nicht allein deshalb unzumutbar, weil

  1. sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entspricht, für die er ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat,
  2. sie im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringerwertig anzusehen ist,
  3. der Beschäftigungsort vom Wohnort des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort,
  4. die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen.
  5. sie mit der Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden ist, es sei denn, es liegen begründete Anhaltspunkte vor, dass durch die bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann.

Die besondere Situation eines blinden Menschen, z. B. durch die eingeschränkte Mobilität, muss berücksichtigt werden.

Diese "Wohlverhaltensklauseln" sind angesichts der für blinde Menschen ungünstigen Arbeitsmarktlage praktisch wirkungslos. Sie sind für die Landesblindengeldgesetze auch schwer zu begründen, da das Landesblindengeld ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt wird.

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7.4.3 Unterlassung einer Therapie

Als Heilmaßnahmen zur Verbesserung oder Wiedererlangung des Sehvermögens kommen bei zahlreichen Augenerkrankungen oder Verletzungen, z. B. Glaukom, Katarakt, Netzhautablösung, Hornhautverletzungen, operative Eingriffe in Frage. Bei der feuchten Makuladegeneration gibt es zwischenzeitlich Erfolg versprechende Therapien. Die Frage ist, inwieweit im Rahmen der Blindengeldgesetze eine Verpflichtung besteht, sich einer Untersuchung zu Erfolgsaussichten einer Therapie oder einer Therapie, insbesondere einer Operation zu unterziehen, wenn dadurch Blindheit beseitigt bzw. ein Sehvermögen erhalten oder wiederhergestellt werden kann, so dass kein Anspruch auf Blindengeld besteht oder der Anspruch wieder verloren geht. Für die Landesblindengeldgesetze, auf welche das SGB I anwendbar ist und für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII enthalten die §§ 60 ff. SGB I die notwendigen Rechtsgrundlagen.

Zu den im dritten Abschnitt dritter Titel des SGB I geregelten Mitwirkungspflichten gehört gemäß § 63 für denjenigen, welcher wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, die Verpflichtung, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustands herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird. Zur Feststellung der Erfolgsaussichten einer Therapie sollen die erforderlichen Untersuchungen vorgenommen werden (§ 62 SGB I). Es handelt sich um Obliegenheiten im eigenen Interesse des Betroffenen. Die Unterlassung dieser Mitwirkungsobliegenheiten ist deshalb nicht rechtswidrig. Die Verletzung der Obliegenheiten kann jedoch zur Versagung oder zum Entzug der Sozialleistungen führen (§ 66 Abs. 2 SGB I). Sozialleistungen dürfen nach § 66 Abs. 3 SGB I wegen fehlender Mitwirkung aber nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Der VGH Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 31.05.1972 - VI 261/71 = FEVS 21, 61-68 - für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG (jetzt § 72 SGB XII) entschieden, dass ein Blinder keine Blindenhilfe beanspruchen kann, wenn er sich einer zumutbaren ärztlichen Untersuchung entzieht, bei der die Erfolgsaussicht einer Operation zur Wiedergewinnung des Augenlichts geklärt werden soll.

Nicht jede Weigerung, sich einer Heilmaßnahme, wozu auch Operationen zählen, zu unterziehen, gibt dem Sozialleistungsträger die Möglichkeit, die Sozialleistung ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen. Die Grenzen der Mitwirkungspflicht ergeben sich aus § 65 SGB I. Bei Eingriffen handelt es sich um Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit. Diese ist durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützt. Weil der Eingriff nicht erzwungen werden kann und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden muss, der insbesondere in § 65 SGB I mit seinen Beschränkungen zum Ausdruck kommt, verstößt § 63 nicht gegen Art. 2 Abs. 2 GG. § 65 SGB I ist eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes. Die dabei maßgebenden Teilmaßstäbe sind Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Voraussetzung ist zunächst, dass zu erwarten ist, dass die Heilbehandlung eine Besserung des Gesundheitszustandes, also hier des Sehvermögens, herbeiführt oder eine Verschlechterung verhindert wird. Das erfordert, dass nach einer vorausschauenden Betrachtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft eine Besserung oder eine Abwendung einer Verschlechterung wahrscheinlich ist.

Nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB 1 muss zwischen der Mitwirkung, also der Duldung des Eingriffes, und der begehrten Sozialleistung ein angemessenes Verhältnis bestehen. Das wäre nicht der Fall, wenn z. B. bei einer Operation nur erwartet werden könnte, dass das erreichbare Sehvermögen unter den Grenzen des Blindheitsbegriffes nach den Blindengeldgesetzen bliebe, wenn also Blindheit im Sinne der gesetzlichen Definition überhaupt nicht beseitigt werden könnte. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit sind nicht nur objektive Gesichtspunkte, sondern auch die subjektiven Befürchtungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Die mit der Mitwirkungshandlung verbundenen Nachteile dürfen insgesamt die Vorteile nicht überwiegen. In die anzustellende Abwägung sind sämtliche Interessen des Leistungsberechtigten einzubringen, zu gewichten und untereinander sowie gegeneinander abzuwägen. Die Angst eines Leistungsberechtigten, einen noch vorhandenen geringen Sehrest bei einer Operation zu verlieren, muss als wichtiger Grund (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) berücksichtigt werden. Gramberg-Danielsen und Küchle haben unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschrittes augenärztliche Eingriffe zusammengestellt, die nach medizinischer Sicht zumutbar sind (vgl. Gramberg-Danielsen, Rechtliche Grundlagen der ärztlichen Tätigkeit, Abschnitt 2.5.3 sowie Gramberg-Danielsen, H, Julius Küchle in: "Der Augenarzt", 1990, S. 69. sowie die Ausführungen auf S. 413 ff. in der Dissertation von Demmel, insbesondere auch die Fußnoten auf S. 413). Nur allgemein geäußerte Befürchtungen, welche nicht objektiv nachvollzogen werden können, rechtfertigen die Ablehnung einer auf die Besserung des Gesundheitszustandes zielenden Therapie nicht. Die Grenze der Mitwirkungspflicht nach § 65 Abs. 1 ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Über diese allgemeinen Zumutbarkeitsgrenzen des § 65 Abs. 1 hinaus sind in Abs. 2 besondere Grenzen für die Mitwirkung bei Heilbehandlungen gezogen worden. Danach können Behandlungen und Untersuchungen abgelehnt werden, bei denen

  1. im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
  2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder
  3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten.

Diese Gründe müssen vom Betroffenen geltend gemacht werden. Liegen sie vor, kann der Eingriff nicht verlangt werden. Eine Einzelfallprüfung ist notwendig. Eine generell als zumutbar zu bewertende Heilmaßnahme kann in einem bestimmten Einzelfall gefährlich sein und damit zur Ablehnung berechtigen.

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7.4.4 Unterlassene Geltendmachung vorrangiger Ansprüche

Da die Sozialleistungen in einer Rangordnung zueinander stehen, ist es Aufgabe des Sozialleistungsträgers, im Rahmen seiner Beratungs- und Auskunftspflicht (§§ 14 und 15 SGB I) darauf hinzuwirken, dass der Sozialleistungsbedürftige die ihm zustehenden vorrangigen Leistungen erhält. Aus dem Sozialleistungsverhältnis ergibt sich aber auch die Pflicht, vorrangige Sozialleistungen geltend zu machen. Zur Berücksichtigung zweckgleicher Leistungen vgl. auch oben 7.2 und 7.2.1.

In drei Landesgesetzen, nämlich Brandenburg (§ 6 Abs. 1), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 1) und Thüringen (§ 5 Abs. 1), ist ausdrücklich bestimmt, dass das Blindengeld zu versagen oder angemessen zu kürzen ist, wenn der Blinde ihm nach anderen Rechtsvorschriften zustehende Leistungen, die dem gleichen Zweck wie das Blindengeld dienen, nicht in Anspruch nimmt.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich die Verpflichtung zur Geltendmachung vorrangiger Ansprüche aus dem Selbsthilfegrundsatz nach § 2SGB XII.

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7.4.5 Verletzung von Anzeigepflichten

Zu den Mitwirkungspflichten, die sich aus der Eigentümlichkeit des Sozialrechtsverhältnisses ergeben, gehört die Pflicht zur Anzeige von Änderungen der Verhältnisse oder Tatsachen, die für die Leistung erheblich sind.

In 12 der 16 Landesgesetze sind spezielle Anzeigepflichten normiert. Es handelt sich um die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 6 Abs. 1), Brandenburg (§ 7 Abs. 2), Bremen (§ 6 Abs. 2), Hamburg (§ 7 Abs. 2), Hessen (§ 6), Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 1), Niedersachsen (§ 8), Rheinland-Pfalz (§ 8), Saarland (§ 7), Sachsen-Anhalt (§ 5), Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 1) und Thüringen (§ 10). Die Anzeigepflicht trifft jeweils den Leistungsberechtigten und, sofern dieser geschäftsunfähig ist, seinen gesetzlichen Vertreter.

Der Umfang der Anzeigepflicht ist unterschiedlich formuliert. Für die Einzelheiten wird auf den Gesetzestext der Blindengeldgesetze (Heft 11 der Schriftenreihe) verwiesen.

Wegen der generellen Verpflichtung zur Anzeige der für die Gewährung des Blindengeldes maßgebenden Tatsachen werden alle Tatbestandsmerkmale, die Voraussetzung für die Gewährung sind oder die zu einer Kürzung bzw. Entziehung des Blindengeldes führen können, erfasst. Das sind Änderungen in den medizinischen Voraussetzungen, Änderungen des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, Eintritt in eine stationäre Einrichtung oder in einigen Blindengeldgesetzen auch in eine teilstationäre Einrichtung , der Bezug von Sozialleistungen, die den Blindengeldanspruch ausschließen oder auf diesen anzurechnen sind, wie z. B. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI.

In den Landesgesetzen von Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sind keine entsprechenden Spezialregelungen enthalten. Die Mitteilungspflicht ergibt sich hier aus § 60 SGB I. Auf die Anwendbarkeit des SGB I wird in diesen vier Gesetzen verwiesen.

Auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich die Mitteilungspflicht aus § 60 SGB I. Nach § 60 Abs. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,

  1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind ... und
  2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen.

Auch hier handelt es sich um alle Tatsachen, die für die Gewährung des Blindengeldes Voraussetzung sind oder die zu einer Kürzung bzw. zum Entzug führen können.

Die Grenzen der Anzeigepflicht ergeben sich aus § 65 SGB I. Das gilt auch für die Landesgesetze, in welchen sich Spezialbestimmungen für die Mitteilungspflicht befinden, soweit in diesen Gesetzen auf die Anwendbarkeit des SGB I verwiesen ist. Weil § 65 Ausdruck des allgemein geltenden Grundsatzes der Beachtung der Verhältnismäßigkeit ist, müssen seine Schranken auch in diesen Gesetzen gelten.

Die Folgen der Verletzung der Anzeigepflicht sind teilweise in den Landesgesetzen geregelt. Soweit dies nicht der Fall ist, ergeben sie sich für die Landesgesetze, in welchen auf die Anwendbarkeit des SGB I und X verwiesen ist aus den §§ 66 und 67 SGB I i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X.

Für die Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen sind, soweit die Landesgesetze selbst keine Regelungen enthalten, die §§ 48 ff. des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes einschlägig.

In 8 der Landesgesetze sind neben den Anzeigepflichten auch Bestimmungen über die Folgen der Verletzung dieser Anzeigepflichten enthalten.

In den Landesgesetzen von Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs. 1 Buchstabe b), Niedersachsen (§ 6 Abs. 1 Buchstabe b), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 2) und Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 2) wird bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht kein Anspruch auf das Blindengeld besteht. In den Landesgesetzen von Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 2) und Schleswig-Holstein (§ 9 Abs. 2) wird trotz Aberkennung des Anspruchs als Rechtsfolge bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht durch den Blinden das Blindengeld gekürzt oder entzogen werden kann. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Diese Rechtsfolge wird trotz Aberkennung des Rechtsanspruches in den Blindengeldgesetzen von Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz selbst nicht ausgesprochen. Die Rechtsfolge ist vielmehr für Hessen aus dem Landesverwaltungsverfahrensgesetz und für Niedersachsen und Rheinland-Pfalz aus § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X zu entnehmen, wobei wegen der Sonderbestimmungen in den Landesgesetzen nur die vorsätzliche Verletzung der Mitteilungspflicht des bewilligenden Verwaltungsaktes genügt.

In den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 6 Abs. 2) und Bremen (§ 8 Nr. 4) fehlt eine den Regelungen in den oben genannten Landesgesetzen entsprechende Bestimmung, wonach bei Verletzung der Mitteilungspflicht der Anspruch nicht besteht, es wird aber bestimmt, dass bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht das Blindengeld gekürzt oder entzogen werden kann.

Eine von den bisherigen Regelungen abweichende Bestimmung findet sich im Blindheitshilfegesetz für das Saarland. Nach § 6 Abs. 4 sind Blinde zur Rückerstattung von Überzahlungen unter Beachtung des Sozialgesetzbuches X verpflichtet, wenn sie oder die gesetzlichen Vertreter oder Betreuer eine Verbesserung des Sehvermögens nicht mitgeteilt haben. Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit § 6 Abs. 3 S. 2 zu sehen, wonach eine durch Besserung der Sehfähigkeit bedingte Minderung oder Entziehung der Blindheitshilfe mit Ablauf des Monats eintritt, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheides eintritt. Dieser Zeitpunkt soll demnach nur gelten, wenn die Mitteilungspflicht nicht verletzt worden ist. Die Folgen der Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 7 werden dadurch im Übrigen nicht berührt. Sie richten sich wegen der Verweisung in § 8 Blindheitshilfegesetz auf das SGB I und X nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X.

Für den Geltungsbereich der Landesgesetze von Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII sind die Folgen der Verletzung der Mitteilungspflicht ausschließlich dem SGB I und dem SGB X zu entnehmen.

Die Kürzung oder Entziehung des Blindengeldes erfordert einen Bescheid. Das Verfahren richtet sich nach dem SGB X, wenn dieses im Landesblindengeldgesetz für anwendbar erklärt ist, in den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen nach dem jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetz.

Nach dem SGB X gilt folgendes: Einschlägig ist für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung § 48 SGB X. Bei den Blindengeldleistungen handelt es sich mit Ausnahme der Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII um Leistungen aufgrund eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung. Dass ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufgehoben werden kann, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ergibt sich aus § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der zunächst rechtmäßige Verwaltungsakt würde bei Nichtanpassung rechtswidrig. Die Anpassung dient deshalb der Herstellung der korrekten Rechtslage. Auch nach den Landesgesetzen, in welchen bestimmt ist, dass bei Verletzung der Anzeigepflicht das Blindengeld entzogen oder gekürzt werden kann, liegt deshalb insoweit kein Ermessen vor, als die Schranken der gesetzlichen Voraussetzungen eingehalten werden müssen. Wird z. B. eine anzurechnende Leistung bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI nicht gemeldet, so kann die Kürzung nicht über die mögliche Anrechnung hinausgehen. Wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, hat das zur Folge, dass die Anpassung nicht nur für die Zukunft erfolgen muss, sondern dass die Aufhebung rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen soll (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X). Hier ist zu beachten, dass in mehreren Landesgesetzen, in welchen die Anzeigepflicht geregelt ist, eine vorsätzliche Verletzung verlangt wird. In den übrigen Gesetzen genügt gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 neben Vorsatz auch eine grob fahrlässige Verletzung der Anzeigepflicht. Dabei kommt es auf den subjektiven Maßstab für die Sorgfalt des Betroffenen an. Das Verschulden muss sich auf die Mitteilungspflicht beziehen. Die Sorgfaltspflicht ist in grober Weise verletzt, wenn in den Bescheiden über die Gewährung des Blindengeldes, z. B. auch in den Anpassungsbescheiden, deutlich auf die bestehende Mitteilungspflicht über konkrete Sachverhalte hingewiesen worden ist.

Beispielsfall: A. hat mit Bescheid vom 10.01.2005 Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz mit Wirkung ab 01.01.2005 erhalten. Im Januar 2006 erlangt er durch eine Operation das Sehvermögen wieder. Das Blindengeld hätte nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz mit Wirkung ab 01.02.2006 entzogen werden können. A. meldet die Wiedererlangung des Sehvermögens nicht. Die Sehwerte haben sich infolge der Operation nur leicht verbessert. Sie betragen auf dem besseren Auge 1/20. Gesichtsfeldeinschränkungen liegen nicht vor. A wird über die neuen Sehwerte nicht informiert. Im Februar 2007 erhält die Behörde Kenntnis von der Operation und von den Ergebnissen.

Hier sind im Januar 2006 wesentliche Veränderungen eingetreten. A. wäre nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I zur Mitteilung verpflichtet gewesen. Da A. nach wie vor ein sehr stark beeinträchtigtes Sehvermögen hatte und ihm die Sehwerte nicht mitgeteilt worden sind, hielt er sich nach wie vor für berechtigt. Grobe Fahrlässigkeit scheidet aus. Das Blindengeld kann nicht gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 rückwirkend ab 01.02.2006 entzogen werden. Die Entziehung ist erst ab 01.03.2007 vorzunehmen.

Für die Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen sind die jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetze maßgebend. Für den Widerruf sind die §§ 49 Abs. 2 der Verwaltungsverfahrensgesetze einschlägig. Die Rücknahme ist auch in diesen Fällen nur insoweit möglich, als durch die geänderten Verhältnisse der ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakt mit der Rechtslage nicht mehr übereinstimmt.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist, da es sich bei der Genehmigung nicht um einen begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, für die Rücknahme § 45 SGB X einschlägig. Nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X ist eine Rücknahme auch für die Vergangenheit möglich, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Wer für ihn nachteilige Angaben trotz gesetzlicher Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht gemacht hat, erfüllt diese Tatbestandsvoraussetzung.

In der Praxis spielen vor allem folgende Verletzungen der Anzeigepflicht eine Rolle:

  • Nichtanzeige des Umzuges in ein anderes Bundesland,
  • Nichtanzeige des Einzuges in ein Heim,
  • unterlassene Meldung eines Klinikaufenthaltes,
  • unterlassene Anzeige des Bezuges von Pflegeleistungen nach dem SGB XI.

Der Einwand: "Das hab ich nicht gewusst!" hilft nichts. Es ist grob fahrlässig, wenn man den Bescheid nicht liest und die dort genannten Mitteilungspflichten nicht zur Kenntnis nimmt.

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7.4.6 Fehlende Verwendbarkeit der Leistung

Ausgehend davon, dass das Blindengeld zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen gewährt wird, ohne dass es eines Nachweises der Verwendung bedarf, enthalten sechs Landesgesetze eine Bestimmung über die Einschränkung des Anspruches für den Fall, dass die Leistung von dem Berechtigten oder für ihn nicht zweckentsprechend verwendet werden kann.

Es handelt sich um die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3 S. 2), Bremen (§ 8 Nr. 3), Hessen (§ 3 Abs. 2), Nordrhein-Westfalen (§ 6 Abs. 2), Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 2) und Thüringen (§ 5 Abs. 2).

Bei der Kürzung oder Versagung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. In § 6 Abs. 2 des Gesetzes über Leistungen für Blinde und Gehörlose für Nordrhein-Westfalen heißt es, abweichend von den übrigen oben genannten Gesetzen: "Die Leistungen nach diesem Gesetz sind zu versagen, wenn eine bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für die Blinden, hochgradig Sehbehinderten und Gehörlosen nicht möglich ist." Auch diese Formulierung ändert nichts daran, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Das Ermessen setzt allerdings nicht schon bei der Frage an, ob überhaupt gehandelt werden soll (Entschließungsermessen). Die Entscheidung darüber ist der Behörde entzogen. Die Ermessensentscheidung begrenzt sich auf die Frage, in welchem Umfang eine Kürzung der Leistung vorgenommen werden soll.

Das Landesgesetz von Bremen enthält noch die Besonderheit, dass nach § 8 Nr. 3 das Pflegegeld nicht nur für den Fall fehlender Verwendbarkeit versagt oder widerrufen werden kann, sondern auch "wenn und soweit das Pflegegeld nicht laufend vom Berechtigten für behinderungsbedingte Mehraufwendungen verwendet wird". Ein Verwendungsnachweis wird allerdings nicht verlangt. Das würde auch dem Sinn der pauschalierten Leistung widersprechen, die ja gerade Freiheit in der Verwendung ermöglichen soll.

Ursprünglich enthielt auch § 67 Abs. 4 S. 2 BSHG für die Blindenhilfe eine entsprechende Bestimmung. Diese wurde jedoch in § 72 SGB XII nicht übernommen.

Der Nachweis, dass das Blindengeld nicht zweckentsprechend verwendet werden kann, ist nur sehr schwer zu führen. Bei der Beurteilung über die Verwendbarkeit ist vom Zweck des Blindengeldes auszugehen. Zu den blindheitsbedingten Mehraufwendungen gehören auch die durch Betreuung und Wartung erforderlich werdenden Aufwendungen. Selbst wenn ein Blinder wegen geistiger Erkrankung nur noch vor sich hindämmert, ist noch entsprechende Wartung und Pflege erforderlich und möglich, so dass zumindest der darauf entfallende Teil des Blindengeldes verbleiben muss. Das OVG Lüneburg hat in seinem Urteil vom 19.05.1988 - 14 A 127/86 = ND MBl 1988, 749 festgestellt, dass die bestimmungsgemäße Verwendung des Landesblindengeldes im Falle von Mehrfachbehinderungen nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Grad der Behinderung die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem BSHG (jetzt SGB XII) rechtfertigt. Das Urteil ist zu § 6 Abs. 2 des niedersächsischen Landesblindengeldgesetzes ergangen. Nach dieser zwischenzeitlich aufgehobenen Bestimmung konnte das Landesblindengeld insoweit versagt werden, als seine Verwendung durch oder für den Blinden für blindheitsbedingte Mehraufwendungen nicht möglich war. Der Kläger litt an schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Die bestimmungsgemäße Verwendung des Blindengeldes ist nach diesem Urteil nur dann nicht möglich, wenn Mehraufwendungen zum Ausgleich der Blindheit deshalb weder entstehen noch in irgendeiner Weise für die blinde Person sinnvoll getätigt werden können, weil diese wegen ihres Zustandes gehindert ist, in irgendeiner Weise mit der Umwelt in Kontakt zu treten oder Umwelteinflüsse wahrzunehmen. Nach diesem Urteil kann die Kürzung nur bei dem Teil des Blindengeldes vorgenommen werden, welcher nicht für die Wartung und Pflege bestimmt ist. Hierher gehören die Bedürfnisse immaterieller Art, wie das Bedürfnis, sich mit der Umgebung vertraut zu machen, Kontakte zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen. Weil sich nach den meisten Landesgesetzen (Ausnahme Brandenburg und Rheinland-Pfalz) und nach § 67 Abs. 3 BSHG (jetzt § 72 SGB XII) das Blindengeld auf 50 v. H. reduziert, wenn der Blinde die erforderliche Betreuung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhält, ist nach Auffassung des OVG Lüneburg im Urteil vom 19.05.1988 die Kürzung nur bei dem 50 % des Blindengeldes übersteigenden Teil möglich.

Hinzuweisen ist auch auf das Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 8. September 1982 - 6 S 843/81, wonach keine abgestufte Kürzung bei Mehrfachbehinderung je nach dem Grad der anderen nicht blindheitsbedingten Behinderungen zulässig ist. Bei der Klägerin handelte es sich um eine taubblinde Frau. Die Kürzung des Landesblindengeldes wegen fehlender Verwendbarkeit nach § 1 Abs. 3 S. 2 LBHG Baden-Württemberg war von der zuständigen Behörde damit begründet worden, dass die Klägerin wegen ihrer Mehrfachbehinderung nur eingeschränkt am Umweltgeschehen teilnehmen könne und deshalb verringerte blindheitsbedingte Aufwendungen entstünden. Diese Auffassung wurde vom VGH zurückgewiesen. Das Blindengeld könne in voller Höhe für blindheitsbedingte Mehraufwendungen und Benachteiligungen durch oder für die Klägerin aufgewendet werden. Eine abgestufte Versagung des Blindengeldes sei nicht möglich. Dafür enthalte das Gesetz keinen Maßstab. Eine Versagung des Blindengeldanspruches sei nur zulässig, wenn so gut wie überhaupt keine nennenswerten blindheitsbedingten Mehraufwendungen entstünden.

Von den Kürzungs- oder Versagungsregelungen sollte sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Das Motiv für die Leistungseinschränkung bei fehlender Verwendbarkeit bestand im Wesentlichen darin, Blindengeld nicht solchen mehrfach behinderten Personen zukommen zu lassen, bei denen die Blindheit als solche nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Diese Problematik wurde inzwischen durch die Rechtsprechung des BSG zur Frage der "Blindheit" von Koma-Patienten aufgefangen (BSG Urteil vom 26. Oktober 2004, Az: B 7 SF 2/03 R = SozR 4-0000 und vom 31.01.1995 - 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr. 1). Für die Anwendung der Regelung über die Leistungseinschränkung bei fehlender Verwendbarkeit ist daher kaum noch Raum.

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7.4.7 Leistungseinschränkung bei Freiheitsentzug

In 11 Landesgesetzen, nämlich in den Gesetzen für Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2-4), Brandenburg (§ 4 Abs. 2), Bremen (§ 8 Nr. 2), Hamburg (§ 5 Buchstaben b und c), Hessen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 5 Nr. 3), Niedersachsen (§ 6 Buchstabe c), Rheinland-Pfalz (§ 5 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs. 3),Schleswig-Holstein (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) und Thüringen (§ 2 Abs. 3) finden sich spezielle Regelungen, wonach bei strafrichterlich bzw. gerichtlich angeordnetem Freiheitsentzug der Blindengeldanspruch entfällt oder das Blindengeld versagt oder gekürzt werden kann. Diese Regelungen beziehen sich auf die Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt, den Freiheitsentzug im Rahmen der Sicherungsverwahrung, den strafrichterlich verhängten Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. einer Entziehungsanstalt. In einigen dieser Gesetze wird auch für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer sozialtherapeutischen Anstalt ein strafrichterliches Urteil verlangt.

