Schriftenreihe Rechtsberatung für blinde und sehbehinderte Menschen

Heft 03 der Schriftenreihe:
Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

von Dr. Herbert Demmel und Karl Thomas Drerup

Stand: Februar 2015

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung

Um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken, erhalten Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen Leistungen nach dem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden speziellen Leistungsgesetzen (§ 1 SGB IX). Damit sind das Ziel und die Förderung der Rehabilitation benannt. Herkömmlicherweise werden Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation (Teil 1 Kapitel 4 SGB IX), zur beruflichen Rehabilitation (Teil 1 Kapitel 5 SGB IX - Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und der sozialen Rehabilitation (Teil 1 Kapitel 7 - Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) unterschieden. Der Gesetzgeber hat weitgehend den seit vielen Jahrzehnten gebräuchlichen Begriff "Rehabilitation" in vielen Vor-schriften und den der "Eingliederung Behinderter" (§ 10 SGB I) vollständig durch den wenig präzisen Sammelbegriff "Teilhabe" ersetzt. Das ändert nichts daran, dass es sich um Rehabilitation handelt.

In diesem Heft werden die medizinische und die soziale Rehabilitation behandelt. Sie dienen der Elementarrehabilitation für blinde und sehbehinderte Menschen. Für eine ausreichende Elementarrehabilitation müssen die Bestandteile der medizinischen Rehabilitation durch Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ergänzt werden.

Einen Schwerpunkt stellt bei diesen Maßnahmen die Ausstattung mit Hilfsmitteln dar. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten.

Soweit es um die Bereiche Frühförderung, Schule und Beruf und die Ausstattung mit Hilfsmitteln zum Schulbesuch, zur Berufsausbildung und zur beruflichen Eingliederung geht, wird darauf in den Heften 04 "Frühförderung und Schule" und Heft 05 "Teilhabe am Berufsleben" eingegangen.

Ansprüche auf Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation können sich auch aus den Vorschriften des Beihilferechts und den Verträgen mit den privaten Krankenkassen ergeben.

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2 Begriff und Bestandteile einer Elementarrehabilitation

Alle blinden und sehbehinderten Menschen, auch diejenigen, die beruflich nicht eingegliedert werden können, haben ein Anrecht auf eine Rehabilitation, die ihnen ein möglichst unabhängiges und selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Dieser Anspruch richtet sich auf eine "Elementarrehabilitation". Die Elementarrehabilitation ist die Voraussetzung dafür, dass sich entsprechend dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) eine der Menschenwürde entsprechende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft verwirklichen lässt. Die Maßnahmen der Elementarrehabilitation sind überdies geeignet, einer sonst drohenden Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken. Sie ist ein zielgerichteter Prozess.

Die Elementarrehabilitation Blinder und Sehbehinderter muss vom Betroffenen und seiner Situation, vom Erleben der Erblindung oder Sehbehinderung und von den Auswirkungen dieser Behinderungen ausgehen und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigen.

Die Erblindung bzw. der Eintritt der Sehbehinderung sind häufig mit einer außergewöhnlichen psychischen Belastung verbunden. Nicht nur der Verlust der optischen Wahrnehmung führt zu einem Mangelerlebnis. Betroffene empfinden vor allem die dadurch eintretende Hilflosigkeit und das Angewiesensein auf die Hilfe ihrer Mitmenschen, den Verlust der Orientierungs- und Informationsmöglichkeit und die daraus resultierende Mobilitätseinschränkung als besonders bedrückend. Auch die zwischenmenschliche Kommunikation / Interaktion wird durch den Wegfall des Blickkontaktes wesentlich erschwert. Der Verlust eines Arbeitsplatzes oder der sonstigen beruflichen Tätigkeit sowie der Stellung in der Familie kann zur Existenzangst führen. Die Verrichtungen des täglichen Lebens, sei es im Bereich der Körperpflege und Hygiene, des Ankleidens und der Kleiderpflege, der Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme oder der sonstigen hauswirtschaftlichen Versorgung, können nicht mehr oder nicht mehr uneingeschränkt unter optischer Kontrolle vorgenommen werden. Blinde benötigen zum Schreiben und Lesen ein eigenes, auf den Tastsinn ausgerichtetes, Schriftsystem. Die schriftliche Kommunikation mit Sehenden ist erschwert. Weil die optische Wahrnehmung die größte Reichweite hat und die schnellste Information erlaubt, kann Blindheit oder Sehbehinderung auch als "Behinderung in der Wahrnehmung" oder als "Informationsbehinderung" charakterisiert werden.

Die Maßnahmen der Elementarrehabilitation müssen psychisch stabilisieren, damit die Behinderung seelisch verarbeitet und angenommen werden kann. Die optische Wahrnehmung muss in einer "visuell, höchstens audiovisuell" ausgerichteten, hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft durch die Wahrnehmung über andere, weniger weit reichende und hoch auflösende Sinne ersetzt werden, wobei bei diesem "Sinnesvikariat" die Wahrnehmungsfähigkeit und Reichweite der unterschiedlichen Sinne beachtet werden muss. Die Leistungsfähigkeit oder Reichweite lässt sich durch Training und den Einsatz von Hilfsmitteln erhöhen. Zur Veranschaulichung sei auf die Schulung des Gehörs und des Tastsinns sowie die Verwendung eines Taststockes (Vergrößerung der Reichweite des Tastsinnes) zur Steigerung der Mobilität hingewiesen.

Als Maßnahmen der Elementarrehabilitation kommen in Betracht:

  • Beratung und psychosoziale Unterstützung.
  • Kompensation der Behinderung durch den Einsatz von Hilfsmitteln und die Schulung in ihrem Gebrauch zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse. Zu den Grundbedürfnissen eines Menschen gehören nicht nur Nahrung und Kleidung, sondern auch die Mobilität und die Schaffung eines geistigen Freiraumes durch Information.
  • Die Mobilität eines Blinden kann durch das Orientierungs- und Mobilitätstraining wesentlich verbessert werden. Als kompensierende Hilfsmittel kommen dabei Sehhilfen, der Blindenlangstock, elektronische Leitgeräte oder Blindenführhunde in Frage. Im Mobilitätstraining werden vermittelt: Begleitertechniken, Orientierung durch den Einsatz entsprechender Methoden und der richtige Gebrauch der Hilfsmittel. Dazu gehört auch ein Training der Restsinne, insbesondere des Gehör-, Tast- und Geruchssinnes.
  • Kompensierende Hilfsmittel im Bereich der Information sind z. B. vergrößernde Sehhilfen, Bildschirmlesegeräte oder auch Lese-Sprech-Geräte und Farberkennungsgeräte für Blinde.
  • Die Schulung in lebenspraktischen Fähigkeiten in den Bereichen Körperpflege und Hygiene, Kleidung und Kleiderpflege, Essenszubereitung und Nahrungsaufnahme sowie der übrigen hauswirtschaftlichen Versorgung. Die vermittelten Techniken im Bereich der lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF-Training) helfen, die zahlreichen Verrichtungen im Ablauf des Tages, angefangen z. B. bei der Zahnpflege, der Rasur, der Körperpflege, der Kleiderauswahl und Kleiderpflege bis hin zur Vorbereitung von Mahlzeiten, zum selbstständigen Umgang mit Besteck beim Essen und zur Besorgung des Haushalts ohne optische Kontrolle weitgehend selbstständig zu bewältigen. Als Hilfsmittel kommen in der Regel Messgeräte mit abtastbaren Skalen oder Sprachausgabe wie Uhren, Waagen, Messbecher, Maßstäbe oder -bänder, Geldschein und Münzschablonen zur Verwendung.
  • Kommunikations- und Kulturtechniken wie Schreiben und Lesen. Hier ist vor allem das Schreiben, auch der Handschrift, ohne optische Kontrolle zu nennen. Dadurch können sehenden Menschen Nachrichten übermittelt werden. Zumindest die eigenhändige Unterschrift sollte beherrscht werden. Durch die eigenhändige Unterschrift wird die Teilnahme am Rechtsverkehr erleichtert. Das Erlernen des Schreibmaschinenschreibens erleichtert ebenfalls die Kommunikation mit Sehenden. Für eigene Notizen und zum eigenständigen Lesen ist das Erlernen der Blindenschrift hilfreich. Aber auch die Bedienung von Fernsprechapparaten, Kassettenrekordern, elektronischen Notizbüchern und die Benützung der EDV gehören hierher.
  • Organisationsstrategien zur Entwicklung und Anwendung von Ordnungssystemen und zur Beschaffung von Hilfen. Weil ein Blinder oder wesentlich Sehbehinderter verlegte Gegenstände nur schwer wieder auffinden kann und weil trotz der durch die bisher angeführten Rehabilitationsmaßnahmen erreichbaren Selbstständigkeit immer wieder auf Hilfe zurückgegriffen werden muss, sind Organisationsstrategien unentbehrlich. Hierher gehört die Entwicklung und Einübung von Ordnungssystemen, z. B. eine bestimmte Ordnung im Kleiderschrank, die systematische Markierung von Gegenständen durch abtastbare Merkzeichen, die Anpassung von Haushaltsgeräten durch abtastbare Skalen.
  • Organisationsstrategien sind ferner für die Anforderung von Hilfen, z. B. Umsteighilfen bei Reisen, Bestellung von Taxen von großem Nutzen. Mögliche Hilfen müssen ermittelt und festgehalten werden können.
  • Befähigung zur sinnvollen Freizeitgestaltung und zur Teilnahme am Gesellschafts- und Kulturleben. Es sollte dazu verholfen werden, bisherige Freizeitaktivitäten fortzusetzen. Aber auch neue Freizeitaktivitäten müssen erschlossen werden.
  • Beratung und Hilfen für Angehörige zur partnerschaftlichen Schicksalsbewältigung.
  • Die Beschreibung der Maßnahmen der Elementarrehabilitation hat gezeigt, dass es sich um einen komplexen, aber modular aufgebauten Bereich handelt. Außerdem geht es nicht um ein Minimum, sondern um die Vermittlung von Schlüsselfertigkeiten, die für blinde und sehbehinderte Menschen von existentieller Bedeutung sein können.

Dieser Katalog ist nur beispielhaft und nicht abschließend zu verstehen.

Das dem Sozialrecht zugrunde liegende gegliederte System macht es erforderlich, die einzelnen Maßnahmen den Bereichen der medizinischen Rehabilitation bzw. der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (soziale Rehabilitation) zuzuordnen.

Die Rehabilitation kann aber nicht nur nach dem Sozialrecht zugrunde liegenden Phasenmodell mit den Bereichen medizinische, schulisch/berufliche und soziale Rehabilitation betrachtet werden. Sie lässt sich auch nach ihren Schichten einteilen. Die Elementarrehabilitation legt auch die Grundlage für eine weiterführende Rehabilitation, z. B. die berufliche Rehabilitation.

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3 Rechtsgrundlagen für Maßnahmen der medizinischen und sozialen Rehabilitation

In den folgenden Kapiteln werden die Rechtsgrundlagen im SGB IX und in den Spezialgesetzen behandelt.

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4 Rechtsgrundlagen im SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

Die Rechtsgrundlagen für die medizinische Rehabilitation finden sich im vierten Kapitel des SGB IX. Einen Überblick über den Aufbau des SGB IX enthält Heft 01, 4.2.1, S. 12.

Nach § 26 Abs. 1 werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um

  1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder
  2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern.

Nach Abs. 2 umfassen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere

  1. Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln,
  2. Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder,
  3. Arznei- und Verbandmittel,
  4. Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie,
  5. Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
  6. Hilfsmittel,
  7. Belastungserprobung und Arbeitstherapie.

Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Das ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "insbesondere".

Gemäß Abs. 3 sind Bestandteil der Leistungen nach Absatz 1 auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die in Absatz 1 genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere

  1. Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,
  2. Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,
  3. mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen,
  4. Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,
  5. Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,
  6. Training lebenspraktischer Fähigkeiten,
  7. Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

Auch diese Aufzählung ist nicht abschließend. Zu den Hilfen gehören z.B. Hilfen zur Bewältigung psychosozialer Problemlagen, wie sie als Folgen einer Erblindung oder Ertaubung typisch sind (BT-Drucks. 14/5074, Abschn. B, S. 106 zu § 26)

Für die Elementarrehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen sind die hier aufgeführten Maßnahmen von grundlegender Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Ausstattung mit Hilfsmitteln (Abs. 2 Nr. 6), Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, (Abs. 3 Nr. 1), Aktivierung von Selbsthilfepotentialen(Abs. 3 Nr. 2), Information und Beratung von Partnern und Angehörigen (Abs. 3 Nr. 3), Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten (Abs. 3 Nr. 4), Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen (Abs. 3 Nr. 5) und das Training lebenspraktischer Fähigkeiten (Abs. 3 Nr. 6).

Die Ausstattung mit Hilfsmitteln wird in § 31 SGB IX näher geregelt.

Aus den §§ 26 ff. des SGB IX können aber Ansprüche auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur in soweit unmittelbar abgeleitet werden, als sich aus den für die einzelnen Rehabilitationsträger geltenden Spezialgesetzen nichts anderes ergibt (§ 7 SGB IX). Es muss also stets das entsprechende Spezialgesetz daraufhin überprüft werden.

Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind (§ 4 SGB IX Gruppe 4) zielgerichtet darauf, behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu sichern oder sie so weitgehend wie möglich unabhängig von Pflege zu machen; sie greifen nur ein, wenn entsprechende Leistungen aufgrund der drei anderen in § 4 genannten Gruppen nicht erbracht werden (§ 55 Abs. 1 SGB IX).

Die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind dem siebten Kapitel des SGB IX (§§ 55 ff) zu entnehmen. Der - nicht erschöpfende - Leis-tungskatalog sieht u. a. vor

  • Hilfsmittel und Hilfen besonderer Art, die nicht zu den Leistungsgruppen 1 und 2 gehören;
  • Heilpädagogische Leistungen (§ 56) und weitere Hilfen, z. B.
  • zum individuell erforderlichen Erwerb praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten,
  • zur Verständigung mit der Umwelt (für hörbehinderte Menschen § 57),
  • bei der Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen des behinderten Menschen entspricht,
  • zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten,
  • zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (§ 58).

Für diese Leistungen hat sich der Begriff der "sozialen Rehabilitation" eingebürgert.

Ob und welche Leistungen im einzelnen Fall zustehen, richtet sich auch hier gemäß § 7 SGB IX nach den im Bereich des jeweiligen Reha-Trägers geltenden Vorschriften.

Wer Rehabilitationsträger sein kann, ist § 6 SGB IX zu entnehmen. Aus § 5 SGB IX ergibt sich, für welche Bereiche die jeweiligen Rehabilitationsträger zuständig sind.

Nach SGB IX § 6 in Verbindung mit SGB IX § 5 können Rehabilitationsträger sein:

  1. die gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) und 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen),
  2. die Bundesagentur für Arbeit für Leistungen nach § 5 Nr. 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen),
  3. die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation), 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben), 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen) und 4 (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft),
  4. die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation), 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen); die Träger der Alterssicherung der Landwirte für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) und 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen),
  5. die Träger der Kriegsopferversorgung und die Träger der Kriegsopferfürsorge im Rahmen des Rechts der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation), 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben), 3 (unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen) und 4 (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft),
  6. die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation), 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und 4 (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft),
  7. die Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach § 5 Nr. 1 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation), 2 (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und 4 (Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft).

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5 Rechtsgrundlagen in den Spezialgesetzen - Konkurrenzen

Im Folgenden werden die Rechtsgrundlagen in den Spezialgesetzen behandelt. Um den richtigen Rehabilitationsträger zu ermitteln, muss die Rangordnung zwischen den für sie maßgebenden Gesetzen berücksichtigt werden.

Maßgebend ist die Ursache der Erblindung oder Sehbehinderung.

  • Hat jemand die Sehbehinderung oder Blindheit durch eine Kriegs- oder Wehrdienstschädigung erlitten oder als Folge einer staatlichen Impfmaßnahme oder eines Verbrechens, so ergeben sich die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz.
  • Ist die Sehbehinderung oder Blindheit Folge eines Berufsunfalls oder einer Berufskrankheit, so ist das SGB VII (gesetzliche Unfallversicherung) maßgebend. Für Beamte gilt insoweit das Beamtenversorgungsgesetz.
  • Liegt keine dieser Ursachen vor und ist der Betroffene Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung, richten sich die Ansprüche nach dem SGB V (soziale Krankenversicherung).
  • Sind all diese Voraussetzungen nicht gegeben, kommen nur subsidiär- wenn Behinderte sich nicht selbst helfen können und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderer Seite, insbesondere nicht von einem anderen Rehabilitationsträger oder als Beihilfe vom öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber erhalten - Leistungen des Sozialhilfeträgers nach dem SGB XII (Sozialhilfe) in Frage. Die für die Sozialhilfe geltenden Einkommens- und Vermögensgrenzen sind zu beachten.

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6 Rechtsgrundlagen im SGB V - gesetzliche Krankenversicherung

Für die meisten Blinden und Sehbehinderten sind für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation die Rechtsgrundlagen im SGB V (gesetzliche Krankenversicherung) einschlägig. Der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen liegt ein dreistufiges System zugrunde (vgl. 3.2.1.1).

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6.1 Das Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung

Das dreistufige Leistungssystem der gesetzlichen Krankenkassen lässt sich mit den Schlagworten: Prävention, Krankenbehandlung und Rehabilitation umreißen.

Krankheitsverhütung und Vorsorge (Prävention § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 3) haben Vorrang vor Leistungen zur Krankenbehandlung und Rehabilitation (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 S. 1).

Sowohl bei der Vorsorge als auch bei der Rehabilitation besteht im SGB V ein nahezu identisches dreistufiges Leistungsschema. Dieses ergibt sich aus § 23 Abs. 1, 2 und 4 für die Vorsorge und § 40 Abs. 1 und 2 für die Rehabilitation.

Für die Vorsorge sieht dieses Schema folgendermaßen aus:

Erste Stufe: Ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind

  1. eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,
  2. einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken,
  3. Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden oder
  4. Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (§ 23 Abs. 1).

Zweite Stufe: Ambulante Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten, wenn die ärztliche Behandlung der ersten Stufe nicht ausreicht (§ 23 Abs. 2)

Dritte Stufe: Stationäre Maßnahmen in einer Vorsorgeeinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 besteht, wenn auch ambulante Vorsorgemaßnahmen nach der zweiten Stufe nicht ausreichen (§ 23 Abs. 4).

Für die Rehabilitation sieht dieses Schema folgendermaßen aus:

  • Erste Stufe: Ambulante Krankenbehandlung, wenn diese ausreicht, die in § 11 Abs. 2 genannten Ziele, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.
  • Zweite Stufe: Ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, mit welchen ein Versorgungsvertrag nach § 111 besteht, oder, soweit dies für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit medizinischen Leistungen ambulanter Rehabilitation erforderlich ist, in wohnortnahen Einrichtungen (§ 40 Abs. 1).
  • Dritte Stufe: Stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung, welche nach § 20 Abs. 2a des SGB IX zertifiziert ist und mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht, wenn Maßnahmen nach der ersten und zweiten Stufe nicht ausreichen. Der Versicherte kann zwar auch eine andere zertifizierte Einrichtung wählen, mit welcher kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht. Er muss dann die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst tragen (§ 40 Abs. 2 S. 2 SGB V). Dass es sich um eine zertifizierte Einrichtung handeln muss, dient der Qualitätssicherung.

Anmerkungen zur ersten Stufe:

Vorsorge, Krankenbehandlung und Rehabilitation sind trotz der unterschiedlichen Zielsetzung eng miteinander verzahnt. Auszugehen ist bei den Vorsorgeleistungen von der ärztlichen Behandlung, bei der Rehabilitation von der Krankenbehandlung. Die Krankenbehandlung hat das Ziel, Krankheiten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S. 1).

Was zur Krankenbehandlung gehört, zählt § 27 Abs. 1 SGB V auf

  • ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
  • zahnärztliche Behandlung einschließlich Versorgung mit Zahnersatz,
  • Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
  • häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe,
  • Krankenhausbehandlung,
  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.

Die Verzahnung der Krankenbehandlung mit der Rehabilitation zeigt sich daran, dass sie trotz unterschiedlicher Zielsetzung in § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 bei der Krankenbehandlung ausdrücklich erwähnt ist. Ihr Ziel ist, nach § 11 Abs. 2 SGB V eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.

Anmerkungen zur zweiten Stufe:

Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 SGB V können ambulante Vorsorgeleistungen in "anerkannten Kurorten" erbracht werden. Die ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen (zweite Stufe) sollen nach § 40 Abs. 1 SGB V zwar auch in Rehabilitationseinrichtungen, mit welchen ein Versorgungsvertrag nach § 111 besteht (vgl. unten Anmerkungen zur dritten Stufe), durchgeführt werden. Das hat den Sinn, dass jederzeit bei Bedarf von einer ambulanten Maßnahme auf eine stationäre Maßnahme übergeleitet werden kann. Die Maßnahmen können aber auch in wohnortnahen Einrichtungen, die nicht auf die Durchführung stationärer Maßnahmen eingerichtet sind, und mit welchen deshalb kein Vertrag nach § 111 SGB V abgeschlossen werden muss, durchgeführt werden (vgl. Schmidt in Peters Kommentar zum SGB V RNr. 118 und 119 zu § 40). Aber auch diese "wohnortnahen Rehabilitationseinrichtungen" müssen zugelassen sein. Anders als für Einrichtungen zur Durchführung stationärer Vorsorge- und Rehamaßnahmen enthält das SGB V keine Bestimmung darüber, auf welche Weise diese Zulassung erfolgen soll. Die Zulassung erfolgt nach der Rechtsprechung des BSG in Analogie zur Zulassung von Heil- und Hilfsmittelerbringern (§ 124 SGB V) durch Verwaltungsakt. Die Einrichtungen müssen die personellen und fachlichen Voraussetzungen des § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V erfüllen. Das bedeutet, sie müssen fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sein, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen, also eine leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten sicherstellen (vgl. BSG Urteil vom 5.7.2000 - B 3 KR 12/99 R = SozR 3-2500 § 40 Nr.3).

Anmerkungen zur dritten Stufe:

Nach § 111 Abs. 1 SGB V dürfen die Krankenkassen medizinische Leistungen zur Vorsorge (§ 23 Abs. 4) oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation einschließlich der Anschlussheilbehandlung (§ 40), die eine stationäre Behandlung, aber keine Krankenhausbehandlung erfordern, also Maßnahmen der Stufe drei, nur in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen erbringen lassen, mit denen ein Versorgungsvertrag nach Absatz 2 besteht.

Die Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen müssen die Anforderungen des § 107 Abs. 2 SGB V erfüllen. D. h. Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen im Sinne dieser Bestimmung sind Einrichtungen, die

  1. der stationären Behandlung der Patienten dienen, um
    1. eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (Vorsorge) oder
    2. eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (Rehabilitation), wobei Leistungen der aktivierenden Pflege nicht von den Krankenkassen übernommen werden dürfen.
  2. fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung stehen und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen, und
  3. in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können.

Für die Konkurrenz zwischen den Leistungsträgern ist noch zu beachten: Für stationäre Behandlungen in einer Reha-Einrichtung sind Krankenkassen nach § 40 Abs. 4 SGB V gegenüber anderen Leistungsträgern, insbes. der RV, nur nachrangig (subsidiär) zuständig. Bei den anderen Leistungsträgern müssen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wie Erfüllung von Wartezeiten erfüllt sein. Bestehen Leistungspflichten aus beiden Versicherungszweigen, also der KV und der RV, lässt sich für die Zuständigkeiten folgende Faustregel aufstellen:

Vorrangig leistungspflichtig sind

  • Krankenkassen für ambulante Krankenbehandlung, einschließlich ambulanter Reha-Leistungen; für Krankenhausbehandlung.
  • RV-Träger für stationäre Behandlung in einer Reha-Einrichtung.

Für Leistungen zur Krankheitsverhütung und Vorsorgeleistungen jeder Art und Stufe der §§ 20-24 SGB V liegt im Verhältnis zur Rentenversicherung die aus-schließliche Zuständigkeit bei den Krankenkassen.

Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.03.2007, welches am 01.04.2007 in Kraft getreten ist, wurden die Rehabilitationsleistungen nach § 40 SGB V zu Pflichtleistungen. Ob erforderliche Leistungen zur Rehabilitation erbracht werden, steht nicht mehr im Ermessen der Krankenkassen.

Die Krankenkasse hat nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB V kein Ermessen mehr in der Frage, ob sie eine medizinische Reha-Maßnahme bewilligt, und diese Frage kann im Streitfall direkt vom Gericht entschieden werden. Sie hat aber weiterhin ein Ermessen in der Frage, welche Leistung sie von wem erbringen lässt. Das ergibt sich aus § 40 Abs. 3 SGB V. Er beginnt nach wie vor mit dem Satz:

"Die Krankenkasse bestimmt nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen."

Bei der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung steht dem Versicherten allerdings ein gewisses Wahlrecht zu. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sind nach § 40 Abs. 2 S. 1 SGB V zwar in einer Rehabilitationseinrichtung, welche nach § 20 Abs. 2a des SGB IX zertifiziert ist und mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht, durchzuführen. Der Versicherte kann aber auch eine zertifizierte Einrichtung wählen, mit welcher kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht. Er muss dann die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst tragen (§ 40 Abs. 2 S. 2 SGB V).

Leistungen zur medizinischen Rehabilitation können gem. § 40 Abs. 1 SGB V nicht nur in wohnortnahen Einrichtungen ambulant, sondern als Sonderform der ambulanten Rehabilitation auch in der Wohnung des Versicherten mobil durch ein Reha-Team erbracht werden (Haufe Onlinekommentar RZ. 12a zu § 40 SGB V). Zielgruppe dieser Leistung sind multimorbide Patienten mit erheblichen funktionellen Beeinträchtigungen und einem komplexen Hilfebedarf, welche nicht in der Lage sind, die wohnortnahe Rehabilitationseinrichtung aufzusuchen (BT-Drs. 16/3100 S. 106). Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen sind gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SGB V auch in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 72 Abs. 1 des SGB XI (das sind anerkannte stationäre Pflegeeinrichtungen) zu erbringen. Die Leistung erfolgt dort durch so genannte mobile Reha-Teams.

Eine Anschlussrehabilitation, welche möglichst nahtlos im Anschluss an eine Akutbehandlung im Krankenhaus erfolgen soll, kann, wie dies der Schluss aus § 40 Abs. 6 zulässt, als ambulante oder stationäre Rehabilitation in Betracht kommen. Einrichtungen, welche Anschlussrehabilitation erbringen, müssen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit stationären Rehabilitationseinrichtungen vergleichbar sein (BSGE 81 S. 189, 195).

Ambulante Rehabilitationsleistungen sollen nach § 40 Abs. 3 S. 1 SGB V für längstens 20 Behandlungstage, stationäre Rehabilitation für längstens 3 Wochen erbracht werden. Eine Verlängerung der Leistung ist möglich, soweit dies aus medizinischen Gründen dringend erforderlich ist (§ 40 Abs. 3 S. 2 SGB V). Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben für bestimmte Indikationen, z.B. Krebserkrankungen gem. § 40 Abs. 3 S. 2 SGB V eine abweichende Dauer festgelegt.

Die wiederholte Leistungsgewährung ist sowohl bei ambulanten Rehabilitationsleistungen als auch stationären Rehabilitationsmaßnahmen nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, möglich, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Aus medizinischen Gründen dringend erforderlich ist eine vorzeitige Leistung nur dann, wenn eine höhere medizinisch begründete Notwendigkeit besteht als die, welche § 40 Abs. 1 und 2 SGB V als Voraussetzung für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen fordern.

Auf die Vierjahresfrist sind nicht anzurechnen ambulante und stationäre Vorsorgemaßnahmen gem. § 23 SGB V (Haufe Onlinekommentar RZ. 19 zu § 40 SGB V).

Das Verfahren zur Gewährung einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation wird durch einen Antrag an die Krankenkasse eingeleitet. Die Krankenkasse hat sodann die Notwendigkeit sowohl der ambulanten als auch der stationären Rehabilitationsmaßnahme vor deren Beginn durch den Medizinischen Dienst überprüfen zu lassen; dies gilt auch für eine Verlängerung der bereits gewährten Leistung (§ 275 Abs. 2 Nr. 1 SGB V).

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6.2 Die Ausstattung mit Hilfsmitteln

Als Rechtsgrundlagen müssen hier § 31 SGB IX als die generelle Norm und § 33 SGB V als die für die gesetzliche Krankenversicherung maßgebende Spezialnorm betrachtet werden. Gerade bei der Ausstattung mit Hilfsmitteln zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Krankenbehandlung und Rehabilitation. § 31 SGB IX befindet sich im 4. Kapitel des ersten Teiles mit der Überschrift "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation". Die Ausstattung mit Hilfsmitteln ist nach § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX eine Leistung zur Rehabilitation, nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V eine Leistung der Krankenbehandlung. Die Zielsetzung sowohl in § 31 SGB IX als auch in § 33 Abs. 1 SGB V zeigt, dass es sich um eine Rehabilitationsleistung handelt.

§ 31 Abs. 1 SGB IX lautet:

"(1) Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) nach § 26 Abs. 2 Nr. 6 umfassen die Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, um

  1. einer drohenden Behinderung vorzubeugen,
  2. den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder
  3. eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind."

§ 33 Abs. 1 SGB V, der wegen des Vorranges der Spezialgesetze nach § 7 SGB IX im Krankenversicherungsrecht Vorrang hat, lautet:

"(1) 1 Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. 2 Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. 3 Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. 4 Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. 5 Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen."

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6.3 Ausgestaltung des Anspruchs auf die Ausstattung mit Hilfsmitteln im SGB V unter Berücksichtigung der Rechtsprechung

Im Folgenden werden zunächst die allgemeinen Grundsätze behandelt. Sodann wird auf einzelne Hilfsmittel und die dazu ergangene Rechtsprechung eingegangen.

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6.3.1 Ausschluss von allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens

Sowohl § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX als auch § 33 Abs. 1 S. 1 schließen die Leis-tungspflicht der Krankenkassen für Hilfsmittel aus, soweit sie allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Der Gesetzgeber hat damit die Entwicklung in der Rechtsprechung aufgegriffen und umgesetzt.

Bei der Beurteilung, was Hilfsmittel im medizinischen Sinn und was allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist, hat sich in jüngerer Zeit ein grundlegender Wandel in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vollzogen.

Zur Auslegung des Begriffs "allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" hatte das Bundessozialgericht ursprünglich Kriterien entwickelt, die auf qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten beruhten. Maßgebend sollte sein, inwieweit ein Gegenstand in den Haushalten verbreitet ist (z. B. Verwendung in mehr als 12 % aller Haushalte) und ob der Preis von 1.000,00 DM (nunmehr rund 500,00 Euro) überschritten wurde. Daneben kam es auf die Zweckbestimmung des Hilfsmittels an. Das BSG hat seine Auffassung mit Urteil vom 16.09.1999 - B 3 RK 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33 aufgegeben. Es kommt nach dieser Entscheidung nicht mehr auf die quantitativen Merkmale (Verbreitung und Preis), sondern nur noch auf die qualitativen Gesichtspunkte an, d. h. allein darauf, für welchen Zweck und für welchen Personenkreis das Gerät entwickelt wurde.

Konkret ging es in diesem Fall um einen Luftreiniger, den ein Allergiker von seiner Krankenkasse begehrte.

In dem Urteil heißt es:

"Nach erneuter Sachprüfung hält der Senat nicht daran fest, die Eigenschaft "allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" für einen bestimmten Prozentsatz der Verbreitung innerhalb der privaten Haushalte der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland oder an der Nichtüberschreitung eines bestimmten Verkaufspreises durch die Mehrheit der Hersteller zu messen. Im Hinblick auf die Aufgabe der Krankenversicherung, allein die medizinische Rehabilitation sicherzustellen, sind nur solche Gegenstände als Hilfsmittel zu gewähren, die spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Was daher regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt auch bei hohen Kosten nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Der ausdrückliche gesetzliche Ausschluss der allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens stellt dies nur klar (...). Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist deshalb allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (z. B. Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist."

Die Eigenschaft als Hilfsmittel wurde wegen der Einstufung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens vom BSG deshalb verneint für einen Personalcomputer bzw. für ein Notebook (vgl. Urteil vom 30. Januar 2001 Az.: B 3 KR 10/00 R und vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Danach ist ein PC in handelsüblicher Ausstattung (Rechner - einschließlich Betriebssystem, Disketten- und CD-ROM-Laufwerk, Monitor, Tastatur, Maus und Drucker) ein solcher Gebrauchsgegenstand.

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6.3.2 Kein Ausschluss des Anspruchs bei Personen, die sich in stationärer Pflege befinden

In § 33 Abs. 1 S. 2 SGB V wird klargestellt, dass der Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich für Personen, die sich in stationärer Pflege befinden, gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse nicht ausgeschlossen ist (BT-Drs. 16/4200 S. 17, 32). Einem Blinden oder Sehbehinderten kann deshalb z.B. der Anspruch auf ein Lesegerät nicht mit der Begründung versagt werden, dass dieses Hilfsmittel von der Pflegeeinrichtung zur Benutzung etwa aller Blinden oder Sehbehinderten in der Einrichtung bereitgestellt werden müsste.

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6.3.3 Unmittelbarer- oder mittelbarer Behinderungsausgleich - Befriedigung eines Grundbedürfnisses

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG zur Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenkasse (GKV) ist für den Leistungsanspruch entscheidend, ob das Hilfsmittel dem unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich dient. Im Urteil des BSG vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R -, das zum Anspruch auf die Versorgung mit Hörgeräten durch die GKV ergangen ist, heißt es dazu in Rn. 15:

"a) Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB IX SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) für die im Rahmen der GKV gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion (z. B. das Hören oder das Sehen) selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens iS von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist."

Solche die Behinderung unmittelbar ausgleichenden Hilfsmittel sind z. B. Hörgeräte, weil sie das beeinträchtigte Hörvermögen verbessern sollen. Zum Anspruch auf Ausstattung mit Hörgeräten vgl. näher 6.4.6.

Hilfsmittel, die dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienen, sind z. B. Braillezeilen oder Lesesprechgeräte. Zu den Hilfsmitteln, die dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienen stellt das BSG in Rn. 16 des Urteils vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - fest:

"b) Beschränkter sind die Leistungspflichten der GKV, wenn die Erhaltung bzw Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen ständiger Rechtsprechung des Senats zufolge nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1Nr. 1 iVm § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums."

Das Grundbedürfnis eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums umfasst auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung und das Erlernen von Schulwissen bzw. die Herstellung der Schulfähigkeit (durch Ausstattung mit einem Hilfsmittel) im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht (vgl. Urteil des BSG vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 13/03 R -); nicht zu den Grundbedürfnissen in diesem Sinne gehört nach diesem Urteil jedoch die über die elementare Schulausbildung hinausgehende Ausbildung zur Ausübung qualifizierter Berufe und die Herstellung der Studierfähigkeit durch den über die Schulpflicht hinausgehenden Besuch einer weiterführenden Schule (vgl. auch Urteil des BSG vom 30.01.2001 - B 3 KR 10/00 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 40). In diesem Urteil hat das BSG die Ausstattung eines Behinderten mit einem Notebook einschließlich behindertengerechter Software für Studienzwecke abgelehnt, weil sie nicht der Befriedigung eines Grundbedürfnisses diene. Zu bemerken ist, dass der blinde Student von der Krankenkasse mit einem Lese-Sprechgerät ausgestattet worden war und das beantragte Hilfsmittel alleine für Studienzwecke benötigt hätte. In solchen Fällen kommt aber, worauf das BSG hinweist, die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe in Frage (vgl. Heft 04 der Schriftenreihe). In dem Urteil des BSG vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 13/03 R - kommt eine einschränkende Tendenz des BSG bei der Bestimmung der Grenzen des "geistigen Freiraums" zum Vorschein. Diese Entwicklung ist bedenklich. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird für behinderte Menschen eingeschränkt. Zur Kritik dieser Entscheidung vgl. auch unten.

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6.3.4 Gesetzlicher Ausschluss von der Leistungspflicht

Nach § 34 Abs. 2 SGB V können vom Bundesminister für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischem Nutzen oder geringem Abgabepreis ausgeschlossen werden. Das trifft für die hier aufgeführten Hilfsmittel nicht zu.

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6.3.5 Das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen

Nach § 139 SGB V erstellt der Spitzenverband "Bund der Krankenkassen" ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis in welchem die von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfassten Hilfsmittel aufgeführt sind. Dieser befindet sich im 9. Abschnitt des vierten Kapitels mit der Überschrift: "Sicherung der Qualität der Leistungserbringung". Die Regelungen von § 139 SGB V sind für die Hersteller von Hilfsmitteln bindend. Aufgabe des Hilfsmittelverzeichnisses ist somit die Qualitätssicherung. Das Hilfsmittelverzeichnis wird laufend ergänzt. Es wird im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Hilfsmittel (Produkte) sind entsprechend ihrem Einsatzbereich in Produktgruppen eingeteilt. Es können nur die Produkte in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden, für die der Antragsteller den therapeutischen Nutzen, die Funktionstauglichkeit und die Qualität nachgewiesen hat. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat dementsprechend in den einzelnen Produktgruppen bzw. Produktuntergruppen des Hilfsmittelverzeichnisses Standards formuliert, deren Einhaltung der Hersteller oder sein Bevollmächtigter in geeigneter Form nachzuweisen hat. Das Hilfsmittelverzeichnis ist eine geeignete Orientierungshilfe für Leistungsträger, Leistungserbringer und Versicherte. In dem Verzeichnis wird im Einzelnen aufgeführt, welche Arten von Produkten (Hilfsmitteln) bei bestimmten Indikationen verordnet werden können. Außerdem enthält das Verzeichnis medizinisch-technische Mindestanforderungen (Qualitätsstandards). Somit soll eine qualitativ hochwertige Versorgung der Versicherten gewährleistet werden. Zur rechtlichen Bedeutung, also zur Verbindlichkeit des Hilfsmittelverzeichnisses vgl. 6.3.6.

Zum besseren Verständnis des Aufbaus der Produktgruppen geben wir folgende Hinweise:

In einer Produktgruppe werden die Produkte, die in ihrer Funktion gleichartig sind, nach Anwendungsorten sortiert und Produktuntergruppen zugeordnet. Im Rahmen der weiteren Differenzierung werden Produktarten gebildet, in denen vor allem die Zweckbestimmung, die Art, die Materialien, die Wirkungsweise und die Indikationen beschrieben werden. In der Einzelproduktübersicht werden die 10-stelligen Positions- und Abrechnungsnummern, die Produkt- bzw. Leistungsbezeichnungen, die Hersteller/Vertreiber und die Konstruktionsmerkmale/-hinweise angegeben.

Das Hilfsmittelverzeichnis enthält bisher folgende Produktgruppen:

  • 01 Absauggeräte
  • 02 Adaptionshilfen
  • 03 Applikationshilfen
  • 04 Badehilfen
  • 05 Bandagen
  • 06 Bestrahlungsgeräte
  • 07 Blindenhilfsmittel
  • 08 Einlagen
  • 09 Elektrostimulationsgeräte
  • 10 Gehhilfen
  • 11 Hilfsmittel gegen Dekubitus
  • 12 Hilfsmittel bei Tracheostoma
  • 13 Hörhilfen
  • 14 Inhalations- und Atemtherapiegeräte
  • 15 Inkontinenzartikel
  • 16 Kommunikationshilfen
  • 17 Hilfsmittel zur Kompressionstherapie
  • 18 Krankenfahrzeuge
  • 19 Krankenpflegeartikel
  • 20 Lagerungshilfen
  • 21 Messgeräte für Körperzustände/-funktionen
  • 22 Mobilitätshilfen
  • 23 Orthesen
  • 24 Prothesen
  • 25 Sehhilfen
  • 26 Sitzhilfen
  • 27 Sprechhilfen
  • 28 Stehhilfen
  • 29 Stomaartikel
  • 30 Schienen
  • 31 Schuhe
  • 32 Therapeutische Bewegungsgeräte
  • 33 Toilettenhilfen
  • 50 Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege
  • 51 Pflegehilfsmittel zur Körperpflege/Hygiene
  • 52 Pflegehilfsmittel zur selbstständigeren Lebensführung/Mobilität
  • 53 Pflegehilfsmittel zur Linderung von Beschwerden
  • 54 Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel
  • 99 Verschiedenes

Die einzelnen Produktgruppen sind gegliedert in: "Definition", "Untergruppen", "Produktarten", "Abrechnungspositionen".

Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben die Produktgruppe 07 "Blindenhilfsmittel" des Hilfsmittelverzeichnisses zuletzt mit Datum vom 07.12.2007 fortgeschrieben. Sie ist im Bundesanzeiger Nr. 188 vom 10.12.2008 veröffentlicht worden. Der volle Wortlaut der fortgeschriebenen Produktgruppe 07 "Blindenhilfsmittel" kann auf den gemeinsamen Internetseiten der Spitzenverbände der Krankenkassen www.g-k-v.info mit Datum dieser Bekanntmachung eingesehen werden.

Die Definition gliedert sich in folgende Abschnitte:

  1. Einführung
  2. Orientierung und Fortbewegung für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen
    • 2.1 Blindenlangstöcke (Taststöcke)
    • 2.2 Elektronische Blindenleitgeräte
    • 2.3 Mobilitätstraining, Mobilitätsschulung
      • 2.3.1 Inhalte des Mobilitätstrainings
  3. Informationsgewinnung und Kommunikation für blinde Menschen
    • 3.1 Systeme zur Schriftumwandlung (Lesegeräte)
    • 3.2 Spezielle Geräte für Blinde
    • 3.3 Spezielle Schreibhilfen für Blinde
  4. Sonstige Hilfen für Blinde.

In 1. "Einführung" wird ausgeführt:

"Blindenhilfsmittel dienen dem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten zur selbstständigen Fortbewegung, Wahrnehmung und Orientierung in der Umwelt sowie zur Informationsbeschaffung. Hilfsmittel im Sinne dieser Produktgruppe haben keinerlei sehkraftverbessernde Wirkung."

Orientierungs-, Wahrnehmungs- und Fortbewegungshilfen für Blinde und hochgradig Sehbehinderte sind nach Nr. 2 Lang- oder Taststöcke sowie speziell ausgebildete Blindenführhunde. Ergänzend hierzu können Hindernismelder und Orientierungshilfen (Blindenleitgeräte) eingesetzt werden.

Blindenführhunde werden in der Produktgruppe 99 "Verschiedenes" berücksichtigt.

2.1 Blindenlangstöcke (Taststöcke)

Der Blindenlangstock ist ein weißer, leichter Stock, der individuell angepasst ist (z.B. Länge, Stockspitze, Gewicht). Er dient bei richtiger Handhabung dem Schutz des Blinden und hochgradig Sehbehinderten vor der Kollision mit Hindernissen.

Langstöcke sind in starren, einteiligen, zusammenlegbaren oder zusammenschiebbaren, mehrteiligen Ausführungen erhältlich und bestehen aus einem Griff, dem Verbindungsteil (Schaft) und der Stockspitze. Beim Gebrauch hält die Stockspitze immer Kontakt zum Boden, dadurch können vorstehende oder überhängende Hindernisse in begrenztem Umfang bis maximal zur Körpermitte durch Anschlagen erfasst werden.

