horus 1/2016

Titelblatt:

Horus 1/2016 trägt den Titel "Inklusion braucht Qualität". Das Titelbild ist eine Kollage dreier Fotos: Das größere, obere Foto zeigt vier blista-Schülerinnen und -Schüler, die sich über ein gelungenes Physik-Experiment freuen - Papierstreifen schweben, elektrisch geladen, in alle Richtungen auseinander. Die beiden unteren Fotos geben Eindrücke der blista-Fachtagung "Inklusion braucht Qualität!" wieder: Links ein Foto des Hessischen Kultusministers Prof. Dr. Alexander Lorz am Rednerpult, rechts ein Blick auf Zuschauerraum und Bühne mit blista-Direktor Claus Duncker am Rednerpult.

Inhaltsverzeichnis

Vorangestellt

Claus Duncker

Liebe Leserin, lieber Leser,

als vor 100 Jahren in Marburg der Leiter der Universitätsaugenklinik Prof. Dr. Alfred Bielschowsky zusammen mit Carl Strehl, einem erblindeten Studenten, Punktschriftkurse für im Krieg erblindete Soldaten organisierte, kannte man den Begriff „Inklusion“ noch nicht. Dennoch war es die Vision einer inklusiven Arbeitswelt, die die Gründer des „Vereins der blinden Akademiker Deutschlands“ und der „Hochschulbücherei, Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Studierende e.V." antrieb. Um trotz der Erblindung einen akademischen Beruf zu erlernen oder weiter erfolgreich auszuüben, galt es, berufliche Perspektiven aufzuzeigen und potentielle Arbeitgeber von der Leistungsfähigkeit blinder Akademiker zu überzeugen.

So ist der Blick in die Geschichte des DVBS und der blista keine Frage der Nostalgie, sondern wir sind uns unserer Tradition bewusst, mit vielen kleinen und großen Meilensteinen für die Verbesserung der Teilhabechancen blinder und sehbehinderter Menschen beizutragen.

100 Jahre erfolgreiche Arbeit kann aber nur geleistet werden, wenn man verlässliche und zupackende Partner hat. Und so ist das Jubiläum Anlass genug, uns mit vielen dieser Partner, z. B. auf der Fachtagung „Inklusion braucht Qualität – faire Bildung für alle Kinder“, über die chancengleiche Bildung für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler auszutauschen.

Unsere besondere Sorge gilt dabei sehbehinderten Jugendlichen, die ihre „nicht sichtbaren“ Einschränkungen in inklusiven Klassen negieren, um soziale Exklusionserfahrungen zu vermeiden. Und davon kennen wir viele Beispiele. Wenn dann die schulischen Leistungen sinken, weil die Schülerin oder der Schüler den visuell präsentierten Lernstoff nicht bewältigen kann, droht der Schulabbruch wegen mangelnder Leistung. Wie kann es gelingen, das Umfeld entsprechend zu sensibilisieren? Wie wecken wir die nötige Aufmerksamkeit dafür, dass ein „schulisches Versagen“ bzw. ein Schulabbruch visuelle Ursachen haben kann?

Wir stehen mit dieser Problematik, als eine kleine Gruppe in einer komplexen bildungspolitischen Landschaft für eine optimale Versorgung beizutragen, nicht alleine. Vor gleichen bzw. ähnlichen Problemen stehen die Gehörlosen und Hörgeschädigten, mit denen diese Fachtagung gemeinsam vorbereitet und durchgeführt wurde. Die Zusammenarbeit der Gruppe der Sinnesbeeinträchtigten war bisher einzigartig und es hat mich besonders gefreut, dass diese Gruppe von unserem Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lortz gesehen wird, bzw. bei ihm Gehör findet.

Chancengleiche Bildung macht die Anpassung und kontinuierliche Fortentwicklung vorliegender Konzepte und Ansätze unumgänglich. Aus der Fachtagung, die im November 2015 stattfand, werden Sie in diesem horus vielfältig Beispiele finden, wie wir Standards erhalten und weiterentwickeln können.

Ihr

Claus Duncker

Ein Portraitfoto zeigt Claus Duncker. Er trägt zum dunkelgrauen Sakko ein helles, gestreiftes Hemd, rote Krawatte und eine randlose Brille. Bildunterschrift: Claus Duncker ist Direktor der blista. Foto: Bruno Axhausen

In eigener Sache

Zurück im DVBS-Team

Mein Name ist Savo Ivanic. Ich verstärke momentan das horus-Team. Einige von Ihnen und Euch kennen mich bereits als Autor der blista-Buchtipps oder als ehemaligen Koordinator des blista-Modellprojekts „Die Hörbücherei vor Ort“.

Für den DVBS war ich zuvor von 2003 bis 2004 tätig – manche werden sich vielleicht noch erinnern –, damals als Mitarbeiter von Michael Herbst. Hier bekam ich erste fundierte Einblicke in die vielfältige Arbeit einer Selbsthilfe-Organisation.

Nach einigen Jahren als Online-Redakteur und Journalist – unter anderem beim Marburger und Gießener Stadtmagazin „Express“ – und in der kirchlichen Jugendarbeit sowie in der blista-Öffentlichkeitsarbeit, schreibe ich Ihnen wieder aus der DVBS-Geschäftsstelle.

Das Engagement und die Energie, mit der sich alle für ihre Interessen und Belange einsetzen, sowie der respektvolle und herzliche Umgang miteinander, haben mich im DVBS seit jeher beeindruckt. Nicht zuletzt als selbst Betroffener: Mit einem Sehrest von zwei Prozent stehe ich quasi an der Schwelle zur Blindheit und weiß daher aus eigener Erfahrung um die Notwendigkeit einer starken und effizienten Selbsthilfe.

Diese Ausgabe wäre ohne die Vorarbeiten von Christina Rausch so nicht möglich gewesen – ohne die strukturierten Dateien und Tipps, die sie mir hinterlassen hat, bevor sie im Dezember eine neue berufliche Herausforderung angenommen hat. Hierfür und für die vielen Ausgaben, die sie betreut hat, meinen Respekt und ein herzliches Dankeschön!

horus 2/2016: „Hörbar lebendig“

Das Schwerpunktthema der nächsten Ausgabe lautet „Hörbar lebendig“. Horus 2/2016 bietet Gelegenheit, von den Erfahrungen zu berichten, blind oder sehbehindert im Zentrum der Öffentlichkeit zu stehen, etwa bei (Kultur-)Veranstaltungen oder um eine wichtige Sache voranzubringen – Situationen, in denen wir uns in einer Welt der Sehenden mit Lust und Engagement Aufmerksamkeit verschaffen, im Beruf, Hobby oder Ehrenamt.

Senden Sie uns Ihre Beiträge bitte per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Texte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen. Kürzere Meldungen sollten bitte nicht länger als 2.000 Zeichen sein.

Redaktionsschluss ist der 5. April 2016.

Die horus-Redaktion freut sich auf Ihre Berichte und Tipps!

Mit Portraitfoto. Savo Ivanic lächelt, vom rechten Bildrand scheint Sonne auf sein Gesicht. Seine braunen Augen schauen offen in die Kamera. Sein halbkreisförmiger Haarkranz ist millimeterkurz geschnitten. Er ist glatt rasiert und trägt einen grauen Pullover. Den Hintergrund des Portraitfotos bildet eine weiße Bürowand. Bildunterschrift: Neu im Redaktionsteam: Savo Ivanic. Foto: DVBS.

Schwerpunkt: "Inklusion braucht Qualität"

Dr. Imke Troltenier

Inklusion braucht Qualität – Faire Bildung für alle Kinder!

Fachtagung der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) am 5.11.2015 in Marburg

„Inklusion braucht Qualität!“: Das betonten alle Referenten der gleichnamigen Fachtagung der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista), die am 5. November in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände (DG) stattfand. Rund 200 Gäste kamen zu der Auftaktveranstaltung zum 100-jährigen Jubiläum der blista. In Vorträgen und Workshops diskutierten sie über inklusive Pädagogik und Didaktik. Hintergrund der Initiative: Spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wird in Deutschland viel über schulische Inklusion gestritten, doch Schülerinnen und Schüler mit Sinnesbehinderungen kommen in dieser Debatte kaum vor.

Marburg als Vorreiter der Inklusion

Dass Marburg und die blista in den vergangenen 100 Jahren immer wieder Vorreiter bei der Inklusion waren, betonte blista-Direktor Claus Duncker bei der Begrüßung: Von hier aus traten die akustischen Ampeln ihren Siegeszug an, hier entstanden die erste deutsche Blindenhörbücherei und die erste Ausbildungsstätte für O&M- und LPF-Lehrer in Deutschland. Die Philipps-Universität, an der ein Drittel aller Hochschüler mit Seheinschränkungen Deutschlands studieren, hat sich des Themas ebenfalls angenommen. In Flächenländern sei die optimale Versorgung von sehbehinderten Schülern jedoch schwierig, so Duncker. Und wenn die schulischen Leistungen sinken, drohten Schulabbrüche.

Kultusminister Lorz: „Wir brauchen die geballte Kompetenz“

Dass die UN-BRK zur Bewusstseinsbildung beiträgt, betonte der hessische Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lorz. Wie man dabei am besten zu chancengleicher Bildung komme, sei eine ganz andere Frage: „Da haben wir noch einen langen Weg vor uns“, sagte Lorz. Er berichtete von einer kontinuierlichen Zunahme der Jungen und Mädchen, die in hessischen Regelschulen inklusiv beschult werden. Zugleich steige jedoch auch die Zahl der Schüler mit Förderbedarf, die aktuell zwischen 7.000 und 8.000 liege.

Gleichzeitig betonte der Kultusminister: „Die chancengleiche Bildung ist ein Teil der Inklusion und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und weil für uns Kindes- und Elternwohl ganz wesentliche Parameter in der Beschulung sind, glaube ich, dass wir beide Angebote bis auf weiteres brauchen werden, die Inklusion und die Förderschule, insbesondere im Bereich der Sinnesbeeinträchtigungen. Speziell in diesem Bereich brauchen wir die geballte Kompetenz, wie die blista sie hat.“ Gleichzeitig sagte Lorz, dass verstärkt in die Ausbildung von bereits spezialisierten Lehrkräften investiert werden müsse, genauso wie in die gezielte Fortbildung von Lehrern an Regelschulen. „Lehrkräfte müssen weitergebildet werden, um Berührungsängste zu nehmen. Da verdient die 'Checkliste Inklusion', die bei uns im Ministerium entwickelt worden ist, Beachtung. Sie hilft den Schulen, ihre eigene Kultur einzuschätzen“, so Lorz. Er betonte außerdem, wie wichtig die Einstellung und Haltung eines jeden Einzelnen unserer Gesellschaft sei als Grundlage für gelingende Inklusion. Vorurteile und Berührungsängste abzubauen, sei entscheidend: „In Marburg war das schon zu meiner Studienzeit selbstverständlich: Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit gehörten seit jeher zur Stadt und prägten das Straßenbild, auch durch die Tatsache, dass die blista fast hundert Jahre hier ist. Das ist nicht an allen Orten so. Das städtische Umfeld hat hier durchaus Vorbildcharakter.“

Inklusion braucht Haltung

In den nachfolgenden Vorträgen machten die Referenten Peter Rodney vom dänischen Institut für Blinde und Sehbehinderte (IBOS), Prof. Dr. Vera Moser (Humboldt-Universität Berlin) und Ines Helke (Deutscher Schwerhörigenbund) deutlich, wie die Inklusion von Menschen mit Sinnesbehinderungen gelingen kann und sprachen sich durchgehend für die Wichtigkeit der persönlichen und individuellen Einstellung aus.

Auch Schülerinnen und Schüler der blista kamen als Experten in eigener Sache zu Wort. Sie sprachen in einer moderierten Podiumsdiskussion über ihre eigenen Erfahrungen mit Inklusion und ihren Schulalltag an der blista. Im Anschluss daran widmeten sich sieben Workshops dem Thema Inklusion aus der Perspektive der pädagogischen Praxis. So wurde dabei unter anderem die Bedeutung überregionaler Beratungs- und Förderzentren diskutiert und die Entwicklung eines Inklusionskoffers vorangetrieben, dessen Inhalte für die Belange von Schülerinnen und Schülern mit Sinnesbeeinträchtigungen sensibilisieren sollen.

Den Abschluss der hochkarätigen Fachtagung bildete eine Talkrunde mit Vertreterinnen und Vertretern von Selbsthilfe-, Eltern- und Pädagogenverbänden. Eine Ausstellung mit Infoständen begleitete die Fachtagung. Unter anderem beteiligten sich: Philipps-Universität Marburg, Mathematikum, Chemikum, 3D-Druck, Hörbücherei, Inklusion & Innovation, Kinderlexikon, Studienführer der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten, Verlag Karin Kestner.

Die Durchführung der Fachtagung fand statt in Kooperation mit:

Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände,
Deutscher Schwerhörigenbund,
Hessisches Kultusministerium,
Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, Referat UN-BRK,
VBS-Landesverband Hessen,
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf,
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband,
Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder,
Reinhard Frank-Stiftung, Hamburg.

Die blista-Fachtagung wurde gefördert durch das Hessische Kultusministerium und das Hessische Ministerium für Soziales und Integration, Referat UN-BRK.

Zur Autorin:

Dr. Imke Troltenier ist seit 2014 stellvertretende Direktorin der blista. Zu Ihren Hauptanliegen gehört, Angebote zu entwickeln, zu verbessern und auszubauen, die den gesellschaftlichen Wandel zur Inklusion unterstützen.

Der Beitrag enthält zwei Fotos, eine Grafik und verschiedene Logos.

Eingangsfoto zum Beitrag: blista-Direktor Claus Duncker begrüßt die zahlreichen Gäste der Fachtagung "Inklusion braucht Qualität" in der Aula der blista. Das Foto ermöglich einen Blick über die Rücken der Zuhörerinnen und Zuhörer hinweg auf die Podiumsbühne mit Leinwand "Herzlich Willkommen bei der blista - 100 Jahre 100 Talente". Das Rednerpult mit Claus Dunker befindet sich links auf der Bühne, zwischen Pult und Leinwand sitzen zwei Gebärdendolmetscherinnen auf Stühlen. In der Aula ist jeder Stuhl besetzt. Bildunterschrift: „blista-Direktor Claus Duncker begrüßt die Gäste.“ Foto: blista

Foto 2: Prof. Dr. Lorz im dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und roter Krawatte mit weißen Diagonalstreifen. Er steht vor einem großformatigen, modernen Gemälde. Bildunterschrift: Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz. Foto: Hessisches Kultusministerium.

Grafik Ländervergleich. Bildunterschrift: Inklusion im Trend: Im Schuljahr 2012/2013 wies Hessen einen Inklusionsanteil von 20,5 Prozent auf bei der inklusiven Unterrichtung förderbedürftiger Schülerinnen und Schüler. Grafik "Inklusionsanteile im Ländervergleich": KMK, Bertelsmann Stiftung

Beschreibung: Inklusionsanteile im Ländervergleich - Schuljahre 2008/2009, 2011/12 und 2012/13. Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, die inklusiv unterrichtet werden, an allen Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf, Angaben in Prozent.

Werte 2008/2009 / 2011/12 und 2012/13:

Baden-Württemberg: 26,0 / 27,7 / 22,7

Bayern: 16,1 / 22,4 / 24,8

Berlin: 38,8 / 47,3 / 50,6

Brandenburg: 36,4 / 40,0 / 42,0

Bremen: 39,9 / 55,5 / 63,1

Hamburg: 14,5 / 36,3 / 54,0

Hessen: 11,0 / 17,3 / 20,5

Mecklenburg-Vorpommern: 21,7 / 30,4 / 31,7

Niedersachsen: 6,6 / 11,1 / 14, 7

Nordrhein-Westfalen: 12,4 / 19,2 / 23,9

Rheinland-Pfalz: 16,9 / 23,0 / 24, 9

Saarland: 31,2 / 39,1 / 42,9

Sachsen: 16, 4 / 23,7 / 26,2

Sachsen-Anhalt: 8,6 / 20,5 / 24,1

Schleswig-Holstein: 40,9 / 54,1 / 57,5

Thüringen: 16,9 /27,8 / 28,7

Deutschland: 18,4 / 25,0 /28,2

Dem Beitrag am Ende angefügt wurden die Logos des Deutschen Schwerhörigenbundes, der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten (DSB), des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., der Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder e. V., des VBS, des Hessisches Kultusministeriums, des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration.

Prof. Dr. Vera Moser

Inklusion als gesellschaftlicher Auftrag

Sehr geehrter Herr Kultusminister Dr. Lorz, sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, an dieser Auftaktveranstaltung zum 100-jährigen Bestehen der Blindenstudienanstalt Marburg teilnehmen zu können und ein paar Gedanken zur Inklusion an dieser Stelle vortragen zu dürfen und bedanke mich daher beim Vorstand ganz herzlich für die Einladung und darf zugleich meine Glückwünsche aussprechen.

Die blista ist mir bestens vertraut durch mein mehr als zehnjähriges Leben in dieser schönen Stadt, u.a. als Studentin und Studienreferendarin – denn wer in Marburg wohnt, kennt auch immer jemanden, der hier lebt, lernt und arbeitet. Die blista gehört damit unweigerlich zu Marburg und hat neben einigen anderen bedeutenden Einrichtungen wie das erste Wohnheim für körperbehinderte Studierende und den ersten Assistenzdienst für Menschen mit Behinderungen, der FIB, das Verständnis für die Situation behinderter Menschen in der Marburger Bevölkerung nachhaltig beeinflusst. Die blista gehört aber auch zu den frühen Gründungen von - wie es damals überall hieß – Anstalten für behinderte Menschen, die vor allem im 19. Jahrhundert entstanden. Dabei hat das sogenannte Blindenwesen historisch zwei Wurzeln: a) die der lebenslangen Verwahrung (z.B. lautete der Titel eines Handbuches für das Blindenwesen aus dem Jahr 1900: "Lasset uns unsere Blinden für ihre eigene Welt erziehen."), wie b) aber auch die des frühen Engagements der Betroffenen zur Artikulation eigener Interessen hinsichtlich Bildung, Teilhabe, Selbstbestimmung und sozialer Absicherung. Schließlich gehört die Selbstvertretung blinder Menschen zu den ersten Selbsthilfeverbänden von Menschen mit Behinderungen, so die in Hamburg 1872 gegründete Blindengenossenschaft. In diesem Spannungsfeld, einem tradierten und ausdifferenzierten Behindertenhilfesystem und der Forderung von Experten in eigener Sache: „Nothing about us without us!“ befindet sich auch die aktuelle Diskussion um Inklusion, wie ich an einigen Stellen deutlich machen möchte.

UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt allgemeine Menschenrechte

In der Bundesrepublik Deutschland ist im Jahr 2009 die von den Vereinten Nationen 2006 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten, und zwar unter ausdrücklicher und personell starker Beteiligung von Menschen mit Behinderungen. Es geht in dieser Konvention nicht um die Beschreibung von Sonderrechten, sondern die Konvention ist eine spezifische Beschreibung allgemeiner Menschenrechte, wie sie 1948 von den Vereinten Nationen deklariert wurden, mit Blick auf den Personenkreis behinderter Menschen, denn es wurde festgestellt, dass diese Personen weltweit in deutlich höherem Ausmaß von Diskriminierungen und gesellschaftlichem Ausschluss betroffen sind.

Hier artikulieren sich eine Reihe weitreichender gesellschaftlicher Herausforderungen, denn die Konvention hat alle relevanten gesellschaftlichen Teilbereiche in den Blick genommen, wie Freizeit, Arbeit, Gesundheit, öffentliches Leben, Wohnen und Bildung, in denen sie für „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ behinderter Menschen plädiert (Art. 3). Dabei wird Teilhabe nicht im Sinne eines paternalistischen Gewährenlassens verstanden, sondern als ein Menschenrecht, das Menschen mit Behinderungen in vollem Umfang genießen sollten (statt individuell und im Einzelfall immer wieder selbst dafür eintreten zu müssen). Behinderung wird insofern auch nicht mehr als individuelle Beeinträchtigung oder gar als individuelles Schicksal verstanden, sondern vor allem als Problem gesellschaftlicher Barrieren, für deren Abbau die Gesellschaft verantwortlich ist. Insofern ist in der Konvention auch ausdrücklich hinterlegt, dass die Zivilgesellschaft in die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention umfassend einzubinden ist (z.B. Art. 8). Dies ist allerdings noch nicht in ausreichendem Maße verwirklicht, denn der Bekanntheitsgrad der Konvention ist nach wie vor erstaunlich gering. Meine eigenen informellen Erhebungen unter Studienanfänger/innen der Rehabilitationspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin zeigen unverändert etwa ein Drittel, die von der UN-Behindertenrechtskonvention noch nie etwas gehört haben, obwohl sie ja selbst zu den fachlich Interessierten zählen.

Deutschland belegt bei der Umsetzung inklusiver Bildung einen hinteren Platz

Dennoch ist die Reichweite der UN-Behindertenrechtskonvention nicht zu unterschätzen: Veränderungen im Zuge der Globalisierung haben dazu geführt, dass nationale Entwicklungen zunehmend auch unter internationaler Beobachtung stehen, so dass auch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im deutschen Schulsystem von großer Bedeutung ist. Bekanntermaßen belegt Deutschland im internationalen Vergleich in der Umsetzung inklusiver Bildung einen der hinteren Plätze mit einer derzeitigen Quote von etwa 20%. Diese Quote, so zeigen Auswertungen der Schulstatistiken, hängt aber derzeit überraschenderweise nicht mit dem Rückbau des Förderschulsystems zusammen, sondern ist offenbar der zusätzlichen Diagnostik von Regelschüler/innen geschuldet, die dann im Regelschulsystem verbleiben. Dies betrifft vor allem die Förderbereiche Emotional-soziale Entwicklung, Sprache und Lernen. Diese Entwicklung ist allerdings nicht durch die Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention ausgelöst, sondern entstammt bereits der ersten Integrationswelle seit Mitte der 1970er Jahre, trifft aber vor dem Hintergrund internationaler Beobachtungen auf eine ungleich größere Aufmerksamkeit, denn auch die in diesem Jahr vorgelegte Prüfung des Staatenberichts zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat noch einmal formuliert, dass ein inklusives Schulsystem mit dem Rückbau von Förderschulen einhergeht und keine Parallelentwicklung meint.

Diese Statistik gibt darüber Auskunft, wie sich insgesamt die Entwicklung der sonderpädagogischen Förderbedarfe darstellt und dabei seit 2000 – dies hängt mit der Anlage der Schulstatistik zusammen – angegeben wird, in welchem Umfang Schüler/innen mit Förderbedarfen integrativ bzw. inklusiv unterrichtet werden. Hier wird deutlich, dass die integrativ/inklusiv beschulten Schüler/innen sozusagen obendrauf kommen und es rein statistisch keinen Transfer von Sonderbeschulung zu Regelbeschulung gibt.

Wohnortnahe Beschulung als Herausforderung

Die hier zu diskutierende zukünftige Bedeutung der Förderschule im Kontext von Inklusion ist sicherlich auch an diesem Ort hier eine zentrale Diskussionslage, die sich derzeit im bildungspolitischen Raum, im wissenschaftlichen Diskurs, aber auch vor dem Hintergrund der elterlichen Schulwahl weiterentwickelt. Insbesondere bei den selteneren Behinderungsformen, zu denen ja auch die Sehbeeinträchtigungen zählen, ist die umfassende Forderung nach wohnortnaher Beschulung bei gleichzeitiger Erfüllung der Anforderung, dass es hier nicht zur Vereinzelung kommen darf, eine niemals vollständig einlösbare Herausforderung. Das Land Berlin antwortet auf diese Herausforderung z.B. mit dem Kompromiss der Einrichtung sogenannter Schwerpunktschulen. Das Land Schleswig-Holstein arbeitet komplett dezentral mit einem überregionalen Förder- und Beratungszentrum ohne eigene Schüler/innen.

"Schule der Vielfalt"

Inklusion hat aber, so auch der Titel meines Vortrags, nicht nur mit Menschen mit Behinderungen zu tun, sondern formuliert Ansprüche an Teilhabe, Anerkennung und Berücksichtigung individueller Entwicklungen aller Personengruppen, wie jüngst in einem wegweisenden gemeinsamen Dokument der Hochschulrektoren- und der Kultusministerkonferenz hinterlegt wurde: Hier wird eine zukünftige „Schule der Vielfalt“ ausbuchstabiert, die individuelle Ausgangslagen, besondere Erschwernisse wie auch besondere Begabungen, sonderpädagogische Förderbedarfe und kulturelle Herkunft zu berücksichtigen hat.