Nach dem Pflegegeldgesetz für Bremen (§ 8 Nr. 2) und nach dem Landesblindengeldgesetz von Hamburg (§ 5 Buchstabe b) kann das Pflege- bzw. Blindengeld versagt werden, wenn dem Betroffenen die Freiheit länger als drei Monate entzogen wird. Sowohl die Entscheidung darüber, ob das Pflege- bzw. Blindengeld versagt bzw. entzogen wird, als auch über die Höhe der Kürzung muss nach pflichtgemäßen Ermessen getroffen werden. Maßgebend für das Ermessen ist die Frage, in welchem Umfang dem Blinden während des Freiheitsentzugs blindheitsgemäße Mehraufwendungen verbleiben.

Nach dem Landesgesetz von Sachsen-Anhalt (§ 3 S. 2) wird das Blindengeld wie bei Heimbetreuung auf die Hälfte reduziert, wenn Berechtigte eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verbüßen, in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer sozialtherapeutischen Anstalt untergebracht sind. In Thüringen (§ 2 Abs. 3) beträgt in diesen Fällen das Blindengeld wie bei Heimbetreuung 50 Euro.

In den übrigen oben genannten Ländern (Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) wird der Anspruch auf Blindengeld während des Freiheitsentzuges vollkommen aberkannt. Für die Aberkennung muss allerdings der nach dem jeweiligen Landesgesetz zugelassene Beginn der Kürzung oder des Entzuges beachtet werden.

Das Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose für Nordrhein-Westfalen enthält zwar keine Spezialregelung für den Fall des richterlichen Freiheitsentzuges, wie die oben behandelten elf Landesgesetze. Eine Kürzung erfolgt aber nach § 6 wegen fehlender Verwendbarkeit, wenn und soweit die Betreuung während des Freiheitsentzuges den blindheitsbedingten Bedarf deckt. § 6 lautet: "Die Leistungen nach diesem Gesetz sind zu versagen, wenn eine bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für die Blinden, hochgradig Sehbehinderten und Gehörlosen nicht möglich ist."

Nach den Landesgesetzen der vier Länder Bayern, Berlin, Saarland und Sachsen ist während des Strafvollzugs in einer Justizvollzugsanstalt mangels fehlender Spezialregelung keine Kürzung des Blindengeldes möglich; denn Justizvollzugsanstalten sind keine stationären Einrichtungen. Diese Gesetze enthalten auch keine Bestimmungen über eine Kürzung wegen fehlender Verwendbarkeit wie in Nordrhein-Westfalen. Eine Kürzung auf die Hälfte des Blindengeldes findet jedoch dann statt, wenn auf Grund des richterlichen Freiheitsentzugs der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung erfolgt und die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 Bay. Blindengeldgesetz, § 4 Abs. 1 Blindengeldgesetz von Berlin, § 4 Blindheitshilfegesetz Saarland, § 4 Blindengeldgesetz Sachsen). Weitere Voraussetzung ist, dass in der Einrichtung dem Blinden über die Gewährung von Wohnung und Verpflegung hinaus Leistungen geboten werden, die zu einer erheblichen Minderung der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen führen. Vgl. dazu auch 6.4.4.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII gilt folgendes:

Die Unterbringung in einer Strafvollzugsanstalt schließt die Gewährung von Blindenhilfe nicht aus. Es ist sogar zweifelhaft, ob überhaupt eine Kürzung erfolgen kann. Dass ein Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 BSHG (jetzt § 72 SGB XII) auch während der Strafhaft besteht, hat bereits der VGH Kassel in seinem Urteil vom 04.12.1975 (VII OB 13/75) festgestellt. Dieses Urteil sprach sich für eine Kürzung in entsprechender Anwendung von § 67 Abs. 3 BSHG (jetzt § 72 Abs. 3) (Kürzung bei Heimbetreuung) aus, wenn dem Blinden in der Justizvollzugsanstalt eine nicht unerhebliche Sonderbetreuung zuteil wird. In dem diesem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Fall bestand die Sonderbetreuung in der Gestellung einer Lese- und Schreibhilfe für zwei Stunden pro Tag. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 04.11.1976 - V C 7.76 = FEVS 25 S. 1 - festgestellt, dass es nicht auszuschließen sei, dass ein Blinder auch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe blindheitsbedingte Mehraufwendungen haben kann, so dass die bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe durch oder für ihn möglich ist. Die Blindenhilfe kann nicht allein mit der Begründung völlig versagt werden, dass für den Lebensunterhalt des Blinden während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe umfassend gesorgt sei. Die Gewährung der Blindenhilfe ist, wie das Bundesverwaltungsgericht hervorhebt, davon abhängig, dass ihre bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für den Blinden möglich ist. Das wird auch für den Fall der Strafhaft bejaht. Weil eine Einzelprüfung, in welchem Umfang blindheitsbedingte Mehraufwendungen bestehen, nicht möglich ist, hält das Bundesverwaltungsgericht die Herabsetzung der Blindenhilfe auf die Hälfte für zulässig, wobei in der Entscheidung offengelassen wird, ob die Kürzung auf eine analoge Anwendung von § 67 Abs. 3 (Heimbetreuung) oder auf § 67 Abs. 4 S. 2 (Kürzung bei fehlender Verwendbarkeit) gestützt werden kann, weil insoweit keine Revision eingelegt worden war. § 67 Abs. 4 BSHG wurde jedoch in § 72 SGB XII nicht übernommen. Der VGH Kassel hat in seinem Urteil vom 13.12.1983 - IX OE 115/81 = ZfSH/SGB 1984, 470-471- festgestellt, dass sich die Blindenhilfe für einen Blinden in Strafhaft nicht nach BSHG § 67 Abs. 3 (Anstaltsbetreuung) verringert. Diese Vorschrift ist nach dieser Entscheidung auch nicht analog anzuwenden. Vielmehr ist in diesem Fall, in der Regel der Tatbestand des BSHG § 67 Abs. 4 S. 2 erfüllt. Begründet wird das mit der eingeschränkten Verwendbarkeit. Eine solche Bestimmung enthält § 72 SGB XII, wie bemerkt, nicht mehr.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass Blinde, die nach ihrem Landesgesetz während einer Strafhaft oder richterlich angeordneter Freiheitsentziehung keinen Blindengeldanspruch haben, unter den Voraussetzungen des Sozialhilferechts Blindenhilfe nach § 72 SGB XII erhalten.

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8. Ende der Leistung

Die Leistung endet entweder durch Erledigung oder durch einen die Leistung aufhebenden Verwaltungsakt. Das ergibt sich für die Landesgesetze, auf welche das SGB X anwendbar ist und für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII aus § 39 Abs. 2 SGB X und für die anderen Länder aus den §§ 43 Abs. 2 der jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetze. Auf die Möglichkeiten der Beendigung durch einen Verwaltungsakt wird unter 8.3 mit Unterpunkten näher eingegangen.

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8.1 Ende des Leistungsanspruchs nach den Landesgesetzen

Der Anspruch auf Blindengeld endet durch Erledigung mit dem Tod des Berechtigten. Zwar wird lediglich im Landespflegegeldgesetz für Brandenburg (§ 8 Abs. 3) und im Landesblindengeldgesetz für Rheinland-Pfalz (§ 7 Abs. 3) ausdrücklich festgestellt, dass der Anspruch mit Ende des Sterbemonats erlischt. Der Anspruch erledigt sich durch den Tod aber auch nach den anderen Landesblindengeldgesetzen, ohne dass dies im betreffenden Blindengeldgesetz ausdrücklich genannt sein muss. Der Verwaltungsakt, auf welchem die Leistung beruht, muss in diesem Fall selbst dann nicht aufgehoben werden, wenn es sich, wie bei der Bewilligung von Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen, um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt (§ 39 Abs. 2 SGB X).

Für die Fälle, in welchen der Blindengeldanspruch nicht durch Erledigung endet, finden sich in den Landesblindengeldgesetzen sehr unterschiedliche Formulierungen. Vgl. die Landesgesetze für: Baden-Württemberg (§ 5 Abs. 3); Bayern (Art. 5 Abs. 2 S. 2); Berlin (§ 5 Abs. 2); Brandenburg (§ 8 Abs. 2); Bremen (§ 7 Abs. 3); Hamburg (§ 6 Abs. 3); Hessen (§ 5 Abs. 2); Mecklenburg-Vorpommern (§ 7 Abs. 3); Niedersachsen (§ 7 Abs. 2 S. 1); Rheinland-Pfalz (§ 7 Abs. 2); Saarland (§ 6 Abs. 3 S. 1); Sachsen (§ 6 Abs. 1 S. 3); Schleswig-Holstein (§ 8 Abs. 3 S. 1); Thüringen (§ 9 Abs. 3 S. 1).

Diese Regelungen haben zur Folge, dass der Anspruch mit Ablauf des Monats endet, in dem die Voraussetzungen weggefallen sind. Das können Änderungen in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen sein. Die rechtlichen Voraussetzungen fallen z. B. durch Wegzug aus dem Geltungsbereich weg. Die tatsächlichen Voraussetzungen entfallen, wenn sich z. B. durch eine Operation das Sehvermögen so verbessert hat, dass Blindheit im Sinn der Blindengeldgesetze nicht mehr vorliegt.

Sonderregelungen für den Fall, dass die Änderung aufgrund einer Besserung des Sehvermögens eintritt, enthalten die Landesgesetze von Berlin und Saarland. § 5 Abs. 2 S. 1 des Berliner Pflegegesetzes bestimmt: "Eine durch Besserung des Gesundheitszustandes bedingte Minderung oder Entziehung der Leistungen nach § 2 tritt mit Ablauf des Monats ein, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheides folgt." Die Leistung wird also nach Bekanntgabe des Entziehungsbescheides in diesem Fall noch einen weiteren Monat gewährt. Entsprechendes gilt im Saarland. Nach § 6 Abs. 3 S. 2 des saarländischen Blindheitshilfegesetzes tritt eine durch Besserung der Sehfähigkeit bedingte Minderung oder Entziehung der Blindheitshilfe mit Ablauf des Monats ein, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheids folgt. Durch diese Schonfrist soll die häufig mit Übergangsschwierigkeiten bei einer Sehverbesserung verbundene Anpassung berücksichtigt werden.

Keine Bestimmung über das Ende des Leistungsanspruches findet sich im Landesblindengeldgesetz für Nordrhein-Westfalen. Es gilt aber auch für dieses Gesetz, dass der Anspruch mit Ende des Monats (Zahlungszeitraum) endet. Über die Verweisung auf das SGB X in § 7 richten sich die Voraussetzungen nach den §§ 48 bzw. 45 Abs. 3 SGB X. Da die Leistung monatlich im Voraus gewährt wird, ergibt sich für den Regelfall auch hier, dass die Entziehung mit Ablauf des Monats wirksam wird, in welchem die Voraussetzungen für die Entziehung wegen Änderung oder Wegfall in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen gegeben sind.

Soweit ein Verwaltungsakt nicht seine Wirksamkeit durch Zeitablauf oder Erledigung verliert und damit der Anspruch erlischt, bedarf es eines aufhebenden Verwaltungsaktes. Das fordert der in § 39 Abs. 2 SGB X verankerte Grundsatz: Kein Selbstvollzug des Gesetzes. Vgl. dazu im Einzelnen 8.3 mit Unterpunkten.

Eine von den übrigen Landesgesetzen abweichende Regelung enthält § 4 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über Blinden- und Gehörlosengeld im Land Sachsen-Anhalt. Er lautet: "Der Anspruch entsteht für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen an einem Tage vorliegen." Der Genehmigungsbescheid bezieht sich damit immer nur auf den folgenden Zahlungszeitraum. Das Blindengeld hat damit nach dem Landesgesetz für Sachsen-Anhalt keine Dauerwirkung. Der Bewilligungsbescheid wirkt fort. Die Behörde ist also nicht gezwungen, die Leistung für den jeweiligen Zeitraum durch einen neuen förmlichen Bescheid festzusetzen. Die Einstellung der Leistung richtet sich aber nicht nach den Regelungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (§ 48 SGB X). Der Einstellungsbescheid ist vielmehr die Versagung einer Neubewilligung.

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8.2 Ende des Anspruches auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist keine rentengleiche Dauerleistung. Die Blindenhilfe dient der Überwindung einer bestimmten Notsituation (BVerwG, Urteil vom 15. 11. 1967 - V C 71.67 - = BVerwGE, Bd. 28, S. 216 ff.; vgl. auch BVerwGE, Bd. 25, S. 307.). Die Bewilligung wirkt deshalb nur für den jeweils genannten Bewilligungszeitraum. Die Behörde ist nicht gezwungen, die Leistung für den jeweiligen Zeitraum durch einen neuen förmlichen Bescheid festzustellen. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wirkt vielmehr stillschweigend für den sich jeweils anschließenden Zahlungszeitraum fort. Der Aufhebungsbescheid stellt in diesem Fall die Versagung einer Neubewilligung dar.

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8.3 Mögliche Aufhebungsbescheide und ihre Wirkung

Soweit sich der Anspruch nicht erledigt hat, ist ein den Bewilligungsbescheid aufhebender Verwaltungsakt erforderlich. § 39 Abs. 2 SGB X lautet: "(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.". Für die Rechtslage und die zu erlassenden Aufhebungsbescheide spielt es eine Rolle, ob es sich um die Aufhebung eines rechtmäßigen oder rechtswidrigen Bewilligungsbescheides gehandelt hat und ob dieser Bewilligungsbescheid ein Verwaltungsakt mit oder ohne Dauerwirkung war.

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8.3.1 Landesblindengeldgesetze Rechtslage bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung

Die Bewilligung des Landesblindengeldes beruht mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt auf einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Rechtsgrundlage für die Aufhebung dieser Bescheide ist § 48 SGB X, soweit in den Landesblindengeldgesetzen auf das SGB X verwiesen wird. In den anderen Ländern ist das jeweilige Verwaltungsverfahrensgesetz maßgebend. Die Regelungen decken sich aber weitgehend, so dass im Folgenden nur auf die Bestimmungen im SGB X eingegangen wird.

§ 48 SGB X ist für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII nicht maßgebend, weil ihr kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu Grunde liegt. Dazu vgl. unten 8.3.2.

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8.3.1.1 Aufhebung für die Zukunft

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit der Anspruch wegfällt, weil in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (vgl. zum Zeitpunkt des Wegfalls des Anspruches in den Landesgesetzen 8.1). Das ist etwa der Fall, wenn das Sehvermögen durch eine Operation wiederhergestellt wird (tatsächliche Änderung) oder der für die räumliche Geltung maßgebende Anknüpfungspunkt (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt) durch Wegzug in ein anderes Land oder ins Ausland wegfällt (rechtliche Änderung).

Beispiel: Der in Bayern lebende A. hat mit Bescheid vom 01.02.1987 Blindenpflegegeld nach dem damaligen Blindenpflegegeldgesetz ab 01.02.1987 genehmigt bekommen. Er war zu diesem Zeitpunkt blind im Sinne des Gesetzes. Nunmehr ist für ihn das bayerische Blindengeldgesetz vom 07.04.1995 maßgebend. Am 10.01.1998 erlangt A. durch eine Operation das Sehvermögen wieder. Er teilt das der zuständigen Stelle sofort mit. Hier ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Das Blindengeld ist durch Einstellungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft einzustellen. Ein Ermessen seitens der Behörde besteht nicht. Dass seit Genehmigung des Blindengeldes über 10 Jahre verstrichen sind, spielt keine Rolle. Weil es sich um eine Anpassung an die jetzige Rechtslage handelt, spielen für die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft Fristen keine Rolle. Der Zeitpunkt, ab welchem die Leistung einzustellen ist, richtet sich nach den Bestimmungen in den Landesgesetzen. Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 des bayerischen Blindengeldgesetzes endet der Anspruch mit Ablauf des Monats, in dem die Voraussetzungen weggefallen sind. Die Einstellung erfolgt also mit Wirkung ab 01.02.1998.

Wenn A. in Berlin lebt und Leistungen nach dem Berliner Pflegegeldgesetz erhält, greift hier die Sonderregelung des § 5 Abs. 2 Berliner Pflegegeldgesetz ein. Eine durch Besserung des Gesundheitszustandes bedingte Minderung oder Entziehung der Leistungen nach § 2 tritt danach mit Ablauf des Monats ein, der auf die Bekanntgabe des die Änderung aussprechenden Bescheides folgt. Würde die Änderung noch im Januar 1998 bekannt gegeben, wäre die Einstellung mit Wirkung ab 01.03.1998 möglich. Eine entsprechende Regelung gilt gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 im saarländischen Blindheitshilfegesetz.

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8.3.1.2 Aufhebung für die Vergangenheit

Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ab aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die meisten Landesblindengeldgesetze enthalten Bestimmungen über Mitteilungspflichten. Zum Teil werden die sich aus der Verletzung dieser Pflichten ergebenden Folgen unmittelbar in dem Landesgesetz geregelt.

Für die Länder, in deren Gesetze keine spezielle Regelung enthalten ist, ergibt sich die Mitteilungspflicht aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I.

Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 soll die Änderung bzw. Aufhebung dann mit Rückwirkung erfolgen, wenn der Betroffene hinsichtlich seiner weiteren Leistungsberechtigung bösgläubig war. Die Bösgläubigkeit muss also nicht bereits im Zeitpunkt der wesentlichen Änderung vorliegen. Die Rückwirkung bezieht sich auf den Zeitpunkt der Bösgläubigkeit. Dieser Zeitpunkt hängt z.B. davon ab, wann die Behörde den Betroffenen aufgeklärt hat.

Eine rückwirkende Aufhebung ist in den genannten Fällen infolge der in § 48 Abs. 4 enthaltenen Verweisung allerdings nur unter Berücksichtigung der in § 45 Abs. 3 S. 3 - 5 und Abs. 4 S. 2 SGB X genannten Fristen möglich. Der Grund für diese Regelung besteht darin, dass der ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakt zu dem Zeitpunkt der Änderung rechtswidrig geworden ist und in diesen Fällen kein Vertrauensschutz geboten ist. Wird in einem dieser Fälle aufgrund besonderer Umstände oder weil die Fristen nach § 45 Abs. 3 S. 3 - 5 und Abs. 4 S. 2 überschritten sind, der Verwaltungsakt nicht rückwirkend aufgehoben oder abgeändert, muss dies mit Wirkung für die Zukunft erfolgen. Die Verweisung auf § 45 Abs. 3 S. 3 bedeutet lediglich, dass 10 Jahre nach der wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen ist, wenn sich das zu Ungunsten des Berechtigten auswirkt. Entsprechend der Regelung in § 45 Abs. 3 S. 4 kann der Verwaltungsakt, weil es sich beim Blindengeld um Geldleistungen handelt, in diesen Fällen der Pflichtverletzung auch nach dem Ablauf der 10-Jahresfrist rückwirkend zurückgenommen werden, wenn die Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens, in welchem über die Aufhebung entschieden wird, geleistet worden ist. War die 10-Jahresfrist am 15.04.1998 bereits abgelaufen, kann der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden (§ 45 Abs. 3 S. 5). Aus der Verweisung in § 48 Abs. 4 auf § 45 Abs. 4 S. 2 ergibt sich, dass die Behörde innerhalb eines Jahres, seit sie Kenntnis über die Tatsachen hat, entscheiden muss, ob die Aufhebung in den Fällen des § 48 Abs. 1 S. 2 rückwirkend erfolgen soll oder nicht.

Wenn diese Jahresfrist versäumt wird, ist eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft trotzdem möglich, ja sie muss, weil insoweit kein Ermessen besteht, erfolgen.

Dass in den Fällen, in welchen eine rückwirkende Aufhebung nicht mehr möglich ist, die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft erfolgen muss und die Leistung nicht nur gemäß § 48 Abs. 3 eingefroren wird, ergibt sich daraus, dass diese Bestimmung auf ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakte nicht anwendbar ist. § 48 Abs. 3 bezieht sich ausdrücklich auf rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte. Es handelt sich um einen Auffangtatbestand zu § 45. Der wesentliche Unterschied zu den Fällen des § 45 ist darin zu sehen, dass bei ursprünglich rechtswidrigen Verwaltungsakten die Behörde Gelegenheit hatte, im Verwaltungsverfahren die Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das ist in den Fällen des § 48 Abs. 1 S. 2 nicht der Fall.

Beispielfälle: A. erfährt bei einer Untersuchung im Januar 1996, dass die Sehkraft auf dem besseren Auge 1/20 beträgt. Er wird vom Augenarzt auch darüber informiert, dass der Anspruch auf Blindengeld nicht mehr besteht.

Hier liegt der Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 vor. Ab Januar 1996 wusste A., dass ihm der Anspruch nicht mehr zusteht. Selbst wenn hinsichtlich des früheren Zeitraums keine grobe Fahrlässigkeit bestand, kann nunmehr die Gewährung des Blindengeldes mit Wirkung vom 01.02.1996 aufgehoben werden.

Bei A., der im Januar 1996 mit Wirkung vom 01.01.1996 Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz erhielt, ergibt sich im Januar 1999 bei einer Untersuchung, dass das Sehvermögen sich gegenüber den damaligen Befunden (Sehvermögen 1/50) verbessert hat, und zwar auf 1/20. Medizinisch kann nicht abgeklärt werden, ob die dem Bescheid von 1996 zu Grunde liegenden Befunde unrichtig waren und damals das Sehvermögen schon mehr als 1/50 betrug, oder ob infolge von Therapiemaßnahmen, denen sich A. zwischenzeitlich unterzogen hat, eine Verbesserung des Sehvermögens eingetreten ist. In ersterem Fall wäre der Blindengeldbescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen (Art. 1 Abs. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz). Im zweiten Fall wäre der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtmäßig gewesen.

Die Frage ist also, ob der Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 3 SGB X oder nach § 48 Abs. 1 aufzuheben ist. Selbst wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtswidrig war, ist hier, weil dies nicht nachgewiesen werden kann, § 48 Abs. 1 SGB X anzuwenden.

Bei der Aufhebung von ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakten infolge wesentlicher Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ist die Bindungswirkung der Statusfeststellungen der Versorgungsverwaltung nach §§ 68 und 69 SGB IX ebenfalls zu beachten. Vor der Änderung des Blindengeldbescheides muss die Änderung des Feststellungsbescheides durch die Versorgungsverwaltung erfolgen.

Wenn sich die tatsächlichen Voraussetzungen geändert haben, gilt für die Entziehung des Merkzeichens "Bl" das gleiche, was oben für die Aufhebung des Blindengeldbescheides gesagt worden ist. In der Praxis dürften sich deshalb hier keine Probleme ergeben.

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8.3.1.3 Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Blindengeldbescheides mit Dauerwirkung

Wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld von vorneherein nicht gegeben waren, richtet sich die Rücknahme in den Ländern, in welchen das SGB X für anwendbar erklärt ist, nach § 45 SGB X.

Ein Blindengeldbescheid kann z. B. deshalb von Anfang an unrichtig und damit rechtswidrig sein, weil der Anspruch infolge fehlender Tatbestandsmerkmale nicht bestand. Das ist z. B. der Fall, wenn die medizinischen Voraussetzungen für das Tatbestandsmerkmal Blindheit nicht gegeben waren, aber trotzdem Blindheit angenommen worden ist. In diesem Fall gewinnt die Bindungswirkung der Statusfeststellungen der Versorgungsverwaltung nach §§ 68 69 SGB IX besondere Bedeutung. Darauf wird weiter unten eingegangen.

Einschlägig ist in diesen Fällen § 45 Abs. 3 SGB X. Voraussetzung ist, dass der Verwaltungsakt schon bei seinem Erlass rechtswidrig war, dass er also so nicht hätte ergehen dürfen.

In der Regel kommt eine Rücknahme nur für die Zukunft in Frage; denn nach § 45 Abs. 4 S. 1 SGB X ist bestimmt, dass nur in den Fällen von Abs. 2 S. 3, auf welche in Abs. 3 verwiesen wird, und in den Fällen des Abs. 3 S. 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Eine rückwirkende Rücknahme bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes ist danach nach § 45 Abs. 2 S. 3 möglich,

  1. wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde,
  2. wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Fälle des § 45 Abs. 3 S. 2 sind die Wiederaufnahmegründe gemäß § 580 Zivilprozessordnung. Das sind z. B. Fälle der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht (Nr. 1), Urkundenfälschung (Nr. 2).

Auch in den Fällen, in welchen eine rückwirkende Rücknahme ausnahmsweise möglich ist, muss diese Entscheidung innerhalb einer Jahresfrist nach Kenntnis der die rückwirkende Rücknahme rechtfertigenden Umstände seitens der Behörde erfolgen (§ 45 Abs. 4 S. 2 SGB X).

Die Möglichkeit der Rücknahme ist außerdem an die Fristen des § 45 Abs. 3 gebunden. Es gelten folgende Fristen:

  1. Generell ist der Erlass eines Bescheides nach § 45 Abs. 3 S. 1 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe möglich. Diese Frist gilt in der Regel für den gutgläubigen Begünstigten. Für das bayerische Landesblindengeldgesetz ist diese Frist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz auf vier Jahre verlängert. Das ist gemäß § 37 SGB I möglich, weil nach dieser Bestimmung abweichende Regelungen zugelassen sind. Der Grund für die abweichende Regelung ist in der oftmals schwierigen Sachverhaltsaufklärung bei Kindern zu sehen. 6 Abs. 1 S. 2 des sächsischen Landesblindengeldgesetzes enthält die Bestimmung, dass abweichend von § 45 Abs. 3 SGB X ein nach dem sächsischen Blindengeldgesetz erlassener rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden kann.
  2. Auf 10 Jahre verlängert sich die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X gemäß § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X bei Unlauterkeit im Sinne des Abs. 2 S. 3 Nr. 2 oder 3, wenn also der Begünstigte zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hatte oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. In diesen Fällen ist die Rücknahme mit Rückwirkung möglich.
  3. Zeitlich unbegrenzt ist die Rücknahme möglich, wenn Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO vorliegen (§ 45 Abs. 3 S. 2 SGB X). Das sind auch die in 3 nicht ausdrücklich angesprochenen Fälle des Abs. 2 S. 3 Nr. 1 (arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung).
  4. Nach § 45 Abs. 3 S. 4 kann bei Unlauterkeit (Fälle des Abs. 3 S. 3) ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von 10 Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens, in welchem über die Rücknahme entschieden wird, gezahlt worden ist. Bei Unlauterkeit ist hier also ohne Befristung auch eine rückwirkende Rücknahme möglich. War die Frist von 10 Jahren am 15.04.1998 abgelaufen, kann auch in diesen Fällen der Verwaltungsakt zurückgenommen werden, allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft.