Die Erstversorgung kann einen zweiten Langstock, der dem Anwender im Notfall als Reservestock zur Verfügung steht, beinhalten.

Der Schaft und insbesondere die Stockspitze unterliegen bei häufigem Gebrauch einem starken Verschleiß, so dass beide Teile regelmäßig erneuert bzw. repariert werden müssen.

Mit dem einfachen Langstock werden Informationen über Hindernisse vom Boden bis maximal zur Körpermitte gewonnen, nicht jedoch in Oberkörper- und Kopfhöhe. Hierfür sind entweder separate elektronische Blindenleitgeräte, Blindenführhunde oder Langstöcke mit integriertem Leitgerät erforderlich.

Kurze Blindenstöcke ("Weiße Stöcke") und gelbe Armbinden (Blindenarmbinden) dienen zur Kennzeichnung der Behinderung und fallen somit nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Eine Ausnahme kann lediglich für kurze Blindenstöcke, wenn sie gleichzeitig als orthopädischer Geh- und Stützstock dienen, bestehen.

Zu elektronischen Blindenleitgeräten wird in 2.2 ausgeführt:

Blindenleitgeräte stellen den Körperschutz für den Oberkörper sicher und ermöglichen die Fortbewegung und Orientierung in der Umwelt.

Entsprechend der differenzierten Art der Erfassung der Umwelt werden drei Gruppen von Geräten charakterisiert (nach steigendem Informationsgehalt sortiert):

  1. Leitgeräte für den Körperschutz (Hindernismelder). Sie zeigen Hindernisse und evtl. deren Entfernung im erfassten Bereich an.
  2. Leitgeräte zur einfachen räumlichen Orientierung (Orientierungshilfen). Sie zeigen Hindernisse, die Entfernung und die Richtung an.
  3. Leitgeräte zur umfassenden räumlichen Orientierung (Umweltsensoren). Sie geben zusätzlich noch Informationen über die Art (Größe, Oberfläche) des Hindernisses an und können zwischen mehreren Hindernissen differenzieren.

Die Geräte können in der Hand, wie eine Brille, mit einem Kopfband oder am Körper getragen werden. Ferner sind Geräte für den Langstock erhältlich.

Die Entscheidung, ob und ggf. welches Leitgerät für den Behinderten das geeignete ist, soll nach der Erprobungsphase durch den behandelnden Arzt in Zusammenarbeit mit einem Mobilitätslehrer/-trainer erfolgen. Eine Ausstattung mit Leitgeräten kommt erst nach oder in Kombination mit einer Versorgung mit einem Lang-/Taststock - einschl. Mobilitätsschulung - in Betracht.

Das Mobilitätstraining und sein Inhalt werden unter 2.3 und 2.3.1 ausführlich beschrieben. Dazu wird folgendes ausgeführt:

2.3 Mobilitätstraining, Mobilitätsschulung

Um den Gebrauch des Hilfsmittels zu erlernen, ist bei der erstmaligen Verordnung von Blindenlangstöcken und/oder Leitgeräten eine spezielle Schulung, die im Rahmen eines Mobilitätstrainings durchgeführt wird, erforderlich. Die Eignung, eine Mobilitätshilfe nutzbringend einsetzen zu können, ist bei einem Orientierungs- und Mobilitätstrainer bzw. -lehrer (O und M-Lehrer) zu erlangen und der Krankenkasse nachzuweisen. Wenn sich herausstellt, dass das Hilfsmittel nicht genutzt werden kann, beschränkt sich die Leistung der GKV auf die Erprobungsstunden, andernfalls schließt sich die eigentliche Mobilitätsschulung am Hilfsmittel an. Die dafür entstehenden Kosten der Schulung fallen dann in die Leistungspflicht der GKV.

Abzugrenzen ist die Schulung der Mobilität von Lerninhalten welche die so genannten "lebenspraktischen Fertigkeiten" (LPF) - also Handlungsstrategien, Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die jeder Mensch zur Bewältigung seines Alltages benötigt - vermitteln sollen. Das LPF-Training stellt als Fördermaßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 Abs.2 Ziff. 3 SGB IX) grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar (§§ 5 und 6 SGB IX). Sofern im Rahmen eines LPF-Trainings auch Hilfsmittel zum Einsatz kommen, ist die Einweisung in den Gebrauch des Hilfsmittels grundsätzlich im Abgabepreis des Hilfsmittels enthalten; eine gesonderte Vergütung erfolgt nicht.

2.3.1 Inhalte des Mobilitätstrainings

Bei der Schulung der allgemeinen Mobilität, der Langstocktechniken und dem Umgang mit Leitgeräten wird der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte mit blindenspezifischen Verhaltensweisen zur Bewältigung verschiedenster Mobilitätssituationen innerhalb geschlossener Räume aber auch in der Umwelt vertraut gemacht. Ziel ist es, das selbstständige und sichere Bewegungsverhalten zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Dies erfolgt dadurch, dass der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte im Gebrauch von Hilfsmitteln geschult wird und indem er mit speziellen Verhaltensweisen zur Bewältigung verschiedenster Umweltsituationen vertraut gemacht wird.

Diese Fähigkeiten werden in mehrstufigen Schulungsprogrammen, bei Kindern auch bereits im Grundschulalter beginnend, entwickelt. Zum Teil findet hier auch eine Anbindung an die Lehrpläne der verschiedenen Schulstufen statt. Die Mobilitätsschulung wird von speziell dafür ausgebildeten Orientierungs- und Mobilitätstrainern bzw. -lehrern (O und M-Lehrern) z.B. in Sehbehindertenschulen, Blindenschulen, Schulen für mehrfach Behinderte oder anderen speziellen Einrichtungen zur Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung durchgeführt. Ein umfassendes Basistraining in Mobilität kann folgende Inhalte haben:

  1. Grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten
    1. Begriffsbildungen und Übungen zum Körperschema
    2. Übungen zur Ausnutzung eines ggf. vorhandenen Sehrestes
    3. Übungen zur Sensibilisierung der übrigen Sinne
    4. Übungen zur Verbesserung grundlegender Orientierungsfertigkeiten
    5. Übungen zum Schutz des eigenen Körpers
    6. Übungen zur Fortbewegung mit dem sehenden Begleiter
    7. Übungen zur selbstständigen Bewegung in Gebäuden
    8. Übungen zur Erkennung und Beurteilung des Verkehrsgeschehens
    9. Verhalten und Übungen bei Straßenüberquerungen
  2. Hilfsmittelbezogene Inhalte
    1. Überprüfung der Belastbarkeit und der Eignung, ein Mobilitätshilfsmittel zielführend einzusetzen
    2. Erlernen und Anwenden verschiedener Langstocktechniken
    3. Einsatz von monokularen und anderen Sehhilfen zur Orientierung als Ergänzung zu Langstocktechniken
    4. Anwendung elektronischer Blindenleitgeräte als Ergänzung zu Langstocktechniken.
  3. Verhalten in speziellen Situationen
    1. Fortbewegen im Wohngebiet
    2. Fortbewegen im "kleinen und großen Einkaufsviertel"
    3. Fortbewegen in der Stadt, Wege zur Arbeitsstätte, Schule etc.
    4. Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln

Nur hilfsmittelbezogene Schulungsinhalte sowie grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten (Module A und B) sind dem Leistungsbereich der GKV zuzuordnen, Inhalte gemäß Modul C den sonstigen Rehabilitationsträgern.

Die Ausbildung des Blinden in Orientierung und Mobilität (O und M) ist abhängig vom notwendigen zeitlichen Schulungsumfang, vom individuellen Entwicklungsstand, dem Alter bei Eintritt der Behinderung, der Anamnese (schleichender oder akuter Sehverschlechterung bis hin zur Erblindung) und dem Vorliegen weiterer Behinderungen (z.B. Hörminderung, bzw. Taubheit oder auch motorischer Behinderung).

Für das Basistraining kann ein Gesamtbedarf von bis zu 40 Trainingseinheiten à 45 Min. (zzgl. 15 Min. Vor- und Nachbereitungszeit) angenommen werden. Der genaue Bedarf richtet sich nach den Unterrichtsinhalten, welche individuell abgewogen werden müssen. Eine Verlängerung der Schulung auf bis zu 80 Trainingseinheiten oder mehr kann im begründeten Einzelfall, insbesondere aber bei zusätzlichen motorischen, kognitiven oder psychischen Behinderungen, erforderlich sein. Näheres findet sich in der Beschreibung und den Indikationen der entsprechenden Produktart.

Ein Aufbau- oder Wiederholungstraining einzelner Schulungsinhalte ist immer dann indiziert, wenn durch die Entwicklung motorischer oder sensorischer Defizite beim Blinden oder hochgradig Sehbehinderten eine Einschränkung der Mobilität zu erwarten ist, z.B. nach Verlust des Restsehvermögens, Hörverschlechterung oder Ertaubung, Erkrankungen des Bewegungsapparates. Nichtmedizinische Indikationen (z.B. Umzug, Veränderung des Wohnumfeldes) sind keine Auslöser für ein Wiederholungs- oder Aufbautraining als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, ggf. aber anderer Rehabilitationsträger. Auch die Versorgung mit einem neuen Hilfsmittel (Langstock oder Gerät) kann ein Wiederholungstraining erforderlich machen.

Kritisch ist der Ausschluss des Trainings in den unter C) - Verhalten in speziellen Situationen - aufgeführten Punkten. Das Training muss im Lebensumfeld des Blinden stattfinden und nicht in einer Laborsituation.

Zu Informationsgewinnung und Kommunikation für blinde Menschen wird unter 3. ausgeführt:

Zur Informationsbeschaffung dienen dem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten Geräte zur Schriftumwandlung (Lesegeräte) in verschiedenen Ausführungen.

Der Anspruch eines Versicherten auf die Versorgung mit einem Lesegerät hängt von dem konkreten Lesebedarf ab. Für die Bewertung des Gebrauchsvorteils für den Versicherten ist u.a. der zeitliche Umfang der beabsichtigten Nutzung und die Bedeutung der Information für den Versicherten, bezogen auf die Grundbedürfnisse, maßgebend. So sollen z.B. intensive Lesegewohnheiten vorliegen, aus denen sich bei objektiver Betrachtung eine Nutzung von wöchentlich durchschnittlich mindestens fünf Stunden ergeben wird; bei einer Nutzung von wöchentlich weniger als fünf Stunden scheidet ein Leistungsanspruch wegen fehlender begründbarer Relation zwischen den Kosten des Gerätes und dem Gebrauchsvorteil für den Versicherten aus.

Für ein Kind gehört es zur normalen Lebensführung, im Rahmen der bestehenden, allgemeinen Schulpflicht die Schule zu besuchen und am Unterricht teilzunehmen. Bei Versicherten im schulpflichtigen Alter können ohne weitere Prüfungen starke Lesegewohnheiten auch in der häuslichen Umgebung unterstellt werden. Für schulpflichtige Kinder ist es auch erforderlich, Informationen in Brailleschrift und/oder taktiler Schwarzschrift ausgeben zu können, da nur so eine Teilnahme am Schulunterricht und eine Erledigung der Hausaufgaben möglich ist. Hierfür stehen spezielle Hilfsmittel wie Brailledrucker und Punktschriftschablonen zur Verfügung.

Die Leistungspflicht der GKV ist allerdings nicht gegeben, wenn spezielle Blindenhilfsmittel in besonderen Einrichtungen (z.B. Blindenschulen) zum Einsatz kommen und von einer Vielzahl von Schülern mit gleichartiger Behinderung genutzt werden können. In diesen Fällen dienen die Geräte der auf die Behinderung speziell ausgerichteten schulischen Ausbildung und sind Ausstattungsgegenstände der (Sonder-)Schule.

Ist die Versorgung mit einem transportablen Gerät nicht zumutbar und ist die Vorhaltung eines Blindenhilfsmittels nicht Aufgabe der schulischen Einrichtung, können für Versicherte im schulpflichtigen Alter auch zwei gleichartige Geräte zu Lasten der GKV verordnet werden.

Die Schulfähigkeit ist nur insoweit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens i.S. des § 33 SGB V (und des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) anzusehen, als es um die Vermittlung von grundlegendem schulischem Allgemeinwissen an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht oder der Sonderschulpflicht (siehe jeweilige Schulgesetze des einzelnen Bundeslandes) geht. Die Landesgesetzgeber haben den Erwerb eines alltagsrelevanten Grundwissens und der für das tägliche Leben notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit der bindenden Verpflichtung aller Kinder, die im jeweiligen Bundesland leben, zum Besuch einer Schule angeordnet und gehen davon aus, dass dieses "Grundwissen" in neun, maximal aber zehn Jahren (am Erreichen des Hauptschulabschlusses orientierte Dauer der Schulpflicht) vermittelt wird und erlernbar ist. Wenn die Krankenversicherung dafür einzustehen hat, Behinderten im Wege der medizinischen Rehabilitation die notwendige Kompetenz zur Bewältigung des Alltags zu vermitteln, so muss sie zwar die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Behinderte das staatlicherseits als Minimum angesehene Maß an Bildung erwerben und die ihnen insoweit auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen können; darüber hinausgehende Bildungsziele hat sie aber nicht mehr zu fördern. Das ist vielmehr Aufgabe anderer Leistungsträger, welche im Wege der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen neben Hilfen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch solche zum Besuch weiterführender Schulen und zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule (§ 40 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 BSHG) zu gewähren hat. Wer über das Ende der Schulpflicht hinaus weiter die Schule besucht oder sich später berufsbegleitend weiterbildet (zweiter Bildungsweg, Abendschule, Volkshochschule), tut dies ohne staatlichen Zwang aus eigenem Entschluss. Ein Versicherter kommt damit einem - im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägten - individuellen Bildungsbedürfnis nach, das zwar in verschiedener Weise auch staatlich gefördert wird, aber nicht als - alle Menschen grundsätzlich gleichermaßen betreffendes - allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens einzustufen ist. Die GKV ist zu einer so weit gehenden Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit nicht verpflichtet (BSG-Urteil vom 22.7.2004, B 3 KR 13/03 R).

Im Allgemeinen benötigt der Versicherte eine Einweisung in den Gebrauch und die Nutzung des Hilfsmittels. Die Vergütung für entsprechende Einweisungen sind im Abgabepreis des Hilfsmittels enthalten. Aufwendige Systeme sollten dem Versicherten vor der Kostenübernahme durch die Krankenkasse einige Wochen zunächst leihweise zur Erprobung überlassen werden, damit sich in der alltäglichen Anwendung zeigt, ob die Benutzung des Gerätes beherrscht wird. Der Versicherte muss die feinmotorische und kognitive Fähigkeit zur Bedienung des Hilfsmittels besitzen und in der Lage sein, die ihm durch das System zugänglichen Informationen aufzunehmen, den Sinngehalt zu verarbeiten und das Gerät in dem von ihm angegebenen Umfang zu nutzen.

Vor der endgültigen Kostenübernahme durch die Krankenkasse sollte ggf. vom MDK eine Begutachtung erfolgen. Bei Problemen (z.B. Hinweisen auf mangelnde Versorgungsqualität) besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Zweckmäßigkeit der getroffenen Wahl durch den MDK nach erfolgter Versorgung zu überprüfen (§ 275 Abs. 3 Nr. 3 SGB V).

Hilfestellungen bei der Auswahl der Blindenhilfsmittel können z.B. die Hilfsmittelzentralen der Blindenverbände, Blindenschulen und spezielle Reha-Einrichtungen geben.

3.1 Systeme zur Schriftumwandlung (Lesegeräte)

Zur Informationsbeschaffung dienen dem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten Geräte zur Schriftumwandlung (Lesegeräte). Diese Geräte ermöglichen das Lesen maschinengeschriebener bzw. gedruckter und ggf. auch handgeschriebener Texte. Die Behinderung wird dadurch ausgeglichen, dass der zu lesende Text entweder in Brailleschrift, in taktil erfassbare (tastbare) Schwarzschrift oder in synthetische Sprache umgesetzt wird; Kombinationen sind möglich. I.d.R. werden Geräte mit Sprachausgabe abgegeben, eine Erweiterung um eine zusätzliche Braillezeile ist nur bei besonderen, nachgewiesenen Leseanforderungen begründet.

Grundsätzlich kann zwischen so genannten geschlossenen Systemen (z.B. Kompaktgeräte) und offenen, PC-basierten Systemen unterschieden werden. Bei den geschlossenen Systemen handelt es sich nicht um Computer im herkömmlichen handelsüblichen Sinne, sondern um spezielle Produkte, die ausschließlich für die Funktion des Lesens eingesetzt werden und auch durch Zurüstung von andern Komponenten nicht als PC genutzt werden können. Auch ist die Bedienung der Geräte aufgrund des eingeschränkten Funktionsumfanges i.d.R. einfacher als bei offenen Systemen.

Offene Systeme dagegen bestehen i.d.R. aus herkömmlichen Computerbestandteilen, welche für den Zweck des Lesens vorkonfiguriert wurden. Obwohl das Lesen im Vordergrund steht, können diese Systeme durch einfache Umrüstung / Ergänzung auch für andere Zwecke genutzt werden. Da sie oftmals eine wirtschaftlichere Alternative zur Versorgung mit geschlossenen Systemen darstellen und auch dem Versicherten einen Gebrauchsvorteil bieten können, ist die Versorgung - ggf. unter Berücksichtigung eines Eigenanteils für enthaltene Gebrauchsgegenstände - möglich und im Einzelfall zu prüfen.

Darüber hinaus kann spezielle Hard- und Software zur Umrüstung bzw. Erweiterung eines vorhandenen, herkömmlichen PC-Systems zum Einsatz kommen, so dass mit deren Hilfe ebenfalls ein Lesen für den blinden bzw. hochgradig sehbehinderten Anwender möglich ist. Dafür ist eine spezielle Software und eine Sprach- und/oder Brailleausgabe erforderlich. Die behinderungsgerechte Erweiterung kann zu Lasten der GKV verordnet werden. Bei dieser Variante handelt es sich i.d.R um die wirtschaftlichere Versorgung. Es ist im Vorfeld zu prüfen, ob der vorhandene handelsübliche PC geeignet ist, mit den zugekauften Komponenten einwandfrei zu funktionieren. Da die Bedienung i.d.R. komplizierter ist als bei geschlossenen Anlagen, ist die Eignung des Versicherten für diese Versorgungsform zu berücksichtigen.

Die Auswahl der Versorgungsart (geschlossene Anlage, vorkonfigurierte offene Anlage oder behinderungsgerechte PC-Erweiterung) obliegt - insbesondere vor dem Hintergrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, ggf. unter Berücksichtigung von Eigenanteilen für im Lieferumfang enthaltene Gebrauchsgegenstände wie z.B. Scanner, PC, Kamera, CD-Laufwerk usw. - der Krankenkasse. Diese in den Bereich der allgemeinen Lebensführung fallenden, auch von Nichtbehinderten benutzten Produkte, sind Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und begründen keine Leistungspflicht der GKV. Die Eigenschaft als Gebrauchsgegenstand geht nicht dadurch verloren, dass dieser durch gewisse Veränderungen bzw. durch bestimmte Qualität oder Eigenschaften behindertengerecht gestaltet ist. Wird ein Hilfsmittel in Verbindung mit einem Gebrauchsgegenstand genutzt oder ist in ihm ein solcher enthalten, beschränkt sich der Versorgungsanspruch zu Lasten der GKV auf das eigentliche Hilfsmittel. Die Leistungspflicht der GKV beschränkt sich entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V auf eine Ausstattung, die das Maß des Notwendigen nicht übersteigt. Der Mehraufwand für zusätzliche Komponenten, z.B. Einzelblatteinzug, zusätzliche Speichermedien oder Texteditoren, fällt in den Eigenverantwortungsbereich des Versicherten.

Bei der Software beschränkt sich der Versorgungsanspruch auf die Programme, die der eigentlichen Zielerfüllung - dem Lesen - dienen, z.B. Screenreader. Software, die den Zugang zu anderen Eingabequellen ermöglicht (z.B. Internet) fällt nicht in den Leistungsbereich der GKV.

Braillezeilen dienen der Ausgabe von Texten in für den Blinden ertastbare Punktschrift (Brailleschrift). Eine Versorgung kommt in Betracht, wenn ein erweitertes Informationsbedürfnis oder neben der Erblindung bzw. der hochgradigen Sehbehinderung eine Schwerhörigkeit vorliegt. Zur effektiven Nutzung einer Braille-Zeile muss der erwachsene Versicherte die Brailleschrift beherrschen. Bei Kindern im schulpflichtigen Alter kann davon ausgegangen werden, dass die Brailleschrift auch mit Hilfe der Braillezeile erlernt wird, so dass hier eine Versorgung auch dann angezeigt ist, wenn die Punktschrift noch erlernt wird.

Um grafische Bildschirminhalte in Braille darzustellen, bedarf es so genannter Brailledisplays, die aus einem großflächigen Braillemodul bestehen. Hierdurch wird die Darstellung von Teilen des Bildschirminhaltes und das anschließende Ertasten der Grafik mit den Fingerkuppen ermöglicht. Sie werden nur von schulpflichtigen Kindern benötigt und können an herkömmliche PCs angeschlossen werden.

Sofern nicht nur Antragsteller, sondern auch von dessen blinden (sehbehinderten) Ehepartner oder Lebensgefährten, der ggf. einer anderen Kasse angehört, Lesegeräte mitbenutzt werden, ist im Einzelfall eine Kostenaufteilung unter den beteiligten Krankenkassen vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit zu prüfen. In derartigen Fällen ist eine Abstimmung unter den beteiligten Krankenkassen vorzunehmen.

Lesesysteme, die als Hilfsmittel im Sinne dieser Produktgruppe aufgeführt werden, sind standortunabhängig. Möbelstücke, die zur Aufstellung des Gerätes dienen, fallen nicht in die Leistungspflicht der GKV.

Ein Anspruch auf die Neuversorgung mit einem Lesegerät (geschlossene oder vorkonfigurierte Systeme sowie PC-Zurüstung) besteht nicht allein deshalb, weil gerätetechnische Fortentwicklungen angeboten werden. Dies gilt entsprechend für die behinderungsgerechte PC-Erweiterung bzw. für Updates von Software.

3.2 Spezielle Geräte für Blinde

Spezielle für die Anwendung von Blinden und hochgradig Sehbehinderten hergestellte Laptops mit anstelle eines Bildschirms eingebauter Braillezeile und auch Brailleschrifteingabe können ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V sein. Die Geräte dienen der Informationsverwaltung, dem Lesen (ggf. auch unter Zuhilfenahme spezieller Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens wie Scanner) und dem Schreiben. Eine Versorgung ist nur für schulpflichtige Kinder zur Herstellung oder Sicherung der Schulfähigkeit möglich. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob wirtschaftlichere Alternativen (z.B. Anpassung eines herkömmlichen Laptops) nicht ausreichend sind.

Kommunikationsgeräte für Taubblinde dienen dem Informationssaustausch mit taubblinden Menschen. Diese können mit Hilfe der Geräte mit sehenden oder blinden Menschen kommunizieren.

3.3 Spezielle Schreibhilfen für Blinde

Punktschriftgriffel, -korrekturstifte und Gittertafeln werden zum manuellen Schreiben von Punktschrift auf Papier benötigt. Insbesondere Gittertafeln werden in verschiedenen Größen angeboten.

Eine besondere Schreibhilfe stellen die so genannten Brailledrucker dar. Mit diesen Druckern werden so genannte erhabene Braillezeichen gedruckt bzw. geprägt. Auf diese Weise können Textinformationen, für Menschen, welche die Blindenschrift beherrschen, taktil zugängig gemacht werden. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten die so genannten Brailleschriftschreibmaschinen (Punktschriftschreibmaschinen), nur dass hier die zu schreibende Information über eine Tastatur vom Anwender direkt eingegeben werden muss. Sie werden von schulpflichtigen Kindern benötigt, um ihre Aufgaben im Rahmen der Schulpflicht erledigen zu können.

Unter 4. werden sonstige Hilfen für Blinde behandelt.

Diese Ziffer lautet:

Spezielle Geräte zum Abrufen und Speichern von Informationen (z.B. Tageszeitungen), damit diese dann zeit- und ortsunabhängig gelesen bzw. gehört werden können, fallen nicht in die Leistungspflicht der GKV.

Dazu ist zu bemerken, dass diese Auffassung übersieht, dass es sich bei der Zeitungslektüre um die Befriedigung des Grundbedürftnisses auf Information handelt.

Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte finden sich aber auch in anderen Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses, z.B.: weiße Handstützstöcke in der Produktgruppe 10 (Gehhilfen), Signalempfänger mit mechanischer Ausgabe für Taubblinde in der Produktgruppe 16 (Kommunikationshilfen), Messgeräte für Körperzustände und Körperfunktionen mit Sprachausgabe für Blinde (Fieberthermometer und Blutdruckmessgeräte mit Sprachausgabe) in Produktgruppe 21 (Messgeräte für Körperzustände/-funktionen), Augenprothesen in Produktgruppe 24 (Prothesen), Bildschirmlesegeräte und andere Sehhilfen in der Produktgruppe 25 (Sehhilfen) und Blindenführhunde in der Produktgruppe 99 (Verschiedenes).

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6.3.6 Bedeutung des Hilfsmittelverzeichnisses, Verhältnis zur Hilfsmittel-Richtlinie

Immer wieder wurde in Rechtsstreitigkeiten von Seiten der Krankenkassen geltend gemacht, dass das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nicht enthalten sei und deshalb keine Leistungspflicht bestehe. Das trifft nicht zu.

So waren bei der Entscheidung des Bundessozialgerichts über die Lese-Sprech-Geräte vom 23.08.1995 und über das Farberkennungsgerät vom 17.01.1996 diese Gegenstände noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt. Das BSG hat in diesen Entscheidungen (Urteile zum Lese-Sprech-Gerät vom 23.08.1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 - sowie Entscheidung zum Farberkennungsgerät vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18) ausgeführt:

"Ein Ausschluss der Lese-Sprech-Geräte (bzw. des Farberkennungsgerätes) aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen."

Das vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf der Grundlage von § 139 SGB V erstellte Hilfsmittelverzeichnis legt ebenfalls auch die Leistungspflicht der GKV gegenüber den Versicherten nicht verbindlich und abschließend fest. Es schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Anforderungen des § 33 SGB V genügen (BSG, Urteil vom 10. April 2008 - B 3 KR 8/07 R -, BSG SozR 4-2500 § 127 Nr 2 Rn. 10), noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im Hilfsmittelverzeichnis verzeichnet, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind (BSG, Urteil zum Barcodelesegerät vom 10. März 2011 - B 3 KR 9/10 R -, SozR 4-2500 § 33 Nr 33 Rn 10).

Allerdings ist, wie das BSG in Rn. 25 des Urteils zum Barcodelesegerät vom 10. März 2011 - B 3 KR 9/10 R - feststellt, "die Aufnahme des Gerätes in das HMV ein gewichtiges Indiz dafür, dass es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (BSG, Urteil zur Versorgung eines Schwerhörigen mit einer Lichtsignalanlage (Klingelleuchte) vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R -, BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 30 Rn. 17 ff).

Unmittelbare rechtliche Bedeutung hat das Hilfsmittelverzeichnis aber für die Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den Hilfsmittelherstellern. Die Beziehungen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln sind im sechsten Abschnitt des vierten Kapitels (§§ 126 und 127 SGB V) geregelt.

Nach § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 abgegeben werden. Vertragspartner der Krankenkassen können nur Leistungserbringer sein, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen gibt Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen nach Satz 2, einschließlich der Fortbildung der Leistungserbringer, ab.

Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, beim Abschluss der Verträge mit den Leistungserbringern diese Standards einzuhalten. In § 127 Abs. 1 Satz 3 heißt es: "Die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte sind zu beachten." Worauf sich diese Anforderungen beziehen können, wird in § 139 Abs. 2 ausgeführt:

"Soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, können im Hilfsmittelverzeichnis indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden. Besondere Qualitätsanforderungen nach Satz 1 können auch festgelegt werden, um eine ausreichend lange Nutzungsdauer oder in geeigneten Fällen den Wiedereinsatz von Hilfsmitteln zu ermöglichen. Im Hilfsmittelverzeichnis können auch die Anforderungen an die zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringenden Leistungen geregelt werden."

Neben dem Hilfsmittelverzeichnis bestehen aber auch Hilfsmittelrichtlinien. Damit ist das Verhältnis zwischen dem Hilfsmittelverzeichnis und den Hilfsmittelrichtlinien angesprochen.

Anders als das Hilfsmittelverzeichnis sind die Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und der Krankenkassen nach § 92 SGB V verbindlich. Den Bundesausschüssen gehören nicht nur Vertreter der Krankenkassen, sondern auch der Bundesärztevereinigung und unabhängige Mitglieder an (§ 91 SGB V).

Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der kassenärztlichen und vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-RL) vom 17. Juni 1992 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 183b vom 29. September 1992) in der jeweils gültigen Fassung haben ihre Rechtsgrundlage in § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V.

Die Hilfsmittelrichtlinien befassen sich vor allem mit den diagnostischen Voraussetzungen und den bei der Verordnung eines Hilfsmittels zu beachtenden Grundsätzen. Nach Nr. II 3 der Hilfsmittelrichtlinien dürfen von den Ärzten nur die im Hilfsmittelverzeichnis enthaltenen Hilfsmittel verordnet werden. Das ändert aber nichts daran, dass es für den Anspruch auf ein Hilfsmittel nicht darauf ankommt, ob es bereits in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden ist; denn der Anspruch des Versicherten auf die erforderliche Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) kann dadurch nicht beschränkt werden (vgl. Urteil des 8 Senats des BSG vom 29.9.1997 - 8 RKN 27/96 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 25). Diese Auffassung des BSG ist schon deshalb zu begrüßen, weil sonst die Krankenkassen eigenmächtig ihre Leistungspflicht bestimmen bzw. begrenzen könnten. Das wäre ein Rechtssetzungsakt, für den es an einer Ermächtigung fehlt. Demgegenüber wird die Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien in § 92 SGB V als ausreichend betrachtet.

Für die Praxis ergibt sich aus dem Verhältnis des Hilfsmittelverzeichnisses zu den Hilfsmittelrichtlinien folgendes: Wenn ein Hilfsmittel benötigt wird, ist es immer empfehlenswert, zu prüfen, ob dieses im Hilfsmittelverzeichnis enthalten ist. In diesem Fall ist dem Antrag an die Krankenkasse eine ärztliche Verordnung und zweckmäßigerweise eine Begründung beizufügen. Wurde ein Hilfsmittel noch nicht in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen, erfüllt es aber die Anforderungen nach § 33 SGB V, kann ein begründeter Antrag an die Krankenkasse selbst dann gestellt werden, wenn eine ärztliche Verordnung nicht erfolgt ist; denn die Versorgung mit Hilfsmitteln ist nicht ausschließlich von einer ärztlichen Verordnung abhängig. Der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt insoweit nicht (BSG Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33; Noftz in Hauck/Haines, SGB V, § 15 RdNr.17 aE; BSG Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).

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6.3.7 Gebot der Wirtschaftlichkeit

Nach § 12 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. In den durch das Wirtschaftlichkeitsgebot gezogenen Grenzen ist bei gleicher Indikation und gleichartig wirkenden Hilfsmitteln die nach Art und Umfang preisgünstigere Versorgung zu wählen. Allerdings kann nur auf ein preiswerteres Produkt verwiesen werden, das den im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V festgelegten Qualitätsstandards entspricht.

Das Bundessozialgericht verlangt, damit die Wirtschaftlichkeit bejaht werden kann, eine angemessene Nutzen-Preis-Relation. Für Lese-Sprech-Geräte fordert es, dass diese durchschnittlich ca. fünf Stunden wöchentlich benötigt werden (Urteile vom 23.08.1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Für ein Farberkennungsgerät stellt es darauf ab, dass dieses täglich zwischen fünf- und zehnmal benötigt wird (Urteil vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18).

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6.3.8 Festbeträge, Vertragspreise

Festbeträge

Der Kostendämpfung, und damit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (§ 12 SGB V). dient die Festsetzung von Festbeträgen. In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es Festbetragsregelungen für Arzneimittel und für Hilfsmittel. Sie sollen eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Therapie gewährleisten und die Versichertengemeinschaft vor überhöhten Preisen schützen. Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 35 SGB V (Arznei- und Verbandmittel) und § 36 SGB V (Hilfsmittel).

Ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten nur bis zur Höhe dieses Betrags (§ 33 Abs. 7 S. 2 SGB V). Trotzdem handelt es sich um eine Leistung im Rahmen des Sachleistungsprinzips; denn der Leistungsanspruch ist grundsätzlich im Wege der Sachleistung zu erfüllen (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V). Die Krankenkasse erfüllt ihre Leistungspflicht mit der Übernahme des Festbetrags (§ 12 Abs. 2 SGB V). Der Festbetrag stellt also die Obergrenze des Leistungsanspruchs des Versicherten dar. Wählt der Versicherte ein teureres Hilfsmittel, muss er die Differenz selbst tragen.

Das BVerfG hat mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2002 - 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 - (SozR 3-2500 § 35 Nr. 2) entschieden, dass die Einführung von Festbeträgen zulässig ist und nicht gegen das Sachleistungsprintzip verstößt. Bei der Festsetzung von Festbeträgen handelt es sich um Allgemeinverfügungen, für die die Ermächtigung in den §§ 35 und 36 SGB V genügt.

Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Die Festbeträge sind mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen.

Festbeträge werden in einem zweistufigen Verfahren festgelegt.

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt in der ersten Stufe gem. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB V Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Dabei sollen unter Berücksichtigung des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Mittel in Gruppen zusammengefasst und die Einzelheiten der Versorgung festgelegt werden. Den Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer ist unter Übermittlung der hierfür erforderlichen Informationen innerhalb einer angemessenen Frist vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.

In der zweiten Stufe setzt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen für die Versorgung mit den nach Absatz 1 bestimmten Hilfsmitteln einheitliche Festbeträge fest.

Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenzt allerdings die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn die unter die Festbetragsregelung fallenden Hilfsmittel für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreichen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 1 BvL 28/95, 29/95 und 30/95). Sollte also der erforderliche Ausgleich des beeinträchtigten Sehvermögens nur mit einem Hilfsmittel, für welches kein Festpreis festgesetzt ist, erreichbar sein, so besteht Anspruch auf Versorgung mit dieser Sehhilfe.

Verträge und Vertragspreise

Für Hilfsmittel, für welche keine Festbeträge festgesetzt sind, sind die Preise, wie sie in den nach § 127 SGB V abzuschließenden Verträgen vereinbart sind, maßgebend.

Die Lieferberechtigung in der Hilfsmittelversorgung ist durch die Neufassung der §§ 126 und 127 SGB V mit Wirkung zum 01.04.2007 an das Vorhandensein eines Vertrages geknüpft worden, der zwischen der Krankenkassenseite und dem Leistungserbringer geschlossen wird.

Zu unterscheiden sind Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1, Rahmenverträge nach § 127 Abs. 2 SGB V und Vereinbarungen, die nach § 127 Abs. 3 SGB V im Einzelfall mit einem Leistungserbringer abgeschlossen werden, wenn für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse nach § 127 Abs. 1 oder 2 SGB V mit Leistungserbringern bestehen oder durch Vertragspartner eine Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise nicht möglich ist.

Nach § 127 Abs. 1 SGB V können die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln, die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum schließen. Dabei haben sie die Qualität der Hilfsmittel sowie die notwendige Beratung der Versicherten und sonstige erforderliche Dienstleistungen sicherzustellen und für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten zu sorgen. Die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte sind zu beachten. Für Hilfsmittel, die für einen bestimmten Versicherten individuell angefertigt werden, oder Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil sind Ausschreibungen in der Regel nicht zweckmäßig.

Die Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB V steht nach dem Gesetzesaufbau im Vordergrund. Wer aufgrund der Ausschreibung den Zuschlag bekommt, ist Vertragspartner und als solcher berechtigt, die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit den in den Ausschreibungsvorgaben enthaltenen Hilfsmitteln zu versorgen.

Soweit Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V nicht durchgeführt werden, schließen die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften gem. § 127 Abs. 2 SGB V Verträge mit Leistungserbringern oder Landesverbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen, die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung. Es handelt sich um Rahmenverträge. Die Absicht, über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln Verträge zu schließen, ist in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen. Über die Inhalte abgeschlossener Verträge sind andere Leistungserbringer auf Nachfrage unverzüglich zu informieren. Den Verträgen nach § 127 Abs. 2 S. 1 SGB V können Leistungserbringer zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten (§ 127 Abs. 2a SGB V). Verträgen, die mit Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer abgeschlossen wurden, können auch Verbände und sonstige Zusammenschlüsse der Leistungserbringer beitreten.

Soweit für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB V mit Leistungserbringern bestehen oder trotz solcher Verträge eine Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise durch Vertragspartner nicht möglich ist, trifft die Krankenkasse gem. § 127 Abs. 3 SGB V eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer.

Wenn für Hilfsmittel ein Festbetrag gem. § 36 SGB V festgesetzt wurde, können in den Verträgen nach § 127 SGB V Preise höchstens bis zur Höhe des Festbetrags vereinbart werden (§ 127 Abs. 4 SGB V).

Festbeträge bestehen u.a. für Sehhilfen und Hörhilfen. Jeweils zu Jahresbeginn und zur Jahresmitte werden die für diese Hilfsmittel festgesetzten Festbeträge überprüft und im Bundesanzeiger bekannt gegeben.

Die Krankenkassen gehen z.Z. unterschiedliche Wege bei der Hilfsmittelversorgung. Einige Krankenkassen kaufen keine Hilfsmittel mehr, sondern mieten sie und haben für verschiedene Gruppen von Hilfsmitteln einen pauschalierten Mietzins - die "Versorgungspauschale" - vereinbart, deren Höhe sich ggf. an den Festbeträgen orientiert.

Die Versicherten haben ein Recht auf Information durch die Krankenkassen. Nach § 127 Abs. 5 SGB V haben die Krankenkassen ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Die Vorschrift korrespondiert mit § 33 Abs. 6 SGB V, wonach die Krankenkasse dem Versicherten den aufgrund des Ausschreibungsinstruments bestimmten Vertragspartner für die Hilfsmittelversorgung zu benennen hat. Die Krankenkassen sind im Hilfsmittelbereich zwar Hauptkostenträger, dürfen aber nur einen begrenzten Einfluss auf die Hilfsmittellieferung ausüben, weil die Wahl des Leistungserbringers des Hilfsmittels grundsätzlich dem Versicherten und nicht der Krankenkasse oder dem verordnenden Vertragsarzt zusteht. Deshalb müssen die Versicherten vor ihrer Wahl wissen, welcher Leistungserbringer zu den Vertragspartnern gehört und wer nicht bzw. bei wem sie u.U. mit den sich aus § 33 Abs. 7 SGB V ergebenden finanziellen Nachteilen (Tragung der Mehrkosten) rechnen müssen (Haufe, Onlinekommentar RZ. 14 zu § 127 SGB V). Vgl. dazu auch 3.2.1.2.1.10 "Wahlrecht des Versicherten".

Sie können auch den Vertragsärzten entsprechende Informationen zur Verfügung stellen.

Es ist zweckmäßig, sich vor der Ausstattung mit einem Hilfsmittel bei der Krankenkasse oder dem vom Versicherten gewünschten Leistungserbringer zu erkundigen, ob und welche Verträge bestehen sowie welche Preise vereinbart worden sind.

In den Verträgen können weitere Einzelheiten über die Versorgung mit Hilfsmitteln und deren Wiedereinsatz vereinbart werden.

Von den Verträgen nach § 127 SGB V, welche die vertragliche Grundlage für die Leistung bilden, ist der bei der Ausstattung mit einem Hilfsmittel im konkreten Einzelfall zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer abzuschließende Vertrag zu unterscheiden. Hier kann es sich z. B. um einen Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB) handeln. Aus diesem Vertrag ergeben sich die Leistungspflichten im Einzelfall und die Rechte bei Leistungsstörungen, also z. B. bei Mängeln (§§ 437 ff. BGB).

Zuständig für Streitigkeiten aus all den Verträgen, auch soweit Beziehungen zu Dritten betroffen sind, sind gemäß § 51 SGG die Sozialgerichte.

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6.3.9 Zuzahlungen nach § 33 Abs. 8 SGB V

Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, müssen gem. § 33 Abs. 8 S. 1 SGB V zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 S. 1 SGB V ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle leisten. Die Zuzahlungen betragen danach 10 vom Hundert des Abgabepreises, mindestens jedoch 5,00 Euro und höchstens 10,00 Euro. Wenn der Versicherte Mehrkosten für ein Hilfsmittel gemäß § 33 Abs. 7 SGB V zu tragen hat, weil der Preis des von ihm gewählten Hilfsmittels über dem für dieses geltenden Festpreis oder dem von der Krankenkasse mit Vertragspartnern vereinbarten niedrigsten Preis liegt, verringert sich der Vergütungsanspruch nach § 33 Abs. 7 SGB V um den Betrag der Zuzahlung (§ 33 Abs. 8 S. 2 SGB V). Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10,00 Euro für den gesamten Monatsbedarf (§ 33 Abs. 8 S. 3 SGB V).

Die Zuzahlung fällt pro verordnetes Hilfsmittel an. Besteht ein Hilfsmittel aus mehreren Komponenten, wie z. B. ein offenes System eines Lesegerätes (Software und Sprachausgabe) fällt die Zuzahlung ebenfalls nur einmal an. Zum Hilfsmittel gehören auch die Reparaturen oder Erhaltungskosten. Für diese ist keine Zuzahlung zu leisten. Wird ein unbrauchbar gewordenes Hilfsmittel, z. B. ein weißer Langstock, durch ein neues ersetzt, so handelt es sich um eine neue Verordnung. Es fällt also wieder eine Zuzahlung an. Werden Kontaktlinsen verordnet, so ist ebenso wie bei der Brille nur eine Zuzahlung zu leisten. Werden zwei Augenprothesen (eine für das linke und eine für das rechte Auge) verordnet, so handelt es sich um zwei Verordnungen. Es sind zwei Zuzahlungsbeträge zu leisten. Dasselbe gilt für Hörgeräte, wenn ein Hörgerät für beide Ohren verordnet wird. Bei der Ausstattung mit einem Blindenführhund fällt nur eine Zuzahlung an. Für das monatliche Futtergeld ist dagegen keine Zuzahlung zu leisten.

Die Zuzahlungspflicht besteht unabhängig davon, ob das Hilfsmittel in das Eigentum des Versicherten übergeht oder nur leihweise zur Verfügung gestellt wird.

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6.3.10 Wahlrecht des Versicherten

Grundsätzlich gilt im sozialen Krankenversicherungsrecht das Sachleistungsprinzip. Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen (SGB V § 2 Abs. 2). Die Frage ist, inwieweit bei der Auswahl der Leistung, also bei der Auswahl des Hilfsmittels und des Leistungserbringers Wünsche des Versicherten berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich sollte dem Wahlrecht des Berechtigten ein hoher Stellenwert eingeräumt werden.

Nach § 33 SGB I sind, wenn der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt ist, bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.