„Die Entwicklung eines inklusiven Bildungsangebotes in der allgemeinen Schule verfolgt die Ziele, den bestmöglichen Bildungserfolg für alle Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen, die soziale Zugehörigkeit und Teilhabe zu fördern und jedwede Diskriminierung zu vermeiden. Diversität in einem umfassenden Sinne ist Realität und Aufgabe jeder Schule. (…) Das schließt besondere Zuwendung für Lernende ein, für die Marginalisierung, Exklusion und ‚Underachievement’ eine Gefahr darstellen.“
(Gemeinsame Empfehlung HRK & KMK 2015, 2).

Wie dieses Individualisierungsgebot aber in einer, ebenfalls durch globale Trends verstärkten Standardisierung von Bildung auf der anderen Seite zu verbinden ist, stellt allerdings einen noch ungelösten Konflikt innerhalb der aktuellen bildungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion dar.

Qualitative Faktoren von Schule

Auf jeden Fall wird aber aus meiner Sicht eines deutlich: Die Qualität von Schule kann nicht, wie es in der Rezeption der nationalen und internationalen Schulleistungsstudien wie PISA leicht geschieht, nur mittels quantitativer Faktoren, also per Outcomes in Form der Messung von Kompetenzniveaus und Berechnung erzielter Schulabschlüsse, dargestellt werden, es müssen darüber hinaus auch qualitative Faktoren hinzukommen, die auch die Prozessqualität von Schule, z.B. in Form des Klassen- und Schulklimas, der individuellen Anerkennung und der Teilhabemöglichkeiten an Lernprozessen beschreiben. Für die Schweizer Kollegin Judith Hollenweger spielt sich überzeugenderweise Unterricht in den Dimensionen der sozialen Beziehung, der individuellen Entwicklung, der Gesundheit und der Entwicklung von Kompetenzen ab - diese Dimensionen in ein messbares Faktorenmodell zu bringen, scheint mir die Herausforderung der Zukunft an die Messung von Schulqualität zu sein und damit ein Weg dahin, Inklusion näher zu beschreiben.

Auch der Schultheoretiker Helmut Fend (2008) hat neben der Qualifizierungsfunktion von Schule die Integrations- und Sozialisationsfunktion beschrieben, wobei letztere gerade auch vor dem Hintergrund der jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen im Kontext von Migration eine besondere Bedeutung erhält. Dabei sein, so haben es die Kollegen Kreuzer und Ytterhus einmal formuliert, ist also nicht alles – Schule und damit auch Inklusion braucht eine spezifische Qualität, die es neu auszubuchstabieren gilt!

Integration als Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft

Diese Ansprüche an Schule sind aber überraschender Weise keineswegs neu, wie beispielsweise ein Blick in den Bericht der Bildungsratskommission aus dem Jahr 1974 zeigt: Die Kommission, eingesetzt von der damaligen sozial-liberalen Koalition, hatte bereits formuliert, dass die Verwirklichung umfassender Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem eine zentrale Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft darstellt, und damit Integration, wie es damals noch hieß, das Potential hat, Gesellschaft zu verändern:

Die „Integration Behinderter in die Gesellschaft [ist] eine der vordringlichen Aufgaben des demokratischen Staates“.
(Empfehlung der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates 1974, 16)

So sieht es auch die UN-Behindertenrechtskonvention, wenn sie Inklusion in allen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens einfordert, wobei Inklusion in dieser Allgemeinheit, wie es Thomas Schramme (2006, 199) einmal formuliert hat, allerdings erst ein „übergreifendes Modell minimaler Gerechtigkeit“ darstellt und daher der näheren inhaltlichen Ausgestaltung bedarf. Insofern sind hierzu die genannten Dimensionen der Teilhabe und Anerkennung ein Schritt, inklusive Qualität von Schule, aber auch anderer gesellschaftlicher Teilsysteme näher zu bestimmen.

Inklusion als Bereitstellung von Möglichkeiten

Bei Inklusion handelt es sich darüber hinaus, so möchte ich abschließend formulieren, um einen opportunity basierten Zugang, der outcome orientierte Perspektiven, wie sie die bildungspolitische Diskussion hierzulande derzeit dominieren, ergänzt. Opportunity basiert bedeutet, Möglichkeiten bereitzustellen, die die Wählbarkeit von Lebenschancen in Aussicht stellen. Und dazu braucht es mehr als Kompetenzentwicklungen, sondern Chancen des sozialen Austausches, der Teilhabe und der Kommunikation. Eine Gesellschaft, so argumentierte der Träger des Nobelpreises für Ökonomie, Amartya Sen, ist nämlich nicht daran zu bemessen, welche outcomes sie produziert, sondern an der Anzahl real wählbarer, aber auch vorgelebter und erfahrbarer Möglichkeiten, die den einzelnen Individuen zur Verfügung stehen, um ihr Leben zu gestalten (Sen 2009). Und dies kann nur über Kompetenzentwicklungen, Partizipation und Anerkennung in den gesellschaftlichen Teilsystemen gelingen, wie ich in diesen kurzen Ausführungen deutlich machen wollte, und das unter Einbezug der Betroffenen und der Zivilgesellschaft, wozu auch eine solche Veranstaltung ein wichtiger Beitrag ist.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Literatur:

Deutscher Bildungsrat (1974). Empfehlungen der Bildungskommission zur Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher, Stuttgart.

Fend, Helmut (2008): Neue Theorie der Schule, Wiesbaden (2. Aufl.).

Gemeinsame Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz (2015): Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-der-Vielfalt.pdf.

Hollenweger, Judith (2013): Developing applications of the ICF in Education Systems: Addressing issues of knowledge creation, management and transfer, in: Disability & Rehabilitation, 35, 1087 - 1091.

Moser, Vera/Dietze, Torsten (2015): Perspektiven sonderpädagogischer Unterstützung. Bereitstellung von Ressourcen aus nationaler und internationaler Sicht, in: P. Kuhl, S. Stanat, B. Lütje-Klose, C. Gresch, H. A. Pant, M. Prenzel (Hrsg.): Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schulleistungserhebungen, Wiesbaden, 75 - 99.

Schramme, Thomas (2006): Gerechtigkeit und soziale Praxis, Frankfurt.

Sen, Amarya (2009): The idea of justice, Harvard Press.

Zur Autorin:

Prof. Dr. habil. Vera Moser ist seit 2010 am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Berliner Humboldt-Universität tätig. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Sektionen Sonderpädagogik sowie Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften und Herausgeberin des Buches "Die inklusive Schule. Standards für ihre Umsetzung" (2012). Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Der Beitrag wird durch ein Portraitfoto und zwei Grafiken ergänzt.

Portraitfoto Prof. Dr. Moser: Sie lächelt freundlich, ihr Gesicht wird von rotbraunen, schulterlange Haare eingerahmt. Bildunterschrift: Prof. Dr. Vera Moser kam von der Berliner Humboldt-Universität zur blista-Fachtagung nach Marburg. Foto: privat.

Grafik 1: Sonderpädagogische Förderquoten 1992 bis 2012 in Deutschland. Auswertungen der KMK-Statistiken, in: Moser & Dietze 2015. Beschreibung: Balkendiagramm Sonderpädagogische Förderquoten 1992 bis 2012 in Deutschland. Zum Vergleich: 2000 hat die Integration die Förderquote 0,7, 2012 liegt sie bei 1,8.

Die Werte lauten:

Jahr / Förderschule / Integration

1992: 4,2 / keine Angaben

1994: 4,3 / keine Angaben

1996: 4,3 / keine Angaben

1998: 4,4 / keine angaben

2000: 4,6 / 0,7

2002: 4,8 / 0,7

2004: 4,9 / 0,8

2006: 4,8 / 0,9

2008: 4,9 / 1,1

2010: 4,9 / 1,4

2012: 4,8 / 1,8

Grafik 2. Relationale Dimensionen von Unterricht nach Judith Hollenweger: Beziehung, Kompetenz, Entwicklung und Gesundheit. Beschreibung: Ein Kreis ist in Quadranten geteilt. In jedem Viertel ist die Silhouette eines Menschen zu sehen, der breitbeinig auf dem Boden steht und Arme und Fäuste nach oben reckt. Jedem Viertel ist ein Begriff zugeordnet, im Uhrzeigersinn sind dies: Entwicklung - Gesundheit - Kompetenz - Beziehung.

Peter Rodney

Allem voran steht die Einstellung": Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Sehbehinderung

Der Vortrag im Rahmen der blista-Fachtagung wurde von Birthe Klementowski zusammengefasst.

Gelingende Inklusion zeichnet sich aus, so Peter Rodney, durch eine Balance zwischen pädagogischer Ideologie und sozialer bzw. individueller Realität. Er unterstrich während seines Vortrages, dass die Praxis jedoch oft anders aussehe: Inklusion wird implementiert, ohne die sozialen und individuellen Voraussetzungen zu berücksichtigen. Dabei können die Ergebnisse verheerend sein. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler können stark überfordert sein und im schlimmsten Fall psychisch erkranken und sozial ausgegrenzt werden.

Damit Inklusion erfolgreich sein kann, ist es essenziell, die spezifischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu betrachten. Wie geht die Gesellschaft mit Menschen um, die anders sind? Und wie kann das Individuum die Bedarfe der Gesellschaft erfüllen? Das sind für Rodney Fragen, die geklärt sein müssen, um eine erfolgreiche Inklusion zu verwirklichen.

Allem voran steht die Einstellung

Einstellungen sind erlernte Muster im Sinne einer Vorausbereitschaft. Sie sind ein mentaler Faktor, der menschliches Verhalten erklärt und zukünftiges Handeln vorhersagt. Sie sind funktional, da wir nicht für jede Interaktion unsere Verhaltensweise neu überlegen müssen. Einstellungen drücken unsere Werte in zentralen Lebensbereichen aus (Religion, Menschheit), sie formen Wissen und Erfahrungen und schaffen bedeutungsvolle Verbindungen. Sie sind also von enormer Bedeutung für eine gelingende Inklusion von Schülerinnen und Schülern.

Einstellungen haben drei Komponenten: eine kognitive (wie wir die Welt sehen), eine emotionale (wie wir Werte oder Überzeugungen positiv oder negativ einordnen) und einen Handlungsimpuls (Richtungsweiser). Die emotionale Komponente ist der wichtigste Part einer Einstellung. Fehlendes Wissen (kognitive Komponente) führt zu vereinfachten positiven oder negativen Interpretationen. So werden Einstellungen schnell zu Vorurteilen und Stereotypen, z.B. über Menschen mit Behinderungen.

In Dänemark stimmten in einer Befragung alle zu, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Möglichkeiten wie Menschen ohne Behinderung haben sollen (Olsen 2000/1). 80% der Schülerinnen und Schüler in allgemeinen Schulen sagen, dass Kinder mit und ohne Behinderung gleich behandelt werden sollen (Sandø 2011).

Einstellungen im Arbeitsmarkt

Betrachtet man jedoch den tatsächlichen Alltag, fallen die Antworten anders aus: 77% der Menschen ohne Behinderung haben einen Arbeitsplatz. Bei Menschen mit Behinderung liegt die Quote zwischen 27% und 67%. Diese Quote ist unabhängig von Bildungsabschluss und –grad, aber abhängig vom Invaliditätsgrad. Als Fazit lässt sich feststellen: Gleich welchen Bildungsabschluss man betrachtet, Menschen mit Behinderung haben eine niedrigere Beschäftigungsquote.

Die Einstellungen im Arbeitsmarkt machen deutlich: 21% der Befragten möchten “lieber nicht” / “keinesfalls” eine Person mit Sehbehinderung als Kollegen und 6% möchten “lieber nicht” / “keinesfalls” eine Person mit zerebraler Lähmung als Kollegen (socialstyrelsen 2012).

Einstellungen in den Schulen

Die Einstellungen in den Schulen fallen dramatischer aus: 57% der Schülerinnen und Schüler würden nicht zustimmen, neben einer Person mit zerebraler Lähmung zu sitzen. Und 51% würden nicht zustimmen, gerne neben einer blinden Person zu sitzen. 70% sagen, es sei peinlich, in der Öffentlichkeit mit einer blinden Person gesehen zu werden. (socialstyrelsen 2011).

Mit einer Bildungsinitiative wollte das Dänische Bildungsministerium diese Einstellungen verändern, aber die Auswirkungen waren begrenzt: „Neben einem behinderten Schüler sitzen” veränderte sich um 10%, „Peinliches Gesehenwerden in der Öffentlichkeit” änderte sich von 2% auf 5%.

Voraussetzungen, damit Inklusion gelingen kann

Es ist bekannt, dass Inklusion bei manchen Arten von Behinderung leichter gelingt als bei anderen. Zum Beispiel gelingt Inklusion bei Rollstuhlfahrern leichter als bei autistischen Kindern. Peter Rodney führte aus, dass es mentaler und persönlicher Voraussetzungen bedarf, damit Inklusion gelingen kann. Voraussetzungen in kultureller, kognitiver, mentaler oder psychologischer Hinsicht. Eine tragende Rolle bekommen bei Inklusionsprozessen:

  • Die Bindungsfähigkeit, also das Vermögen, mit anderen Menschen in lang andauernde und emotional ausgeglichene Beziehungen zu treten.
  • Die Impulskontrolle, also die bewusste und erwünschte Kontrolle der eigenen Gefühle und Affekte.
  • Perspektivenübernahme, also die Fähigkeit, die Emotionen, Intentionen und Motive anderer Menschen zu verstehen.
  • Die Fähigkeiten, mit Frustration umzugehen, sich motivieren zu können und die eigenen Ziele zu verfolgen sowie die Fähigkeit zu wählen und die Folgen der Wahl zu verstehen bzw. abschätzen zu können.

Zum Referenten:

Peter Rodney, M. A. (Angewandte Psychologie), ist Entwicklungs- und Forschungsbeauftragter am Dänischen Institut für Blinde und Sehbehinderte (IBOS) und Dozent für Psychologie am Fachbereich Sonderpädagogik der Dänischen Pädagogischen Hochschule in Aarhus. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Der Beitrag enthält ein Portraitfoto und eine Grafik.

Das Foto portraitiert Peter Rodney brusthoch. Er trägt ein weißes, halbärmeliges Hemd mit leicht geöffnetem Kragen. Seine Arme sind verschränkt, am linken Handgelenk trägt er eine Uhr. Er blickt freundlich in die Kamera. Seine kurzen Haare rahmen die hohe Stirn ein, der Vollbart ist ebenfalls kurz. Im Hintergrund verschwimmen grüne Blätter mit Lichtpunkten. Bildunterschrift: Der Psychologe Peter Rodney beschäftigt sich mit mentalen und sozialen Bedingungen einer gelingenden Inklusion. Foto: IBOS.

Gafik Auszug aus der Befragung dänischer Schülerinnen und Schüler: 51% würden nicht gerne neben einer blinden Person sitzen. Beschreibung: Vortragsfolie mit drei Aufzählungspunkten. Text: "Attitude in the school. 57 % of the student would not approve to sit next to person with cerebral palsy. 51 % of the student would not approve to sit next to person who was blind. 31 % of the student would not approve to sit next to person who was a wheelchair user."

Ines Helke

Schulische Inklusion für Hörbehinderte

Vortrag im Rahmen der blista-Fachtagung, für horus zusammengefasst von Jürgen Mai.

Zu den Zielen der Tagung „Inklusion braucht Qualität“ zählte, das Thema Inklusion aus der Perspektive verschiedener Sinnesbehinderungen zu beleuchten. Folgerichtig war auch der Deutsche Schwerhörigenbund vertreten, für den Ines Helke mit dem Vortrag „Schulische Inklusion für Hörbehinderte“ referierte. Dabei befasste sich Helke sehr kritisch und lebhaft mit zwei Kernfragen: Wie müssen sich Förderschulen für Hörgeschädigte (sog. „Stammschulen“) wandeln, damit Inklusion gelingt? Und welche Voraussetzungen müssen Regelschulen erfüllen?

Nach ihrem Dafürhalten müssen sich die Stammschulen stärker nach außen öffnen, um Schülerinnen und Schüler optimal auf die hörende Welt vorzubereiten. Als mögliche Maßnahmen forderte Helke eine stärkere Kooperation mit Regelschulen, den bilingualen Unterricht unabhängig vom Grad der Hörbehinderung, regelmäßige Lehrerfortbildungen, die Einrichtung von Außenklassen, um sich auch für nichtbehinderte Kinder zu öffnen, sowie das verpflichtende Angebot von „Hörgeschädigten-Kunde“. Dieses Fach soll mindestens einmal in der Woche stattfinden und von Betroffenen durchgeführt werden, die schließlich eine Vorbildfunktion einnehmen. Aus dem gleichen Grund sollen die Bildungszentren mehr hörbehinderte Lehrerinnen und Lehrer einstellen.

Elemente einer kommunikativen Barrierefreiheit

Mit Blick auf die Regelschulen formulierte Helke als übergeordnete Leitlinie, dass sie sich zur „kommunikativen Barrierefreiheit“ entwickeln müssen. Wesentliche Elemente hierfür sind:

  • Sicherung der akustischen Hörqualität durch qualitätsvolle Raumgestaltung (zum Beispiel Teppiche auf dem Boden), geräuscharme Umgebung und technische Höranlagen für Hörgeräteträger/innen und Cochlea-Implantat-Träger/innen
  • Einsatz von Kommunikationsassistenten: Gebärdensprachdolmetscher/innen, Schriftdolmetscher/innen, Integrationshelfer/innen
  • Adäquate Visualisierung durch Beamer, Filme mit Untertiteln und Einsatz von Smart Whiteboards
  • Einhaltung von Regeln für Kommunikationssituationen: Gesprächsdisziplin („Es spricht immer nur eine Person“), kreisförmige Sitzordnung, ausreichende Beleuchtung
  • Kleine Klassen: Maximal 18 bis 20 Schüler/innen

Mit Blick auf die Regelschulen regte die Inklusionsbotschafterin zudem an, dass in den Mobilen Diensten neben den Beratungslehrern unter anderem auch Sozialpädagogen oder Audiotherapeuten tätig sein sollen, die selbst hörbehindert sind. Zudem sieht es Helke als sinnvoll an, dass Lehrer des Mobilen Dienstes nicht in der Schule für Hörbehinderte unterrichten (und umgekehrt), um eine gegenseitige Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Angesichts dieses Programms weiß Helke um die Schwierigkeiten bei der Finanzierung: „Für die Sozialämter ist das ein Horror.“ Allerdings gilt auch hier das Motto der Tagung: „Inklusion braucht Qualität“. Und die ist nicht zum Nulltarif zu haben. Oft, so Helke, klappe die inklusive Beschulung im Kindergarten und in der Grundschule noch gut. In den weiterführenden Schulen werde es oft schwierig. Deshalb sprach sie sich in ihrem Resümee gegen die Abschaffung der Schulen für Hörbeeinträchtigte aus.

Zur Referentin

Ines Helke ist Diplom-Sozialpädagogin und Jugendleiterin in der Kinder- und Jugendarbeit im Bund der Schwerhörigen e.V. (BdS). Kontakt: Bund der Schwerhörigen e.V. Hamburg, Wagnerstraße 42, 22081 Hamburg, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Der Beitrag wird durch ein Portraitfoto und eine Grafik ergänzt.

Das Portraitfoto zeigt Ines Helke im Gespräch, links im Vordergrund verschwommen ist die gestikulierende Hand eines Gesprächspartners sichtbar. Ines Helke hat rotblonde, kinnlange Haare. Sie trägt eine Brille, deren Gestell farblich zur Kette mit großen geometrischen Gliedern und zur khakifarbenen Bluse passt. Am rechten Blusenausschnitt ist ein längliches, flaches Hörsystem angeklemmt. Bildunterschrift: Ines Helke vom Deutschen Schwerhörigenbund fordert kommunikative Barrierefreiheit. Foto: privat.

Grafik: Selbstbewusstsein, Kommunikationsbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und soziale Kompetenz gehören dazu, um Kinder stark zu machen, damit sie später ihren eigenen Weg selbst bestimmen können - das wichtigste Ziel von Inklusion. Grafik: DSB. Beschreibung: Vortragsfolie, rechts oben mit dem Logo des DSB. Die Überschrift lautet "Wichtigstes Ziel von Inklusion", der Text entspricht der Bildunterschrift. Im unteren Teil der Folie eine Zeichnung von acht Kindern, davon ein Mädchen mit Gipsbein und Krücke und ein Kind im Rollstuhl.

Individuelle Förderung nach Maß – blista-Schüler diskutieren

Eine Zusammenfassung der Podiumsdiskussion mit blista-Schülerinnen und -Schülern von Thorsten Büchner.

Die Förderung von sinnesbehinderten Kindern und Jugendlichen an Regelschulen ist oftmals stark begrenzt. Da fehlt es an technischen Hilfsmitteln, an geschulten Lehrkräften und vor allen Dingen auch an Zeit. Dass vieles in den Regelschulen nicht möglich ist, schilderten auch Schülerinnen und Schüler der blista während der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Fachvorträge: „An der blista Sport zu machen, ist etwas ganz anderes“, sagte die 17-jährige Tabea. „Das Angebot an der blista ist umfangreicher und vielseitiger.“

Neben Reiten, Schwimmen, Radfahren, Rudern und Judo lernen die Schülerinnen und Schüler auch Surfen und Skifahren. Dieses reichhaltige und auf die Bedarfe der Schüler abgestimmte Angebot findet sich im gesamten Lehrprogramm der blista. Für den naturwissenschaftlichen Unterricht gibt es Modelle, um Erdbeben, Moleküle oder geometrische Figuren zu ertasten. Und für chemische Experimente gibt es Geräte, mit denen sich etwa Farbumschläge und Veränderungen der Leitfähigkeit hören lassen.

Schulalltag an der blista

Tizian (18) und Matthias (13), ebenfalls Schüler der blista, gaben dem Publikum während der Diskussion einen Einblick in ihren Schulalltag. Lebendig erläuterte Matthias, wie seine Klasse auf seine – neben der Sehbehinderung zusätzliche – Hörbehinderung eingeht: „Für mich ist es wichtig, dass nicht durcheinandergequasselt wird und jeder, wenn er dran ist, in seine Mikroport-Anlage spricht, damit ich das gut verstehen kann.“ Dass seine Mitschüler darauf Rücksicht nehmen, ist für ihn ganz normal. Auch Tizian, der erst seit diesem Schuljahr die Carl-Strehl-Schule besucht, erzählte aus seinem Alltag mit Seh- und Hörbehinderung. Vor seinem blista-Besuch war er auf einer Schule für Schwerhörige. Da er Abitur machen möchte, entschied er sich für die blista, „weil dort die Klassengröße so ist, dass ich dem Unterricht gut folgen kann und mir das Klima generell gut gefallen hat“.

Soziale Kompetenzen haben in unserem Alltag einen hohen Stellenwert und sollten daher in jeder Schule gefördert werden, gleich ob die Schülerinnen und Schüler sinnesbehindert sind oder nicht. Hier lässt sich an den Vortrag von Peter Rodney anknüpfen: Nur mit der richtigen Einstellung des Einzelnen lässt sich Inklusion erfolgreich verwirklichen. Dass dies möglich ist, zeigt die blista bereits seit Jahren durch fruchtbare Kooperationen mit anderen Marburger Schulen.

Zum Autor

Thorsten Büchner ist Mitarbeiter des blista-Ressorts Öffentlichkeitsarbeit. Er hat die Podiumsdiskussion der Fachtagung moderiert.

Mit Foto: Zwei Schüler, eine Schülerin und der Moderator stehen hinter zwei Stehtischen. Tizian und Tabea halten ein Mikrofon in der Hand, gerade spricht Tabea. Moderator Thorsten Büchner steht rechts im Bild, im Arm hält er einen Blindenstock. Bildunterschrift: (v. l. n. r.) Matthias, Tizian und Tabea sprechen mit Moderator Thorsten Büchner über ihre Erfahrungen an Regelschulen und den Schulalltag an der blista. Foto: blista.

Inklusion in der Praxis – die Workshops der Tagung „Inklusion braucht Qualität“

Eine Zusammenfassung von Jürgen Mai.