Weil es sich bei den Blindengeldleistungen um laufende Geldleistungen handelt, ist damit bei Unlauterkeit eine unbefristete und - mit Ausnahme des letzten Falles (Ablauf der 10-Jahresfrist am 15. 04. 1998) - sogar rückwirkende Rücknahme möglich.

Wenn eine Rücknahme wegen Fristablauf nicht möglich ist - der Begünstigte war gutgläubig, die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 bzw. die Vierjahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz ist verstrichen - kann die Leistung nicht mehr entzogen werden. Hier greift der Auffangtatbestand des § 48 Abs. 3 SGB X ein. Die Leistung wird auf dem Stand, den sie zum Zeitpunkt der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat, eingefroren. Das ist bei Anpassungsbescheiden zu berücksichtigen. § 48 Abs. 3 ist ein Auffangtatbestand zu § 45. Durch § 48 Abs. 3 SGB X soll einerseits der Vertrauensschutz gewahrt, andererseits aber auch das Anwachsen von Unrecht verhindert werden.

Für Sachsen ist § 6 Abs. 1 S. 2 des sächsischen Landesblindengeldgesetzes zu beachten, wonach abweichend von § 45 Abs. 3 SGB X ein nach dem sächsischen Blindengeldgesetz erlassener rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden kann.

Folgende Beispielsfälle sollen der Erläuterung dienen:

  1. erhält laut dem ihm am 10.02.1994 zugegangenen Bescheid mit Wirkung ab 01.02.1994 Blindengeld. Das ärztliche Gutachten attestiert ein Sehvermögen von 1/10. Gesichtsfeldeinschränkungen liegen nicht vor. Am 10.01.1996 wird der Fehler entdeckt. Blindheit lag von Anfang an nicht vor. A. ist medizinischer Laie, unter dem Sehverlust leidet er sehr stark. Der begünstigende Bescheid kann gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist aber gemäß § 45 Abs. 4 S. 1 nur mit Wirkung für die Zukunft, also mit Wirkung ab 01.02.1996, möglich, weil keine Bösgläubigkeit gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 bzw. Abs. 3 S. 2 vorlag.
  2. Wie Fall 1, der Fehler wird aber erst am 10.02.1996 entdeckt. Wenn A. in Bayern lebt, tritt an die Stelle der Zweijahresfrist in § 45 Abs. 3 S. 2 die Vierjahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 Bayerisches Blindengeldgesetz. Die Rücknahme wäre frühestens mit Wirkung vom 01.03.1996 mit Wirkung für die Zukunft möglich. Erhält A. dagegen das Blindengeld nach einem anderen Landesblindengeldgesetz, auf welches das SGB X anwendbar ist, könnte wegen Fristablauf der ursprünglich rechtswidrige Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden. Das Blindengeld würde aber gemäß § 48 Abs. 3 frühestens mit Wirkung ab 01.03.1996 auf den zu diesem Zeitpunkt geltenden Stand eingefroren werden.
  3. kannte das Attest. Er hat sich entsprechend informiert und wusste auch bereits vor Genehmigung, dass ihm das Blindengeld nicht zusteht. Der Fehler wird am 10.01.1999 entdeckt. Der begünstigende Verwaltungsakt kann rückwirkend ab 01.02.1994 zurückgenommen werden. Das Vertrauen auf den Bestand ist nicht geschützt (§ 45 Abs. 4 S. 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X).
  4. hat mit Bescheid vom 20.01.1988 Blindengeld zugesprochen bekommen. Er wusste, dass das ärztliche Attest unrichtig ist. Der Fehler wird im Mai 1998 entdeckt. Bis zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens, in welchem über die Rücknahme entschieden werden soll, wurden laufend Leistungen bezahlt. Gemäß § 45 Abs. 3 S. 5 kann das Blindengeld nur mit Wirkung für die Zukunft, also frühestens ab 01.06.1998, eingestellt werden.
  5. erhielt mit Bescheid vom 20.05.1988 mit Wirkung ab 01.05.1988 Blindengeld. Er wusste, dass das ärztliche Attest falsch war, es beruhte auf unrichtigen Angaben seinerseits. Der Fehler wird im Januar 1998 entdeckt. Die Frist von 10 Jahren war am 15.04.1998 noch nicht abgelaufen. Das Blindengeld kann rückwirkend zum 01.05.1988 entzogen werden (§ 45 Abs. 3 S. 4 SGB X).

Die Bindungswirkung der Statusfeststellung nach den §§ 68 und 69 SGB IX ist auch bei der Rücknahme ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakte zu beachten.

Wenn die Feststellung der Blindheit fehlerhaft ergangen ist, weil z. B. das Sehvermögen zu hoch war, ist bereits dieser Feststellungsbescheid rechtswidrig. Wenn die Zuerkennung des Blindengeldes auf diesem Bescheid beruht, führt die Bindungswirkung dazu, dass eine Aufhebung des Blindengeldbescheides nach § 45 Abs. 3 SGB X nur möglich ist, wenn auch der Feststellungsbescheid der Versorgungsverwaltung aufgehoben wird. War der Begünstigte gutgläubig, ist diese Aufhebung nur innerhalb der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 1 SGB X und nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Ist die Zweijahresfrist verstrichen, kann der Feststellungsbescheid der Versorgungsverwaltung nur innerhalb der 10-Jahresfrist nach § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X, hier allerdings rückwirkend, aufgehoben werden. Eine Aufhebung nach Ablauf der 10-Jahresfrist ist selbst bei Bösgläubigkeit nicht möglich. Allerdings endet die Feststellungswirkung mit Ablauf der Frist, für welche die Feststellung getroffen wird.

Wenn die Feststellung der Versorgungsverwaltung gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 oder Abs. 3 S. 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, ist auch für die Aufhebung des Blindengeldbescheides der Weg für die rückwirkende Aufhebung frei.

Wird der das Merkzeichen "Bl" feststellende Bescheid wegen des Fehlens der Bösgläubigkeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen und liegt bereits ein Antrag auf Blindengeldgewährung vor, so muss wegen der Bindungswirkung für den Zeitraum zwischen dem 1. des Antragsmonats und dem Monat der Bekanntgabe des Rücknahmebescheides über die Feststellung der Blindheit Blindengeld bezahlt werden. Erst von diesem Zeitpunkt an ist auch eine Einstellung des Blindengeldes möglich.

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8.3.2 Blindenhilfe - Rechtslage bei Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII beruht nicht auf einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Wenn die Bewilligung rechtmäßig war und sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse geändert haben, stellt der Bescheid über die Aufhebung der Leistung deshalb keinen Widerruf eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung dar. Vielmehr handelt es sich um die Versagung einer Neubewilligung. Rechtsgrundlage ist deshalb nicht § 48 SGB X. Die Ablehnung der Leistung für die Zukunft ist deshalb möglich.

Wenn die Voraussetzungen für die Leistungen weggefallen sind, aber trotzdem weiter geleistet worden ist oder die Voraussetzungen von vornherein nicht gegeben waren, handelte es sich bei den Bewilligungen bzw. der stillschweigenden Weiterwirkung um rechtswidrige Verwaltungsakte für den jeweiligen Bewilligungszeitraum. Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung dieser rechtswidrigen Verwaltungsakte ist § 45 SGB X. Die Schranken des § 45 Abs. 2 SGB X insbesondere der Vertrauensschutz, müssen beachtet werden. Die für die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte mit Dauerwirkung in § 45 Abs. 3 gezogenen Fristen (Zweijahresfrist seit Bekanntgabe nach S. 1 und 10-Jahresfrist nach Abs. 3 S. 3) gelten nicht.

Die Rücknahme der rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakte für die Vergangenheit muss gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 innerhalb eines Jahres, nachdem die zuständige Behörde Kenntnis von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt hat, erfolgen.

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8.4 Rückzahlungs- und Erstattungsverpflichtungen des Leistungsempfängers

Zu unterscheiden sind Rückzahlungs- und Erstattungsansprüche der Leistungsträger gegenüber dem Leistungsempfänger von solchen der Leistungsträger untereinander und von solchen der Leistungsträger gegenüber anderen Verpflichteten. Zu den beiden letztgenannten Fällen siehe unter 12. mit Unterpunkten.

Im Folgenden werden zwei Sonderfälle behandelt, bei denen es um Ansprüche des Leistungsträgers gegen den Leistungsempfänger geht, und zwar um die Rückzahlungspflicht bei Nachzahlung von Blindengeld (8.4.1.) und um die Erstattungspflicht bei mutwilliger Herbeiführung der Notlage (8.4.2.).

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8.4.1 Rückzahlungsverpflichtungen bei Nachzahlung von Blindengeld oder anzurechnender Sozialleistungen

Wenn es infolge der Rücknahme oder Aufhebung eines Blindengeldbescheides zu Überzahlungen gekommen ist, sind die zu Unrecht bezogenen Leistungen in aller Regel zurückzuzahlen. Das ergibt sich für die Landesgesetze, auf welche das SGB X anzuwenden ist und für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII aus § 50 Abs. 1 SGB X, für die Länder Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen aus § 49a des jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes.

Zu Rückzahlungsverpflichtungen kann es auch kommen, wenn vorrangige Sozialleistungen nachgezahlt werden.

In folgenden Landesgesetzen ist ausdrücklich geregelt, dass das Blindengeld zurückzuerstatten ist, wenn der Berechtigte Leistungen nachbezahlt erhält, die auf das Blindengeld anzurechnen sind:

Baden-Württemberg (§ 5 Abs. 4), Berlin (§ 5 Abs. 2), Brandenburg (§ 5 Abs. 3), Bremen (§ 7 Abs. 4), Hamburg (§ 6 Abs. 4), Hessen (§ 4 Abs. 3), Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 5), Rheinland-Pfalz (§ 4 Abs. 3), Saarland (§ 6 Abs. 3), Schleswig-Holstein (§ 8 Abs. 4) und Thüringen (§ 4 Abs. 3).

Die Bestimmungen sind entweder in den Paragraphen, die die Antragstellung, den Beginn oder das Ende der Leistung betreffen oder in den Paragraphen, die die Anrechnung anderer Leistungen regeln, enthalten.

Solche anzurechnenden Leistungen sind z.B. Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36-38 SGB XI. Vgl. dazu 7.3 Berücksichtigung anderer Leistungen und insbesondere 7.3.2.5.

Entsprechende Regelungen fehlen in den Landesgesetzen von Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Eine Erstattung in Höhe der anzurechnenden nachträglich erbrachten Sozialleistungen ergibt sich jedoch aus § 50 SGB X; denn auf die Anwendung des SGB X ist in den Landesgesetzen verwiesen.

Die oben genannten Landesgesetze bzw. § 50 SGB X in den Ländern Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind Rechtsgrundlage für den Verwaltungsakt über die Rückforderung. Der Verwaltungsakt über die Rückforderung muss in schriftlicher Form ergehen. Das ergibt sich aus § 50 Abs. 3 SGB X für die Landesgesetze, die auf das SGB X verweisen, für die übrigen Länder aus den entsprechenden Bestimmungen in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen.

Der Rückforderungsbescheid setzt stets die Aufhebung bzw. Abänderung des Bewilligungsbescheides über das Blindengeld voraus. Die Abänderung kann selbstverständlich nur in dem Umfang erfolgen, in welchem die nachbezahlte Sozialleistung angerechnet werden kann. Für die Landesgesetze, welche auf das SGB X verweisen, richtet sich die Abänderung des der Blindengeldleistung zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes als Voraussetzung für den Rückforderungsbescheid nach § 48 SGB X, denn der ursprüngliche Leistungsbescheid war rechtmäßig. Dazu vgl. oben 8.3.1, insbesondere 8.3.1.2. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn und soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Das trifft auf Nachzahlungen anzurechnender Leistungen zu.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich die Verpflichtung zur Rückerstattung bei Nachzahlung von Pflegeleistungen aus § 105 Abs. 1 SGB XII. Diese Bestimmung lautet:

"(1) Hat ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe an die leistungsberechtigte Person geleistet, ist diese zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet."

Diese Formulierung ist verunglückt; denn die Verpflichtung zur Rückerstattung richtet sich nicht auf das durch die Nachzahlung z. B. des Pflegegeldes durch die Pflegeversicherung erlangte, sondern auf die zurückzuerstattende Sozialhilfeleistung, die bei rechtzeitiger Leistung des vorrangig Verpflichteten nicht hätte erbracht werden müssen. Die Vorschrift dient der Wiederherstellung des Nachrangs (vgl. Haufe Onlinekommentar RZ. 3, 6, 14 und 15 zu § 105 SGB XII). Nach § 72 Abs. 1 S. 2 SGB XII sind auf die Blindenhilfe Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem Elften Buch, auch soweit es sich um Sachleistungen handelt, mit 70 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe I und bei Pflegebedürftigen der Pflegestufen II und III mit 50 vom Hundert des Pflegegeldes der Pflegestufe II, höchstens jedoch mit 50 vom Hundert der Blindenhilfe, anzurechnen. Die Blindenhilfe ist somit in Höhe dieses Anrechnungsbetrages zurückzuerstatten.

Eine weitere Voraussetzung für den Rückerstattungsanspruch ist, dass der vorrangig Verpflichtete, also die Pflegekasse, die Leistung ohne Kenntnis der Sozialhilfeleistung erbracht hat. Wenn der vorrangig Verpflichtete Kenntnis von der Sozialhilfeleistung gehabt hat, durfte er nicht leisten, sondern war gegenüber dem Sozialhilfeträger nach den Regeln über die Erstattung nach den §§ 102 ff. SGB X, welche dem Ausgleich unter Sozialleistungsträgern dienen, zur Erstattung verpflichtet. Dazu vgl. unten 12.1.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 105 SGB XII entsteht kraft Gesetzes. Er muss durch Verwaltungsakt konkretisiert und geltend gemacht werden (Haufe Onlinekommentar RZ. 10 zu § 105 SGB XII und Vorbemerkung zu §§ 102 ff. RZ. 17-24).

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8.4.2 Erstattungspflicht bei mutwilliger Herbeiführung der Notlage

Erstattungsregelungen für Sozialhilfeleistungen, also auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB X enthält § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Diese Vorschrift entspricht weitgehend den Regelungen in § 92a BSHG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung nach wie vor von Bedeutung ist. Nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. Da in solchen Fällen trotz mutwilliger Herbeiführung der Notlage die Sozialhilfeleistung rechtmäßig ist, der Verwaltungsakt also nicht aufgehoben werden kann, ist eine besondere Vorschrift erforderlich, um eine solche Kostenersatzpflicht zu begründen.

Der Betroffene muss schuldhaft die Voraussetzungen, die zur Notlage geführt haben, herbeigeführt haben. Grundsätzlich wird Sozialhilfe ohne Rücksicht auf die Ursache der Notlage geleistet. Bei der Kostenerstattungsverpflichtung nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII handelt es sich um eine "quasi-deliktische" Haftung (BVerwG, Urteil 23.09.1999 - 5 C 22/99 = FEVS 51 S. 341). Das Bundesverwaltungsgericht hat wegen des deliktischen Charakters eine einschränkende Auslegung vorgenommen. Eine Haftung nach dieser Vorschrift ist nur dann gegeben, wenn das Verhalten, durch welches die Voraussetzungen für die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt worden ist, als sozialwidrig angesehen wird. Sozialwidrig handelt, wer etwas tut oder unterlässt, das aus Sicht der Gemeinschaft, die als Solidargemeinschaft die Mittel für die Sozialhilfeleistung aufbringen muss, zu missbilligen ist (BVerwG, Urteil v. 14.01.1982 - 5 C 70/80 = FEVS 31 S. 265). Dabei muss sich der Betroffene der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst gewesen sein (Urteil des BVerwG vom 05.10.1999 - 5 C 27/98).

Schuldhaft herbeigeführt wären die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindenhilfe z. B. dann, wenn sich der Betroffene das Augenlicht selbst nehmen würde (zur Sozialwidrigkeit durch Herbeiführung einer Behinderung vgl. Haufe, Onlinekommentar RZ. 23 zu § 103 SGB XII). Solche Fälle sind von Strafgefangenen bekannt, die dadurch Hafterleichterungen oder eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erreichen wollten. Ein solches Verhalten ist sozialwidrig. Dagegen ist eine schuldhafte Herbeiführung der Erblindung in sozialwidriger Weise nicht gegeben, wenn der Hilfeempfänger infolge eines Selbstmordversuches erblindet ist. Ziel war hier nicht die Herbeiführung von Voraussetzungen für die Gewährung einer Sozialhilfeleistung. Das lag gerade nicht in der Absicht des Hilfeempfängers.

Ein Beispiel ist auch die Verschleuderung von Vermögen, welches nicht zum Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 SGB XII gehört und deshalb eingesetzt werden müsste.

Der Kostenerstattungsanspruch entsteht kraft Gesetzes und nicht erst durch den Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts (BVerwG, Urteil v. 10.04.2003 - 5 C 4/02 = DÖV 2004 S. 208). Die Heranziehung zum Kostenersatz muss jedoch in einem begründeten, die genaue Zahlungssumme bezeichnenden Leistungsbescheid erfolgen (Haufe Onlinekommentar RZ. 20 vor § 102 SGB XII).

Der Kostenersatzanspruch nach § 103 erlischt in 3 Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Leistung erbracht worden ist (§ 103 Abs. 3 Satz 1). Erlöschen bedeutet, dass der Anspruch untergegangen ist und deshalb nicht mehr existiert. Der Anspruch auf Kostenersatz, der mit einem bestandskräftigen Leistungsbescheid geltend gemacht wurde, erlischt nicht, sondern verjährt nach § 52 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 197 BGB in 30 Jahren.

Nach § 103 Abs. 1 S. 3 SGB XII kann in Härtefällen von der Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden.

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9. Die Auswirkung des Blindengeldbezugs auf andere Rechtsbereiche

Das Blindengeld hat Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche. Das ergibt sich entweder aus dem Rangverhältnis innerhalb konkurrierender Rechtsansprüche oder auf Grund des Einkommensbegriffes bei einkommensabhängigen Ansprüchen oder Verpflichtungen.

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9.1 Die Auswirkung des Blindengeldes zu anderen Leistungen im Sozialrecht

Die Gewährung von Blindengeld kann zum Ausschluss anderer Leistungen führen, um Doppelleistungen zu vermeiden.

Dabei geht es um die Frage, ob das Landesblindengeld oder die Blindenhilfe als Einkommen zu berücksichtigen ist, wenn es um die Entscheidung über einkommensabhängige Sozialleistungen geht, bzw. ob und in welchem Umfang zur Bedarfsdeckung auf den vorrangigen Einsatz des Blindengeldes verwiesen werden kann.

Bei der Behandlung des Blindengeldes im Verhältnis zu anderen Ansprüchen ist vom Zweck auszugehen. Das Blindengeld dient dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen (vgl. 4. Die Zweckbestimmung des Blindengeldes). Es dient grundsätzlich nicht dazu, die Kosten des Lebensunterhalts zu bestreiten. Es ist deshalb nicht als "Einkommen" zu betrachten und wird auch gemäß § 3 Nr. 11 EStG nicht zu den steuerpflichtigen Einkünften gezählt. Werden bei einkommensabhängigen Sozialleistungen die Anspruchsvoraussetzungen geprüft, so darf Blindengeld nicht als Einkommen angerechnet werden. In einigen Fällen ergibt sich dies unmittelbar aus dem Gesetz (z. B. § 83 Abs. 1 SGB XII für die Sozialhilfe, § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II für das Arbeitslosengeld II). In anderen Fällen ergibt sich dies daraus, dass es bei der Einkommensprüfung nur auf das zu versteuernde Einkommen ankommt. Bei Sozialleistungen, welche dem Lebensunterhalt dienen, wirkt sich deshalb das Blindengeld nicht anspruchsmindernd aus. Zu Einzelheiten vgl. unten.

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9.1.1 Blindengeld und Ausbildungsförderung

Fördermöglichkeiten für die schulische Ausbildung und das Studium bestehen insbesondre nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nach diesem Gesetz besteht ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (§ 1 BAföG). Vgl. dazu näher Heft 04 Kapitel 4.5 "Ausbildungsförderung"

Ausbildungsförderung wird nur bei Bedürftigkeit geleistet. es sollen Unterschiede bei Bildungschancen und soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden, soweit sie auf wirtschaftlichen Schwierigkeiten beruhen. Deshalb erfolgt die Förderung unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Berechtigten, seines Ehegatten und - abgesehen von Ausnahmen - seiner Eltern (§ 11 Abs. 2 BAföG). Was zum Einkommen und Vermögen zählt, ist §§ 21 ff. und 26 ff. BAföG). zu entnehmen. Aus § 21 Abs. 4 Nr. 4 ergibt sich, dass das Blindengeld nach einem Landesgesetz bzw. die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII wegen der anderweitigen Zweckbestimmung nicht zum Einkommen zählen. Diese Bestimmung lautet: "Zum Einkommen zählen nicht (...) 4. Einnahmen, deren Zweckbestimmung einer Anrechnung auf den Bedarf entgegensteht; dies gilt insbesondere für Einnahmen, die für einen anderen Zweck als für die Deckung des Bedarfs im Sinne dieses Gesetzes bestimmt sind."

Das BAföG hat nicht den Zweck, behinderungsbedingte Mehraufwendungen auszugleichen, sondern den Lebensunterhalt zu sichern. Vgl. dazu Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 20.10.2009, AZ.: 10 A 1701/08. Dieses Urteil ist zum hessischen Blindengeldgesetz ergangen. Der Leitsatz lautet: "Das nach dem hessischen Landesblindengeldgesetz gewährte Blindengeld wird bei der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht als Einkommen und, soweit es angespart wird, auch nicht als Vermögen angerechnet." Der Einsatz des durch die Ansparung entstandenen Vermögens würde eine Härte im Sinn von § 29 Abs. 3 BAföG darstellen. Das wird in dem Urteil in den Randnummern 47 ff wie folgt begründet: "Das Landesblindengeldgesetz geht ferner nicht davon aus, dass das gemäß § 5 Abs. 1 Satz 4 LBliGG monatlich im voraus gezahlte Blindengeld von dem Anspruchsberechtigten auch laufend monatlich oder zumindest zeitnah verbraucht wird und verbraucht werden muss, um seinen Zweck zu erfüllen. Der mit dem Blindengeld verfolgte Zweck ist nicht der Art, dass er nur durch einen monatlichen oder jedenfalls zeitnahen Verbrauch der zugeflossenen Leistung verwirklicht werden könnte. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass eine zweckentsprechende Verwendung auch dann gegeben ist, wenn der Blinde eine kostspieligere Anschaffung tätigt, die nicht durch das laufende Blindengeld, sondern erst durch ein Ansparen ermöglicht wird. Das Gesetz lässt dem Blindengeldempfänger freie Hand, wofür und wann er das Geld ausgibt (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4. September 1997 - 5 C 8.97 -, BVerwGE 105, 199, 203 = NJW 1998, 397, 398, zum Erziehungsgeld).

Wenn sich weder die blindheitsbedingten Mehraufwendungen verbindlich und abschließend umschreiben lassen, solche Aufwendungen sogar gänzlich fehlen können, ohne dass der Anspruch entfällt, noch eine bestimmungsgemäße Verwendung erforderlich ist, so kann von dem Blindengeldempfänger auch nicht verlangt werden, dass aus dem angesparten Blindengeld zu tätigende größere Anschaffungen bereits konkret in die Wege geleitet worden sind. Der erkennende Senat ist deshalb nach allem mit dem Bundessozialgericht der Auffassung, dass das angesparte Blindengeld, wenn es nicht verbraucht wird, nicht zweckneutral wird, sondern auch weiterhin dem blindheitsbedingten Mehrbedarf dient, dessen Art und Umfang von den persönlichen Wünschen des Betroffenen abhängen, ohne dass geprüft werden dürfte, ob das Blindengeld tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet wird (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 20/06 R -, FEVS 59, 441, 445).

Aus allem folgt, dass das von der Klägerin aus dem Blindengeld angesparte Bankguthaben in voller Höhe anrechnungsfrei bleibt, weil dessen Einsatz von der Klägerin nicht verlangt werden durfte, da es ihr dann nicht mehr für die Verwendung im Rahmen des gesetzlichen Zweckes zur Verfügung gestanden hätte." Zum Zugriff auf angespartes Blindengeld vgl. auch 10.3.

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9.1.2 Blindengeld und Arbeitslosengeld II

Unter den Leistungen bei Arbeitslosigkeit spielt das im SGB II geregelte und bei den meisten Betroffenen dauerhaft gewährte Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") die größte Rolle. Vorab wird jedoch geprüft, ob ein Anspruch auf die in § 116 SGB III genannten vorübergehenden Leistungen der Arbeitsagentur gegeben ist: Arbeitslosengeld I (bei Arbeitslosigkeit und bei beruflicher Weiterbildung), Teilarbeitslosengeld, Übergangsgeld (ergänzend zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben), Kurzarbeitergeld und Insolvenzgeld. Die Zugangsvoraussetzungen zu diesen vorrangigen Leistungen sind unterschiedlich. Beim Arbeitslosengeld I muss die Anwartschaftszeit erfüllt sein, was in der Regel dann der Fall ist, wenn der Betreffende in einer Rahmenfrist von 2 Jahren mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Diese Leistungen sind vom Einkommen und Vermögen unabhängig. Das Blindengeld oder die Blindenhilfe haben keine Auswirkungen auf diese Leistungen.

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach den §§ 19 ff. SGB II ist demgegenüber vom Einkommen und Vermögen abhängig. Das Blindengeld ist jedoch wegen seiner Zweckbestimmung nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Auch nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit ist das Blindengeld nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen. die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit hat in zwei gleichlautenden Schreiben an DVBS und DBSV vom November 2004,Az. PG Alg II - Hch166, mitgeteilt:

"Blindengeld ist eine zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II und wird auf das Arbeitslosengeld II nicht angerechnet, auch wenn es höher als die halbe Regelleistung ist. Mit dieser Regelung soll dem besonderen Zweck des Blindengeldes (Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen und Herstellung weitgehender Chancengleichheit gegenüber sehenden Mitmenschen) Rechnung getragen werden."

§ 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) lautet: "(3) Nicht als Einkommen sind zu berücksichtigen 1. Einnahmen, soweit sie als a) zweckbestimmte Einnahmen, (...) einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, (...)".