Dieses Wahlrecht wird durch § 9 SGB IX noch verstärkt. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB IX wird bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. § IX Abs. 1 S. 2 lautet:

"Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches."

Das Wahlrecht bezieht sich auch auf den Leistungserbringer. Leistungserbringer, mit welchem der Rehabilitationsträger keine vertraglichen Vereinbarungen hat, können grundsätzlich nur gewählt werden, wenn eine vertragliche Einrichtung bzw. ein vertraglicher Rehabilitationsdienst nicht rechtzeitig besorgt werden kann und der nichtvertragliche Leistungserbringer die Teilhabeleistung mit der gleichen Qualität und Wirksamkeit erbringen kann (Haufe, Onlinekommentar RZ. 4 zu § 9 SGB IX). Grenzen des Wahlrechts werden durch die Regelungen in den für den Rehabilitationsträger einschlägigen Spezialgesetzen gezogen. Das ergibt sich aus § 7 SGB IX.

Im SGB V ist das Wahlrecht des Versicherten bei der Hilfsmittelversorgung durch § 33 Abs. 6 SGB V speziell geregelt und dadurch erheblich eingeschränkt. Nach dieser Bestimmung können die Versicherten nur die Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner nach § 126 Abs. 1 ihrer Krankenkasse oder nach § 126 Abs. 2 SGB V versorgungsberechtigt sind. Die Versorgungsberechtigung nach § 126 Abs. 2 SGB V besteht für Leistungserbringer aufgrund der nach altem Recht bis zum 31.03.2007 erteilten Zulassung bis spätestens 30.06.2010 fort. Bei den mit Vertragspartnern abgeschlossenen Verträgen muss es sich um Verträge nach § 127 Abs. 1, 2 oder 3 SGB V handeln. Zu den Verträgen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern vgl. oben 3.2.1.2.1.8.

Wenn blinde Versicherte ein bestimmtes Hilfsmittel, z.B. ein bestimmtes Lesegerät oder einen Blindenführhund von einer Führhundeschule ihres Vertrauens wollen, können sich aus diesen das Wahlrecht einschränkenden Regelungen erhebliche Probleme, zumindest finanzielle Nachteile ergeben.

Nach § 126 Abs. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 abgegeben werden. Davon gibt es keine Ausnahme.

Finanzielle Belastungen für den Versicherten können sich bei der Ausübung des Wahlrechts insbesondere aus § 33 Abs. 1 S. 5 und Abs. 6 und 7 SGB V ergeben:

Nach § 33 Abs. 7 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse die jeweils für das so genannte Kassenmodell vertraglich vereinbarten Preise, wobei es sich um einen aus einer Ausschreibung (§ 127 Abs. 1 SGB V), aus einem Rahmenvertrag (§ 127 Abs. 2 SGB V) oder aus einer Einzelvereinbarung (§ 127 Abs. 3 SGB V) ergebenden Preis handeln kann. Der Versicherte kann zwar ein teureres Hilfsmittel wählen. Nach § 33 Abs. 1 S. 5 müssen Versicherte, welche Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen wählen, die über das Maß des Notwendigen, dem das Kassenmodell entsprechen muss, hinausgehen, die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst tragen. Das Kassenmodell entspricht nicht immer den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen.

In § 33 Abs. 6 S. 2 SGB V wird bestimmt, dass die Versorgung des Versicherten durch den Leistungserbringer erfolgt, mit welchem aufgrund einer Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB V ein Vertrag besteht. Dieser ist dem Versicherten zu benennen. Die Ausschreibung räumt dem Leistungserbringer, der den Zuschlag bekommt, nahezu eine Monopolstellung ein. Der Versicherte hat kaum noch eine Möglichkeit, den Leistungserbringer selber auszuwählen. Allerdings heißt es im folgenden Satz 3: "Abweichend von Satz 2 können Versicherte ausnahmsweise einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht; dadurch entstehende Mehrkosten haben sie selbst zu tragen." Das "berechtigte Interesse" muss sorgfältig begründet werden. Das Wahlrecht soll nach dem Gesetzeswortlaut selbst bei einem berechtigten Interesse nur "ausnahmsweise" berücksichtigt werden. Ein berechtigtes Interesse könnte das besondere Vertrauensverhältnis zu einer Blindenführhundeschule sein.

Die Differenz zwischen dem von der Krankenkasse zu tragenden Preis für das Kassenmodell und dem vom Hilfsmittellieferanten für ein vom Versicherten gewähltes Hilfsmittel kann sehr hoch sein, zumal von den Krankenkassen mit den Leistungserbringern häufig sehr niedrige Versorgungspauschalen vereinbart werden. Diese Pauschalen umfassen alle Leistungen für das Hilfsmittel, der Reparatur, der Beratung und Schulung im Gebrauch, sowie den Zeitraum, für welchen die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der Versorgungspauschale erfolgt.

In der Praxis kann es für den Versicherten sehr schwer sein, zu beurteilen, ob das "Kassenmodell", das von einem von der Krankenkasse benannten Leistungserbringer geliefert wird, seinen Anforderungen entspricht. Damit nicht die Gefahr einer Fehlversorgung oder einer unnötigen finanziellen Belastung des Versicherten entsteht, muss er von der Krankenkasse ausführlich über den Leistungsumfang informiert werden. Nach § 127 Abs. 5 SGB V haben die Krankenkassen ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Es sollte nach Möglichkeit auch eine Gelegenheit verschafft werden, das "Kassenmodell" konkret z.B. bei einer Hilfsmittelzentrale oder einem anderen Nutzer kennenzulernen und auszuprobieren.

Hilfsmittel können nach § 33 Abs. 5 SGB V dem Versicherten auch leihweise zur Verfügung gestellt werden (§ 33 Abs. 5 S. 1 SGB V).

Ein Problem besteht weiterhin bei der Frage, welche eigentumsrechtlichen Folgen es hat, wenn der Versicherte sich für die bessere Leistung entscheidet und die Mehrkosten übernimmt. Das Gesetz lässt nach wie vor offen, ob die Krankenkasse das Hilfsmittel dem Versicherten als Eigentum, als Eigentum unter Vorbehalt oder nur leihweise verschafft, und ob in Höhe der übernommenen Mehrkosten ein Miteigentum des Versicherten besteht. Letzteres war bisher nicht der Fall, und es wird auch wohl so bleiben. Maßgeblich ist insoweit nicht das SGB V, sondern was in der Bewilligung der Krankenkasse und im Vertrag mit dem Leistungserbringer steht.

Das Wahlrecht, soweit es noch besteht, muss rechtzeitig, d. h. vor erfolgter Ausstattung durch die Krankenkasse, wahrgenommen werden (Urteil des BSG vom 03.11.1999 - B 3 KR 15/99 R).

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6.3.11 Ersatzbeschaffung

Nach § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V umfasst der Anspruch auf Ausstattung mit Hilfsmitteln auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung.

Aus dieser Verpflichtung folgt jedoch nicht, dass die gesetzlichen Krankenkassen bei entsprechendem technischen Fortschritt auch verpflichtet sind, Versicherte in einzelnen Lebensbereichen jeweils mit Hilfsmitteln des aktuellsten technischen Standes auszustatten (Urteil des BSG vom 30.01.2001 - B 3 KR 10/00 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 40). In diesem Rechtsstreit ging es um die Ausstattung eines blinden Studenten mit einem Notebook. Da dieser Student bereits eine stationäre Ausrüstung hatte, lehnte das BSG den Anspruch ab.

Dass das Notebook selbst das Studium erleichtert, nutzte dem Kläger nichts, denn nach Auffassung des BSG zählt zu den elementaren Grundbedürfnissen zwar die elementare Schulbildung, nicht jedoch eine qualifizierte Ausbildung wie z. B. ein Studium (vgl. auch Urteil des BSG vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 13/03 R).

Die Versorgung mit einem neuen Hilfsmittel findet nur dann statt, wenn das alte "objektiv ungeeignet oder nicht ausreichend" ist (Urteil des BSG vom 03.11.1999 - B 3 KR 15/99 R). Der Kläger hatte in diesem Fall einen Elektrorollstuhl beantragt und von der Krankenkasse auch bewilligt bekommen. Erst dann stellte er fest, dass für ihn zum Einkaufen ein Elektromobil geeigneter wäre. Das war zu spät. Im Urteil heißt es: "(Es) besteht ein Anspruch dann nicht mehr, wenn der Versicherte bereits ausreichend versorgt und zur Wahrung des betroffenen Grundbedürfnisses die Ausstattung mit einem weiteren Hilfsmittel nicht erforderlich ist. Die Beklagte hat die gesetzliche Leistungspflicht bereits dadurch erfüllt, dass sie dem Kläger einen Elektrorollstuhl zur Verfügung gestellt hat." Die Änderung eines einmal geäußerten Wunsches ist nach dieser Entscheidung jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn aufgrund der Wahl (des Antrags) der Krankenkasse bereits Aufwendungen entstanden sind.

Objektiv ungeeignet ist ein Hilfsmittel, wenn es nicht mehr funktionsfähig ist und auch nicht mehr repariert werden kann. Aber auch, wenn in der Person des Versicherten liegende Gründe ein neues Gerät erforderlich machen, z. B., wenn das Sehvermögen so nachgelassen hat, dass das Bildschirmlesegerät durch ein Lese-Sprech-Gerät ersetzt werden muss.

Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass, solange z. B. ein Lese-Sprech-Gerät oder eine Braillezeile noch einwandfrei funktioniert, kein Anspruch auf Ausstattung mit einem neuen Gerät besteht, nur weil dieses etwa leichter zu bedienen ist. Ein Anspruch auf Neuversorgung ist aber dann zu bejahen, wenn sich die Standards z. B. hinsichtlich der Benutzbarkeit und der Bedienbarkeit generell so geändert haben, dass das alte Gerät diesen Anforderungen nicht mehr entspricht. Die Ausstattung ist dann nicht mehr ausreichend.

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6.3.12 Kassenwechsel nach Hilfsmittelversorgung

Der Wechsel der Krankenkasse ist heute gegenüber früher wesentlich erleichtert (vgl. SGB V § 173 i.V.m. § 175). Die Krankenkasse kann frei gewählt werden. Aber auch nach getroffener Wahl ist ein Wechsel möglich. § 175 Abs. 4 SGB V bestimmt dazu: "(4) Versicherungspflichtige (§ 5 SGB V) und Versicherungsberechtigte (§ 9 SGB V) sind an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn sie das Wahlrecht ab dem 1. Januar 2002 ausüben. Eine Kündigung der Mitgliedschaft ist zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt. Die Krankenkasse hat dem Mitglied unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Kündigung, eine Kündigungsbestätigung auszustellen. Die Kündigung wird wirksam, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedsbescheinigung nachweist. (...)" Abweichend von dieser Regelung gilt ein besonderes Kündigungs- und damit Wahlrecht, wenn die Krankenkasse ab dem 1. Januar 2009 einen Zusatzbeitrag erhebt, ihren Zusatzbeitrag erhöht oder ihre Prämienzahlung verringert. In diesen Fällen kann die Mitgliedschaft nach § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V abweichend von Abs. 4 Satz 1 bis zur erstmaligen Fälligkeit der Beitragserhebung, der Beitragserhöhung oder der Prämienverringerung gekündigt werden. Die Krankenkasse hat ihre Mitglieder auf das Kündigungsrecht nach Satz 5 spätestens einen Monat vor erstmaliger Fälligkeit hinzuweisen. Kommt die Krankenkasse ihrer Hinweispflicht gegenüber einem Mitglied verspätet nach, verschiebt sich für dieses Mitglied die Erhebung oder die Erhöhung des Zusatzbeitrags und die Frist für die Ausübung des Sonderkündigungsrechts um den entsprechenden Zeitraum.

Beim Wechsel der Krankenkasse ist die Auswirkung auf die Ausstattung mit Hilfsmitteln zu bedenken. Die Rechtsbeziehungen können unterschiedlich gestaltet sein.

Wenn die Krankenkasse Eigentümerin des Hilfsmittels ist und dieses dem Versicherten nur leihweise zur Verfügung gestellt hat, hat die bisherige Krankenkasse gemäß § 604 BGB einen Anspruch auf Rückgabe des Hilfsmittels.

Wenn die bisherige Krankenkasse diesen Anspruch geltend macht, muss bei der neuen Krankenkasse erneut die Ausstattung mit dem entsprechenden Hilfsmittel nach § 33 SGB V beantragt werden. Damit beginnt das Genehmigungsverfahren von neuem. Die neue Krankenkasse ist an die frühere Entscheidung nicht gebunden. Sie kann z.B. aufgrund veränderter persönlicher Umstände oder infolge der technischen Entwicklung zu einem anderen Ergebnis kommen oder ein anderes Hilfsmittel zur Verfügung stellen wollen, weil der bisherige Leistungserbringer keiner ihrer Vertragspartner ist. Sie kann aber auch das Eigentum an dem von der früheren Krankenkasse zur Verfügung gestellten Hilfsmittel erwerben und dieses ihrem neuen Mitglied weiterhin zur Verfügung stellen. Die neue Krankenkasse bräuchte für den Erwerb nur den Zeitwert bezahlen. Außerdem würden keine Einweisungskosten entstehen. Wenn auch kein Rechtsanspruch auf eine solche Verfahrensweise besteht, ist es doch sinnvoll, dieses Problem vor dem Kassenwechsel mit der neuen Krankenkasse zu klären.

Wenn das Hilfsmittel übereignet war, bleibt das Eigentum des Versicherten bestehen.

Wenn das Hilfsmittel im Rahmen einer Versorgungspauschale zur Verfügung gestellt wurde, ändert sich für die Zeit, für welche die Vereinbarung gilt, für die Kosten des Hilfsmittels nichts. Für Kosten, welche durch Wartungs- oder Reparaturarbeiten anfallen, ist jedoch die frühere Krankenkasse nicht mehr zuständig, da ihre Leistungspflicht gemäß § 19 SGB V erloschen ist. Nach Ablauf der in der Versorgungspauschale festgesetzten Zeit ist die Ausstattung (Folgevereinbarung) mit dem erforderlichen Hilfsmittel bei der neuen Krankenkasse zu beantragen. Das im Rahmen der Versorgungspauschale von der früheren Krankenkasse zur Verfügung gestellte Hilfsmittel ist an den Eigentümer - je nach Fallgestaltung die frühere Krankenkasse oder den für diese tätigen Leistungserbringer - zurückzugeben.

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6.3.13 Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels

Der Anspruch auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel umfasst nach § 33 Abs. 1 S. 4 SGB V auch die notwendige Ausbildung in ihrem Gebrauch. Beispiele sind das Orientierungs- und Mobilitätstraining beim weißen Langstock, die Ausbildung im Umgang mit einem Blindenführhund oder die Einweisung in die Bedienung eines Lese-Sprech-Gerätes.

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6.4 Besonderheiten zu den Hilfsmitteln im Einzelnen

Im Folgenden wird auf den Anspruch auf die Ausstattung mit speziellen Hilfsmitteln für blinde und sehbehinderte Menschen eingegangen. Dabei wird die dazu ergangene Rechtsprechung berücksichtigt.

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6.4.1 Sehhilfen

Die Sehhilfen werden im Hilfsmittelverzeichnis in der Produktgruppe 25 behandelt.

Grundsätzlich gilt im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nach dem Sozialgesetzbuch, fünftes Buch (SGB V) das sog. Sachleistungsprinzip. Das bedeutet, dass Versicherte einen Anspruch auf die Zurverfügungstellung eines im Einzelfall erforderlichen Hilfsmittels haben und nicht etwa Zuschüsse erhalten. Dieser Grundsatz wird für die Versorgung mit Sehhilfen durch die in § 33 Abs. 2 bis 4 SGB V enthaltenen speziellen Regelungen erheblich eingeschränkt. Dadurch wird ein großer Teil erheblich sehgeschädigter Menschen von der Sehhilfenversorgung ausgeschlossen.

Versicherte haben nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach § 33 Abs. 1 SGB V. D.h. sie müssen im Einzelfall erforderlich sein, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Wenn Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen wählen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen.

Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gilt nach § 33 Abs. 2 S. 2 SGB V folgendes: Sie werden - abgesehen von zwei Ausnahmen - von der Versorgung mit Sehhilfen wie Brillen, Kontaktlinsen und Lupen ausgeschlossen. Wie erwähnt, gelten zwei Ausnahmen:

Erstens: "Für Versicherte, auch wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie aufgrund ihrer Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen. Die Entscheidung, ob eine ausreichende Sehbeeinträchtigung vorliegt, trifft nicht das Versorgungsamt, sondern der behandelnde Augenarzt. Es gelten deshalb auch nicht die für den Behindertenausweis vorgegebenen Maßstäbe, sondern es gilt die genannte internationale Klassifikation. Von einer Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 ist nach dieser dann auszugehen, wenn die Sehschärfe (Visus) bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillen- oder Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge 0,3 beträgt oder das beidäugige Gesichtsfeld auf 10 Grad bei zentraler Fixation eingeschränkt ist.

Aufgrund der Tatsache, dass bei der Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises nicht auf den eigentlichen, sondern auf den mit bestmöglicher Korrektur gemessenen Visus - also bei Zuhilfenahme von Brillengläsern oder Kontaktlinsen - abgestellt wird, werden zahlreiche Versicherte von Leistungen der GKV ausgeschlossen, die tatsächlich über eine schwerwiegende Sehbeeinträchtigung verfügen und dringend auf Sehhilfen angewiesen sind. Beispiel: Ein Patient, der aufgrund einer fehlenden Linse über einen Visus von 0,05 verfügt, bei Nutzung einer Brille mit hoher Dioptrinzahl aber 35 % sieht, ist nach aktueller Gesetzeslage von der Sehhilfenversorgung ausgeschlossen. Ist dieser Versicherte finanziell nicht in der Lage, die für die Sehhilfenversorgung entstehenden erheblichen Kosten selbst zu finanzieren, wird er erheblich in seinen Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt.

In der Regel benötigen schwer Sehbehinderte zum Lesen von herkömmlichen Texten - je nach Grad der Sehschwäche - bereits vergrößernde Sehhilfen wie Leselupen, Fernrohrbrillen oder elektronisch vergrößernde Sehhilfen, so genannte Bildschirmlesegeräte, bis hin zu Vorlesegeräten.

Zweitens: "Eine weitere Ausnahme gilt für Sehhilfen mit einem therapeutischen Zweck. Der Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92 SGB V, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Beispiele sind Oklusionsschalen und Schielkapseln zum Einsatz bei Schielbehandlungen wegen Amblyopie sowie Uhrglasverbände bei Einsatz von unvollständigem Lidschluss, z.B. infolge einer Gesichtslähmung, um das Austrocknen der Hornhaut zu vermeiden. (Gesetzesbegründung zu § 33 SGB V)"

Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfasst nicht die Kosten des Brillengestells.

Zur Frage, ob die Regelungen über die Versorgung mit Sehhilfen, insbesondere die altersmäßige Differenzierung und die Beschränkung volljähriger Versicherter auf die oben genannten Ausnahmen verfassungsmäßig sind, ob insbesondere ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 GG. Vorliegt, hat das SG Hamburg in seinem Urteil vom 14.11.2011 AZ. S 48 KR 905/09 entschieden, dass das nicht der Fall sei. In der Urteilsbegründung heißt es dazu:

"Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungswegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. (...) Vor diesem Hintergrund ist die Begrenzung des Leistungsanspruchs bei der Versorgung mit Sehhilfen auf Kinder und Jugendliche sowie auf besonders schwer sehbeeinträchtigte Versicherte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. (...) Auch ein Verstoß gegen Art. 3 GG ist in der Begrenzung des Leistungsanspruchs auf Kinder und Jugendliche nicht zu sehen. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, unter allen Umständen Ungleiches ungleich zu behandeln. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt. Es bleibt grundsätzlich ihm überlassen, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will. Allerdings muss er die Auswahl sachgerecht treffen. Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung erfährt auch insoweit seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs. Art. 3 Abs. 1 GG ist danach dann verletzt, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte - bezogen auf den in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart - ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschluss vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 - juris Rn. 139; Beschluss vom 23.3.1994 - 1 BvL 8/85 - juris Rn. 54; Beschluss v. 17.2.1997 - 1 BvR 1903/96 - juris Rn. 6). Nach diesen Grundsätzen ist die getroffene Regelung nicht zu beanstanden. Sie gewährleistet, dass Kindern und Jugendlichen, unabhängig von dem Vermögen und dem Wohlwollen ihrer Eltern, ein Leistungsanspruch auf eine Sehhilfe erhalten bleibt. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Sehfehler, die in der frühen Kindheit nicht korrigiert werden, später auch hinsichtlich der Folgeschäden meist nur noch unvollständig behebbar sind. Ein normales Sehen ist für die Gesamtentwicklung im Kindes- und Jugendalter von großer Bedeutung (BT-Drs. 15/1525, S. 85). Setzt die Behandlung von Sehfehlern bei Kindern zu spät ein, so ist mit lebenslanger irreversibler Schwachsichtigkeit zu rechnen. Ebenso ist ein gutes Sehvermögen Voraussetzung für die Entwicklung der visuellen Intelligenz. Kann diese nicht ausgebildet werden, so sind Störungen der Intelligenz und der Persönlichkeitsentwicklung zu befürchten."

So auch SG Berlin, Urteil vom 23. April 2013 - S 89 KR 2044/10 -, juris für die Begrenzung des Leistungsanspruchs bei der Versorgung mit Sehhilfen auf besonders schwer sehbeeinträchtigte Versicherte gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V.

Da diese Rechtsprechung infolge der Regelungen in den Hilfsmittelrichtlinien zu großen Härten führt, insbesondere, wenn mit Brillen oder Kontaktlinsen eine wesentliche Verbesserung des Sehvermögens erreicht werden kann, ist eine Überarbeitung der Regelungen in den Hilfsmittelrichtlinien dringend zu fordern.

Für die Versorgung mit Kontaktlinsen bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB V dass der Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen für Versicherte, die nach § 33 Abs. 2 SGB V anspruchsberechtigt auf die Versorgung mit Sehhilfen sind, nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen besteht. Nach § 33 Abs. 3 Satz 2 SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 SGB V, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wenn Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen wählen und die Voraussetzungen des § 33 Abs. 3 Satz 1 nicht vorliegen, also Kontaktlinsen nach den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses nicht zwingend erforderlich sind, zahlt die Krankenkasse als Zuschuss zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte (§ 33 Abs. 3 Satz 3 SGB V). Die Kosten für Pflegemittel werden von der Krankenkasse gem. § 33 Abs. 3 Satz 4 SGB V nicht übernommen.

Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach § 33 Abs. 2 SGB V besteht gem. § 33 Abs. 4 SGB V für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 SGB V Ausnahmen zulassen.

Zu beachten ist, dass außerdem für Sehhilfen weitgehend Festbeträge (§ 36 SGB V) festgesetzt sind, so dass Mehrkosten für eine aufwendigere Versorgung vom Versicherten selbst getragen werden müssen (§ 33 Abs. 7 Satz 2 SGB V).

Dazu stellt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband in einer Erklärung vom - 10. Januar 2011fest:

"Das bedeutet, dass diejenigen Versicherten, die überhaupt Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen haben, diese grundsätzlich nur bis zur maximalen Höhe des jeweils geltenden Festbetrages erstattet bekommen.

Mit diesem Mittel wollte der Gesetzgeber den steigenden Kosten der Hilfsmittel entgegenwirken, um das Leistungssystem der GKV funktionsfähig zu halten, keineswegs aber die berechtigten Interessen der Versicherten auf eine ausreichende Hilfsmittelversorgung unterlaufen. So ist zumindest nach der Auffassung des Bundessozialgerichts die Einführung der Festbeträge zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 23.01.2003 - Az.: B 3 KR 7/02 R). Das Bundesverfassungsgericht betont dann auch, dass im Hilfsmittelsektor stets eine Versorgung mit ausreichenden, zweckmäßigen und in der Qualität gesicherten Hilfsmitteln als Sachleistung gewährleistet bleiben muss (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2002 - Az.: 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95), d. h., das Sachleistungsprinzip soll den Versicherten also auch mit der Festbetragsregelung erhalten bleiben - zwar im unteren Preissegment, dies jedoch bezogen auf das jeweils benötigte ausreichende und zweckmäßige Hilfsmittel. Diese Ausführungen entsprechen nach unserer Auffassung auch einer UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) konformen Auslegung, insbesondere unter dem Aspekt von Art. 25b und Art. 26 Abs. 3 BRK (Leistungen zum Ausgleich von Behinderungen).

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass mit den geltenden Festbeträgen im Bereich der Sehhilfenversorgung eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung ohne eine Eigenbeteiligung der Versicherten in der Regel nicht möglich ist. Dies ist zum einen darauf zurück zu führen, dass seit Einführung der Festbeträge keine Anpassung an die allgemeine Preissteigerung in diesem Sektor erfolgte. Zum anderen waren die Festbeträge für Sehhilfen aber auch zu einer Zeit eingeführt worden, in der die oben skizzierte Beschränkung der anspruchsberechtigten Personen noch nicht galt. Für den Großteil der Versicherten waren die Festbeträge damals ausreichend, noch nie aber für die "Härtefälle", die nun einzig noch versorgungsberechtigt sind.

Auch wenn das Bundessozialgericht zwischenzeitlich deutlich gemacht hat, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenversicherung nicht begrenzt, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht, wird dieser Grundsatz von den meisten Krankenkassen nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass die Versicherten entweder sehr hohe Zuzahlungen leisten oder in langwierigen und zermürbenden Rechtsstreitigkeiten um eine Kostenerstattung kämpfen müssen. Die Versicherten, die aus finanziellen Erwägungen selbst nicht in Vorleistung treten können, müssen unter diesen Umständen mehrere Jahre auf eine medizinisch notwendige Sehhilfenversorgung warten.

Besonders akut stellt sich das Problem der unzureichenden Festbeträge zudem bei Kindern dar, die nicht selten auf besonders teure Sonderanfertigungen angewiesen sind und bei denen es schon in der Natur der Sache liegt, dass eine häufige Neuanschaffung erforderlich wird.

Es bedarf aus diesem Grund zwingend einer Reform der Regelungen in Bezug auf die Sehhilfenversorgung."

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6.4.2 Hilfsmittel zur Mobilität

Eine der einschneidendsten Folgen der Erblindung ist die Beeinträchtigung in der Orientierung und in der Mobilität. Weil das Sehvermögen fehlt, kann der eigene Standpunkt in Beziehung zu anderen Objekten optisch nicht bestimmt werden. Dadurch ist die Orientierung fast völlig ausgeschaltet. Das führt wiederum zur Beeinträchtigung der Mobilität. Es gibt vielfältige Hilfsmittel, mit welchen diese Behinderungsfolgen wenigstens teilweise ausgeglichen werden können.

Zu unterscheiden sind primäre und sekundäre Mobilitätshilfen. Die primären Hilfsmittel ermöglichen eine selbstständige Fortbewegung. Sekundäre Hilfsmittel unterscheiden sich von den primären dadurch, dass sie diese ergänzen. Primäre Mobilitätshilfen sind der Langstock und der Blindenführhund. Sekundäre Mobilitätshilfen sind elektronische Hindernismelder und Orientierungshilfen (Blindenleitgeräte).

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6.4.2.1 Langstock

Ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 SGB V ist der weiße Langstock. Er ist für die Benützung durch blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen bestimmt, wird ausschließlich von diesen Behindertengruppen benützt und dient der Befriedigung eines Grundbedürfnisses, nämlich der Gewinnung eines körperlichen Freiraumes.

Hinzuweisen ist hier darauf, dass der weiße Langstock nach § 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FEV) für blinde und wesentlich sehbehinderte Menschen als Verkehrsschutzzeichen dient. Die Leistungspflicht der Krankenkassen besteht nur insoweit, als der weiße Langstock Hilfsmittel zur Mobilität ist. Die Funktion als Verkehrsschutzzeichen spielt für die Leistungspflicht der Krankenkassen keine Rolle.

Die Blindenlangstöcke finden sich im Hilfsmittelverzeichnis Produktgruppe 07 unter den Nrn. 075001 ff. Die Erstausstattung kann zur Sicherheit, dass der Langstock im Gebrauch beschädigt und dadurch unbrauchbar wird, einen zweiten Langstock umfassen

Zur Ausstattung mit einem Langstock gehört gemäß § 33 Abs. 1 S. 3 SGB V die Schulung in seinem Gebrauch (Orientierungs- und Mobilitätstraining - O und M-Training).

Zum Mobilitätstraining wird im Hilfsmittelverzeichnis ausgeführt:

"2.3 Mobilitätstraining, Mobilitätsschulung

Um den Gebrauch des Hilfsmittels zu erlernen, ist bei der erstmaligen Verordnung von Blindenlangstöcken und/oder Leitgeräten eine spezielle Schulung, die im Rahmen eines Mobilitätstrainings durchgeführt wird, erforderlich. Die Eignung, eine Mobilitätshilfe nutzbringend einsetzen zu können, ist bei einem Orientierungs- und Mobilitätstrainer bzw. -lehrer (O und M-Lehrer) zu erlangen und der Krankenkasse nachzuweisen. Wenn sich herausstellt, dass das Hilfsmittel nicht genutzt werden kann, beschränkt sich die Leistung der GKV auf die Erprobungsstunden, andernfalls schließt sich die eigentliche Mobilitätsschulung am Hilfsmittel an. Die dafür entstehenden Kosten der Schulung fallen dann in die Leistungspflicht der GKV.

Abzugrenzen ist die Schulung der Mobilität von Lerninhalten, welche die so genannten "lebenspraktischen Fertigkeiten" (LPF) - also Handlungsstrategien, Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die jeder Mensch zur Bewältigung seines Alltages benötigt - vermitteln sollen. Das LPF-Training stellt als Fördermaßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 Abs.2 Ziff. 3 SGB IX) grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar (§§ 5 und 6 SGB IX). Sofern im Rahmen eines LPF-Trainings auch Hilfsmittel zum Einsatz kommen, ist die Einweisung in den Gebrauch des Hilfsmittels grundsätzlich im Abgabepreis des Hilfsmittels enthalten; eine gesonderte Vergütung erfolgt nicht.

2.3.1 Inhalte des Mobilitätstrainings

Bei der Schulung der allgemeinen Mobilität, der Langstocktechniken und dem Umgang mit Leitgeräten wird der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte mit blindenspezifischen Verhaltensweisen zur Bewältigung verschiedenster Mobilitätssituationen innerhalb geschlossener Räume aber auch in der Umwelt vertraut gemacht. Ziel ist es, das selbstständige und sichere Bewegungsverhalten zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Dies erfolgt dadurch, dass der Blinde oder hochgradig Sehbehinderte im Gebrauch von Hilfsmitteln geschult wird und indem er mit speziellen Verhaltensweisen zur Bewältigung verschiedenster Umweltsituationen vertraut gemacht wird.

Diese Fähigkeiten werden in mehrstufigen Schulungsprogrammen, bei Kindern auch bereits im Grundschulalter beginnend, entwickelt. Zum Teil findet hier auch eine Anbindung an die Lehrpläne der verschiedenen Schulstufen statt. Die Mobilitätsschulung wird von speziell dafür ausgebildeten Orientierungs- und Mobilitätstrainern bzw. -lehrern (O und M-Lehrern) z.B. in Sehbehindertenschulen, Blindenschulen, Schulen für mehrfach Behinderte oder anderen speziellen Einrichtungen zur Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung durchgeführt. Ein umfassendes Basistraining in Mobilität kann folgende Inhalte haben:

  1. Grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten
    1. Begriffsbildungen und Übungen zum Körperschema
    2. Übungen zur Ausnutzung eines ggf. vorhandenen Sehrestes
    3. Übungen zur Sensibilisierung der übrigen Sinne
    4. Übungen zur Verbesserung grundlegender Orientierungsfertigkeiten
    5. Übungen zum Schutz des eigenen Körpers
    6. Übungen zur Fortbewegung mit dem sehenden Begleiter
    7. Übungen zur selbstständigen Bewegung in Gebäuden
    8. Übungen zur Erkennung und Beurteilung des Verkehrsgeschehens
    9. Verhalten und Übungen bei Straßenüberquerungen
  2. Hilfsmittelbezogene Inhalte
    1. Überprüfung der Belastbarkeit und der Eignung ein Mobilitätshilfsmittel
    2. Zielführend einzusetzen
    3. Erlernen und Anwenden verschiedener Langstocktechniken
    4. Einsatz von monokularen und anderen Sehhilfen zur Orientierung als
    5. Ergänzung zu Langstocktechniken
    6. Anwendung elektronischer Blindenleitgeräte als Ergänzung zu
    7. Langstocktechniken.
  3. Verhalten in speziellen Situationen
    1. Fortbewegen im Wohngebiet
    2. Fortbewegen im "kleinen und großen Einkaufsviertel"
    3. Fortbewegen in der Stadt, Wege zur Arbeitsstätte, Schule etc.
    4. Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln

Nur hilfsmittelbezogene Schulungsinhalte sowie grundlegende Verhaltenstechniken und Fähigkeiten (Module A) und B)) sind dem Leistungsbereich der GKV zuzuordnen, Inhalte gemäß Modul C) den sonstigen Rehabilitationsträgern.

Die Ausbildung des Blinden in Orientierung und Mobilität (O und M) ist abhängig vom notwendigen zeitlichen Schulungsumfang, vom individuellen Entwicklungsstand, dem Alter bei Eintritt der Behinderung, der Anamnese (schleichender oder akuter Sehverschlechterung bis hin zur Erblindung) und dem Vorliegen weiterer Behinderungen (z.B. Hörminderung, bzw. Taubheit oder auch motorischer Behinderung).

Für das Basistraining kann ein Gesamtbedarf von bis zu 40 Trainingseinheiten à 45 Min. (zzgl. 15 Min. Vor- und Nachbereitungszeit) angenommen werden. Der genaue Bedarf richtet sich nach den Unterrichtsinhalten, welche individuell abgewogen werden müssen. Eine Verlängerung der Schulung auf bis zu 80 Trainingseinheiten oder mehr kann im begründeten Einzelfall, insbesondere aber bei zusätzlichen motorischen, kognitiven oder psychischen Behinderungen, erforderlich sein. Näheres findet sich in der Beschreibung und den Indikationen der entsprechenden Produktart.

Ein Aufbau- oder Wiederholungstraining einzelner Schulungsinhalte ist immer dann indiziert, wenn durch die Entwicklung motorischer oder sensorischer Defizite beim Blinden oder hochgradig Sehbehinderten eine Einschränkung der Mobilität zu erwarten ist, z.B. nach Verlust des Restsehvermögens, Hörverschlechterung oder Ertaubung, Erkrankungen des Bewegungsapparates. Nichtmedizinische Indikationen (z.B. Umzug, Veränderung des Wohnumfeldes) sind keine Auslöser für ein Wiederholungs- oder Aufbautraining als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, ggf. aber anderer Rehabilitationsträger. Auch die Versorgung mit einem neuen Hilfsmittel (Langstock oder Gerät) kann ein Wiederholungstraining erforderlich machen."

Zu diesen Ausführungen im Hilfsmittelverzeichnis ist kritisch anzumerken, dass die in Modul C) aufgeführten Situationen, die vom Mobilitätstraining ausgeschlossen sein sollen, so nicht akzeptiert werden können.

Beim Mobilitätstraining ist von der Umwelt des blinden Menschen auszugehen, also von seinem Wohnumfeld. Es kann nicht in einer Laborsituation durchgeführt werden. Das Training sollte deshalb in der Regel in seinem Wohnumfeld durchgeführt werden. Der Ausschluss der "Fortbewegung im Wohngebiet (Modul C) Nr. 1) ist deshalb widersinnig. Die Orientierung im kleinen oder großen Einkaufsgebiet (Modul C) Nr. 2) kann nicht ausgeschlossen werden, wenn sie zum Wohnumfeld gehören. Anderenfalls könnten durch eine unsachgemäße Handhabung des weißen Langstocks etwa in einem Einkaufszentrum andere Personen gefährdet werden. Wenn der blinde Mensch öffentliche Verkehrsmittel benutzen muss, muss er im Rahmen des Mobilitätstrainings darin geschult werden, wie er sich in Verkehrsanlagen, z.B. Bahnhöfen und in Verkehrsmitteln mit Hilfe des Langstocks sicher bewegen kann, ohne andere oder sich zu gefährden. Diese Orientierung bei der Benutzung des Verkehrsmittels kann nicht mit dem Erlernen der "Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln" verwechselt werden. Wenn der blinde Mensch nicht gelernt hat, sich z.B. im Gleisbereich eines Bahnhofes sicher zu bewegen, kann es zu lebensgefährlichen Situationen kommen! Zu Missverständnissen hat hier das Urteil des BSG vom 06.08.1998 - B 3 KR 3/97 R - geführt, wonach die "Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, keine körperliche Grundfunktion (ist), die durch Mittel der gesetzlichen KV herzustellen wäre, sondern ebenso wie das Autofahren der sozialen oder beruflichen Eingliederung zuzuordnen (ist), für die andere Sozialleistungsträger zuständig sind." In diesem Urteil wurde festgestellt: "Das eigenständige Führen eines Kfz ist aber damit kein Grundbedürfnis i. S. der gesetzlichen KV. (...) Auch das Grundbedürfnis der Erschließung "eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die bisherige Rechtsprechung nur i. S. eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i. S. des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden verstanden. Entweder ging es um den Ausgleich der Organfunktion des Gehens oder (bei Jugendlichen) auch Laufens oder um die Ermöglichung des Schulbesuchs zum Erwerb des für das Leben erforderlichen Basiswissens." In der Rechtsprechung des BSG wird für das Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder zu Fuß zurücklegt. In der obigen Entscheidung ging es um die Erweiterung dieses Bewegungsradius durch das eigenständige Führen eines Kraftfahrzeuges. Die Orientierung innerhalb von Verkehrsanlagen und beim Besteigen oder Verlassen von Verkehrsmitteln stellt als solches keine Erweiterung des Bewegungsradius dar, wie sie durch das selbstständige Führen eines Kraftfahrzeuges erreicht werden soll. Die Orientierung und Bewegung erfolgt vielmehr innerhalb des üblicherweise zu Fuß zu bewältigenden Bewegungsradius.

Was selbstverständlich nicht Inhalt des Mobilitätstrainings sein kann, ist das Verhalten beim Einkaufen (Modul C) Nr. 2), also das Auffinden der Waren, das Erkennen von Geldscheinen und das Bezahlen bzw. das Planen der Routen bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, der Erwerb der Fahrkarten und die Organisation von Umsteighilfen (Modul C) Nr. 4).

Grenzen für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse zeigen folgende Fälle:

Ein 77jähriger Blinder erhielt eine O und M-Schulung, die ihn nach 60 Unterrichtsstunden befähigte, bestimmte Wege in seinem Wohnumfeld selbstständig zu gehen. (Außerhalb dieser eingeübten Pfade ist er weiterhin hilflos.) 4 Jahre später wurde durch Baumaßnahmen die Umwelt so sehr verändert, dass die Orientierungspunkte an den eingeübten Pfaden nicht mehr zur Verfügung standen. Beantragt wurde nunmehr eine Nachschulung im Umfang von 30 Unterrichtseinheiten. Zweifellos ist in einem solchen Fall eine Nachschulung erforderlich. Sie ist dann aber, wie das SG Darmstadt mit Urteil vom 06.07.2007 - S 10 KR 175/06 entschied, keine GKV-Leistung mehr, weil sie nicht "medizinisch" indiziert ist.

Eine ähnliche Entscheidung traf das LSG Schleswig-Holstein (Urt. v. 27.08.2002 - L 1 KR 48/01) in einem Fall, in dem ein Supermarkt umgestaltet worden war. Die von der Klägerin, welche bereits ein Mobilitätstraining absolviert hatte, beantragte Nachschulung wurde abgelehnt.

Das LSG meint, dass es sich beim Einkauf von Lebensmitteln nicht um ein "tägliches Grundbedürfnis" handle. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Sie steht im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 3. 11. 1999 - B 3 KR 16/99 R und vom 16. 9. 1999 - B 3 KR 8/98 R - wonach zu den Alltagsgeschäften auch das Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs gehört. Ein Antrag auf Nachschulung muss sehr sorgfältig begründet werden. Der Anspruch ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn z. B. nach einem Umzug völlig neue Situationen bewältigt werden müssen, die bisher im Lebensumfeld des Versicherten keine Rolle spielten und deshalb im Orientierungs- und Mobilitätstraining nicht berücksichtigt worden sind. Zu denken ist z.B. an die Benutzung von U- und S-Bahn, wenn diese Verkehrsmittel am bisherigen Wohnort nicht vorhanden waren. Nähere Auskünfte über Leistungserbringer geben der Berufsverband der Rehabilitationslehrer/innen für Orientierung und Mobilität sowie die Blindenselbsthilfeorganisationen.

Blindenselbsthilfeorganisationen können als Verbände der Leistungserbringer fungieren, wenn sie selbst O und M-Trainer beschäftigen oder das Training aufgrund von Vereinbarungen mit O und M-Trainern vermitteln. So haben die Krankenkassenverbände in Bayern aufgrund von § 127 Abs. 1 SGB V am 11. April 2004 einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. In diesem Vertrag ist z. B. geregelt:

In § 3 der Leistungsumfang. Nach § 3 Abs. 2 kann an einer Schulung in O und M jeder auch mehrfachbehinderte Blinde und hochgradig Sehbehinderte teilnehmen.

Zum erforderlichen Umfang der Schulung bestimmt § 3 Abs. 3:

"(3) Bei der Erstversorgung mit Unterricht in O und M ist in der Regel von einem Grundbedarf von bis zu 60 Unterrichtsstunden á 45 Minuten (zuzügl. 15 Minuten Vor- und Nachbereitungszeit) auszugehen. Der Unterrichtsumfang richtet sich nach den Unterrichtsinhalten, die von den Leistungserbringern unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (Gesundheit, weitere Behinderungen, Belastbarkeit, persönliche Lebensumstände) des Blinden oder hochgradig Sehbehinderten festgelegt werden. Eine Verlängerung der Schulung auf bis zu 120 Unterrichtsstunden ist im begründeten Einzelfall möglich. In besonderen Fällen kann der Grundbedarf in O und M höher als 120 Unterrichtsstunden sein; dies ist insbesondere der Fall bei Personen, die von Geburt an blind sind oder bei blinden oder hochgradig sehbehinderten Personen mit einer zusätzlichen motorischen, kognitiven, psychischen oder sonstigen gravierenden Behinderung."

Zur oben behandelten Problematik einer Nachschulung heißt es in § 4 Abs. 5 dieser Vereinbarung:

(5) Nach Abschluss einer O und M kann eine Folgeversorgung in O und M nach vertragsärztlicher Verordnung und vorheriger Genehmigung der Krankenkasse übernommen werden, wenn

  1. die blinde / sehbehinderte Person nicht mehr in der Lage ist, sich notwendige Informationen selbstständig aus der Umwelt zu beschaffen und für die eigene sichere Fortbewegung auszuwerten,
  2. eine nicht vollständig durchgeführte Schulung um neue Inhalte erweitert wird oder, wenn neue Umweltsituationen, die zuvor nicht wichtig waren und im Rahmen der Erstversorgung nicht vermittelt wurden, mit Hilfe des weißen Langstockes bewältigt werden müssen,
  3. bestimmte Umweltsituationen, Techniken und Vorgehensweisen während der Erstversorgung zwar geübt wurden, aber aufgrund fehlender Praxis oder aus anderen Gründen nicht mehr präsent sind,
  4. eine Verschlechterung des verbliebenen Sehvermögens oder eine zusätzliche Behinderung motorischer oder kognitiver Art eingetreten ist,
  5. der Arzt, die Krankenkasse, die betroffene Person oder der Lehrer für O und M Mängel in der sachgerechten Anwendung des Langstockes beobachten und die Sicherheit des Versicherten gefährdet ist."