Gestaltung pädagogischer Praxis: Von der Förderung von Selbstbewusstsein bis zum Inklusionskoffer

Gelingende Inklusion braucht nicht nur politischen Willen und schlüssige theoretische Konzepte, sondern auch Ideen, wie pädagogische Praxis vor Ort adäquat und qualitätsvoll gestaltet werden kann. Insgesamt sieben Workshops wurden nachmittags jeweils doppelt durchgeführt, so dass jeder Teilnehmer insgesamt zwei Angebote wahrnehmen konnte. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der Workshops, gepaart mit einem Resümee der jeweiligen Workshop-Leiter:

Workshop 1: „Fit für Inklusion – Kinder und Jugendliche mit Hörschädigung“

Voraussetzung für Inklusion ist, neben der Bereitstellung von notwendigen Rahmenbedingungen durch Schulen und andere Institutionen, auch ein anderer Umgang aller Beteiligten mit der Hörbehinderung. Vor allem auch die Kinder und Jugendlichen mit einer Hörschädigung müssen offensiver und selbstbewusster mit ihrer Beeinträchtigung umgehen. Im Workshop von Hörnix e. V. stand die Frage im Vordergrund, was im Hinblick auf Inklusion in der Bildung getan werden muss, damit Kinder und Jugendliche mit Hörschädigung „fit werden“ für gelebte Inklusion.

Petra Blochius (1. Vorsitzende von Hörnix e.V.): „Der Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen mit einer Hörschädigung oder auch einer Sehbehinderung muss in der Bildung viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Kinder, die schon frühzeitig lernen, offensiv zu ihrer Einschränkung zu stehen, kommen in der Schule und auch im gesamten Leben besser zurecht. Das Lernen, mit der Einschränkung umzugehen, muss ein Thema in den Schulen sein, z.B. in der Form von Kommunikationstaktik- und Hörtraining. Zudem ist der Austausch in Peer Groups mit anderen Hörgeschädigten sehr wichtig, damit man Kommunikationstaktiken ausprobieren kann, ohne gleich ins Abseits zu rücken.
Bei der Tagung „Inklusion braucht Qualität“ habe ich gelernt, dass Kinder mit einer Sehbehinderung sehr ähnliche Erfahrungen in der Schule machen wie Kinder mit einer Hörschädigung. Auch sie erfahren Ausgegrenztsein und es fehlen auch ihnen oft Strategien, wie sie damit umgehen können. Fazit unseres Workshops war, dass die Teilnehmer einstimmig die Notwendigkeit sehen, in dem Bereich Identitätsbildung mehr Angebote für Kinder mit einer Sinnesbehinderung zu machen. Hier ist die Bildungspolitik gefragt. Wichtig wäre die Einführung eines Fachs in der Schule, das sich mit dem Thema Identitätsbildung befasst. Dieses Fach kann Jahrgangsübergreifend sein.

Workshop 2: „baff! – Barrieren brechen“

Vom Empowerment beim Übergang von Schule in den Beruf und Hör-Barrierefreie Klassenraumgestaltung über Online-Beratung für Kinder und Jugendliche bis zur Petition für die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache als Muttersprache und Unterrichtsfach – in diesem Workshop wurde das breite Spektrum von baff!, dem Projektbüro für Kinder und Jugendliche mit HörBarriere, vorgestellt und diskutiert.

Barbara Rott (baff! Projektkoordinatorin): „Der Workshop hat viele neue Ideen rund um das Projekt baff! und die verbundenen Aktivitäten geliefert. Dabei ging es um die Möglichkeiten einer geographischen Ausweitung genauso wie um die Frage, ob in Schulen Gebärdensprachen-AGs eingeführt werden sollen. Auch Ideen für alternative Finanzierungsmodelle wurden diskutiert.“

Workshop 3: „Warum braucht es überregionale Beratungs- und Förderzentren?“

In diesem Workshop ging es um die Angebote der überregionalen Beratungs- und Förderzentren (ÜBFZ). Im Mittelpunkt standen die konkreten Erfahrungen von blinden oder sehbehinderten Schülerinnen und Schülern an Regelschulen wie auch von Eltern und Lehrern. Die Teilnehmenden bekamen einen lebendigen Einblick in die konkrete Arbeit eines ÜBFZ.

Dörte Severin (Koordinatorin und Beraterin beim überregionalen blista-Beratungs- und Förderzentrum): „Der Workshop hat gezeigt, wie wichtig auch der bundesländerübergreifende Austausch zur Arbeit der Beratungs- und Förderzentren ist. Die Strukturen sind zwar ähnlich, aber nicht identisch. Hierin liegt eine zusätzliche wichtige Netzwerk-Aufgabe, damit Inklusion nicht an den Ländergrenzen aufhört.“

Workshop 4: Die Bedeutung des Sports für die Inklusion von Menschen mit Sehbehinderung

Über sportliche Kompetenzen zu verfügen, fördert gesellschaftliche Teilhabe. Die entsprechenden Kompetenzen zu erlangen, ist allerdings gerade im Förderschwerpunkt Sehen keine Selbstverständlichkeit, sondern bedarf stimmiger didaktisch-methodischer Settings.

Prof. Martin Giese: „Der Workshop hat gezeigt, welche spezifischen Ressourcen für die Vermittlung motorischer Kompetenzen bei Menschen mit einer Sehschädigung nötig sind: Großes eigenes motorisches und didaktisches Know-how, ggf. hohe personelle Ressourcen (beim alpinen Skifahren beispielsweise 1:1 Betreuung) und das Wissen darum, dass die Lernprozesse bisweilen hoher zeitlicher Ressourcen bedürfen. Darüber hinaus wurde klar, dass es auch für die Teilhabe an der Sportkultur, z. B. im (Sport-)Verein, motorischer Kompetenzen bedarf. Ob eine blinde Klettersportlerin beispielsweise in der Klettergruppe aufgenommen wird, wenn sie überhaupt keine Vorerfahrungen hat, ist ungewiss. Wenn sie das Sichern allerdings schon beherrscht, sind die Barrieren u.U. deutlich niedriger. Und wir haben an vielen Stellen gemerkt: Fehlen sehgeschädigten Menschen motorische Kompetenzen, weil sie ihnen in der Schule nicht vermittelt werden, wirkt sich das exkludierend aus.“

Workshop 5: Sehbehinderung – Ursachen und Auswirkungen

Ist ein Brillenträger sehbehindert? Warum spielen manche Menschen mit einer Sehbehinderung Tischtennis, können aber nicht Zeitung lesen? Warum können andere dies beinahe mühelos, laufen aber gegen Mülltonnen? Ziel des Workshops war es, mit Hilfe von Selbsterfahrungsangeboten unterschiedliche Formen von Sehbehinderung und ihre Auswirkungen auf das Sozialleben besser zu verstehen und wichtige Sehhilfen kennen zu lernen.

Norbert Gorldt (Low Vision Berater): „Die Rückmeldungen waren positiv. Die Teilnehmenden gaben an, neue Erkenntnisse gewonnen zu haben und betonten die Wichtigkeit der Inhalte des Workshops für alle Fachdisziplinen, die im Kontext von Sehbehinderung arbeiten. Selbsterfahrung ist ein wichtiger Baustein, damit Lehr- und Fachkräfte pädagogische Konzepte entwickeln können.“

Workshop 6: Der Inklusionskoffer für Schulen – was muss hinein?

Ein noch zu entwickelnder „Inklusionskoffer“ soll Lehrkräfte an allgemeinen Schulen unterstützen, die Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten Sehen und/oder Hören unterrichten und für deren Bedürfnisse sensibilisieren. Ziel des Workshops war es, die Fachleute verschiedenster Institutionen bei der Entwicklung einzubinden: Welche Materialien muss der Koffer beinhalten, um eine Beeinträchtigung des Sehens und/oder Hörens erlebbar zu machen? Was braucht es, um Haltungen zu entwickeln und was, um über bestehende Beratungs- und Unterstützungsangebote zu informieren?

Kai Hutzler (Staatliches Schulamt für den Landkreis Marburg-Biedenkopf): „Schulische Inklusion findet im allgemeinen System statt, das sich dem Auftrag mit Offenheit und Engagement stellt. Dennoch - oder gerade deshalb - braucht es auch weiterhin sonderpädagogische Fachexpertise, die durch die überregionalen Beratungs- und Förderzentren (ÜBFZ) bereitgestellt wird. Durch die Lehrkräfte des ÜBFZ findet ein Kompetenztransfer statt in einem Maß, das für die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen gleichermaßen leistbar und entlastend ist. Wesentlich für das Gelingen von Inklusion ist die Entwicklung von Haltungen. Materialien wie der geplante Inklusionskoffer, die die allgemeinen Schulen hierbei unterstützen und leiten, können hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.“

Workshop 7: Neue Anforderungen an den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht im Kontext der Inklusion

Der Workshop ging auf folgende Fragen ein: Welche Herausforderungen ergeben sich für den naturwissenschaftlichen Unterricht mit blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern? Welche Rolle spielen Technologien und barrierefreie Medien? Wie können trotz hoher individueller Diversität die vorgegebenen allgemeinen Lernziele erreicht und zentrale Abschlussprüfungen realisiert werden?

Über alle sieben Workshops hinweg kristallisierten sich vier gemeinsame Anliegen heraus: Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, Kooperation mit allgemeinen Schulen sowie die Bedeutung von Hilfsmitteln und ihren Einsatzmöglichkeiten.

Zum Autor

Jürgen Mai ist Mitarbeiter des blista-Ressorts Öffentlichkeitsarbeit.

Der Beitrag enthält die Grafik "Anforderungen an Lehr- und Lernmittel". Grafik: blista. Beschreibung: Vortragsfolie mit blista-Logo. Folie 12 mit vier Aufzählungspunkten unter der Überschrift "Anforderungen an Lehr- und Lernmittel":

  • zugänglich für alle, d. h. auch mit assistiven Technologien einfach und schnell (!) bedienbar (accessibility und usability),
  • Abbildungen werden in diversen alternativen Präsentationsformen angeboten (Original, vergrößert, kontrast-verstärkt, taktil, verbal beschrieben, 3D-Modell …)
  • attraktiv für alle
  • design for all - unterstützt möglichst Standard-Formate (Word, Excel, PDF, EPub3, …)

Keine Fast-Food-Inklusion! – Talkrunde der Verbände

Eine Zusammenfassung von Birthe Klementowski.

Den Abschluss der Fachtagung „Inklusion braucht Qualität“ bildete eine moderierte Talkrunde mit Vertreterinnen und Vertretern von Selbsthilfe-, Eltern- und Pädagogenverbänden. Andreas Kammerbauer, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten–Selbsthilfe und Fachverbände e.V. (GD), forderte eine Intensivierung der Zusammenarbeit. Dem stimmten alle Plenumsteilnehmer zu. In gemeinsamer Kooperation wolle man sich dafür verstärkt einsetzen, Inklusion auf hohem Niveau zu verwirklichen.

Uwe Boysen, Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS), betonte, dass der Titel der Fachtagung als Aufforderung begriffen und gelebt werden müsse. Eine „Fast Food-Inklusion“ dürfe es nicht geben, diese schade nicht nur den Betroffenen, sondern auch dem Begriff der Inklusion selbst. Marion Böttcher von der Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder e.V. (BEBSK) betonte zudem, wie viel Kampf und Einsatz Eltern oftmals noch abverlangt werde, um für ihre Kinder qualitativ gute Bildungsmöglichkeiten zu erreichen. Sie forderte, genau wie Nicole Schilling von der Elternvereinigung hörgeschädigter Kinder in Hessen e.V., intensivere Kontakte, um von den Kompetenzen des jeweils anderen zu profitieren.

„Die nächste Tagung sollte ‚Inklusion braucht Haltung‘ heißen“

Die beiden Vertreter der Pädagogenverbände, Bernhard Hohl für den Berufsverband der Hörgeschädigten-Pädagogen und Patrick Temmesfeld, Vorstandsmitglied des Verbands für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS), machten auf den nach wie vor existierenden Mangel an qualifizierten Lehrkräften in den Förderschwerpunkten „Sehen“ und „Hören“ aufmerksam. Hier müsse ganz entscheidend dazu beigetragen werden, den Mangel an individueller und bedarfsgerechter Förderung auszugleichen und Schülerinnen und Schülern chancengleiche Bildung teilwerden zu lassen.

Nicole Schilling schloss aus der Talkrunde: „Es war interessant zu erfahren, dass die Probleme und Herausforderungen von sinnesbeeinträchtigten Menschen gar nicht so unterschiedlich sind wie angenommen.“ Darauf angesprochen, wie es nach der Fachtagung weitergehe, antwortete Temmesfeld, dass er nach den Vorträgen, Workshops und der Abschlusstalkrunde für sich das Fazit zog: „Die nächste Tagung sollte ‚Inklusion braucht Haltung‘ heißen. Daran arbeiten wir schon. Ein Anfang ist gemacht.“

Zur Autorin:

Birthe Klementowski ist Mitglied der horus-Redaktion und Mitarbeiterin der blista-Öffentlichkeitsarbeit.

Zum Beitrag gibt es ein Foto: Blick aus dem Zuschauerraum auf die Podiumsbühne. 7 Personen stehen um zwei Stehtische, in der Mitte Moderator Thorsten Büchner. Die Gebärdendolmetscherin sitzt am vorderen Bühnenrand auf einem Stuhl. Bildunterschrift: Wie kann Inklusion gelingen? Vertreterinnen und Vertreter von Selbsthilfe-, Eltern- und Pädagogenverbänden diskutieren über die Möglichkeiten und Herausforderungen. Eine Gebärdendolmetscherin (l. u.) übersetzt. Foto: blista

Uwe Boysen

Inklusion: Fortschritt oder Feigenblatt?
Statement bei der Abschlussdiskussion der Veranstaltung „Inklusion braucht Qualität“ am 5. November 2015

Einleitung

Der Begriff „Inklusion“ hat sich in unser aller Leben breit gemacht. Man begegnet ihm inzwischen sogar in verschiedenen Gesetzen, so zum Beispiel - jedenfalls sinngemäß - in Artikel 7 der Schleswig-Holsteinischen Verfassung, wo es heißt: „Das Land setzt sich für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein.“ Weitere Beispiele sind das Inklusionsgesetz NRW und die dazugehörige Ersatzschulfinanzierungsverordnung, das Gesetz zum Ausgleich von kommunalen Aufwendungen für die schulische Inklusion von Baden-Württemberg oder die Hessische „Förderrichtlinie Berufsausbildung von Benachteiligten“. In ihr heißt es: „Unternehmen, die auf ihre Maßnahmen zur Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen und/oder Behinderungen hinweisen, können bevorzugt gefördert werden.“

Der Begriff „Inklusion“ ist, wie schon dieses letzte Beispiel zeigt, bei Weitem nicht auf die schulische Bildung beschränkt, was man bei den ersten öffentlichen Debatten noch mutmaßen konnte. Denn, diese Frage sei erlaubt: Was nützt schulische Inklusion, wenn sie nicht im Anschluss, im Berufsleben und in der Gesellschaft, fortgesetzt und vertieft werden kann? Auch dazu gibt es glücklicherweise inzwischen wegweisende Projekte und Aktivitäten, nicht zuletzt von blista und DVBS.

Doch soll hier die Position des DVBS und der Selbsthilfe zu schulischer Inklusion im Vordergrund stehen. Seit Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2006, noch intensiver aber seit ihrem Inkrafttreten in Deutschland 2009, beschäftigen wir uns mit diesem Thema, und zwar – durchaus selbstbewusst – als Experten in eigener Sache; denn unsere Mitglieder sind es, die die Vor- und Nachteile von Inklusion am eigenen Leibe erfahren oder erfahren haben und damit am besten über diese Punkte Auskunft geben können.

Einige Thesen

Anknüpfend an den letzten Punkt möchte ich formulieren: Es wird nach wie vor viel zu sehr von denjenigen über Inklusion gesprochen und debattiert, die von ihr nicht unmittelbar betroffen sind! Das soll nicht heißen, dass Pädagogen, Eltern und andere Beteiligte sich eines Urteils enthalten müssten. Sie sind und bleiben notwendige Gesprächspartner im Prozess der Inklusion. Neben ihnen kommen aber die unmittelbar Betroffenen mit der von ihnen erfahrenen und vielleicht auch erlittenen Lebensrealität viel zu wenig zu Wort. Tendenziell besteht so die Gefahr, behinderte Menschen wieder in eine Objektrolle zu drängen. „Man“ spricht über Behinderte, nicht mit ihnen! Dass hier heute ein anderes Signal gesetzt worden ist, begrüße ich ausdrücklich!

Das Motto dieser Konferenz muss als Aufforderung begriffen und gelebt werden. Eine Fast-Food-Inklusion darf es nicht geben. Sie ist unverdaulich und schädlich. Sie schadet den betroffenen Menschen (und hier beziehe ich Eltern und Pädagogen bewusst mit ein) und diskreditiert auf lange Sicht auch den Begriff der Inklusion selbst.

Wer glaubt, Inklusion mit finanziellen Argumenten rechtfertigen zu können oder zu müssen, befindet sich auf einem Holzweg. Ohne zusätzliche staatliche Bemühungen finanzieller Art, zugeschnitten auf den individuellen Bedarf der Schülerinnen und Schüler, gerät man in Gefahr, den Anspruch dieser Menschen auf qualitativ hochwertige Bildung zu verfehlen. Das bedeutet zum Beispiel, keinen Verzicht auf Sportunterricht oder künstlerische Fächer zuzulassen und – ganz zentral – Erlernen sehbehinderten- und blindenspezifischer Arbeitstechniken. Wem diese Möglichkeiten und Techniken verschlossen bleiben, der ist nicht inkludiert!

Daraus folgt:

  1. a) Es muss ein Nebeneinander von Inklusions- und Förderschule geben. Die beiden müssen ohne größere Schwierigkeiten gegeneinander durchlässig sein, Wechsel verhältnismäßig leicht ermöglichen und sich nicht gegeneinander abschotten.
  2. b) Es darf nicht sein, dass der Sehbehinderten- und Blindenpädagogik unter dem Vorwand von Inklusion keine geeigneten universitären Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen.

Mein Appell: Betrachten wir Inklusion als Prozess. Sie ist etwas Gutes, aber schwierig zu machen. Wer ihr eine Chance geben will, der muss sich vernetzen, darf keine Angst vor Veränderungen haben, aber auch klar benennen, wo sie unter Umständen zur „Desinklusion“ führt.

Zum Autor:

Uwe Boysen, Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen i.R., engagiert sich als erster Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS) seit Jahren für bessere Bildungs- und Arbeitsbedingungen Betroffener. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ein Portraitfoto zeigt Uwe Boysen in Schulterhöhe. Er trägt einen dunklen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Die schwarze, schmale Sonnenbrille kontrastiert mit grauem, welligem Haar. Er lächelt. Bildunterschrift: DVBS-Vorsitzender Uwe Boysen beobachtet aufmerksam den aktuellen Inklusions-Prozess. Foto: DVBS

Peer Brocke

Lebenshilfe fordert: Inklusion in Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln

Gemeinsam für alle Kinder und Jugendlichen Verantwortung übernehmen, so könnte man die „Inklusive Lösung“ im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII beschreiben. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig erarbeitet aktuell mit ihrem Ministerium eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe. Ihr Ziel ist, alle Kinder und Jugendlichen in gleicher Weise zu fördern und zu stärken – unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Behinderung leben. Daher sollen sämtliche Leistungen für junge Menschen in einem neuen SGB VIII geregelt und inklusiv ausgestaltet werden.

Ulla Schmidt, MdB und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, betont als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe anlässlich einer Expertendiskussion am 16. Dezember 2015 in Berlin: „Unser gemeinsames Ziel ist, unterschiedliche und flexible Angebote zu schaffen, mit denen die Bedarfe aller Kinder und Jugendlichen gedeckt werden. Die Vielfalt der Kinder und Jugendlichen in unserer heutigen Gesellschaft muss zu einer anerkannten Normalität werden.“

Ein Referentenentwurf ist für den Frühsommer angekündigt und soll die Leistungen für alle Kinder mit Behinderung umfassen. Dann sollen auch Angebote der Kinder- und Jugendhilfe wie zum Beispiel Hortbetreuung, Jugendarbeit oder Erziehungsberatung für alle Kinder und Familien inklusiv ausgestaltet sein. „In unserer vielfältigen Gesellschaft ist Inklusion die Antwort auf drängende Herausforderungen: Beispielsweise gelingt nur in einer inklusiven Gesellschaft, in einem inklusiven Schulsystem die Integration von Flüchtlingskindern“, ergänzt Ulla Schmidt.

Bei der schon lange diskutierten Reform sind weitreichende Veränderungen in der Umsetzung vor Ort erforderlich, gleichzeitig soll die Förderung von Kindern mit Behinderung und Unterstützung ihrer Familien nicht schlechter werden. Hierfür ist das Familienministerium schon im Gespräch mit Verbänden und Ländern, die in den kommenden Monaten noch weit stärker einzubeziehen sind.

Zum Autor:

Peer Brocke arbeitet für die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Bildung und Wissenschaft

Dr. Heinz Willi Bach

Die berufliche Emanzipation blinder Menschen - Eindrücke aus 100 Jahren

Mehr als 3.000 im Ersten Weltkrieg erblindete deutsche Soldaten beeinflussten die berufliche Rehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen nachhaltig. Akademische Tätigkeiten sowie Beschäftigungen in der Verwaltung und Industrie traten nunmehr erstmalig ins Blickfeld, denn im Krieg erblindete ehemalige Gymnasiasten, Studenten oder Akademiker fühlten sich mit einer Beschäftigung in den traditionellen Blindenberufen nicht gefordert. In Marburg und Berlin entstanden 1916/17 exemplarische Selbsthilfe-, Bildungs- und Umschulungseinrichtungen.

In den folgenden Jahrzehnten profitierten mehr und mehr auch die sogenannten "Zivilblinden" von dieser Entwicklung. Das nach wie vor dominierende Blindenhandwerk erlaubte jedoch zumeist nur gering entgoltene Kümmerexistenzen. Die Menschen lebten unter Aufsicht zum Teil in geschlossenen Blindenwerkstätten mit angeschlossenen Wohnheimen.

Neben den vielen Diskriminierungen (Euthanasie, Zwangssterilisation, Eheverbot, gesellschaftliche Einschätzung als „Lebensunwerte und Ballastexistenzen“), die blinde Menschen während der NS-Herrschaft (1933–1945) erfuhren, wurden auch die beruflichen Möglichkeiten erheblich beschränkt. „Erbkranke“ blinde Personen wurden – wie Juden – zunehmend von weiterführender Schul- und Berufsbildung ausgeschlossen. Unter diesen Rahmenbedingungen war keine positive Entwicklung in den Bereichen der Allgemeinbildung, der beruflichen Bildung oder der beruflichen Integration sehgeschädigter Menschen zu erwarten. Lediglich das Argument kriegswichtiger Produktion war geeignet, Diskriminierungen zu verhindern, abzumildern oder hinauszuzögern. Als leuchtendes Beispiel sei hier Otto Weidt genannt, der - selbst sehbehindert - 1940 in Berlin eine Blindenwerkstatt gründete, in der er hauptsächlich blinde Juden beschäftigte.

In Westdeutschland verbesserte sich die berufliche Lage Sehbeeinträchtigter nach 1945 erst mit dem Wirtschaftswunder. Zum Ende der 50er und Beginn der 60er Jahre leerten sich zwar die Blindenwerkstätten, gewann die Beschäftigung in Werkstätten aber an Bedeutung für mehrfach behinderte blinde Menschen.

Die Entwicklung der automatisierten Informationstechnologie (IT) seit den 1960er Jahren eröffnete für blinde Nutzer neue und erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten. Klaus-Peter Schönherr entwickelte ein Braille-Display als Vorläufer der Braille-Zeile. Das BFW Heidelberg begann 1970 mit der Ausbildung blinder Personen zu EDV-Kaufleuten. Die erreichbare Berufswelt wurde in den folgenden Jahrzehnten erheblich erweitert.

Seit ca. 1990 stehen sehbeeinträchtigten Menschen verschiedene Adaptionen und Hilfsmittel zur Verfügung, die im Berufsleben und ebenso in der Freizeit kommunikative Brücken schlagen, etwa Bildschirmvergrößerungen bis zum mehr als dem 30-fachen, wenn das restliche Sehvermögen zur Wahrnehmung genutzt werden kann, oder Sprachausgaben und Braillezeilen, die es ermöglichen, Bildschirminhalte in akustische Informationen umzuwandeln bzw. in Blindenschrift auszugeben. Den jüngsten Meilenstein auch für die berufliche Inklusion bilden die mittlerweile sehr verbreiteten Smartphones mit mehr und mehr für sehbeeinträchtigte Personen bedeutsamen Applikationen. jedoch stoßen wir immer wieder an Grenzen, solange die Web-Seiten im Internet nicht barrierefrei gestaltet sind.