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9.1.3 Blindengeld und Kindergeld

In aller Regel haben Blindengeld und Kindergeld nichts miteinander zu tun, weil es beim Kindergeld nicht auf das Einkommen ankommt und deshalb die Frage nicht auftaucht, ob das Blindengeld hier als Einkommen zu berücksichtigen ist. Auch beim einkommensabhängigen Kinderzuschlag, mit dem das Kindergeld aufgestockt werden kann, spielt der Bezug von Blindengeld keine Rolle, denn § 6a BKGG verweist im Hinblick auf den Begriff des Einkommens auf § 11 SGB II. Dessen Abs. 3 Nr. 1 ist so auszulegen, dass Blindengeld nicht als "Einkommen" zu berücksichtigen ist. Vgl. auch oben, 9.1.2.

Etwas ganz anderes gilt jedoch, wenn das behinderte Kind eigentlich kein Kind mehr ist, sondern die Grenze zum 25. Lebensjahr überschritten hat. In diesem Fall bleibt die Kindergeldberechtigung für das Kind erhalten, wenn "es (...) wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist." Für den Nachweis der Behinderung reicht in der Regel die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen H. Für den Nachweis des Merkmals "außerstande, sich selbst zu unterhalten" wird darüber hinaus geprüft, welche "Einkünfte und Bezüge" das Kind hat. Und zu diesen "Bezügen" gehört auch der Bezug des Blindengeldes! Überschreiten besagte "Einkünfte und Bezüge" eine bestimmte Grenze, so wird das Tatbestandsmerkmal "außerstande sich selbst zu unterhalten" verneint und das Kindergeld wird verweigert.

Diese Grenze bestimmt sich nach dem in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Grundbetrag (von z. Z. 7.680,00 Euro im Jahr) plus einem Erhöhungsbetrag, der im Einzelfall aufgrund der eingereichten Belege für den behinderungsbedingten Mehrbedarf anerkannt wird. Auf diese Belege wird jedoch verzichtet, wenn als Erhöhungsbetrag ausschließlich der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG geltend gemacht wird. Ist das behinderte Kind pflegebedürftig und zahlt die Pflegeversicherung ein Pflegegeld, so wird - aus systematischen Gründen - der Pauschbetrag nicht erhöht oder ergänzt, es wird jedoch vermutet, dass beim Bezug des Pflegegeldes ein entsprechender Bedarf an Pflege vorhanden ist, und dieser vermutete Bedarf wird an Stelle des Pauschbetrages berücksichtigt. Dies wurde vom Bundesfinanzhof bereits in einem früheren Urteil anerkannt. In einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31.8.2006 - III R 71/05 – (Anmerkung: Das vollständige Urteil ist im Internet zu finden unter: http://www.bundesfinanzhof.de/www/entscheidungen/2006.11.08/3R7105.html)

Es wird anerkannt, dass dieselbe Vermutung auch für den Bezug von Blindengeld gilt. In der Begründung des Urteils heißt es dazu:

"Die Grundsätze der Rechtsprechung zur Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs bei Zahlung von Pflegegeld gelten ebenso bei der Zahlung von Blindengeld. Daher ist auch beim Blindengeld zu vermuten, dass ein behinderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe des tatsächlich gezahlten Blindengeldes besteht. (...) Das bedeutet, dass das Blindengeld zwar bei den Bezügen zu erfassen ist, weil es sich (...) um finanzielle Mittel des Kindes zur Bestreitung seines Lebensunterhalts handelt. Ist das Blindengeld höher als der Behinderten-Pauschbetrag, ist es jedoch anstelle des Behinderten-Pauschbetrages als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen."

Wie aber lässt sich diese Vermutung rechtfertigen? Wie hoch ist der blindheitsbedingte Mehraufwand wirklich? Lässt sich das an Hand des Blindengeldbetrages sagen, der in jedem Bundesland verschieden ist? Der BFH räumt die sich daraus ergebenden Bedenken des Finanzgerichts Thüringen wie folgt aus:

"Der Vermutung des tatsächlichen behinderungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe des Blindengeldes steht nicht entgegen, dass in den einzelnen Bundesländern Blindengeld in unterschiedlicher Höhe gezahlt wird. Denn die unterschiedliche Höhe des Blindengeldes lässt sich nicht nur mit der Haushaltslage der einzelnen Bundesländer erklären, sondern auch mit den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten. Daher ist die Annahme des FG, alle Blinden hätten in allen Bundesländern einen gleich hohen behinderungsbedingten Bedarf, unzutreffend. Es ist gerichtsbekannt, dass die Lebenshaltungskosten z. B. in den vom FG genannten Ländern Hamburg und Brandenburg wesentlich voneinander abweichen.

Entgegen der Auffassung des FG führt die Vermutung, dass das jeweilige Blindengeld dem tatsächlichen Mehrbedarf entspricht, nicht zu einer Ungleichbehandlung von Blindengeldempfängern hinsichtlich des Kindergeldes. Denn bei den Empfängern von niedrigerem Blindengeld wäre einerseits auch nur ein entsprechend geringerer Betrag i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen. Andererseits wäre als Mindestbetrag bei dem behinderungsbedingten Mehrbedarf stets der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG zu berücksichtigen, wenn das ausbezahlte Blindengeld tatsächlich unter diesem Betrag läge. Anderenfalls bliebe vom Gesetzgeber pauschal angenommener behinderungsbedingter Mehraufwand zu Unrecht außer Betracht."

Zu diesem Urteil ist zu bemerken: Die Entscheidung des BFH erscheint logisch, allerdings nur deshalb, weil § 32 Abs. 4 EStG von einem weitem Begriff des "Lebensunterhalts" ausgeht bzw. von "Lebenshaltungskosten", in denen die behinderungsbedingten Mehraufwendungen mit enthalten sind. Das Urteil führt zu einem praxisgerechten Ergebnis.

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9.1.4 Blindengeld und Leistungen der Sozialhilfe

Im Mittelpunkt der Sozialhilfeleistungen steht die Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII, die gemäß §§ 41 ff. SGB XII auch in der besonderen Form der "Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung" gewährt werden kann. Diese Grundsicherung erhalten auf Antrag Personen ab 65 Jahre (bzw. ab dem künftigen Zugangsalter für die Regelaltersrente) und Personen ab 18 Jahre, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Erwerbsfähige Personen zwischen dem vollendeten 15. und dem 65. Lebensjahr (bzw. dem künftigen Zugangsalter für die Regelaltersrente) erhalten keine Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern die Leistungen bei Arbeitslosigkeit (dazu vgl. oben 9.1.2 Berücksichtigung des Blindengeldes beim Arbeitslosengeld II). Weitere wichtige Leistungen der Sozialhilfe sind die Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII und die nach § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfeverordnung), die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) und die Blindenhilfe (§ 72 SGB XII).

Für die Auswirkung der Blindenhilfe auf andere Sozialhilfeleistungen ist maßgebend, dass nach § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII andere Leistungen nach dem SGB XII jeweils nicht zum Einkommen gehören. Für das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen ist zu beachten, dass nach § 83 Abs. 1 SGB XII Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Zum Einkommensbegriff vgl. auch 6.5.3.1.1.

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9.1.4.1 Blindengeld und Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII scheidet schon nach § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII als zu berücksichtigendes Einkommen aus, weil es sich um eine Sozialhilfeleistung nach dem SGB XII handelt. Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen zählt wegen des unterschiedlichen Zweckes nach § 83 SGB XII bei der Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) und bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) nicht zum Einkommen.

Allerdings enthält § 72 Abs. 4 SGB XII als Lex Spezialis Ausschlussregelungen für bestimmte Sozialhilfeleistungen. Diese gelten nach § 72 Abs. 4 S. 3 nicht nur für die Blindenhilfe, sondern auch für andere gleichartige Leistungen, also auch für die Landesblindengeldgesetze. Betroffen werden der Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2, die Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 und 63 außerhalb von stationären Einrichtungen und der Barbetrag (§ 27b Abs.2 SGB XII). Im Einzelnen:

Nach § 30 SGB XII wird bei der Hilfe zum Lebensunterhalt aus den dort genannten Gründen ein Mehrbedarf anerkannt. Der Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII, welcher bei voll Erwerbsgeminderten Personen unter 65 Jahren in Höhe von 17 v. H. des Regelsatzes anerkannt wird, ist gemäß § 72 Abs. 4 S. 2 SGB XII nur zu zahlen, wenn der Blinde nicht allein wegen Blindheit, sondern noch aus anderen Gründen voll erwerbsgemindert ist. Die übrigen in § 30 SGB XII zugestandenen Mehrbedarfszuschläge bleiben bestehen.

Nach § 72 Abs. 4 S. 1 SGB XII wird neben der Blindenhilfe Hilfe zur Pflege wegen Blindheit (§§ 61 und 63) außerhalb von stationären Einrichtungen nicht gewährt (vgl. dazu im Einzelnen Kapitel 7.3.2.9 insbesondere 7.3.2.10).

Nach § 72 Abs. 4 S. 1 SGB XII wird ferner neben der Blindenhilfe ein Barbetrag (§ 27b Abs. 2 SGB XII) nicht gewährt. § 27b SGB XII hat den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen zum Gegenstand. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst danach auch Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung d. h. zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse. Der Ausschluss dieses Barbetrages hat seinen Grund darin, dass die Blindenhilfe bzw. das Blindengeld auch der Befriedigung dieser persönlichen Bedürfnisse dient.

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9.1.4.2 Blindengeld und Eingliederungshilfe

Anspruch auf Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII haben Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind (§ 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Die Leistungen können nach § 54 Abs. 1 SGB XII und den dortigen Verweisungen u.a. bestehen in Rehabilitationsmaßnahmen (wenn kein anderer Träger zuständig ist), in Hilfen zur Schulbildung, in Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten und in der Versorgung mit notwendigen Hilfsmitteln.

Wenn Maßnahmen der Eingliederungshilfe in einer stationären Einrichtung durchgeführt werden, wirkt sich das auf das Blindengeld aus. Dieses wird gekürzt oder der Anspruch ist ausgeschlossen (vgl. 7.3.5 Berücksichtigung von Leistungen bei vollstationärer Betreuung). Hier ist nun die Frage, ob das Blindengeld oder die Blindenhilfe darüber hinaus Auswirkungen auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, indem der Blinde auf den Einsatz des Blindengeldes verwiesen werden kann.

Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII scheidet als Einkommen, welches zu berücksichtigen wäre, schon nach § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII aus; denn es handelt sich sowohl bei der Blindenhilfe als auch bei der Eingliederungshilfe um Leistungen nach dem SGB XII (vgl. Haufe, Onlinekommentar RZ. 8 zu § 83 SGB XII und BVerwG, Urteil vom 05.11.1969, V C 43.69. BVerwGE Band 34 S. 164, 166).

Für das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen kommt es auf die nach § 83 SGB XII geforderte Zweckidentität an. Daraus folgt, dass das Landesblindengeld bei der Eingliederungshilfe nur dann und soweit als Einkommen berücksichtigt werden darf, d. h. eingesetzt werden muss, als Zweckidentität besteht.

Werden z. B. vom Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfe zur Schulbildung (§ 54 Abs. 1 Nr. 1) die Kosten für einen Schulhelfer übernommen oder erfolgt im Zusammenhang mit der Schulbildung die Ausstattung mit einem Hilfsmittel im Sinn von § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX z. B. mit einer Blindenschriftschreibmaschine oder Blindenschriftbogenmaschine (§ 9 Eingliederungshilfeverordnung), dürfte es an der Zweckidentität fehlen, weil das Blindengeld nicht zum Zweck der Schulbildung gewährt wird. Die Kosten sind also vom Sozialhilfeträger voll zu übernehmen, wobei Hilfsmittel in der Regel leihweise zur Verfügung gestellt werden.

Für die Eingliederungshilfe beim Studium an einer Hochschule (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) ist auf die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS), für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zum Besuch einer Hochschule (Stand: 24.05.2006) hinzuweisen. In den Punkten 5.4 ff. werden die Leistungen für blinde Studierende behandelt. Nach Nr. 5.4.1.4.1 wird die Notwendigkeit des Einsatzes von Vorlesekräften für Blinde

grundsätzlich anerkannt. Wenn Studierende Blindengeld erhalten, sind die ermittelten Kosten für Vorlesekräfte nach Nr. 5.4.1.4.2 der Empfehlungen um 1/3 zu kürzen, soweit dieser Betrag 20 v. H. des Blindengeldes nicht übersteigt. Wenn für das Vorlesegeld z. B. 300,00 Euro anzusetzen wären, dürfte das Blindengeld höchstens mit 100,00 Euro angerechnet werden. Dieser Betrag käme aber nur zur Anrechnung, wenn das Blindengeld mindestens 500,00 Euro betrüge. Wenn das Blindengeld z. B. nur 240,00 Euro monatlich beträgt, darf das Vorlesegeld höchstens um 48,00 und nicht um 100,00 Euro gekürzt werden. Diese Empfehlungen der BAGüS haben, worauf im Vorwort zutreffenderweise hingewiesen wird, keinen verbindlichen Richtliniencharakter. Es handelt sich hierbei lediglich um Hilfestellungen für die Sachbearbeitung der überörtlichen Träger der Sozialhilfe bei der Entscheidung über Leistungen. Das Individualisierungsgebot der Sozialhilfe nach § 9 Abs. 1 SGB XII bleibt unberührt. Je nach Lage des Einzelfalls ist also auch eine andere Entscheidung möglich.

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9.1.5 Berücksichtigung des Blindengeldes bei der Festsetzung von Krankenkassenbeiträgen

Die Frage ist, inwieweit das Blindengeld bei der Festsetzung von Krankenkassenbeiträgen für freiwillig Versicherte als beitragspflichtige Einnahme nach § 240 SGB V berücksichtigt werden darf, wie dies bis zum 31.12.2008 von einigen Krankenkassen vertreten wurde und gegenwärtig vom nunmehr seit 01.01.2009 zuständigen Spitzenverband Bund der Krankenkassen vertreten wird.

Die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder wird nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V seit dem 01.01.2009 einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitgliedes berücksichtigt (§ 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Das Gesetz überlässt damit für freiwillige Mitglieder die Bestimmung der in der Krankenversicherung beitragspflichtigen Einnahmen grundsätzlich der Bestimmung durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (früher der Satzung der Krankenkassen vgl. BSG, Urt. v. 19.12.2000 - B 12 KR 1/00 R.)

Der Spitzenverband Bund hat am 27.10.2008 in der Form von Richtlinien einheitliche Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) beschlossen. Die Grundsätze beschreiben nicht im Einzelnen, sondern in den §§ 3 und 4 in allgemeiner, generalklauselartiger Form, welche Einnahmen zur Beitragsbemessung heranzuziehen sind. Die bisher maßgebliche Rechtsprechung ist dabei weiterhin zu beachten (Haufe Onlinekommentar RZ. 4 zu § 240 SGB V).

Eine rein pauschale Zurechnung des Blindengeldes oder der Blindenhilfe zu den berücksichtigungsfähigen beitragspflichtigen Einnahmen durch die Satzung einer gesetzlichen Krankenkasse war nicht rechtens (SG. Lübeck Urteil vom 20.12.2007 AZ.: S 14 KR 466/07). Sie ist auch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Begriff der "gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" nicht vereinbar.

Diese Rechtsprechung wird im Urteil des BSG vom 24.01.2007 - B 12 KR 28/05 R -, welches zur Grundrente nach § 31 BVG ergangen ist, ausführlich dargestellt. Daraus ergibt sich folgendes:

Zwar findet eine Beschränkung der Beitragspflicht auf bestimmte Einkunftsarten nicht statt, ebenso wenig eine einnahmenmindernde Berücksichtigung des Zwecks der Leistung. Das heißt: Die "gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" wird von den Einnahmen und nicht von der Bedarfssituation des Mitglieds bestimmt. Das BSG hat deshalb "die Beitragsfreiheit auch bei zweckgerichteten Sozialleistungen bislang nur für die Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG (Urteil vom 23.11.1992, 12 RK 29/92, BSGE 71, 237 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 12 S 48) angenommen".

Dieses Zitat ist andererseits aber auch so zu verstehen, dass das BSG weiterhin an der Entscheidung vom 23.11.1992 festhält, und daraus ergibt sich, dass auch noch nach heutiger Sicht die Blindenhilfe nach dem früheren § 67 BSHG, die zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen gehörte, beitragsfrei gestellt werden müsste. Die Konsequenz: Da sich mit der Übernahme der Blindenhilfe-Regelung in § 72 SGB XII am Charakter der Leistung nichts geändert hat, kann für sie im Hinblick auf die Frage der Beitragsfreiheit auch heute nichts anderes gelten. Dasselbe galt und gilt dann aber auch für das Landesblindengeld, das sich von der sozialhilferechtlichen Blindenhilfe nur dadurch unterscheidet, dass es die (allein blindheitsbedingte) Leistungsbedürftigkeit des Leistungsempfängers unabhängig von dessen Einkommen und Vermögen anerkennt.

Weiter führt das BSG im Urteil vom 24.01.2007 aus, dass wegen des weit auszulegenden Begriffs der "gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" das Wohngeld und die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht länger freigestellt werden konnten.

Auch hieraus ergibt sich aber keine andere Bewertung für das Blindengeld. Das Blindengeld ist nicht dem Wohngeld gleichzustellen. Das Wohngeld wird nach § 1 Abs. 1 WoGG "zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnraums als Miet- oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum" geleistet und dient damit der Sicherstellung allgemeiner Grundbedürfnisse. Blindengeld dient hingegen speziell dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und führt nicht zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ebenso wenig kann das Blindengeld der Verletztenrente gleichgestellt werden, die eindeutig eine Einkommensersatzfunktion hat. Diese hat das Blindengeld gerade nicht.

Schließlich bejaht das BSG im Urteil vom 24.01.2007 die Beitragsfreiheit für die Grundrente nach § 31 BVG und führt dafür zwei Gründe an: Erstens sei diese Leistung "insoweit privilegiert, als sie nahezu überall nicht als Einkommen gewertet wird, das zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Insbesondere im Sozialrecht wird sie bei einkommensabhängigen Leistungen nicht berücksichtigt...". Zweitens habe die Grundrente den "wesentlichen Zweck", "einen ideellen Ausgleich zu schaffen für ein vom Einzelnen erbrachtes gesundheitliches Opfer, für das die staatliche Gemeinschaft verantwortlich ist."

Das Blindengeld ist zwar keine der Grundrente nach § 31 BVG gleichzusetzende Leistung. Gleichzusetzen ist es aber mit der Pflegezulage nach § 35 BVG, soweit diese gemäß § 35 Abs. 1 Satz 5 BVG typisierend den Blinden gewährt wird. Die Pflegezulage ist unbestritten als "gleichartige Leistung" auf das Blindengeld anzurechnen; es gab sogar vorübergehend Zeiten, in denen die Höhe des Blindengeldes an § 35 BVG gekoppelt war. Dass es bisher noch kein BSG-Urteil zur Beitragsfreistellung der Pflegezulage gibt, braucht nicht zu verwundern: Der Gedanke, dass die Pflegezulage die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versorgungsberechtigten erhöht, wäre absurd. Dass das BSG hingegen über die Grundrente entscheiden musste, liegt in der Besonderheit dieser Leistung begründet, dass sie wesentlich einem ideellen Ausgleich dient und deshalb "privilegiert" ist. Das Blindengeld kann ein vergleichbares "Privileg" zwar nicht für sich in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber hat jedoch im Interesse der Blindengeldempfänger, die über die Leistung frei verfügen können und frei verfügen sollen, besondere Sicherungen zum Schutz der Leistung vor Zugriffen Dritter geschaffen:

Für das Blindengeld gilt - ebenso wie für die Grundrente und für die Pflegezulage -, dass es im Sozialrecht bei einkommensabhängigen Leistungen nirgendwo als Einkommen berücksichtigt wird. Kann der Blindengeldempfänger über das Blindengeld ganz oder teilweise nicht mehr bestimmungsgemäß verfügen, so kann der Leistungsträger (so ist es in einigen Landesblindengeldgesetzen geregelt) die Leistung entsprechend kürzen. Allgemein aber gelten für das Blindengeld besondere Abtretungs- und Verpfändungsverbote (in allen Landesblindengeldgesetzen enthalten) und die Regelung in § 850a Nr. 8 ZPO. Diese Schutzbestimmungen erstrecken sich nach der Rechtsprechung auch auf den "mittelbaren" Zugriff auf das Blindengeld (wenn z.B. Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze mit dem Hinweis auf den Blindengeldbezug gepfändet werden soll). Der Blindengeldempfänger kann demnach auch nicht darauf verwiesen werden, er könne ja die wegen des Blindengeldbezugs erhöhten Krankenversicherungsbeiträge gegebenenfalls auch aus seiner Rente bezahlen. In diesem Falle würde der Betreffende als Blindengeldempfänger und somit als Blinder gegenüber dem nicht blinden Versicherten benachteiligt. Dies aber wäre ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und in § 33c SGB I.

Einnahmen, die einen besonderen schädigungs- oder behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken sollen, gehören nicht zu den beitragspflichtigen Einnahmen (Haufe Onlinekommentar RZ. 28 zu § 240 SGB V). Das muss entgegen der vom Sozialgericht Köln in seinem Urteil vom 01.04.2009 AZ.: S 9 KR 327/08 auch für die seit 01.01.2009 geänderte Rechtslage gelten. Das Gericht übersieht, dass der Gesetzgeber mit der Verlagerung der Regelungszuständigkeit auf den GKV-Bundesverband den Regelungsrahmen nicht ausweiten wollte.

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9.2 Die Berücksichtigung des Blindengeldes im Steuerrecht

Für den Steuerbegriff findet sich in § 3 Abs. 1 AO eine Legaldefinition: Danach sind Steuern Geldleistungen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.

Das Steuerrecht dient zwar in erster Linie dazu, dem Staat und den sonst zur Erhebung von Steuern berechtigten öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel zu beschaffen. Daneben können Steuern auch sonstigen Zielen, wie z. B. der Umsetzung wirtschafts-, sozial- oder ordnungspolitischer Vorstellungen dienen. Der Gedanke gerechten Ausgleichs spielt im Steuerrecht eine nicht unerhebliche Rolle. Vgl. auch Heft 01, 4.2.2 Steuerrecht sowie zu Steuervergünstigungen, welche dem Ausgleich behinderungsbedingter Belastungen dienen, Heft 07 dieser Schriftenreihe.

Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen und die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII werden gemäß § 3 Nr. 11 EStG deshalb nicht zu den steuerpflichtigen Einkünften gezählt. Es wird also bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt und braucht in der Steuererklärung auch nicht angegeben zu werden.

Zu beachten ist, dass die Behindertenpauschale nach § 33a EStG und die Regelung zur Absetzbarkeit behinderungsbedingter Fahrkosten unabhängig vom Bezug des Blindengeldes anzuwenden sind. Werden jedoch individuell blindheitsbedingte Mehrausgaben im Rahmen des § 33 EStG (außergewöhnliche Belastungen) geltend gemacht, so muss sich der Steuerpflichtige das Blindengeld auf den vorgetragenen Belastungsaufwand anrechnen lassen.

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9.3 Die Berücksichtigung des Blindengeldes im Unterhaltsrecht

Die Frage ist, inwieweit das Blindengeld, das eine Sozialleistung ist, im Unterhaltsrecht als Einkommen behandelt wird und damit für Unterhaltsleistungen zur Verfügung steht.

Im Unterschied zum Sozialrecht wird im zivilen Unterhaltsrecht das Blindengeld als Einkommen angesehen. Das heißt: Nach Auffassung der Zivilgerichte gehört das Blindengeld zu den Einkünften, die grundsätzlich für den eigenen oder fremden Unterhalt zur Verfügung zu stehen haben.

Auslöser dieser Rechtsprechung war ein Urteil des BGH (BGH Urteil vom 21.01.1981 - FamRZ, 1981, S. 338), das die Grundrente nach § 31 BVG betraf und worin der Grundsatz aufgestellt wurde, dass Sozialleistungen trotz ihrer Zweckbestimmung nicht davon ausgeschlossen seien, zur Deckung des privaten Unterhaltsrechts mit herangezogen zu werden. Zwar seien die für den behinderungsbedingten Mehraufwand erforderlichen Mittel dem Beschädigten zu belassen, jedoch trage der Betreffende die Beweislast dafür, ob und in welchem Umfang solche Mittel erforderlich seien. Folge dieser Rechtsprechung war, dass die betroffenen Sozialleistungsempfänger regelmäßig in Beweisnot gerieten und letztlich dazu gezwungen wurden, einen Teil der Sozialleistung zweckwidrig für den (eigenen oder fremden) Unterhalt einzusetzen. Die Verbände der Blindenselbsthilfe forderten deshalb jahrelang eine gesetzliche Regelung, die diese Folgen verhindern sollten. Schließlich wurde gegen den harten Widerstand der Richterschaft mit Gesetz vom 15.01.1991 (BGBl. I, S. 46) der § 1610a ins BGB eingefügt.

Diese Regelung ist ein Kompromiss: Die von ihm erfassten Sozialleistungen zählen zwar zum unterhaltspflichtigen Einkommen. § 1610a BGB spricht aber die gesetzliche Vermutung aus, dass die Kosten der Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens nicht geringer sind, als die Höhe der hierfür geleisteten Sozialleistungen. Aufgrund der Verweisungen in §§ 1361 und 1571 BGB sowie § 12 Abs. 3 S. 2 Lebenspartnerschaftsgesetz gilt diese Vermutung für das gesamte Unterhaltsrecht. Es handelt sich um eine Beweislastregelung, die zu einer Umkehrung der Beweislast führt. Körperlich und gesundheitlich Beschädigten soll die Beweislast dafür abgenommen werden, dass die empfangenen Sozialleistungen tatsächlich zur Deckung des konkreten schadensbedingten Mehraufwandes erforderlich sind und benutzt werden (Palandt RN. 1 zu § 1610a BGB). Zu den von § 1610a BGB erfassten Sozialleistungen gehört wegen seiner Zweckbestimmung auch das Blindengeld (Palandt RN. 3 zu § 1610a BGB). § 1610a BGB gilt dagegen nicht für Sozialleistungen, die Lohnersatzcharakter haben (Palandt RN. 4).

§ 1610a BGB gilt für den Unterhaltsberechtigten wie für den Unterhaltsverpflichteten, wirkt sich also ggf. bedürftigkeitserhöhend wie leistungsfähigkeitsmindernd aus.