Die O und M-Trainer, die im Rahmen dieses Vertrages als Leistungserbringer tätig werden wollen, müssen einen Verpflichtungsschein unterzeichnen, in welchem sie sich mit dem Inhalt einverstanden erklären.

Mit dem Umfang des Unterrichtsbedarfes in O und M aus pädagogischer Sicht, die allerdings für die Krankenkassen nicht maßgebend ist, setzt sich eingehend Michael Brambring, Prof. für klinische Psychologie/Rehabilitation an der Universität Bielefeld in einem Fachgutachten vom Oktober 2002 auseinander. Das Gutachten ist beim DBSV erhältlich.

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6.4.2.2 Blindenführhund

Das BSG hat die Hilfsmitteleigenschaft für den Blindenführhund in seinem Urteil vom 25.02.1981 - 5a/5 RKn 3578 = SozR 2200 § 182b Nr. 19 - (abweichend von seinem Urteil vom 11.11.1977 - 3 RK 7/77 = BSGE 45, 133) anerkannt.

Seit dem besteht kein Zweifel mehr, dass Blindenführhunde Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V sind. Sie gleichen auf dem Gebiet der Orientierung und Mobilität die Blindheit aus und dienen der Befriedigung eines elementaren Grundbedürfnisses, nämlich der Gewinnung eines körperlichen und geistigen Freiraums. Sie sind speziell für den Ausgleich der durch die Behinderung verursachten Beeinträchtigung ausgebildet. Die Blindenführhunde sind im Hilfsmittelverzeichnis in der Produktgruppe 99 (Verschiedenes) unter Nr. 99.99.01 aufgeführt. Die Krankenkassen sind auch verpflichtet, die Kosten für den Unterhalt des Führhundes zu tragen. Das ergibt sich aus der Verpflichtung, das "Hilfsmittel Führhund" in Stand zu halten. Nach einer Empfehlung der Spitzenverbände der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsträger wird ein pauschaler Aufwendungsersatz für die regelmäßig entstehenden Kosten (Futterkosten, Kosten für regelmäßige Impfungen) jeweils in Höhe des in § 14 BVG festgesetzten Betrages geleistet. In unregelmäßigen Abständen entstehende Kosten, z. B. für die tierärztliche ambulante oder stationäre Behandlung oder für die Erneuerung des Führgeschirrs, übernimmt die Krankenkasse im notwendigen Umfang bei Bedarf.

An dieser Rechtsauffassung hat auch das Urteil des BSG vom 20.11.1996 (3 RK 5/96 - SozR 3-2500 § 33 Nr. 21) nichts geändert. Es handelte sich um einen ganz besonders gelagerten Sachverhalt. Der Kläger verfügte noch über einen geringen Sehrest, der ihm eine ausreichende Orientierung ermöglichte, so dass er den Führhund nicht entsprechend einsetzte. Das führte zu einer unzureichenden Führleistung eines zunächst gelieferten Führhundes. Der Kläger beschaffte sich daraufhin einen anderen Führhund und wollte die Kosten für diesen erstattet haben. Das lehnte die Krankenkasse ab. Das BSG wies die Revision als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das BSG u. a. aus: Der Führhund Sando sei als Hilfsmittel weder erforderlich noch geeignet. Das Gutachten einer fachkundigen, qualifizierten Sachverständigen zugrunde gelegt, sei der Kläger in der Lage, sein Restsehvermögen so einzusetzen, dass er sich ohne Blindenhilfsmittel fortbewegen könne. Er nehme die Hilfe des Hundes im normalen Tagesablauf so weitgehend nicht in Anspruch, dass er den Hund "verderbe", weil er sich ihm nicht im erforderlichen Umfang anvertraue und sich nur selten führen ließe; dies merke der Hund.

Befremdlich ist eine Entscheidung des SG Hamburg. Das Sozialgericht Hamburg hat mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2001 - S 23 KR 672/99 - entschieden, dass es keinen Anspruch auf Gewährung eines Blindenführhundes gäbe, wenn der Versicherte mit einem Langstock ausgestattet und ein Mobilitätstraining absolviert habe oder noch absolvieren könnte. Das SG Hamburg hat seine Ablehnung damit begründet, dass sich die an Diabetes leidende Klägerin die erforderliche Bewegung auch auf andere Weise beschaffen könne. Mit dem Grundbedürfnis der Mobilität hat es sich nicht auseinandergesetzt. Das Gericht ist in seiner Entscheidung nicht auf die Frage eingegangen, inwieweit trotz der Ausstattung mit einem Langstock und trotz Mobilitätstraining die Ausstattung mit einem Führhund erforderlich ist, denn nur wenn das eine Doppelversorgung oder Überversorgung wäre, wenn also die Erforderlichkeit verneint werden müsste, wäre eine Ablehnung zu rechtfertigen gewesen.

Weil der Blindenführhund eine weiträumige Orientierung, wie sie nur optisch möglich ist, vermittelt, weil sein Sehen an die Stelle des verloren gegangenen Sehens des Blinden tritt, ist er zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der Mobilität und der damit verbundenen Schaffung eines körperlichen Freiraumes erforderlich. Er ist deshalb keine Alternative zur Ausstattung mit einem Langstock und zum Mobilitätstraining. Aber auch für den Führhundhalter ist die Ausstattung mit einem Langstock und die Absolvierung eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings erforderlich, um beim Ausfall des Blindenführhundes auf die Befriedigung seines Grundbedürfnisses Mobilität nicht verzichten zu müssen (solche Ausfälle sind immer wieder gegeben) und um aufgrund der eigenen Mobilitätsschulung den Führhund optimal einsetzen zu können. Vgl. zu dieser Entscheidung Georg Rie-derle in: SGb 2002, S. 96 und Gutachten von Erwin Roth, erhältlich beim DBSV.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des SG Aachen vom 22. Oktober 2002 - S 13 KR 30/02 - BDH-Kurier 2003, Nr. 1/2 S. 16. Die Krankenkasse wollte in diesem Fall die Ausstattung mit einem Blindenführhund ablehnen. Sie verwies auf die Vorschrift des § 90a BGB und meinte, Tiere könnten nicht als Hilfsmittel nach dem Recht der GKV gelten, da Tiere keine Sachen seien. Sie verwies darauf, dass der Tierschutz seit Neuestem in Artikel 20a des Grundgesetzes (GG) verankert sei und deshalb auch kein Hilfsmittel im Sinn von § 33 SGB V sein könne. Außerdem hielt die Krankenkasse die Ausstattung mit einem Blindenführhund deshalb nicht für erforderlich, weil der Kläger mit einem Blindenlangstock ausgestattet worden sei und ein Orientierungs- und Mobilitätstraining erfolgreich absolviert habe.

Das SG Aachen stellt in seinem Urteil fest:

"Der Blindenführhund ist nicht nach der Rechtsverordnung gemäß § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistung der GKV ausgeschlossen. Auch ist ein Blindenführhund kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da er für die speziellen Bedürfnisse sehbehinderter Menschen gedacht und entsprechend geschult ist; er wird nur von diesem Personenkreis benutzt.

Der Hilfsmitteleigenschaft eines Blindenführhundes steht auch nicht die begriffliche Definition von Hilfsmitteln in den gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, Abs. 2 SGB V erlassenen "Hilfsmittel-Richtlinien" entgegen. Nach deren Ziffer 2 sind Hilfsmittel "sächliche" medizinische Leistungen. Soweit § 90a BGB, eingefügt durch Artikel 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im Bürgerlichen Recht vom 20.08.1990 (BGBl. I S. 1762) bestimmt, dass Tiere keine Sachen sind, begründet dies entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Ausschluss der Blindenführhunde aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Denn ebenso wie die Änderung des Artikel 20a GG durch das Gesetz vom 26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2862) dient die Vorschrift des § 90a BGB dem Tierschutz. Tiere sind, wie es § 1 Satz 1 Tierschutzgesetz ausdrückt, Mitgefährten für den Menschen. Sie sollen daher insbesondere artgerecht gehalten und nicht in Tierversuchen unnötig gequält werden. § 90a BGB beruht auf dem Gedanken, dass das Tier als Mitgeschöpf nicht der Sache gleichgestellt werden darf (Steding, JuS 96, 863). Daraus folgt aber nicht, dass deshalb der Diebstahl (§ 242 StGB) oder die Beschädigung (§ 303 StGB) von Tieren nicht mehr strafbar sein soll. Und ebenso wenig soll die Vorschrift dazu dienen, die gesetzliche Krankenversicherung von der grundsätzlichen Verpflichtung zu befreien, sehbehinderten Versicherten Blindenführhunde zur Verfügung zu stellen. § 90a Satz 2 BGB bestimmt deshalb auch ausdrücklich, dass auf Tiere die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Da insoweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Hilfsmittel-Richtlinien auch für Blindenführhunde."

Die Ausstattung mit einem Blindenführhund zusätzlich zur Ausstattung mit einem Langstock begründet das SG Aachen folgendermaßen:

"Der Kläger kann sich zwar innerhalb seiner Wohnung und in der näheren ihm bekannten Umgebung mittels des Blindenlangstocks sicher bewegen. In anderer ihm unbekannter Umgebung kann er jedoch den Langstock nicht mehr sicher einsetzen und ist ohne Blindenführhund auf die Hilfe seiner Ehefrau oder anderer Personen angewiesen."

Zur Verpflichtung der Krankenkasse, einen blinden Versicherten auch dann mit einem Blindenführhund auszustatten, wenn er mit einem Langstock ausgestattet worden ist und ein Mobilitätstraining absolviert hat, vgl. auch Urteil des SG Darmstadt Az.: S 10KR133/06 vom 23.01.2008. Ebenso Urteil des SG Düsseldorf vom 29.11.2007, Az.: S 8 KR 362/06. In diesem Urteil wird allerdings befremdlicherweise für die Anschaffung des Blindenführhundes ein Eigenanteil verlangt, weil ein Hund ein "Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" sei. Da der Blindenführhund durch seine Ausbildung zu einem Hilfsmittel für die speziellen Bedürfnisse bei der Orientierung blinder Menschen geworden ist, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden.

Das SG Aachen kommt in seinem Urteil vom 27.11.2007 - S 13 KR 84/06 - zusammenfassend zu dem Ergebnis:

"Wenn die Bedingungen für die artgerechte Unterbringung und Haltung eines Hundes - wie bei der Klägerin - gegeben sind, ist ein Blindenführhund nicht nur eine sinnvolle, sondern eine notwendige Ergänzung zum Blindenlangstock, um das Grundbedürfnis der Mobilität im Sinne der Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums zu befriedigen, auch im Sinne eines Basisausgleichs. Nur die kumulative Versorgung mit Blindenlangstock und Blindenführhund ermöglicht blinden Menschen, die sich für einen Hund entscheiden und diesen versorgen können, eine von fremder Begleitung unabhängige Orientierung und Mobilität, insbesondere eine - vom Gesetz (§ 2 Abs. 1 Satz 1 FeV) geforderte - sichere Fortbewegung im Verkehr (Riederle, SGb 2002, 96, 98; rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 29.05.2007 - S 13 KR 99/06; SG Aachen, Urteil vom 22.10.2007 - S 21 KR 32/07). Dies begründet den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Blindenführhund."

So auch das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.10.2007 - L 4 KR 5486/05.

Auch das LSG Mainz hat in seinem Urteil vom 02.10.2013 - L 5 KR 99/13 - entschieden, dass ein Blindenführhund als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung auch neben einem bereits vorhandenen Blindenlangstock zustehen kann, wenn er im konkreten Fall gegenüber dem Stock wesentliche Gebrauchsvorteile bietet. Es hat mit diesem Urteil die Berufung der Krankenkasse gegen das Urteil des SG Koblenz vom 26.02.2013 - S 13 KR 391/12 - zurückgewiesen. Das LSG verweist zur Begründung seiner Entscheidung weitgehend auf die Begründung des SG Koblenz:

"Der Blindenführhund sei ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (Hinweis auf BSG 25.02.1981 5a/5 RKn 35/78) und nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Auch sei er nicht mit einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gleichzustellen. (...) Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Anspruch der Klägerin insoweit nicht lediglich auf einen Basisausgleich beschränkt. Vielmehr sei ein möglichst weitgehender Ausgleich geschuldet, da es sich um ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich handele. Bei diesem sei nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf BSG 17.12.2009 B 3 KR 20/08 R) eine Hilfsmittelversorgung grundsätzlich mit dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs vorzunehmen. Der Blindenführhund sei unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet (Hinweis auf BSG 25.02.1981, a.a.O.). Er biete Ersatz für die durch Blindheit ausgefallene oder zumindest erschwerte Möglichkeit der Umweltkontrolle, der Orientierung sowie der auf Grund dessen eingeschränkten Möglichkeit der unbehinderten Fortbewegung. Dieser Funktionsausgleich betreffe unmittelbar die Behinderung und setze nicht erst bei den Folgen der Behinderung in bestimmten Lebensbereichen ein (Hinweis auf LSG Baden-Württemberg 10.05.2012 L 11 KR 804/11). (...) Zwar sei auch im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs der Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung beschränkt und umfasse nicht die Optimalversorgung. Daher bestehe kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet sei. Im Vergleich zwischen Blindenlangstock und Blindenführhund stünden jedoch nicht zwei funktionell gleichwertige Hilfsmittel zur Wahl. Durch den Gebrauch des Blindenlangstockes werde die Klägerin zwar in die Lage versetzt, Hindernisse durch Ertasten des Untergrundes aufzufinden. Jedoch werde sie nicht davor geschützt, mit Hindernissen zu kollidieren, die sich oberhalb des Radius des Stockes befinden. Auch ermögliche der Stock das Auffinden der Hindernisse erst zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Blinde bereits unmittelbar vor ihnen befindet. Einen Ersatz der Fähigkeit, vorausschauend auf Hindernisse zu reagieren und sie vorsorglich zu umgehen, biete der Blindenlangstock nicht. Demgegenüber ersetze der Blindenführhund indirekt die verlorengegangene Möglichkeit der optischen Fernwahrnehmung und sei in der Lage, die Hindernisse nicht nur aufzufinden, sondern den Blinden auch daran vorbeizuführen (Hinweis auf SG Aachen 22.10.2007 S 21 KR 32/07 sowie LSG Baden-Württemberg, a.a.O.)."

Zu Streitigkeiten führt immer wieder der Wunsch, einen Blindenführhund von einer bestimmten Führhundeschule, der Führhundeschule des persönlichen Vertrauens zu erhalten. Bei einem Blindenführhund spielt wegen der Interaktion zwischen dem Blinden und seinem Hund das Vertrauen eine besonders große Rolle (vgl. Riederle: Der Blindenführhund als Hilfsmittel der Krankenpflege in "Die Sozialversicherung" 1989 S. 127 ff. und Riederle, "Der Blindenführhund - ein sächliches Hilfsmittel?" SGb 1999 S. 497 ff.). Wenn die Krankenkasse mit mehreren Blindenführhundeschulen Versorgungsverträge nach § 127 SGB V hat, besteht das Wahlrecht zwischen diesen Leistungserbringern (vgl. zum Wahlrecht auch 6.3.10). Anderenfalls besteht eine solche Einschränkung nicht. Vgl. Urteil des hessischen LSG vom 04.05.2006 - L 8/14 KR 148/02 - und Urteil des SG Frankfurt vom 21.01.2002 - S 25 KR 2166/99).

Das SG Frankfurt (Main) hat in diesem Zusammenhang in seinem Urteil vom 1.2.2002 - S 25 KR 21661/99) die Krankenkasse in einem speziellen Fall verurteilt, die vollen Kosten für einen Hund aus einer ausländischen Führhundeschule zu erstatten. Der Blinde hatte zusätzlich eine Hörbehinderung, durch welche das Richtungshören beeinträchtigt war. Er benötigte einen Führhund, der in Gefahrensituationen Befehle missachtete (intelligenter Ungehorsam). Die Krankenkasse hatte mit keiner Führhundeschule einen Versorgungsvertrag. Sie konnte auch keinen Leistungserbringer nachweisen, der einen entsprechend ausgebildeten Führhund hätte zur Verfügung stellen können. Die Krankenkasse wollte trotzdem nur die Kosten in Höhe von 28.000,00 DM erstatten. Das SG Frankfurt (Main) verurteilte die Krankenkasse, auch die Differenz in Höhe von rund 8.000,00 DM zu erstatten. Wegen der fehlenden Versorgungsverträge mit Leistungserbringern und der fehlenden Qualitätskontrolle kann, wie das Gericht feststellt, der Preisunterschied zu anderen Führhundeschulen nicht zu Lasten des Führhundehalters gehen. Ebenso Urteil des SG Frankfurt vom 21.01.2002 Az.: S 25 KR 2166/99.

Zum Recht, die Ausstattung mit einem Blindenführhund von einer Führhundschule zu verlangen, mit welcher die Krankenkasse keinen Versorgungsvertrag nach § 127 SGB V abgeschlossen hat, während mit anderen Führhundschulen solche Verträge bestehen, hat das Landessozialgericht Hessen im Urteil vom 22.05.2014 - L 8 KR 308/10 - folgende Orientierungssätze aufgestellt:

  1. Die Versorgung eines blinden Versicherten mit einem Blindenführhund stellt eine Hilfsmittelversorgung i. S. des § 33 Abs. 1 SGB 5 dar.
  2. Der Versicherte hat nach § 33 Abs. 6 S. 1 und 2 SGB 5 i. V. m. § 126 SGB 5 grundsätzlich nur einen Anspruch auf Abgabe von Hilfsmitteln durch zugelassene Leistungserbringer auf der Grundlage von Versorgungsverträgen nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB 5.
  3. Ein Anspruch auf Versorgung durch einen in Bezug auf § 127 Abs. 1 und 2 SGB 5 vertragslosen Leistungserbringer besteht nach § 33 Abs. 6 SGB 5 nur bei einem berechtigten Interesse sowie bei ausdrücklichem Ausschluss der Mehrkosten.
  4. Versorgt sich der blinde Versicherte mit einem Hund aus einer Blindenführhundeschule, mit der ein Versorgungsvertrag nicht besteht, so hat er die entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen. Ein Anspruch auf aufzahlungsfreie Versorgung besteht in diesem Fall nicht. Es existiert kein Recht des Versicherten zur unbeschränkten Auswahl eines Hilfsmittelanbieters.

"Aus der oben dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass Versicherte, die einen Blindenführhund wollen, sich bei ihrer Krankenkasse erkundigen sollten, mit welchen Führhundschulen sie Versorgungsverträge nach § 127 SGB 5 abgeschlossen hat. Nur wenn aufgrund einer speziellen Situation Anforderungen an den Führhund gestellt werden müssen, denen keine dieser Schulen gerecht werden kann, während eine Führhundschule, mit der kein Versorgungsvertrag besteht, dazu in der Lage ist, besteht Aussicht, dass die Kosten für einen Blindenführhund dieser Führhundschule übernommen werden. Für die genannten Voraussetzungen hat der Blinde die Beweislast. Er muss außerdem damit rechnen, dass nicht die vollen Kosten übernommen werden, sondern nur ein Zuschuss gegeben wird, der den niedrigsten sich aus den bestehenden Versorgungsverträgen ergebenden Leistungen entspricht.

Zur Ausstattung mit einem Blindenführhund gehört eine Schulung, in welcher der Führhundehalter und der Führhund zu einem "Gespann" zusammengeführt werden. Der Einarbeitungslehrgang soll nicht unter 14 Tage und nicht über 28 Tage dauern. Am Ende des Einarbeitungslehrganges steht eine Gespannprüfung durch eine unabhängige sachverständige Kommission. Auf Wunsch des Versicherten kann eine von ihm benannte Vertrauensperson, ebenso der Ausbilder des Führhundes als Beobachter der Prüfung beiwohnen. In der Produktgruppe 99 des Hilfsmittelverzeichnisses wird hinsichtlich der Kriterien für diese Prüfungen auf die DBV-Richtlinien von 1989 verwiesen.

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6.4.2.3 Elektronische Leitgeräte

Die elektronischen Blindenleitgeräte finden sich im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V unter der Nummer 07.50.02. Elektronische Leitgeräte arbeiten mit Hilfe von Ultraschall oder Laser. Sie dienen vor allem dem Schutz des Oberkörpers. Hindernisse in diesem Bereich, die mit dem Langstock nicht erfasst werden können, werden durch Vibration oder akustisch gemeldet. Hindernisse müssen mindestens in einer Entfernung von 2,5 m erfasst werden.

Entsprechend der differenzierten Art der Erfassung der Umwelt werden drei Gruppen von Geräten charakterisiert (nach steigendem Informationsgehalt sortiert):

  1. Leitgeräte für den Körperschutz (Hindernismelder). Sie zeigen Hindernisse und evtl. deren Entfernung im erfassten Bereich an.
  2. Leitgeräte zur einfachen räumlichen Orientierung (Orientierungshilfen). Sie zeigen Hindernisse, die Entfernung und die Richtung an.
  3. Leitgeräte zur umfassenden räumlichen Orientierung (Umweltsensoren). Sie geben zusätzlich noch Informationen über die Art (Größe, Oberfläche) des Hindernisses an und können zwischen mehreren Hindernissen differenzieren. Die Geräte können in der Hand, wie eine Brille, mit einem Kopfband oder am Körper getragen werden. Ferner sind Geräte, welche am Langstock montiert werden, erhältlich.

Die Entscheidung, ob und ggf. welches Leitgerät für den Behinderten das geeignete ist, soll nach der Erprobungsphase durch den behandelnden Arzt in Zusammenarbeit mit einem Mobilitätslehrer/-trainer erfolgen. Eine Ausstattung mit Leitgeräten kommt erst nach oder in Kombination mit einer Versorgung mit einem Lang-/Taststock - einschl. Mobilitätsschulung - in Betracht.

Bei der Erstausstattung ist eine Schulung im Gebrauch des Hilfsmittels (§ 33 Abs. 1 S. 4 SGB V) durch einen O und M-Trainer notwendig. Es gelten die für die Orientierungs- und Mobilitätsschulung getroffenen Regelungen (dazu vgl. oben unter 3.2.1.2.2.2.1).

In dem oben erwähnten zwischen dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geschlossenen Vertrag sind dafür 20 Stunden vorgesehen.

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6.4.2.4 GPS-gestützte Navigationssysteme für Blinde und Sehbehinderte

Die Orientierung erfordert die Feststellung des eigenen Standorts zur Umwelt. Zur Orientierung und Mobilität gehört die Möglichkeit, vom eigenen Standort aus ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Die Erlangung eines so bestimmten körperlichen Freiraums ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Diese Orientierung können Navigationssysteme, die mit Hilfe von GPS und unter Verwendung digitalen Kartenmaterials arbeiten, ermöglichen.

Solche speziell für die Bedürfnisse blinder Menschen entwickelte Hilfsmittel sind der KaptenMobility und Trekker Breeze. Sie sagen den aktuellen Standort an, sie geben während des Gehens auch Informationen darüber, welche Querstraßen und Kreuzungen auf dem Weg sind und helfen somit bei der Orientierung. Eine Navigation zu einer bestimmten vorher per Sprache oder über eine Tastatur eingegebene Adresse ist ebenfalls möglich. Danach wird der Nutzer über die ermittelte Route "dirigiert". Markante Punkte, z. B. der Eingang zu einer Arztpraxis, lassen sich festlegen und werden beim Passieren dieser Stelle angesagt (vgl. Werner Krauße in Horus Heft 6/2004 S. 257 f).

Dieses Hilfsmittel ist noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufgeführt. Das steht aber einer Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht im Wege (vgl. BSG Urteile zum Lese-Sprech-Gerät vom 23.08.1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 - sowie Entscheidung zum Farberkennungsgerät vom 17.01.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18).

Die Frage ist, ob es sich bei diesen Navigationsgeräten um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Dann bestünde keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Es kommt darauf an, ob dieses Hilfsmittel speziell für die Benützung durch Behinderte bestimmt ist (vgl. Urteil des BSG vom 16.09.1999 - B 3 RK 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33). Navigationssysteme werden heute vielfach, so auch durch Kraftfahrer eingesetzt. Die genannten Navigationsgeräte sind aber auf die speziellen Bedürfnisse blinder Menschen ausgerichtet. Die Eingabe von Begriffen kann über Sprache oder Brailleschrift erfolgen. Das Kartenmaterial muss entsprechend aufbereitet werden. Da diese Hilfsmittel zur Befriedigung eines Grundbedürfnisses dienen, ist die Leistungspflicht der Krankenkassen zu bejahen, wenn damit die Orientierung im Nahbereich angestrebt und nicht bereits durch andere Hilfsmittel ermöglicht wird.

Das LSG Mecklenburg-Vorpommern bejaht in seinem Urteil vom 30.05.2007 - L 6 KR 4/06 - die Hilfsmitteleigenschaft für das GPS-gestützte Navigationssystem vom Typ "Victor Trekker", weil dieses durch eine Eingabetastatur für Brailleschrift und eine auf die Bedürfnisse blinder Menschen abgestimmte Software speziell auf den Gebrauch durch blinde Menschen abgestimmt sei. Deshalb handle es sich auch nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens wie bei handelsüblichen GPS-Navigationssystemen, wie sie inzwischen, insbesondere in Kraftfahrzeugen weit verbreitet sind.

Trotzdem lehnt das LSG Mecklenburg-Vorpommern in diesem Urteil die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ab, ohne das näher zu begründen. Es schließt sich offensichtlich der Begründung des in der ersten Instanz ergangenen Urteils des SG Neubrandenburg vom 24.11.2005 - S 4 KR 91/04 - an. Nach diesem Urteil sei in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Ausstattung mit dem GPS-gestützten Navigationssystem nicht erforderlich, weil es über einen Basisausgleich hinausgehe und der Kläger bereits mit einem Langstock und einem Blindenführhund ausgestattet sei, so dass er sich im Nahbereich ausreichend orientieren könne.

Die Revision gegen das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 30.05.2007 - L 6 KR 4/06 wurde vom BSG in seinem Urteil vom 25. Juni 2009 - B 3 KR 4/08 R - )SozR 4-2500 § 33 Nr. 26) als unbegründet zurückgewiesen. Das BSG hat in diesem Urteil zwar folgende Leitsätze aufgestellt:

  1. Ein GPS-System für blinde und sehbehinderte Menschen kann als Teilhabeleistung zu gewähren sein, wenn dies zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Einzelfall erforderlich ist.
  2. In der GKV besteht Anspruch auf Versorgung mit einem GPS-System, wenn sich ein blinder oder erheblich sehbehinderter Versicherter ohne diese Unterstützung im Nahbereich um die eigene Wohnung nicht zumutbar orientieren kann.

Es hat die Anspruchsvoraussetzungen im konkreten Fall aber als nicht gegeben erachtet.

Da der Kläger im vorliegenden Fall mit einem Langstock und einem Blindenführhund ausgestattet war, liegen diese im Leitsatz 2 geforderten Voraussetzungen für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse nicht vor.

Wie sich aus Leitsatz 1 ergibt, kann ein Anspruch auf Ausstattung mit einem speziellen Navigationssystem für blinde Menschen beim Vorliegen der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen nicht nur im Rahmen der medizinischen Rehabilitation, sondern auch zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bestehen, wenn sie im Einzelfall erforderlich ist. Zur Leistung verpflichtet ist dann der jeweils zuständige Leistungsträger.

Unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 25.06.2009, Aktenzeichen: B 3 KR 4/08 R Hat das SG Marburg in seinem Urteil vom 29. Mai 2013 - S 6 KR 38/12 -, juris den Anspruch eines blinden Klägers auf Ausstattung mit einem Trekker bejaht. Der Orientierungssatz lautet:

"Die Kosten zur Anschaffung eines Navigationssystem für Blinde mit GPS und Sprachausgabe als Hilfsmittel zum Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung sind jedenfalls dann von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen, wenn sich der Versicherte ohne dieses Hilfsmittel im Nahbereich um die eigene Wohnung tatsächlich nicht zumutbar orientieren kann. Allein das Vorhandensein eines Blindenlangstocks sichert dabei noch nicht die Orientierung im Nahbereich.

In diesem Urteil wird ausgeführt:

"Ziel der Versorgung mit einem GPS-System ist die Milderung von Folgen des Ausfalls oder der wesentlichen Beeinträchtigung des Sehvermögens und damit der Ausgleich mittelbarer Behinderungsfolgen. Hierfür hat die GKV nach den dargelegten Maßstäben nur aufzukommen, soweit es der Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse dient. Das beurteilt sich bei Mobilitätseinschränkungen infolge von Blindheit oder Sehbehinderung nicht anders als bei Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates; in beiden Fällen erstreckt sich die Ausgleichsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von dem Grund der Beeinträchtigung räumlich nur auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht, und dem Gegenstand nach auf diejenigen Mittel, die für diesen Nachteilsausgleich funktionell erforderlich sind.

Hiervon ausgehend besteht Anspruch auf Versorgung mit einem GPS-System für blinde und sehbehinderte Menschen durch die GKV, wenn sich der Versicherte nach den Umständen des Einzelfalls ohne diese Unterstützung im Nahbereich um die eigene Wohnung nicht zumutbar orientieren kann und das GPS-System deshalb einen wesentlichen Gebrauchsvorteil im dargelegten Sinne bietet. Das ist nicht der Fall, wenn dem Versicherten die Orientierung im Umfeld um die Wohnung trotz Blindheit oder Sehbehinderung aus eigenem Vermögen oder mit anderen Hilfsmitteln - insbesondere einem Blindenführhund - vertraut ist und Orientierungsdefizite insoweit nicht bestehen (BSG, Urteil vom 25.06.2009, Aktenzeichen: B 3 KR 4/08 R).

Der Kläger verfügt ausschließlich zu seiner Orientierung über Blindenlangstöcke und kann gerade nicht auf die Fähigkeiten eines Blindenführhundes zu seiner Orientierung zurückgreifen. Im Übrigen geht das Gericht davon aus, dass eine Orientierung in dem vom BSG definierten Nahbereich - nämlich dem Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zu erreichen vermag - nur mit der Hilfe von Blindenlangstöcken nur höchst eingeschränkt, nämlich ausschließlich auf geübten und bekannten Wegen, möglich ist. Der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es im Sinne des mittelbaren Behinderungsausgleichs auch gewährleistet sein muss, dass im Wohnungsumfeld Wege unternommen werden können, um so einen körperlichen und geistigen Freiraum zu erschließen. Dabei gehört es auch zur Erschließung dieses Freiraums, nicht auf einige wenige bekannte Wege im Sinne einer körperlichen Betätigung verwiesen zu werden, sondern im Sinne der Erschließung eines geistigen Freiraums, auch die Möglichkeit zu haben, sich bisher unbekannte Wege, Lokalitäten, Geschäfte etc. im Nahbereich zu erschließen, was für jeden Sehenden eine Selbstverständlichkeit ist. Bei weitem geht es dabei nicht darum, ein Gleichziehen mit den Möglichkeiten eines Sehenden zu erreichen, sondern auch um die absolute Basisversorgung."

Blinde Benutzer von Smartphones und Tablets können mit Hilfe von Apps zur Navigation ihren Standort ermitteln und beim Zurücklegen von Wegen Informationen z.B. über Querstraßen erhalten. Bei Smartphones und Tablets handelt es sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Für die Ausstattung mit diesen Geräten besteht deshalb kein Anspruch gegenüber der Krankenkasse. Ein Anspruch wäre allenfalls für die Ausstattung mit speziell für Blinde konzipierte Apps zur Navigation denkbar.

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6.4.2.5 Tandem

Blinde und hochgradig Sehbehinderte können nur mit einem Tandem radfahren. Die Frage ist deshalb, ob es sich um ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V handelt und ob es der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient.

Ein Tandem ist nicht für den speziellen Bedarf Behinderter bestimmt. Es handelt sich deshalb um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Anders ist es bei einem "Therapietandem". Bei diesem handelt es sich um eine Spezialanfertigung für Behinderte, denen erst dadurch das Tandemfahren unter der Obhut einer Begleitperson ermöglicht wird (Urteil des BSG vom 16. September 1999 - B 3 KR 9/98 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 32.). Wenn nur Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung vorliegt, kann ein übliches Tandem benützt werden, so dass die Leistungspflicht der Krankenkasse schon wegen des Fehlens der Hilfsmitteleigenschaft des Tandems und wegen der nicht vorhandenen Erforderlichkeit eines Therapietandems ausscheidet. Sind jedoch zusätzliche Behinderungen wie z. B. spastische Lähmungen oder eine geistige Behinderung vorhanden und ist deshalb ein Therapietandem notwendig, kommt die Leistungspflicht unter den sehr engen durch die Rechtsprechung aufgestellten Kriterien in Frage. Dass Therapietandems nicht im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufgeführt sind, steht der Hilfsmitteleigenschaft nicht entgegen.

Für die Leistungspflicht der Krankenkassen ist es erforderlich, dass das Therapietandem notwendig ist, um eine Behinderung auszugleichen (vgl. Urteil des BSG vom 16. September 1999 - B 3 KR 9/98 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 32 sowie vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 3/02 R - Dreirad - zur Veröffentlichung vorgesehen - und vom 21. November 2002 - B 3 KR 8/02 R - nicht veröffentlicht). Einschränkend ist jedoch zu beachten: Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinaus gehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung liegt daher nur dann vor, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (BSG Urteil vom 26. März 2003, Az.: B 3 KR 26/02 R = SozR 4-2500 § 33 Nr. 2). Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. die oben genannten Urteile) gehört zu den Grundbedürfnissen auch das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Das hier in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die Rechtsprechung nur im Sinn eines Basisausgleichs der Behinderung und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. Es hat dabei die Grenzen sehr eng gezogen. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 8. Juni 1994 (3/1 RK 13/93 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 7 - Rollstuhlboy -) zwar die Bewegungsfreiheit als Grundbedürfnis bejaht, aber dabei auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Später (Urteil vom 16. September 1999, B 3 KR 8/98 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 31) hat der Senat das auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind bisher immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden: So hat der dritte Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 16. April 1998 (B 3 KR 9/97 R - Rollstuhl-Bike für Jugendliche - SozR 3-2500 § 33 Nr. 27) zwar diejenigen Entfernungen als Maßstab genommen, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt; das Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser - rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Klägers in seiner jugendlichen Entwicklungsphase zugesprochen worden (vgl. dazu neuerdings auch Urteil des BSG vom 23. Juli 2002, B 3 KR 3/02 R - Dreirad - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ein Anspruch auf Ausstattung mit einem Therapietandem gehört nach der Rechtsprechung des BSG dann nicht zur Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn die Fortbewegung in dem durch die Rechtsprechung gezogenen engen Rahmen z. B. durch die Fortbewegung zu Fuß oder mit Hilfe eines Rollstuhls möglich ist. Radfahren gehört einschließlich der damit verbundenen Empfindungen, wie Bewegung und Raumwahrnehmung, nicht zu den Grundbedürfnissen im Sinn von § 33 SGB V. (vgl. BSG Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R Reg.Nr 25966 (BSG-Intern) und BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32). In dem Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R wird die Versorgung mit einem Therapietandem sogar in einem Fall abgelehnt, in welchem ein mehrfach behindertes Kind nur 100 m gehen konnte, weil es Strecken im Nahbereich im Rollstuhl geschoben werden konnte und der Behinderungsausgleich z. B. durch Gymnastik ebenso gut möglich sei. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat eine Versorgung mit einem Therapietandem nur in zwei Fällen zugesprochen, in denen jeweils eine ganz außergewöhnliche Bewegungseinschränkung vorlag und in der konkreten Familiensituation den gemeinsamen Fahrradausflügen eine große Bedeutung zukam (vgl. BSG vom 29.9.1997 - 8 RKn 27/96 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 25 und vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).

Vgl. zuletzt Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11.11.2008 - L 11 KR 1952/08 - mit eingehender Darstellung der Rechtsprechung.

Zusammenfassend ist festzustellen: Nur wenn infolge der außergewöhnlichen Behinderung ein Therapietandem notwendig ist und der räumliche Nahbereich nicht ebenso gut zu Fuß oder mit Hilfe eines Rollstuhls bewältigt werden kann oder die spezielle familiäre Situation nur auf diese Weise die Mitnahme des behinderten Kindes auf Fahrradausflügen ermöglicht, ist nach dieser sehr engen Rechtsprechung der Anspruch auf Ausstattung mit einem Therapietandem durch die Krankenkasse gegeben. In diesem Fall sind als Eigenanteil die Anschaffungskosten für ein handelsübliches Fahrrad selbst zu tragen (vgl. Urteil des BSG vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).

Auf die Ausstattung mit einem Blindenlangstock oder einem Blindenführhund kann diese enge Rechtsprechung nicht übertragen werden; denn die Fortbewegung erfolgt mit diesen Hilfsmitteln stets in dem zu Fuß zu bewältigenden Umfeld. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Wegstrecken von der Wohnung aus oder z. B. von einer Urlaubsunterkunft aus zurückgelegt werden sollen.

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6.4.3 Hilfsmittel zur Information

Da der größte Teil aller Informationen optisch aufgenommen wird, ist in einer optisch geprägten Welt die Beeinträchtigung auf diesem Gebiet eine besonders schmerzliche Auswirkung der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung. Blindheit kann geradezu als Informationsbehinderung bezeichnet werden. Hilfsmittel, die diese Auswirkung der Behinderung ausgleichen, sind deshalb für blinde oder hochgradig Sehbehinderte Menschen von besonderer Bedeutung.

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6.4.3.1 Lese-Sprech-Geräte

Lese-Sprech-Geräte sind auf die speziellen Bedürfnisse Blinder zur Informationsgewinnung ausgerichtet. Sie werden von Nichtbehinderten nicht verwendet. Es handelt sich um Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V werden sie als "Geräte zur Schriftumwandlung" (Lesegeräte) bezeichnet.

Zur Ausstattung mit Lese-Sprech-Geräten ergingen drei grundsätzliche Urteile des BSG, vom 23.8.1995 (3 RK 6/95, 3 RK 7/95 und 3 RK 8/95, veröffentlicht: 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 = SGb 1996 S. 547, Anm. SchulIn/Karuth, S. 552; Besprechung Demmel S. 532, auch Behindertenrecht 1996 S. 129).

Bei den Lese-Sprech-Geräten gibt es zwei Versionen, nämlich geschlossene und offene Systeme.

Die geschlossenen Systeme sind im Hilfsmittelverzeichnis unter der Nr. 07.99.01 aufgeführt. Geschlossene Systeme bestehen aus einem Scanner als Eingabeeinheit, einem mit einer Texterkennung ausgestatteten Prozessor und einer Sprachausgabe zum Vorlesen der eingescannten Texte. Sie werden über eine Tastatur mit wenigen Funktionstasten bedient und können nur zum Lesen benützt werden.

Die offenen Lesesysteme haben im Hilfsmittelverzeichnis die Nr. 07.99.02. Ein offenes Lesesystem besteht aus einem Personalcomputer, der mit Hilfe eines Scanners, eines Texterkennungssystems und einer Sprachausgabe einerseits als Lese-Sprech-Gerät dient, aber auch zusätzlich als Personalcomputer, z. B. zur Textverarbeitung, zum Aufbau und Betreiben einer Datenbank, zum Betrieb eines CD-ROM-Laufwerks u. ä benutzt werden kann. Mit einem solchen Gerät ist auch das Internet nutzbar. Das Gerät bietet daher neben der Funktion als Hilfsmittel die üblichen Vorteile eines normalen Computers.

Bei der Information handelt es sich um ein Grundbedürfnis, nämlich der "Gewinnung eines geistigen Freiraums (vgl. die oben zitierten Urteile des BSG zum Lese-Sprech-Gerät vom 23.8.1995 insbesondere 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Diesem Grundbedürfnis kommt in unserer Informationsgesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Es kommt nicht darauf an, auf welchem Gebiet das Informationsbedürfnis besteht. Deshalb ist auch der Informationsbedarf, soweit er auf den beruflichen oder ehrenamtlichen Bereich entfällt, nicht ausgeschlossen. Das BSG stellt zum Lesebedarf fest: "Der Informationsbedarf eines Blinden rechtfertigt die Versorgung mit einem Lese-Sprech-Gerät nicht nur in wenigen Ausnahmefällen eines außerordentlich hohen Lesebedarfs, (...)" (BSG vom 23. 8. 1995 - 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Wenn das BSG in diesem Zusammenhang feststellt: "Es genügt, dass ein Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung vorliegt", bedeutet das keine qualitative Einschränkung auf diesen Bereich, abgesehen davon, dass jemand, der Informationsbedarf auf gehobener Ebene hat, auch einen Informationsbedarf im Bereich einer "normalen Lebensführung" haben wird. Das BSG stellt selbst fest: "Die Erforderlichkeit der jeweiligen Information nach ihrem Inhalt zu bestimmen, wäre mit dem in Art 5 Grundgesetz (GG) geschützten Grundwert unvereinbar." (Urteil vom 23. 8. 1995 - 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16).

Auf das Vorlesen durch Angehörige oder andere Hilfspersonen kann der blinde Versicherte schon wegen des Umfangs der erforderlichen Hilfeleistung nicht verwiesen werden (vgl. dazu im einzelnen BSG Urteil vom 23.8.1995 - 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16).

Infolge des Sachleistungsprinzips bleibt es der Krankenkasse überlassen, ob sie das Hilfsmittel dem Blinden übereignet oder nur leihweise zur Verfügung stellt. Die Kosten für ein geschlossenes System fallen in vollem Umfang der Krankenkasse zur Last.

Bei einem offenen System hingegen sind die Kosten aufzuteilen. Auf die Krankenkasse entfallen die Kosten, soweit sie auf der Hilfsmittelfunktion als Lese-Sprech-Gerät beruhen. Auf den Blinden oder Sehbehinderten entfallen als Eigenanteil die Kosten, soweit ihm das Gerät als Computer zur Verfügung steht, mithin in Höhe der normalen Aufwendungen für einen handelsüblichen Computer, weil es sich bei diesem um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (Urteile des BSG vom 23. 8. 1995 (3 RK 6/95, 3 RK 7/95 und 3 RK 8/95, veröffentlich: 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Die Kosten für Zusatzgeräte, die allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind, muss ebenfalls der Versicherte tragen. Solche Zusatzgeräte sind z.B. Scanner und CD-Laufwerke. Diese Auffassung wurde vom Bundessozialgericht in seinen Urteilen vom 06.02.1997 - 3 RK 1/96 und 3 RK 9/96 (behindertengerechte Ausstattung eines PCs auf Kosten der Krankenkasse für mehrfach behinderte Schüler) und vom 16.04.1998 - B 3 KR 6/97 R (Braillezeilenurteil) bestätigt. Zu offenen Systemen insbesondere hinsichtlich der Ausstattung mit einem Screenreader vgl. insbesondere unten 3.2.1.2.2.3.3.