Bei der Beschäftigung blinder und sehbehinderter Menschen sind in den letzten Jahrzehnten deutliche strukturelle Trends zu beobachten. Seit dem industriellen Wirtschaftswunder verbesserten sich die Beschäftigungschancen. Es stellte sich ein Trend zu höheren Schulabschlüssen und zu höher qualifizierten Tätigkeiten ein - bei Sehbeeinträchtigten hin zu Angestelltenberufen allgemein, nichtärztlichen Heilberufen, Schreibdiensten, Telekommunikation, Handel, IT-Berufen, breiteren akademischen Möglichkeiten u.a.m.

Nach zwanzigjährigem Bemühen ist es dem DVBS unter der Leitung von Dr. Otto Hauck im Jahre 2000 gelungen, in § 102 SGB IX einen Rechtsanspruch auf die Übernahme der Kosten notwendiger Arbeitsassistenz durch die Rehaträger und das Integrationsamt zu kodifizieren. Dies ist ein Meilenstein, der einen erheblichen Türöffner für sehbeeinträchtigte Bewerber im staatlichen und vor allem nichtstaatlichen Beschäftigungsbereich bildet.

Seit 1975 erlebt (West-)Deutschland jedoch dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit. Diese bewirkt auch spürbar steigenden "Marktwiderstand" gegenüber der Einstellung sehbeeinträchtigter Bewerber. Einfachere Tätigkeiten werden abgebaut, automatisiert oder exportiert. Die wirtschaftliche Globalisierung hat diesen Trend in den letzten 20 Jahren noch verschärft. Die Chancen für sehbeeinträchtigte Arbeitnehmer im industriellen und Handwerksbereich nehmen so deutlich ab, dass mittlerweile von einer Renaissance der Blindenwerkstatt in Deutschland gesprochen wird.

Des Weiteren steigen die Anforderungen an Qualifikation, Flexibilität und Fortbildungsbereitschaft im Angestellten-, insbesondere im EDV-Anwendungsbereich fortdauernd. Schließlich geht die Entwicklung im Beschäftigungssystem weg von der dauerhaften Beschäftigung im sogenannten Normalarbeitsverhältnis. Hinzu tritt mittlerweile äußerste Zurückhaltung staatlicher Einrichtungen bei Einstellungen - einem Sektor, in dem in der Vergangenheit ein wesentlicher Teil blinder und sehbehinderter Menschen Beschäftigung gefunden hatte.

Andererseits heben in einer großen Studie Arbeitgeber hervor, dass sie bei ihren sehbeeinträchtigten Mitarbeitern besonders deren Einsatzbereitschaft, Fleiß, Zuverlässigkeit und die Qualität der Arbeitsergebnisse schätzen.

Möglicherweise mehr denn je muss heute die berufliche Integration immer weiter und immer erneut erkämpft werden. Die Berufswelt steht keineswegs still. Vielmehr beschleunigt sich der Strukturwandel in der Wirtschaft. Die sich ausbreitende Informationsgesellschaft sowie die Megatrends der zukünftigen Beschäftigungsentwicklung bergen Chancen für neue Berufsfelder, aber gleichermaßen Risiken für die bestehenden. Diese Chancen müssen erkannt, eröffnet und genutzt, oft richtiggehend erkämpft werden. Die Risiken treten ohne unser Zutun ein, sie gefährden und vernichten traditionelle „Blindenberufe“. Gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Berufsleben verlangt hier tätige Solidarität des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft.

Foto mit Bildunterschrift: Vertraute Geste: Flinke Finger gleiten über eine Computer-Braillezeile. Foto: DVBS

Patrick Dembinski, Marcel Bittner, Moritz Grandjean, Joachim Klaus:

ICC - a road to independence! blista-Schüler waren dabei

Das ICC (International Camp on Communication and Computers) ist ein im Jahre 1993 gegründetes Projekt der Universität Linz - in Kooperation mit der Universität Karlsruhe. Beteiligt sind vor allem europäische Länder; allerdings konnten wir in den letzten Jahren zum Beispiel auch Gäste aus Japan und den USA begrüßen. Um die Kommunikation der Teilnehmer zu vereinfachen, hat man Englisch als Camp-Sprache festgelegt. Ausgerichtet wird das ICC jedes Jahr in einem anderen europäischen Land.

Diesmal traf man sich für zehn Tage, vom 27. Juli bis 5. August 2015, auf dem Campus des Bartiméus Instituts in Zeist in den Niederlanden. Die blinden und sehbehinderten Teilnehmer im Alter von 16 bis 21 Jahren kamen aus nahezu allen europäischen Ländern. Angeboten wurde eine Vielzahl von Workshops, aus denen sich jeder sein eigenes Programm zusammenstellen konnte. So konnten Einblicke in neueste technische Entwicklungen gewonnen werden oder es bestand Raum für den Austausch über persönliche Erfahrungen. Daneben gab es in den ersten Tagen sogenannte "Starter Workshops" mit den Schwerpunkten „Advanced Document Creation", "Presentation", "Networking" und "CV-Writing", von denen man sich zwei auswählen konnte.

Zum Tagesablauf

Nach dem Frühstück traf man sich um 09:00 Uhr in der „Assembly-Hall“, um organisatorische Dinge zu klären und die Teilnehmer in die Workshops aufzuteilen. Die Arbeitsphase dauerte in der Regel drei Stunden, unterbrochen von einer Pause, in der sich die rauchenden Köpfe bei Keksen sowie Kalt- und Heißgetränken etwas abkühlen konnten. Nach dem Mittagessen ging es um 14:00 Uhr weiter mit einer Vollversammlung und Workshops. Nach dem Abendessen konnte man an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Angeboten wurden unter anderem: Showdown, Tandemfahren, Stadtbesichtigung, Schwimmen, Karaoke, Speed-Dating, Movie Night, eine Jamming-Session oder die „Audio Water Challenge“. Bei der „Audio Water Challenge“ ging es darum, ggf. mit verbundenen Augen einen abgesteckten Parcours zu durchlaufen, ohne von den Gegenspielern unter Wasser gesetzt zu werden. Neben den Freizeitaktivitäten gab es das ICC Café, um Leute zu treffen und in geselliger Runde den Abend mit kleinen Snacks und Getränken ausklingen zu lassen.

Exkursion nach Utrecht

Zu jedem ICC-Camp gehört ein sogenannter "Excursion Day", ein ganztägiger Ausflug in die Umgebung. So fuhren wir nach Utrecht - nicht weit von Zeist entfernt. Nach der Besichtigung des Doms ging es ins „Speelklok-Museum“, dem größten Museum für automatisch spielende Instrumente der Welt. Dort nahm man sich viel Zeit zu erläutern, wie die Instrumente, Uhren oder Drehorgeln konstruiert wurden. Natürlich durften wir einige Instrumente anfassen, sogar eine Drehorgel bedienen.

Nach dem Mittagessen konnten wir uns verschiedenen Gruppen anschließen; einige wollten die Stadt näher kennen lernen, andere wollten lieber shoppen oder ein Eis essen. Anschließend besuchten wir ein Konzert mit dem blinden Pianisten Bert van den Brink, einem ehemaligen Schüler des Bartiméus Instituts. Abgerundet wurde der Excursion Day mit einer Bootsfahrt zu einer Gaststätte zum Abendessen.

Farewell

Am letzten Abend gab es eine Farewell Party, bei der Gesangseinlagen, Sketche und ähnliches zum Besten gegeben wurden. Danach wurde gefeiert und letzte Kontaktdaten ausgetauscht.

ICC 2016

Das 22. International Camp on Communication and Computers - ICC 2016 – findet vom 25. Juli bis 3. August 2016 in Dresden statt. Anmeldeschluss ist am 1. Mai 2016. Weitere Informationen unter www.icc-camp.info

Zu den Autoren

Patrick Dembinski, Marcel Bittner und Moritz Grandjean sind Schüler der blista, Joachim Klaus ist Vizepräsident des ICC.

Dem Beitrag ist ein Foto beigefügt: Gruppenfoto vor Häuserwand mit Fenstern. Die jüngeren ICC-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sitzen auf dem Hofpflaster, andere - unter ihnen Organisatoren, Referenten und Helfer - stehen dahinter: Mittig hinter der Gruppe stehen Teilnehmer pyramidenförmig erhöht und winken in die Kamera, zwei von ihnen haben eine Hasenohrenmaske, die ihr Gesicht freilässt. Rechts im Hintergrund schwenkt ein Erwachsener die helle Fahne "200 Jaar Bartimeus". Bildunterschrift: Das ultimative ICC-Gruppenfoto Zeist 2015. Mit Spannung wird das ICC-Camp 2016 in Dresden erwartet. Foto: Radek Pavlicek, cz

Bergische Universität Wuppertal

Was kosten Sehbehinderung und Blindheit?

Um diese Frage zu beantworten, führt die Bergische Universität Wuppertal eine Kostenumfrage durch und wird dabei vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS), vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV), von PRO RETINA Deutschland e.V. sowie vom Berufsförderungswerk Düren und vom Berufsbildungswerk Chemnitz unterstützt. Die Forscher beschäftigen sich zusätzlich zu den medizinischen Kosten auch damit, wie hoch Ihr persönlicher Mehraufwand ist.

Hinter dem Ausdruck Mehraufwand verbergen sich alle Kosten, die keinen direkten Bezug zur Medizin haben. So beinhaltet Mehraufwand Kosten, die durch Verdienstausfall, Unterstützung durch Freunde sowie durch die Beschaffung von Hilfsmitteln entstehen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Aus den Ergebnissen internationaler Untersuchungen wurde deutlich, dass der Mehraufwand die medizinischen Ausgaben deutlich übersteigt. Wie hoch der Mehraufwand für blinde und sehbehinderte Menschen in Deutschland ist, kann derzeit nicht beziffert werden. Daher erscheinen Entscheidungen über beispielsweise Zusatzleistungen wie Blindengeld und andere staatliche Zuwendungen willkürlich.

Ihre Mithilfe bei dieser Befragung ermöglicht es, eine aussagekräftige Datenlage und damit Informationen zur augenheilkundlichen Versorgungslage in Deutschland zu erhalten. So wird eine neue Diskussionsgrundlage für zukünftige politische Entscheidungsfragen geschaffen, die Sie persönlich positiv betreffen kann.

Sie als echte Experten können uns helfen, den Mehraufwand präzise zu bestimmen. Anders als bei medizinischen Kosten stehen für den Mehraufwand keine Register zur Verfügung, aus denen abzulesen ist, wie viel es kostet, wenn ein Mensch vermehrt auf Dienstleistungen wie Taxifahrt und Unterstützung im Haushalt angewiesen ist oder wie viel für Umbaumaßnahmen des Wohnumfeldes mit Markierungen ausgegeben wird. Sicherlich fallen Ihnen gerade weitere Kosten ein, die mit Ihrer Seheinschränkung verbunden sind und unter Mehraufwand zusammengefasst werden können. Daher freuen wir uns besonders, wenn Sie unsere Umfrage unterstützen.

Die Teilnahme ist für alle Menschen mit Seheinschränkung, die mindestens 18 Jahre alt sind, über verschiedene Wege möglich: Entweder Sie füllen den gedruckten Fragebogen aus, der der horus-Schwarzschriftausgabe beiliegt, und schicken diesen mit dem portofreien Rückumschlag zurück. Für Abonnenten der horus-Punktschrift-Ausgabe ist der Fragebogen in Braille beigefügt. Sie können sich aber auch online unter www.kostenumfrage.dbsv.org per Internet beteiligen - oder Sie lassen sich telefonisch befragen.

Selbstverständlich werden alle Angaben anonym erfasst und ausgewertet. Die Fragen beziehen sich auf den Mehraufwand der vergangenen sechs Monate. Freitextfelder bieten die Möglichkeit, Ergänzungen zu notieren, sodass Ihr Mehraufwand genau erfasst wird.

Wenn Sie vorab wissen möchten, welche Fragen auf Sie zukommen, können Sie den Fragebogen im DAISY-Format, als MP3-Datei oder in Schwarzdruck herunterladen, auch der kurze Fragebogen für Angehörige steht zum Ausdruck zur Verfügung.

Sollte Ihnen der Aufruf zur Kostenumfrage bekannt vorkommen, haben Sie ihn eventuell bereits in der Novemberausgabe des DBSV-Magazins "Gegenwart" gelesen.

Weitere Informationen zur Teilnahme entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Anschreiben. Bei Rückfragen erreichen Sie uns unter der Rufnummer 0202 439-1382.

Recht

Uwe Boysen

Keine positiven Nachrichten

Für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hatte sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG) sollte novelliert und ein neues den Ansprüchen der UN-Behindertenrechtskonvention angemessenes Teilhaberecht sollte geschaffen werden. An den Vorarbeiten zu beiden Projekten hat sich die Sehbehinderten- und Blindenselbsthilfe umfassend beteiligt, eigene Vorschläge eingebracht und diejenigen anderer Beteiligter am Reformprozess kritisch verfolgt und gewürdigt. Im horus haben wir laufend darüber berichtet und dazu auch 2014 einen horus spezial herausgegeben.

Beide Vorhaben sind nicht aufgegeben. Der aktuelle Stand ist aber für uns enttäuschend bis indiskutabel. Hier ist nicht der Raum, das im Einzelnen nachzuzeichnen. Das soll in einer der nächsten Ausgaben des horus geschehen. Ich will zurzeit nur so viel berichten:

Der Entwurf zur Fortentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes ist inzwischen im parlamentarischen Verfahren angekommen. Neben einigen Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Rechtszustand, etwa der Einrichtung einer Fachstelle und einer Förderung von Selbsthilfearbeit, wird er den Anforderungen an ein modernes Gleichstellungsrecht nicht gerecht. Vor allem die mangelnde Bereitschaft der Bundesregierung, Private in den Anwendungsbereich des Gesetzes mit einzubeziehen, ist von den Verbänden behinderter Menschen zu Recht einvernehmlich kritisiert worden.

Noch problematischer sieht es derzeit beim Behindertenteilhabegesetz aus, das viele Leistungen mit deutlich erhöhten Einkommens- und Vermögensgrenzen vom SGB XII ins SGB IX überführen will. Völlig unverständlicherweise soll davon die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ausgenommen werden. Für sie würden also weder die bisherigen Einkommens- noch vor allem die indiskutabel niedrigen Vermögensgrenzen angepasst werden. Das dürfen und können wir nicht zulassen. Deshalb wird es gelten, in den nächsten Monaten hier auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, aber auch auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages einzuwirken, um diese eklatante Ungleichbehandlung zu skandalisieren und möglichst zu verhindern.

Das Foto zum Beitrag zeigt die Metallskulptur einer thronenden Justitia mit Augenbinde, in einer Hand hält sie ein Schwert, in der anderen Hand die Waage. Bildunterschrift: Justitia. Foto: www.pixelio.de/I-vista

Horus-Zeitreisen

Mit den horus-Zeitreisen haben wir mittlerweile den zweiten Weltkrieg hinter uns gelassen. Seit 1949 erschienen die Marburger Beiträge erneut, als erste Zeitschrift der Blindenverbände im Westen nach dem Krieg, während „Die Gegenwart“ bereits 1947 in der sowjetisch besetzten Zone das publizistische Licht der Welt erblickte. In Strehls Vorwort zum ersten Heft der „Beiträge“ lässt sich eine kritische Analyse der zwölf Jahre faschistischer Herrschaft und des Krieges kaum erkennen. Man war wohl zu sehr mit dem Wiederaufbau, aber auch der Verdrängung des Geschehenen beschäftigt.

Wir dokumentieren nachfolgend einen Artikel von Dr. Alfons Gottwald, dem späteren Vorsitzenden des Deutschen Blindenverbandes, der zeigt, dass Sozialpolitik, konkret das Blindengeld, schon unmittelbar nach dem Krieg wieder ein Thema war (vgl. Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1949, H. 3/4, S. 121-128 [PS]). In zwei weiteren Kurzbeiträgen wird die deutsche Teilung spürbar (vgl. Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1950, H. 11/12, S. 517-518 [PS] und a. a. O., S. 518-519 [PS]).

An unsere Mitglieder und Leser
von Carl Strehl

In: Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1949, H. 1/2, S. 1-4 (PS)

Die letzte Nummer der "Beiträge zum Blindenbildungswesen", Punktschriftausgabe, erschien Jan.-Febr. 1945. Heute nach einer fast 5-jährigen Pause, in der sich das Gesicht unseres Vaterlandes und die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse aller Menschen grundlegend geändert haben, wollen wir mit ihrer Fortsetzung beginnen. Vorerst soll die Zeitschrift bis Ende des Jahres 2-monatlich, ab 1950, wenn möglich, monatlich erscheinen.

In erster Linie sind die "Beiträge zum Blindenbildungswesen" für die Mitglieder des Vereins der blinden Geistesarbeiter e.V., die ehemaligen Schüler, Schülerinnen, Studenten, Studentinnen und im Beruf stehenden blinden Geistesarbeiter bestimmt, die in Marburg ihre Ausbildung durchlaufen haben und nun im Leben stehen. Zum andern wollen wir uns an interessierte Kreise wenden, Männer und Frauen, die den verschiedensten Gebieten und Problemen des Blindenwesens mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit zuwenden. Vornehmlich soll dieses Blatt eine Brücke schlagen zwischen den Blinden aller Berufe, aller Zonen in der engeren Heimat und anderen Nationen, denen die Entwicklung des Blindenwesens am Herzen liegt.

Neben allgemein unterrichtenden Aufsätzen, Jahresberichten des Vereins der blinden Geistesarbeiter e.V. und der Blindenstudienanstalt wollen wir auf dem Gebiete der Blindenpädagogik und -psychologie einschlägige wertvolle Aufsätze bringen, das Blindenrecht und die -fürsorge in ihrer Entwicklung und Auswirkung zu Wort kommen lassen und alle sozialpolitischen Aufgaben, die sich mit der Frage des Schwerbeschädigten im allgemeinen, des Blinden im besonderen, befassen, hier erörtern. Die "Beiträge" sollen aber auch Organ anderer Verbände und Institutionen des In- und des Auslandes werden. Sie sollen einen engen Kontakt herstellen zwischen all denen, die durch das gleiche Schicksal oder eine Verknüpfung gleicher oder ähnlicher Belange sich berufen fühlen beizutragen, das Los des vom Schicksal so hart Betroffenen zu erleichtern. Jeder praktische Vorschlag ist uns genehm. Alle Maßnahmen auf sozialpolitischem Gebiete der Blindenfürsorge und -wohlfahrt, der Arbeits- und Berufshilfe, der kulturellen und allgemeinen Vergünstigungen, des Blindendrucks und der -technik, des Blindenbuches und -büchereiwesens sollen auf breiter Grundlage hier behandelt und zur Diskussion gestellt werden. Dabei kommt es uns in der Hauptsache darauf an, konstruktive und produktive Aufbauarbeit auf dem Gebiete des Blindenwesens in der Heimat und darüber hinaus in der Welt zu leisten.

Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Blindenwohlfahrt soll in diesem Blatt einen breiten Raum einnehmen. Die Schriftleitung steht auf dem Standpunkt, daß der seinen Schicksalsgefährten helfen kann, der sich nicht in seinen 4 Wänden einschließt, sondern mit wachen Sinnen alles beobachtet und verfolgt, was in der Welt geschieht. Wir, die wir jahrzehntelang wirtschaftlich und wissenschaftlich abgeschlossen waren, müssen dankbar und froh sein, aus den in anderen Ländern und Erdteilen gemachten Erfahrungen unsere Lehren und praktischen Nutzanwendungen ziehen zu können.

Die Mitarbeit eines jeden ist uns willkommen. Wir wollen uns aber auf rein fachliche und sachliche Momente beschränken und sine ira et studio alle Fortschritte und Forderungen der Zeit zu Worte kommen lassen und kritisch betrachten. Wir würden uns freuen, wenn jedermann, sei er sehend oder blind, sei er mittel- oder unmittelbar beteiligt, uns helfen würde, durch rege Aussprachen alles, was auf unserem Fachgebiet historisch, gegenwärtig und zukünftig ist, in knappen gut verständlichen, aber sachlich fundierten Abhandlungen den Lesern unserer Zeitschrift zu bieten. Dadurch können die Mitarbeiter uns unterstützen, den Gesichtskreis aller zu erweitern und durch Planungsvorschläge das Blindenwesen in seiner Entwicklung maßgebend zu beeinflussen und zu fördern.

Wir halten den Bezugspreis so niedrig, daß möglichst jeder interessierte Blinde sich die Zeitschrift, deren Umfang nach und nach vergrößert werden soll, halten kann.

Es soll unser Bemühen sein, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn die "Beiträge" eine gute Aufnahme bei alten und neuen Freunden und interessierten Blinden finden, dann hoffen wir, auch die Schwarzdruckausgabe in absehbarer Zeit wieder herausbringen zu können. Ohne die wertvolle Mitarbeit berufener Blinder und Sehender wird die Zeitschrift nicht der Mittler sein können, wie wir es erwarten: Verständnis für die Lage und die Bedürfnisse der Blinden in der breiten Öffentlichkeit und beim Staat zu wecken, uns selbst einander näher zu bringen, Unzulänglichkeiten abzustellen und dem Fortschritt den Weg zu ebnen.

Beigefügt ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt das Halbportrait des älteren Carl Strehl in Anzug und Krawatte. Er sitzt in einem Stuhl mit Armlehnen und wendet sich dem Betrachter zu. Seine linke Hand hält auf dem Schoß einen Punktschriftband. Bildunterschrift: Carl Strehl (Archiv-Foto)

Eine allgemeine Blindenrente in Deutschland eine sozialpolitische Notwendigkeit
von Rechtsanwalt Dr. Alfons Gottwald, Timmendorfer Strand

Wenn man mit Sehenden über Blindenfragen spricht und dabei erwähnt, daß die Zivilblinden grundsätzlich keinerlei Rente erhalten, so stößt man regelmäßig auf Erstaunen und Kopfschütteln. Die Sehenden sind überrascht zu erfahren, daß der Z-Blinde ohne jede gesicherte Versorgung ist. Diese Einstellung können wir in allen Volkskreisen, bei Arbeitern, Kaufleuten, Geistesarbeitern finden.

Der Gedanke, daß jeder Blinde das Recht auf eine Rente hat, ist bereits tief in unserem Volksbewußtsein verwurzelt. Um so bedauerlicher ist es, daß es immer noch nicht gelungen ist, eine allgemeine Blindenrente einzuführen. Dies zwingt uns, die sozialpolitische Notwendigkeit der Blindenrente immer wieder unter Beweis zu stellen.

Die Blindheit ist ein so schweres, einmaliges Schicksal, daß die Gewährung eines Ausgleichs sich als unabweisbares Gebot sozialer Gerechtigkeit darstellt. Ihre verheerenden Wirkungen in physischer, psychischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sind zu gut bekannt, als daß es notwendig wäre, sie näher zu schildern. Ebenso wie der Ostvertriebene, dem das Schicksal Heimat und Existenz nahm, einen Lastenausgleich erhält, steht dem Blinden für das, was das Schicksal ihm nahm, ein Ausgleich zu. Hierbei sind wir uns klar darüber, daß jeder auch noch so hohe Geldbetrag in beiden Fällen einen recht unvollkommenen Ersatz für das Verlorene darstellt.

Die Forderung nach Ausgleich der Blindheitsfolgen ist im Grunde so selbstverständlich, daß dies an sich heute von keiner Seite mehr bestritten wird. Bedenken werden lediglich dagegen erhoben, daß der Ausgleich gerade in Form einer Geldrente erfolgen soll. Man hat eingewandt, daß man den Blinden nicht Geld, sondern Arbeit geben solle. Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen sei ihnen und der Allgemeinheit mehr gedient.

Richtig ist daran, daß das Recht auf Arbeit für den Blinden an erster Stelle steht, der Rentenanspruch erst an zweiter Stelle. Aber ebenso wie es keinem Menschen einfällt, dem Schwerkriegsbeschädigten seine Rente mit einem Hinweis auf das Schwerbeschädigtengesetz zu bestreiten, kann man dies auch nicht gegenüber dem Z-Blinden tun. Es kommt hinzu, daß nach allen Statistiken nur etwa 10 % aller Z-Blinden ihren Lebensunterhalt voll verdienen und weitere 10 bis 15 % teilweise, während alle übrigen von Wohlfahrtsunterstützungen, Sozialrenten und Unterhaltsbeträgen von Verwandten leben.