Bei Unterhaltsansprüchen minderjähriger unverheirateter Kinder oder von Kindern bis zum vollendeten 21. Lebensjahr, solange diese noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, ist allerdings § 1603 Abs. 2 BGB zu beachten. Danach sind ihnen gegenüber die Eltern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und dem Unterhalt dieser Kinder gleichmäßig zu verwenden. Daraus ergibt sich, dass in solchen Fällen § 1610a BGB nur eine sehr eingeschränkte Wirkung hat (vgl. Palandt RN 2 zu § 1610a BGB). Das OLG Hamm hat im Urteil vom 14.12.1998 - Az. 8 UF 274/98 - festgestellt: "Bezieht ein auf Kindesunterhalt in Anspruch genommener Verpflichteter Pflegegeld und wird dieses nicht für eine Fremdbetreuung eingesetzt und damit nicht bestimmungsgemäß verwendet, ist die Vermutung des BGB § 1610a widerlegt und das Pflegegeld ist als unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähiges Einkommen des Verpflichteten zu behandeln.". Diese Einschränkung kann allerdings für das Blindengeld nicht gelten, da dessen Zweckbestimmung weiter ist als die Zweckbestimmung des Pflegegeldes nach den §§ 36 ff. SGB XI.

Die Beweisumkehrung des § 1610a BGB hat zur Folge, dass nicht der Sozialleistungsberechtigte die Erforderlichkeit und die Verwendung für den behinderungsbedingten Bedarf beweisen muss, sondern dass derjenige, der Unterhaltsansprüche geltend macht, die Vermutung zu widerlegen hat. Allerdings haben die Zivilgerichte diese Norm insoweit aufgeweicht, als sie verlangen, dass bei einer Beweisaufnahme zuerst der Blindengeldempfänger über seine behinderungsbedingten Ausgaben Auskunft zu geben hat. Die Gegenseite hat dann den Beweis dafür anzutreten, dass das nicht zutrifft. Dem Prozessgegner des Behinderten obliegt es dabei, im Unterhaltsrechtsstreit substanziiert, also nicht nur pauschal, sondern durch den Vortrag genügender Tatsachen, darzulegen, dass die Sozialleistung den tatsächlichen behinderungsbedingten Mehraufwand übersteigt. Außerdem hat er dafür dann den Beweis zu führen. Trägt der Gegner nichts oder unsubstanziiert vor, bleibt seine Einlassung unberücksichtigt (Palandt RN. 5 zu § 1610a BGB; Drerup: ZfSH/SGB 1991, S. 345).

Bedenklich ist die allerdings in der Literatur und Rechtsprechung herrschende Meinung, dass sich der Gegner des Behinderten dafür, dass die Sozialleistung über dem behinderungsbedingten Mehrbedarf liegt, im Rahmen des Negativbeweises auf allgemeine Erfahrungswerte berufen kann. Wenn sich der Prozessgegner auf einen allgemeinen Erfahrungssatz stützt, wonach die Sozialleistung höher sei, als der behinderungsbedingte Mehraufwand, sei es nach dieser Auffassung Sache des Behinderten, seine Mehraufwendungen konkret darzulegen, weil nur er dazu in der Lage sei (vgl. Palandt RN 5 zu § 1610a mit weiteren Nachweisen). Das führt praktisch zu einer Umkehrung der vom Gesetzgeber gewollten Umkehrung der Beweislast. Vgl. dazu Drerup NJW 91, S. 683. Die gesetzliche Vermutung des § 1610a BGB kann jedoch nach der Rechtsprechung nur durch den Nachweis entkräftet werden, dass mit den Sozialleistungen entweder der allgemeine Konsum oder eine Vermögensbildung finanziert wird (Urteil des OLG Koblenz vom 7. April 2005, Az.: 7 UF 999/04 - FamRZ 2005, 1482-1483; OLG Hamm OLGR 1999, 313).

Häufig wird nach einer Trennung oder Scheidung im Unterhaltsstreit vorgetragen, dass das Blindengeld während der Ehe nicht vollständig für blindheitsbedingte Aufwendungen verwendet worden ist und sich daraus ergebe, dass es nicht vollständig für den blindheitsbedingten Mehrbedarf benötigt werde. Daraus kann ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach die blindheitsbedingten Mehraufwendungen für den Betroffenen niedriger lägen als das Blindengeld, nicht hergeleitet werden. Gerade infolge der Trennung ist die Situation so verändert, dass sich häufig auch die blindheitsbedingten Bedürfnisse erhöhen. So sind z. B. Hilfskräfte für die Haushaltsführung, zum Vorlesen oder für Begleitung bei Spaziergängen, Reisen, Arzt- oder Behördenbesuchen notwendig, während vorher diese Hilfe vom Ehe- oder Lebenspartner geleistet worden ist.

Soweit der Gegenbeweis gelingt, sind die Sozialleistungen bei der Feststellung des Unterhaltsanspruches anzurechnen.

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9.4 Berücksichtigung des Blindengeldes bei der Prozesskostenhilfe

Nach § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Sie kommt in Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichten in Betracht, wenn eine Person als Kläger oder Beklagter nicht in der Lage ist, die Anwalts- und Gerichtskosten für den Prozess aufzubringen.

Die Prozesskostenhilfe muss gemäß § 117 Abs. 1 ZPO beim jeweils zuständigen Gericht beantragt werden. Neben der Bedürftigkeit, die nach § 117 Abs. 2 ZPO anhand einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu belegen ist, werden auch die Erfolgsaussichten des zu führenden Prozesses einer summarischen gerichtlichen Vorprüfung unterzogen, denn die PKH wird nur bei hinreichenden Erfolgsaussichten gewährt. Ferner darf die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheinen, das heißt, es muss sich um ein Verfahren handeln, das eine nicht bedürftige, verständige Partei in gleicher Weise führen würde.

Im Falle der erfolgten Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden die Gerichtskosten sowie die Gebühren des eigenen Rechtsanwaltes durch die Staatskasse getragen (§ 122 ZPO). Bei sehr geringem Einkommen wird PKH als Zuschuss gewährt. Ansonsten muss die Prozesskostenhilfe in maximal vier Jahre lang zu zahlenden Raten zurückgezahlt werden. Die Prozesskostenhilfe deckt nur die Gerichtskosten und die Gebühren des eigenen Anwalts der Partei ab. Unterliegt die Partei im Prozess, muss sie die gegnerischen Rechtsanwalts- und ggf. Gerichtskosten im gleichen Umfang erstatten wie dies auch bei nicht bedürftigen Parteien der Fall ist (§ 123 ZPO).

Die Prozesskostenhilfe ist vom Einkommen und Vermögen abhängig. Inwieweit das Einkommen und Vermögen eingesetzt werden muss, ist in § 115 ZPO geregelt. Prozesskostenhilfe erhält, wem von seinem Einkommen nach Abzug von Steuern, Vorsorgeaufwendungen, Werbungskosten, angemessenen Wohn- und Heizkosten und Freibeträgen nicht mehr als 15,00 Euro verbleiben. Die Freibeträge sind so bemessen, dass durchaus bei mittlerem Einkommen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann.

An sich gelten auch Sozialleistungen als Einkommen. In § 115 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wird jedoch auf die Regelung im Unterhaltsrecht (§ 1610a BGB) verwiesen, wonach vermutet wird, dass zweckbestimmte Sozialleistungen für den der Zweckbestimmung entsprechenden Mehrbedarf benötigt und eingesetzt werden. Praktisch bedeutet dies, dass bei der Prozesskostenhilfe das Blindengeld regelmäßig nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Ergänzend wird auf die obigen Ausführungen unter 9.3 zum Unterhaltsrecht verwiesen.

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10. Zugriff Dritter auf das Blindengeld

Aus dem Zweck des Blindengeldes, blindheitsbedingte Mehraufwendungen und Nachteile auszugleichen, und damit die Eingliederung in die Gesellschaft zu sichern sowie ein Leben in Würde zu ermöglichen, ergibt sich, dass diese Leistungen einen höchstpersönlichen Charakter haben (vgl. Kapitel 4. Die Zweckbestimmung des Blindengeldes). Daraus folgen Konsequenzen für die Frage der Vererblichkeit (dazu 10.1) sowie der Unzulässigkeit der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung (dazu 10.2). Im Zusammenhang damit steht auch die Frage, inwieweit ein Zugriff durch Gläubiger auf angespartes oder nachgezahltes Blindengeld besteht (10.3).

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10.1 Regelungen für den Todesfall - Vererblichkeit

Im Todesfall eines Blinden erhebt sich die Frage, ob der Blindengeldanspruch vererblich ist bzw. ob eine Sonderrechtsnachfolge eintritt. Weiter ist zu fragen, inwieweit es darauf ankommt, ob das Verwaltungsverfahren bereits eingeleitet worden ist, ob über den Antrag bereits entschieden worden ist, ob die Leistung ausbezahlt wurde oder nicht.

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10.1.1 Regelungen in den Landesgesetzen

Der bestehende Anspruch auf Blindengeld entfällt mit dem Tod des Berechtigten. Dies folgt aus dem Zweck des Blindengeldes, die blindheitsbedingten Mehraufwendungen auszugleichen. Der Blindengeldanspruch endet mit Ablauf des Sterbemonats (vgl. dazu 8.1 Ende des Leistungsanspruchs nach den Landesgesetzen). Bereits ausbezahltes aber noch nicht verbrauchtes Blindengeld fällt in die Erbmasse. Im Übrigen gilt folgendes:

Zu unterscheiden sind Landesgesetze, die hinsichtlich der Vererbbarkeit oder Sonderrechtsnachfolge keinerlei Bestimmungen und solchen, die ausdrückliche Regelungen enthalten.

Keine Bestimmungen sind in sieben Landesgesetzen, nämlich in den Landesgesetzen von Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen- Anhalt und Schleswig-Holstein, enthalten. In diesen Landesgesetzen sind das SGB I und das SGB X für anwendbar erklärt (Bayern Art. 7 Abs. 1; Nordrhein-Westfalen § 7; Rheinland-Pfalz § 9; Saarland § 8 Abs. 2; Sachsen-Anhalt § 6 Abs. 2; Schleswig-Holstein § 10 Abs. 2).

Die Rechtsnachfolge richtet sich damit nach §§ 56 ff. SGB I. Das bedeutet:

  • War der Anspruch noch nicht geltend gemacht, also das Verwaltungsverfahren noch nicht eingeleitet (§18 S. 2 Nr. 1 SGB X), so erlischt der Anspruch mit dem Tod. Weder eine Sonderrechtsnachfolge (§ 56 SGB I) noch eine Erbfolge (§ 58 SGB I) können eintreten.
  • Wurde vor dem Tod des Blinden bereits das Verwaltungsverfahren durch den Antrag eingeleitet oder ist ein Rechtsstreit anhängig, erlischt der Anspruch auf Blindengeld für den Zeitraum zwischen Antragstellung und Tod nicht (§ 59 Satz 2 SGB I). Er geht dann auf den Sonderrechtsnachfolger (§ 56 SGB I) oder die Erben (§ 58 SGB I) über. Zahlungen sind an sie zu leisten; der Anspruch kann, wenn er abgelehnt wird, im Widerspruchs- und Klageverfahren von ihnen weiterverfolgt werden.

Beispiel: A. ist blind, er hat am 15.01.2008 den Antrag auf Blindengeld gestellt. Er ist am 15.03.2008 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war über den Anspruch noch nicht entschieden. Der Anspruch besteht für die Zeit vom 01.01. 2008 bis 31.03.2008, also für drei Monate. Der Anspruch geht auf den Sonderrechtsnachfolger (§ 56 SGB I), oder wenn ein Sonderrechtsnachfolger nicht vorhanden ist, auf die Erben (§ 58 SGB I) über. Sonderrechtsnachfolger sind nach § 56 Abs. 1 in folgender Reihenfolge: 1. der Ehegatte oder Lebenspartner 2. Kinder, 3. Eltern, 4. Haushaltsführer im Sinn von § 56 Abs. 4, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Mehreren Personen einer Gruppe stehen die Ansprüche zu gleichen Teilen zu (§ 56 1 S. 2 SGB I). Wer als Kind oder Eltern im Sinn dieser Bestimmung gilt, ist in § 56 Abs. 2 und 3 geregelt. Ist kein Sonderrechtsnachfolger vorhanden bzw. haben sämtliche Sonderrechtsnachfolger verzichtet, erfolgt die Vererbung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 58 S. 1 SGB I). Die gesetzliche Erbfolge richtet sich nach §§ 1922 ff. BGB, die gewillkürte Erbfolge nach den §§ 1937, 1941 BGB.

Die übrigen Landesblindengeldgesetze enthalten Sonderregelungen zur Vererblichkeit des Blindengeldanspruches (Baden-Württemberg § 4 S. 2, Berlin § 7 S. 1, Brandenburg § 8 Abs. 3 S. 1, Bremen § 7 Abs. 5, Hamburg § 4 S. 2, Hessen § 7 S. 2, Niedersachsen § 4 S. 2, Sachsen § 6 Abs. 2 S. 2 und Thüringen § 6 Abs. 2).

Bereits ausbezahltes Blindengeld für den Zeitraum bis zum Ende des Sterbemonats wird von diesen Bestimmungen nicht betroffen.

In diesen Gesetzen wird bestimmt, dass der Anspruch nicht vererblich ist oder - wie es in den Gesetzen von Berlin (§ 7 S. 1) Brandenburg (§ 8 Abs. 3 S. 1) und Bremen (§ 7 Abs. 5) heißt, beim Tode des Berechtigten erlischt. Diese speziellen Regelungen in den Blindengeldgesetzen gehen nach § 37 SGB I den allgemeinen Regeln der §§ 56 bis 59 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil über die Rechtsnachfolge bei Ansprüchen auf Sozialleistungen vor (Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.02.1991 - Az.: 9 UE 1589/87). Wegen der Nichtvererblichkeit kann von den Erben der Blindengeldanspruch auch dann nicht geltend gemacht werden, wenn das Verwaltungsverfahren durch den Antrag in Gang gekommen ist (§ 22 der Landesverwaltungsverfahrensgesetze für Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen bzw. § 18 SGB X für die übrigen Länder) bzw. wenn zwar über den Antrag entschieden worden, das Blindengeld aber noch nicht ausbezahlt worden ist. Das gilt selbst dann, wenn über den Blindengeldanspruch zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Rechtsstreit bei Gericht anhängig war (Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.02.1991 - Az.: 9 UE 1589/87).

Lediglich wenn infolge von Säumnis noch nicht entschieden bzw. nicht ausbezahlt worden ist, kommt ein Anspruch der Erben in Betracht. Säumigkeit liegt vor, wenn die Behörde innerhalb von drei Monaten über einen Antrag nicht entschieden hat und dem Antragsteller selbst fehlende Mitwirkung bei der Vorbereitung der Entscheidung nicht vorgehalten werden kann (Urteil des OVG Hamburg vom 19. 10. 1984 - BF I 81/82 = ZfSH/SGB 1985, S. 474).

Im Berliner Landespflegegeldgesetz (§ 7 S. 2) und im Pflegegeldgesetz von Brandenburg (§ 8 Abs. 3 S. 2) sind Bestimmungen für eine Sonderrechtsnachfolge getroffen worden. Diese gehen als Spezialnormen (§ 37 SGB I) dem § 56 SGB I vor.

§ 7 Abs. 1 S. 2 des Berliner Landespflegegeldgesetzes bestimmt:

"In Höhe des nicht ausgezahlten Pflegegeldes wird dem überlebenden Ehegatten oder dem Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 16. Februar 2001 (BGBl. I S. 266), geändert durch Artikel XI des Gesetzes vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3513), den Kindern, den Eltern oder den Geschwistern für den Zeitraum Pflegegeld gewährt, in dem sie den Berechtigten überwiegend allein gepflegt haben; sind die Kosten der Pflege ganz oder teilweise übernommen worden, so wird Pflegegeld in Höhe der übernommenen Kosten, höchstens jedoch in Höhe des nicht ausgezahlten Betrages gewährt. Unter den gleichen Voraussetzungen ist auch anderen Personen das Pflegegeld zu gewähren, wenn ein Bezugsberechtigter im Sinne des S. 2 nicht vorhanden ist."

§ 8 Abs. 3 S. 2 des Pflegegeldgesetzes von Brandenburg bestimmt:

"Wurde das Pflegegeld vor dem Tode des Berechtigten festgestellt, aber noch nicht ausgezahlt, oder hätte der Anspruch bei rechtzeitiger Bearbeitung vor dem Tode des Berechtigten festgestellt werden müssen, so steht das Pflegegeld den Angehörigen des Berechtigten zu, welche ihn bis zu seinem Tode unentgeltlich gepflegt oder die Kosten seiner Pflege getragen haben. Ist ein Angehöriger im Sinne des S. 2 nicht vorhanden, kann das Pflegegeld auch anderen Personen unter den gleichen Voraussetzungen übertragen werden, wenn dies der Billigkeit entspricht."

In ergänzender Auslegung wird man hier für die Reihenfolge der Angehörigen § 56 SGB I heranziehen können. § 8 Abs. 3 S. 3 enthält eine Ermessensentscheidung. Aus § 8 Abs. 3 ergibt sich, dass für den Fall, dass eine Sonderrechtsnachfolge nicht stattfindet, die Erbfolge nach § 58 SGB I nicht eintritt,

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10.1.2 Regelung bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII

Für bereits ausbezahlte Blindenhilfe nach § 72 SGB XII gilt, wie beim Landesblindengeld, dass dieses in die Erbmasse fällt.

Für die Rechtsnachfolge hinsichtlich des Anspruchs auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII gelten gemäß § 37 SGB I die §§ 56 ff. SGB I, soweit keine Spezialregelungen eingreifen. Nach § 59 S. 2 SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen nur wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind, noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Daraus folgt, dass, wenn über den Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ein Verwaltungsverfahren nicht anhängig war, obwohl Blindheit vorlag, der Anspruch erlischt.

Aber auch wenn bereits ein Verwaltungsverfahren anhängig war, aber der Anspruch bis zum Tod des Anspruchsberechtigten noch nicht zuerkannt war, tritt keine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I oder Erbfolge nach § 58 SGB I ein; denn der Vorbehalt des § 37 SGB I erfasst nicht nur Abweichungen, die sich aus einer ausdrücklichen Regelung ergeben, sondern auch solche Abweichungen, die nach den geltenden Strukturprinzipien eines Sozialleistungsbereiches zwingend sind (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.05.1979 - V C 79.77 = BVerwGE, Bd. 58, S. 68 - ergangen zur Pflegehilfe in Form des Pflegegeldes nach § 69 BSHG). Die Blindenhilfe wird als pauschalierte Geldleistung erbracht, hat aber dennoch nicht den Charakter einer rentengleichen Dauerleistung, sondern ist Hilfe zur Überwindung einer konkreten Notsituation (BVerwG, Urteil v. 15.11.1967, V C 71.67, FEVS 15 S. 361). Aus diesem Grund sind Ansprüche aus § 72 SGB XII grundsätzlich nicht vererblich, wenn sie bis zum Tode des Leistungsberechtigten noch nicht zugesprochen und die Gewährung von Blindenhilfe nicht wegen eines säumigen Verhaltens der Sozialhilfebehörde unterblieben ist (Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RN 3 zu § 72; BVerwG, Urteil v. 31.08.1966, V C 162.65, FEVS 14 S. 92; OVG Hamburg, ZfSH/SGB 1985 S. 474).

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10.2 Abtretung, Verpfändung oder Pfändung

Der höchstpersönliche Charakter des Blindengeldes wirkt sich auch bei der Frage aus, inwieweit ein Gläubigerwechsel durch Abtretung des Anspruches (§§ 398 ff. BGB), eine Verpfändung zur Sicherung einer Forderung eines Dritten gegen den Leistungsberechtigten (§§ 1273 ff. i.V.m. §§ 1204 ff. BGB) oder gar der Zugriff eines Gläubigers des Anspruchsberechtigten im Wege der Pfändung zur Befriedigung aus einem vollstreckbaren Titel (§§ 704, 794, 829 ZPO) zulässig sind. Regelungen enthält das SGB I Sozialgesetzbuch allgemeiner Teil in den §§ 53 bis 55. Diese Bestimmungen greifen ein, soweit keine Sonderregelungen bestehen (§ 37 SGB I).

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10.2.1 Sonderregelungen über die Abtretung, Verpfändung oder Pfändung in Blindengeldgesetzen

13 Landesgesetze enthalten ausdrückliche Bestimmungen, wonach die Übertragung, Verpfändung oder Pfändung unzulässig ist. Es sind das:

  • Baden-Württemberg: § 4 S. 1;
  • Berlin: § 6 Abs. 1;
  • Brandenburg: § 1 S. 2;
  • Bremen § 3;
  • Hamburg: § 4 S. 1;
  • Hessen: § 7 S. 1;
  • Niedersachsen: § 4 S. 1;
  • Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. 5;
  • Saarland: § 2;
  • Sachsen: § 6 Abs. 2;
  • Sachsen-Anhalt § 4 Abs. 4;
  • Schleswig-Holstein: § 3;
  • Thüringen: § 6 Abs. 1.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ergibt sich das Verbot aus § 17 Abs. 1 S. 2 SGB XII, wonach Ansprüche auf Sozialhilfe nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden können.

Verträge über die Abtretung des Anspruches auf Blindengeld (§ 398 BGB) bzw. über die Verpfändung des Anspruches (§§ 1273 ff. in Verbindung mit §§ 1204 ff. BGB) sind, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, nichtig (§ 134 BGB).

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10.2.2 Blindengeldgesetze ohne Sonderregelungen über die Abtretung, Verpfändung oder Pfändung

Kein Verbot der Übertragbarkeit, Verpfändbarkeit und Pfändbarkeit durch Sonderregelung im Landesgesetz findet sich in den Landesgesetzen von Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. In diesen Gesetzen wird auf das SGB I verwiesen (Bayerisches Blindengeldgesetz: Art. 7 Abs. 1 S. 1; Mecklenburg-Vorpommern Landesblindengeldgesetz § 10 und Nordrhein-Westfalen Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose, § 7). Damit gelten die §§ 53 und 54 SGB I.

Eine Übertragung des Anspruchs auf Blindengeld (Gläubigerwechsel) oder eine Verpfändung desselben ist im Rahmen des § 53 Abs. 2 SGB I zulässig. Das bedeutet, dass ein Darlehen, welches im Wege der Übertragung erfüllt oder durch die Verpfändung gesichert werden soll, als Vorleistung für fällig gewordene Sozialleistungen zur Sicherung einer angemessenen Lebensführung gewährt worden sein muss. Das gleiche gilt für gemachte Aufwendungen des Dritten (§ 53 Abs. 2 Nr. 1). Die Übertragung und Verpfändung ist auch möglich, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass die Übertragung oder Verpfändung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt (§ 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I). In anderen Fällen ist die Abtretung oder Verpfändung des Blindengeldanspruches nicht zulässig, und zwar auch nicht insoweit, als sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen. Das ergibt sich aus § 53 Abs. 3 SGB I, weil das Blindengeld nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts dient.

Eine Pfändung des Blindengeldanspruches auf Grund der Blindengeldgesetze von Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen ist ebenso wie die Pfändung des Blindengeldanspruches nach den anderen Landesblindengeldgesetzen bzw. des Anspruches auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ausgeschlossen. Für Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen ergibt sich das aus § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Diese Bestimmung untersagt die Pfändung von "Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen".

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10.3 Zugriff auf angespartes oder nachbezahltes Blindengeld

Angespartes oder nachbezahltes Blindengeld genießt nicht mehr den oben unter 10.2 behandelten Pfändungsschutz. Der Pfändungsschutz endet für Zahlungen von Blindengeld aus einem Gesetz, auf welches das SGB I anwendbar ist, nach § 55 Abs. 4 SGB I für unpfändbare laufende Sozialleistungen mit dem auf die Pfändung folgenden nächsten Zahlungstermin. Dieser (verlängerte) Pfändungsschutz gilt sowohl für Zahlungen auf ein Konto als auch für Bargeld. Den entsprechenden Pfändungsschutz gewähren für die Landesgesetze, auf welche das SGB I nicht anwendbar ist (Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen), die §§ 850k ZPO für Geldkonten und 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO für Bargeld.

Nach Ablauf dieses Zeitraums steht den Gläubigern der Zugriff auf die aus Sozialleistungen stammenden Mittel zu, auch wenn sie angespart worden sind, z. B. um ein teures Hilfsmittel zu erwerben, oder wenn sie aus einer Nachzahlung herrühren. Sie stellen frei verfügbares Vermögen dar, das keinem Pfändungsschutz mehr unterliegt.

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11. Verfahrensrecht und Rechtsschutz

Gegenstand dieses Kapitels sind die Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren (11.1) und über das Gerichtsverfahren (11.2). Dabei erfolgt eine Beschränkung auf Hinweise, die für das Blindengeld besonders wichtig sind. Im Übrigen wird auf Heft 10 dieser Schriftenreihe verwiesen. Soweit das aufgrund des Sachzusammenhanges geboten war, wurde auf das formelle Recht bereits in den bisherigen Kapiteln eingegangen.

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11.1 Verwaltungsverfahren

Das Verwaltungsverfahren, in welchem es um die Entscheidung über den Blindengeldanspruch durch Erlass eines bewilligenden oder ablehnenden Verwaltungsaktes geht, richtet sich in den Blindengeldgesetzen, welche das SGB X für anwendbar erklären und für die Blindenhilfe (§ 72 SGB XII) nach dem SGB X.

Aufgrund spezieller Verweisung in den jeweiligen Landesgesetzen gilt das SGB X in folgenden 13 Landesgesetzen: Bayern (Art. 7 Abs. 1), Berlin (§ 9), Brandenburg (§ 9), Bremen (§ 8a), Mecklenburg-Vorpommern (§ 10), Niedersachsen (§ 9 Abs. 3), Nordrhein-Westfalen (§ 7), Rheinland-Pfalz (§ 9), Saarland (§ 8 Abs. 2), Sachsen (§ 8 Abs. 1), Sachsen-Anhalt (§ 6 Abs. 2), Schleswig-Holstein (§ 10 Abs. 2) und Thüringen (§ 7 Abs. 1).

Für die Landesgesetze von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen sind die jeweiligen Landesverwaltungsverfahrensgesetze maßgebend.

Die Regelungen und die Verfahrensgrundsätze im SGB X und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen entsprechen sich weitgehend.