Wenn ein offenes System leihweise zur Verfügung gestellt wird, sind die für den Computer entstehenden Kosten vom Blinden in der Form einer Nutzungsentschädigung für die Dauer des Gebrauchs zu tragen (vgl. Urteil des BSG vom 23. 8. 1995 - 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16).

Bei der Entscheidung, welches Lesegerät gewünscht wird und ob die Ausstattung mit einem geschlossenen oder einem offenen System erfolgen soll, ist das Wahlrecht des Versicherten zu berücksichtigen (§§ 9 SGB IX und 33 SGB I; Urteil des BSG vom 03.11.1999 - B 3 KR 16/99 R und vom 23. Januar 2003 - B 3 KR 7/02 R = SozR 4-2500 § 33 Nr. 1.) Der entsprechende Wunsch sollte schon bei der Beantragung geäußert werden. Sinnvoll ist es, sich bei der Krankenkasse zu informieren, mit welchen Leistungserbringern ein Vertrag besteht. Vgl. zum Wahlrecht auch oben unter 3.2.1.2.1.10 "Wahlrecht des Versicherten".

Zum Gebot der Wirtschaftlichkeit (§ 12 SGB V) müssen Kosten und Nutzen zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen. Als Ergebnis der im Einzelfall erforderlichen Kosten-Nutzen-Prüfung verlangt das BSG eine "begründ-bare Relation zwischen Kosten und Gebrauchvorteil des Hilfsmittels" (Urteil vom 23.8.1995 - 3 RK 7/95: SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Für Lese-Sprech-Geräte hat es unter den gegebenen Verhältnissen des Einzelfalles den zeitlichen Umfang einer Nutzung des Gerätes von durchschnittlich mindestens 5 Stunden in der Woche (als sog. "gegriffene Größe" bei einem Preis von damals 4.000,00 bis 5.000,00 DM) für angemessen gehalten.

Für ein Kind gehört es zur normalen Lebensführung, im Rahmen der bestehenden, allgemeinen Schulpflicht die Schule zu besuchen und am Unterricht teilzunehmen. Bei Versicherten im schulpflichtigen Alter können deshalb ohne weitere Prüfungen starke Lesegewohnheiten auch in der häuslichen Umgebung unterstellt werden.

Zur Ausstattung mit einem Hilfsmittel gehört auch die Schulung im Gebrauch (§ 33 Abs. 2 SGB V). Sie darf bei so komplexen Hilfsmitteln, wie sie Lese-Sprech-Geräte darstellen, nicht vernachlässigt werden.

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6.4.3.2 Braillezeilen

Bei der Braillezeile handelt es sich um ein Display, das an ein Lese-Sprech-Gerät (s. o.) oder an einen Computer angeschlossen werden kann. Der im Lese-Sprech-Gerät oder Computer gespeicherte Text wird mit Hilfe eines Umsetzungsprogramms in Brailleschrift ausgegeben. Die Braillezeile verfügt für die Textausgabe über 40 oder 80 Stellen, so dass 40 bzw. 80 Zeichen gleichzeitig dargestellt werden können. Die Braillezeile ist speziell für den Gebrauch durch blinde Menschen konzipiert. Es handelt sich deshalb nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Behinderung wird durch die Braillezeile im Bereich der Information ausgeglichen. Es handelt sich somit um ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V (Urteil des BSG vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26).

Die Braillezeile findet sich im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V unter der Produktnummer 07.99.02. Im Hilfsmittelverzeichnis wird zur Ausstattung mit einer Braillezeile festgestellt:

"I.d.R. werden Geräte mit Sprachausgabe abgegeben, eine Erweiterung um eine zusätzliche Braillezeile ist nur bei besonderen, nachgewiesenen Leseanforderungen begründet. (...) Eine Versorgung kommt in Betracht, wenn ein erweitertes Informationsbedürfnis oder neben der Erblindung bzw. der hochgradigen Sehbehinderung eine Schwerhörigkeit vorliegt."

Für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen kommt es jedoch darauf an, ob sie für die Befriedigung eines Grundbedürfnisses erforderlich sind.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 den Anspruch auf Ausstattung mit einer Braillezeile zusätzlich zu einem Lese-Sprech-Gerät damit begründet, dass mit Hilfe dieser Ausstattung Blinde in der Lage sind, alltägliche Schriftstücke, wie Zeitungen, Kontoauszüge, Rechnungen o. dergl. ohne fremde Hilfe zu lesen. Sie dient der Befriedigung des Grundbedürfnisses auf "(umfassende) Information" und damit der Schaffung eines geistigen Freiraums. Das BSG vertritt in der Entscheidung vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 zurecht die Auffassung, dass das allein mit dem Lese-Sprech-Gerät nicht "im ausreichenden Maße" möglich sei. In der Begründung heißt es wörtlich:

"(Es) ist daran festzuhalten, dass das Grundbedürfnis auf Information in engem Zusammenhang mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einschließlich der Schaffung eines eigenen geistigen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben steht. Die Information ist für Persönlichkeitsentfaltung und Allgemeinbildung von elementarer Bedeutung. Informationsbedarf und -möglichkeiten nehmen in der modernen Gesellschaft ständig und in steigendem Maße zu, wobei immer wieder neue qualitative Stufen erreicht werden (Beispiel: Internet). Diesem Informationsbedürfnis ist in einem umfassenden Sinne Rechnung zu tragen, so dass die bloße Verweisung eines Blinden auf Rundfunk und Audiotheken nicht zulässig ist. Auch die Information im persönlichen Lebensbereich auf einfachster Stufe gehört zu einem selbstbestimmten Leben. Von daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger mit der Braillezeile auch weitergehende Informationen qualifizierter Art erreichen will, wie etwa die Erschließung von Fachliteratur oder von Belletristik im Allgemeinen, und ob ihm dies bereits mit der Lese-Sprech-Einrichtung, wenn auch teilweise mit Schwierigkeiten, ermöglicht wird. Denn es geht auch um schlichte Zeitungslektüre und die Kenntnisnahme von Telefonnummern, Telefonrechnungen, Arzneibeipackzetteln, Formularen usw., die mit der bereits vorhandenen Ausstattung praktisch nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand, wohl aber durch die Braille-Zeile möglich ist."

Diese Begründung darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, als käme es nur auf "die Information im persönlichen Lebensbereich auf einfachster Stufe" an. Dagegen spricht schon die Verwendung des Wortes "auch" in der Begründung des BSG und vor allem die Bedeutung der Information in einer Informationsgesellschaft. Da sich in den vergangenen Jahren der Einsatz von Computern im privaten Gebrauch und die damit verbundene Kommunikation über E-Mail und mit Hilfe des Internets durchgesetzt hat, erstrecken sich die Grundbedürfnisse auch auf diesen Bereich, von dem Blinde und hochgradig Sehbehinderte nicht ausgeschlossen werden dürfen. "Ganz allgemein" gehört es zu den Grundbedürfnissen, sich einen geistigen Freiraum zu schaffen; als Ziel der Versorgung mit elektronischen Hilfsmitteln hat das BSG ausdrücklich "die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einbezogen" (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1 und Nr. 16).

Aus dem Gebot der Wirtschaftlichkeit kann in aller Regel nur eine 40-stellige Braillezeile (Halbzeile) und nicht eine 80-stellige Braillezeile (Vollzeile) beansprucht werden. Nur im Zusammenhang mit dieser Einschränkung, die gewisse Unbequemlichkeiten zur Folge hat, ist die Feststellung des BSG (Urteil vom 16.4.1998 - B 3 Kr 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26) zu verstehen, wenn es in der Begründung heißt: "Das Anerkennen eines Grundbedürfnisses auf umfassende Information bedeutet keine vollständig mit den Möglichkeiten des Gesunden gleichziehende Information des blinden Versicherten; (...)". Das ergibt sich eindeutig aus dem Textzusammenhang.

Zu großer Verunsicherung hat das Urteil des BSG zur Braillezeile vom 21. November 2002 - Az.: B 3 KR 4/02 R = Reg.Nr. 25997 (BSG-Intern) geführt.

In diesem Rechtsstreit begehrte ein Spätaussiedler aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in Ergänzung zu seinem PC bzw. Lese-Sprech-Gerät eine Braillezeile. Er begründete das mit dem Wunsch, die deutsche Sprache in Wort und Schrift, insbesondere auch in der Orthographie, besser zu erlernen. Darin sah er neben seinem allgemeinen Informationsbedarf ein Grundbedürfnis, zu dessen Befriedigung nicht der Sozialhilfeträger im Wege der Eingliederungshilfe, sondern die Krankenkasse zuständig sei.

Das BSG hob auf die Revision des Klägers hin das negative Urteil des LSG für das Saarland vom 21. November 2001 - L 2 KR 8/01 - auf und wies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG für das Saarland zurück.

Zum Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift hält das BSG die Braillezeile nicht für erforderlich. Es lässt dabei offen, ob die "hinreichende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift, insbesondere die Rechtschreibung, bei Erwachsenen generell und bei erwachsenen Spätaussiedlern im Besonderen" ein Grundbedürfnis ist. Die Braillezeile ist dafür schon deshalb nicht notwendig, weil es zum Erlernen der deutschen Sprache ausreichend Schul- und Lesebücher in Brailleschrift gibt.

Das BSG nimmt sodann ausdrücklich auf sein Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 - Bezug. Es stellt jedoch fest, dass sich diese Entscheidung auf den technischen Stand der Lese-Sprech-Geräte Mitte der 90er Jahre bezogen habe. An dieser Entscheidung hält das BSG grundsätzlich fest. Hiernach könnte - wie das BSG feststellt - "ein Versorgungsanspruch nur dann abgelehnt werden, wenn (1.) ein im Umgang mit einem PC vertrauter Versicherter Schriftstücke und Texte der genannten Art (Zeitungen, Arzneibeipackzettel, Kontoauszüge oder Telefonbücher) aufgrund seiner persönlichen Lebenseinstellung und Bedürfnisse nicht oder nur in sehr geringem Umfang "lesen" möchte oder wenn (2.) aufgrund des zwischenzeitlich eingetretenen technischen Fortschritts die heutzutage auf dem Markt befindlichen Lese-Sprech-Geräte, insbesondere das dem Kläger zur Verfügung gestellte Gerät, so ausgereift und technisch vervollkommnet sind, dass die Mitte der 90er Jahre noch zu verzeichnenden Schwächen ganz oder nahezu vollständig beseitigt worden und dadurch Braillezeilen insoweit überflüssig geworden sind." Besonders sei zu prüfen, ob zur Zeitungslektüre als dem Schwerpunkt der täglichen Information nach wie vor fremde Hilfe notwendig sei. Dazu müsse das LSG noch die notwendigen Feststellungen treffen.

Nach diesem Urteil des BSG sind widersprüchliche Entscheidungen ergangen:

Das SG Leipzig hat mit Urteil vom 22. April 2004 Az.: S 13 KR 92/01, das inzwischen rechtskräftig ist, trotz des technischen Fortschritts im Vergleich zu den Lese-Sprech-Geräten, deren Standard der Entscheidung des BSG vom 16.04.1998 zugrunde gelegen hat, den Anspruch auf die ergänzende Ausstattung eines Lese-Sprech-Gerätes mit einer Braillezeile anerkannt. Es hat seine Entscheidung vor allem damit begründet, dass mit Hilfe einer Braillezeile bei mehrspaltigen Texten in Zeitschriften die zusammengehörenden Spalten viel zielgerichteter aufgefunden werden können. Der Aufwand, mit einer Sprachausgabe Magazine zu lesen, die aus ein- und mehrspaltigem Text bestehen und sich über mehrere Seiten erstrecken, sei unzumutbar. Außerdem können Tabellen, wie sie vor allem in Rechnungen und Kontoauszügen vorkommen, leichter erfasst werden.

Demgegenüber hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 26.8.2004 - L 5 KR 59/04 - und vom 3. März 2005 - L 5 KR 117/04 - den Anspruch auf Ausstattung mit einer Braillezeile abgelehnt. Die Revision wurde in beiden Urteilen nicht zugelassen. In den Verfahren ging es allein um die Ergänzung eines geschlossenen Lese-Sprech-Gerätes durch eine Braillezeile. Das Gericht sah deshalb in der Erweiterung des Systems durch eine Braillezeile keine Verbesserung der Informationsmöglichkeit. Das Gericht nimmt auf die beiden Urteile des BSG zur Braillezeile vom 18.4.1998 und vom 21.11.2003 Bezug. Das Gericht ist der Auffassung, dass Texte, soweit sie beim Einscannen nicht einwandfrei umgesetzt wurden, mit Hilfe der Braillezeile nicht besser erkannt werden könnten als mit Hilfe der Sprachausgabe. Den Einwand der Kläger, dass sie über die Braillezeile gelesenen Text besser erfassen können als nur gehörten Text, lässt das Gericht nicht gelten. Es ist der Auffassung, dass das eine Frage der Gewohnheit sei.

Demgegenüber hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen mit rechtskräftigem Urteil vom 24.11.2005 - L 2 KN 12/05 KR - den Anspruch des Klägers auf Ausstattung mit einer Braillezeile anerkannt und die Berufung der Krankenkasse gegen das positive Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.06.2003 zurückgewiesen.

Das LSG stützt seine Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen Werner Krauße, Fachberater und Trainer für Informations- und Kommunikationssystem für Blinde und stark Sehbehinderte aus Metten vom 10.12.2004 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 12.02.2005. Der Senat geht davon aus, dass der Klägerin erst mit der Braillezeile die schlichte Zeitungslektüre sowie die Kenntnisnahme tabellarischer Aufstellungen, so z. B. Telefonbücher, Telefonrechnungen, Arzneibeipackzettel und Formulare, ermöglicht wird und die bereits vorhandene Ausstattung der Klägerin (ein Lese-Sprech-Gerät) dies praktisch nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand zulässt.

Weiter ist auf ein positives Urteil des SG Frankfurt vom 19.6.2006 - S 30 KR 2748/04 zu verweisen. In diesem Urteil wird auf das Grundbedürfnis des "aktiven Lesens" hingewiesen. Bemerkenswert ist, dass sich diese Entscheidung auf den Wert der selbst gelesenen (und nicht nur vorgelesenen) Schriftinformation konzentriert und nicht auf den technischen Fortschritt abstellt.

Über die Möglichkeit, mit Hilfe einer Braillezeile als Erweiterung zum eigenen PC im Internet surfen zu können, wurde zu Gunsten des Antragstellers entschieden. (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 16.02.2005, Az.: L 1 KR 18/03)

Als Ergebnis ist festzuhalten:

Die Frage, ob zusätzlich zu einem Lese-Sprech-Gerät eine Braillezeile erforderlich ist, muss in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden.

Es ist zwar richtig, dass die Texterkennung gegenüber dem technischen Stand der 90er-Jahre wesentliche Fortschritte gemacht hat. Das ändert aber nichts daran, dass sich Text durch aktives Lesen (mit Hilfe der Braillezeile) besser erfassen lässt als durch Hören. Eigennamen, Fremdwörter, insbesondere aus mehreren Fremdwörtern bestehende Passagen bzw. fremdsprachliche Passagen, wie sie in Zeitschriften und Zeitungen häufig vorkommen, lassen sich mit Hilfe der Braillezeile nachlesen. Es ist unzumutbar, sich solche Passagen beim Hören vollkommen buchstabieren zu lassen. Tabellen, Kontoauszüge und Rechnungen können rein über das Gehör nur schwer erfasst werden. Das Gedächtnis des Hörers wird überfordert, wenn er sich Zahlen und ihre Zuordnung in Tabellen merken soll. Die Struktur eines Schriftstückes, z. B. Überschriften, Einrückungen, Hervorhebungen, lassen sich über eine Braillezeile räumlich erfassen. Auch die für die Interpretation eines Textes wichtige Interpunktion kann nur über Sprachausgabe häufig nicht ausreichend erfasst werden. Insbesondere Anführungszeichen, Klammern und Gedankenstriche sind für die Textinterpretation wichtig. Es wäre aber sehr störend, wenn die Interpunktion bei der akustischen Wiedergabe mitgelesen würde. Das LSG Rheinland-Pfalz stellt in seinen Urteilen fest, dass mangelhaft erkannter Text gleichermaßen über Sprache wie über die Braillezeile fehlerhaft wiedergegeben wird. Das ist zwar richtig. Der daraus gezogene Schluss, dass die Braillezeile hier zu keiner besseren Information führe, ist aber falsch; denn die Erfahrung zeigt, dass leicht verstümmelter Text beim Lesen mit Hilfe einer Braillezeile leichter ergänzt und somit richtig erkannt wird als über das Hören. Der erfahrene Leser weiß z. B., dass der Buchstabe n bei schlechten Vorlagen auf der Braillezeile mit "rr" wiedergegeben wird. Z. B. wird das Wort "Landkarte" als "larrdkarte" ausgegeben. Die taktile Erkennung ist hier viel leichter möglich als die akustische.

Sowohl am Urteil des BSG vom 21.11.2002 - B 3 RK 4/02 - als auch an den Urteilen des LSG Rheinland-Pfalz vom 26.8.2004 - L 5 KR - 59/04 - und vom 3. März 2005 ist zu bemängeln, dass einseitig auf die Funktion des Lese-Sprech-Gerätes und nicht auf die Erfassungsmöglichkeiten des Textes durch den Benutzer abgestellt wird. Die physischen und psychischen Grenzen, die auf Seiten des Benutzers für die Texterfassung gegeben sind, dürfen nicht übersehen werden.

Bei der Beurteilung, ob eine Braillezeile notwendig ist, müssen ferner auch gesundheitliche Gegebenheiten, wie Hörbeeinträchtigungen berücksichtigt werden.

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6.4.3.3 Ausstattung eines PC mit einem Screenreader oder einer Vergrößerungssoftware

Die Nutzung des Internets zur Informationsbeschaffung und zur Kommunikation gehört in der heutigen "Informationsgesellschaft" zum Alltagsleben. Es handelt sich um ein Grundbedürfnis, der Erschließung eines gewissen geistigen Freiraums. Blinde und sehbehinderte PC-Benützer benötigen eine speziell auf ihre Bedürfnisse abgestellte Software, um selbständig diese Möglichkeiten wahrnehmen zu können.

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6.4.3.3.1 Screenreader

Damit Blinde mit einem PC das Internet benützen können, muss eine spezielle Software, ein so genannter Screenreader, installiert werden. Screenreader sind Windows-Anpassungen für Blinde und Sehbehinderte. Screenreader nennt man die zentrale Steuerungssoftware in Hilfsmittelsystemen, die blinden Personen den Zugang zu Computern mit grafischer Bedienoberfläche, speziell MS Windows, ermöglicht. Der Screenreader liest den Bildschirminhalt und gibt das jeweils Wichtigste über Braillezeile und Sprachausgabe an den blinden Nutzer aus. Auch andere Ausgabemedien, z.B. Großbildsysteme für sehbehinderte Computernutzer, können eingebunden werden.

Die Screenreader-Software JAWS ist im GKV-Hilfsmittelverzeichnis unter den Positionsnummern 07.99.03.2001 (JAWS Standard für Windows, Version 5.1, Art.-Nr. 028) und 07.99.03.2001 (JAWS Professional für Windows XP, Version 5.1, Art.-Nr. 033) eingetragen.

Zur Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen zur Ausstattung eines blinden PC-benutzers mit einem Screenreader für den Alltagsbereich vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. August 2010 - L 11 KR 3089/09 - (juris). Das LSG führt aus:

"Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.A. die Versorgung mit Hilfsmitteln. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen bzw. Erforderlichen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen.

Die Screenreader-Software ist weder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen noch ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Als allgemeiner Gegenstand des täglichen Lebens wird ein Gegenstand bezeichnet, der üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt wird (BSG, Urteil vom 3. November 1993, 1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33 Nr. 5 mwN). Ein Gegenstand, der in erster Linie für den Gebrauch durch Kranke oder Behinderte konzipiert ist und folglich von diesem Personenkreis in Anspruch genommen wird, wird jedoch erst dann zum Gegenstand des täglichen Lebens, wenn er auch von Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt wird (BSG, Urteil vom 16. April 1998, B 3 KR 9/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 27 mwN). Die Screenreader-Software wird weder üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt noch wird sie von Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt, so dass es sich um keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.(...)

Die Screenreader-Software ermöglicht dem Kläger die Nutzung des Computers, indem das Sehen des Bildschirminhalts durch das Hören ersetzt wird. Damit wird die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht vollständig bzw. ausreichend ersetzt, sondern das Hilfsmittel wird nur benötigt, um Folgen der Behinderung in einem Teilbereich auszugleichen. Somit ist die Beklagte, worauf sie selbst zu Recht hingewiesen hat, zunächst nur zu einem Basisausgleich verpflichtet.

Im Hinblick auf das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen geistigen Freiraums" ist dieses Grundbedürfnis jedoch nicht nur in einem eingeschränkten Sinn auszugleichen, sondern insbesondere dem Informationsbedürfnis ist in einem umfassenden Sinn Rechnung zu tragen (BSG, Urteil vom 23.8.1995, 3 RK 7/95, SozR 3-2500 § 33 Nr. 16); der Informations- bedarf und die Informationsmöglichkeiten in der modernen Gesellschaft, die ständig und in steigendem Maße zunehmen, sind zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16.4.1998, B 3 KR 6/97 R, aaO unter ausdrücklichem Hinweis auf die Nutzung des Internets). Zur Überzeugung des Senats tritt der Kommunikations- und Informationsbedarf über das Internet und den Computer im Allgemeinen mittlerweile im Rahmen einer normalen Lebensführung auf und betrifft daher ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Bezüglich des Informationsbedarfes können über das Internet unter anderem Recherchen betrieben werden. Das Lesen einer Online-Zeitung oder der regionalen oder überörtlichen Zeitung stellt dabei nur einen Teilbereich der Möglichkeiten dar. Darüber hinaus können Informationen aus vielen anderen Bereichen, zum Beispiel rund um notwendige Behördengänge, beschafft oder Online-Geschäfte abgeschlossen werden. Bereits in diesem weiten Sinn ist eine Zugangsmöglichkeit zum Internet als Grundbedürfnis im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Gesellschaft anzusehen. [...] Des Weiteren erleichtert die Screenreader-Software dem Kläger über die Nutzung des Computers, insbesondere der einschlägigen (Text-)Programme, (mit und ohne Internet) Grundbedürfnisse im Bereich der Kommunikation, insbesondere auch der aktiven schriftlichen Kommunikation. (...)

Ferner wird mit der Screenreader-Software die Fähigkeit, sich im Alltag druckschriftlich mitzuteilen, unterstützt. Sowohl im gesellschaftlichen als auch im privaten Bereich müssen wesentliche Erklärungen schriftlich und insbesondere in lesbarer Form abgegeben werden, wie zum Beispiel in der Kommunikation mit Kreditinstituten, dem Vermieter, privaten oder staatlichen Unternehmen (z. B. dem Energieversorger etc.) oder Behörden (z. B. der Beklagten oder dem Rentenversicherungsträger)"

Der Verweis einiger Krankenkassen auf die Nutzung so genannter geschlossener Vorlesegeräte, mit denen man allein gedruckte Texte einscannen kann, ist damit nicht zulässig. Die Erweiterung des Grundbedürfnisses auf Information ist äußerst begrüßenswert.

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6.4.3.3.2 Vergrößerungssoftware

Einer Bildschirmauslese und Vergrößerten Wiedergabe auf dem Bildschirm oder Ausgabe in Sprache dient auch eine speziell für sehbehinderte Menschen konzipierte Vergrößerungssoftware "Zoomtext".

Das SG Kassel hat mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2013 - S 5 KR 291/10 -, (juris) die Hilfsmitteleigenschaft der Software Zoomtext bejaht und die beklagte Krankenkasse zur Ausstattung des PC der Klägerin mit dieser Software verurteilt.

Das Gericht führt aus:

"Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, die sich wiederum nach § 33 SGB V richtet. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder aber nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst dabei auch die notwendigen Änderungen, Instandhaltungen sowie evtl. die Ausbildung in ihrem Gebrauch. § 12 SGB V schreibt allerdings vor, dass die Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig, aber auch wirtschaftlich sein müssen und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nach dieser Vorschrift dann nicht beanspruchen.

Die beantragte Zoom Software ist weder nach § 34 SGB V ausgeschlossen noch handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil dieser Gegenstand speziell für den Gebrauch durch Kranke und Behinderte konzipiert wurde und folglich auch nur von diesem Personenkreis regelmäßig in Anspruch genommen wird.

Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Vergrößerungssoftware grundsätzlich als Hilfsmittel in Betracht kommt. Da das Hilfsmittel nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzt, wie z. B. ein Körperersatzstück, dient es hier vorliegend nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich. Ein solches Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. In diesem Zusammenhang sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel nur dann zu gewähren ist, wenn ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Unstreitig gehört hier zu dem allgemeinen Grundbedürfnis des täglichen Lebens auch Kommunikations- und Informationsbeschaffung.

Die Kammer kann nicht der Ansicht der Beklagten folgen, dass für der Informationsbeschaffung in der heutigen modernen Dienstleistungsgesellschaft, in der zunehmend und überwiegend mit dem Internet kommuniziert wird und über soziale Netzwerke Kontakte gepflegt werden oder Einkäufe getätigt werden in Online-Shops die vorhandene Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät oder einem Vorlesegerät ausreicht. Zum einen hat die Beklagte hier nicht dargetan, dass diese Versorgung wirtschaftlicher ist. Selbst unterstellt, sie ist wirtschaftlicher, so ist sie allerdings dennoch zum mittelbaren Behinderungsausgleich nicht ausreichend. Zur Informationsbeschaffung und auch zur Schaffung eines geistigen Freiraums gehört auch die Möglichkeit sich unter Nutzung des bei der Klägerin vorhandenen Computers mit Internetanschluss ohne Hilfe anderer Menschen diejenigen Informationen zu beschaffen, an denen ein schutzwürdiges Interesse besteht. Mit der beantragten Software kann die Klägerin im Internet z. B. mit anderen Menschen elektronisch kommunizieren oder sich insgesamt Informationen im Internet über Webseiten beschaffen. Die Kammer ist der Ansicht, dass der Kommunikations- und Informationsbedarf über das Internet und den Computer mittlerweile im Rahmen einer normalen Lebensführung Gang und Gäbe ist. Der Zugang zum Internet ist für die Kammer als ein Grundbedürfnis im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Gesellschaft anzusehen. Die Klägerin kann sich damit auch im Alltag druckschriftlich mitteilen z. B. über E-Mails. Auch ist die Kommunikation mit Behörden, Kreditinstituten, Vermietern oder Finanzämtern in lesbarer Form hiermit möglich. Nach Auffassung der Kammer kann sich die Beklagte in ihrer Argumentation gegen diese Neuerungen nicht verwahren (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.08.2010, L 11 KR 3089/09 (zu diesem Urteil vgl. 6.4.3.3.1). (...)"

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6.4.3.4 Behinderungsbedingt ausgestattetes Notebook nur für Schüler

Im Hilfsmittelverzeichnis zu § 139 Produktgruppe 07 heißt es dazu unter Nr. 07.99.04:

"Spezielle für die Anwendung von Blinden und hochgradig Sehbehinderten hergestellte Laptops mit anstelle eines Bildschirms eingebauter Braillezeile und auch Brailleschrifteingabe können ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V sein. Die Geräte dienen der Informationsverwaltung, dem Lesen (ggf. auch unter Zuhilfenahme spezieller Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens wie Scanner) und dem Schreiben. Eine Versorgung ist nur für schulpflichtige Kinder zur Herstellung oder Sicherung der Schulfähigkeit möglich. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob wirtschaftlichere Alternativen (z.B. Anpassung eines herkömmlichen Laptops) nicht ausreichend sind."

Eine Begrenzung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei der Gewährung eines behindertengerecht ausgestatteten Notebooks mit speziellen Softwareprogrammen und mit einer Braillezeile ist dem Urteil des BSG vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 13/03 R - zu entnehmen.

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein blinder und spastisch gelähmter Schüler war bereits beim Wechsel von der Blindenschule an die Realschule mit zwei behinderungsgerechten Computeranlagen nebst Zubehör (für den Schulunterricht und für die Hausaufgaben) ausgestattet worden. Während des 10. Realschuljahres, beantragte der Schüler bei seiner Krankenkasse "die Versorgung mit einem Notebook-PC für Blinde (Braillex Compact), einem Texterkennungssystem (Readmaster 1 Private), jeweils mit Einführungskursen zur Bedienung der Hard- und Software, sowie mit einer Textausgabeeinrichtung in Blindenschrift (Braillex 2 D-Screen). Zur Begründung führte er aus, die vorhandenen Geräte genügten den erhöhten Anforderungen der 10. Realschulklasse sowie der anschließenden Klassen 11 bis 13 des Gymnasiums in mehreren Fächern nicht mehr. Der Austausch des vorhandenen Gerätes Notex 40 gegen das Braille Compact sei notwendig, weil der vom Hersteller in Aussicht gestellte Mathematik-Editor nur mit dem neuen Gerät betrieben werden könnte. (...) Eine Aufrüstung der vorhandenen Geräte sei nicht möglich. Die mathematischen Aufgaben seien zudem länger und umfangreicher geworden; in Ziffern gingen sie über die 45-stellige Braillezeile hinaus. Deswegen benötige er zusätzlich die 80-stellige Textausgabeeinrichtung."

Da der Schüler die Geräte sofort benötigte, beantragte er sie gleichzeitig beim Sozialhilfeträger, der dann auch die Geräte (ohne den nicht verfügbaren Mathematik-Editor) erwarb und sie dem Schüler im Rahmen der Eingliederungshilfe leihweise zur Verfügung stellte. Ferner wurden die Schulungskosten übernommen. Die insoweit angefallenen Kosten abzüglich 3.000,00 DM (rund 1.500,00 Euro) für den handelsüblichen Computer verlangte der Sozialhilfeträger nun von der Krankenkasse des Schülers zurück. (Diese 3.000,00 DM machte der Sozialhilfeträger von vornherein nicht geltend, weil er den PC für einen "allgemeinen Gebrauchsgegenstand" hielt und damit seine Zuständigkeit zur Kostentragung als gegeben ansah.). Das Sozialgericht hatte in erster Instanz der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der beklagten Krankenkasse wurde in zweiter Instanz das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das BSG bestätigte in der Revision die Abweisung.

In dem Urteil des BSG geht es um die Abgrenzung zwischen Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation einerseits bzw. der Eingliederungshilfe andererseits. Diese Abgrenzung nimmt das BSG anhand der Grundbedürfnisse vor. Ausgangspunkt für die Entscheidung ist der Grundsatz, dass die Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkasse "der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens" dienen muss. Dies sei "eine ungeschriebene Einschränkung der Leistungspflicht nach § 33 SGB V". Ausgangspunkt ist ferner, dass die Herstellung und Erhaltung der "Schulfähigkeit" von der Rechtsprechung als ein solches allgemeines Grundbedürfnis anerkannt wird, und dass deshalb die insoweit notwendigen Hilfsmittel von der Krankenkasse zu gewähren sind (BSGE 30, 151, 154; BSG SozR 2200 § 182 Nr. 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr. 28). Das bedeutet: Ein blinder Schüler kann von der Krankenkasse an Hilfsmitteln mehr verlangen als ein erblindeter Rentner, der sich vergleichsweise nur auf das Grundbedürfnis der "Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums" berufen kann, das "zum Beispiel die Bewegung im Nahbereich der Wohnung sowie die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst", wie es im Urteil heißt. Dementsprechend hat - wohlgemerkt: bei blinden Schülern! - "der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden, dass ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht kommt. Dies gilt ebenfalls für ein Notebook (bzw. Laptop), das für den Behinderten im Vergleich zum stationären PC noch vielfältiger einsetzbar ist."

Mit diesem Urteil nimmt das BSG aber erhebliche Einschränkungen vor und lehnt damit den Erstattungsanspruch ab. Maßgebend dafür sind nach Ansicht des BSG zwei Gründe: Erstens bezieht sich das Grundbedürfnis nur auf die "Schulfähigkeit" und nicht auch auf die "Studierfähigkeit". Zweitens ist das Grundbedürfnis der Herstellung und Erhaltung der "Schulfähigkeit" auf die Zeit der gesetzlichen Schulpflicht begrenzt.

Zur Studierfähigkeit heißt es:

"Bei einem sehbehindertengerecht ausgestatteten Notebook, das von einem Studenten in erster Linie für studienbezogene Zwecke eingesetzt wird, für die Beschaffung von Informationen und die Herstellung von Kommunikationsmöglichkeiten im täglichen Leben aber nicht unerlässlich ist, handelt es sich nicht um ein von der GKV zu leistendes Hilfsmittel, weil ein Studium an einer Hochschule dem Bereich der Berufsausbildung zuzuordnen ist. Die Studierfähigkeit, die mit diesem Hilfsmittel gefördert werden soll, zählt nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens eines Menschen."

Im Hinblick auf die "Schulfähigkeit" schildert das BSG ausführlich, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass die GKV die dazu notwendigen Hilfsmittel gewährt. Ursprünglich war die GKV eine reine Arbeitnehmerversicherung, die nur das Risiko der Arbeitsunfähigkeit abdeckte. Mit der Ausweitung der GKV auf Rentner und Familienangehörige entstand jedoch der Bedarf, auch die "Alltagskompetenzen" zu sichern; infolgedessen wurde neben der Schaffung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit auch die der Schulfähigkeit als Ziel der GKV anerkannt, und zwar bezogen auf alle Schultypen (Grund-, Haupt-, Real-, Sonderschule und Gymnasium). "Unterrichtsziel ist bis zu den Abschlussklassen hin die Vermittlung von Allgemeinwissen an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die Schüler erhalten eine erweiterte oder vertiefte schulische Allgemeinbildung, die Grundlage einer späteren Berufsausbildung bzw. eines Studiums sein soll, nicht aber selbst schon Teil der Berufsausbildung ist". Das BSG hat nun mit dem vorliegenden Urteil eine neue Grenze geschaffen: Die Leistungspflicht der Krankenkasse besteht demnach nur im Hinblick darauf, dass der Versicherte seine gesetzliche Schulpflicht erfüllen kann. Da im vorliegenden Fall der blinde und gelähmte Schüler zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits 20 Jahre alt war und also Schulpflicht nicht mehr bestand, dienten die Hilfsmittel auch nicht mehr der Erhaltung der "Schulfähigkeit".

Das BSG führt dazu im Einzelnen aus:

"Die Landesgesetzgeber haben den Erwerb eines alltagsrelevanten Grundwissens und der für das tägliche Leben notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit der bindenden Verpflichtung aller Kinder, die im jeweiligen Bundesland leben, zum Besuch einer Schule angeordnet und gehen davon aus, dass dieses "Grundwissen" in neun, maximal aber zehn Jahren (am Erreichen des Hauptschulabschlusses orientierte Dauer der Schulpflicht) vermittelt wird und erlernbar ist. Wenn die Krankenversicherung dafür einzustehen hat, Behinderten im Wege der medizinischen Rehabilitation die notwendige Kompetenz zur Bewältigung des Alltags zu vermitteln, so muss sie zwar die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Behinderte das staatlicherseits als Minimum angesehene Maß an Bildung erwerben und die ihnen insoweit auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen können; darüber hinausgehende Bildungsziele hat sie aber nicht mehr zu fördern. Das ist vielmehr Aufgabe anderer Leistungsträger, wie hier des Klägers, der im Wege der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen neben Hilfen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch solche zum Besuch weiterführender Schulen und zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule (§ 40 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 BSHG, nunmehr SGB XII § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 2) zu gewähren hat, allerdings unter zumutbarem Einsatz von Einkommen und Vermögen (§ 28 Abs. 1 BSHG, nunmehr SGB XII § 19 Abs. 3). Wer über das Ende der Schulpflicht hinaus weiter die Schule besucht oder sich später berufsbegleitend weiterbildet (zweiter Bildungsweg, Abendschule, Volkshochschule), tut dies ohne staatlichen Zwang aus eigenem Entschluss. Ein Versicherter kommt damit einem - im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägten - individuellen Bildungsbedürfnis nach, das zwar in verschiedener Weise auch staatlich gefördert wird, aber nicht als - alle Menschen grundsätzlich gleichermaßen betreffendes - allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens einzustufen ist. Die GKV ist zu einer so weit gehenden Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit nicht verpflichtet."

Das BSG sieht in der Einschränkung des Anspruchs auf den Bereich der Schulpflicht auch keine Benachteiligung im Sinn von Art. 3. Abs. 3 S. 2 GG. Die Benachteiligung in der Entfaltungsmöglichkeit erfolge nicht durch den Staat, sondern folge allein aus der Behinderung. Außerdem könne aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 kein individueller Leistungsanspruch hergeleitet werden.

Das BSG sieht auch keinen Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, weil durch die Entscheidung "Behinderte" schlechter gestellt werden als "Kranke", die von der GKV sozusagen alles Notwendige, jedenfalls erheblich mehr an Leistungen bekommen? Dazu das BSG: Es stimmt nicht, dass die Kranken "alles" bekommen und soweit sie "mehr" erhalten, liegt das daran, dass die GKV schwerpunktmäßig eine Krankenversicherung ist, und das ist nicht verfassungswidrig.

Seine einengende Entscheidung begründet das BSG außerdem aus der historischen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Grenze wird in dieser Entscheidung sehr eng gezogen. Für den Bereich eines Hochschulstudiums wurde die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bereits mit Urteil vom 30. Januar 2001 Az.: B 3 KR 10/00 R (SozR 3-2500 § 33 Nr. 40) verneint.

Im Einzelfall muss geprüft und berücksichtigt werden, ob die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse für die behinderungsbedingte Ausstattung des Notebooks oder PCs nicht trotzdem bestehen bleibt. Das ist dann der Fall, wenn das Hilfsmittel nicht nur den Besuch einer weiterführenden Schule ermöglichen soll, sondern auch zur Befriedigung des allgemeinen Informationsbedürfnisses notwendig ist (vgl. o. und Urteile des BSG vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 sowie vom 16.04.1998 - B 3 KR 6/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr. 26) und dafür kein ausreichendes Hilfsmittel zur Verfügung steht. Die dafür gezogenen Grenzen müssen beachtet werden. Die Kosten für das Notebook bzw. den PC als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens müssen von der Krankenkasse ohnehin nicht getragen werden. In dem der Entscheidung vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 13/03 R) zugrunde liegenden Rechtsstreit verfügte der blinde Schüler über das für den Schulbesuch erforderliche behinderungsgerecht ausgestattete Notebook hinaus über entsprechende Hilfsmittel.

Wenn der behinderungsbedingt ausgestattete Laptop nach Vollendung der Schulpflicht für den Besuch einer weiterführenden Schule benötigt wird, ergibt sich der Anspruch auf Ausstattung im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gegenüber dem Sozialhilfeträger. Hinsichtlich der Anrechenbarkeit von Einkommen und Vermögen ist hier die Sonderregel in § 92 SGB XII zu beachten. Weil das Hilfsmittel in diesem Fall der Leistung für die schulische Ausbildung an einer weiterführenden Schule zuzurechnen ist, wird gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII das Einkommen und Vermögen der in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen nicht berücksichtigt. Das sind der Leistungsberechtigte selbst, der nicht getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspartner und, bei minderjährigen und unverheirateten Hilfeberechtigten auch ihre Eltern oder ein Elternteil. Zwar sind in den §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XII i.V.m. § 12 EinglVO (Verordnung nach § 60 SGB XII) Hilfsmittel - insbesondere ein Notebook/Laptop nicht ausdrücklich benannt. Eine Hilfe für eine angemessene Schulbildung kann jedoch unstreitig auch durch die Versorgung mit einem Hilfsmittel in Betracht kommen (vgl. Behrend in: jurisPK, SGB XII, § 92 Randnr. 27.1), da darunter alle Maßnahmen zu fassen sind, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angestrebten Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern, um so das im Gesetz formulierte Ziel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, § 54 Randnr. 33, mwN). vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.11.2010 - L 5 KR 23/10.

Wie ist nun die Rechtslage, wenn von einem blinden oder hochgradig sehbehinderten Schüler für die Schule lediglich ein Notebook oder Laptop erforderlich ist, welcher selbst nicht behinderungsgemäß ausgestattet ist, sondern zur Teilhabe am Schulunterricht mit einem speziellen Hilfsmittel wie z.B. einer Braillezeile oder einer Tafelkamera verbunden werden muss? In diesem Fall fällt zwar das behinderungsbedingte Hilfsmittel, also die Braillezeile oder die Tafelkamera zur Herstellung der Schulfähigkeit im Rahnen der allgemeinen Schulpflicht gem. § 33 Abs. 1 SGB V in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse, nicht aber das Notebook oder der Laptop, da es sich bei diesem um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Zur Ausstattung mit dem Notebook oder Laptop ist deshalb der Sozialhilfeträger gem. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 12 Eingliederungshilfeverordnung, § 92 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII unabhängig von Einkommen und Vermögen der Einstandsgemeinschaft im Sinn von § 19 Abs. 3 SGB XII verpflichtet. Vgl. dazu Urteil des LSG Saarland vom 24.10.2013 AZ. L 11 SO 14/12. Diesem Urteil liegt die Klage eines hochgradig sehbehinderten Schülers zugrunde, der integrativ die Realschule an seinem Heimatort besucht. Aufgrund seiner Sehbehinderung ist er auf ein Tafelkamerasystem angewiesen. Das System besteht aus einer schwenkbaren Kamera, mit der sowohl das Tafelbild als auch im Nahbereich das Schulheft oder Schulbuch aufgenommen und auf dem angeschlossenen Laptop vergrößert dargestellt werden kann. Die Tafelkamera und die Vergrößerungssoftware zahlte die Krankenversicherung. Streitig war jedoch die Frage, von wem die Kosten für das handelsübliche Laptop übernommen werden müssen. Das Gericht urteilte, dass das Laptop vom Sozialhilfeträger zu zahlen ist, und zwar ohne die sonst im Sozialhilferecht geltende Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Schülers und seiner Eltern. Letzteres bedeutet nicht, dass das Sozialamt jedem behinderten Schüler ein Laptop einkommens- und vermögensunabhängig zur Verfügung stellen muss. Dies kommt nur dann zum Tragen, wenn der Schulbesuch ohne Laptop nicht möglich ist. Beim Behinderungsausgleich für die soziale Teilhabe, also zum Surfen, Mailen und Chatten, zahlt das Sozialamt nur unter der Voraussetzung, dass der betroffene Jugendliche bzw. bei Minderjährigkeit seine Eltern sozialhilfebedürftig sind. Vgl. dazu Christiane Möller in der Zeitschrift "Gegenwart" Ausgabe 04/2014 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband). Vgl. dazu auch Urteil des SG Ulm vom 08.10.2012, AZ.: S 2 SO 1090/11. Die blinde Schülerin benötigte einen Laptop für den Schulbesuch. Die Kosten für die Braillezeile waren von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen worden. Unschädlich sei es, dass der Laptop auch für außerschulische Zwecke benutzt werden könne, da das Hilfsmittel vorrangig für die Schule erforderlich sei.