Wir können und müssen durch intensivere Berufsfürsorge das Zahlenbild günstiger gestalten. Die überwiegende Mehrheit der Blinden ist aber nicht in der Lage, sich durch eigene Arbeit voll zu ernähren. Das wird klar, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß über die Hälfte aller heute lebenden Blinden über 50 Jahre alt ist, wovon der größte Teil erst nach diesem Zeitpunkt erblindete, und daß mehr als ein Viertel der verbliebenen Blinden mit anderweitigen Leiden behaftet sind, die die Berufsfähigkeit beeinträchtigen oder ausschließen. Aber auch die Wirtschaftskraft derjenigen, die einen Beruf ausüben, wird durch die Blindheit stark eingeschränkt.

Die erzielten Höchstleistungen der blinden Korbmacher liegen 30-40 %, diejenigen der Bürstenmacher 25-30 %, diejenigen der Industriearbeiter 20 % unter den Regelleistungen der Sehenden. Dazu kommt, daß die Blinden meist in groben und schlecht entlohnten Arbeiten beschäftigt werden.

Gelingt es aber einem Blinden, durch berufliche Tätigkeit sein und seiner Familie Lebensunterhalt voll zu verdienen, so sind in der Regel die blindheitsbedingten Mehraufwendungen so hoch, daß er, der ja schon durch die Blindheit als solche außerordentlich behindert ist, darüber hinaus noch durch diese Mehraufwendungen in seiner Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Sehenden wesentlich beeinträchtigt wird.

Man denke an den blinden Künstler, der auf seinen Konzertreisen eine ständige Begleitung braucht oder an den Geistesarbeiter, der eine ständige Vorlesekraft benötigt. Hieraus folgt, daß auch die 10 % der Blinden, die ihren Lebensunterhalt voll verdienen, zum Ausgleich der Blindheitsfolgen einer Rente bedürfen.

Die Rentenforderung umfaßt alle Blinden, während wir mit der Forderung nach Arbeitsplätzen, die einen vollen Verdienst gewährleisten, nur immer einen kleinen Teil von ihnen erfassen. Es ist also unmöglich, mit dem Hinweis auf die Arbeitsmöglichkeiten den Rentenanspruch zu verneinen und nochmals sei es betont: "Ebenso wie man den Schwerkriegsbeschädigten ihre Rente nicht mit dem Hinweis auf das Schwerbeschädigtengesetz bestreitet, kann man dies auch nicht bei den Z-Blinden tun." Wir tragen alle das gleiche Schicksal.

Das Schicksal der Blindheit auf Grund von Kriegseinwirkung ist nicht schwerer als dasjenige auf Grund anderer Ursachen. Wer will ermessen, ob ein Blindgeborener oder ein Späterblindeter mehr unter seinem Schicksal leidet? Die Blindheitsfolgen sind bei allen Betroffenen in gleicher Weise verheerend. Kleine Abweichungen fallen gegenüber diesem schweren Schicksal nicht ins Gewicht. Wer etwas anderes sagt, konstruiert mit dem Intellekt, erfaßt aber niemals das Leben, wie es ist.

Tragen wir aber alle das gleiche Schicksal, so fordern wir auch die gleiche Behandlung vor dem Gesetz. Ein Kulturstaat des 20. Jahrhunderts sollte sich dieser Forderung der Gerechtigkeit nicht entziehen.

Das Körperbeschädigtenleistungsgesetz in der amerik. Zone und die Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 in der brit. Zone gewähren nicht nur erblindeten Soldaten, sondern auch solchen Zivilpersonen eine Rente, die durch Bomben oder andere Kriegseinwirkungen erblindeten. Hier erhalten also Zivilpersonen eine Rente, die durch ein besonders geartetes Schicksal ihr Augenlicht verloren. Der darin liegende Gedanke drängt nach Erweiterung. Nicht nur ein besonders geartetes, sondern jedes Erblindungsschicksal verlangt die Gewährung einer Rente. Nach der heutigen Gesetzeslage erhält der Knabe, der mit herumliegender Munition gespielt hat und dabei durch Explosion des Sprengkörpers das Augenlicht verlor, eine Rente, dagegen ein anderer Knabe, der für seine Mutter Holz haut und dem ein Holzstück ins Auge springt, nicht. Es dürfte zweifellos sein, daß vom ethischen Standpunkt aus der letztere Knabe ebenso berechtigt ist, eine Rente zu erhalten, wie der erstere. Der Grundgedanke, wie er im Körperbeschädigtenleistungsgesetz und in der Sozialversicherungsdirektive 27 zum Ausdruck kommt, bedarf einer Ausdehnung auf alle Blindheitsfälle.

Diese Ausdehnung liegt um so näher, weil beide gesetzlichen Bestimmungen die Rente nicht so sehr wegen der Kriegsursache, sondern "wegen der Folgen" der Erblindung gewähren. Das Körperbeschädigtenleistungsgesetz spricht dies unmittelbar aus und die Sozialversicherungsdirektive 27 nimmt ausdrücklich auf jenes Gesetz Bezug. Es sind die Blindheitsfolgen, aus denen sich die Rente herleitet. Der Ausgleichsgedanke ist der Rechtfertigungsgrund.

Daneben leiten wir die Forderung auf eine allgemeine Blindenrente aus dem Versagen der Gesellschaft in der Frage der Blindheitsverhütung ab. Viele Erblindungsfälle könnten verhindert werden, wenn ein geeigneter Arzt zur Stelle oder eine bessere Hygiene vorhanden wäre. Die Zahl dieser Fälle ist größer, als man gemeinhin anzunehmen pflegt. Auf der Internationalen Blindenkonferenz in Oxford im Aug. d.J. wurde sie mit 70 % aller Blindheitsfälle angegeben.

Hat aber das Versagen der Gesellschaft ein derartiges Ausmaß, so ist sie moralisch verpflichtet, die daraus resultierenden Folgen auf sich zu nehmen, d.h. den entstandenen Schaden soweit als möglich auszugleichen. Das bedeutet aber nach den gemachten Ausführungen nichts anderes, als die Gewährung einer allgemeinen staatlichen Blindenrente.

Ein immer wieder vorgebrachter Einwand gegen die Blindenrente ist der, daß die erforderlichen Mittel nicht zu beschaffen seien. Dem ist jedoch nicht so. Die benötigten Mittel sind im Verhältnis zu den für die sonstigen Renten aufzuwendenden Beträge so minimal, daß sie überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Selbst die für die Renten der Leichtbeschädigten (Beschädigte unter 50 Proz.) benötigten Summen betragen ein Vielfaches von dem, was für die Blindenrente erforderlich wäre. Es muß also bei einigem guten Willen durchaus möglich sein, die nötigen Mittel flüssig zu machen.

Noch eindringlicher sprechen die Tatsachen, wenn man die Kriegerwitwen ins Auge faßt. Gewiß soll eine Frau, die ihren Mann durch den Krieg verloren hat, eine Rente erhalten. Aber ehe gesunde, sehende Frauen mit Renten versorgt werden, haben Blinde einen Anspruch hierauf, und wenn für jene Zwecke Mittel vorhanden sind, müssen sie es auch für die Blindenrente sein.

Auch der letzte noch stets vorgebrachte Einwand, daß, wenn man den Z-Blinden eine Rente gibt, die anderen Zivilbeschädigten mit einem Rentenanspruch nachkommen werden, greift nicht durch. Das Blindheitsschicksal ist so schwer und qualitativ so verschieden von allen übrigen Körperbeschädigungen, daß es eine besondere Behandlung rechtfertigt. Auch sonst haben die Blinden mit Rücksicht auf ihre Sonderstellung Vergünstigungen, die anderen Beschädigten nicht eingeräumt werden. 25 Jahre lang waren in der Frage des Arbeitseinsatzes nur die Blinden den Kriegsbeschädigten obligatorisch gleichgestellt, (§ 8 des Schwerbeschädigtengesetzes), ohne daß sich daraus Schwierigkeiten ergeben haben. Was dem Schwerbeschädigtengesetz recht ist, muß dem Rentengesetz billig sein. Es ist nicht einzusehen, warum man nicht die Rentenversorgung auf die Blinden beschränken kann.

Seit dem 1. Blindenkongreß in Stuttgart i.J. 1924 ist der Gedanke der Blindenrente nicht mehr zur Ruhe gekommen. Auch nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 fanden sich unter den Deutschen blinde Männer, die das Problem energisch weitertrieben. Die ersten Erfolge sind da.

Der Bayerische Landtag beschloß, als Übergangslösung das Gesetz über die Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde, das den Z-Blinden zwar nicht die Rente, wohl aber ein Pflegegeld von monatlich 75 DM brachte. Der Schleswig-Holsteinische Landtag beauftragte die Landesregierung sofort nach Zusammentreten des Bundestages, diesem den Wunsch des Schleswig-Holsteinischen Landtages zu unterbreiten, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen für die rentenmäßige Gleichstellung der Z-Blinden mit den durch Kriegseinwirkung Erblindeten.

Damit hat nun der Bundestag das Wort. Hoffen wir, daß die Abgeordneten sich der Bedeutung der zu lösenden Aufgabe bewußt sind und ohne Zögern ein Bundesgesetz schaffen, das die rentenmäßige Gleichstellung von Kriegs- und Zivilblinden bringt.

Ein Foto zeigt drei Pfennigstücke in Vorder- und Rückseite, auf zwei Pfennigen ist die Jahreszahl "1948" lesbar. Bildunterschrift: "Pfennige 1948 - für die Rente zu wenig. Foto: DVBS"

Unser Weihnachtsgruß an die blinden Geistesarbeiter im Osten

Durch eine Spende des Vorstandes des "Schweiz. Blindenverbandes", Zürich, und der "Blindas Förening", Stockholm, wurden dem Verein der blinden Geistesarbeiter je 500 Fr bzw. 500 Schwed. Kr zur Verfügung gestellt, um unseren Freunden in der Ostzone eine Weihnachts- und Neujahresfreude zu machen. Der Verein der blinden Geistesarbeiter hat diese Schenkung ergänzt, so daß an 100 blinde Geistesarbeiter je ein Wertpaket, enthaltend wertvolle Fett- und Eßwaren, im Werte von DM 10 Anfang Januar abgehen kann.

Wir danken unseren Freunden in der Schweiz und in Schweden aufrichtig und herzlich für diesen großzügigen Beitrag und hoffen, daß auch andere ausländische Stellen sich unserer Bitte um brüderliche Hilfe nicht versagen werden.

Zur Durchführung von Hilfeleistungen an Freunde in der Ostzone, deren wirtschaftliche Lage es nicht gestattet, sich und ihre Familie durch Anschaffung guter Winterkleidung gegen die Unbilden der Witterung hinreichend zu schützen, bitte ich um Sachspenden. Vielleicht findet sich bei näherem Zusehen unter Ihren Beständen ein abgelegter Mantel, ein Kleid, Wäsche und ein Paar Schuhe, die noch haltbar sind, für Männer, Frauen oder Kinder, Gegenstände, die denen gute Dienste leisten würden, die ihrer bedürfen. Aufrichtiger Dank für ein solches Zeichen der brüderlichen Verbundenheit mit unseren Schicksalsgefährten im Osten wäre Ihnen gewiß! Spender wollen sich an die Geschäftsstelle des VbGD wenden, damit wir ihnen Anschriften aufgeben können.

Betrifft: Unsere Mitglieder und Freunde in der Ostzone

Nach dem kürzlich erlassenen Gesetz zur Regelung des innerdeutschen Zahlungsverkehrs sind private Kosten in der einen für die andere Zone nicht mehr gestattet. Demnach wird ab sofort unser Ostzonenkonto aufgelöst. Die dort eingehenden Beiträge und Zahlungen kamen stets nur unseren Freunden in der Ostzone als Beihilfen zugute. Da anzunehmen ist, daß Mitgliedschaften von der anderen Zone zu Organisationen unserer Zone nicht mehr möglich sind, werden ab 1.1.51 alle Ostzonenmitglieder gestrichen. Sie bleiben nur, soweit sie es wünschen, korrespondierende Freunde des VbGD. Wir werden dafür sorgen, daß unsere Zeitschriften "Beiträge zum Blindenbildungswesen", "Marb. Umschau", "Marb. Schachzeitung" und auch die neue Fachbeilage "Der blinde Kaufmann und Büroangestellte" in einer größeren Anzahl von Exemplaren allen Interessenten im Lesezirkel ohne Zahlung einer Gebühr zur Verfügung stehen. Alle blinden Freunde der Ostzone wollen möglichst umgehend einen kurzen Bescheid nach Marburg an die Geschäftsstelle schicken, ob sie wünschen, in einen Lesezirkel aufgenommen zu werden. Falls kein Bescheid erfolgt, nehmen wir dies als Verzicht. Selbstverständlich wird der VbGD nach wie vor im Rahmen des Möglichen seine korrespondierenden Freunde in der Ostzone mit Büchern, die im Verlag der BStA erschienen sind, über die Blindenhochschulbücherei im Leihverkehr oder durch Schenkungen unterstützen, soweit diese Bücher von dem Betreffenden für die Berufsausbildung oder -ausübung dringend gebraucht werden. Wir werden auch fürderhin alles tun, um wirtschaftlich und sozial all die zu fördern, die einen besonderen Wunsch haben, ganz gleich, ob sie Mitglieder unseres Vereins waren oder nicht. Allerdings können wir nur im begrenzten Umfang helfen, da uns nur beschränkte Mittel zur Verfügung stehen.

Der Beitrag wird durch ein Colorfoto bebildert. Es zeigt einen weiß gestrichenen Metall-Grenzpfahl mit rotem Ende, der ein angerostetes weißes Schild trägt. Aufschrift: "Halt. Hier Zonengrenze. Der Bundesgrenzschutz". Bildunterschrift: Die "Zonengrenze" erschwert Kommunikation und gegenseitige Hilfe. Foto: www.pixelio.de/Lisa Spreckelmeyer.

Bücher

Sabine Hahn

Hörtipp

Martin Hellweg: Safe Surfer: Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter.
Bonn, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, 2014.

Schnell ist ein Link angeklickt, das online-Formular für den Kauf ausgefüllt, das Profil für ein soziales Netzwerk angelegt. Nicht ganz so schnell wird jedoch klar, warum Fremde das private Handy manipulieren konnten, die Leinwand während einer öffentlichen Präsentation peinliche Nachrichten anzeigt, oder Wertgegenstände, deren Fotos doch nur privat hochgeladen wurden, so rasch gestohlen werden konnten.

Hier erhalten Leserinnen und Leser mit durchschnittlichen IT-Kenntnissen 52 konkrete Tipps zum bewussten Umgang mit den eigenen Daten und zum Schutz der Privatsphäre. Welche Funktionen sollten Sie als erstes bei Handy, Tablet, Smart TV und online steuerbaren Haushaltsgeräten abschalten, welche digitalen Spuren hinterlassen Sie regelmäßig? Viele Anekdoten zeigen, wie nervig und teuer virtuelle Attacken, online-Betrüger, Abzocker oder üble Scherze früherer Freunde werden können.

Der Autor kann dank seiner 2007 gegründeten Unternehmung, die sich auf den Schutz der Privatsphäre spezialisiert hat, auf eigene Erfahrung zurückgreifen. Weiterführende Informationen zu den Tipps bieten Links unter www.safe-surfer.com/buch.

Wer langfristig Nerven und Geldbeutel schonen will, sollte sich unbedingt mit den Gefahren der digitalen Welt auseinandersetzen – ohne die Flinte ins Korn zu werfen und vollständig auf die Lebensqualität, die neue Techniken bieten, zu verzichten. Dieses verständlich und flott lesbare Buch bietet hierfür einen guten Einstieg.

Ihre Bestellung richten Sie bitte an den DVBS-Textservice, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Bestellnummer Euro

Zum Hörtipp gibt es ein Foto: Bücherreihe mit Titeln der Bundeszentrale für politische Bildung mit den typischen weißen Buchrücken, im oberen Teil dunkelrot. Bildunterschrift: Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb

Andrea Katemann

Buchtipps aus der blista

Christoph und Chiho Bangert: Africa Overland – 60.000 Kilometer Abenteuer

G+J/RBA, Hamburg, 2013 Bestellnummer: 4742, 2 Bde, KR, 36 Euro (in Papier, für Braillezeile und mit synthetischer Stimme erhältlich)

Kaum jemand hat Afrika so unverfälscht kennen gelernt wie Christoph Bangert zusammen mit seiner japanischen Freundin Chiho. 14 Monate lang umrundeten sie mit ihrem Land Rover den Kontinent. Dieser Band dokumentiert in authentischen Bildern und persönlichen Reisenotizen diesen abenteuerlichen Trip durch Wüste, Schlamm und über blockierte Straßen. Auf ihrem Weg begegnen sie korrupten Beamten und senegalesischen Fischern, die von Europa träumen. Sie reisen ins sagenumwobene Timbuktu und essen Wiener Schnitzel in Namibia. Sie überstehen Tropenkrankheiten und Hitze und werden von Afrikas kulturellen und landschaftlichen Schätzen immer wieder in den Bann gezogen. Dieser Bildband lässt den Leser eintauchen ins Abenteuer Afrika und in eine besondere Liebesgeschichte.

Daniel-Erasmus Khan: Das Rote Kreuz – Geschichte einer humanitären Weltbewegung

Beck, München, 2013 Bestellnummer: 4755, 2 Bde, KR, 43 Euro (in Papier, für Braillezeile und mit synthetischer Stimme erhältlich)

Das Rote Kreuz gehört zu den größten humanitären Organisationen der Welt. 2013 wird 150. Geburtstag gefeiert. Daniel-Erasmus Khan, Professor für Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München, legt einen knappen und verständlich geschriebenen Überblick über dessen Geschichte vor. Zwischen kurzem Prolog und Epilog werden die Ausgangslage und Gründer Henri Dunant sowie die Gründungsphase 1863/64 vorgestellt. Ausführlicher dann das 5. Kapitel mit historischer Überblicksdarstellung von 1865 bis in die Zeit nach 1945. Es folgen Informationen über die Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, das institutionelle Gefüge und in einem kurzen Extra-Kapitel Anmerkungen zum Ist-Stand des Roten Kreuzes mit Herausforderungen und Perspektiven.

Günther Fischer, Manfred Prescher: Alles klar auf der Andrea Doria. Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte

Primus, Darmstadt, 2013 Bestellnummer: 4745, 3 Bde und ein Halbband, KR, 79 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

Die beiden Autoren erzählen zu 172 bekannten Songzeilen die Hintergrundgeschichte. Die Anekdoten zu den "geflügelten Worten der Popmusik" bieten interessante musik- und kulturgeschichtliche Aspekte und sind unterhaltsam zu lesen. Die Auswahl umfasst zum Beispiel "I know it isn't true" aus "Love Hurts" von Nazareth, "Keine Macht für niemand" von Ton Steine Scherben, "Sex and Drugs and Rock’n‘Roll" von Ian Dury & The Blockheads. In die aktuelle Ausgabe wurden neue Songtexte aufgenommen, unter anderem Lana del Rey mit "Video Games" oder Katie Meluas "Nine Million Bicycles".

Hörbücher zum Schwerpunkt „Inklusion braucht Qualität“

Minka Wolters: Besonders normal. Wie Inklusion gelebt werden kann

Ch. Links, Berlin, 2014 Bestellnummer: 759931, Laufzeit: 6 Std. 31 Min.

Dieses Buch schlägt eine Brücke zwischen der aktuellen gesellschaftspolitischen Inklusionsdebatte und der Frage nach der praktischen Umsetzung. Minka Wolters hat viele Betroffene und Menschen aus ihrem Umfeld intensiv begleitet: Sie erzählen von der Entscheidung für ein behindertes Kind während der Schwangerschaft, vom Inklusionsalltag im Kindergarten, in der Schule, an der Universität und am Arbeitsplatz. Und sie berichten, wie eine Partnerschaft, ein selbstbestimmtes Dasein für Menschen mit Behinderung lebbar sein kann. Um Wut, um Verzweiflung und um die große Freude über winzige Erfolge geht es in diesen schonungslos ehrlichen Porträts, die durch Expertenstimmen aus den einzelnen Lebensbereichen ergänzt werden. Sie alle zeigen uns, woran die Praxis der Inklusion scheitert und wie sie im Kleinen gelingt. Dafür braucht es nicht nur den Mut der Betroffenen, sondern die Unterstützung aller Beteiligten.

Bernd Ahrbeck: Inklusion. Eine Kritik.

Kohlhammer, Stuttgart, 2014 Bestellnummer: 765241, Laufzeit: 5 Std. 8 Min.

Die schulische Inklusion ist heute allseits akzeptiertes Ziel für ein Mehr an Gemeinsamkeit von Kindern mit und ohne Behinderung. Allerdings bleiben hinter diesem Grundkonsens in der Inklusionsdebatte viele der anstehenden Fragen ungeklärt, darunter auch solche grundsätzlicher Art. Sie beziehen sich sowohl auf die konkrete Umsetzung als auch auf die Fernziele der Inklusion. Der Autor greift diese Fragen entschieden auf. Er spricht die neuralgischen Punkte in der Integrationsdebatte differenziert an, weist auf Widersprüche und ungelöste Problemstellungen hin, wobei Polarisierungen, die einer konstruktiven Weiterentwicklung der Inklusion im Wege stehen, vermieden werden.

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Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

Zum Buchtitel "Das Rote Kreuz" gibt es ein Foto: Es zeigt die Rückansicht zweier Männer, die auf einem Rollfeld die Verladung von Hilfsgütern in ein Flugzeug beobachten. Ihre roten Jacken tragen das kreisförmige Logo des Deutschen Roten Kreuzes. Bildunterschrift: Auch nach 150 Jahren gibt es viel zu tun: DRK-Hilfsflug nach Sierra Leone, 2014. Foto: DRK/Clemens Bilan.

Deutsche Blindenstudienanstalt

Das Sportjahr 2016

Auch für 2016 hat die blista für Sie wieder vier sportliche Asse im Ärmel. Zudem bietet Ihnen das monatlich erscheinende Hörmagazin „Einwurf“ Hintergrundinformationen und Aktuelles aus der Welt des Sports.

Formel 1, Saison 2016

Am 20. März startet die Königsklasse des Motorsports in Australien in die neue Saison. Unser Sonderheft informiert Sie über Pisten, Piloten und PS.

Bestell-Nr.: 4828, Schutzgebühr: 17,90 Euro plus Verpackungskosten

Fußball-Europameisterschaft 2016

Am 10. Juni beginnt die Fußball-EM in Frankreich. In unserem Sonderheft stellen wir den Kader der deutschen Mannschaft vor, lesen Sie alles über die Gruppengegner, finden Sie u.a. Hintergrundinformationen, Statistiken sowie den Spielplan zum Ausfüllen.

Bestell-Nr.: 4829, Schutzgebühr: 17,90 Euro plus Verpackungskosten

Olympia 2016 Rio de Janeiro

Die XXXI. Sommerolympiade wird am 5. August in Rio eröffnet. Das Olympia-Sonderheft enthält u.a. Hintergrundberichte, den Terminplan der Spiele sowie Infos zu den Paralympics, die am 7. September beginnen.

Bestell-Nr.: 4830, Schutzgebühr: 17,90 Euro plus Verpackungskosten

Fußball-Bundesliga, Saison 2016/17

In Zusammenarbeit mit dem Sportmagazin „kicker“ erscheint unser Punktschrift-Sonderheft zum Beginn der neuen Saison. Es enthält u.a. den Rahmen-Terminkalender für das Spieljahr, Angaben über Vereine und Spieler der 1. und 2. Bundesliga, deren Spielpläne und den der 3. Liga.

Bestell-Nr.: 4831, Schutzgebühr: 24,10 Euro plus Verpackungskosten

Der Einwurf – Aktuelles aus der Welt des Sports

240 Minuten geballte Information aus dem Sportgeschehen liefert Ihnen unser selbst produziertes Hörmagazin „Der Einwurf“ einmal im Monat im DAISY-Format. Neben dem Schwerpunkt „Fußball“ erhalten Sie auch zu anderen Sportarten, wie zum Beispiel Formel 1 oder Tennis, und zu besonderen Sportereignissen interessante Hintergrundinformationen, die über die aktuelle Berichterstattung von Ergebnissen und Tabellen hinausgehen. Dieses Abonnement macht leider nicht schlank, doch die ebenso gut recherchierten wie abwechslungsreichen Beiträge garantieren Ihnen zumindest einen besonderen Hörgenuss und die Sicherheit, über das aktuelle Sportgeschehen kompetent mitreden zu können.

Preis: 60,00 € jährlich (12 Ausgaben).

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Der Beitrag wird durch Logos der Formel 1, Fußball-EM, Olympia 2016, der Fußball-Bundesliga und der blista illustriert.