Die Landesblindengeld- bzw. -pflegegeldgesetze enthalten teilweise spezielle Regelungen zum Verwaltungsverfahren, die bei der Anwendung des SGB X bzw. der Landesverwaltungsverfahrensgesetze zu beachten sind. Einzelheiten sind den oben aufgeführten Bestimmungen in den Landesblindengeldgesetzen zu entnehmen. So bestimmt Art. 7 Abs. 1 S. 2 des bayerischen Blindengeldgesetzes, dass abweichend von § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von vier anstatt zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann. Das gleiche gilt gemäß § 10 in Mecklenburg-Vorpommern. Nach § 6 Abs. 1 S. 2 des Landesblindengeldgesetzes für Sachsen kann abweichend von § 45 Abs. 3 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden.

Abgesehen von den Verweisungsvorschriften sind in den Verfahrensvorschriften der Landesgesetze vor allem geregelt: die Zuständigkeit für den Vollzug des Gesetzes, die Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften oder Weisungen, die Antragstellung sowie Bestimmungen über den Nachweis der medizinischen Voraussetzungen.

Im Blindheitshilfegesetz für das Saarland (§ 8 Abs. 2) und im Blinden- und Gehörlosengeldgesetz für Sachsen-Anhalt (§ 6 Abs. 2) wird zusätzlich das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung für anwendbar erklärt. Dieses Gesetz enthält in den §§ 1-4 Regelungen über die Zuständigkeit, in § 6 Formvorschriften für die Antragstellung (schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift bei dem Versorgungsamt) und im IV. Abschnitt (§§ 12,13 und 15) Vorschriften über die Ermittlung des Sachverhalts, die über die §§ 20 ff. SGB X hinausgehen.

Das Verwaltungsverfahren wird durch den Antrag auf Blindengeld eingeleitet (§ 18 SGB X). Zum Antragserfordernis beim Blindengeld vgl. 6.5.2. Für die Feststellung der Voraussetzungen des Blindengeldanspruches ist der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X) von besonderer Bedeutung. Diese Bestimmung lautet:

"(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.
(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält."

Trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes sollten selbstverständlich Beweismittel, wie z. B. ärztliche Atteste vorgelegt werden. Lassen sich die Voraussetzungen eines Anspruchs nicht erweisen, so geht das zu Lasten des Antragstellers. Der Antrag wird abgelehnt.

Wenn das Blindengeld entzogen oder gekürzt werden soll, gibt § 24 SGB X ein Anhörungsrecht. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist vor Erlass eines Verwaltungsakt, welcher in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von der Anhörung kann nur in den in § 24 Abs. 2 SGB X aufgeführten Fällen abgewichen werden.

§ 25 SGB X gibt das Recht auf Akteneinsicht.

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11.2 Gerichtsverfahren

Der Rechtsweg ist entweder zu den Verwaltungsgerichten oder zu den Sozialgerichten gegeben. Für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte gelten, wenn der Sozialrechtsweg gegeben ist, das Sozialgerichtsgesetz, wenn der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, die Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsvorschriften, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist (§ 62 SGB X).

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11.2.1 Rechtsweg

Für Streitigkeiten nach den Landesblinden- bzw. Landespflegegeldgesetzen ist, soweit die Landesgesetze keine Verweisung auf die Sozialgerichtsbarkeit enthalten, die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist damit mangels Verweisung an ein anderes Gericht für die Landesgesetze folgender zehn Länder zuständig:

Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Für die Zuständigkeit der Sozialgerichte bedarf es einer gesetzlichen Verweisung. Gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO ist die Verweisung an ein anderes Gericht auch durch Landesgesetz zulässig. Von dieser Verweisungsmöglichkeit wurde in den Landesgesetzen folgender sechs Länder Gebrauch gemacht:

Bayern (Art. 7 Abs. 2), Niedersachsen (§ 9 Abs. 4), Saarland (§ 8 Abs. 3), Sachsen (§ 8 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 6 Abs. 3) und Thüringen (§ 7 Abs. 2). Da in diesen Gesetzen das Sozialgerichtsgesetz für anwendbar erklärt wird, ergibt sich die Zuständigkeit der Sozialgerichte gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG.

Für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ist nicht mehr, wie für die Blindenhilfe nach § 67 BSHG die Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Die Rechtsprechung zur Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist dessen ungeachtet nach wie vor bedeutsam.

Weil für die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten die gleichen Grundsätze gelten und das Verfahren im Wesentlichen den gleichen Verlauf nimmt, ist der gebotene Rechtsschutz gleichwertig.

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11.2.2 Das Vorverfahren

In beiden Rechtswegen ist vor Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ein Vorverfahren, in welchem die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes durch die Verwaltungsbehörde überprüft wird, erforderlich (§§ 68 ff. VwGO, §§ 78 ff. SGG).

In der Regel sind bei Blindengeldstreitigkeiten die Klagen als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen zu erheben; denn ein ablehnender Bescheid soll aufgehoben und der Leistungsträger zur Zahlung verpflichtet werden.

Das Vorverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs. Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt. Er kann also auch bei der übergeordneten Behörde erhoben werden, wenn diese über den Widerspruch zu entscheiden hat. Im Widerspruchsverfahren nach dem SGG gilt die Frist zur Erhebung des Widerspruchs auch dann als gewahrt, wenn die Widerspruchsschrift bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde eingegangen ist (§ 84 SGG). Die Monatsfrist für die Einlegung des Widerspruchs beginnt nur zu laufen, wenn der Betroffene in einer so genannten Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit des Widerspruchs, die Frist und die Behörde, bei welcher er einzulegen ist, schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist, kann die Einlegung des Widerspruchs noch innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung der Entscheidung erfolgen (vgl. §§ 69, 70 und 58 VWGO, §§ 83, 84 und 66 SGG). Weitere Einzelheiten über das Widerspruchsverfahren sind den §§ 71 ff. VWGO und 84a ff. SGG zu entnehmen.

Der Widerspruchsbescheid ist schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekanntzugeben (§ 73 Abs. 3 VWGO, § 85 Abs. 3 S. 1 SGG). Der Widerspruchsbescheid muss ebenfalls eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. In ihr sind die Beteiligten über die Zulässigkeit der Klage, die einzuhaltende Frist und den Sitz des zuständigen Gerichts zu belehren (§ 73 Abs. 3 VWGO, 85 Abs. 3 S. 4 SGG).

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11.2.3 Das Gerichtsverfahren

Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Zustellung bzw. Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erhoben werden (§ 74 Abs. 1 S. 1 VWGO, § 87 SGG). Die Klage ist vor den Verwaltungsgerichten schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten zu erheben (§ 81 Abs. 1 VWGO). In der Sozialgerichtsbarkeit ist sie bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (§ 90 SGG).

Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben bzw. beigefügt, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Urschrift oder in Abschrift beigefügt werden. (§ 82 Abs. 1 VWGO, § 92 SGG). Solche Beweismittel können z. B. ärztliche Atteste oder Gutachten sein.

Für die Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit gelten übereinstimmende Verfahrensgrundsätze.

Besonders wichtig ist der Ermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO, § 103 SGG). Nach dem Ermittlungsgrundsatz ist im Gegensatz zum zivilgerichtlichen Beibringungsgrundsatz die Aufklärung des Sachverhalts dem Gericht und nicht den Parteien des Rechtstreits überantwortet. Das Gericht ist weder an das Parteivorbringen gebunden noch ist ein Beweisantritt seitens der Parteien notwendig. Allerdings gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast. Lassen sich rechtserhebliche Tatsachen wie z. B. das Vorliegen von Blindheit im Sinn der Blindengeldgesetze nicht beweisen, so geht das zu Lasten der Partei, die daraus Rechte herleiten könnte. Die Klage wird dann als unbegründet abgewiesen.

In Blindengeldstreitigkeiten kann § 109 SGG hilfreich sein. Die Vorschrift lautet:

"(1) Auf Antrag des Versicherten, des Behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist."

Eine entsprechende Vorschrift ist in der VWGO nicht vorhanden. Trotzdem kann selbstverständlich ein entsprechender Beweisantrag gestellt werden.

Das Verfahren endet im ersten Rechtszug durch Urteil oder Gerichtsbescheid, sofern nicht ein Vergleich geschlossen, die Klage zurückgenommen oder der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird (§ 107 ff. VWGO für Urteile, § 84 VWGO für Gerichtsbescheide; § 125 SGG für Urteile § 105 SGG für Gerichtsbescheide).

Hinzuweisen ist auf den Anspruch Blinder auf Zugänglichmachung der verfahrensrechtlich erheblichen Dokumente in einer für sie zugänglichen Form, gemäß § 191a GVG, der von den Sozialgerichten aufgrund des § 202 SGG und von den Verwaltungsgerichten aufgrund des § 173 VwGO anzuwenden ist.

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11.2.4 Rechtsbehelfe gegen Gerichtsbescheide

Wenn ein Gerichtsbescheid ergeht, können die Beteiligten nach § 84 Abs. 2 VWGO bzw. § 105 Abs. 2 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

  1. Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
  2. Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
  3. Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
  4. Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
  5. mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

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11.2.5 Berufung

Gegen die erstinstanzlichen Urteile sowohl der Verwaltungsgerichtsbarkeit als auch der Sozialgerichtsbarkeit besteht das Rechtsmittel der Berufung (§§ 124 ff. VWGO, §§ 143 ff. SGG), wenn sie vom Gericht erster Instanz oder zweiter Instanz zugelassen wird (§ 124 Abs. 1 VwGO bzw. § 144 Abs. 1 SGG). Unter welchen Voraussetzungen sie zuzulassen ist, ist § 124 Abs. 2 VWGO bzw. § 144 Abs. 2 SGG zu entnehmen. Die Berufung führt dazu, dass in einer zweiten Instanz eine volle tatsächliche und rechtliche Überprüfung stattfindet (§§ 128 VwGO, 157 SGG). Hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung bestehen aber kleine Unterschiede.

Nach § 124 Abs. 1 VwGO steht den Beteiligten gegen erstinstanzielle Urteile das Rechtsmittel der Berufung zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht (OVG oder VGH) zugelassen wird. Nach § 124 Abs. 2 ist die Berufung nur zuzulassen,

  1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
  2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
  3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder
  5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Nach § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung statt, soweit sich aus den folgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt. Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

  1. bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro oder
  2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 Euro nicht übersteigt.

Diese Grenze gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Werden die oben genannten Grenzen überschritten, ist die Berufung ohne weiteres zulässig.

Über die Zulassung in den oben genannten Fällen entscheidet das Sozialgericht selbst oder, falls es die Zulassung abgelehnt hat und dagegen Beschwerde erhoben worden ist, das Landessozialgericht durch Beschluss (§ 145 SGG).

Nach § 144 Abs. 2 ist die Berufung in den obigen Fällen zuzulassen, wenn

  1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts oder des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Nach § 144 Abs. 3 ist das Landessozialgericht an die Zulassung durch das Sozialgericht gebunden.

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11.2.6 Revision

Eine Überprüfung von Urteilen der zweiten Instanz bzw. durch Sprungrevision auch der ersten Instanz in rein rechtlicher Hinsicht ist schließlich durch die Revision möglich (§§ 132 ff. VWGO, 160 ff. SGG; §§ 135 VWGO 161 SGG). Die Revision ist allerdings nur möglich, wenn sie zugelassen wird. Revisionsgericht ist in der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Bundesverwaltungsgericht, in der Sozialgerichtsbarkeit das Bundessozialgericht.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

  1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann

(§ 132 Abs. 2 VWGO, 160 Abs. 2 SGG).

Die Nichtzulassung kann mit Beschwerde angegriffen werden (§ 133 VWGO, 160a SGG).

Für die Frage, ob Gerichtsurteile über Ansprüche auf Blindengeld nach den Landesgesetzen mit der Revision angegriffen werden können, ob also eine dritte Instanz gegeben ist, kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang außer Bundesrecht auch Landesrecht der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. dem Bundessozialgericht unterliegt.

Nach § 137 Abs. 1 VWGO kann im Verwaltungsgerichtsweg die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung

  1. von Bundesrecht oder
  2. einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt, beruht.

Die Rüge muss bei der ersten Alternative auf die Verletzung von Bundesrecht gerichtet sein. Die Revision muss also zur Klärung einer klärungsbedürftigen Frage des Bundesrechts führen. Es reicht dagegen nicht, dass allenfalls das Landesrecht klärungsbedürftig ist (vgl. z.B. Beschlüsse des BVerwG. Vom 12.05.1993 - 1 B 95/92 Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 24; vom 9. März 1984 - BVerwG 7 B 238.81 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 49; vom 25. Juli 1990 - BVerwG 1 B 111.90 -).

Für die zweite Alternative muss für die Landesgesetze, für welche die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist (s. o.), deshalb im Einzelfall überprüft werden, ob die Rechtsverletzung auf einem Verstoß gegen das geltende Verwaltungsverfahrensgesetz beruht und ob die verletzte Bestimmung mit der entsprechenden Bestimmung im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt.

Im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit gilt folgendes:

Gemäß § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Die Landesgesetze sind sonstige Rechtsvorschriften im Sinne dieser Bestimmung. Ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit kann deshalb dann überprüft werden, wenn sich der Geltungsbereich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

Bei Landesrecht, das nur in einem Land gilt, handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG dann um Rechtsvorschriften, die über den Bezirk des Landessozialgerichts dieses Landes hinaus gelten, wenn in anderen Bundesländern inhaltlich übereinstimmende Vorschriften erlassen worden sind und das bewusst und gewollt um der Rechtseinheit Willen geschehen ist. Mit Bezug auf die Landesblindengeldgesetze hat das BSG in seinem Urteil vom 31.01.1995 -1 RS 1/93 = SozR 3-5920, § 1 Nr. 1 -, welches zur optischen Agnosie ergangen ist, das hinsichtlich des Blindheitsbegriffes angenommen. Das BSG stellt in dieser Entscheidung fest, dass der Blindheitsbegriff, wie er in § 1 Abs. 3 Nr. 2 des saarländischen Blindheitshilfegesetzes (Gesetz Nr. 761) verankert ist, wortgleich in den Landesblindengeldgesetzen anderer Länder wiedergegeben wird. Weiter wird festgestellt, dass diese Fassung ausdrücklich im Blick auf die Regelungen des BSHG (§ 67 BSHG - jetzt § 72 SGB XII) ergangen ist, denn in der amtlichen Begründung des Saarländischen Landtages vom 28. Januar 1982 (Drucks. 8/812) heißt es ausdrücklich, dass die vorgeschlagene Neufassung des § 1 der Anpassung an die in §§ 24 und 67 BSHG enthaltenen Bestimmungen dient und dass damit u. a. der Blindheitsbegriff an diese Vorschriften angeglichen wird.

Da für sozialhilferechtliche Streitigkeiten die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG), richtet sich die Revision bei der Blindenhilfe nunmehr nach den §§ 160 ff. SGG. Weil die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII inhaltlich weitgehend mit der Blindenhilfe nach § 67 BSHG identisch ist, behalten die Entscheidungen des BVerwG zu dieser Bestimmung ihre Bedeutung.

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11.3 Kosten

Nach § 64 SGB X werden für Verwaltungsverfahren, die sich nach dem SGB X richten, keine Gebühren und Auslagen erhoben. Das trifft für die Blindengeldgesetze zu, welche auf das SGB X verweisen. Einzelheiten sind § 64 SGB X zu entnehmen.

Im Widerspruchsverfahren hat nach § 63 Abs. 1 SGB X soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X). Die Festsetzung der zu erstattenden Kosten kann bei der Behörde, welche die Kostenentscheidung getroffen hat, beantragt werden (§ 63 Abs. 3 SGB X).

Für Rechtsstreitigkeiten über Blindengeldansprüche vor den Sozialgerichten besteht für den Antragsteller oder seinen Rechtsnachfolger Prozesskostenfreiheit. Das ergibt sich aus § 183 Abs. 1 SGG.

Die Prozesskostenfreiheit bezieht sich nicht auf die der Partei zur Rechtsverfolgung entstehenden außergerichtlichen Kosten. Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten (§ 193 Abs. 2 SGG). Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

Inwieweit die Beteiligten einander die außergerichtlichen Kosten, also z. B. die Anwaltskosten, zu erstatten haben, ist im Urteil zu entscheiden (§ 193 Abs. 1 SGG). Maßgebend für die Kostenverteilung ist, inwieweit die Klage erfolgreich war. Wenn der Kläger, welcher z. B. den Anspruch auf Blindengeld durchsetzen will, unterliegt, muss er die außergerichtlichen Kosten, also z. B. auch die Kosten für seinen Anwalt, selbst tragen. Wenn das Verfahren nicht durch Urteil beendet wird, entscheidet das Gericht auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss über die Kostenerstattung. Wenn ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wird, muss darauf geachtet werden, dass in dem Vergleich die Kostenerstattung geregelt wird; denn sonst hat jede Partei die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen (§ 195 SGG).

Auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs den sich aus der Kostenentscheidung des Gerichts ergebenden Betrag der zu erstattenden Kosten fest (§ 197 Abs. 1 SGG). Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet (§ 197 Abs. 2 SGG).

Damit die Rechtsverfolgung nicht an fehlender Finanzkraft scheitern muss, kann bei dem für die Klage zuständigen Gericht Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO beantragt werden (siehe im Einzelnen 9.4).

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12. Erstattungen unter Sozialleistungsträgern und gegenüber anderen Verpflichteten

Die hier behandelten Erstattungsansprüche richten sich anders als die unter 8.4 mit Unterpunkten behandelten Ansprüche nicht gegen den Leistungsempfänger, sondern gegen andere Sozialleistungsträger oder einen anderen, welcher letztendlich zur Leistung verpflichtet ist.

Zu Erstattungsansprüchen eines Sozialleistungsträgers gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger kommt es, wenn der erstere - rechtmäßig oder zu Unrecht - eine Leistung erbracht hat, die dem Leistungsempfänger zusteht, zu deren Erbringung letztlich aber ein anderer Sozialleistungsträger vorrangig verpflichtet ist (vgl. 12.1).

Ein Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers gegenüber einem anderen Verpflichteten kann entstehen, wenn der Sozialleistungsträger zwar zur Leistung verpflichtet ist, letztlich aber für die Befriedigung des Bedarfs ein Dritter, der nicht Sozialleistungsträger ist, einzustehen hat (vgl. 12.2).

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12.1 Erstattungsansprüche von Sozialleistungsträgern untereinander

Über Erstattungsverpflichtungen von Sozialleistungsträgern untereinander enthalten die Landesblindengeldgesetze keine speziellen Bestimmungen. Für die Landesgesetze, auf welche das SGB X anwendbar ist, sind die §§ 102 ff. SGB X einschlägig. Dazu 12.1.1

Für die Landesgesetze von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen richten sich die Erstattungsansprüche nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, denn die Landesverwaltungsverfahrensgesetze enthalten keine den §§ 102 ff. SGB X entsprechenden Bestimmungen. Dazu 12.1.2

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12.1.1 Erstattungsansprüche nach dem SGB X

Die §§ 102-104 SGB X enthalten vier Grundtatbestände, die dem Vermögensausgleich zwischen Sozialleistungsträgern dienen:

  1. den Erstattungsanspruch des vorläufig leistenden Sozialleistungsträgers (§ 102 SGB X),
  2. den Erstattungsanspruch des Leistungsträgers, dessen ursprüngliche Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist (§ 103 SGB X),
  3. den Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger (§ 104 SGB X) und
  4. den Erstattungsanspruch des zur Leistungserbringung von Anfang an unzuständigen Leistungsträgers (§ 105 SGB X).

In den Fällen der §§ 102, 103 und 104 SGB X besteht eine originäre Leistungsverpflichtung bzw. Leistungsberechtigung des erstattungsberechtigten Sozialleistungsträgers. Daran fehlt es im Falle des § 105 SGB X.

Zu den Tatbeständen im Einzelnen:

12.1.1.1 Erstattungsansprüche bei Vorleistung nach § 102 SGB X

Nach § 102 Abs. 1 SGB X hat ein Leistungsträger, der aufgrund besonderer Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, einen Erstattungsanspruch gegen den endgültig zur Leistung verpflichteten Leistungsträger.

Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X ist dadurch gekennzeichnet, dass

  1. durch den erstattungsberechtigten Sozialleistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorgeleistet wird,
  2. die Vorleistung im Hinblick auf einen bestehenden Sozialleistungsanspruch erfolgt, von dem nur noch nicht feststeht, gegen welchen Leistungsträger er sich richtet, für den endgültig Leistungspflichtigen erbracht wird und
  3. die Leistung deshalb als vorläufige Leistung erfolgt.

Es muss also eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Vorleistung gegeben sein.

Eine solche gesetzliche Ermächtigung ist vor allem die Vorleistung nach § 43 Abs. 1 SGB I. Wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist (negativer Kompetenzkonflikt), kann der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er muss diese Leistungen erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt.

Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn z. B. bei einer durch einen Verkehrsunfall eingetretenen Erblindung unklar ist, ob es sich um einen Wegeunfall im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII handelt, so dass ein Anspruch auf Leistungen wegen der Blindheit, und zwar auch auf Pflegegeld, nach § 44 SGB VII besteht oder ob das nicht der Fall ist. Dann würde bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ein Anspruch auf Blindengeld nach dem einschlägigen Landesblindengeldgesetz gegeben sein. Wenn zwischen der für die Leistung des Blindengeldes zuständigen Stelle und der Berufsgenossenschaft streitig ist, wer von beiden zur Leistung verpflichtet ist, kann der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Wenn sich der Erblindete an die für das Blindengeld zuständige Stelle zuerst gewandt hat und diese Stelle die Möglichkeit der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft erkannt hat, aber die eigene Zuständigkeit auch nicht ausgeschlossen ist, kann somit vorläufig geleistet werden. Die Leistungen müssen erbracht werden, wenn der Berechtigte dies beantragt. Die Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang dieses Antrags (§ 43 Abs. 1 S. 3, 2. Halbsatz). Der Betroffene soll bei unklarer Zuständigkeit möglichst rasch Hilfe erhalten.

Ein anderer denkbarer Fall wäre die Erblindung infolge einer Verletzung durch einen Dritten, bei der noch nicht feststeht, ob ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff vorliegt, so dass ein Fall des § 1 Opferentschädigungsgesetzes gegeben ist und deshalb ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 35 BVG besteht oder ob sich der Sozialleistungsanspruch nach einem Blindengeldgesetz richtet.

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 102 Abs. 2 SGB X). Dieses Maß der Erstattung ist im Gegensatz zu § 103 Abs. 2, § 104 Abs. 2 und § 105 Abs. 2 SGB X angebracht, weil der Gesetzgeber den vorläufig leistenden Leistungsträger gegen dessen Willen zur Leistung verpflichtet hat. Er soll im Fall der Nichtverpflichtung alle seine erbrachten Leistungen zurückerhalten.

Hat der unzuständige Leistungsträger seine Leistungen nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften" als Vorleistungen erbracht, sondern in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit, richtet sich die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers nicht nach § 102, sondern nach § 105 SGB X. Dazu vgl. unten.

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12.1.1.2 Erstattungsansprüche nach den §§ 103-105 SGB X

Die Erstattungsansprüche nach den §§ 103-105 SGB X stellen Fälle eines Rückgriffsrechtes dar, das darauf beruht, dass Leistungen erbracht worden sind, die ein anderer Leistungsträger erbringen hätte müssen und die deshalb ausgeglichen werden sollen. Es handelt sich gewissermaßen um den Ausgleich einer ungerechtfertigten Bereicherung. Im Zivilrecht entspricht dem der Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 4 BGB.

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12.1.1.2.1 Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X

Wenn zweckidentische Sozialleistungen nebeneinander gewährt werden, kommt es zu nicht zu rechtfertigenden Mehrfachleistungen. Aus diesem Grunde wird entweder die eine Leistung auf die andere angerechnet oder es entfällt die eine beim Hinzutreten der anderen Leistung.

Der Vermeidung von Doppelleistungen dient § 103 SGB X. Nach dieser Bestimmung hat der Leistungsträger, der aufgrund der für ihn maßgebenden Vorschriften bei Eintritt des Leistungsanspruchs zur Leistungserbringung verpflichtet war, einen Erstattungsanspruch gegen den für die entsprechende Leistung zuständigen Leistungsträger, wenn die Leistungsverpflichtung des vorleistenden Trägers später Kraft gesetzlicher Norm rückwirkend ganz oder teilweise entfallen ist bzw. zum Ruhen kommt. Dadurch sollen zweckidentische zeitgleiche Doppelleistungen vermieden werden. § 103 Abs. 1 SGB X legt somit fest, dass der letztlich verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig ist. Das gilt jedoch nur, soweit er nicht bereits selbst befreiend an den Leistungsempfänger geleistet hat. Befreiend war die Leistung, wenn sie erbracht worden ist, bevor der letztlich verpflichtete Leistungsträger von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Eine Erstattungspflicht besteht allerdings, wenn der letztlich zur Leistung verpflichtete Leistungsträger noch geleistet hat, obwohl ihm bereits eine Nachricht über die Leistung des anderen Trägers zugegangen ist oder er sonst von dessen Leistung Kenntnis erlangt hat (Haufe Onlinekommentar SGB X RZ. 1a zu § 103 SGB X).

Der Tatbestand des § 103 SGB X ist dadurch gekennzeichnet, dass der "vorleistende Träger" die Leistung zunächst in Übereinstimmung mit der materiellen Rechtslage erbracht hat und die den Ausgleich erfordernde Interessenlage erst nachträglich durch rückwirkenden Wegfall der Leistungspflicht entstanden ist. Der Wegfall beruht dabei auf einer gesetzlichen Grundlage. Das Ausgleichsverhältnis entsteht deshalb durch gesetzliche Regelungen und nicht durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln.

Im Gegensatz zu § 102 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nicht nach den Vorschriften des zuerst leistenden Leistungsträgers, sondern nach den Vorschriften des letztlich verpflichteten Leistungsträgers.

Gründe für das Entfallen der Leistungsverpflichtung können der Wegfall der Voraussetzungen, Kürzungs-, Anrechnungs- oder Ruhensbestimmungen sein (Haufe Onlinekommentar Rz. 5 zu § 103 SGB X).

Die Blindengeldgesetze enthalten Anrechnungs- oder Ausschlussklauseln für zweckgleiche Leistungen (vgl. dazu 7.3 und insbesondere 7.3.3 "Berücksichtigung von Leistungen bei häuslicher Pflege wegen Pflegebedürftigkeit"). Wenn rückwirkend solche Leistungen zuerkannt werden, besteht, soweit die Leistung an den Leistungsberechtigten noch nicht erfolgt ist, seitens der Blindengeldstelle ein Erstattungsanspruch z. B. gegenüber der Pflegekasse in Höhe des Anrechnungsbetrages. Wenn die Nachzahlung bereits mit befreiender Wirkung an den Leistungsberechtigten erfolgt ist, richtet sich der Rückzahlungsanspruch an den Leistungsempfänger (vgl. 8.4.1).