"Als Facit aus der neueren Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit ergibt sich: Solange die allgemeine Schulpflicht besteht (meist bis zur 9. bzw. 10. Klasse), sind die Krankenkassen für die Bereitstellung der behinderungsspezifischen Hilfsmittelkomponenten verantwortlich. Das Laptop als Basisgerät sowie alle Hilfsmittel, die nach Absolvierung der Schulpflicht benötigt werden, sind demgegenüber vom Sozialhilfeträger zu zahlen - sofern das Schulrecht des jeweiligen Bundeslandes nicht ausdrücklich eine Zuständigkeit des Schulträgers vorsieht (Christiane Möller aaO.)."

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6.4.3.5 Videotextgeräte

Widersprüchlich beurteilt wird in der Rechtsprechung, inwieweit die gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 33 SGB V verpflichtet sind, blinde Versicherte mit einem Videotextgerät auszustatten.

Wegen des hohen Stellenwertes, das der Information als Grundbedürfnis zukommt, sind auch Videotextlesegeräte als Hilfsmittel anzuerkennen (Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21.02.2001 - L 4 KR 9/99 = Breithaupt 2001, 409-413). Das gilt auch dann, wenn der Blinde bereits mit einem Lese-Sprech-Gerät versorgt ist, das sein Grundbedürfnis auf Information aber nur unzureichend befriedigt. Das LSG Niedersachsen stellt in seinem Urteil darauf ab, dass es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall mit dem vorhandenen Lese-Sprech-Gerät nicht möglich war, Tageszeitungen zu lesen und dass das Vidiotextlesegerät dafür einen Ausgleich schaffe.

Eine Begrenzung dieses Anspruchs ist dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15.07.2008 - L 11 KR 2825/04 - zu entnehmen.

Der Leitsatz 1 dieser Entscheidung lautet:

"Eine blinde Versicherte hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines Videotext-Vorlesemoduls im Rahmen der Hilfsmittelversorgung, wenn sie durch die auf neuestem technischen Stand befindlichen Vorlesesysteme und die Braille-Zeile ausreichend in ihrem Kommunikationsbedürfnis ausgestattet ist. Ein über die Befriedigung von Grundbedürfnissen hinausgehender Behinderungsausgleich ist als Leistung der GKV nicht vorgesehen."

Mit diesem Urteil wurde die Berufung gegen das ablehnende Urteil des SG Stuttgart vom 22. März 2004 abgelehnt. Die Klägerin war mit einem Lesegerät und einer Braillezeile ausgestattet. Sie hatte zusätzlich die Ausstattung mit einem Videotext-Vorlesemodul für Blinde unter Vorlage eines Angebots der Firma N (TV-Karte mit blindengerechter Software für WIN 95/98/NT/2000/XP, Videotext-, Radio- und Fernseh-Hören über terrestrische Antenne, Kabel-TV oder analogen Satelliten-Empfänger) beantragt.

Das LSG bejaht zwar, ebenso wie das SG die Hilfsmitteleigenschaft des Videogerätes im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Es biete aber keine Informationen, die der Klägerin nicht bereits auf andere Weise zur Verfügung stünden. Dazu heißt es:

"Die allein über Videotext zur Verfügung gestellten Informationen, die die Firma N. in ihrer Auskunft beschrieben hat, kann die Klägerin ohne weiteres auch durch andere Informationsquellen wie Radio, Fernsehen und den von der Beklagten geschilderten Vorlesedienst für Behinderte erhalten."

Es kommt somit darauf an, ob der Versicherte mit einem Lese-Sprechgerät ausgestattet ist und ob mit diesem die entsprechenden Informationen ermöglicht werden, z.B. Zeitungen gelesen werden können.

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6.4.3.6 Bildschirmlesegeräte und mobile elektronische Lesegeräte

Bildschirmlesegeräte vergrößern auf elektronischem Weg Objekte, die über eine Kamera eingelesen werden. Die Ausgabe erfolgt über einen Bildschirm. Eine Vergrößerung ist bis zu 60-fach möglich.

Sie sind speziell auf die Bedürfnisse mittel- und hochgradig Sehbehinderter ausgerichtet. Es handelt sich um Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V.

Im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V sind sie in der Produktgruppe 25 (Sehhilfen) unter Nr. 25.21.85 aufgeführt. 25 = Produktgruppe: Sehhilfen; 21 = Anwendungsort: Auge/Sehorgan; 85 = Untergruppe: elektronische vergrößernde Sehhilfen. Die Produktart: Bildschirmlesegeräte findet sich unter Nr. 0001-0999.

Ein Visus von 0,1 und weniger begründet in der Regel eine Indikation für die Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät. Bei einem besseren Visus kann die Indikation gegeben sein, wenn weitere Störungen des Sehvermögens, wie Blendempfindlichkeit, Nystagmus oder Gesichtsfeldausfälle vorliegen.

Das BSG hat schon mit Urteil vom 24. April 1979, Az.: 3 RK 20/78 = SozR 2200 § 182b Nr. 12 - die Hilfsmitteleigenschaft eines Bildschirmlesegerätes (damals noch als Fernsehlesegerät bezeichnet) anerkannt. In seinem Urteil vom 21. November 1991, Az.: 3 RK 43/89 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 4 - hat es Anforderungen zur Beachtung der Wirtschaftlichkeit (§ 12 SGB V) aufgestellt. Obwohl es sich beim Bildschirmlesegerät um ein Hilfsmittel handelt, das unmittelbar an der Behinderung (Sehverlust) ansetzt, ist es nach dieser Entscheidung notwendig, dass die Behinderung nicht nur in einem unwesentlichen Umfang ausgeglichen wird. Es kommt darauf an, dass der Versicherte mit dem Bildschirmlesegerät seinen Lesebedarf befriedigen kann.

Bei der Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät müssen besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. So hat das LSG Niedersachsen mit Urteil vom 28. Juni 2001, Az.: L 4 KR 139/99 (NZS 2002, 261-263) entschieden, dass die Krankenkasse verpflichtet ist, die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät mit einer Autofocus-Funktion auszustatten. Dieses Gerät stellt die Tiefenschärfe automatisch nach, wenn die Wiedergabe z. B. bei dicken Büchern im Bereich des Buchfalzes unscharf wird. Die Schärfenschwankungen haben bei der Klägerin infolge ihres Augenleidens zu erheblichen Störungen (Schwindelanfälle) geführt. Obwohl die Krankenkassen regelmäßig nur Bildschirmlesegeräte mit Schwarz-Weiß-Wiedergabe gewähren, wurde in diesem Fall die Beklagte zur vollen Kostenübernahme für ein Bildschirmlesegerät mit Farbwiedergabe verurteilt, weil nur solche Geräte mit einer Autofocus-Funktion auf dem Markt erhältlich waren.

Ein Bildschirmlesegerät mit Echtfarben ist nach dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27.03.2003 - L 16 KR 3/03 - kein zum Behinderungsausgleich erforderliches Hilfsmittel. Das Hilfsmittel der GKV orientiert sich an den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Die Rechtsprechung versteht diese nur i.S. eines Basisausgleichs und nicht i.S. eines vollständigen Gleichziehens mit allen Möglichkeiten eines Gesunden. Diesem Ausgleich genügt nach diesem Urteil ein schwarz-weiß-Bildschirmlesegerät.

Mobile elektronische Lesegeräte, wie z. B. die Maxportbrille dienen ebenfalls dem Grundbedürfnis des Lesens. Sie fallen deshalb nach dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 2002, Az.: L 5 KR 93/02 - ebenfalls in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Der Lesebedarf besteht auch außerhalb der häuslichen Umgebung und z. B. auch am Urlaubsort. Voraussetzung ist, dass andere Sehhilfen außerhalb der Wohnung nicht ausreichen. Offen gelassen hat das LSG die Frage, ob neben dem mobilen elektronischen Lesegerät auch die Versorgung mit einem stationären Bildschirmlesegerät verlangt werden kann.

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6.4.3.7 Daisy-Player

Eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Zugang zur Information für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen ist der Daisy-Player. Mit seiner Hilfe kann das reichhaltige Literaturangebot der Blindenhörbüchereien sowie das Angebot von im Daisy-Format aufbereiteter Zeitschriften genutzt werden.

Die Hilfsmitteleigenschaft des Daisy-Players nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V und damit die Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen zur Ausstattung blinder und hochgradig sehbehinderter Versicherter mit diesem Hilfsmittel wird mittlerweile in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit einhellig bejaht, so erstmals im Urteil des SG Fulda vom 15.05.2008 - S 4 KR 572/06.

Im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V wird in der Produktgruppe 07 zwar festgestellt, dass der Daisy-Player nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse falle. Das ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, wie das SG Fulda hervorhebt, für die Hilfsmitteleigenschaft und die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen unerheblich (vgl. auch oben 3.2.1.2.1.5 und insbesondere 3.2.1.2.1.6). Der Daisy-Player wurde von den Herstellern im Hinblick auf die Bedürfnisse blinder bzw. sehbehinderter Menschen entwickelt, um diesen einen strukturierten Zugriff auf unterschiedliche schriftliche Medien zu ermöglichen. Da der Daisy-Player speziell auf die Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet und von diesen benutzt wird, ist er kein "allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens" im Sinn von § 33 Abs. 1 S.1 SGB V und deshalb von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen nicht ausgeschlossen.

Der Daisy-Player ermöglicht zwar auch das Abhören üblicher CDs. Er kann deshalb auch die Funktion eines MP3-Players oder CD-Players und damit eines "allgemeinen Gebrauchsgegenstandes" erfüllen. Von einem üblichen CD-Player unterscheidet sich ein Daisy-Player aber dadurch, dass mit ihm aktiv in entsprechend aufbereiteten Zeitschriften und Unterlagen recherchiert werden kann und nicht nur Literatur oder Musik passiv abgehört wird.

Die Erforderlichkeit der Ausstattung mit einem Daisy-Player wird vom SG Fulda unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG damit bejaht, dass zu den "elementaren Grundbedürfnissen des täglichen Lebens" auch die Information bzw. die "Schaffung eines geistigen Freiraums" gehört, und im Zusammenhang damit vor allem darauf, dass als Maßstab der "allgemein praktizierte Informationsbedarf" heranzuziehen sei. Und das ist weit mehr als der Bedarf an "unerlässlichen Informationen", auf den die Krankenkassen ihre Leistungspflicht gerne beziehen und begrenzen möchten. Die Argumentation des SG Fulda ist demgemäß wie folgt zu verstehen: Das Navigieren im Text, das jeder sehende Leser mühelos beherrscht, aber dem Blinden und hochgradig Sehbehinderten erst durch die Daisy-Technik ermöglicht wird, ist nicht Komfort, sondern "allgemein praktizierter Informationsbedarf", der den geistigen Freiraum erweitert. Dies ist eine sehr wichtige und richtige richterliche Wertung.

Dieser Wertung ist zwischenzeitlich die Sozialgerichtsbarkeit in mehreren Urteilen gefolgt.

Der Anspruch auf Ausstattung mit einem Daisy-Player wird z.B. auch in einem Urteil des SG Oldenburg vom 07.11.2008 - S 6 KR 329/07 - bejaht. Dieses Urteil stellt darauf ab, dass die Blindenhörbüchereien die Literaturversorgung auf das Daisy-Format umgestellt haben. Infolgedessen können die Hörbüchereien nur noch mit Hilfe eines Daisy-Players sinnvoll benutzt werden.

Vgl. ferner Urteil des LSG Rheinland-Pfalz - L5 KR 146/09 - vom 18.02.2010, durch welches das Urteil des SG Koblenz - S 8 KR 485/06 Ko - vom 18.05.2009 aufgehoben und die Krankenkasse zur Ausstattung des Klägers mit einem Daisy-Player verurteilt wurde. Das Sozialgericht Koblenz hatte noch die Auffassung vertreten, dass es sich beim Daisy-Player um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle, da der Vorteil gegenüber einem MP-3-Player unbedeutend sei und somit kein Anspruch auf Leistung nach § 33 Abs. 1 SGB V bestehe. Diese Auffassung wird vom LSG Rheinland-Pfalz nicht geteilt. Verwiesen wird insbesondere auf das vielfältige Literaturangebot der Blindenhörbüchereien. Die Hörbücher seien im Daisy-Format aufbereitet. Die Vorteile dieses Formats können nur mit einem Daisy-Player genutzt werden.

Auch das Urteil des Landessozialgerichts Bayern L 4 KR 448/10 vom 12. Juni 2013 setzt sich ausführlich mit der Frage auseinander, weshalb Blinde nicht an Stelle eines Daisy-Players als spezielles Hilfsmittel auf einen handelsüblichen MP-3-Player verwiesen werden kann. Es fehle bei diesen die Navigiermöglichkeit, die Möglichkeit, Lesezeichen zu setzen, mehrere Hörbücher abwechselnd zu benützen, ohne dass die in einem Hörbuch zuletzt gelesene Stelle verloren gehe. Ferner verfüge ein Daisy-Player über ein sprachgeführtes Menü.

Während in den genannten Urteilen die Krankenkassen zur Übernahme der vollen Kosten für den Daisy-Player verpflichtet wurden, hat das SG Detmold in seinem Urteil vom 31.08.2011, AZ.: S 5 KR 90/10 zwar die Ausstattung des blinden Klägers mit einem Daisy-Player bejaht. Es hat aber entschieden, dass der Kläger einen Eigenanteil in Höhe der Anschaffungskosten für einen handelsüblichen CD-Spieler tragen müsse, weil der Daisy-Player auch wie ein solcher genutzt werden könne. Dazu stellt das Gericht fest:

"6. Gegenstände, die sowohl als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als auch als Hilfsmittel anzusehen sind, sind von der Leistungspflicht der Krankenkassen umfasst, wenn der auf die Hilfsmittelfunktion entfallende Teil der Herstellungskosten überwiegt. Dementsprechend ist es sachgerecht, die Kosten für einen handelsüblichen CD-Spieler von den tatsächlichen Anschaffungskosten in Abzug zu bringen und den Eigenanteil des Versicherten hierauf zu beschränken."

Hinzuweisen ist noch darauf, dass blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen mit Internetzugang, die über ein offenes Lesesystem oder entsprechende Spezialsoftware verfügen, keinen Anspruch auf Ausstattung mit einem Daisy-Player durch die gesetzliche Krankenkasse haben, da sie sich die frei verfügbare DAISY-Software für den PC beschaffen können.

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6.4.3.8 Farberkennungsgerät

Das Farberkennungsgerät hat das BSG mit Urteil vom 17.1.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18 - als Hilfsmittel anerkannt. In dieser Entscheidung hat das BSG festgestellt, dass es für die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht entscheidend ist, ob ein benötigtes Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 (jetzt § 139) SGB V enthalten ist (vgl. oben).

Da das Farberkennungsgerät speziell auf die Benutzung blinder Menschen ausgerichtet ist, handelt es sich um keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es ist also ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V.

Es dient auch der Befriedigung eines Grundbedürfnisses, nämlich der Information über die Farbe von Gegenständen und damit der Schaffung eines geistigen Freiraums. Die Kenntnis der Farben von Gegenständen ist in einer optisch geprägten Welt in den verschiedensten Lebensbereichen zur Bewältigung des Alltags von großer Bedeutung.

Damit die Kosten-Nutzen-Relation (Wirtschaftlichkeitsgebot von § 12 SGB V) gewahrt ist, muss das Farberkennungsgerät nach Auffassung des BSG durchschnittlich 5- bis 10mal täglich benötigt werden. Hilfreich ist das Farberkennungsgerät vor allem zum Sortieren der Kleidung, und Wäsche, zur Identifizierung von Verpackungen z. B. bei Lebensmitteln, bei der Auswahl farblich aufeinander abgestimmter Kleidung usw. Bei der Führung eines Haushalts ist der Einsatz in diesem Umfang regelmäßig anzunehmen. Ob das Farberkennungsgerät auch bei einem geringeren Einsatz wirtschaftlich im Sinn einer begründbaren Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels sein kann, lässt das BSG offen. Vor allem angesichts sinkender Preise dürfen hier die Anforderungen nicht zu hoch angesetzt werden.

Auf die Mithilfe von Familienangehörigen kann nur ausnahmsweise verwiesen werden, nämlich nur dann, wenn diese kostenfrei als Familienangehörige mitversichert sind und wenn sie stets zur Verfügung stehen.

Wegen des Sachleistungsprinzips bleibt es der Krankenkasse überlassen, ob sie das Farberkennungsgerät leihweise zur Verfügung stellt oder übereignet. Grundsätzlich steht der Krankenkasse auch das Recht der Auswahl des Fabrikats zu. Allerdings muss sie ein Farberkennungsgerät zur Verfügung stellen, das nicht nur die Farbe, z. B. hellblau ansagt, sondern auch Farbanalysen über die Farbzusammensetzung und den Helligkeitsgrad ausgibt. Nur dadurch lassen sich die für eine Farbauswahl erforderlichen Informationen gewinnen. Das kommt in dem Urteil des SG Düsseldorf vom 18.01.2007 - S 4 KR 171/05 - deutlich zum Ausdruck. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Fall wollte die Krankenkasse nur ein Gerät zur Verfügung stellen, welches diesen Anforderungen nicht gerecht wurde. Nachdem die Krankenkasse den Widerspruch der Klägerin abgelehnt hatte, beschaffte sich diese ein Farberkennungsgerät, welche die erforderlichen Farbunterscheidungen ermöglichte und machte mit ihrer Klage Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 SGB V geltend. Dieser wurde vom SG zuerkannt. Zu beachten ist außerdem das Wahlrecht nach § 33 SGB I und § 9 SGB IX. Wird ein aufwendigeres Gerät ausgewählt, müssen die Mehrkosten vom Versicherten getragen werden (vgl. oben 3.2.1.2.1.10 Wahlrecht des Versicherten).

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6.4.3.9 Barcodelesegeräte - Einkaufs-Fuchs

Ein elektronisches Produkterkennungssystem mit Sprachausgabe (Barcodelesegerät) wie z.B. der Einkaufs-Fuchs, kann für erblindete und hochgradig sehbehinderte Versicherte ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Bei einem Barcode-Lesegerät werden in Strichcodes verschlüsselte Produktdaten über eine digitale Sprachausgabe für blinde und sehbehinderte Menschen hörbar gemacht. Darüber hinaus können Strichcode-Etiketten individuell beschriftet und eingesetzt werden.

Die Datenbank des Gerätes enthält inzwischen über eine Million verschiedener Artikel, wobei es sich um die wichtigsten Gebrauchsgüter im Haushalt sowie im Lebensmittelbereich handelt. Ferner sind alle erhältlichen Musik-CDs und Kassetten enthalten. Die Erweiterung der Daten ist jederzeit möglich durch Austausch der Speicherkarte. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass neue, noch nicht bekannte Artikel von dem Nutzer selbst eingegeben werden. Zu diesem Zweck ist in das Gerät ein Mikrophon integriert, so dass ein bestimmter Barcode akustisch gekennzeichnet werden kann. Auf diese Weise kann der Nutzer Ordner oder Lernmaterialien kennzeichnen.

Zur zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung der Sozialgerichte Vgl. z.B. Urteile des SG Gelsenkirchen vom 26.08.2008 - Az.: S 28 KR 39/08 -, SG Detmold vom 03.12.2008 - AZ.:S 5 KR 207/07 - und SG Dortmund vom 04.02.2009 - Az.: S 8 KR 213/07.

Das SG Detmold hat mit Urteil vom 03.12.2008 - S 5 KR 207/07 - die Hilfsmitteleigenschaft des Einkaufs-Fuchs im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ausführlich begründet:

Der Einkaufs-Fuchs ist, wie das SG feststellt, kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da er lediglich für die speziellen Bedürfnisse sehbehinderter Menschen gedacht ist und nur von diesem Personenkreis genutzt wird. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse ist somit nicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen.

Dass der Einkaufs-Fuchs zunächst mit Bescheid vom 02.08.2006 in das Hilfsmittelverzeichnis durch die Spitzenverbände der Krankenkassen aufgenommen, dann aber wieder gestrichen wurde, ist unschädlich, weil das Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V nur eine Auslegungshilfe ist, aber nach ständiger Rechtsprechung des BSG keine Bindungswirkung hat (vgl. 3.2.1.2.1.6).

In der Begründung des SG Detmold heißt es:

"Der Einsatz des begehrten Hilfsmittels ist nach Auffassung der Kammer der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse eines Menschen zuzuordnen. Nach ständiger Rechtsprechung fallen hierunter nicht nur die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege und das selbstständige Wohnen (BSG, Urt. vom 23.07.2002, SozR 3-2500 § 33 Nr. 46), sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7). Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich selbstständig und möglichst ohne fremde Hilfe im eigenen Umfeld zu orientieren, zurechtzufinden und bewegen zu können (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 18). Hierzu zählt nach Auffassung der Kammer ebenfalls die eigenständige Beschaffung der für die Lebensführung notwendigen Nahrungsmittel und der Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Ebenso fällt in diesen Grundbereich der eigenständigen Orientierung die selbstständige Haushaltsführung. Das Erkennen und Unterscheiden von Gegenständen ist im Rahmen dieser Lebensbereiche wesentlich, um eine freie Willensbetätigung entfalten zu können. So ermöglicht der Einkaufs-Fuchs dem Blinden auf akustische Weise das, was der Sehende auf einen Blick erkennt. Im Rahmen der Haushaltsführung kann der Kläger auf diese Weise seine Einkäufe gezielt sortieren und erhält eine Hilfe beim Wiederauffinden der Gegenstände."

Das Gericht folgt an dieser Stelle nicht einfach dem BSG-Urteil zum Farberkennungsgerät, sondern nimmt bewusst das Einkaufen notwendiger Waren zum Ausgangspunkt eines erweiterten Grundbedürfnisses, das sich nicht auf den Vorgang des Einkaufens beschränkt, sondern den Umgang mit den Waren im Haushalt einbezieht.

Das SG Detmold stellt fest, dass der Einkaufs-Fuchs wie das Farberkennungsgerät der Ordnung im Haushalt dient, jedoch die für die selbstständige Haushaltsführung erforderlichen Informationen noch vielseitiger seien als die Informationen, welche sich mit einem Farberkennungsgerät erzielen lassen.

Diese Rechtsauffassung wurde vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 10.3.2011 - B 3 RK 9/10 R - bestätigt. Das Bundessozialgericht hat mit diesem Urteil den Einkaufsfuchs (vom Gericht als "Barcodelesegerät" bezeichnet) als ein Hilfsmittel für blinde und hochgradig sehbehinderte Versicherte anerkannt, zu dessen Leistung die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verpflichtet sein können. Bereits die beiden Vorinstanzen (SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2009, Az.: S 72 KR 3222/07 und LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juli 2010 - AZ: L 1 KR 188/09) hatten der Klägerin das Hilfsmittel zugesprochen. Allerdings hat das BSG diese vorinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), weil der Sachverhalt hinsichtlich der Erforderlichkeit und der Wirtschaftlichkeit im individuellen Fall noch nicht ausreichend festgestellt sei. In der Begründung des BSG heißt es dazu:

"Das von der Klägerin begehrte Barcodelesegerät kann ein Hilfsmittel der GKV i.S. des § 33 Abs. 1 SGB V sein, denn es ist grundsätzlich geeignet, die Auswirkungen einer Sehbehinderung im Bereich der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens auszugleichen bzw. zu mildern. Die bisher vom LSG getroffenen Feststellungen reichen aber nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und wirtschaftlich (§ 12 SGB V) ist.".

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 19. Oktober 2012 - L 1 KR 111/11 ZVW - endgültig zugunsten der Klägerin entschieden.

Das BSG stellt in seinem Urteil vom 10.3.2011 (RN. 9) zunächst fest, dass ein Barcodelesegerät nicht zu den "Sehhilfen" gehört, die nach § 33 Abs. 2 SGB V von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind. "Sehhilfen" sind solche Hilfsmittel, die das Restsehvermögen verstärken, also Brillen, Kontaktlinsen, Lupen und Lupenbrillen. Davon zu unterscheiden sind Hilfsmittel, die - wie der Einkaufsfuchs - das eingeschränkte Sehen durch das Ansprechen anderer Sinne (Hören, Tasten) ersetzen. Diese sind nicht von der Leistungspflicht ausgeschlossen. Sie sind Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 SGB V.

Sodann stellt das BSG in RN. 10 in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen klar, dass sich ein rechtlicher Anspruch auf das Hilfsmittel weder aus der ärztlichen Verordnung (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) noch daraus ergibt, dass das Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) (§ 139 SGB V) des GKV-Spitzenverbandes aufgeführt ist. Den Krankenkassen steht vielmehr ein eigenes Entscheidungsrecht zu, ob ein Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V zur medizinischen Rehabilitation, also zur Sicherung des Erfolges der Krankenhausbehandlung, zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung, im Einzelfall erforderlich ist; dabei können die Krankenkassen zur Klärung medizinisch-therapeutischer Fragen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nach § 275 Abs. 3 SGB V einschalten.

In vergleichbaren Fällen wird an dieser Stelle in den betreffenden Urteilen meistens klargestellt, dass die fehlende Nennung im Hilfsmittelverzeichnis oder eine dortige negative Aussage keine rechtsverbindliche Wirkung hat. Hier stellt nun das BSG klar, dass sich auch aus der Nennung eines Hilfsmittels im Hilfsmittelverzeichnis noch keine Leistungspflicht ergibt: Der Einkaufsfuchs war schon sehr früh in das HMV unter der Positionsnummer 07.99.04.2001 aufgenommen worden. Das BSG wörtlich:

"Es (das HMV) schließt weder Hilfsmittel von der Versorgung der Versicherten aus, die den gesetzlichen Ansprüchen des § 33 SGB V genügen (...), noch besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die zwar im HMV verzeichnet, für die aber nicht die gesetzlichen Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind." Aus der rechtlichen Unverbindlichkeit des HMV ergibt sich nach Meinung des BSG aber auch folgendes: "Daher sind die für das (...) Barcodelesegerät im HMV formulierte Beschränkung (Einkaufshilfe im Rahmen der selbständigen Lebensführung unter Berücksichtigung elementarer Grundbedürfnisse) und der Leistungsausschluss bei Nutzung des Hilfsmittels ausschließlich zur Organisation der Wohnung für den klägerischen Anspruch ohne Bedeutung".

Nach § 33 Abs. 1 sind, worauf das BSG abstellt, folgende Gesichtspunkte von rechtlicher Bedeutung:

Das Hilfsmittel muss zu einem "Behinderungsausgleich" im Sinne des § 33 SGB V geeignet sein. Dabei kann der Behinderungsausgleich unmittelbar erfolgen, d.h. der Ausgleich erfolgt bei der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst in dem er direkt beim Funktionsdefizit ansetzt (eine Prothese ermöglicht nach einer Beinamputation wieder das Gehen, der Sehbehinderte kann mit einer Brille wieder besser sehen, ein Hörbehinderter kann mit einem Hörgerät wieder besser hören).

"Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. (...) Die gesonderte Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt in Fällen der Erstausstattung mit Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht (RN. 12)."

Der Funktionsausfall kann aber auch mittelbar erfolgen, indem die Folgen der Behinderung direkt oder indirekt ausgeglichen werden. Letzteres ist immer der Fall, wenn der beeinträchtigte Sinn durch die Nutzung eines intakten anderen Sinnes ersetzt wird (RN. 13). Das ist beim Einkaufsfuchs, weil er die nicht wahrgenommenen optischen Informationen über die Sprache vermittelt, der Fall.

In diesem Falle - mittelbarer Behinderungsausgleich - gilt nach der Rechtsprechung die Einschränkung, dass das Hilfsmittel von der Krankenkasse nur dann zu gewähren ist, "wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis betrifft."

"Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (RN. 13)."

Wie das bei einem Barcodelesegerät wie z.B. beim Einkaufsfuchs zu beurteilen ist, wird vom BSG im vorliegenden Urteil in den Randnummern 15 bis 25 sehr ausführlich behandelt. Die diesbezüglichen Ausführungen des BSG lassen sich wie folgt verkürzt wiedergeben:

Das Grundbedürfnis des "selbständigen Wohnens" setzt Grundvoraussetzungen im hauswirtschaftlichen Bereich voraus. Diese Grundvoraussetzungen wiederum sind im Bereich der Pflegeversicherung umfassend in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI beschrieben (Einkaufen, Kochen, Reinigung der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleider und das Beheizen). Seine Bezugnahme auf die Beschreibung der Pflegebedürftigkeit in § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI rechtfertigt das BSG durch folgende Feststellung: "Ungeachtet der unterschiedlichen Zielsetzung der GKV (Bewältigung von Krankheit und ihren Folgen) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (partielle Abdeckung des Risikos der Pflegebedürftigkeit)" geht es bei den entsprechenden Verrichtungen um einen "Teil der funktionalen Gesundheit des Menschen". Zu beachten ist aber:

"Ebenso wie die Pflegebedürftigkeit nicht allein durch einen Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung begründet wird, sondern einen zusätzlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundversorgung (...) verlangt, so setzt die Leistungspflicht der GKV nach § 33 Abs. 1 SGB V voraus, dass die durch das begehrte Hilfsmittel ermöglichte hauswirtschaftliche Versorgung notwendig ist, um ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens sicherzustellen (RN. 16)."

Dazu, dass der Einkaufsfuchs diese Voraussetzungen erfüllt stellt das BSG fest:

" e) Die für das selbständige Wohnen elementaren hauswirtschaftlichen Verrichtungen setzen eine uneingeschränkte visuelle Wahrnehmung voraus. Das gilt sowohl für die Wahrnehmung, dass bestimmte Verrichtungen notwendig sind (z.B. Verschmutzungsgrad der Wohnung), als auch für die bei Ausübung der jeweiligen Verrichtung notwendigen Arbeitsschritte (z.B. Auswahl der Reinigungsmittel, Auswahl der Zutaten beim Kochen). Diese Wahrnehmungsmöglichkeit ist bei einem sehbehinderten Menschen aufgehoben bzw. beeinträchtigt. Durch ein Barcodelesegerät können (...) die für elementare hauswirtschaftliche Verrichtungen erforderlichen Informationen über einzelne Produkte und Gegenstände mittels einer Sprachausgabe (...) zugänglich gemacht werden. (...) Auf diese Weise können z. B. die für das Sauberhalten der Wohnung und Kleidung notwendigen Reinigungsmittel zutreffend ausgewählt sowie sachgerecht und vor allem gefahrenfrei verwendet werden. Die genaue Kenntnis des Produktinhalts ist gerade bei der Verwendung von Reinigungsmitteln von Bedeutung, deren unsachgemäße Verwendung zu Gesundheitsschäden führen kann (z. B. bei ätzenden Flüssigkeiten). Auch die hauswirtschaftliche Verrichtung des Kochens als Vorstufe zum anerkannten Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme wird durch ein Barcodelesegerät nicht nur unwesentlich erleichtert, sondern teilweise erst ermöglicht. Denn Voraussetzung für die selbständige Nahrungszubereitung ist eine zutreffende Auswahl und Abmessung der Speisen und Zutaten (RN. 17). (...) Darüber hinaus ist ein Barcodelesegerät grundsätzlich auch geeignet, die infolge einer Sehbehinderung bestehenden Einschränkungen bei der Erschließung des für das selbständige Wohnen erforderlichen körperlichen und geistigen Freiraums auszugleichen." Damit ist gemeint: Zum selbständigen Wohnen gehört auch die Fähigkeit, im Nahbereich der Wohnung Alltagsgeschäfte zu erledigen. Und auch dabei - beim Einkaufen von Gegenständen des täglichen Bedarfs - ist das Barcodelesegerät hilfreich. Das BSG setzt jedoch eine Grenze: "Damit ist jedoch weder eine Anerkennung des Einkaufens als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens noch die Ermöglichung von Einkäufen jeder Art durch Hilfsmittel der GKV verbunden. Zu gewährleisten ist von der GKV vielmehr nur die Möglichkeit des Einkaufs als Alltagsgeschäft, d. h. die Beschaffung von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs (...), soweit die Befähigung hierzu aufgrund einer Behinderung aufgehoben bzw. eingeschränkt ist und durch das Hilfsmittel ausgeglichen werden kann (RN. 18)."

Das wiederum heißt: In diesem Sinne muss die Wirkung des Barcodelesegeräts "erheblich" sein. Dementsprechend stellt das BSG fest:

"Die mit dem Barcodelesegerät abrufbaren Informationen (z.B. Name bzw. Produktbezeichnung, Hersteller und Mengenangabe) sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht unerheblich, denn sie ermöglichen einem sehbehinderten Menschen einen weitgehend selbständigen Einkauf von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs und damit eine überwiegend selbständige Haushaltsführung. Damit ggf. nicht entschlüsselbare Informationen über den Preis und die Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln können im Geschäft leicht erfragt werden. Zudem ist davon auszugehen, dass Lebensmittel in aller Regel nicht außerhalb der Mindesthaltbarkeitsdauer angeboten werden. Im Hinblick auf die persönliche Haushaltsgestaltung und Vorratshaltung können überdies zusätzliche wesentliche Produktinformationen - wie etwa das Einkaufsdatum - zu Hause durch Verwendung der mitgelieferten Strichcodeetiketten verfügbar gemacht werden (RN. 19)."

In RN. 20 des Urteils wird die "vielfältige Einsetzbarkeit" durch die "individuelle Verwendung der mitgelieferten Strichcodeetiketten" noch einmal angesprochen.

Die nächsten Abschnitte im Urteilstext befassen sich mit den Fragen: Darf die Klägerin auf die mögliche Hilfe durch Dritte hingewiesen werden? Könnte die Versicherte - entsprechend geschult - nicht auch ohne das Hilfsmittel zurechtkommen?

Als Antwort auf die erste Frage verweist das Gericht in RN. 22 auf frühere Entscheidungen, wonach die Hilfsmittelversorgung durch die GKV ja gerade dazu dient, zur Selbständigkeit und damit zur Unabhängigkeit von der Hilfe Dritter beizutragen. Zeitgemäß begründet das BSG dies nun zusätzlich mit dem Hinweis auf Art. 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) und 20 (Persönliche Mobilität) der UN-Behindertenrechtskonvention.

Bei der Antwort auf die zweite Frage erinnert das BSG an sein Urteil zum Farberkennungsgerät (Urteil vom 17.1.1996 - 3 RK 38/94): Ohne das Farberkennungsgerät - so das BSG damals - müsste ein Blinder zur Identifizierung von Gegenständen sich eines besonderen Ordnungssystems bedienen und dies kann - so das BSG auch noch heute - sich sehr leicht als unzureichend erweisen:

"Zum einen werden hierdurch Verwechslungen (...) nicht ausgeschlossen, weil das menschliche Erinnerungsvermögen weder grenzenlos noch unfehlbar ist. Zum anderen sind Entwicklung und Einhaltung solcher Ordnungssysteme häufig mit einem erheblichen zeitlichen und intellektuellen Aufwand verbunden. (...) Die mit der Entwicklung und Einhaltung entsprechender Ordnungssysteme verbundene Mehrbelastung kann im Einzelfall sogar die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich gelegentlich andere mit den Ordnungssystemen nicht vertraute Personen besuchsweise in der Wohnung des Sehbehinderten aufhalten oder wenn mit den sekundären Sinnen (Riech-, Tast- und Hörsinn) die Produktbeschaffenheit nicht eindeutig identifizierbar ist (z.B. Konservendosen, Tetrapacks). Die Öffnung der Verpackung, um den Inhalt über den Riechsinn wahrzunehmen, würde nicht dem Vorgehen im Rahmen einer normalen Haushaltsführung entsprechen (RN. 23)."

Hinzu kommt dann noch, dass die Fähigkeit des Betroffenen, sich zu sensibilisieren und zu trainieren, "zumindest in den Fällen begrenzt ist, in denen der Betroffene - wie hier - nicht seit Geburt erblindet bzw. sehbehindert ist (RN. 24)." Die weitere Aussage in diesem Abschnitt, dass diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt, entnimmt das BSG der DBSV-Broschüre "Mobil im Alltag". Mit dieser Feststellung kann aber nicht begründet werden, dass ein Barcodelesegerät zur Haushaltsführung für Personen, welche ihr Sehvermögen in jüngeren Jahren verloren haben oder bei welchen die Behinderung angeboren ist, für die Haushaltsführung nicht erforderlich wäre.

In RN. 25 des Urteils des BSG wird festgestellt, dass es sich bei einem Barcodelesegerät um keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, weil die für sehbehinderte Menschen angebotenen Barcodelesegeräte "nach ihrer Funktion und Bauart speziell auf die Bedürfnisse dieser Gruppe von behinderten Menschen zugeschnitten" sind.

"Anders als bei handelsüblichen Barcodelesegeräten wird die in einem Strichcode verschlüsselte Produktinformation über eine Sprachausgabe für die Betroffenen hörbar gemacht. Zudem kommen handelsübliche Barcodelesegeräte nicht in privaten Haushalten, sondern ausschließlich im gewerblichen Sektor zum Einsatz und können bereits aus diesem Grund nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens angesehen werden."

In den letzten Abschnitten des Urteils (RN. 26 bis RN. 30) begründet das BSG, warum es den Fall nicht abschließend entscheidet, sondern zur Aufklärung weiterer Einzelheiten an das Landessozialgericht zurückverweist.

Dazu stellt das BSG folgende Fragen:

a) Zur persönlichen Lebensführung der Klägerin: Führt sie den Haushalt alleine? Wie ist sie bisher zurechtgekommen? Wirkt sich das Alter einschränkend auf eventuelle kompensierende Fähigkeiten aus (RN. 27)? Kann die Klägerin das begehrte Hilfsmittel bedienen? Kann sie sich "im Ladengeschäft" orientieren?

"Hierbei wird das LSG - ausgehend von seinen bereits getroffenen Feststellungen - zugrunde legen können, dass die Klägerin aufgrund ihres 2 %-igen Restsehvermögens in der Lage ist, Kontraste sowie Hell und Dunkel wahrzunehmen, so dass die durch das Barcodelesegerät nicht gewährleistete Orientierung im Ladengeschäft über die vorhandene Sinneswahrnehmung sichergestellt ist. (RN. 28)"

b) Zur Wirtschaftlichkeit der Hilfsmittelgewährung (§ 33 Abs. 1 SGB Satz 1 V in Verbindung mit § 12 Abs. 1 SGB V) heißt es in Urteil des BSG:

"Sowohl der Umfang der konkreten Nutzung des Barcodelesegeräts durch die Klägerin unter Berücksichtigung seiner Einsatzmöglichkeiten als auch die im Rahmen der Wirtschaftlichkeit vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse bedingen (...) noch weitere Ermittlungen. "Die Sachleistungspflicht nach § 33 Abs. 1 SGB V beschränkt sich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung; es besteht also kein Anspruch auf Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Hilfsmittel (...). Soweit ein kostengünstigeres Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung funktionell ebenso geeignet ist, besteht daher kein Anspruch auf die Versorgung mit einem teureren Hilfsmittel (...). Trotz der Bedeutung der durch ein Barcodelesegerät vermittelten Information bedarf es in Anbetracht des hohen Anschaffungspreises einer relativ häufigen Nutzung des Geräts pro Tag, um dessen Wirtschaftlichkeit bejahen zu können. Ferner wird das LSG zu prüfen haben, ob andere ebenso einsetzbare, aber kostengünstigere Hilfsmittel angeboten werden (RN. 29)."

Das LSG soll sich also nach vergleichbaren Geräten anderer Anbieter erkundigen und danach, wie hoch die zusätzlichen Kosten für ein mobil einsetzbares Gerät sind.

Die vom BSG gestellten Fragen waren Gegenstand des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.10.2012 - L 1 KR 111/11 ZVW. Wie bereits festgestellt, hat das LSG Berlin-Brandenburg den Anspruch der Klägerin auf Ausstattung mit einem Barcode-Lesegerät Einkaufsfuchs bejaht.

Die vom BSG gestellten Fragen werden in den Randnummern 35 ff. behandelt. Die Klägerin führe weitgehend den Haushalt. Sie sei auf den Einkaufsfuchs angewiesen und könne diesen auch bedienen.

"Es war und ist unstreitig, dass sie das Gerät täglich mehrfach einsetzen wird, da es nicht nur bei der Nahrungszubereitung, der Körperpflege, der Haushaltsreinigung und bei der Ablage bzw. dem Wiederfinden von Dokumenten zu Hause zum Einsatz kommen kann, sondern darüber hinaus zu seinem primären Zweck, beim Einkaufen zu helfen."

Zur Frage einer wirtschaftlicheren Alternative stellt das LSG fest, dass es zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt keine wirtschaftlichere Alternative gebe. Zwar gebe es ein Zusatzgerät das als Barcodelesegerät zusammen mit einem Smartphone mit einem entsprechenden Betriebssystem benützt werden könne (RN. 37).

"Da die Klägerin zutreffend und unwidersprochen darauf verweist, dass mit dem Alternativprodukt für eine Person wie sie, welche nicht selbstverständlich mit einem Smartphone umgehen kann, ein erheblicher Schulungsaufwand besteht, weil jedenfalls sie sich nicht ohne solche mit dem benötigten Handy und der zusätzlich erforderlichen Vorlesesoftware zu Recht findet. "Unter dem Strich" ist deshalb von einem entscheidungserheblichen Wirtschaftlichkeitsvorteil des Alternativsystems nicht auszugehen (RN. 37)."

Zum für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt wurde der Einkaufsfuchs für ca. 3.000 Euro, das alternativ angebotene Barcodelesegerät für ca. 2.200 Euro angeboten. Die Entscheidung zeigt, dass es für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit durchaus darauf ankommt, über welche Hilfsmittel der blinde oder sehbehinderte Versicherte verfügt und ob etwa mit Hilfe eines Zusatzgerätes oder einer entsprechenden Software eine wirtschaftlichere Alternative verfügbar ist.

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6.4.4 Schreibgeräte

Zur Blindenschriftschreibmaschine ist ein Urteil des BSG vom 15.2.1978, BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 5), ergangen: Krankenkassen werden in dieser Entscheidung mit der Begründung nicht für leistungspflichtig gehalten, weil eine Schreibmaschine nicht unmittelbar bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet ansetze. Die Benutzung durch einen Blinden diene nicht dem medizinischen Ausgleich seiner körperlichen Behinderung, sondern seiner Eingliederung in das Berufsleben oder - wie z. B. bei einem Rentner - "lediglich der Milderung der in seinem privaten Bereich liegenden Benachteiligungsfolgen". Die Fähigkeit zu schreiben, wenn auch in der Form der Brailleschrift, wird durch die Blindheit nicht beeinträchtigt. In dem Urteil fehlt allerdings jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Leistungspflicht nicht deshalb zu bejahen sei, weil es sich beim Schreiben um ein Grundbedürfnis handelt. Gedanken oder Informationen schriftlich festhalten zu können erweitert immerhin den geistigen Freiraum. Eine Blindenschriftschreibmaschine ist für die Benutzung durch Blinde bestimmt und wird in aller Regel nur von diesem Personenkreis benutzt. Sie ist also, anders als z.B. ein Kugelschreiber, kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Zum Begriff des Hilfsmittels vgl. BSG Urteil vom 16.09.1999 - B 3 RK 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33.