Deutscher Hörbuchpreis 2016:
Preisverleihung am 8. März 2016 in Köln

21 Nominierte haben es in das Finale um den Deutschen Hörbuchpreis 2016 geschafft. Der Preis wird am 8. März 2016 im WDR-Funkhaus am Kölner Wallrafplatz verliehen. Die Veranstaltung wird von fünf Radiosendern live übertragen und im WDR-Fernsehen zeitversetzt zu sehen sein.

Rund 70 Verlage hatten insgesamt 298 Titel eingereicht – so viele wie noch nie zuvor. In sieben Kategorien haben jeweils drei Produktionen die entscheidende Endrunde um die begehrte Trophäe erreicht.

Um die Auszeichnung als „Beste Interpretin“ haben die Schauspielerinnen Nina Hoss (mit Harper Lees Romandebüt „Gehe hin, stelle einen Wächter“), Dagmar Manzel (mit Ágota Kristófs Prosaminiaturen „Irgendwo. Erzählungen“) und Sophie Rois (mit Alina Bronskys Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“) wetteifert - die Jury hat sich für Sophie Rois entschieden.

Bei den Herren durften drei prominente Schauspieler auf den Preis für den „Besten Interpreten" hofften - nun steht Lars Eidinger („Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“ von David Foster Wallace) als Gewinner fest. Mit in der Endrunde waren August Diehl („Hart auf hart“ von T.C. Boyle) und Axel Milberg („Exil“ von Lion Feuchtwanger).

Wie in den Vorjahren wird die Preisverleihung durch das internationale Literaturfest lit.COLOGNE eröffnet. Je Kategorie ist die begehrte Auszeichnung mit einem Preisgeld von 3.333,- Euro verbunden.

Weitere Infos gibt es im Internet unter http://www.deutscher-hoerbuchpreis.de

Foto: Sophie Rois im Tonstudio, das Mikrofon rechts unten im Bild. Bildunterschrift: Sophie Rois gehört zu den Preisträgerinnen des Deutschen Hörbuchpreises 2016. Foto: wikimedia.org/Herbert Gleibstedt CC BY-SA 3.0

Panorama

"In Bewegung ": Louis Braille Festival 2016 in Marburg

Gäste des dritten Louis Braille Festivals vom 1. bis 3. Juli 2016 in Marburg dürfen auf drei erlebnisreiche Tage gespannt sein. Das Motto "In Bewegung" steht nicht nur für die sportlichen Angebote des Festivals, sondern auch für vielfältige kulturelle Highlights und die Präsentation der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Das Programm bietet garantiert für jeden Geschmack etwas. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

In Bewegung kommen Gäste etwa beim Tanztee, Kanufahren oder in der Halfpipe. Stände und Aktionen auf dem Festivalplatz im Georg-Gaßmann-Stadion bilden einen "Markt der Begegnung", das Braille-Zelt steht für Lesungen bereit. Workshops wecken die Neugierde, vieles einmal selbst auszuprobieren, etwa "Singen für die Seele" mit Petti West. Zu den Publikumsmagneten gehören Bühnenkonzerte, unter anderem mit Warehouse, Overback und dem Ensemble Carte Blanche.

Am Freitagnachmittag lädt die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) außerdem alle Ehemaligen auf den blista-Campus ein. Am Sonntag finden alle Veranstaltungen in und um die gotische Elisabethkirche und in der Stadt statt: Es gibt einen ökumenischen Gottesdienst, anschließend einen Jazzfrühschoppen und Kirchenführungen.

Fahrten hoch auf das Marburger Schloss bieten Gelegenheit, die Universitätsstadt an der Lahn kennen zu lernen. Im Landgrafenschloss kann man die "Blick!Punkte – Blind_Sehen_Ausstellung" besuchen. Die im Tal gelegene Kunsthalle wiederum lockt mit "Hörwelten", einer Ausstellung von Mirja Wellmann, die sie für und mit blinden und sehbehinderten Menschen konzipiert hat.

Das Festival wird von blista und Deutschem Blinden- und Sehbehindertenverband, am Sonntag unter Beteiligung des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS), veranstaltet. Anlass ist der hundertjährige Geburtstag von blista und DVBS. Höhepunkte sind die beiden großen Abendshows am Freitag und Samstag. Danach wird die Festivalbühne zur Disco. Und dank Public Viewing im nahen Sportvereinshaus ab 20:00 Uhr braucht niemand auf die Viertelfinalspiele der Fußball-Europameisterschaft zu verzichten.

Die Organisatoren bitten auch "Einheimische" vorab um Anmeldung im blista-Festivalbüro, weil der Festivalpass vor Ort im Georg-Gaßmann-Stadion dann schon bereitliegen kann. Spontan anreisende Gäste sind am Wochenende aber natürlich ebenfalls willkommen.

Anmeldung, Infos, Zimmerbuchung im blista-Festivalbüro,
Tel.: 06421 606-444, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!,
online-Anmeldung unter: www.dbsv-festival.de/anmeldung,
das aktuelle Programm siehe unter www.blista.de/aktuelles/index.php?nr=510

Dazu die "illustration zum Louis Braille Festival von Iris Weinreich". Beschreibung: Farbige Zeichnung von fünf Personen, die sich von links nach rechts bewegen: Ein Mann mit Blindenstock, Ohrhörern und Player, eine junge Frau mit roten Haaren auf einem Skateboard, ein Mann mit schwarzer kurzer Hose, Ball und dunkler Brille, eine Dame mit Blindenhund im Geschirr sowie Blinden-Sticker am Halstuch, eine junge Frau mit hellem Pferdezopf in bauchfreiem Topp. Am rechten Rand der Illustration zwei Kreise mit der Silhouette des Marburger Schlosses und dem Schriftzug "2016 Marburg Louis Braille Festival".

Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V.:

Tag des barrierefreien Tourismus am 11. März 2016

Barrierefreies Reisen gilt als Qualitätsmerkmal und Wettbewerbsfaktor touristischer Angebote. Daher findet bereits zum fünften Mal anlässlich der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) der „Tag des barrierefreien Tourismus“ statt. Am Freitag, den 11. März 2016, werden von 10:30 bis 15:00 Uhr im Rahmen des ITB Fachkongresses die Themenfelder barrierefreies Reisen und Inklusion als eine der Schlüsselaufgaben der Tourismusbranche medienwirksam präsentiert. Im Mittelpunkt des Kongresses steht dieses Jahr der Städte- und Kulturtourismus.

Zu den Partnerinnen und Ausstellerinnen der ITB Berlin gehört unter anderem die Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V. (NatKo). Auch diesmal können sich Besucherinnen und Besucher auf ein buntes Programm zum Thema "Reisen für Alle" in Deutschland und anderen Ländern freuen.

Weitere Informationen sowie das Programm finden Sie unter http://www.germany.travel/de/barrierefreies-reisen/barrierefreies-reisen/tag-des-barrierefreien-tourismus-2016.html

Dr. Carsten Dethlefs

Politische Bildung für alle

„Politische Bildung für alle“, so lautet das Ziel der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., künftig verstärkt Menschen mit Behinderung die Teilnahme am Bildungsangebot der Stiftung zu ermöglichen.

In einer Strategieklausur mit Betroffenen ging es 2015 unter anderem um Voraussetzungen und Umsetzungsvorschläge. Eine Handreichung mit Musterseminaren und Checklisten wird Organisatoren und Dozenten die Gestaltung inklusiver Bildungsangebote erleichtern. Deutlich wurde, dass jede Behinderung eine andere Art von Assistenzsystemen benötigt.

Neben der Begabtenförderung, der Erforschung christlich-demokratischer Bewegungen und der Politikberatung im In- und Ausland, ist die politische Bildung eine zentrale Aufgabe der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Zu ihrem demokratischen Selbstverständnis gehört, dass jeder Mensch die Möglichkeit braucht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Deshalb hat die Stiftung das Fachprogramm "Ehrenamt & Bürgergesellschaft" in das DAISY-Hörformat übertragen lassen und auf ihrer Website eingestellt (http://www.kas.de/bundesstadt-bonn/de/publications/42072/).

Dr. Carsten Dethlefs, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der politischen Bildung, betont: "Die Möglichkeiten der Selbstentfaltung müssen gestärkt werden. Sozialpaternalistisches Mitleid gegenüber behinderten Menschen gehört der Vergangenheit an." Der blinde Altstipendiat Dethlefs ist seit November 2015 Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen, die mehr über das Seminarprogramm und die Stiftung erfahren möchten. "Schließlich waren auch Konrad Adenauer und Ludwig Erhard zu ihrer Zeit optimistische und anpackende Charaktere, die eine inklusive Haltung sicherlich unterstützt hätten", so Dethlefs.

Kontakt: Carsten Dethlefs, Telefon: 04802 464, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e. V.

Franz Müntefering ist neuer Vorsitzender der BAGSO

Mit überwältigender Mehrheit wurde Franz Müntefering von der Mitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO) am 25. November 2015 für drei Jahre zum neuen Vorsitzenden gewählt

Der 76-jährige ehemalige SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsminister a. D. hatte sich 2013 aus der aktiven Politik zurückgezogen. Er blieb aber weiterhin gesellschaftlich engagiert und übernahm ab 2013 das Amt des ehrenamtlichen Präsidenten des Arbeiter-Samariter-Bundes Deutschlands e. V. In der BAGSO tritt er nun die Nachfolge von Prof. Dr. Ursula Lehr an. Die renommierte Alternswissenschaftlerin und frühere Bundesfamilienministerin stand seit 2009 an der Spitze der Dachorganisation BAGSO. Sie wurde von der Mitgliederversammlung zu einer der beiden Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

BAGSO-Geschäftsführer Dr. Guido Klumpp erklärt: „Die Zusammenarbeit der erfahrenen und gut vernetzten Persönlichkeiten macht es uns möglich, intensiv an der Verbesserung der Lebenssituation älterer Menschen in Deutschland zu arbeiten.“ Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen vertritt über ihre 113 Mitgliedsorganisationen rund 13 Mio. ältere Menschen in Deutschland. Mit ihren Publikationen und Veranstaltungen – wie dem alle drei Jahre stattfindenden Deutschen Seniorentag – setzt sie sich für ein möglichst gesundes, aktives und engagiertes Älterwerden ein.

Foto: Franz Müntefering sitzt aufgerichtet in einem modernen, schwarzen Ledersessel. In der rechten Hand hält er ein Mikrofon, mit seiner linken Hand unterstreicht er die Rede. Er trägt einen grauen Anzug, weißes Hemd und eine passende Krawatte mit Punkten. Er blickt durch eine randlose Brille den Zuschauer an. Bildunterschrift: Franz Müntefering auf dem Deutschen Seniorentag 2015. Foto: BAGSO / Julian Santen.

Markus Fischer:

Geschichte "inklusiv": Die neue Dauerausstellung der Zeche Zollern

Am 14. Januar eröffnete der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die neue Dauerausstellung im historischen Verwaltungsgebäude der Zeche Zollern in Dortmund. In 15 Räumen präsentiert das LWL-Industriemuseum die Geschichte des 1902 eröffneten Bergwerks - von der Gründung bis zur Umnutzung als Museum. Ob Rohkohle oder Arbeitsgeräte und Ausrüstungen der Bergleute - hier vermitteln die Dinge selbst einen Eindruck vom Arbeitsalltag auf einer Zeche.

Das Besondere: Über ein Leitsystem am Boden, Objekte, Fotos und Schriften zum Tasten sowie Hörstationen können sich Blinde und Sehbehinderte die Präsentation eigenständig erschließen. Für das innovative Konzept hat das LWL-Industriemuseum intensiv mit Selbsthilfeorganisationen zusammengearbeitet.

„Mit den Händen Bergbau begreifen" heißt es aber auch bei buchbaren zweistündigen Führungen für Menschen mit Sehbehinderung durch die Dauerausstellung.

Die Zeche Zollern liegt im Westen Dortmunds und gilt als eine der schönsten und außergewöhnlichsten Zeugnisse der industriellen Vergangenheit in Deutschland. Sie begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der Förderung von Steinkohle und wurde in den 1960er Jahren stillgelegt. Das Museum der Sozial- und Kulturgeschichte des Ruhrbergbaus veranschaulicht unter anderem an Lebensläufen von Männern und Frauen die damaligen Arbeitsbedingungen.

Das Museum ist dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Maschinenhalle ist wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten derzeit leider nicht zu besichtigen. Im ehemaligen Pferdestall der Zeche befindet sich ein Museumsrestaurant. Dort bieten Gerichte wie "Panhas auf Bauernbrot" oder "Currywurst" Gelegenheit, die westfälische Industrieregion von ihrer kulinarischen Seite kennen zu lernen.

Adresse:
LWL-Industriemuseum Zeche Zollern
Grubenweg 5
44388 Dortmund
Tel. 0231 6961-111
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto: Im Vordergrund ist ein helles Modell der Zeche Zollern zu sehen. Vier Personen stehen dahinter. Gerd Kozyk hält seinen Blindenstock in der Hand. Im Hintergrund ist eine Fotowand mit Blick auf die Stahlstruktur im Inneren eines Industriegebäudes zu sehen. Bildunterschrift: Museumsdirektor Dirk Zache, LWL-Direktor Matthias Löb, Gerd Kozyk vom Blinden- und Sehbehindertenverband und Museumsleiterin Dr. Anne Kugler-Mühlhofer in der neuen Dauerausstellung zur Geschichte der Zeche Zollern. Foto: LWL/Hudemann.

Großes Kino für den Deutschen Hörfilmpreis – Gala am 15. März 2016 erstmals im Kino International

Am 15. März 2016 wird in Berlin der 14. Deutsche Hörfilmpreis verliehen. Zum ersten Mal erfolgt die Preisverleihung im renommierten Kino International an der Karl-Marx-Allee, dem historischen Premieren- und Festivalkino. Hier erlebten etwa DEFA-Filme wie „Spur der Steine“, „Solo Sunny“ und „Coming out“ ihre Uraufführung.

2016 haben zwölf Produktionen mit ihren hochwertigen Bildbeschreibungen die Finalrunde um den begehrten Titel „Bester Hörfilm des Jahres“ erreicht:

Kategorie Kino

  • 45 Years (Großbritannien 2015, Regie: Andrew Haigh)
  • About a Girl (Deutschland 2015, Regie: Mark Monheim)
  • Als wir träumten (Deutschland 2015, Regie: Andreas Dresen)
  • Die Frau in Gold (Großbritannien / USA 2015, Regie: Simon Curtis)
  • Elser (Deutschland 2015, Regie: Oliver Hirschbiegel)
  • Frau Müller muss weg (Deutschland 2015, Regie: Sönke Wortmann)
  • Still Alice (USA / Frankreich 2015, Regie: Richard Glatzer und Wash Westmoreland)

Kategorie TV

  • Tatort „Borowski und der Himmel über Kiel“ (Deutschland 2015, Regie: Christian Schwochow)
  • Dr. Klein: Schicksal (Deutschland 2015, Regie: Gero Weinreuter)
  • Ich will Dich (Deutschland 2015, Regie: Rainer Kaufmann)
  • Tatortreiniger: „Bestattungsvorsorge“ (Deutschland 2015, Regie: Arne Feldhusen)
  • Wärst Du lieber tot? (Deutschland 2010, Regie: Christina Seeland)

Der Deutsche Hörfilmpreis wird seit 2002 vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband verliehen und von der Aktion Mensch unterstützt. Die Preisverleihung hat über die Jahre an Bedeutung und Zulauf gewonnen. Hörfilme sind mit einer Audiodeskription versehen, die in den Dialogpausen in knappen Worten zentrale Elemente der Handlung sowie Gestik, Mimik und Dekors beschreibt, so dass blinde und sehbehinderte Menschen diese Film-Elemente wahrnehmen können.

Nähere Infos gibt es unter http://www.deutscher-hoerfilmpreis.de/.

Susanne Schneider

Abitur: Was nun? - Orientierungsveranstaltung für blinde und sehbehinderte Studieninteressierte in Karlsruhe

Jährlich im Frühjahr haben blinde und sehbehinderte Oberstufenschüler/innen und Schulabsolventen/innen aus ganz Deutschland Gelegenheit, an einer Orientierungsveranstaltung zum Thema Studium mit Sehschädigung teilzunehmen. Der nächste Termin findet vom 2. bis 4. Mai 2016 in Karlsruhe statt. Veranstalter ist das Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

Die Informationsveranstaltung wendet sich an alle Studieninteressierten mit Sehschädigung unabhängig vom Studienort. Über drei Tage können Fragen zu Universitäten und Hochschulen, Studienfächern und -abschlüssen, fachlichen Anforderungen, einzelnen Studienorten, studentischem Wohnen, Orientierung und Mobilität und vor allem zu spezifischen pädagogischen und technischen Unterstützungen im Studium diskutiert werden. Dazu stehen Experten der jeweiligen Themenkomplexe, studentische Vertreter und sehgeschädigte Studierende aus höheren Semestern zur Verfügung.

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei. Anfahrt und Unterkunft müssen von den Teilnehmenden selbst getragen werden.

Für interessierte Eltern, die ihre Tochter oder ihren Sohn begleiten möchten, wird ein gesondertes Programm angeboten.

Detaillierte Informationen, einschließlich Programm und Anmeldung, können unter https://www.szs.kit.edu/484.php oder 0721 608-41937 angefordert werden. Um rechtzeitige Anmeldung bis spätestens 15. April 2016 wird gebeten. Anmeldung und nähere Informationen:

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS)
Susanne Schneider
Engesserstr. 4 (Campus Süd)
76128 Karlsruhe
Tel: 0721/608-41937
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: http://www.szs.kit.edu

Mit Foto: Blick in einen Seminarraum. Studieninteressierte Männer und Frauen sitzen an im Halbquadrat aufgestellten Tischen und wenden sich nach vorne. Sämtliche Stühle sind besetzt. Bildunterschrift: Keine leichte Wahl: Studieninteressierte brauchen viele Infos. Foto: KIT

Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS):

Dokumentation der IBS-Fachtagung "Barrierefreie Hochschullehre"

Am 4. und 5. November 2015 fand in Berlin eine Fachtagung zum Thema "Barrierefreie Hochschullehre" statt. Im Plenum und in sechs Workshops diskutierten 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Anforderungen an eine gute, barrierefreie Lehre und Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrende und Studierende. Ausrichter der Veranstaltung war die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) des Deutschen Studentenwerks.

Die Beiträge der Referentinnen und Referenten und die Präsentationen der Workshopleiterinnen und -leiter können von den Webseiten der IBS heruntergeladen werden: https://www.studentenwerke.de/de/tagungsdokumentationen#2015

Tobias Blaurock:

Vorreiter Schweiz: Ab sofort überall Zeitung lesen

Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband hat sein Online-Angebot "E-Kiosk" weiterentwickelt. Eine Gratis-App ermöglicht es nun blinden und sehbehinderten Menschen, mit Smartphone oder Tablet rund 50 Schweizer Zeitungen und Zeitschriften auch unterwegs zu lesen.

Programmiert wurde die neue App für mobile Endgeräte von der Dresdner Firma "visorApps", deren Gründer Dr. Jan Blüher selbst blind ist. Die App "eKiosk" läuft sowohl auf iPhones und iPads als auch auf Android-Geräten und wird über den App-Store oder Play Store installiert.

Dank der mit den Bedienungshilfen der Geräte mitgelieferten Techniken ist es möglich, dass Artikel etwa in Deutsch, Französisch und Italienisch vorgelesen werden. Die Ausgaben lassen sich zum Offline-Lesen laden, einzelne Artikel einer Ausgabe können angezeigt und favorisierte Zeitungen und Zeitschriften markiert werden.

Die Verlage hatten ihr Einverständnis mit dem Verfahren erklärt, um so zur Inklusion Blinder und Sehbehinderter beizutragen.

Linktipps:

eKiosk im Play Store:
https://play.google.com/store/apps/details?id=ch.ekiosk.ws.ekiosk

eKiosk im AppStore:
https://itunes.apple.com/de/app/e-kiosk/id1040991673?mt=8

Schweizer Blinden- und Sehbehindertenverband:
www.sbv-fsa.ch

Berichte und Schilderungen

Kai Kortus

Zeitenwende: Abi ... und was jetzt? - Lehramtsstudium: Geschichte, Mathe, Latein

17.06.2012: Tag 1 nach der blista:

Während viele meiner Klassenkameraden bereits einen klaren Entwurf für ihre berufliche Zukunft entwickelt hatten, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mehr über meinen Berufswunsch als zu meiner Kindergartenzeit. Damals wollte ich Historiker werden. Nun ja, nichts leichter als das. Warum nicht irgendwo für den Bachelor in Geschichtswissenschaften einschreiben und einfach losstudieren?

Suchen

Zwei Hindernisse standen mir dabei im Weg: Die beruflichen Perspektiven für einen blinden Historiker und die radikale Spezialisierung auf nur ein Fachgebiet. Was macht man denn mit einem abgeschlossenen Geschichtsstudium? Archiv- oder Museumstätigkeit, Journalismus, irgendetwas Fachfremdes oder natürlich den steinigen und unsicheren Pfad zu höheren akademischen Weihen erklimmen, um in Forschung und Lehre Fuß fassen zu können. Eine Archiv- oder Museumstätigkeit kam für mich mit einem Sehrest von etwa 1,5% auf einem Auge nicht in Frage, ebenso konnte ich mich kaum für Journalismus oder eine unklare fachfremde Tätigkeit begeistern. Und die Wahrscheinlichkeit, einen der heiß umkämpften akademischen Lehrstühle zu erringen, schien mir schlichtweg zu gering und von zu vielen Unwägbarkeiten abhängig. Zudem wollte ich mich auch nur ungern auf ein einziges Fachgebiet einschränken, da mir persönlich das Konzept eines der Orientierung dienenden Studium Generale grundsätzlich besser gefällt als die Steigerung der beruflichen Verwertbarkeit durch die frühzeitige Spezialisierung auf einzelne Studiengänge. Aus diesem Grund schloss ich auch meinen zweiten Favoriten, das Jurastudium, aus, obwohl ich im Vorfeld bereits einige Praktika und Jurakurse im Rahmen eines Betriebspraktikums, der Berufsorientierung sehgeschädigter Schülerinnen und Schüler (BOSS-Phase) und der Sommerakademie der deutschen Schülerakademien absolviert hatte. An dieser Stelle kam mir die im Schulprofil der blista verankerte Unterstützung bei der Berufsorientierung enorm zugute, da ich durch das Betriebspraktikum am Landgericht einen Einblick in die Tätigkeit eines blinden Richters, durch die BOSS-Phase Eindrücke aus dem Jurastudium und durch den Kurs der deutschen Schülerakademie „Vom Fall zum Urteil“ ein rudimentäres Verständnis für juristisches Arbeiten erlangen konnte. Auf Basis dieser Erfahrungen und Erkenntnisse konnte ich meine Entscheidung gegen ein Studium der Rechtswissenschaften erheblich leichter fällen.

Finden

Schließlich führten mich meine Überlegungen zum Studiengang Lehramt an Gymnasien an der Philipps-Universität Marburg, Studienfächer Geschichte und Latein. Der Studiengang Lehramt an Gymnasien ist zwar modularisiert, führt aber dennoch nach einer Regelstudienzeit von neun bis zehn Semestern zum Hochschulabschluss in Form des altbekannten ersten Staatsexamens. Zum ersten Mal mit dem unterschwelligen Spott gegenüber „Paukern“ konfrontiert, machte ich mich also gleich an zwei der vier vorgeschriebenen Praktika: Ein achtwöchiges Betriebspraktikum und ein vierwöchiges Orientierungspraktikum. Das Betriebspraktikum - welches ausdrücklich nicht an einer sozialen Einrichtung abgelegt werden darf - absolvierte ich in einer Holzbildhauerei und wurde dort während der heißen Sommermonate mit harter Arbeit, aber auch mindestens ebenso viel Freundlichkeit empfangen. Trotz meiner anfänglichen Bedenken hinsichtlich des Nutzens eines solchen Betriebspraktikums, half das konzentrierte Schmirgeln widerspenstiger Werkstücke entschieden dabei, sich vom Abi-Stress zu kurieren. Einen Einblick in die Welt außerhalb der beiden Elfenbeintürme „Schule“ und „Uni“ gab es gratis dazu.