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12.1.1.2.2 Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X

Nach § 104 Abs. 1 SGB X hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger, der Sozialleistungen erbracht hat, einen Erstattungsanspruch gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger. § 104 SGB X bezweckt den finanziellen Ausgleich zwischen einem Sozialleistungsträger, der als nachrangig verpflichteter Träger die Sozialleistung erbracht hat, und dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger. Dadurch sollen zweckidentische Doppelleistungen vermieden werden.

Voraussetzung für den Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger, von dem der Berechtigte vorrangig Sozialleistungen verlangen kann oder verlangen konnte, ist, dass kein Fall des § 103 SGB X vorliegt, also die Leistungspflicht nicht nachträglich weggefallen ist, sondern von vornherein gegeben war.

Liegt ein Nachrang vor und ist trotzdem geleistet worden, ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 der vorrangige Leistungsträger erstattungspflichtig. Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 ist nachrangig ein Leistungsträger verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.

Der Umfang des Erstattungsanspruchs ist in § 104 Abs. 3 SGB X geregelt. Die Regelung stimmt mit § 103 Abs. 2 SGB X überein. Das Maß der Erstattung richtet sich nach den Rechtsvorschriften, die für den Leistungsträger gelten, der mit seinen Sozialleistungen vorrangig eintreten muss und dessen Leistungsgewährung sich auf die subsidiäre Leistungsverpflichtung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers auswirkt. Grundsätzlich hat der vorrangig verpflichtete Leistungsträger nicht mehr zu erstatten, als er selbst an den Leistungsberechtigten hätte erbringen müssen. Damit ist der Umfang des Erstattungsanspruchs auf die Höhe der Sozialleistung des vorrangigen Leistungsträgers beschränkt. Er soll nicht weitergehend belastet werden, als seine Verpflichtung dem Berechtigten gegenüber bestand.

Der Anspruchsberechtigte muss Ansprüche gegen verschiedene Leistungsträger haben. Zwischen diesen Ansprüchen muss jedoch ein unterschiedliches Rangverhältnis gegeben sein.

Das ist bei Ansprüchen auf Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen dann der Fall, wenn andere zweckgleiche Leistungen auf das Blindengeld angerechnet werden, z. B. Leistungen nach dem BVG, Leistungen nach dem SGB VII oder Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI. Der Erstattungsanspruch besteht nur, soweit der vorrangige Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist und diese sich mit der Leistung des nachrangigen Leistungsträgers deckt. Weiter ist Voraussetzung, dass der vorrangige Leistungsträger seinerseits noch nicht befreiend an den Leistungsempfänger geleistet hat (§ 107 SGB X). Wenn das der Fall ist, hat der nachrangige Leistungsträger lediglich einen Erstattungsanspruch gegen den Leistungsempfänger (vgl. dazu 8.4.1).

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12.1.1.2.3 Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers nach § 105 SGB X

Ein Erstattungsanspruch ist nach § 105 SGB X auch dann gegeben, wenn ein unzuständiger Leistungsträger, der sich in Verkennung seiner Zuständigkeit für zuständig gehalten hat, Sozialleistungen erbracht hat. Durch die vermeintliche eigene Zuständigkeit unterscheidet sich dieser Tatbestand von dem des § 102 SGB X, der das Wissen von der möglichen eigenen Unzuständigkeit, d. h. vom Zuständigkeitsstreit, voraussetzt. Im Falle des § 105 SGB X war eine ursprüngliche Unzuständigkeit gegeben. Dadurch unterscheidet sich diese Bestimmung nicht nur von § 102, sondern auch von den Tatbeständen der §§ 103 und 104 SGB X, bei denen die Leistung im Leistungszeitpunkt aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung bzw. Berechtigung erfolgt ist. § 105 SGB X bezweckt, den Zustand herzustellen, wie er bestanden hätte, wenn von vornherein der zuständige Leistungsträger geleistet hätte. Außerdem sollen Doppelleistungen an den Leistungsberechtigten vermieden werden.

Der unzuständige und in Vorlage getretene Leistungsträger soll mit seinen entstandenen Aufwendungen nicht belastet bleiben. Nur in Höhe des nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften zu leistenden Betrages hat der unzuständige Leistungsträger gemäß § 105 Abs. 2 SGB X einen Erstattungsanspruch. Der zuständige Träger hat damit dem unzuständigen

Träger nicht mehr zu erstatten, als er an den Leistungsberechtigten zu zahlen hat. Hat der erstattungsberechtigte Erbringer der "Vorleistung" höhere Leistungen erbracht als der zur Leistung und damit zur Erstattung verpflichtete Sozialleistungsträger zu leisten hat, geht das zu seinen Lasten. Er hat evtl. die Möglichkeit, sich über § 50 SGB X an den Empfänger der Leistung zu wenden und von diesem Erstattung zu verlangen.

Beispiel: Ein Fall des § 105 SGB X ist z. B. gegeben, wenn einem Blinden, der in Bayern studiert, Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz gewährt wird, weil irrtümlich angenommen wird, dass der Betroffene in Bayern einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet und damit einen Anspruch nach Art. 1 Abs. 1 Bayerisches Blindengeldgesetz hat, und wenn wegen des fehlenden Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes in Bayern nach wie vor ein Blindengeldanspruch gegenüber dem Herkunftsland besteht.

Wenn das Herkunftsland im Beispielsfall Sachsen ist, beträgt der Erstattungsanspruch bezogen auf einen Monat wegen der Beschränkung des Erstattungsanspruchs auf die Leistungsverpflichtung des Erstattungspflichtigen 333,00 Euro (§ 2 Abs. 1 S. 1 Landesblindengeldgesetz Sachsen), während das bayerische Blindengeld sich nach Art. 2 Abs. 1 Bay. BlindGG auf monatlich 538,00 Euro beläuft (Stand 01.07.2009). Der Freistaat Bayern bliebe somit mit 185,00 Euro - bezogen auf einen Monat - belastet. In dieser Höhe könnte ein Erstattungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X nach § 50 SGB X gegen den Studenten geltend gemacht werden.

Gegenüber Sozialhilfeträgern ist der Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 3 SGB X eingeschränkt. Ist ein Sozialhilfeträger zuständig, so tritt die Erstattungspflicht erst von dem Zeitpunkt an ein, zu welchem der Sozialhilfeträger Kenntnis von den Voraussetzungen für seine Leistungspflicht erlangt.

Würde z. B. bei einem Blinden, der in Bayern studiert, Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz geleistet, obwohl kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt besteht, und bestünde auch kein Blindengeldanspruch nach einem anderen Landesgesetz, z. B. nach dem Landesgesetz des Herkunftslandes, so bestünde Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72SGB XII. Der Erstattungsanspruch träte aber erst ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers ein.

Soweit ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Erstattungspflichtigen besteht, hat dieser Anspruch Vorrang gegenüber dem Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger; denn nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger im Umfang des Erstattungsanspruchs als erfüllt.

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12.1.1.3 Erstattungsansprüche bei fehlender Verweisung auf das SGB X

Für die Landesgesetze von Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg ist das Sozialgesetzbuch X nicht anwendbar. Damit scheidet ein Erstattungsanspruch im Verhältnis zu anderen Leistungsträgern nach den §§ 102 ff. SGB X aus. Ein Erstattungsanspruch in diesen Fällen kann sich für Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen jedoch aus dem Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag oder nach den Grundsätzen über die öffentlich-rechtliche Erstattung ergeben.

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12.1.1.3.1 Erstattungsanspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag

Die Vorschriften des BGB über eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) sind im öffentlichen Recht entsprechend anwendbar. Die §§ 677 ff. BGB bringen einen allgemeinen Rechtsgedanken, nämlich den Ausgleich der Aufwendungen, die jemand bei der Ausführung eines Rechtsgeschäftes im Interesse eines anderen ohne Auftrag macht, zum Ausdruck. Das entspricht der Billigkeit. Wenn die Regelungen des Privatrechts einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck bringen, der für das öffentliche Recht gleichfalls gilt, so hat sie zur Ausfüllung einer Lücke über den ursprünglichen privatrechtlichen Bereich hinaus auch im öffentlichen Recht Platz. Deshalb ist eine entsprechende Anwendung möglich. Nach § 683 BGB kann derjenige, der ein fremdes Geschäft ohne Auftrag führt (Geschäftsführer), wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der Umfang richtet sich wegen des Verweises auf den Auftrag nach § 670 BGB. Danach kann der Beauftragte die zum Zwecke des Auftrages gemachten Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, ersetzt verlangen.

Der Erstattungsanspruch aus der Geschäftsführung ohne Auftrag entspricht den Fällen, die in § 102 SGB X geregelt sind. Es handelt sich um die Führung eines fremden Geschäftes im Bewusstsein der eigenen Unzuständigkeit. Das ist bei der Vorleistung entsprechend § 43 SGB I der Fall.

Wird z. B. Blindengeld nach dem Landesgesetz gewährt, weil noch unklar ist, ob die Blindheit durch einen Berufsunfall oder Wegeunfall (§ 8 SGB VII) verursacht worden ist, und erklärt sich die Berufsgenossenschaft mit der Vorleistung durch den Träger des Blindengeldes einverstanden, dann entspricht das dem wirklichen Willen.

Da davon auszugehen ist, dass die Berufsgenossenschaft die ihr obliegenden Leistungen erbringen will, entspricht die Vorleistung auch ihrem mutmaßlichen Willen, wenn eine Erklärung der Berufsgenossenschaft nicht vorliegt.

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12.1.1.3.2 Ausgleich aus dem Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs

Ein Erstattungsanspruch kann sich auch aus dem Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches ergeben.

Das ist der Fall, wenn der Leistende kein fremdes Geschäft führen wollte, sondern die Leistung in eigener Zuständigkeit erbracht hat, diese jedoch durch die Verpflichtung eines anderen Leistungsträgers rückwirkend wieder entfallen ist (vergleichbar dem Fall des § 103 SGB X) oder sich die vorrangige Verpflichtung eines anderen Leistungsträgers ergeben hat (vergleichbar dem Tatbestand des § 104 SGB X) bzw. wenn der Leistungsträger irrtümlich eine Leistung als die seinige erbracht hat, für welche ein anderer Leistungsträger zuständig ist (vergleichbar dem Tatbestand von § 105 SGB X).

In diesen Fällen kommt nicht das Bereicherungsrecht des BGB (§§ 812 ff. BGB) unmittelbar zur Anwendung. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist auf einen billigen Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen gerichtet. Der Anspruch richtet sich auf das, was der Verpflichtete durch die Leistung des Leistenden erspart hat, also nicht nach den Aufwendungen des Leistenden, sondern nach den Ersparnissen des zur Leistung endgültig oder vorrangig Verpflichteten.

Wird eine anzurechnende Leistung, z. B. der Pflegekasse, nach dem SGB XI gewährt, so kann eine Erstattung nur in Höhe der möglichen Anrechnung auf das Blindengeld gefordert werden.

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12.1.2 Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger untereinander

Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger untereinander sind in den §§ 106-112 SGB XII geregelt. Auf diese Bestimmungen wird hier nur hingewiesen, aber nicht weiter eingegangen.

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12.2 Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger gegenüber anderen Verpflichteten

Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger können sich auch gegen andere Verpflichtete richten, welche letztendlich die Belastung zu tragen haben. Erstattungsansprüche können sich gegen Erben (vgl. 12.2.1) oder gegen Schadensersatzpflichtige (vgl. 12.2.2) richten.

Inwieweit auch Erstattungsansprüche wegen Blindenhilfe nach § 72 SGB XII gegenüber nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtige bestehen und diese nach § 94 SGB XII auf den Sozialhilfeträger übergehen, ist umstritten. Das wäre nur der Fall, wenn der Unterhaltsanspruch auch Leistungen zum blindheitsbedingten Mehraufwand umfassen würde. Vgl. dazu oben 6.5.3. Der Erstattungsanspruch gegen Unterhaltspflichtige unterscheidet sich von den oben genannten Erstattungsansprüchen auch dadurch, dass es sich um keinen originären Anspruch des Sozialleistungsträgers handelt. Sofern der Unterhaltspflichtige zur Bedarfsgemeinschaft nach § 19 SGB XII gehört, ist der Übergang des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs. 1 S. 3 ausgeschlossen, weil die Berücksichtigung im Rahmen der Anrechnung auf das Einkommen stattfindet, weshalb die Behandlung unter 6.5.3 erfolgt ist. Zur Bedarfsgemeinschaft nach § 19 Abs. 3 SGB XII gehören neben dem Leistungsberechtigten der nicht getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspartner und, wenn der Anspruchsberechtigte minderjährig und unverheiratet ist, auch seine Eltern oder ein Elternteil.

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12.2.1 Erstattungsansprüche gegen Erben

Wenn Sozialleistungsträger gegen Leistungsempfänger Rückzahlungs- oder Erstattungsansprüche haben (vgl. 8.4), geht diese Verpflichtung beim Tod der Leistungsempfänger als Nachlassverbindlichkeit auf den oder die Erben über. Für Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Leistungsempfänger nach § 103 SGB XII (dazu vgl. 8.4.2) wird das ausdrücklich in § 103 Abs. 2 SGB XII festgestellt. Der Erbe haftet mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses.

Für Sozialhilfeleistungen enthält § 102 SGB XII eine darüber hinausgehende Verpflichtung zum Kostenersatz. Das gilt auch für die ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Der Anspruch nach § 102 entsteht mit dem Tod des Sozialhilfeempfängers kraft Gesetzes.

Kostenersatzpflichtig ist der Erbe des Sozialhilfeempfängers, daneben aber auch der Erbe des Ehegatten oder des Lebenspartners des Sozialhilfeempfängers, wenn dieser vor dem Sozialhilfeempfänger verstirbt. Die Haftung des Erben des vorverstorbenen Ehegatten oder Lebenspartners folgt daraus, dass auch der nicht Sozialhilfe beziehende Ehegatte oder Lebenspartner nach § 19 SGB XII i.V.m. § 90 SGB XII den dort normierten Vermögensschutz genießt und daher der Sinn der Erbenhaftung auch hier dessen Haftung gebietet (Haufe Onlinekommentar RZ. 6 zu § 102 SGB XII).

Die Ersatzpflicht des Erben ist in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Die Ersatzpflicht besteht nur für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigen (§ 102 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Nach § 102 Abs. 3 SGB XII ist der Anspruch auf Kostenersatz nicht geltend zu machen

  1. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Dreifachen des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 liegt,
  2. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Betrag von 15.340,00 Euro liegt, wenn der Erbe der Ehegatte oder Lebenspartner der leistungsberechtigten Person oder mit dieser verwandt ist und nicht nur vorübergehend bis zum Tod der leistungsberechtigten Person mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und sie gepflegt hat,
  3. soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde.

Es handelt sich um Freibeträge, die bei der Geltendmachung des Ersatzanspruches zu berücksichtigen sind. Der Erstattungsanspruch besteht nur in Höhe des Nachlasses welcher diese Freibeträge übersteigt. Wer verwandt ist und deshalb nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 den Freibetrag von 15.340,00 Euro zugebilligt bekommt, richtet sich nach § 1589 BGB.

Eine besondere Härte (Ziffer 3) kann vorliegen, wenn persönliche oder wirtschaftliche Umstände (VGH BW, Urteil v. 7.10.1992, NJW 1993 S. 2955) vorliegen, die in ihrer

Gewichtigkeit für den betroffenen Erben den Voraussetzungen der Nr. 2 vergleichbar sind. Eine solche Situation kann gegeben sein, wenn die pflegende Person weder Ehegatte noch Verwandter, sondern ein verschwägerter oder auch nur befreundeter Erbe die Pflege bis zum Tode über längere Zeiträume hinweg übernommen hat (VGH BW, Urteil v. 14.3.1990, 6 S 1913/89, FEVS 41 S. 205) oder wenn die häusliche Gemeinschaft nicht mehr gegeben war, weil der Leistungsempfänger in einer stationären Einrichtung untergebracht werden musste. Auch wenn der Erbe unter Einsatz seines Einkommens und seiner Arbeitskraft erhebliche Investitionen im Hinblick auf das zum Nachlass gehörende Wohngrundstück getätigt und dem (verstorbenen) Sozialhilfeempfänger quasi ein unentgeltliches lebenslanges Wohnrecht verschafft hat, liegt eine besondere Härte i.S.d. Nr. 3 vor (VG Oldenburg, Urteil v. 3.11.2000, 13 A 5506/97, ZfF 2002 S. 159).

Die Ersatzpflicht des Erben des Ehegatten oder Lebenspartners besteht nach § 102 Abs. 1 S. 3 SGB XII nicht für die Kosten der Sozialhilfe, die während des Getrenntlebens der Ehegatten oder Lebenspartners geleistet worden sind.

Die Ersatzpflicht des Erben gehört nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB XII zu den Nachlassverbindlichkeiten. Nach § 102 Abs. 2 S. 2 haftet der Erbe mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses. Wegen dieser eingeschränkten Haftung kommt es auf seine eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht an.

Der Anspruch entsteht unmittelbar auf Grund des Gesetzes, so dass es dazu keines Verwaltungsaktes bedarf. Der Anspruch muss aber durch einen Verwaltungsakt, der den Anspruch konkret begründet und beziffert, geltend gemacht werden.

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12.2.2 Erstattungsansprüche gegen Schadensersatzpflichtige

Erstattungsansprüche können sich auch gegen Schadenersatzpflichtige richten. Zu denken ist z. B. an Schadensersatzansprüche gegen eine Privatperson, die durch eine unerlaubte Handlung die Blindheit verursacht hat und deshalb nach § 823 BGB schadensersatzpflichtig ist bzw. gegen einen Kraftfahrzeughalter, der nach § 7 i.V.m § 11 StVG bzw. den Führer eines Kraftfahrzeuges, der nach § 18 StVG zum Schadenersatz verpflichtet ist.

Rechtsgrundlage für die Landesblindengeldgesetze, welche auf das SGB X verweisen und für den Sozialhilfeträger ist § 116 SGB X.

Nach § 116 Abs. 1 SGB X geht ein Schadensersatzanspruch über, soweit der Sozialleistungsträger auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.

Solche Sozialleistungen sind das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen und die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, wenn die Erblindung auf das Schadensereignis zurückzuführen ist. Dass durch Verweisung auf das SGB X in einem Landesblindengeldgesetz zivilrechtliche Schadensersatzforderungen auf den Träger des Landesblindengeldes übergehen, hat das Bayerische Oberste Landesgericht mit Urteil vom 05.07.1993 - lZ BR 5/92 - bestätigt. Aufgrund der Zweckbestimmung der Blindengeldleistungen, blindheitsbedingte Mehraufwendungen auszugleichen, geht nur der Anspruch auf Schadensersatz wegen vermehrter Bedürfnisse (§ 843 Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz BGB, § 11 StVG) über. Dagegen gehen Schadensersatzleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (BGB § 843 Abs. 1 S. 1 1. Alternative, StVG § 11) bzw. wegen immaterieller Schäden (Schmerzensgeld) nicht auf den Träger des Blindengeldes über. Hinsichtlich der verminderten Erwerbsfähigkeit fehlt es an der Zweckidentität. Der Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB) bezweckt einerseits einen angemessenen Ausgleich für immateriellen Schaden, andererseits liegt ihm der Genugtuungsgedanke zu Grunde. Der Ausgleich dieses Schadens ist nicht Gegenstand einer Sozialleistung.

Der Forderungsübergang erfolgt, sobald und soweit die Voraussetzungen vorliegen, kraft Gesetzes. Er ist nicht von einer Anzeige abhängig. Eine solche ist jedoch zweckmäßig, damit der Schuldner nicht gemäß § 407 BGB, der auf den gesetzlichen Forderungsübergang Anwendung findet (§ 412 BGB) infolge von Unkenntnis gegenüber dem neuen Gläubiger mit befreiender Wirkung leistet.

Für die Landesgesetze, welche nicht auf das SGB X verweisen, fehlt es an einer § 116 SGB X entsprechenden Vorschrift in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen. Ein Forderungsübergang findet deshalb nicht statt. Die Träger des Landesblindengeldes nach dem Blindenhilfegesetz von Baden-Württemberg (§ 5 Abs. 4) und nach dem Landesblindengeldgesetz für Hessen (§ 4 Abs. 2 S. 1) können vom Blindengeldempfänger allerdings die Rückerstattung der Blindengeldleistung in Höhe der nachbezahlten Schadensersatzleistung verlangen, weil hier diese Leistungen auf das Landesblindengeld anrechenbar sind.

Ein solcher Erstattungsanspruch ist zwar auch im Landesblindengeldgesetz für Hamburg (§ 6 Abs. 4) enthalten, nach § 3 Abs. 1 sind aber nur Leistungen, die der Blinde zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erhält, anzurechnen.

Ein Kostenerstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII kann sich schließlich auch aus § 103 SGB XII ergeben; denn nach § 103 Abs. 1 S. 1 ist nicht nur der Leistungsberechtigte (dazu vgl. 8.4.2), sondern auch jeder andere zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, welcher nach Vollendung des 18. Lebensjahres für einen anderen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat.

Nicht das Herbeiführen als solches, sondern nur das vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführen der Sozialhilfebedürftigkeit führt zum Kostenersatz. Vorsätzlich handelt, wer mit Wissen und Wollen die Voraussetzungen schafft, die die Sozialhilfeleistungen auslösen. Überwiegend wird vertreten, dass sich

der Vorsatz nicht auf den Erfolg - die Gewährung von Sozialhilfe - beziehen muss (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 103 Rn.

7); Mergler/Zink, Kommentar zum BSHG, § 92a Rn. 17). Da es sich um einen quasi-deliktischen Anspruch handelt (Schellhorn/Schellhorn, BSHG-Kommentar, 16. Aufl. 2002, § 92a Rn. 6; BVerwG, Urteil v. 23.9.1999, 5 C 22/99, FEVS 51 S. 341) und eine Haftung für unbeabsichtigte oder unvorhersehbare Folgen außer im Rahmen einer verschuldensunabhängigen Haftung als Ausnahme nicht in Betracht kommt, muss sich der Vorsatz auch auf die Folge, die Sozialhilfebedürftigkeit beziehen mit der Maßgabe, dass diese nicht beabsichtigt, wohl aber mindestens billigend in

Kauf genommen worden sein muss (Haufe Onlinekommentar RZ. 18 zu § 103 SGB XII). Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nahe liegende Überlegungen einfacher Art nicht anstellt und das unbeachtet lässt, was jedem in der Situation sofort einleuchten würde (vgl. auch § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X). Auch in Fällen grober Fahrlässigkeit muss sich der Schuldvorwurf auf den Erfolg - die Herbeiführung der Sozialhilfe - beziehen (Haufe Onlinekommentar RZ. 19 zu § 103 SGB XII).

Der Anspruch entsteht unmittelbar Kraft Gesetzes und muss zur Entstehung nicht erst durch einen Verwaltungsakt festgestellt werden. Die vollstreckbare Heranziehung zum Kostenersatz muss jedoch in einem begründeten, die genaue Zahlungssumme bezeichnenden Leistungsbescheid erfolgen (Haufe Onlinekommentar RZ. 20 Vorbemerkung zu §§ 102 ff. SGB XII).

Der Anspruch auf Kostenersatz erlischt nach § 103 Abs. 3 S. 1 SGB XII in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Leistung erbracht worden ist. Der Anspruch auf Kostenersatz, der mit einem bestandskräftigen Leistungsbescheid geltend gemacht wurde, erlischt nicht, sondern verjährt nach § 52 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 197 BGB in 30 Jahren.

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13. Fonds in Ergänzung zum Blindengeld

Im Zusammenhang mit der Kürzung des Blindengeldes in Schleswig-Holstein und der Abschaffung des Landesblindengeldes für einen großen Teil der blinden Menschen in Niedersachsen und Thüringen wurden in diesen Ländern zur Abmilderung dieser gravierenden Einschnitte aus Steuermitteln finanzierte Fonds errichtet.

In Schleswig-Holstein soll mit den Fondsmitteln eine Strukturverbesserung der Umwelt erreicht werden, um blinden Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erleichtern.

Demgegenüber soll mit den Mitteln aus den Härtefonds in Niedersachsen und Thüringen individuellen Notlagen begegnet und es sollen Rehabilitationsmaßnahmen einzelner Betroffener gefördert werden. Die Bezuschussung von Rehabilitationsmaßnahmen, z. B. zum Erwerb lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bewältigung des Alltags, zur Förderung der Mobilität, zum Erlernen der Brailleschrift usw., neben dem Anspruch auf Blindengeld ist sehr sinnvoll.

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13.1 Fonds zur Strukturverbesserung in Schleswig-Holstein

Mit Gesetz vom 15.12.2005 wurde in Schleswig-Holstein die Ankoppelung des Landesblindengeldes an die Blindenhilfe nach dem Sozialhilferecht aufgegeben. Das Blindengeld beträgt seither 400,00 Euro für Volljährige und 200,00 Euro für Minderjährige. Neu an diesem Gesetz ist, dass ein Fonds eingeführt wurde, mit dessen Mittel Strukturverbesserungen für blinde Menschen im Land Schleswig-Holstein gefördert werden sollen. Für die Mittelverwendung wurde dem Blinden- und Sehbehindertenverein von Schleswig-Holstein ein Mitspracherecht eingeräumt. In § 1 Abs. 3 Landesblindengeldgesetz für Schleswig-Holstein heißt es dazu:

"(3) In den Haushaltsjahren 2006 bis 2010 stellt das Land für einen Fonds als Sockelbetrag jährlich einen Betrag in Höhe von 400 000 Euro für Maßnahmen und Projekte im öffentlichen Raum zur Herstellung der Barrierefreiheit für Blinde und sehbehinderte Menschen zur Verfügung. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren entscheidet über die Vergabe dieser Mittel nach Beteiligung des Blinden- und Sehbehindertenvereins Schleswig-Holstein e.V."

Die Einzelheiten sind in der "Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen aus dem Fonds zur Herstellung der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum für blinde und sehbehinderte Menschen" vom 24. Januar 2006 - VIII 54 - 458.2092-001 geregelt.