Schreibgeräte für Blinde wurden als Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für blinde Schüler, welche der Schulpflicht unterliegen, in die Produktgruppe 07 des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V unter der Nr. 07.99.05 aufgenommen. Begründet wird das damit, dass es sich beim Erwerb der Schulbildung innerhalb der Schulpflicht um ein Grundbedürfnis handle. Im Hilfsmittelverzeichnis Produktgruppe 07 heißt es dazu:

"Punktschriftgriffel, -korrekturstifte und Gittertafeln werden zum manuellen Schreiben von Punktschrift auf Papier benötigt. Insbesondere Gittertafeln werden in verschiedenen Größen angeboten. Eine besondere Schreibhilfe stellen die so genannten Brailledrucker dar. Mit diesen Druckern werden so genannte erhabene Braillezeichen gedruckt bzw. geprägt. Auf diese Weise können Textinformationen für Menschen, welche die Blindenschrift beherrschen, taktil zugängig gemacht werden. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten die so genannten Brailleschriftschreibmaschinen (Punktschriftschreibmaschinen), nur dass hier die zu schreibende Information über eine Tastatur vom Anwender direkt eingegeben werden muss. Sie werden von schulpflichtigen Kindern benötigt, um ihre Aufgaben im Rahmen der Schulpflicht erledigen zu können."

Die Einschränkung des Anspruchs auf Schüler innerhalb der Schulpflicht wird in der Produktgruppe 07 unter Nr. 3 mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 22.07.2004 - B 3 KR 13/03 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 6 - begründet. Die Leistungspflicht der Krankenkassen wird im Hilfsmittelverzeichnis auch dann ausgeschlossen, wenn spezielle Blindenhilfsmittel in besonderen Einrichtungen (z.B. Blindenschulen) zum Einsatz kommen und von einer Vielzahl von Schülern mit gleichartiger Behinderung genutzt werden können.

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6.4.5 Kommunikationsgeräte für taubblinde Menschen

Der Kommunikation zwischen taubblinden Menschen und Hörenden dienen Hilfsmittel wie das Verständigungsgerät für Taubblinde "Tabli". Der Taubblinde kann Mitteilungen oder Fragen über eine Schreibmaschinen- oder Blindenschrifttastatur einschreiben. Der Text wird über einen Bildschirm, Sprachausgabe oder ein Brailledisplay (zur Verständigung mit Blinden) ausgegeben. Der "Gesprächspartner" kann Mitteilungen oder Antworten über eine Tastatur in das Gerät eingeben. Der Taubblinde kann diese Mitteilungen über ein Brailledisplay lesen.

Das Gerät ist speziell für die Verständigung mit Taubblinden gestaltet und wird von Nichtbehinderten nicht benutzt. Es handelt sich somit um ein Hilfsmittel im Sinn von § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V (zum Begriff des Hilfsmittels vgl. BSG Urteil vom 16.09.1999 - B 3 RK 1/99 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33).

Das Gerät dient der Information und der Kommunikation mit Mitmenschen. Es dient damit der Gewinnung eines geistigen Freiraums, also der Befriedigung eines Grundbedürfnisses (vgl. dazu Urteil des BSG vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 zum Lese-Sprech-Gerät).

Voraussetzung für die Benutzung solcher Verständigungsgeräte ist, dass der Taubblinde die Brailleschrift beherrscht. Die Erforderlichkeit wird dann in aller Regel zu bejahen sein. Zwar gibt es auch andere Verständigungsmöglichkeiten, z. B. das Lormen, bei welchem die Buchstaben durch Tippen auf bestimmte Stellen der Hand wiedergegeben werden. Die Kommunikation ist damit aber auf Personen eingeschränkt, die dieses Verständigungssystem anwenden können.

Auch im Hilfsmittelverzeichnis zu § 139 SGB V, Produktgruppe 07 werden Kommunikationsgeräte für Taubblinde unter Nr. 07.99.04 als Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen aufgeführt.

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6.4.6 Hörgeräte

Für blinde Menschen, die zusätzlich eine Hörbeeinträchtigung aufweisen, ist für ihre selbständige und unabhängige Teilhabe eine möglichst optimale Hörgeräteversorgung von existentieller Bedeutung.

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6.4.6.1 Rechtsgrundlagen

Rechtsgrundlage im SGB V ist § 27 in Verbindung mit § 33 SGB V.

Hörgeräte werden im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen zu § 139 SGB V in der Produktgruppe 13 "Hörhilfen" behandelt. Diese beziehen sich auf die Hilfsmittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung, welche für die Verordnung von Hilfsmitteln durch Ärzte gem. § 92 SGB V verbindlich sind. Hörhilfen werden dort in den §§ 18 ff behandelt.

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6.4.6.2 Versorgungsqualität

In einem Gutachten des gemeinsamen Fachausschusses hörsehbehindert / taubblind (GFTB) wird dazu ausgeführt:

"Blinde und sehbehinderte Menschen sind zur Bewältigung ihres Alltags in besonderer Weise auf ihren Hörsinn angewiesen. Kommunikation ist für sie vor allem verbal und zum Hören. Sie erkennen an Geräuschen, was in ihrer Umgebung gerade passiert. Im Haus und im Straßenverkehr ist die akustische Orientierung für blinde und sehbehinderte Menschen lebenswichtig. Informationen bekommen sie durch Lautsprecheransagen, Rundfunk, sprechende Uhren und Haushaltsgeräte und die synthetische Sprachausgabe ihres Computers.

Wenn bei blinden und sehbehinderten Menschen zusätzlich das Hörvermögen eingeschränkt ist, können sie fehlende Visuelle Informationen nicht mehr durch ihren Hörsinn ausgleichen. Es drohen schwerwiegende Folgen für ihr persönliches und soziales Leben, für ihre Selbstständigkeit und körperliche und seelische Gesundheit Aber mit einer individuell optimal angepassten Hörgeräteversorgung können viele hörsehbehinderte Menschen auch bei vielen und lauten Störgeräuschen Gespräche führen und Informationen verstehen in größeren Gruppen erkennen, wer aus welcher Richtung spricht bei ihrer alltäglichen Lebensführung Geräusche richtig erkennen und einordnen wie ob die Milch kocht, wohin etwas auf die Erde gefallen ist und ob die Tür, das Telefon oder Handy klingelt. Informationen aufnehmen mit Radio, Fernsehen, Hörbüchern im Straßenverkehr hören, ob die Fußgängerampel grün hat, ob, wie schnell und aus welcher Richtung ein Auto kommt, wo sich eine Toreinfahrt oder eine Querstraße befindet"

"Hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen sind zur Orientierung innerhalb eines Raumes und ganz besonders bei der Teilnahme am Straßenverkehr auf ein ausreichendes Klangbild angewiesen. Bei der Versorgung mit Hörgeräten ist deshalb darauf zu achten, dass nicht nur ein ausreichendes Sprachverständnis erzielt werden kann (....) Vielmehr kommt es auf das räumliche Hören an." (Markus Brinkmann in "Gegenwart" Ausgabe 10/2010 Zeitschrift des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Hörhilfen, also Hörgeräte sind Hilfsmittel, welche dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). In diesen Fällen muss der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geforderte möglichst vollständige Behinderungsausgleich durch die Bereitstellung der nach dem Stand der Hörgerätetechnik bestmöglichen Ausstattung erfolgen. Vgl. dazu Urteil des BSG vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R); Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20. August 2013 (Az.: L 13 R 2607/10); Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.03.2011 (L 9 KR 302/07); Urteil des hessischen LSG vom 24.07.2014 mit weiteren Nachweisen (L 8 KR 352/11).

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist nach den zitierten Urteilen die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion - hier das Hören - selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 a.a.O.). Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V ). Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiter entwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Das Maß der notwendigen Versorgung würde deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur "zur Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Dies schließt je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2009 und 24. Januar 2013 a.a.O.).

"Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (BSG, Urt. vom 17. Dezember 2009 - a.a.O. m.w.N.)."

Dieser Rechtsprechung trägt die Neufassung der am 10. April 2012 im Bundesanzeiger veröffentlichtte und am 1. April 2012 in Kraft getretene Hilfsmittelrichtlinie (zuletzt geändert am 17. Juli 2014 veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 28.10.2014 B3 vom 28. Oktober 2014 in Kraft getreten am 29. Oktober 2014) Rechnung. Die Richtlinie sieht vor, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für solche Hörgeräte aufkommt, die nach dem Stand der Medizintechnik Funktionsdefizite des Hörvermögens möglichst weitgehend ausgleichen, und zwar im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztendlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Dabei soll - soweit möglich - ein Sprachverstehen auch bei Umgebungsgeräuschen und in größeren Personengruppen erreicht werden. Der Überarbeitung der Hilfsmittelrichtlinien lag insbesondere das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 17. Dezember 2009 (B 3 KR 20/08 R) zu Grunde.

§ 19 Abs. 1 der Hilfsmittelrichtlinien lautet:

"(1) Zielsetzung der Hörgeräteversorgung ist es, a) ein Funktionsdefizit des beidohrigen Hörvermögens unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts möglichst weitgehend auszugleichen und dabei - soweit möglich - ein Sprachverstehen bei Umgebungsgeräuschen und in größeren Personengruppen zu erreichen sowie b) die Auswirkungen einer auditiven Kommunikationsbehinderung im gesamten täglichen Leben und damit bei der Befriedigung von allgemeinen Grundbedürfnissen zu beseitigen oder zu mildern."

Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Hilfsmittelrichtlinie ist die Regelversorgung "die beidohrige Versorgung."

Für blinde und sehbehinderte Menschen mit zusätzlicher Schwerhörigkeit ist der möglichst weitgehende Ausgleich der Höreinschränkung auch deshalb von besonders großer Bedeutung, weil auch fehlende Seheindrücke durch Hören kompensiert werden müssen.

In dem Urteil des BSG vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R) ging es zwar um eine nahezu vollständig ertaubte Person, es hat aber in der Entscheidung allgemein auf den Leistungsumfang der Krankenkasse hingewiesen. Zum Versorgungsumfang der GKV gehören damit nicht nur Geräte, mit denen ein ausreichendes Sprachverständnis erzielt werden kann (Verständigung 'beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache'), sondern auch solche für das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen und für die Wiedergabe eines räumlichen Klangbildes.

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6.4.6.3 Festbetragsregelung

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat für Hörgeräte gem. § 36 Abs. 1 SGB V am 23. Oktober 2006 mit Wirkung ab 1. Januar 2007 Festbeträge festgesetzt. Diese Festbeträge wurden 2013 wesentlich erhöht. Nach § 35 Abs. 5 SGB V, auf welchen in § 36 Abs. 3 SGB V verwiesen wird, sind die Festbeträge zwar so festzusetzen, daß sie im allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Es erweist sich jedoch in der Praxis, dass Hörgeräte, für welche ein Festbetrag festgesetzt ist, den oben genannten Anforderungen hörbeeinträchtigter blinder oder sehbehinderter Menschen nicht in allen Fällen gerecht werden. Das Qualitätsgebot darf jedoch, wie sich aus der unter 6.4.6.2 zitierten Rechtsprechung ergibt, nicht durch zu geringe Festbeträge ausgehebelt werden.

In diesen Fällen muss der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geforderte möglichst vollständige Behinderungsausgleich durch die Bereitstellung der nach dem Stand der Hörgerätetechnik bestmöglichen Ausstattung erfolgen. Das heißt, dass die Krankenkasse auch die den Festbetrag übersteigenden Betrag übernehmen muss.

Vgl. dazu Urteil des BSG vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R).

Nach einem weiteren BSG-Urteil muss allerdings die Rentenversicherung den über dem Festpreis liegenden Anteil bezahlen, wenn teurere Geräte allein aus beruflichen Gründen benötigt werden (BSG Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12).

Zunächst muss geprüft werden, welches von den Hörgeräten, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde und die im Allgemeinen auch den Anforderungen entsprechen, das individuell am besten geeignete ist. Liegen allerdings Anhaltspunkte für individuell besonders hohe Anforderungen vor, insbesondere bei einem sehr hohen Grad an Schwerhörigkeit, so sind auch die nur mit Aufpreis erhältlichen Geräte zu testen. Ergibt sich dabei ein markant höherer Hörgewinn, so hat die Krankenkasse das betreffende Gerät für den Versicherten eigenanteilsfrei zu gewähren (vgl. Hessisches LSG Urt. v. 27.07.2014 - L 8 KR 352, Rn. 48ff).

Bei den verschiedenen Testgeräten sollten Messungen im freien Schallfeld mit Einsilber (genormte Einsilber des Freiburger Wörtertests) unter Ruhe und unter Störgeräuschen durchgeführt werden.

Hilfreich für den Nachweis des Bedarfs einer über dem Festpreis liegenden Hörgeräteversorgung ist es, wenn sich dieser aus dem HNO- und Augenärztlichen Befund nach ausführlichen Tests und einer zu empfehlenden schriftlichen Dokumentation persönlicher Testerfahrungen mit verschiedenen Hörgeräten ergibt. Abzuraten ist davon, vor der Genehmigung durch die Krankenkasse gegenüber dem Hörgeräteakustiker eine Erklärung abzugeben, dass mit der Zuzahlung für den den Festbetrag übersteigenden Betrag Einverständnis bestehe.

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6.4.7 Messgeräte für Körperzustände und Körperfunktionen

Das Hilfsmittelverzeichnis zu § 139 SGB V Produktgruppe 21 enthält Messgeräte für Körperzustände und Körperfunktionen.

Als Hilfsmittel kommen Blutdruckmeßgeräte, Blutzuckermessgeräte, Personenwaagen (in ganz bestimmten Fällen siehe unten) und Quickwertmessgeräte (Blutgerinnungs-Messgeräte) in Frage.

Geräte, die üblicherweise zu einer zeitgemäßen Haushaltsausstattung gehören (z.B. Fieberthermometer, Haushalts- oder Diätwaagen), sind als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen und werden deshalb nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst. Eine Ausnahme bilden die Personenwaagen bei der Durchführung einer Heimdialyse, insoweit diese nicht bereits im Rahmen der Sicherstellung der Dialyse zur Verfügung gestellt werden. Die fehlerfreien und auf 100 g genauen Messungen sind für eine Dialyse-Überwachung unerlässlich.

Eine Leistungspflicht der Krankenkassen besteht nur dann, wenn das jeweilige Gerät zur dauernden selbstständigen Überwachung des Krankheitsverlaufs und/oder zur selbstständigen sofortigen Anpassung der Medikation aus medizinischen Gründen zwingend erforderlich ist. Der Versicherte und ggf. die Betreuungsperson muss sich ferner zur Selbstmessung eignen, mit Erfolg den Gebrauch des Gerätes unter Anleitung des Arztes erlernt haben und in der Auswertung der Messergebnisse unterwiesen worden sein. Der verordnende Arzt hat dies auf dem Verordnungsblatt zu bestätigen. Der Versicherte (bzw. die Betreuungsperson) muss ein Patiententagebuch führen, in welchem die gemessenen Ergebnisse bzw. aufgetretenen Ereignisse protokolliert werden und alle weiteren für eine Beurteilung des Krankheitsverlaufs wesentlichen Informationen (wie z.B. die Medikation) eingetragen werden.

Im Hilfsmittelverzeichnis heißt es: Blutdruckmessgeräte, Blutzuckermessgeräte, Personenwaagen und Quickwertmessgeräte (Blutgerinnungsmessgeräte) können mit einer Sprachausgabe ausgestattet sein. Diese Geräte sind dann einsetzbar, wenn der Versicherte blind oder stark sehbehindert ist, so dass der Einsatz anderer Geräte mit großer Digitalanzeige und auch andere Möglichkeiten der Messung (z.B. durch eine Betreuungsperson) nicht möglich sind.

Dazu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des BSG nur sehr eingeschränkt auf Hilfspersonen verwiesen werden darf. Vgl. dazu das Urteil des BSG zum Lese-Sprech-Gerät vom 23.8.1995 - 3 RK 7/95 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 - und zum Farberkennungsgerät vom 17.1.1996 - 3 RK 38/94 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 18 jeweils mit weiteren Nachweisen. Wenn ein Blinder zur selbstständigen Messung z. B. des Blutdrucks oder des Blutzuckers in der Lage ist, muss ihm das auch zugestanden werden.

Die Verordnung eines Messgerätes mit Sprachausgabe erfordert eine fundierte ärztliche Begründung.

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6.5 Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten

Der Rehabilitation blinder und sehbehinderter Menschen dient auch die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags. Damit zusammenhängende Fragen sind:

  • Inwieweit kommen die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des SGB V als Kostenträger in Frage?
  • Was ist Inhalt der Leistungen?
  • Sind diese Leistungen auch als Einzelmaßnahmen oder nur als Bestandteil komplexer ambulanter oder stationärer Rehabilitationsmaßnahmen möglich?
  • Wer kann Leistungserbringer sein?

Durch die Gesundheitsreform wurden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Krankenkassen von Ermessensleistungen zu Pflichtleistungen umgestaltet. Rechtsquelle ist das Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.07 (BGBl I 2007, S. 378), das am 01.04.07 in Kraft getreten ist. Unklar war nach der bisherigen Rechtslage, ob und in welchem Umfang die gesetzlichen Krankenkassen für die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten als Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in Frage kamen. Aufgrund langwieriger Gespräche haben die Spitzenverbände der Krankenkassen - mit Ausnahme des AOK-Bundesverbandes - unter dem 13.09.06 Empfehlungen zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen beschlossen. Ein Rechtsanspruch wird in dieser Empfehlung nicht anerkannt.

Die Unklarheit ist auch durch das GKV-WSG nicht beseitigt worden.

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6.5.1 Rechtsgrundlagen

Die gesetzlichen Krankenkassen sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX Rehabilitationsträger für Leistungen nach § 5 Nr. 1 und 3, d. h. für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 5 Nr. 1 SGB IX).

Auszugehen ist für die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen von § 26 SGB IX "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation".

Nach § 26 Abs. 1 werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um

  1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder
  2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern.

In einem nicht abgeschlossenen Katalog werden in § 26 Abs. 2 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aufgelistet. Danach umfassen diese Leistungen insbesondere:

  1. Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln,
  2. Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder,
  3. Arznei- und Verbandmittel,
  4. Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie,
  5. Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
  6. Hilfsmittel,
  7. Belastungserprobung und Arbeitstherapie.

Nach § 26 Abs. 3 sind Bestandteil der Leistungen nach Absatz 1 auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die in Absatz 1 genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere

  1. Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,
  2. Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,
  3. mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen,
  4. Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,
  5. Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,
  6. Training lebenspraktischer Fähigkeiten,
  7. Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.

§ 26 Abs. 1 grenzt mit seinen speziellen Zielsetzungen die medizinische Rehabilitation von den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 33 ff. SGB IX) und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§§ 55 ff. SGB IX) ab. Durch die medizinische Rehabilitation sollen nicht nur vorübergehende schädigungsbedingte Fähigkeitsstörungen oder Beeinträchtigungen in der Teilhabe (§ 4 SGB IX) vermieden, beseitigt oder gebessert werden.

Nach § 7 S. 2 SGB IX richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, für die gesetzlichen Krankenkassen also nach dem SGB V. Zudem gelten die Vorschriften des SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe des zuständigen Rehabilitationsträgers gemäß § 7 S. 1 SGB IX nur, soweit sich aus den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichendes ergibt.

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen sind in § 11 SGB V aufgelistet. Die Vorschrift enthält in ihrem Abs. 1 einen allgemeinen Überblick über die Leistungsarten in der gesetzlichen Krankenversicherung, ohne selbst bereits Ansprüche zu begründen (BT-Drs. 11/2237 S. 163). Es handelt sich damit um eine Einweisungsvorschrift.

Nach § 11 Abs. 1 SGB V haben Versicherte vor allem Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Krankheiten (wozu die Vorsorgemaßnahmen nach § 23 zählen), zur Früherkennung von Krankheiten und zur Krankenbehandlung (§§ 27 ff.).

Nach § 11 Abs. 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Abs. 2 Satz 1 betont die Bedeutung der Rehabilitation für das gesamte Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung und stellt klar, dass medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation eigenständige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht nur Unterfall der in Abs. 1 genannten Leistungsarten sind (Haufe Onlinekommentar RZ. 22 zu § 11 SGB V; BT-Drs. 14/1977 S. 160). Abs. 2 enthält selbst keine Definition der Rehabilitation, sondern verdeutlicht lediglich ihre Aufgabe und Zielrichtung im Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (Haufe Onlinekommentar RZ. 23 zu SGB V § 11; BT-Drs. 11/2237 S. 163). In Abs. 2 S. 3 wird klargestellt, dass die Reha-Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Vorschriften des SGB IX zu erbringen sind, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist. Nach wie vor gehören Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufsfördernde Maßnahmen) und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (psychosoziale Maßnahmen, Maßnahmen zur sozialen Wiedereingliederung) nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 5 und 6 SGB IX; BT-Drs. 11/2237 S. 163).

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zur medizinischen Rehabilitation zählen gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ebenso wie die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Nr. 1) und die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3) zur Krankenbehandlung. Rechtsgrundlage für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind die §§ 40 ff. SGB V.

Für die Verfolgung der Ziele einer medizinischen Rehabilitation ergibt sich für die von den gesetzlichen Krankenkassen im Zusammenhang mit Behinderungen nach dem SGB V zu erbringenden Leistungen, wie § 40 zu entnehmen ist, ein dreistufiges Schema:

  1. Die ambulante Krankenbehandlung (§§ 28 ff.), welche auch rehabilitative Ziele beinhaltet (§ 27 SGB IX). Zu ihr gehören nicht nur die ärztliche Behandlung nach § 28 SGB V, sondern u. a. auch die Versorgung mit Heilmitteln (§ 32 SGB V und Heilmittel-Richtlinien) und Hilfsmitteln (§ 33 SGB V und Hilfsmittel-Richtlinien).
  2. Maßnahmen der ambulanten medizinischen Rehabilitation (§ 40 Abs. 1 SGB V, Reha-Richtlinien und BAR-Rahmenempfehlung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation) und
  3. wenn diese nicht ausreichen, Maßnahmen der stationären Rehabilitation (§ 40 Abs. 2 SGB V und Reha-Richtlinien).

Schließlich dienen der Rehabilitation ergänzende Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 SGB V und Reha-Richtlinien).

Durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.07 (BGBl I 2007, S. 378) wurden die Leistungen zur Rehabilitation nach § 40 SGB V von Ermessens- zu Pflichtleistungen umgestaltet.

§ 40 Abs. 1 und 2 SGB V lauten:

"(1) 1 Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs. 2 beschriebenen Ziele zu erreichen, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 besteht, oder, soweit dies für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung des Versicherten mit medizinischen Leistungen ambulanter Rehabilitation erforderlich ist, durch wohnortnahe Einrichtungen. 2 Leistungen nach Satz 1 sind auch in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 72 Abs. 1 des Elften Buches zu erbringen.

(2) 1 Reicht die Leistung nach Absatz 1 nicht aus, erbringt die Krankenkasse stationäre Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 20 Abs. 2a des Neunten Buches zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 besteht. 2 Wählt der Versicherte eine andere zertifizierte Einrichtung, mit der kein Versorgungsvertrag nach § 111 besteht, so hat er die dadurch entstehenden Mehrkosten zu tragen. 3 Die Krankenkasse führt nach Geschlecht differenzierte statistische Erhebungen über Anträge auf Leistungen nach Satz 1 und Absatz 1 sowie deren Erledigung durch."

Aus der Neufassung der Abs. 1 und 2 ergibt sich, dass hinsichtlich des "ob" der Leistung, wenn sie aus medizinischen Gründen notwendig ist, kein Ermessen der Krankenversicherung mehr besteht.

In § 40 Abs. 1 S. 1 wird außerdem bestimmt, dass ambulante Rehabilitationsleistungen "durch wohnortnahe Einrichtungen" und nicht mehr wie bisher "in wohnortnahen Einrichtungen" erbracht werden. Dadurch ist es nunmehr auch möglich, dass die Rehabilitationsleistungen durch ein mobiles Reha-Team in der häuslichen Umgebung des Versicherten erbracht werden.

In einem Merkblatt des Bundesgesundheitsministeriums heißt es dazu:

"Die Rehabilitation kann stationär, teilstationär oder ambulant erfolgen. Auch die Behandlung durch so genannte mobile Reha-Teams gehört jetzt zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Zum mobilen Reha-Team gehören ein Arzt, der die Behandlung koordiniert und - je nach Bedarf - ein Team aus Pflegekräften, Krankengymnasten oder Sprachtherapeuten. Das gemeinsame Ziel: Der Patient soll, wenn er das möchte, so weit wie möglich seinen Alltag in den eigenen vier Wänden selbstständig gestalten können."

Nach dem unveränderten § 40 Abs. 3 S. 1 bestimmt die Krankenkasse nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen.

Das bedeutet, dass die Krankenkasse nach wie vor einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Art der Durchführung und hinsichtlich der Auswahl der Einrichtung hat. Der medizinischen Rehabilitation durch die Krankenkassen dienen auch "ergänzende Leistungen" nach § 43 SGB V.

Es handelt sich dabei um Ermessensleistungen. § 43 Abs. 1 SGB V lautet:

"(1) Die Krankenkasse kann neben den Leistungen, die nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 sowie nach §§ 53 und 54 des Neunten Buches als ergänzende Leistungen zu erbringen sind,

  1. solche Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern, die unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern, aber nicht zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder den Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung gehören,
  2. wirksame und effiziente Patientenschulungsmaßnahmen für chronisch Kranke erbringen; Angehörige und ständige Betreuungspersonen sind einzubeziehen, wenn dies aus medizinischen Gründen erforderlich ist, wenn zuletzt die Krankenkasse Krankenbehandlung geleistet hat oder leistet."

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6.5.2 Konkretisierung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch Richtlinien und Rahmenempfehlungen

Die Konkretisierung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erfolgt in den Richtlinien über Leistungen der medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-RL) vom 16. März 2004 (BAnz 2004 Nr. 63, S. 6769), welche vom gemeinsamen Bundesausschuss aufgrund von § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 SGB V erlassen worden sind und in den Rahmenempfehlungen nach § 111b SGB V.

Voraussetzungen für die Rehabilitation sind die medizinischen Indikationen (§ 111b S. 2 Nr. 2) einerseits und Rehabilitationsbedürftigkeit (§ 8 Reha-RL) sowie die persönlichen Fähigkeiten des Patienten andererseits, an den Rehabilitationsmaßnahmen erfolgreich teilnehmen zu können (§ 9 Reha-RL). § 7 Reha-RL bestimmt dazu:

"(1) Voraussetzung für die Verordnung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist das Vorliegen der medizinischen Indikation. Hierzu sind im Sinne eines vorläufigen rehabilitationsmedizinischen Assessments abzuklären:

  • die Rehabilitationsbedürftigkeit,
  • die Rehabilitationsfähigkeit und
  • eine positive Rehabilitationsprognose auf der Grundlage realistischer, für den Versicherten alltagsrelevanter Rehabilitationsziele.

(2) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation können nur verordnet werden, wenn das innerhalb der Krankenbehandlung angestrebte Rehabilitationsziel voraussichtlich nicht durch

  • Leistungen der kurativen Versorgung oder deren Kombination,
  • die Leistungen der medizinischen Vorsorge nach §§ 23 und 24 SGB V

erreicht werden kann, die Leistung zur medizinischen Rehabilitation dafür jedoch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet."

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6.5.3 Leistungserbringer

Leistungserbringer für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation nach § 40 SGB V sind Rehabilitationseinrichtungen oder wohnortnahe Einrichtungen. Leistungserbringer für mobile oder ambulante Rehabilitationsleistungen sind nach § 40 Abs. 1 S. 1 Rehabilitationseinrichtungen, mit welchen ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V unter Berücksichtigung von § 21 SGB IX besteht oder wohnortnahe Einrichtungen. Die Rehabilitationseinrichtungen müssen die Voraussetzungen von § 107 Abs. 2 SGB V erfüllen, d. h. unter anderem sie müssen fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sein, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen. Vgl. dazu auch Ziff. 9 der BAR-Rahmenempfehlung. Nach Ziff. 9.2 dieser Rahmenempfehlung müssen ambulante Rehabilitationseinrichtungen über ein strukturiertes Rehabilitationskonzept verfügen, das den spezifischen Anforderungen der zu behandelnden Rehabilitandengruppen (Indikationen) entspricht.

Wohnortnahe Einrichtungen müssen nicht die Voraussetzungen für die Durchführung stationärer Rehabilitationsmaßnahmen, wie sie sich aus § 107 Abs. 2 Nr. 3 ergeben, erfüllen, d. h. die Patienten müssen nicht untergebracht und verpflegt werden können. Was unter "wohnortnahen Einrichtungen" zu verstehen ist und wie deren Zulassung zu erfolgen hat, ist im Gesetz nicht geregelt; diese Lücke ist deshalb nach der Rechtsprechung des BSG in entsprechender verfassungskonformer Anwendung der bestehenden Grundsätze des Leistungserbringerrechts zu schließen (BSGE 87, 14,22 = SozR 3-2500 § 40 Nr. 3 S. 12). Ambulante Rehabilitationseinrichtungen sind danach zuzulassen, wenn sie die - auch für vollstationäre Einrichtungen maßgeblichen - personellen und fachlichen Voraussetzungen des § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V erfüllen, also "fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sind, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen." Die in diesen Einrichtungen zur Abgabe von Heilmitteln Beschäftigten müssen, wie sich aus § 124 Abs. 3 ergibt, die Voraussetzungen nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 erfüllen. Sie müssen die für die Leistungserbringung erforderliche Ausbildung sowie eine entsprechende zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis besitzen. Die Zulassung erfolgt durch Verwaltungsakt (BSGE 87, 14, 22 = SozR 3-2500 § 40 Nr. 3). Zu den Mitarbeitern und ihre Qualifikation vgl. Ziff. 9.6 der BAR-Rahmenempfehlung.

Leistungserbringer für stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sind Rehabilitationseinrichtungen, welche die Voraussetzungen nach § 107 Abs. 2 SGB V erfüllen. Sie müssen der stationären Behandlung der Patienten dienen, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen, auch mit dem Ziel, eine drohende Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 107 Abs. 2 Nr. 1b). Sie müssen fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sein, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie, ferner durch andere geeignete Hilfen, auch durch geistige und seelische Einwirkungen, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen (§ 107 Abs. 2 Nr. 2). Ferner müssen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können. Die Zulassung erfolgt durch Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 SGB V. Es muss sich um nach § 20 Abs. 2a SGB IX zertifizierte Einrichtungen handeln. Diese Zertifizierung dient der Qualitätssicherung durch ein Qualitätsmanagement.

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6.5.4 Lebenspraktische Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags im Rahmen der medizinischen Rehabilitation

Eine Maßnahme in lebenspraktischen Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags führt dazu, eine Pflegebedürftigkeit oder zumindest eine Zunahme der Pflegebedürftigkeit zu vermeiden sowie Krankheitsfolgen vorzubeugen, sie zu überwinden, sie zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten.

Erfahrungen in der Rehabilitation dokumentieren, dass die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten blinde und sehbehinderte Menschen psychisch stabilisiert. Psychische Beeinträchtigungen, wie z.B. depressive Verstimmungen, die zu Beginn und während der Auseinandersetzung mit der eingetretenen Behinderung typisch sind, werden i. d. R. nach einer erfolgreichen Rehabilitation überwunden, weil die betroffene Person wieder aktiv am Leben teilnehmen kann (nach Seuß/Drerup; Stellungnahme zum Anspruch auf Training lebenspraktischer Fähigkeiten und auf andere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für blinde und sehbehinderte Menschen nach dem neuen SGB IX, Behindertenrecht 2003 S. 205 ff.).

Dass blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen wegen des Sehverlustes oder der Sehbeeinträchtigung in einer optisch geprägten Welt Leistungen zur Teilhabe, also Rehabilitationsleistungen benötigen, ist offensichtlich. Unterschieden wird im Sozialrecht zwischen medizinischer, beruflicher und sozialer Rehabilitation (vgl. SGB IX § 5 Nrn. 1, 2 und 4). Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dienen einer "Elementarrehabilitation". Da unterschiedliche Leistungsträger zuständig sind (§ 6 SGB IX), ist trotz aller sich daraus ergebenden Schwierigkeiten eine Abgrenzung zwischen diesen Bereichen und eine Zuordnung der einzelnen Maßnahmen zu den Leistungsträgern erforderlich (§ 6 SGB IX). Im Fokus stehen hier die Leistungen, für welche die gesetzlichen Krankenkassen zuständig sind.

Der Rehabilitationsbedarf blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen im Rahmen einer Elementarrehabilitation - ohne Berücksichtigung der Teilhabe am Berufsleben - ergibt sich insbesondere in folgenden Bereichen:

  • Beratung und psychosoziale Unterstützung,
  • Kompensation der Behinderung durch den Einsatz von Hilfsmitteln und die Schulung in ihrem Gebrauch zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse, z. B. Mobilität und die Schaffung eines geistigen Freiraumes durch Information,
  • Schulung in lebenspraktischen Fähigkeiten,
  • Kommunikations- und Kulturtechniken, wie Schreiben und Lesen, z. B. Schreiben und Lesen der Braille-Schrift, Schreiben auf einer Tastatur oder von Hand ohne optische Kontrolle,
  • Organisationsstrategien zur Entwicklung und Anwendung von Ordnungssystemen und zur Beschaffung von Hilfen,
  • Befähigung zur sinnvollen Freizeitgestaltung und zur Teilnahme am Gesellschafts- und Kulturleben und
  • Beratung und Hilfen für Angehörige zur partnerschaftlichen Schicksalsbewältigung.

Inwieweit Maßnahmen zur Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten im Rahmen der medizinischen Rehabilitation in Frage kommen, muss nach ihrer Zielsetzung und nach den Rechtsgrundlagen im SGB V ermittelt werden.

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6.5.5 Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten als mobile oder ambulante Rehabilitationsleistung

Ein Rechtsanspruch auf Leistungen der ambulanten und auch mobilen Rehabilitation ergibt sich aus § 40 Abs. 1 SGB V.

In den für die nähere Ausgestaltung maßgebenden Rehabilitations-Richtlinien wird hinsichtlich der konzeptionellen und begrifflichen Grundlagen ausdrücklich auf die BAR-Rahmenempfehlungen Bezug genommen (§ 4 Abs. 2 Rehabilitations-RL) und nochmals betont, dass medizinische Rehabilitation einen ganzheitlichen Ansatz umfasst, der über das Erkennen, Behandeln und Heilen einer Krankheit hinaus die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Gesundheitsproblemen eines Versicherten berücksichtigt, um im Einzelfall den bestmöglichen Rehabilitationserfolg im Sinne der Teilhabe an Familie, Arbeit, Gesellschaft und Beruf zu erreichen (§ 4 Abs. 1 Rehabilitations-RL). Es muss sich also um eine Komplexleistung handeln. Einzelne Leistungen der kurativen Versorgung (z. B. Heil- oder Hilfsmittel) oder deren Kombination stellen für sich allein noch keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Sinne der Rehabilitations-Richtlinien dar (§ 4 Abs. 3 Reha-RL). Wenn bei einem Blinden oder hochgradig Sehbehinderten nach den in den BAR-Rahmenempfehlungen festgelegten Indikationen eine solche komplexe Rehabilitationsmaßnahme erforderlich ist, hat er auf diese einen Rechtsanspruch. Die medizinischen Voraussetzungen ergeben sich aus der BAR-Rahmenempfehlung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation. Im besonderen Teil der Rahmenempfehlungen sind die Einzelheiten, für die kardiologische Rehabilitation, für die Reha bei muskuloskeletalen Erkrankungen, für die neurologische Rehabilitation, für die dermatologische Rehabilitation, Rehabilitation bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und zur ambulanten onkologischen Rehabilitation dargestellt.

Wenn in diesem Rahmen, d. h. bei diesen Indikationen neben den sonst erforderlichen Leistungen auch die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten erforderlich ist, sollte das im Rahmen des Gesamtplanes möglich sein, und zwar zumindest als ergänzende Rehabilitationsleistung nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten als Leistung nach § 26 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX muss in solchen Fällen wegen der Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung erforderlich sein, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern.

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6.5.6 Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten im Rahmen stationärer Rehabilitationsmaßnahmen

Rechtsgrundlage ist § 40 Abs. 2 SGB V. Wenn die entsprechenden Indikationen gegeben sind und eine stationäre Maßnahme erforderlich ist, besteht auf die stationäre Rehabilitationsmaßnahme ein Rechtsanspruch. Hier gilt nichts anderes als oben zur ambulanten oder mobilen Rehabilitation ausgeführt. Nur im Rahmen des komplexen Behandlungskonzepts können lebenspraktische Fähigkeiten vermittelt werden.

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6.5.7 Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten als ergänzende Rehabilitationsmaßnahme

Die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten kommt gemäß § 26 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX als Bestandteil der medizinischen Rehabilitation in Frage. Sie ist auch als Einzelleistung als "ergänzende Leistung zur Rehabilitation" möglich. Rechtsgrundlage ist § 43 SGB V. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 kann die Krankenkasse neben den Leistungen, die nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 sowie nach §§ 53 und 54 des Neunten Buches als ergänzende Leistungen zu erbringen sind, solche Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern, die unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern.

Das Ziel der Rehabilitation ist, nach § 11 Abs. 2 SGB V eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Anknüpfungspunkt ist die Behinderung. In diesem Rahmen sind großzügige Maßstäbe angebracht, die allerdings durch das Ziel der Erreichung oder Sicherung der Rehabilitation begrenzt werden (Haufe Onlinekommentar zu § 43 SGB V RZ. 8). Es muss sich um Leistungen handeln, die nicht schon an anderer Stelle gesetzlich geregelt sind, wie z. B. die Verabreichung von Heilmitteln (§ 32) oder die Ausstattung mit Hilfsmitteln (§ 33). Ausgeschlossen sind ausdrücklich Leistungen, die der Zielrichtung "Teilhabe am Arbeitsleben" oder "allgemeiner sozialer Eingliederung" dienen. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme i.S.d. Nr. 1 liegt vor, wenn die Maßnahme unmittelbar und zielgerichtet auf die Behinderung einwirken soll. Eine Maßnahme, die auf eine Behinderung einwirken soll, erfordert einen entsprechend geschulten Therapeuten. Vgl. dazu Haufe Onlinekommentar RZ. 8 zu § 43 SGB V. Die Abgrenzung zu Maßnahmen, die der allgemeinen sozialen Eingliederung dienen, ist von der Zielrichtung her vorzunehmen. Ihr dient die Vermittlung allgemeinen Schulwissens oder der in der Gesellschaft üblichen Kulturtechniken. § 43 Abs. 1 Nr. 1 ermöglicht den Krankenkassen flexible Gestaltungsmöglichkeiten.

Bei den ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nach § 43 SGB V handelt es sich um Ermessensleistungen.

Der MDK berät nach Ziff. 3.1.1.8 der MDK-Richtlinien die Krankenkassen, ob die medizinischen Voraussetzungen zur Gewährung sonstiger ergänzender Leistungen zur Rehabilitation, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern, erfüllt sind.

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6.5.8 Empfehlung der Krankenkassen zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen

Aufgrund langwieriger Gespräche haben die Spitzenverbände der Krankenkassen - mit Ausnahme des AOK-Bundesverbandes - unter dem 13.09.06 Empfehlungen zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen beschlossen. Ein Rechtsanspruch wird in dieser Empfehlung nicht anerkannt.

Diese Leistungsempfehlungen "Basistraining" der Spitzenverbände der Krankenkassen basieren, auch wenn das nicht ausdrücklich festgestellt wird, auf § 43 SGB V.

Der medizinische Ansatz ist dadurch gegeben, dass lebenspraktische Fähigkeiten unter der notwendigen Ersetzung des Sehsinnes durch die übrigen verbliebenen Sinne Rechnung getragen wird.

Als Leistungserbringer bieten sich deshalb, wie dies in der Leistungsempfehlung "Basistraining" erfolgt ist, die Rehabilitationslehrer für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen an.

Dass eine Einzelleistung als ergänzende Rehabilitationsleistung möglich ist, ergibt sich auch aus der Rechtsprechung zu § 43 SGB V. Vgl. z. B. Hessisches Landessozialgericht 8. Senat Urteil vom 26. Januar 2006, Az.: L 8/14 KR 1261/02.

Die Empfehlung zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen hat folgenden Wortlaut:

Empfehlung zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen

Stand: 13.09.2006

  • Bundesverband der Betriebskrankenkassen
  • IKK-Bundesverband
  • Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen
  • Knappschaft
  • See-Krankenkasse
  • Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V.
  • AEV - Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V.
Einführung

Eine Kostenübernahme von Schulungen blinder und sehbehinderter Menschen in lebenspraktischen Fähigkeiten durch die GKV ist grundsätzlich ausgeschlossen, da diese speziellen Leistungen aufgrund ihrer besonderen Zielsetzung in die Zuständigkeit der Sozialhilfeträger (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX) fallen.

Unter Würdigung der besonderen Problemlage blinder bzw. hochgradig sehbehinderter Menschen empfehlen die genannten Spitzenverbände der Krankenkassen - mit Ausnahme des AOK-Bundesverbandes - ausschließlich medizinische Leistungen des Trainings für blinde und sehbehinderte Menschen, die mit der "sensomotorisch-perzeptiven Behandlung" nach den Heilmittel-Richtlinien vergleichbar sind, im Einzelfall dann zu übernehmen, wenn diese von Rehabilitationslehrern für Blinde und Sehbehinderte erbracht werden. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass diese Leistungen nicht Teil einer Komplexleistung nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX sind und somit auch keine Erstattungsansprüche von den Sozialhilfeträgern in diesem Zusammenhang geltend gemacht werden können. Nachfolgende Ausführungen sollen diese Empfehlung konkretisieren und somit eine bundesweit einheitliche und medizinisch sachgerechte Leistungserbringung sicherstellen.

Bei der Erstellung dieser Empfehlung haben der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen und die MDK-Gemeinschaft mitgewirkt.

Definition des Personenkreises

Von Blindheit spricht man, wenn die Sehschärfe des besseren Auges nicht mehr als 1/50 beträgt oder andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzuachten sind.

Von einer hochgradigen Sehbehinderung ist auszugehen, wenn die Sehschärfe des besseren Auges nicht mehr als 1/20 beträgt oder wenn eine andere hinsichtlich des Schweregrades gleichzuachtende Störung der Sehfunktion vorliegt.

Weitere Ausführungen zur Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung siehe Anlage 1.

Voraussetzung für eine Leistung im Einzelfall ist die Blindheit oder die hochgradige Sehbehinderung bei Personen, die zuvor als Sehende lebenspraktische Fähigkeiten erworben und beherrscht haben. Hierbei gilt es zu unterscheiden in Erblindung bzw. Eintritt der hochgradigen Sehbehinderung innerhalb weniger Wochen oder Entwicklung der Erblindung bzw. Eintritt der hochgradigen Sehbehinderung über einen längeren Zeitraum bei gleichzeitig relevanter Veränderung der persönlichen Kontextfaktoren (z.B. Verlust des Lebenspartners, Wechsel des häuslichen Umfeldes, Hinzutritt einer weiteren Behinderung).

Für einen anderen Personenkreis kommen Leistungen nach dieser Empfehlung nicht in Frage, da davon ausgegangen wird, dass andere Leistungen in Anspruch genommen werden bzw. andere Leistungsträger zuständig sind.