Mit Beginn des neuen Schuljahres wechselte ich zum ersten Mal offiziell die Rolle im Klassenraum. Mein Orientierungspraktikum führte mich an die Waldorfschule Marburg, wo ich zunächst verschiedene Klassen begleiten und anschließend auch unterrichten durfte. Entgegen der landläufigen Vorurteile vom „Malen mit Fingerfarben“ und „Namen Tanzen“ überraschte mich die sehr strukturierte, von festen Ritualen dominierte Unterrichtsatmosphäre. Als besonders verwirrend habe ich jedoch die Unübersichtlichkeit des Schulgebäudes und die Klassengröße von bis zu 40 Kindern erlebt. Nichtsdestotrotz bot gerade dies einen willkommenen Anlass, um mein eigenes Verhalten gegenüber einer Horde von sehenden Zwölfjährigen auf die Probe zu stellen.

Unvorhergesehenes zum Studienbeginn

Kurz bevor es dann endlich mit dem eigentlichen Studium losgehen sollte, traf ich noch einen ehemaligen Klassenkameraden, der Mathe und Physik auf Lehramt studieren wollte und mich - da ich ja auch mit ihm im Mathe-LK gewesen sei - davon überzeugte, nun auch zusammen mit ihm noch Mathematik zu studieren. So schrieb ich mich – zunächst mehr als Experiment – zusätzlich noch für Mathe als drittes Fach ein.

Nach all dem ging es dann auch endlich ans Werk, das lang ersehnte Studium konnte beginnen. Gut ausgestattet mit einem Laptop mit JAWS und Zusatz-Akku sowie einer Braillezeile, die ich dank der Beratung durch die Servicestelle für behinderte Studierende der Philipps-Universität Marburg (SBS) rechtzeitig, etwa zwei Monate vorher, beim Sozialamt der Stadt Marburg beantragt hatte, saß ich in meinen ersten Veranstaltungen.

Tatsächlich war die Unterschiedlichkeit meiner Studienfächer der Faktor, der die meisten Hindernisse aufwarf, gleichzeitig aber auch der Grund, warum mir dieses Studium viel Freude machte. Während ich in Geschichts- und Pädagogikveranstaltungen meist einfach nur mitschreibe oder, falls es sich um eine Vorlesung handelt, mittels eines Diktiergerätes mitschneide, liegt der Schwerpunkt bei Veranstaltungen am Fachbereich Mathematik für mich weniger auf dem Vorlesungsvortrag als auf dem gründlichen Nacharbeiten der Inhalte des Vorlesungsskriptes, sofern dieses vom Dozenten zur Verfügung gestellt wird. In Latein wiederum benötige ich zu übersetzende Texte meist in Punktschrift, während ich meine Übersetzung am Laptop anfertige. Als ich mich durch den organisatorischen Dschungel des ersten Semesters geschlagen hatte, verfügte ich über einen festen Stamm an Vorlesern, ausreichende Kenntnisse über die Unibürokratie und einige Erfahrungen im Umgang mit Dozenten, deren Lehrmaterialien es zu beschaffen galt, damit sie anschließend von den eigenen Vorlesern oder der SBS in eine für mich lesbare Form umgewandelt werden konnten.

Im zweiten Semester begann ich allmählich, den Abwechslungsreichtum meines Studiums zu genießen. Während ich im Semester mit Veranstaltungen und dem Rechnen der Übungszettel für Mathe beschäftigt war, schrieb ich während der Semesterferien Hausarbeiten oder absolvierte schulpraktische Studien (SPS), wie die studienbegleitenden Praktika in Pädagogik genannt werden. Mit Beginn des zweiten Semesters folgte die Aufnahme in die Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mir seitdem die Teilnahme an vielen verschiedenen Kursen, selbst organisierten Exkursionen und Sommerakademien ermöglicht hat.

AStA-Referat für Studierende mit Behinderung

Im Laufe der ersten Semester waren mir bereits die unterschiedlichsten Einstellungen von Dozenten im Umgang mit Studierenden mit Sehbehinderung begegnet. Vom zögerlichen „Oh Gott, wie kann man das denn machen?“ über das wenig engagierte „Nein, da sehe ich meinerseits grundsätzlich keine Möglichkeiten“ und dem ablehnenden „Wieso überhaupt die Mühe ... als Blinder?“ bis hin zum freundlich-professionellen Umgang, der mir zum Glück in der Mehrzahl der Fälle entgegengebracht wurde, habe ich selbst alles erlebt. Um das auch von der Philipps-Universität unterzeichnete Konzept einer inklusiven „Hochschule für Alle“ im Studienalltag von Studierenden mit Behinderung noch präsenter werden zu lassen, begann ich mich als Referent des AStA für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen aktiv in der Hochschulpolitik zu engagieren. In den letzten zweieinhalb Jahren sorgte das Referat in enger Zusammenarbeit mit der SBS, anderen Einrichtungen der Universität und dem Behindertenbeirat der Stadt Marburg unter anderem für die barrierearme Gestaltung von Hörsälen, eine umfassende Beschilderung der universitären Räumlichkeiten in Groß- und Punktschrift und die Einrichtung einer jährlich stattfindenden Orientierungsveranstaltung zum Berufseinstieg von Studierenden mit Behinderung.

An dieser Stelle ist es mir besonders wichtig, auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Engagements aller Studierenden mit Behinderung am gleichen Studienort hinzuweisen, da nur so Missstände erkannt, Probleme angesprochen und hilfreiche Informationen ausgetauscht werden können.

Weiterer Studienverlauf

Spätestens nach dem dritten Semester stellte ich fest, dass ich mit Mathematik gut zurechtkam, weshalb ich das ehemalige Studienexperiment von diesem Zeitpunkt an auch tatsächlich abschließen wollte. Während mein Umfeld sämtliche potenziellen Schwierigkeiten nur in der Mathematik sah, ergaben sich für mich die wirklichen Probleme im arbeitsintensiven Lateinstudium, das den Erwerb eines Graecums und Übersetzungskenntnisse vom Deutschen ins Lateinische umfasst. In Zusammenarbeit mit der Punktschriftbücherei der blista, der SBS und der Fernuniversität Hagen gelang es mir innerhalb von drei Semestern, Polytonisches Griechisch in die altgriechische Punktschriftsystematik von 1912 umzusetzen und mir so im Selbststudium die für das Graecum erforderlichen Sprachkenntnisse anzueignen, da die Teilnahme an einem überfüllten Sprachkurs mit 90 Teilnehmenden für mich nicht ertragreich war. Schließlich war aber auch dieses Kapitel erfolgreich abgeschlossen.

Die beiden Schulpraktika während des Studiums gestalteten sich recht unterschiedlich. Das erste Schulpraktikum verschlug mich bereits nach meinem zweiten Semester wieder in heimische Gefilde, da ich von einer fürsorglichen Uni-Sekretärin zusammen mit zwei ehemaligen Klassenkameraden, die ebenfalls auf Lehramt studierten, für die Carl-Strehl-Schule eingeteilt worden war. Natürlich begegnete ich fast nur Lehrern, die mir aus meiner gerade einmal ein Jahr zurückliegenden Schulzeit bekannt waren, doch stellte dies nicht unbedingt einen Nachteil dar, da mir dadurch bereits früh Unterrichtsverantwortung übertragen wurde. So konnte ich auch mal fachfremd unterrichten und von der sechsten bis zur 13. Klasse Unterrichtserfahrung sammeln. Dabei waren die Kenntnis der Räumlichkeiten, die kleinen, mit Laptops ausgestatteten Klassen und die freundliche Aufnahme im Kollegium natürlich eine große Hilfe. Ungewohnt war es schon, ausgestattet mit dem Schlüssel für das Lehrerzimmer und offiziellem Aufenthaltsverbot in der Schülercafeteria, aber dennoch eine wertvolle und lehrreiche Erfahrung.

Mein zweites Schulpraktikum absolvierte ich parallel zu meinem sechsten Semester an einem staatlichen Gymnasium in Marburg im Fach Geschichte. Interessanterweise war dieses Praktikum arm an Überraschungen. Fast schon routiniert hielt ich meine Lehrprobe und dann waren die 50 Hospitations- und Unterrichtsstunden auch bereits wieder vorbei. Seit diesem Praktikum sehe ich jedenfalls vermehrt den Nutzen eines reinen Praxissemesters gegenüber einem semesterbegleitenden Praktikum in nur einem Fach, da man sich so besser auf die schulischen Abläufe einstellen kann.

Ausblick

Mit dem Ende meines sechsten Semesters habe ich mein Mathematik- und Geschichtsstudium sowie das pädagogische Begleitstudium mit Ausnahme von je einer Veranstaltung abgeschlossen. Lediglich in Latein und Griechisch fehlen mir auf Grund des mit dem Erwerb des Graecums verbundenen enormen Zeitaufwands noch vier weitere Veranstaltungen, die ich während meines siebten Semesters in Angriff nehmen werde.

In den nächsten Semestern werde ich voraussichtlich mein Studium mit dem ersten Staatsexamen abschließen und dann, konfrontiert mit der Realität des Arbeitsmarktes, herausfinden, wie viel der Vielseitigkeit sich auch im künftigen Berufsleben bewahren lässt. Ob ich anschließend noch das Referendariat, das für den Erwerb des zweiten Staatsexamens erforderlich ist, absolvieren werde, oder ob es mich zu ganz anderen berufsbiographischen Ufern ziehen wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau sagen.

In jedem Fall bin ich jedoch jetzt schon sehr froh darüber, dass mir diese Art von Studium einen hervorragenden Einblick in mathematisches, philologisches, historisches und im Rahmen von Pädagogik auch in philosophisches und psychologisches Arbeiten ermöglicht hat. Außerdem konnte ich mich durch Akademien der Studienstiftung und die Durchführung eigener Kurse im Rahmen des Clubs der Ehemaligen der deutschen Schülerakademien nach Lust und Laune mit über das Studium hinausgehenden fachübergreifenden Themen beschäftigen.

Solltet ihr Fragen an mich haben: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mit Foto: Blick von unten auf die Ecke eines der Gebäude der Philosophischen Fakultät hoch: hellbraune Außenverkleidung, darüber durchgängige Fensterfront und teilweise halb heruntergelassene Jalousien. Bildunterschrift: Heimat Marburger Geisteswissenschaftler: Die "Phil Fak". Foto: Philipps-Universität Marburg/Oliver Geyer

Dr. Heinz Willi Bach, Elisabeth Stiebeling, Dr. Andreas Wagner

Ein Nachruf zum Tode von Dr. med. Annelie Fischer-Thunemeyer

Am 5. Oktober 2015 ist unsere langjährige Weggefährtin Frau Dr. Annelie Fischer-Thunemeyer nach langer schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren verstorben.

Annelie hat sich in vielfältiger Weise im DVBS engagiert.

In der ehemaligen Bezirksgruppe Westfalen-Ruhrgebiet hat sie als Leiterin neue Impulse gesetzt. So hat sie beispielsweise die zweimonatlichen Ruhrgebiets-Stammtische ins Leben gerufen, die in abgewandelter Form bis heute fortbestehen. Sie förderte den Kontakt zur Nachbar-Bezirksgruppe Rheinland-Saar und hat dadurch entscheidend dazu beigetragen, dass die Zusammenlegung der beiden Bezirke in NRW auf gelebte Praxis stieß.

Auch über die Bezirksebene hinaus war Annelie für den DVBS tätig und im Verein präsent, beispielsweise im Leitungsteam der Fachgruppe Sehbehinderte und als Mitglied im Gemeinsamen Fachausschuss für die Belange sehbehinderter Menschen.

Nicht zuletzt hat sie, so lange es ihre Kräfte zuließen, dem von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildeten Gemeinsamen Bundesausschuss für das Gesundheitswesen angehört und sich tatkräftig für die Hilfsmittelversorgung insbesondere blinder und sehbehinderter Patienten eingesetzt.

Selbst durch die Sehbehinderung aus ihrer beruflichen Tätigkeit als Ärztin gerissen, hatte sie immer ein offenes Ohr für Menschen, die mit einer fortschreitenden Seheinschränkung konfrontiert waren, und konnte sie ermutigen, dass und wie das Leben sinnvoll und zufrieden gestaltet werden kann.

Ihre Todesanzeige ist mit folgendem Zitat von Sokrates überschrieben:

Jedoch, es ist Zeit dass wir gehen,
ich um zu sterben, und ihr um zu leben.
Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe,
das ist allen verborgen außer nur Gott.

Wir werden Annelie stets in dankbarer Erinnerung behalten.

Elisabeth Stiebeling und Dr. Andreas Wagner
Für das Leitungsteam der Bezirksgruppe Nordrhein-Westfalen im DVBS

Dr. Heinz Willi Bach
Für den Vorstand des DVBS

Mit Portraitfoto: Dr. Annelie Fischer-Thunemeyer lächelt freundlich in die Kamera. Sie trägt eine Kette mit einem runden, türkisfarbigen Anhänger, der die Farbe des wasserfallartig fließenden Kleiderausschnitts aufgreift. Die blonden Haare sind kinnlang. Bildunterschrift: Dr. Annelie Fischer-Thunemeyer. Foto: privat.

Dr. Johannes-Jürgen Meister

Zum Gedenken an Waltraud Roehse

Am 10.12.2015 verstarb Waltraud Roehse im 93. Lebensjahr in Gütersloh. Bereits mit 25 Jahren trat sie 1948 unserem Verein, dem damaligen "Verein blinder Geistesarbeiter", bei. Bis zu ihrem Tod war sie unserem Verein verbunden. Noch als 90-Jährige nahm sie am Seminar der Gruppe Ruhestand teil. Der Tod ihrer um vier Jahre älteren Schwester, mit der sie über 50 Jahre zusammen in ihrem Elternhaus gelebt und gearbeitet hat, im November 2014 war für sie ein besonderer Schicksalsschlag.

Waltraud Roehse war in vieler Hinsicht Vorbild und Pionierin in der beruflichen Rehabilitation Blinder und Sehbehinderter.

Waltraud Roehse wurde 1923 In Gütersloh geboren. Dort verbrachte sie eine sehr behütete, zugleich aber auf Selbstständigkeit bedachte Kindheit. Als stark Sehbehinderte besuchte sie zunächst an ihrem Heimatort die Regelschule. Aufgrund ihrer sehr guten schulischen Leistungen rieten die Lehrer zu einem Wechsel an die Blindenstudienanstalt in Marburg. Noch im Kriegsjahr 1944 erwarb sie dort die allgemeine Hochschulreife. Als erste hochgradig Sehbehinderte in Deutschland studierte sie anschließend an der Universität Münster Krankengymnastik und Physiotherapie. Mit unbeugsamem Willen, Hartnäckigkeit, Disziplin und Ausdauer erzwang sie sich die Zulassung zum Staatsexamen in diesen Berufsfeldern. Gegen große Widerstände konnte sie darlegen, dass sie auch als Sehbehinderte in der Lage war, den Anforderungen des Examens gerecht zu werden. Mit ihrem Mut und ihrem unbeugsamem Willen hat sie ohne Zweifel wesentlich dazu beigetragen, dass die Berufsfelder Krankengymnastik und Physiotherapie als eine Berufsmöglichkeit für Blinde und Sehbehinderte erschlossen wurden. Dass dies vor mehr als 65 Jahren noch um einiges schwieriger war als heute, ist leicht nachzuvollziehen. Eine denkbar mögliche und durchaus erhoffte Anstellung an einem Krankenhaus oder einer anderen entsprechenden Einrichtung nach erfolgreichem Studienabschluss wurde von den zuständigen Stellen kategorisch ausgeschlossen, da sie bestimmte unerlässliche Übungen und Handgriffe gar nicht wahrnehmen und nachvollziehen könne. So blieb ihr Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre nichts anderes übrig, als sich mit ihren erworbenen Berufsqualifikationen selbstständig zu machen. Als erste und zudem Sehbehinderte eröffnete sie in Gütersloh in ihrem Elternhaus ihre eigene Praxis für Krankengymnastik und Physiotherapie, die sie dann 60 Jahre lang, seit 1960 unterstützt von ihrer Schwester, betrieb. Zu ihren Patienten zählten auch Mitglieder so namhafter Industriellenfamilien wie Miele oder Mohn.

Waltraud Roehse wollte sich nicht mit den erworbenen Qualifikationen zufrieden geben. Dank guter Lehrer erweiterte sie im Laufe der Zeit ihr Aufgabenspektrum durch Zusatzqualifikationen für Geburtsvorbereitung, Elektro- und Stotterertherapie und autogenes Training. Von 1970 an war Waltraud Roehse für viele Jahre Kreisbeauftragte für Sprachtherapie. Darüber hinaus unterrichtete sie neben ihrer Praxis 25 Jahre lang autogenes Training an der VHS Gütersloh.

Anfang des Jahrtausends verschlechterte sich ihre Sehbeeinträchtigung bis hin zu einer fast vollständigen Erblindung nach mehreren Operationen. Trotzdem ließ sie sich ihre Lebensfreude und ihren Lebensmut nicht nehmen. Waltraud Roehse kann uns mit ihrem unbeugsamen Willen und ihrer Hartnäckigkeit auch heute noch Mut machen, uns dafür einzusetzen, dass blinde und sehbehinderte Menschen selbstbestimmt und gleichberechtigt am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilhaben wollen und können.

Zum Autor

Dr. Johannes-Jürgen Meister ist Leiter der DVBS-Gruppe Ruhestand.

Ein Portraitfoto zeigt Waltraud Roehse im Halbprofil vor einem grünen Busch. Sie trägt einen rot-schwarz gemusterten Blazer über einer weißen Bluse, Schmuck und eine Brille. Ihre weißen Haare leuchten in der Sonne. Sie lacht, den Blick nach rechts gewandt. Bildunterschrift: Waltraud Roehse. Foto: DVBS / Christina Rausch

Aus der Arbeit des DVBS

Reiner Spring; Uwe Boysen

Ein Verein in Aktion - DVBS-Arbeitsausschuss 2015

Einmal jährlich trifft sich der Arbeitsausschuss des DVBS, bestehend aus den Leiterinnen und Leitern seiner Bezirks- und Fachgruppen, um über die Geschicke des Vereins zu beraten, diesmal – verbunden mit einem Wochenendseminar für Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern - vom 20. bis zum 22. November 2015 in Marburg.

Traditionell steht am Anfang dieses Treffens der Bericht des Vorstandes. Uwe Boysen stellt einleitend das „magische Dreieck“ aus Bildung, Beratung und Beruf in den Vordergrund, dem sich der DVBS in seiner Arbeit widme und das auch die nachfolgenden Teile des Berichts strukturiert.

Anschließend berichtet Dr. Heinz Willi Bach über unsere Arbeitsmarktaktivitäten. Hier hoffen wir immer noch auf ein Modellprojekt der Bundesagentur für Arbeit, mit dessen Hilfe eine bessere Ausrichtung der zentralen Akademikervermittlung für behinderte Menschen erreicht werden muss.

Ursula Weber veranschaulicht die gute Zusammenarbeit des Vorstandes mit der Fachgruppe Studium und Ausbildung und hebt vor allem das im Frühjahr 2015 mit 10 Teams aus Mentoren und sog. Mentees gestartete Mentorenprojekt hervor, das 2016 dank der finanziellen Unterstützung der Commerzbankstiftung fortgesetzt werden kann. Hier werden sich auch Synergieeffekte mit dem federführend vom DVBS in Dresden im Juli 2016 durchgeführten International Camp on Computers and Communication (ICC) ergeben, in dessen Rahmen eine sog. Alumniplattform geplant wird, die später auch dem Verein zugutekommen soll.

Andrea Katemann weist in ihrem Beitrag zur Medienversorgung u. a. auf eine noch laufende Studie zur Nutzung der Brailleschrift hin.

Uwe Bruchmüller hebt beim Bericht über die finanzielle Situation des Vereins hervor, dass wir Verluste wie in den letzten Jahren auf Dauer nur schwer verkraften können. Der Vorstand habe deshalb der Geschäftsleitung den Auftrag erteilt, Konsolidierungsvorschläge zu erarbeiten.

Beim Thema Rechts- und Sozialpolitik erläutert Uwe Boysen bedauernd, dass sich nach seiner Einschätzung ein bundeseinheitliches Blindengeld bei dem anstehenden Projekt eines Teilhabegesetzes nicht durchsetzen lassen wird. Auch die Reform des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes verläuft eher enttäuschend (siehe zu beiden Vorhaben den Beitrag „Keine positiven Nachrichten“ in diesem Heft). Auf dem für uns so wichtigen Gebiet gesetzlicher Regelungen zur Barrierefreiheit von IT-Anwendungen und deren Umsetzung sind wir weiter aktiv, führen Gespräche mit den zuständigen Ministerien und Anbietern, publizieren Fachartikel und schaffen so langsam das Bewusstsein für die immense Bedeutung dieses Bereichs. 2016 wird hierzu ein DVBS-Workshop mit dem Thema „Jura trifft IT“ stattfinden, bei dem sich unsere Experten aus beiden Bereichen austauschen werden.

Abschließend beschreibt der Vorsitzende eine Reihe der für das Jubiläumsjahr 2016 geplanten Aktivitäten. So beteiligt sich der DVBS vom 1. bis 3. Juli 2016 am Louis Braille Festival und kümmert sich hier vor allem um die Veranstaltungen am Sonntagvormittag. Er organisiert vom 25. Juli bis zum 3. August 2016 zusammen mit der TU Dresden das ICC in der sächsischen Landeshauptstadt. Und schließlich wird es vom 22. bis 24. September die Festveranstaltungen in Marburg mit einem Festakt, einer Fachtagung, den Fachgruppentreffen, einer bunten Revue und der Mitgliederversammlung geben.

Nach der Feststellung des Jahresabschlusses 2014 und der Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2014, der Verabschiedung des Wirtschaftsplans für 2016, einem Bericht über die Situation der Stiftung und Kurzreferaten aus den Gemeinsamen Fachausschüssen, in denen der DVBS aktiv ist, stellten Herbert Rüb und Detlef Girke die derzeitigen Ergebnisse des DVBS-Projekts BITI vor, das mittelneutral bis Ende 2016 verlängert werden konnte (siehe zu Einzelheiten den Mitgliedernewsletter des DVBS 01-2015).

Schwerpunkt der Arbeit waren danach Kurzreferate zur Weiterentwicklung des Profils unseres Vereins und deren ausführliche Diskussion (siehe dazu den Bericht von Klaus Winger in diesem Heft).

Wichtige Aufgabe der Mitgliederversammlung wird 2016 sein, einen neuen Vorstand des DVBS zu wählen. Dazu haben die Vereinsgliederungen die Möglichkeit, Kandidatenvorschläge zu machen. Entsprechend beschäftigte sich auch der Arbeitsausschuss am Sonntag mit diesem Thema. Uwe Boysen, derzeit erster Vorsitzender, und Dr. Heinz Willi Bach, derzeit zweiter Vorsitzender, erklärten, nicht erneut für diese Ämter zu kandidieren. Vom Arbeitsausschuss vorgeschlagen wurden:

  • für das Amt des oder der ersten Vorsitzenden Ursula Weber und Reiner Spring,
  • für das Amt des oder der zweiten Vorsitzenden: Ursula Weber, Uwe Bruchmüller und Reiner Spring
  • sowie als Beisitzende: Andrea Katemann, Uwe Bruchmüller, Ursula Weber, Norbert Bongartz, Katja Eichhorn, Stefan Georg Engelhardt, Harald Schön, Alexandra Grünauer und Reiner Spring.

Abschließend stellte Dr. Meister die Ergebnisse und Vorschläge der im letzten Jahr eingesetzten Strukturkommission vor, die auch Satzungsänderungen enthalten. Nach deren ausführlicher Diskussion, in der die Vorschläge inhaltlich unterstützt, aber noch Optimierungsbedarf gesehen wurde, beauftragte der Arbeitsausschuss den Vorstand, die Empfehlungen weiter zu beraten und der Mitgliederversammlung einen Beschlussvorschlag vorzulegen.

Abschließend dankte der Vorsitzende für das große Engagement der Teilnehmenden und warb darum, dieses auch in Zukunft, insbesondere im Jubiläumsjahr, fortzusetzen.

Weitere Einzelheiten über den Verlauf der Beratungen wird es auf „intern“ geben.

Zu diesem Beitrag gibt es zwei Fotos. Foto 1: Uwe Boysen lächelt den Betrachter an. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille und einen roten Pullover. Die Haare sind weiß und als Kurzhaarschnitt frisiert, er ist glatt rasiert. Im Hintergrund rechts lässt der Sonneneinfall an der weißen Wand des Raumes einen breiten Schattenstreifen entstehen. Uwe Boysen ist auf der Sonnenseite. Bildunterschrift: DVBS-Vorstandsvorsitzender Uwe Boysen tritt 2016 nicht mehr zur Wahl an. Foto: DVBS.