Das Land gewährt nach diesen Richtlinien

  • Zuwendungen zur Finanzierung von größeren Maßnahmen und Projekten zur Herstellung der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum für blinde und sehbehinderte Menschen.
  • Der Fonds ergänzt die Mittel, die für den Förderungszweck anderweitig zur Verfügung stehen. Er ist nicht zur Finanzierung der den Trägern der öffentlichen Verwaltung auferlegten Verpflichtungen aus dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz (LBGG), gleichartigen Verpflichtungen nach anderen Rechtsvorschriften und der allgemeinen sozialpolitischen Ziele der Landesregierung zu verwenden.
  • Ein Rechtsanspruch auf Gewährung von Zuwendungen nach dieser Richtlinie besteht nicht. Die Bewilligungsbehörde entscheidet nach gemeinsamer Festlegung der Prioritäten der Fördermaßnahmen und -projekte mit dem Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein e. V. (BSVSH) nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.

Die Gegenstände der Förderung sind in Nr. 2 der Richtlinie aufgeführt. Zu nennen sind u. a.:

Förderung einer barrierefreien Umwelt- und Lebensraumgestaltung, Ausbau der Nutzbarkeit von Informations- und Kommunikationssystemen, Verbesserung des Zugangs zu Angeboten in Kultur und Tourismus, Maßnahmen zur Qualifizierung und Fortbildung von selbst betroffenen Beauftragten für Umwelt und Verkehr, für Tourismus, für Blindenführhundgespannführer, für Lormdolmetscher, für Hilfsmittel- und Sozialberater, Initiierung von weiteren Hilfs- und Beratungsangeboten, z. B. Einrichtung mobiler Beratungsdienste und regionaler Beratungsstellen, Förderung bei der Hilfsmittel-Entwicklung, Maßnahmen zur Verhütung von Blindheit. Gefördert können auch Kampagnen zur Bewusstseinsänderung in der Öffentlichkeit werden.

Zuwendungsempfängerinnen/Zuwendungsempfänger sind nach Nr. 3 der Richtlinie schleswig-holsteinische Gemeinden und Gemeindeverbände, in Schleswig-Holstein ansässige private Unternehmen, Verbände und Vereine.

Die Zuwendungsanträge sind nach Nr. 6.1 der Richtlinie über den Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein e. V. an das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren (MSGF) zu richten. Der Verein kann auch selbst Anträge stellen. Der BSVSH leitet die Anträge mit seiner Stellungnahme an das MSGF weiter. Die Priorität der Fördermaßnahmen und -projekte wird gemeinsam mit dem BSVSH festgelegt.

Die Richtlinie tritt nach Nr. 8 der Richtlinie mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 2008.

Bemerkenswert ist die starke Einbindung des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Schleswig-Holstein.

Eine Härteregelung für Einzelpersonen enthalten das Gesetz und die Richtlinie nicht. Es handelt sich also um keinen Härtefonds.

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13.2 Härtefonds für Niedersachsen

Durch Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 17.12.2004 wurde das Blindengeld in Niedersachsen nach dem Landesblindengeldgesetz erheblich eingeschränkt. Blinde, die das 27. Lebensjahr vollendet hatten, erhielten ab dem 01.01.2005 kein Blindengeld mehr. Das ist zwar inzwischen wieder geändert worden. Das Blindengeld bis zum vollendeten 27. Lebensjahr wurde auf 300,00 Euro festgesetzt. In Niedersachsen wurde im Zusammenhang mit dieser Gesetzesänderung ein Fonds, der vor allem Hilfe für blinde Menschen in besonderen Lebenssituationen und die Förderung von Rehabilitationsmaßnahmen einzelner blinder Menschen ermöglichen sollte, eingeführt. Dazu wurde die "Richtlinie über die Gewährung von Leistungen aus dem Landesfonds für blinde Menschen in besonderen Lebenssituationen" erlassen.

Der Fonds soll blinde Menschen besonders in außergewöhnlichen Lebenssituationen finanziell unterstützen, um so lange wie möglich eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu erreichen.

Der Landesblindenfonds sieht Leistungen an Personen vor, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Niedersachsen haben und denen aufgrund von Blindheit oder einer schweren Sehstörung das Merkzeichen "Bl" zuerkannt worden ist und die sich nicht in einer vollstationären Einrichtung (Alten- oder Pflegeheim usw.) befinden.

Eine einmalige Leistung in Höhe von 1.000,00 € kann gewährt werden, sofern eine Erblindung nach dem 31.12.2004 eingetreten ist bzw. eine schwere Sehstörung, die das Merkzeichen "Bl" begründet, nach dem 31.12.2004 festgestellt worden ist.

Eine Leistung in Höhe von 1.000,00 € kann gewährt werden, wenn eine blinde Person nach dem 31.12.2004 eine bisher mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebende/n sehende/n Lebenspartner/in oder Angehörige verliert, z. B. durch Tod oder Auszug und dadurch allein lebt.

Blinde, die erstmalig eine Ausbildung, ein Studium, eine Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt oder erstmalig eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt aufnehmen oder wegen Wechsel der Arbeitsstätte oder Beginn einer Umschulung den Wohnort wechseln, erhalten eine Leistung in Höhe von 1.000,00 €.

Wird im Haushalt des/der Blinden mindestens ein Kind unter 16 Jahren tatsächlich durch die blinde Person betreut, kann je Haushalt ein Betrag pro Jahr in Höhe von 1.000,00 € gewährt werden. Dieser Betrag kann jedes Jahr neu beantragt werden.

Blinde, die gleichzeitig gehörlos sind, erhalten eine Leistung in Höhe von 1.800,00 €. Dieser Betrag kann jedes Jahr neu beantragt werden.

Nimmt eine blinde Person an Selbsthilfemaßnahmen teil, kann eine Leistung gezahlt werden, sofern die Maßnahme nicht durch Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, wie Krankenkassen, Rentenversicherungsträger usw., finanziert wird.

Selbsthilfemaßnahmen werden unterschieden nach:

  1. Maßnahmen zur Rehabilitation zur Bewältigung des Alltages. Hierzu zählen insbesondere Training lebenspraktischer Fertigkeiten, Mobilitätstraining; z.B. Unterricht mit dem Laserstock, dem Ultra-Body-Guard, blindenspezifische PC-Schulungen in Hard- und Software. Diese Leistung wird erstattet mit einem Betrag von 50,00 € je Stunde, jedoch höchstens 2.000,00 €.
  2. Maßnahmen zum Erlernen der Brailleschrift, insbesondere der Kurz- und Stenoschrift, der Schreibmaschine. Für diese Maßnahmen wird ein Betrag in Höhe von 12,50 € je Stunde erstattet, höchstens jedoch 1.500,00 €.
  3. Sonstige Selbsthilfemaßnahmen, z. B. Einweisung in blindenspezifische Hilfsmittel. Leistungen werden in Höhe der tatsächlichen Kursgebühren, jedoch maximal bis zu den nachstehenden Höchstbeträgen gewährt:
    • Halbtageskurs (mindestens 4 Stunden); je Maßnahme 120,00 €
    • Tageskurs (mindestens 7 Stunden); je Maßnahme 210,00 €
    • Zweitageskurs (mindestens 14 Stunden); je Maßnahme 420,00 €
    • Dreitageskurs (mindestens 21 Stunden); je Maßnahme 630,00 €

Sofern die Voraussetzungen vorliegen, können die oben beschriebenen Leistungen auch nebeneinander gewährt werden. Selbsthilfemaßnahmen können pro Person

und Kalenderjahr für 2 Maßnahmen und bis maximal 2.000,00 € bewilligt werden.

Das Vorliegen der Voraussetzungen ist durch Vorlage des Feststellungsbescheides über das Merkzeichen "Bl" oder des Schwerbehindertenausweises nachzuweisen.

Anträge auf Leistungen aus dem Landesblindenfonds können formlos beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie gestellt werden.

Die Richtlinien traten mit Wirkung vom 01.01.2007 in Kraft. Sie treten mit Ablauf des 31.12.2010 außer Kraft.

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13.3 Härtefonds in Thüringen

Mit der Gesetzesänderung des Thüringer Blindengeldgesetzes durch Art. 14 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 23.12.2005, welche das Blindengeld ab Vollendung des 27. Lebensjahres abschaffte, wurde gemäß § 11 ein Härtefonds eingeführt. Mit der Wiedereinführung eines Landesblindengeldes für alle blinden Menschen in Thüringen durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 14.12.2007 ab 01.01.2008 endete zum 31.12.2007 die bisherige Härtefondsregelung. Künftige Härtefälle sollen über eine zu gründende Stiftung abgefangen werden. Zur Information wird hier jedoch auf den Härtefonds eingegangen. § 11 in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung lautete:

"Aus dem beim Land einzurichtenden Härtefonds werden nach Maßgabe des Haushalts Mittel bereitgestellt, um Blinden in besonderen Fällen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren. Das für Blindengeld zuständige Ministerium wird ermächtigt, das Nähere, insbesondere über die Voraussetzungen, die Höhe und das Verfahren der zu gewährenden Unterstützung, durch Rechtsverordnung zu regeln."

Daraufhin erging die "Thüringer Verordnung über die Gewährung von finanziellen Unterstützungen aus dem Härtefonds für Blinde (ThürBliHfVO)" vom 14. März 2006.

Nach § 2 der Verordnung kann finanzielle Unterstützung aus dem Härtefonds

gewährt werden an blinde Menschen, die das 27. Lebensjahr vollendet und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Thüringen haben.

Ein Rechtsanspruch auf die Leistungen besteht nach § 1 der Verordnung nicht. In § 3 Abs. 1 wird detailliert aufgeführt, was mit welchem Betrag gefördert werden kann. Er lautet:

"(1) Finanzielle Unterstützung kann in der nachfolgend aufgeführten Höhe anlass- oder ereignisbezogen gewährt werden, wenn eine antragsberechtigte Person, die sich nicht in einer vollstationären Einrichtung befindet, insbesondere

  1. nach dem 31. Dezember 2005 erblindet ist oder bei ihr eine Sehstörung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 festgestellt wird - einmalig 1.500,00 Euro,
  2. allein lebt, weil sie nach dem 31. Dezember 2005 die Unterstützung durch den nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 ThürBliGG blinden Lebenspartner oder bisher mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebende nicht blinde Angehörige (beispielsweise durch Tod oder Auszug) verloren hat - einmalig 1.000,00 Euro,
  3. erstmalig eine Arbeit, eine Ausbildung oder ein Studium aufnimmt oder, bedingt durch den Wechsel der Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienstätte, die Wohnung wechseln muss - einmalig 1.000,00 Euro,
  4. ein Kind oder mehrere Kinder unter 18 Jahren, die mit ihr in häuslicher Gemeinschaft leben, tatsächlich betreut - je Haushalt/Jahr 750,00 Euro,
  5. an Selbsthilfemaßnahmen (beispielsweise Erlernen der Brailleschrift, Mobilitätstraining) teilnimmt, die nicht durch Dritte finanziert werden - einmalig 1.500,00 Euro,
  6. gemeinsam mit anderen Blinden oder denen aufgrund des Grades der Beeinträchtigung ihres Sehvermögens gleichgestellten Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 ThürBliGG (Lebenspartner oder Angehöriger) in häuslicher Gemeinschaft lebt - je Haushalt einmalig 1.500,00 Euro oder
  7. taubblind ist - einmalig 1.500,00 Euro."

Die Unterstützung wird nach § 5 der VO auf schriftlichen Antrag gewährt. Der Antrag samt Nachweisen ist an das Landesamt für Soziales und Familie zu richten.

Diese Verordnung tritt nach § 7 der VO mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2010 außer Kraft.

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14. Verfassungsrechtliche Fragen zum Blindengeld

Verfassungsrechtlich erheben sich zwei Fragen:

  1. Inwieweit ist das Blindengeldrecht mit der Verfassung, insbesondere mit den Grundrechten vereinbar (14.1)?
  2. Gibt es einen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz (14.2)?

Zu diesen Fragen verweisen wir insbesondere auch auf Demmel, Dissertation, S. 496 ff.

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14.1 Verfassungsmäßigkeit des Blindengeldes

Die Verfassungsmäßigkeit des Blindengeldes wird immer wieder hinterfragt. Vgl. z. B. Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RN. 2 zu § 72, welche lautet: "Gleichwohl bleibt die Sonderstellung der Blindenhilfe verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht unproblematisch, weil die ausschließliche Anknüpfung an die Art der Behinderung große Gruppen ähnlich schicksalhaft von schweren Erkrankungen oder Behinderungen betroffener Menschen (hohe Querschnittslähmungen, Stoffwechselerkrankungen wie Mukoviszidose oder Muskelschwund, angeborene oder fortschreitende geistige Behinderungen, wie Morbus Down oder Alzheimer) trotz vergleichbaren Bedarfs von vornherein aus dem Kreis der Leistungsberechtigten ausschließt.

Darauf wird unter 14.1.1 und 14.1.2 eingegangen.

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14.1.1 Übereinstimmung mit dem Sozialstaatsprinzip

Das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen und die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII entsprechen dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG). Es entspricht dem Gebot sozialer Gerechtigkeit, wenn der behinderungsbedingte erforderliche Mehraufwand in der Weise ausgeglichen wird, dass der Betroffene mit im Übrigen sozial vergleichbaren Mitgliedern der Gemeinschaft gleiche Chancen für die Entfaltung seiner Persönlichkeit hat. Der Hilfebedürftige muss dazu in die Lage versetzt werden, sich seine Umwelt anzueignen, um am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat einen grundrechtlichen Anspruch auf Hilfeleistung zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins ausdrücklich anerkannt und dazu festgestellt: "Gewiss gehört die Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten eines Sozialstaates. Dies schließt notwendigerweise die Sozialhilfe für die Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu unterhalten." (vgl. BVerfGE, Bd. 5, S. 85, 198).

Das Sozialstaatsprinzip rechtfertigt somit auch die dem Ausgleich von Nachteilen dienende Leistungsgewährung, auch wenn die Herleitung eines subjektiven Rechts aus dem Sozialstaatsprinzip von der Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich abgelehnt wird.

Aus der Zweckbestimmung des Blindengeldes, das gerade die Möglichkeit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und als Rehabilitationsleistung zur Eingliederung Behinderter bezweckt und ihre Chancengleichheit herbeiführen soll, ergibt sich, dass es nicht im Widerspruch zum Sozialstaatsprinzip steht, sondern diesem gerade entspricht.

Wegen des großen Gestaltungsspielraums, den der Gesetzgeber bei der Gewährung von Leistungen an Hilfsbedürftige hat, widerspricht es auch nicht dem Sozialstaatsprinzip, dass blinde Menschen durch spezielle Gesetze eine auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Leistung erhalten (BVerfGE Bd. 17, 210-216; Bd. 29, 221-235; BD. 44,70-89).

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14.1.2 Das Blindengeld und der Gleichheitssatz

Zu unterscheiden sind der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), welcher besagt: "(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" und der spezielle Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG), welcher lautet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

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14.1.2.1 Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG

Durch das Blindengeldrecht werden blinde Menschen in besonderer Weise gefördert. Sie erhalten zum Ausgleich ihres Mehrbedarfs und ihrer Benachteiligung pauschalierte Sozialleistungen, und zwar nach den Landesgesetzen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen, nach § 72 BSHG subsidiär unter Berücksichtigung von Einkommens- und Vermögensgrenzen. Auf den Nachweis eines konkreten Bedarfs kommt es nicht an.

Im Rahmen der Blindengeldgesetze erhalten hochgradig Sehbehinderte und Gehörlose nur nach folgenden Gesetzen entsprechende, allerdings niedrigere Leistungen:

Hochgradig Sehbehinderte nach den Landesgesetzen von Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Gehörlose erhalten Leistungen in folgenden Ländern: Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Weitere Schwerstbehinderte erhalten Leistungen nach den Blindengeld- bzw. Pflegegeldgesetzen von Brandenburg, Bremen und Sachsen (nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr) sowie nach Besitzstandsregelungen in Berlin und nach dem Pflegegeldgesetz für Rheinland-Pfalz.

Weil andere Behindertengruppen im Übrigen keine entsprechenden Leistungen erhalten, muss die Vereinbarkeit des Blindengeldrechts mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG betrachtet werden (vgl. Haufe Onlinekommentar zu SGB XII RN. 2 zu § 72 zitiert unter 14.1).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes beschränkt sich der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf ein reines Willkürverbot. Vielmehr wird ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz auch angenommen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Gruppen anders behandelt wird, obwohl kein sachlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt. Der Gleichheitssatz verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter, dass für die ungleiche oder gleiche Behandlung von Sachverhalten und die Auswahl der Anknüpfungskriterien - bezogen auf die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs ... und unter besonderer Berücksichtigung von Sinn und Zweck der betreffenden Regelung - vernünftige, einleuchtende Gründe bestehen (BVerfGE, Bd. 97, S. 271; Bd. 94, 241).

Aus der Zweckbestimmung der Blindengeldleistungen, einen Ausgleich für die blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile zu gewähren, um den Betroffenen die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen, ist klar ersichtlich, dass die Blindengeldleistungen keine willkürliche Begünstigung darstellen, sondern sachlich begründet sind.

Bei der Gewährung von Sozialleistungen steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Es bleibt ihm überlassen, wie er soziale Probleme löst. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist bei gewährender Sozialpolitik größer als bei einschränkenden Maßnahmen (BVerfGE Bd. 17, 210-216; Bd. 29, 221-235; BD. 44,70-89).

Dass der Gesetzgeber mit den Leistungen für Blinde nach den Blindengeldgesetzen nicht willkürlich gehandelt hat, zeigt sich auch daraus, dass behinderte und kranke Menschen, die pflegebedürftig im Sinne von § 14 SGB XI sind, Ausgleichsleistungen nach dem SGB XI, und zwar ebenfalls ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen, erhalten. Soweit solche Ansprüche nicht zustehen, weil es an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlt, greift die Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII ein. Es steht somit für pflegebedürftige Menschen, zu welchen Schwerstbehinderte häufig zählen, ein ihren Bedürfnissen entsprechendes dem Blindengeldrecht vergleichbares System zur Verfügung.

Außerdem kann niemand allein daraus, dass einer Gruppe aus besonderem Anlass besondere Vergünstigungen zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten, genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen (BVerfGE, Bd. 49, S. 142-208).

Die Blindengeldgesetze stehen deshalb nicht im Widerspruch zum allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3. Abs. 1 GG. Diese Feststellungen besagen nicht, dass es politisch nicht wünschenswert wäre, auch für andere Behindertengruppen einen den jeweiligen Bedürfnissen entsprechenden gesetzlichen Nachteilsausgleich zu schaffen.

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14.1.2.2 Vereinbarkeit mit dem speziellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG

Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG führt durch sein Diskriminierungsverbot zu einer Verstärkung der Anforderungen auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG. Verstärkt werden die Gehalte des Sozialstaatsprinzips zugunsten behinderter Menschen. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verbietet nicht nur eine Benachteiligung behinderter Menschen (Abwehrfunktion). Er steht ihrer Begünstigung und Förderung nicht im Wege, sondern rechtfertigt diese, wenn sie der Eingliederung in die Gesellschaft und der Sicherung der Chancengleichheit dient. Hinsichtlich der Schaffung der Chancengleichheit handelt es sich um einen Auftrag an den Staat, also ein Staatsziel. Deshalb können aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG keine unmittelbaren subjektiven Rechte hergeleitet werden. Als objektive Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Integration behinderter Menschen liefert Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG eine Rechtfertigung für Begünstigungen, die dem Nachteilsausgleich behinderter Menschen dienen. Das bedeutet für das Blindengeldrecht, dass es nicht nur mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vereinbar ist, sondern dass es aus dieser Bestimmung eine Rechtfertigung erfährt.

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14.2 Verfassungsrechtliche Bestandsgarantie

Die Entwicklung des Blindengeldrechts hat gezeigt, dass es laufenden Änderungen unterworfen ist. In den letzten Jahren wurde das Blindengeld nahezu nach allen Landesgesetzen gekürzt, ja in Niedersachsen und Thüringen wurde der Blindengeldanspruch vorübergehend für einen großen Teil der blinden Menschen völlig abgeschafft (vgl. 3.2.5.3). Begründet wurden die Eingriffe mit der Notwendigkeit, öffentliche Mittel einzusparen.

Deshalb erhebt sich die Frage, inwieweit es verfassungsrechtlich einen Bestandsschutz gibt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet das Sozialstaatsprinzip eine - nicht einklagbare - Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, wobei dem Gesetzgeber bei der Erfüllung dieser Pflicht ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet ist (BVerfGE Bd. 17, 210-216; Bd. 29, 221-235; BD. 44, 70-89). Das Sozialstaatsprinzip stellt also dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie diese Aufgabe im Einzelnen zu verwirklichen ist.

Der dem Gesetzgeber eingeräumte weite Gestaltungsspielraum lässt auch die Rücknahme von Regelungen zu, die Verfassungsaufträge erfüllen, also im Einklang mit der Verfassung stehen. Der Gesetzgeber hat in solchen Fällen eine besondere Begründungspflicht.

Eingriffsschranken können sich aus den Grundrechten ergeben.

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14.2.1 Schutz durch die Unantastbarkeit der Menschenwürde

Die Frage ist, ob sich aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) und aus dem Gebot des Staates, sie zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein Schutz gegen den Abbau von Sozialleistungen ergibt. Eine Schranke gegen den Abbau von Sozialleistungen muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dort gesehen werden, wo ein menschenwürdiges Leben bei Verlust der Sozialleistungen nicht mehr möglich ist. Daraus ergibt sich ein Anspruch auf die Sicherung des Existenzminimums (BVerfGE Bd. 87, S. 153-169). Darunter ist die Hilfe zum Lebensunterhalt zu verstehen. Der Schutzbereich kann sich allenfalls auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, nicht aber auf die Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen erstrecken.

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14.2.2 Schutz durch die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG)

Als Schutz gegen den Abbau von Sozialrechten kommt die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) in Betracht.

Das Bundesverfassungsgericht räumt sozialversicherungsrechtlichen Positionen (Ansprüchen und Anwartschaften) einen sich aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ergebenden Bestandsschutz ein. Voraussetzung für den Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie aber nur dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen, also Versicherungsbeiträgen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (vgl. BVerfGE, Bd. 53, S. 257-290; BVerfGE, Bd. 97, S. 271-297).

Damit scheiden nach der Rechtsprechung von vorneherein alle sozialen Sicherungssysteme bzw. Sozialleistungen aus dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG aus, die nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert sind. Das trifft für die Blindengeldleistungen zu. Daran ändert nichts, dass in der Literatur die Versagung des Eigentumsschutzes für steuerfinanzierte Sozialleistungen kritisiert wird (vgl. Demmel Dissertation S. 520 ff.).

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14.2.3 Schutz durch den Gleichheitssatz (Art. 3 GG)

Hier geht es um die Frage, ob der Gleichheitssatz einen Schutz gegen den Abbau des Blindengeldrechtes bieten kann.

Dabei müssen Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. im Licht des Sozial- und Rechtsstaatsprinzips gesehen werden, denn die Grundrechte sind Konkretisierungen dieser elementaren Prinzipien des Grundgesetzes.

Diesen Prinzipien sind die Prüfungsmaßstäbe für zulässige Eingriffe in Sozialleistungen zu entnehmen:

  • Bestands- und Vertrauensschutz,
  • Übermaßverbot (allgemeines Verhältnismäßigkeitsprinzip) mit den Teilaspekten
    • Geeignetheit,
    • Erforderlichkeit und
    • Verhältnismäßigkeit sowie
    • soziale Gerechtigkeit.

Da wegen des vorangegangenen Tuns des Gesetzgebers bei der Gewährung von Sozialleistungen die Vermutung überdies für die Verfassungsmäßigkeit dieser Leistungen spricht, ergibt sich daraus eine Begründungspflicht des Gesetzgebers für beabsichtigte Einschränkungen. Diese Begründungspflicht wird durch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG noch verstärkt, weil diese Vorschrift die Förderung der Eingliederung behinderter Menschen nicht nur zulässt, sondern als Staatsziel fordert. Nimmt der Staat Leistungen, die der sozialen Eingliederung dienen, zurück, darf er nicht ohne weiteres bei diesem Kernbereich der Sozialstaatlichkeit beginnen, sondern muss andere Einsparungsmöglichkeiten ernsthaft in Betracht ziehen. In seiner Gesetzesbegründung muss insofern zum Ausdruck kommen, warum gerade Leistungen zum Nachteilsausgleich für behinderte Menschen notwendig zurückgenommen werden müssen, um einem vorrangigen Belang gerecht zu werden. Das fordert auch der Vertrauensschutz auf den Bestand gewährter Leistungen. Im Zusammenhang mit Eingriffen in Sozialleistungen wird im Rahmen der Berücksichtigung öffentlicher Belange, d. h. im Rahmen der erforderlichen Güterabwägung, vom Gesetzgeber häufig auf die Notwendigkeit der Haushaltssanierung hingewiesen. In einer zum Kindergeld ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.05.1990 - 1 BvL 20/84 - = BVerfGE Bd. 82, 60 105 wurde die Haushaltssanierung als zu beachtender öffentlicher Belang anerkannt, das gegenüber dem Interesse der Klägerin auf Fortbestand eines ungekürzten Kindergeldes überwiege. Vgl. auch BVerfGE Bd. 29, 402 und BVerfGE Bd. 33, 301 (333) sowie zum Blindengeldgesetz von Nordrhein-Westfalen Urteil des OVG NRW vom 13.12.2001 - Az: 16 A 847/00, in welchem festgestellt wurde, dass die Kürzung des Blindengeldes nach § 2 Abs 1 S 2 GHBG ab Vollendung des 60. Lebensjahres nicht verfassungswidrig sei.

Es zeigt sich, dass Eingriffe in das Blindengeldrecht zwar sorgfältig begründet werden müssen, der verfassungsrechtliche Schutz aber relativ gering ist. Vgl. dazu Demmel, Dissertation S. 526 ff.

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15. Literaturhinweise

  • Demmel, Herbert: Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, Diss. Berlin 2003..
  • Hennies G.: Der Blinde im geltenden Recht, insbesondere Kap X.

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16. Impressum

Schriftenreihe: Rechtsberatung für blinde und sehbehinderte Menschen
Heft 6: Blindengeld - Sehbehindertengeld - Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

Stand: Februar 2010

Von: Dr. Herbert Demmel und Karl Thomas Drerup
Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. und Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.

Diese Schriftenreihe widmen wir dem Andenken an Dr. Dr. Rudolf Kraemer. Zu seiner Person vgl. Heft 01 Abschnitt 1.

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