Foto 2: Dr. Heinz Willi Bach lächelt. Er trägt eine Brille mit schmalem Rahmen, eine Brillenkordel um den Nacken. Sein graues Jackett passt farblich zum karierten Hemd. Er trägt einen Ober- und Kinnbart, die braun-grauen Haare sind gescheitelt. Das Portraitfoto mit Gesicht- und Schulterpartie wurde vor einer weißen Bürowand aufgenommen. Bildunterschrift: Auch Dr. Heinz Willi Bach, 2. Vorsitzender des DVBS, steht bei der Wahl 2016 nicht mehr zur Verfügung. Foto: DVBS.

Klaus Winger

Mitglieder akquirieren und halten - Arbeitsausschuss diskutiert über zukunftsfähiges DVBS-Profil

Verschiedene Mitglieder von DVBS-Leitungsgremien stoßen durch ihre Impulsreferate die Diskussion an.

Frau Eichhorn sieht die zukünftige DVBS-Arbeit weniger zentralistisch organisiert als heute. Sie konstatiert die Lösung der traditionellen Bindung der DVBS-Mitgliedschaft an die blista. Es müsse davon ausgegangen werden, dass zukünftige Mitglieder keine Sozialisation in der Blinden- und Sehbehindertenwelt hätten. Deshalb müssten neue Anknüpfungspunkte entwickelt werden, um neue Mitglieder zu erreichen. Sie fordert die Modernisierung der Kommunikationsstrukturen und -verfahren, mit denen die Kommunikationsgewohnheiten von jungen und älteren Mitgliedern erreicht werden sollen.

Herr Engelhardt unterstützt diese These mit Blick auf zunehmende Inklusion und fordert eine stärkere Präsenz des DVBS in der Fläche. Der Verein müsse die Vernetzung der Mitglieder stärken, weil diese sich immer weniger „natürlich“, z.B. durch Klassenkameradschaften in Blindenschulen u.ä., ergäben. Außerdem sei die Stärke des DVBS das Know-how der Mitglieder. Dieses müsse leichter und systematischer zugänglich gemacht werden als bisher.

Herr Korinek schätzt die allgemeine Erstberatung des DVBS im Vergleich zum BBSB, mit dem er häufig kooperiert, als schwach ein. Die Stärke des DVBS liege bei Information und Beratung zum Themenfeld Beruf inklusive Ausbildung/Studium. Er fordert, dass der DVBS die Dinge, die er besser kann - Mentoring, Peer-to-Peer-Beratung etc. - stärkt und ergänzend zu den DBSV-Landesverbänden propagiert und praktiziert. Ausgebaut werden müssten die Förderung ehrenamtlicher Akteure, die Möglichkeit, aktuelle Themen auch in kleinen Gruppen interessenbezogen projekthaft zu bearbeiten und insbesondere die Profilierung der Alleinstellungsmerkmale.

Herr Bongartz weist auf die besondere Lebenssituation sehbehinderter Mitglieder hin und fordert eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen in der Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit. Es müsse eine Mehrkanalkommunikation mit variablen Darstellungsmöglichkeiten für die sehbehinderten Nutzer sichergestellt werden, um deren sehr individuell und dementsprechend unterschiedlich ausgeprägte Rezeptionsgewohnheiten zu berücksichtigen. Außerdem solle der DVBS im Rahmen seiner Beratungskompetenz neben rechtlichem und technischem Know-how verstärkt auch in der Lage sein, biografisch tiefergehende Fragen, z.B. Identitätsfragen tendenziell erblindender Menschen, zu bearbeiten.

Die Diskussion zu den Impulsbeiträgen lässt sich in sechs Thesen zusammenfassen:

  1. Es gibt einen zunehmenden Bedeutungsverlust des sozialen und kulturellen blinden- und sehbehindertenspezifischen gesellschaftlichen Kontextes durch den wachsenden Anteil Sehbehinderter an den sehgeschädigten Menschen und die zunehmende Inklusion in der schulischen Bildung. Dieser Bedeutungsverlust muss kompensiert werden, z.B. durch stärkere Präsenz in der Fläche.
  2. Moderne, interaktiv nutzbare, insbesondere digitale Informations- und Kommunikationsformen müssen stärker gepflegt und auch kulturell im Vereinsleben entfaltet werden. Die derzeitige Website soll durch eine Kommunikations- und Kollaborationsplattform ersetzt werden.
  3. Unter Mitgliedern soll eine dezentrale, autonome Vernetzung ermöglicht werden. Technisch-organisatorisch könnten dies etwa Chatroom-Angebote sein ebenso wie interessen- und themenbezogene Projekt- und Aktionsgruppen.
  4. Der Verein soll stärker die Interessen von möglicherweise an einer Mitarbeit interessierten Betroffenen im Beziehungsfeld von Beruf - Biografie - Technik und Sehschädigung (z.B. Berufskrise sehbehinderter Menschen, Ausbildungszielfindung Jugendlicher) verstehen lernen und sich thematisch daran orientieren.
  5. Die Beratungskompetenz des DVBS muss neben Hilfsmittel-, Technik- und Rechtsfragen auch Berufsfragen einschließlich ihrer biografischen Dimensionen umfassen.
  6. Das Know-how der Mitgliedschaft soll systematischer gesammelt, strukturiert und interessierten Mitgliedern leicht zugänglich angeboten werden.

In einer anschließenden Podiumsdiskussion werden folgende Punkte genannt:

  • Herr Boysen sieht als Schwerpunkte für die Weiterentwicklung des DVBS die Gewinnung jüngerer Mitglieder, die Nutzung moderner Technik als Schlüssel für die Mitgliedergewinnung, wobei die Technik als Hilfsmittel für den Transport attraktiver Inhalte gesehen wird. Er fordert die Herausstellung der DVBS-Alleinstellungsmerkmale Beratung, Mentoring und Information um das Themenspektrum Ausbildung/Studium/Beruf, zeitgemäße Unterstützungsangebote für barrierefreie Informationsarbeit und Rechtsbeistand in Einzelfällen. Besonders in den aktuell laufenden Projekten BITI, ICC und TriTeam sieht er Alleinstellungsmerkmale des Vereins, die es zu erhalten bzw. auszubauen gelte.
  • Herr Duncker regt Nachdenken über die Fragen an: Wofür sollen eigentlich neue Mitglieder gewonnen werden? Und: Müssen die vorhandenen Mitglieder, „das Gold des DVBS“, nicht vorrangig erhalten werden? Bei der Debatte über den Bedeutungsverlust blindentypischer Sozialisation und Kultur verweist er auf die Zahlen: 7200 Schülerinnen und Schüler werden z.Zt. in Blindenschulen gefördert, 2500 in Regelschulen. 740 Sehbeeinträchtigte gehen z.Zt. auf Gymnasien, davon 260 auf die blista.
  • Herr Bethke konstatiert, dass die tendenziell zunehmende Inklusion das Interesse sehgeschädigter Menschen an Vernetzung mit Gleichbetroffenen reduziert. Die Selbsthilfe müsse sich also fragen, was sie Interessenten anbietet, um deren Mitgliedschaft und Mitarbeit zu erreichen. Der DBSV sehe in seinem Projekt „Blickpunkt Auge“ auch ein Instrument der Mitgliedergewinnung. Man wolle mit diesem Projekt zum einen betroffene Menschen da abholen, wo sie sind, und zum anderen das Thema „Sehen“ auch als demografie-getriebenes Phänomen in die Öffentlichkeit bringen. Zur Perspektive DVBS 2020 wünscht sich Herr Bethke, dass der DVBS seine spezifischen Themen und Alleinstellungsmerkmale in die Kooperation mit den DBSV-Landesverbänden einbringt und so fachliche und örtliche Netzwerke entwickelt werden. Dabei sollen seitens DVBS berufliche Themen im Vordergrund stehen. Er stellt sich die Geschäftsstelle als ein Kernteam vor, das sich durch Maßnahmen und Projekte temporär ergänzt.
  • Herr Dr. Bach sieht den DVBS in Aufbruchstimmung und auf dem Weg, für neue Mitglieder attraktiver zu werden. Er verweist dabei auf die beantragten Projekte Weiterbildungsplattform, Aktivierung langzeitarbeitsloser sehgeschädigter Menschen (mit BFW Würzburg), Ehrenamtsakademie, ICC mit Alumniplattform und die Entwicklung einer eigenen DVBS-Kommunikations- und Kooperationsplattform.
  • In der abschließenden Diskussion wird darauf hingewiesen, dass der DVBS eine stärkere Dankeskultur für aktive Mitglieder entwickeln, sein rechts- und sozialpolitisches Engagement als nach wie vor starke Kernkompetenz herausstellen solle und seine Informationspolitik nach innen und außen modernisieren müsse.

Portraitfoto: Klaus Winger blickt den Betrachter an. Er trägt einen gestutzten Vollbart, Kurzhaarschnitt und Brille. Unter dem grauen Jackett ist der weiße Hemdkragen zu sehen. Im Hintergrund sind die rotbraune Backsteinmauer eines Saales und aufgestellte Fahnen erkennbar. Bildunterschrift: DVBS-Geschäftsführer Klaus Winger fasst die Diskussion zusammen. Foto: fotoagentur-friese.de

Foto 2: Auf dem Foto sind sechs zweilagige Stapel leerer Kaffeetassen mit Untertassen und Kaffeelöffeln auf weißem Tafeltuch zu sehen. Bildunterschrift: Zahlreiche Tassen Kaffee unterstützen die anregende Diskussion der Sitzung. Foto: www.pixelio.de/Rainer Sturm

Andreas Wohnig

Seminarvorschau

11. bis 13. März 2016, Köln

Die Fachgruppe Studium und Ausbildung lädt speziell für ihren Kreis zu einem Präsentations- und Rhetorikkurs nach Köln ein. Das Erlernen eines selbstsicheren und zielgruppenorientierten Auftritts steht im Mittelpunkt unter besonderer Beachtung nonverbaler Kommunikationsinhalte.

9. bis 10. April 2016, Hünfeld

Der Workshop „Jura meets IT - ein interdisziplinärer Austausch für Juristen und IT-Fachleute zur digitalen Barrierefreiheit“ will Experten zusammenbringen, die sich einerseits mit den rechtlichen Grundlagen der anstehenden Entwicklungen wie E-Commerce, E-Government und E-Justice beschäftigen. Andererseits ist eine Kooperation mit Informatikern unerlässlich, die sich mit der technischen Umsetzung von Barrierefreiheit beschäftigen.

14. bis 17. April 2016, Herrenberg

Das mittlerweile schon zur Tradition gewordene Seminar „Nicht sehend - nicht blind“ bietet in drei Workshops besonders sehbehinderten Mitgliedern und Interessenten spannende Angebote zur beruflichen Bildung: 1. Starke Stimme, starkes Selbst, 2. Sinnvoller Umgang mit der Sehbehinderung im beruflichen Alltag und 3. Sehbehindert beruflich mobil - das iPhone als Orientierungs- und Navigationshilfe.

14. bis 17. April 2016, Mannheim

Einen Workshop zu Office-Anwendungen im Studium bietet die Fachgruppe Studium und Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung von Plug-ins für Blinde und Sehbehinderte an.

22. bis 24. Juli 2016, Marburg

Mit leicht verändertem Programm wird wieder ein Seminar zu Tai Chi Qi Gong mit dem erfahrenen Leiter Ingo Gebler angeboten. Schwerpunkte dieses Mal sind Körperhaltung und -bewegung, Mobilität und Gleichgewicht, Achtsamkeit und Selbstbehauptung. Praktische Übungen stehen dabei im Mittelpunkt.

8. bis 15. Oktober 2016, Timmendorfer Strand

Zum 29. Mal findet das Seminar der Gruppe Ruhestand im DVBS statt. Unter dem Motto „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ werden in Referaten und Workshops gesellschaftspolitische Themen, gesundheitsbezogene sowie selbsthilferelevante Inhalte bearbeitet. Auch neue technische Entwicklungen und deren Bedeutung für ältere blinde und sehbehinderte Menschen werden betrachtet.

13. bis 16. Oktober 2016, Herrenberg

„Reden und Präsentieren für große und kleine Gruppen“: Freie Rede und Präsentation vor Gruppen will gelernt sein. Ungeachtet dessen gehört Reden und Präsentieren zum Aufgabenkatalog anspruchsvoller Berufe. Dies kann aber Freude machen, wenn man einige Grundlagen kennt, Verhaltensregeln einübt und durch Übung in der Gruppe mit Supervision Zutrauen zu sich und seinem Auftreten fasst.

Weitere Veranstaltungen sind in Planung und werden so bald wie möglich veröffentlicht. Bitte beachten Sie dazu auch die Informationen in der Rubrik "Seminare" auf der Homepage des DVBS: www.dvbs-online.de/php/aktuell.php

Savo Ivanic

Ein Blick hinter die Kulissen - Der neue DVBS-Mitglieder-Newsletter

Was macht der DVBS aktuell auf politischer Ebene? Wo können sich Mitglieder engagieren? Welche Projekte laufen gerade im Verein? Oder auch: Was gibt es Neues in der DVBS-Geschäftsstelle? All diese und viele weitere Fragen rund um unsere Vereins-Aktivitäten beantwortet der neue DVBS-Mitglieder-Newsletter ab jetzt viermal jährlich. Nummer eins erschien kurz vor Weihnachten und bekam ausgesprochen positive Resonanz. Die nächste Ausgabe erscheint Anfang März. Wir freuen uns auch diesmal auf Ihre Rückmeldungen, Anregungen und natürlich auf konstruktive Kritik: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Aus der blista

Jürgen Mai:

Hört hört!: Workshop mit Klangkünstlerin Mirja Wellmann

Elf Schülerinnen und Schüler sitzen im Kunstraum. Auf jedem Arbeitsplatz liegt ein mit Folie bespanntes Klemmbrett samt Griffel. Bis hierhin eine alltägliche Situation. Was dann passiert, ist jedoch weniger alltäglich.

Wo sonst beispielsweise zeitgenössische Künstler des 20. Jahrhunderts auf dem Lehrplan stehen, beschäftigen sich die Schüler mit dem Phänomen des Hörens. Anlass ist ein Workshop mit der Klangkünstlerin Mirja Wellmann. Er bildet eine Etappe auf dem Weg zur Ausstellung „Hörwelten“ zum 100-jährigen Jubiläum der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. Marburg (blista). Der Workshop wurde an einem Vormittag Mitte Oktober in der blista, unterstützt von den Kunstlehrerinnen Ulrike Schönhagen, Frau Boll und Karin Echternacht, doppelt durchgeführt: Einmal mit Klasse 12, einmal mit Klasse 7.

Wellmann, in Berlin geboren, einige Jahre in Finnland aufgewachsen und nach Stationen in München und Stuttgart mittlerweile auf der Schwäbischen Alb heimisch geworden, widmet sich seit vielen Jahren dem Zusammenspiel von Hören, Akustik und Raum. Sie erstellt teilweise tagelange Hörmanuskripte, erkundet den Weg des Geräuschverursachers zum Ohr und erforscht Klänge.

Gemeinsam mit den blistanern nähert sie sich dem Thema auf spielerische Weise. Zum Einstieg erzeugt reihum jeder Teilnehmer ein Geräusch – mit seinem Körper, mit einem Gegenstand im Raum oder mit einer Bewegung. Die Kinder und Jugendlichen übersetzen es auf dem Klemmbrett in eine geriffelte Skizze, nach und nach füllen sich die Folien.

Danach geht die Gruppe hinaus an zwei Stellen auf den blista-Campus, lauscht dort für je fünf Minuten den Geräuschen und Tönen der Umgebung und erstellt ein Hörprotokoll.

Den ersten Ort hat Wellmann ausgesucht, der zweite ist ein Lieblingsort der Schüler. Beim Workshop mit der 12. Klasse geht es in ein vom Brummen der Schwimmbadtechnik dominiertes Eck im Gang oberhalb der Sporthalle. Die 7. Klasse wählt einen Flur mit zahlreichen Kunstkacheln an den Wänden. Die Gespräche zwischen der Künstlerin und den Schülern über die gemachten Hörerfahrungen gewinnen an Vielfalt.

„Welche Form hat das Geräusch? Ist es eckig? Rund? Gezackt?“ – mit Fragen wie diesen regt Wellmann immer wieder zu neuen Perspektiven an. Zum Abschluss der Doppelstunde modellieren die Schülerinnen und Schüler ihren Lieblingsort, die Erinnerungen an die Töne werden so zu Tonkreationen.

Die Reaktionen sind vielfältig, grundsätzlich positiv und reichen von „Die Geräusche haben mich berührt“ über „Ich habe gemerkt, wie faszinierend Stille sein kann. Das ist eine ganz besondere Form der Akustik“ und „Durch die Hörprotokolle wird das Alltägliche interessant“ bis hin zu „Ich schätze Ihre Arbeit sehr, aber ich kann dem nichts abgewinnen“.

Wellmann wird diesen Erfahrungsschatz nun in die Konzeption der Ausstellung einfließen lassen, die als Kooperationsprojekt vom Fachdienst Kultur der Stadt Marburg, der blista und dem Marburger Kunstverein realisiert wird. Dort wird „Hörwelten“ vom 2. Juli bis 18. August 2016 zu sehen sein und lädt sehende, sehbehinderte und blinde Menschen gleichermaßen ein, eigene Hörerfahrungen zu machen, mit dem Körper Geräusche zu erzeugen und sich im Gehörten zu begegnen.

Darüber hinaus bietet die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) konzipierte „Hörtour Marburg“ die Möglichkeit, im städtischen Raum sechs akustisch interessante Orte auf ganz neue Art und Weise kennen zu lernen.

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Jürgen Mai ist blista-Mitarbeiter im Ressort Öffentlichkeitsarbeit

Dem Beitrag sind zwei Fotos beigefügt. Foto 1: Schülerinnen und Schüler der Klasse 7 sitzen mit ihren Klemmbrettern auf dem Boden. Mirja Wellmann steht im dunklen Mantel und mit Mütze am linken Bildrand und blickt zu den Schülern. Bildunterschrift: Klangkünstlerin Mirja Wellmann und die 7. Klasse während des Klang-Workshops. Foto: blista

Foto 2: Eine junge Frau hält ein Klemmbrett im Arm und macht sich mit einem orangenen Kuli Notizen. Sie hat einen langen Pferdeschwanz, trägt eine warme dunkelblaue Jacke und einen weißen Wollschal. Sie steht vor einer geschlossenen Tür, ihr Blick ist dem Betrachter zugewandt. Bildunterschrift: Eine Schülerin der 12. Klasse verfasst ihr Hörprotokoll. Foto: blista

Inklusion braucht Know-how! blista-Bildungsangebote2016

Schulische Inklusion – Hürden überwinden!

Der Referent Dr. Michael Richter vermittelt die wichtigsten schulrechtlichen Grundlagen, die geltenden Ansprüche blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler und das Know-how, wie man einen guten Antrag zum Beispiel auf Assistenzleistungen stellt.

Termin: 20.05.2016
Anmeldeschluss: 18.04.2016
Teilnahmebeitrag: 160 €/ ermäßigt 80 € für Studierende, Auszubildende und Privatpersonen

Mit 3D-Druck die Welt begreifbar machen

Die Fortbildung richtet sich an alle Personen, die eine Einführung in die aktuelle 3D-Druck-Technologie und Anregungen für die Einsatzmöglichkeiten im Schulunterricht möchten.

Termin: 17.06.2016 und 18.06.2016
Anmeldeschluss: 17.05.2016
Teilnahmebeitrag: 195 € / ermäßigt 100 € für Studierende und Auszubildende

Assistenz?!
Antworten auf rechtliche Fragen rund um Schulbegleiter, Vorlesekräfte, Arbeits- und Alltagsassistenzen

Finanzierung und Organisation von Assistenzleistungen sind oft mit zahlreichen Hürden verbunden. Der Referent Dr. Michael Richter vermittelt Ihnen die geltenden Ansprüche blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler und das Know-How, wie man einen guten Antrag auf Assistenzleistungen stellt.

Termin: 18.06.2016
Anmeldeschluss: 17.05.2016
Teilnahmebeitrag: 160 €/ ermäßigt 80 € für Studierende, Auszubildende und Privatpersonen

Punktschrift und DAISY im Handumdrehen - Digitale Texte konvertieren

In diesem Workshop möchten wir Ihnen zeigen, wie Sie mit der neuesten Version der Windows-Software RTFC 8 digitale Texte in Dateien für das Internet, in Großdruck, in Blindenschrift oder in Hörbücher im DAISY-Format umwandeln.

Termin: 24.06.2016 und 25.06.2016
Anmeldeschluss: 17.05.2016
Teilnahmebeitrag: 325 € / ermäßigt 160 € für Studierende und Auszubildende

Weitere Informationen und die barrierefreie Anmeldung finden Sie im Internet auf www.blista.de/bildungsangebote

Leserbriefe

Jochen Schäfer

Angst vor fremden Menschen - Gibt es sie? Und wenn ja, warum?

Eine politische Nachlese zur letzten Ausgabe

Der Schwerpunkt der Nr. 4/2015 befasste sich bekanntlich mit "Ängsten und ihrer Bewältigung". Im "vorausgeschauten" Vorwort wird "die - nicht zu unterschätzende - Angst vor den Fremden, die zu uns kommen" erwähnt.

Zugegeben: Wenn man sich die derzeitigen politischen Nachrichten, z. B. aus Paris, anhört, weiß man, dass die schrecklichen Terroranschläge vom 13.11.2015 teilweise von als Flüchtlinge getarnten Einzeltätern verübt wurden. Dabei kann einem schon Angst und Bange werden, und wir können froh sein, dass solche Szenarien in unserem Land nicht passiert sind und hoffentlich niemals passieren werden. Dafür gab es, wie bekannt, in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof die entsetzlichen sexuellen Übergriffe gegen Frauen, die noch immer nicht vollständig aufgeklärt sind. Aber berechtigen solche Einzeltaten wirklich zu einer Angst vor fremden Menschen, die aus einer anderen Kultur und Glaubensgemeinschaft stammen und zu uns kommen, weil sie in Frieden und Freiheit leben wollen? Natürlich müssen sie sich an unsere Regeln und Gesetze halten, und wir müssen sie dabei so gut wie möglich unterstützen, z. B. als Integrations(fach)kräfte, wie es im genannten Vorwort sinngemäß angeregt wird, was auch von uns Blinden/Sehbehinderten geleistet werden kann und manchmal sogar schon wird.

Angst machen mir vielmehr die Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte. Auch diese "Terroranschläge im Kleinen" werden von Einzeltätern verübt und sind ebenfalls durch nichts zu rechtfertigen. Gewalt, ganz gleich von welcher Seite, ist abzulehnen und erschwert ein friedliches Zusammenleben.

Aber es gibt auch positive Beispiele. So berichtete Jochen Lembke, der Leiter der Carl-Strehl-Schule, bei der Weihnachtsfeier 2015 von einem Projekt, das im letzten Jahr in Marburg aufgebaut wurde: Auf dem blista-Campus werden Kinder einer Flüchtlingsklasse von Spezial-Lehrkräften unterrichtet. Auf diese Weise soll den jungen Leuten die Integration in unsere Gesellschaft erleichtert werden.

Viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, werden langfristig bei uns bleiben. Statt gegenseitig Vorurteile, Angst und Wut zu schüren, sollten wir sie doch in erster Linie als Menschen ansehen, die wir alle sind, als Mitbürger/innen, die vielleicht unsere künftigen Nachbarn und Freunde werden. Mit einer solchen Grundhaltung kann es gelingen, die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern.

Impressum

Herausgeber

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion

  • für den DVBS: Uwe Boysen und Andrea Katemann
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Dr. Imke Troltenier und Birthe Klementowski

Koordination

DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-0, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de.

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck ‑ auch auszugsweise ‑ nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)

Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)

Erscheinungsweise

Der „horus“ erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

Jahresbezugspreis

  • 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
  • 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonten des DVBS

Sparkasse Marburg-Biedenkopf
IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80
BIC: HELADEF1MAR

Postbank Frankfurt
IBAN: DE95 5001 0060 0149 9496 07
BIC: PBNKDEFFXXX

Verlag

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389

  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Die Herausgabe der Zeitschrift „horus“ wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der „Glücksspirale“ unterstützt.

horus 1/2016, Jg. 78

Titelbild: blista

Nächste Ausgabe (horus 2/2016)

Schwerpunktthema: „Hörbar lebendig“
Erscheinungstermin: 30. Mai 2016
Anzeigenannahmeschluss: 29. April 2016
Redaktionsschluss: 5. April 2016