Ausschlusskriterien

Sofern in einer vorausgegangenen Leistung zur Rehabilitation und Teilhabe oder im Rahmen einer anderen Leistungsform bereits Leistungen gemäß Ziffer 4 von der gesetzlichen Krankenkasse oder einem anderen Leistungsträger erbracht wurden, kommen Leistungen nach dieser Empfehlung nicht in Betracht.

Zugang zur Leistung

Der Zugang zu den ausschließlich medizinischen Leistungen erfolgt über eine begründete Befürwortung des Vertragsarztes über Maßnahmen zur sensomotorisch perzeptiven Behandlung (Abschnitt V 20.2 der Heilmittel-Richtlinien). Die jeweils zuständige Krankenkasse genehmigt die Leistungserbringung durch einen ausschließlich gemäß Ziffer 6 ausgebildeten Rehabilitationslehrer für Blinde und Sehbehinderte. Die Krankenkasse kann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit einschalten.

Leistungsinhalte

In die Zuständigkeit der GKV fallen nur solche medizinische Leistungen, die erblindeten bzw. hochgradig sehbehinderten Menschen das Erlernen des kompensatorischen Einsatzes der verbliebenen Sinnesfunktionen in Bezug auf alltagsrelevante Basisfertigkeiten ermöglichen, die nicht bereits Bestandteil anderer Leistungen sind.

Zu den alltagsrelevanten Basisfertigkeiten zählen in Anlehnung an § 14 SGB XI aus Sicht der GKV die Bereiche:

  • Ernährung,
  • Körperpflege und
  • Hauswirtschaftliche Versorgung.

Die Leistungen umfassen geeignete Maßnahmen, insbesondere zur:

  • Desensibilisierung und Sensibilisierung einzelner Sinnesfunktionen,
  • Koordination, Umsetzung und Integration von Sinneswahrnehmung,
  • Verbesserung der Körperwahrnehmung,
  • Kompensation eingeschränkter praktischer Möglichkeiten durch Verbesserung der kognitiven Funktionen,
  • Erlernen von Ersatzfunktionen.

Die Leistung kann einzeln oder in Gruppen durchgeführt werden.

Richtgrößen für Leistungseinheiten

Der Leistungsumfang beträgt gemäß Empfehlung des MDK für blinde Patienten (vgl. Anlage 1) i.d.R. bis zu 20 Leistungseinheiten, hochgradig sehbehinderte Patienten (vgl. Anlage 1) i.d.R. bis zu 10 Leistungseinheiten.

Bei mehrfachbehinderten Menschen erhöhen sich die genannten Richtgrößen einmalig um bis zu 10 Leistungseinheiten.

Eine Leistungseinheit dauert 45 - 60 Minuten.

Leistungserbringer

Eine Beteiligung an den Kosten der medizinischen Leistungen des Trainings für blinde und sehbehinderte Menschen gemäß Ziffer 4 durch die GKV erfolgt nur dann, wenn die Leistungserbringung durch auf Basis der als Anlage 2 beigefügten Ausbildungsbeschreibung ausgebildete Rehabilitationslehrer für Blinde und Sehbehinderte erfolgt.

Überprüfung der Empfehlung

Die Spitzenverbände der Krankenkassen werden in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) die Inhalte der Empfehlung ein Jahr nach Veröffentlichung überprüfen und bei Bedarf anpassen. Dies gilt insbesondere für die Angemessenheit und medizinische Notwendigkeit der in Ziffer 5 genannten Richtgrößen.

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6.6 Patientenrechte

Es ist nicht immer einfach, Ansprüche gegenüber den Ärzten bei Behandlungsfehlern oder gegenüber den Krankenkassen hinsichtlich ihrer Leistungspflicht durchzusetzen.

Mit dem am 26. Februar 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz vom 20 Februar 2013 (BGBl I S. 277) Wurden die Rechte und Pflichten der Patientinnen und Patienten zusammengefasst und gestärkt. Es handelt sich um ein Artikelgesetz.

Die Rechte im Behandlungsverhältnis wurden durch Einfügung der §§ 630a bis 630h im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) erstmalig zusammenfassend geregelt und der Behandlungsvertrag als Dienstvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ausdrücklich verankert. Dazu vgl. Heft 09 Abschnitt 3.3.2.1.4.

Der Stärkung der Patientenrechte dient insbesondere auch § 65b SGB V. Abs. 1 lautet:

"(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen fördert Einrichtungen, die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Patientinnen und Patienten in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen qualitätsgesichert und kostenfrei informieren und beraten, mit dem Ziel, die Patientenorientierung im Gesundheitswesen zu stärken und Problemlagen im Gesundheitssystem aufzuzeigen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen darf auf den Inhalt oder den Umfang der Beratungstätigkeit keinen Einfluss nehmen. Die Förderung einer Einrichtung zur Verbraucher- und Patientenberatung setzt deren Nachweis über ihre Neutralität und Unabhängigkeit voraus. Die Vorbereitung der Vergabe der Fördermittel und die Entscheidung darüber erfolgt durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen im Einvernehmen mit der oder dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten; die Fördermittel werden jeweils für eine Laufzeit von sieben Jahren vergeben. Die oder der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen werden bei der Vergabe und während der Förderphase durch einen Beirat beraten. Der Beirat tagt unter der Leitung der oder des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten mindestens zweimal jährlich; ihm gehören Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaften und Patientenorganisationen, zwei Vertreterinnen oder Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und eine Vertreterin oder ein Vertreter des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sowie im Fall einer angemessenen finanziellen Beteiligung der privaten Krankenversicherungen an der Förderung nach Satz 1 eine Vertreterin oder ein Vertreter des Verbandes der privaten Krankenversicherung an. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat den Beirat jährlich über Angelegenheiten betreffend die Förderung nach Satz 1 zu unterrichten. Der nach Satz 1 geförderten Beratungseinrichtung ist auf Antrag die Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem Beirat zu äußern."

Die Blindenselbsthilfeorganisationen beraten und helfen bei der Wahrnehmung der Patientenrechte. Sie sind nach ihrer Satzung Patientenorganisationen.

Eine unabhängige und unentgeltliche Beratung ist auch Aufgabe der "Unabhängige Patientenberatung Deutschland" (UPD ). Sie berät Patientinnen und Patienten rund um das Thema Gesundheit. Damit folgt sie ihrem gesetzlichen Auftrag nach § 65b Sozialgesetzbuch V. Die UPD verfügt im Bundesgebiet über 21 Beratungsstellen. Die UPD berät zwar auch über Rechtsansprüche gegenüber den Krankenkassen als Kostenträger, eine Rechtsvertretung findet durch sie jedoch nicht statt. Weitere Informationen über die UPD sind im Internet unter www.patientenberatung.de zu erhalten. Die telefonische Beratung ist zu erreichen unter:

Bundesweites Beratungstelefon

  • Tel. 0800 0117722 (gebührenfrei im Festnetz*)
  • Mobil 0177 17851

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7 Rechtsgrundlagen im SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung

Wenn Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation als Folge eines Berufsunfalls erforderlich werden, ist das Spezialgesetz, das nach § 7 SGB IX heranzuziehen ist, das SGB VII - Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - gesetzliche Unfallversicherung.

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7.1 Aufgabe und Versichertenkreis der gesetzlichen Unfallversicherung

Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung ist gemäß § 1 SGB VII nach Maßgabe der Vorschriften dieses Gesetzes

  1. mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten,
  2. nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen.

Wer in der Unfallversicherung versichert ist, ist dem ersten Kapitel, zweiten Abschnitt (§§ 2 ff.) zu entnehmen. Danach gehören zum Versichertenkreis nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, Schüler, Auszubildende und Studenten sowie ehrenamtlich, z. B. im Bereich der Wohlfahrtspflege, tätige Personen, Nothelfer, und viele andere mehr.

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7.2 Versicherungsfall - Kausalität

Damit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung eintritt, muss ein durch einen Versicherungsfall verursachter Schaden eingetreten sein. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (SGB VII § 7). Der Arbeitsunfall muss sich bei einer geschützten Tätigkeit oder bei der Zurücklegung des Arbeitsweges ereignet haben (SGB VII § 8). Das schädigende Ereignis braucht nicht alleinige Bedingung für den Schaden gewesen zu sein, aber es muss sich um eine wesentliche Bedingung gehandelt haben. D.h. wenn mehrere Bedingungen gegeben waren, werden als ursächlich nur die Bedingungen anerkannt, die wesentlich zum Erfolg (z. B. zur Erblindung) mitgewirkt haben. Dabei sind die Mitursachen wertend gegeneinander abzuwägen. Es reicht aus, dass der Arbeitsunfall neben anderen Bedingungen, z.B. körperliche Disposition, eine mindestens gleichwertige Mitursache ist. Unterschieden werden dabei die Bedingungen, die zum Schaden geführt haben (schadensbegründende Bedingungen) und diejenigen, die für den Umfang des Schadens maßgebend sind (schadensausfüllende Bedingungen).

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7.3 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung

Die Leistungen nach Eintritt eines Versicherungsfalls sind dem dritten Kapitel zu entnehmen. Nach § 26 haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Sie können einen Anspruch auf Ausführung der Leistungen durch ein persönliches Budget nach § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches in Verbindung mit der Budgetverordnung und § 159 des Neunten Buches haben; dies gilt im Rahmen des Anspruches auf Heilbehandlung nur für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

In § 26 Abs. 2 SGB VII werden als allgemeiner Grundsatz die Ziele der Prävention und Rehabilitation deutlicher als auf anderen Rechtsgebieten herausgestellt. Der Unfallversicherungsträger hat nach § 26 Abs. 2 mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig

  1. vden durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mindern,
  2. den Versicherten einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern,
  3. Hilfen zur Bewältigung der Anforderungen des täglichen Lebens und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie zur Führung eines möglichst selbstständigen Lebens unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Gesundheitsschadens bereitzustellen,
  4. ergänzende Leistungen zur Heilbehandlung und zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft zu erbringen,
  5. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zu erbringen.

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7.3.1 Heilbehandlung

Nach SGB 7 § 27 Abs. 1 umfasst die Heilbehandlung u. a.

  1. Erstversorgung,
  2. ärztliche Behandlung,
  3. zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz,
  4. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
  5. häusliche Krankenpflege,
  6. Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen,
  7. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bis 7 und Abs. 3 des Neunten Buches.

Auf § 26 SGB IX wird somit ausdrücklich verwiesen.

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7.3.2 Ausstattung mit Hilfsmitteln

Die Ausstattung mit Hilfsmitteln ist in § 31 SGB VII geregelt. Sie umfasst praktisch alle, auch durch die gesetzliche Krankenversicherung zu gewährenden Hilfsmittel (s. o. 3.2.1.2), geht aber darüber hinaus, weil sie auch "andere Hilfsmittel" umfasst. So werden im Bedarfsfall auch die Kosten für eine Blindenschriftmaschine sowie die Kosten für einen PC und nicht nur die Kosten für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung übernommen. Für Tonaufnahme- und Wiedergabegeräte sowie Tonträger wird ein Zuschuss von 80 % gewährt.

Die Einzelheiten werden in einer Rechtsverordnung und in Richtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger geregelt (vgl. Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter - (OrthVersorgUVV). Nach den gemeinsamen Richtlinien der Unfallversicherungsträger über Hilfsmittel (Unfallversicherungshilfsmittelrichtlinien) sind die Versicherten mit den Hilfsmitteln zu versorgen, die wegen des Gesundheitsschadens erforderlich sind. Diese sollen eine drohende Behinderung abwenden, ausgefallene Körperfunktionen ersetzen, beeinträchtigte ausgleichen und die Auswirkungen im medizinischen, beruflichen, schulischen und sozialen Bereich erleichtern. So werden auch Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die der Überwindung der Verletzungsfolgen dienen, geleistet. Auch die in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 12 SGB V geltenden Grenzen finden in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Anwendung. Die gesetzliche Unfallversicherung kennt im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung z.B. auch keine Zuzahlungen bei Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (vgl. einerseits §§ 29 bis 31 SGB VII, andererseits § 31 Abs. 3, § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 2 Satz 5 SGB V). Das bedeutet, dass hinsichtlich des Umfangs des Gebrauchs, z.B. beim Lese-Sprech-Gerät oder beim Farberkennungsgerät die von der Rechtsprechung zum SGB V gezogenen Grenzen (vgl. oben 3.2.1.2) nicht gelten (vgl. BSG 2. Senat Urteil vom 22. Juni 2004, Az.: B 2 U 11/03 R = SozR 4-0000 zu den Kosten der Stromversorgung für einen Elektrorollstuhl).

Nach § 2 Abs. 2 der OrthVersorgUVV erhalten Versicherte, die infolge eines Versicherungsfalls erblindet sind, zum Unterhalt eines Blindenführhunds oder zu den Aufwendungen für fremde Führung einen monatlichen Zuschuss in Höhe des in § 14 des Bundesversorgungsgesetzes jeweils festgesetzten Betrags. Über die Hilfsmittelversorgung hinaus wird eine Entschädigung für erhöhten Kleiderverschleiß entsprechend der Regelung in § 15 BVG gewährt (OrtVersorgUVV § 7).

Dem Unfallversicherungsträger ist hinsichtlich der Art und des Umfanges der Versorgung mit Hilfsmitteln und Hilfen ein Auswahlermessen eingeräumt, soweit nicht die OrthversorgUVV eine abschließende Regelung trifft. Der Unfallversicherungsträger hat sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 SGB I). Die Ausübung des Ermessens hat sich an dem "mit allen geeigneten Mitteln" anzustrebenden Rehabilitationsziel auszurichten. Dabei sind Art und Schwere des Gesundheitsschadens, die persönlichen, familiären, beruflichen und schulischen Verhältnisse der Versicherten, ihr Bedarf, ihre Leistungsfähigkeit, die örtlichen Verhältnisse sowie ihre angemessenen Wünsche zu berücksichtigen (§ 33 SGB I; Nr. 3.2 der Hilfsmittelrichtlinien).

An wertvollen Hilfsmitteln kann sich der UV-Träger das Eigentum vorbehalten (§ 4 OrthVersorgUVV). Die Lieferung des Hilfsmittels kann davon abhängig gemacht werden, dass der Verletzte sich, um mit dem Gebrauch vertraut zu werden, auf Kosten des UV-Trägers einer erforderlichen Ausbildung unterzieht (§ 5 OrthVersorgUVV).

Zu Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte wird in den Hilfsmittelrichtlinien der Unfallversicherungsträger u. a. bestimmt:

  • 6.6.2 Brillen, Kontaktlinsen und andere Sehhilfen werden bewilligt, wenn die Sehbehinderung es erfordert.
  • 6.6.3 Zum Ausgleich sonstiger Formen der Sehbehinderung können weitere (ggf. auch elektronische) Hilfsmittel bewilligt werden. Auf die Ziff. 6.13 und 6.14 wird verwiesen.
  • 6.7 Blindenführhund
  • 6.7.1 Ein Blindenführhund wird bewilligt, wenn die persönlichen oder beruflichen Verhältnisse es angezeigt erscheinen lassen und der Blinde sich einer angeordneten Ausbildung unterzieht. Zum Unterhalt eines Blindenführhundes oder zu den Aufwendungen für fremde Führung erhalten Blinde einen monatlichen Zuschuss in Höhe des in § 14 Bundesversorgungsgesetz jeweils festgesetzten Betrages.

(...)

  • 6.14 Hilfsmittel zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
  • 6.14.1 Hilfsmittel, die besonders für Behinderte entwickelt worden sind, und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens in Normalausführung oder in Sonderausführung für Behinderte werden Versicherten, die auf ihren Gebrauch angewiesen sind, bewilligt, wenn sie geeignet sind, nichtberufliche Verrichtungen des täglichen Lebens zu erleichtern. Dazu gehören auch Kommunikations- und Orientierungshilfen für schwer körperlich, sinnes- oder sprachgeschädigte Versicherte.

Wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 36 SGB V Festpreise festgesetzt sind, gelten diese auch für die Träger der Unfallversicherung (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Diese sind in der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch nur dann leistungsbegrenzend, wenn die zu diesen Festbeträgen gelieferten Hilfsmittel die Unfallfolgen optimal ausgleichen oder mildern, d. h. so gut das nach dem neuesten medizinischen und technischen Stand möglich ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 8. Senat Urteil vom 19. Dezember 2001, Az.: L 8 U 80/01 = HVBG-INFO 2002, 729-738).

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7.3.3 Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten

Die Maßnahmen zur Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten können durch den Unfallversicherungsträger entweder ambulant oder stationär erbracht werden.

Auf § 26 Abs. 3 SGB IX wird in § 27 Nr. 6 SGB VII ausdrücklich verwiesen, so dass auf dessen Ziffer 6 "Training lebenspraktischer Fähigkeiten" als Anspruchsgrundlage zurückgegriffen werden kann.

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7.3.4 Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

Der Unfallverletzte hat einen Anspruch auf eine optimale Heilbehandlung und Rehabilitation. Deshalb muss in der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht zwischen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft streng unterschieden werden. Die Leistungen werden aus einer Hand gewährt.

Für die Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft kann über § 39 Abs. 1 Nr. 2 SGB 7 (sonstige Leistungen) auf den Katalog in § 55 Abs. 2 SGB 9 zurückgegriffen werden. Dort sind diese Leistungen in einem nicht abgeschlossenen Katalog aufgelistet.

Stationär werden die Leistungen erbracht, wenn eine ambulante Behandlung nicht ausreicht (SGB VII § 33). Das bedeutet, dass sie vorrangig ambulant durchgeführt werden.

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8 Rechtsgrundlagen im BVG - soziales Entschädigungsrecht

8.1 Personenkreis

Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist eines der Spezialgesetze, auf das nach § 7 SGB IX zurückgegriffen werden muss.

Das BVG ist für Kriegsbeschädigte im Sinn der §§ 1 ff. BVG einschlägig, also für Schäden, die im Zusammenhang mit Kriegsdienst oder Schäden, die im Zusammenhang mit Kriegsereignissen entstanden sind.

Auf das BVG wird in den in § 68 Nr. 7 SGB I aufgeführten Gesetzen verwiesen (vgl. im Einzelnen dort). Es ist deshalb u. a. für die Entschädigung, die aufgrund folgender Gesetze zu gewähren ist, maßgebend:

Infektionsschutzgesetz - IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl I 2000, 1045)

Nach § 60 des Infektionsschutzgesetzes erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

  1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
  2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
  3. gesetzlich vorgeschrieben war oder
  4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Das Soldatenversorgungsgesetz (SVG)

Im dritten Teil ist die Beschädigtenversorgung geregelt. Nach SVG § 80 erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit im Soldatenversorgungsgesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Entsprechend erhalten eine Zivilperson, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, und die Hinterbliebenen eines Beschädigten auf Antrag Versorgung. Was eine Wehrdienstbeschädigung ist, regelt § 81 Soldatenversorgungsgesetz.

Das Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG)

In § 59 Abs. 1 wird auf das BVG verwiesen.

Das Zivildienstgesetz

Nach ZDG § 47 Abs. 1 erhält ein Dienstpflichtiger, der eine Zivildienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit im Zivildienstgesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. In gleicher Weise erhalten die Hinterbliebenen eines Beschädigten auf Antrag Versorgung.

Zivildienstbeschädigung ist nach § 47 Abs. 2 Zivildienstgesetz eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Dienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Zivildienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Zivildienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Opferentschädigungsgesetz (OEG) vom 11. Mai 1976 (BGBl I 1976, S. 1181), geändert durch Art. 10 Nr. 11 G v. 30. 7. 2004 (BGBl I S. 195)

§ 1 OEG bestimmt (1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die weiteren Absätze enthalten noch zahlreiche Details.

Grund für den Entschädigungsanspruch ist die Verantwortlichkeit des Staates für Sicherheit und Ordnung. § 2 enthält deshalb Versagungsgründe für Fälle, in welchen die Verantwortung für den Schaden dem Verletzten selbst zuzurechnen ist.

Wie im gesamten Sozialrecht ist für die Anspruchsbegründung die Kausallehre von der wesentlichen Bedingung maßgebend (vgl. oben 3.2.2).

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8.2 Ausstattung mit Hilfsmitteln

Zur Ausstattung mit Hilfsmitteln wird auf Hennis: "Blinde im geltenden Recht, S. 56 ff. Kap. 5 Soziales Entschädigungsrecht" hingewiesen. Der Umfang der Versorgung nach dem BVG ist dessen § 9 zu entnehmen. Danach umfasst die Versorgung:

  1. Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung (§§ 10 bis 24a),
  2. Leistungen der Kriegsopferfürsorge (§§ 25 bis 27j),
  3. Beschädigtenrente (§§ 29 bis 34) und Pflegezulage (§ 35),
  4. Bestattungsgeld (§ 36) und Sterbegeld (§ 37),
  5. Hinterbliebenenrente (§§ 38 bis 52),
  6. Bestattungsgeld beim Tod von Hinterbliebenen (§ 53).

Rechtsgrundlage für die Ausstattung mit Hilfsmitteln ist § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 BVG. Die Vorschriften der gesetzlichen Krankenkasse gelten nach § 11 Abs. 1 S. 2 entsprechend, soweit das BVG nicht etwas anderes bestimmt. Für die Ausstattung mit Hilfsmitteln kann deshalb auf die Ausführungen unter 3.2.1.2 verwiesen werden. Der Anspruch auf Ausstattung mit Hilfsmitteln geht jedoch weiter (vgl. z. B. § 11 Abs. 3 Nr. 3 BVG i.V.m. § 35 OrthV - Zuschuss für einen Hundezwinger zur Unterbringung des Blindenführhundes). Nach § 14 BVG wird zum Unterhalt eines Blindenführhundes ein Futtergeld oder wenn kein Führhund gehalten wird, ein Führgeld gewährt. Nach § 15 erhalten Beschädigte, darunter auch Blinde, einen monatlichen Pauschbetrag, wenn die anerkannten Folgen der Schädigung außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidung oder Wäsche, verursachen.

Einzelheiten zur Hilfsmittelversorgung sind in § 13 BVG und in der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und über Ersatzleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Orthopädieverordnung - OrthV) geregelt. In § 1 Abs. 1 der OrthV werden als Hilfsmittel neben den Körperersatzstücken und orthopädischen Hilfsmitteln auch "andere Hilfsmittel" genannt. Nach § 17 Abs. 2 OrthV werden als Sehhilfen Fernrohrbrillen, Lupen und Bildschirm-Lesegeräte geliefert. Bildschirm-Lesegeräte erhalten hochgradig sehbehinderte Menschen, die zum Lesen oder zur Schreibkontrolle dringend auf sie angewiesen sind. Lese-Sprech-Geräte für Blinde werden nach § 17a Abs. 2 OrthV gewährt. Dazu vgl. auch Urteil des BSG vom 28. Mai 1997, Az.: 9 RV 18/96 - SozR 3-3100 § 13 Nr. 2. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet:

"1. Ein Lese-Sprech-Gerät ist einem Kriegsblinden schon dann nach § 13 BVG und § 1 i.V.m. §§ 16 ff. OrthV zu liefern, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen eine Krankenkasse einem vergleichbaren Mitglied das Gerät als Hilfsmittel zu leisten hätte. Strengere Leistungsvoraussetzungen der OrthV, insbesondere ein verschärfter Bedarfsmaßstab ("dringendes Angewiesensein"), haben insoweit außer Betracht zu bleiben, weil sie gegen die ihnen zugrunde liegende Ermächtigungsnorm (§ 24a Buchst a BVG) verstoßen."

Zu den "sonstigen Gebrauchsgegenständen bestimmt § 18 Abs. 1 OrthV:

"(1) Sonstige Hilfsgeräte, die besonders für behinderte Menschen entwickelt worden sind, sowie behinderungsgerechte Änderungen von Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens oder Zusatzausstattungen erhält, wer bei nichtberuflichen Verrichtungen im täglichen Leben dringend auf sie angewiesen ist, um Folgen der Behinderung zu erleichtern. Unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens in Sonderausführung für behinderte Menschen geliefert werden, wenn Änderungen oder Zusatzausstattungen nicht ausreichen. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 kann ausnahmsweise ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens in Normalausführung geliefert werden, wenn der behinderte Mensch ihn ohne die Behinderung nicht erwerben würde. (...)"

Ein Beispiel für einen solchen Gebrauchsgegenstand ist ein Personalcomputer. Der Beschädigte muss auf ihn zu alltäglichen Verrichtungen dringend angewiesen sein. So wurde die Ausstattung mit einem Personalcomputer für schriftstellerische Betätigung abgelehnt (BVG Urteil vom 9. April 1997 Az.: 9 RV 23/95 = SozR 3-3100 § 11 Nr. 2). Weiter sind zu nennen: für Blindenuhren (18 Abs. 2 Orthv, Schreibmaschinen und Blindenschriftmaschinen (§ 18 Abs. 3), Verkehrsschutzzeichen, z. B. weiße Stöcke (§ 18 Abs. 4), Zuschüsse zu Tonaufzeichnungsgeräten, Taschendiktiergeräten und Tonträgern (§ 36).

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8.3 Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten

Der nach dem BVG Berechtigte hat einen Anspruch auf eine optimale Heilbehandlung und Rehabilitation. Deshalb muss auch nicht streng zwischen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Maßnahmen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft unterschieden werden. Die Leistungen werden allerdings aufgrund der historischen Entwicklung nicht aus einer Hand gewährt. Organisatorisch ist die Versorgung aufgespalten, verschiedenen Behörden übertragen und in Streitfällen auf verschiedene Rechtswege zur Sozial- und zur Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgeteilt. Die Zuständigkeiten liegen für Heilung, Krankenbehandlung wie für Renten (§§ 10-24 a, 29 ff. BVG) bei Versorgungsämtern, für Leistungen der Kriegsopferfürsorge (§§ 25-27 i) bei Hauptfürsorgestellen. Allen Erkenntnissen über Rehabilitation als einheitlichem Vorgang zum Trotz, ist diese Trennung noch immer beibehalten worden.

§ 10 Abs. 1 BVG bestimmt: Heilbehandlung wird Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Ist eine Gesundheitsstörung nur im Sinne der Verschlimmerung als Folge einer Schädigung anerkannt, wird abweichend von Satz 1 Heilbehandlung für die gesamte Gesundheitsstörung gewährt, es sei denn, dass die als Folge einer Schädigung anerkannte Gesundheitsstörung auf den Zustand, der Heilbehandlung erfordert, ohne Einfluss ist.

Deshalb besteht auf jeden Fall ein Anspruch auf die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags, wie sie unter 3.2.1.3 beschrieben sind.

Die Maßnahmen können im Rahmen von Rehabilitationsleistungen stationär durchgeführt werden (BVG § 11 Abs. 1 Nr. 6). Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen führt der Bund der Kriegsblinden Deutschland e. V. seit vielen Jahren in speziellen Rehabilitationszentren durch. Die lebenspraktischen Fähigkeiten können aber auch ambulant als ergänzende Leistungen zur Rehabilitation vermittelt werden (§ 11 Abs. 5 BVG). Es gelten die Vorschriften für die entsprechenden Leistungen der Krankenkasse (§ 18c Abs. 2 Satz 1 BVG). Rechtsgrundlage für die Eingliederungshilfe ist § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG.

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9 Beihilferecht und private Krankenversicherung

Vor allem für Angehörige des öffentlichen Dienstes können sich Ansprüche auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation aus dem Beihilferecht sowie aus einer ergänzenden privaten Krankenversicherung ergeben.

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9.1 Beihilferecht

Die Krankenfürsorge für Beamte, Richter und Versorgungsempfänger in Bund, Ländern und Kommunen ist ein eigenständiges Krankensicherungssystem. Es ergänzt die Alimentation des Dienstherrn und tritt an die Stelle des Arbeitgeberzuschusses zur gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitnehmern.

Für Bundesbeamte sind Rechtsgrundlagen § 80 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) und die nach § 80 Abs. 4 BBG erlassene Rechtsverordnung.

§ 80 BBG lautet:

"(1) Beihilfe erhalten

  1. Beamtinnen und Beamte, die Anspruch auf Besoldung haben oder Elternzeit in Anspruch nehmen,
  2. Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger, die Anspruch auf Versorgungsbezüge haben,
  3. frühere Beamtinnen und frühere Beamte während des Bezugs von Unterhaltsbeitrag oder Übergangsgeld nach dem Beamtenversorgungsgesetz,
  4. frühere Beamtinnen auf Zeit und frühere Beamte auf Zeit während des Bezugs von Übergangsgeld nach dem Beamtenversorgungsgesetz.

Satz 1 gilt auch, wenn Bezüge wegen der Anwendung von Ruhens- oder Anrechnungsvorschriften nicht gezahlt werden. Für Aufwendungen der Ehegattin des Beihilfeberechtigten oder des Ehegatten der Beihilfeberechtigten, die oder der kein zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit führendes Einkommen hat, und der im Familienzuschlag nach dem Bundesbesoldungsgesetz berücksichtigungsfähigen Kinder wird ebenfalls Beihilfe gewährt. Satz 3 gilt nicht für Fälle des § 23 des Beamtenversorgungsgesetzes.

(2) Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen

  1. in Krankheits- und Pflegefällen,
  2. zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten oder Behinderungen,
  3. in Geburtsfällen, zur Empfängnisverhütung, bei künstlicher Befruchtung sowie in Ausnahmefällen bei Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch und
  4. zur Früherkennung von Krankheiten und zu Schutzimpfungen.

(3) Beihilfe wird als mindestens 50-prozentige Erstattung der beihilfefähigen Aufwendungen gewährt. Sie kann in Pflegefällen in Form einer Pauschale gewährt werden, deren Höhe sich am tatsächlichen Versorgungsaufwand orientiert. Es können Eigenbehalte von den beihilfefähigen Aufwendungen oder der Beihilfe abgezogen und Belastungsgrenzen festgelegt werden. Beihilfe darf nur gewährt werden, wenn sie zusammen mit von dritter Seite zustehenden Erstattungen die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen nicht überschreitet. Zustehende Leistungen zu Aufwendungen nach Absatz 2 sind von den beihilfefähigen Aufwendungen abzuziehen. Nicht beihilfefähig sind Aufwendungen von Beihilfeberechtigten, denen Leistungen nach § 70 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes zustehen.

(4) Das Bundesministerium des Innern regelt im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Finanzen, dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung die Einzelheiten der Beihilfegewährung, insbesondere der Höchstbeträge, des völligen oder teilweisen Ausschlusses von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln in Anlehnung an das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch und der Berücksichtigung von Kindern."

Die Regelungen in den Ländern entsprechen weitgehend denjenigen nach dem Bundesbeamtengesetz. Auf die Landesregelungen kann hier nicht eingegangen werden. Zur Orientierung können aber die folgenden Ausführungen zum Beihilferecht nach dem BBG für Beihilfeberechtigte nach Landesrecht hilfreich sein.

Aufgrund von § 80 Abs. 4 BBG wurde die Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (BBhV) vom 13.02.2009 (BGBl I 2009 S. 326) erlassen.

Das erste von sieben Kapiteln enthält allgemeine Vorschriften. Wer beihilfeberechtigt ist, ergibt sich aus § 2 der BBhV. Nach § 2 Abs. 1 BBhV ist beihilfeberechtigt, wer im Zeitpunkt der Leistungserbringung

  1. Beamtin oder Beamter,
  2. Versorgungsempfängerin oder Versorgungsempfänger oder
  3. frühere Beamtin oder früherer Beamter ist, soweit nicht die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmen.

Inwieweit Ehegatten und Kinder berücksichtigungsfähig sind, ergibt sich aus § 4 BBhV. Die Berücksichtigungsfähigkeit hängt von deren Einkommen ab.

Auf Beihilfe besteht ein Rechtsanspruch (§ 10 Abs. 1 BBhV). Erforderlich ist, dass der Beihilfeberechtigte das Bestehen eines Krankenversicherungsschutzes für sich und seine beihilfeberechtigten Angehörigen nachweist (§ 10 Abs. 2 BBhV). Dieses Erfordernis erklärt sich daraus, dass nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz seit 01.01.2009 jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet ist, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst, abzuschließen.

In § 6 BBhV wird die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen behandelt. Nach § 6 Abs. 1 BBhV sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen beihilfefähig. Andere Aufwendungen sind ausnahmsweise beihilfefähig, soweit die BBhV die Beihilfefähigkeit vorsieht oder die Ablehnung der Beihilfe im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 78 des Bundesbeamtengesetzes eine besondere Härte darstellen würde. Zur Feststellung der Beihilfefähigkeit wird in § 80 Abs. 4 BBG und in der BBhV weitgehend auf die Regelungen im SGB V verwiesen. Dazu vgl. im Einzelnen § 7 BBhV. Abweichend vom SGB V sind aber auch die Gebühren für Heilpraktiker beihilfefähig (§ 6 Abs. 3 S. 3 und § 13 BBhV).

Die Beihilfeleistungen weichen trotz der Anlehnung an das SGB V zum Teil von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ab. Da es sich beim Beihilferecht um einen eigenen Regelungsbereich handelt, ist darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen.

Welche Aufwendungen in Krankheitsfällen beihilfefähig sind, ist in Kapitel 2 der BBhV im Einzelnen geregelt.

Die Beihilfefähigkeit für Hilfsmittel ist im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels in § 25 BBhV geregelt. Dieser lautet:

"§ 25 Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle, Körperersatzstücke

(1) Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle sowie Körperersatzstücke sind beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Beihilfefähig sind vorbehaltlich des Absatzes 4 Aufwendungen für Anschaffung, Reparatur, Ersatz, Betrieb, Unterweisung in den Gebrauch und Unterhaltung der in Anlage 5 genannten Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle und Körperersatzstücke unter den dort genannten Voraussetzungen. Aufwendungen für in Anlage 6 ausgeschlossene Hilfsmittel sind nicht beihilfefähig. Aufwendungen für den Ersatz eines unbrauchbar gewordenen Gegenstandes im Sinne von Satz 1 sind nach Ablauf von sechs Monaten seit Anschaffung beihilfefähig, wenn eine erneute ärztliche Verordnung vorliegt.

(2) Nicht beihilfefähig sind Aufwendungen für Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle, die

  1. einen geringen oder umstrittenen therapeutischen Nutzen haben,
  2. einen niedrigen Abgabepreis haben,
  3. der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen sind oder
  4. in Anlage 6 genannt sind.

(3) Aufwendungen für das Mieten von Hilfsmitteln und Geräten zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle nach Absatz 1 Satz 1 sind beihilfefähig, soweit sie nicht höher als die Aufwendungen für deren Anschaffung sind und diese sich dadurch erübrigt.

(4) Sind Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 weder in Anlage 5 oder 6 aufgeführt noch mit den aufgeführten Gegenständen vergleichbar, sind hierfür getätigte Aufwendungen ausnahmsweise beihilfefähig, wenn dies im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 78 des Bundesbeamtengesetzes notwendig ist. Die Festsetzungsstelle entscheidet in Fällen des Satzes 1 im Einvernehmen mit der obersten Dienstbehörde. Die oberste Dienstbehörde hat vor ihrer Zustimmung das Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern herzustellen. Soweit das Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern allgemein erklärt ist, kann die oberste Dienstbehörde ihre Zuständigkeit auf eine andere Behörde übertragen. Absatz 2 bleibt unberührt.

(5) Aufwendungen für den Betrieb und die Unterhaltung der Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind nur in Höhe des 100,00 Euro je Kalenderjahr übersteigenden Betrages beihilfefähig. Nicht beihilfefähig sind Aufwendungen für Batterien von Hörgeräten sowie Pflege- und Reinigungsmittel für Kontaktlinsen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres."

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9.1.1 Beihilfefähige Hilfsmittel nach Anlage 5 zu § 25 BBhV

Zur Beihilfefähigkeit von Hilfsmitteln enthält Anlage 5 zu § 25 Abs. 1 und 4 der BBhV einen umfangreichen Katalog.

Als beihilfefähige Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen sind in der alphabetisch geordneten Liste der Nr. 1 aufgeführt:

  • Blindenführhund (einschließlich Geschirr, Hundeleine, Halsband, Maulkorb),
  • Blindenstock/-langstock/-taststock,
  • Computerspezialausstattung für Behinderte; Spezialhard- und -software bis zu 3.500,00 Euro, ggf. zuzüglich für eine Braillezeile mit 40 Modulen bis zu 5.400,00 Euro,
  • Insulinapplikationshilfen und Zubehör (Insulindosiergerät, -pumpe, -injektor),
  • Lesehilfen (Leseständer, Blattwendestab, Blattwendegerät, Blattlesegerät, Auflagegestell),
  • Schutzbrille für Blinde.

Unter Nr. 3 der Anlage 5 zu § 25 Abs. 1 und 4 heißt es zur Beihilfefähigkeit von Blindenlangstöcken, elektronischen Blindenleitgeräten und zum Mobilitätstraining:

"Aufwendungen für Blindenhilfsmittel sowie die erforderliche Unterweisung im Gebrauch (Mobilitätstraining) sind in folgendem Umfang beihilfefähig:

  1. Anschaffungen zweier Langstöcke sowie gegebenenfalls elektronischer Blindenleitgeräte nach ärztlicher Verordnung,
  2. Aufwendungen für eine Ausbildung im Gebrauch des Langstockes sowie für eine Schulung in Orientierung und Mobilität bis zu folgenden Höchstbeträgen:
    1. Unterrichtsstunde à 60 Minuten, einschließlich 15 Minuten Vor- und Nachbereitung sowie der Erstellung von Unterrichtsmaterial bis zu 100 Stunden 56,43 Euro,
    2. Fahrzeitentschädigung je Zeitstunde, wobei jede angefangene Stunde im 5-Minuten Takt anteilig berechnet wird 44,87 Euro,
    3. Fahrtkostenerstattung für Fahrten der Trainerin oder des Trainers je gefahrenen Kilometer oder die niedrigsten Kosten eines regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels 0,30 Euro,
    4. Ersatz der notwendigen Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung der Trainerin oder des Trainers, soweit eine tägliche Rückkehr zum Wohnort der Trainerin oder des Trainers nicht zumutbar ist 26,00 Euro.
    5. [Das Mobilitätstraining erfolgt grundsätzlich als Einzeltraining und kann sowohl ambulant als auch in einer Spezialeinrichtung (stationär) durchgeführt werden. Werden an einem Tag mehrere Blinde unterrichtet, können die genannten Aufwendungen der Trainerin oder des Trainers nur nach entsprechender Teilung berücksichtigt werden.]
  3. Aufwendungen für ein erforderliches Nachtraining (z. B. bei Wegfall eines noch vorhandenen Sehrestes, Wechsel des Wohnortes) entsprechend Buchstabe B)
  4. Aufwendungen eines ergänzenden Trainings an Blindenleitgeräten können in der Regel bis zu 30 Stunden gegebenenfalls einschließlich der Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie notwendiger Fahrtkosten der Trainerin oder des Trainers in entsprechendem Umfang anerkannt werden. Die Anerkennung weiterer Stunden ist bei entsprechender Bescheinigung der Notwendigkeit möglich.

Die entstandenen Aufwendungen sind durch eine Rechnung einer Blindenorganisation nachzuweisen. Ersatzweise kann auch eine unmittelbare Abrechnung durch die Mobilitätstrainerin oder den Mobilitätstrainer akzeptiert werden, falls diese oder dieser zur Rechnungsstellung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen berechtigt ist. Sofern Umsatzsteuerpflicht besteht (es ist ein Nachweis des Finanzamtes vorzulegen), erhöhen sich die beihilfefähigen Aufwendungen um die jeweils gültige Umsatzsteuer."

Unter Nr. 4 der Anlage 5 zu § 25 Abs. 1 und 4 BBhV werden Sehhilfen behandelt. Dort heißt es u.a.:

4.1 Sehhilfen zur Verbesserung der Sehschärfe sind beihilfefähig

  • bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres
  • nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn aufgrund der Sehschwäche oder Blindheit, entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung, beide Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 aufweisen. Diese liegt vor, wenn die Sehschärfe (Visus) bei bestmöglicher Korrektur mit einer Brillenversorgung oder möglichen Kontaktlinsenversorgung auf dem besseren Auge = 0,3 beträgt oder das beidäugige Gesichtsfeld = 10 Grad bei zentraler Fixation ist.

Voraussetzung für die erstmalige Beschaffung einer Sehhilfe ist die schriftliche Verordnung einer Augenärztin oder eines Augenarztes. Bei der Ersatzbeschaffung genügt die Refraktionsbestimmung einer Augenoptikerin oder eines Augenoptikers. Die Aufwendungen hierfür sind bis zu 13,00 Euro beihilfefähig.

In den Nrn. 4.1.1 ff. werden Einzelheiten zu Brillen und Kontaktlinsen behandelt.

In 4.2 heißt es zu vergrößernden Sehhilfen:

4.2 Lässt sich durch Verordnung einer Brille oder von Kontaktlinsen das Lesen normaler Zeitungsschrift nicht erreichen, können Aufwendungen für eine vergrößernde Sehhilfe (Lupe, Leselupe, Leselineale, Fernrohrbrille, Fernrohrlupenbrille, elektronisches Lesegerät, Prismenlupenbrille u. ä.) als beihilfefähig anerkannt werden.

In Nr. 4.3 werden therapeutische Sehhilfen zur Behandlung einer Augenverletzung oder von Augenerkrankungen behandelt.

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9.1.2 Ausgeschlossene Hilfsmittel nach Anlage 6 zu § 25 BBhV

Nach Anlage 6 zu § 25 Abs. 1, 2 und 4 BBhV gehören nicht zu den beihilfefähigen Hilfsmitteln Gegenstände, die nicht notwendig und angemessen (§ 6 Abs. 1), von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis (§ 25 Abs. 2 BBhV) sind oder der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen.

In einer nicht abgeschlossenen Liste werden zahlreiche Hilfsmittel aufgeführt, die nicht beihilfefähig sind. Darunter befinden sich:

  • Blinden-Uhr,
  • Farberkennungsgerät,
  • Kommunikationssystem,
  • Tandem für Behinderte.

Bedauerlich ist, dass die Beihilfefähigkeit des Farberkennungsgerätes nach wie vor ausgeschlossen ist. Auch der Daisy-Player wird in Anlage 5 zu § 25 BBhV nicht erwähnt. Er ist aber nach Anlage 6 zu § 25 BBhV auch nicht ausgeschlossen, so dass eine Einzelentscheidung nach § 25 Abs. 4 BBhV in Frage kommt. Wenn Hilfsmittel und Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 weder in Anlage 5 oder 6 aufgeführt noch mit den aufgeführten Gegenständen vergleichbar sind, sind hierfür getätigte Aufwendungen ausnahmsweise beihilfefähig, wenn dies im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 78 des Bundesbeamtengesetzes notwendig ist. Die Festsetzungsstelle entscheidet in Fällen des Satzes 1 im Einvernehmen mit der obersten Dienstbehörde. Zur Begründung kann auf die Rechtsprechung zum Anspruch auf Ausstattung mit einem Daisy-Player durch die gesetzlichen Krankenkassen hingewiesen werden (vgl. 3.2.1.2.2.3.7).

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9.2 Private Krankenversicherung

Private Krankenversicherungen sind für Personen wichtig, die keinen Schutz durch die gesetzliche Krankenversicherung haben, also insbesondere für selbstständig Tätige. Außerdem spielen sie als Ergänzung zur Beihilfeberechtigung (vgl. 3.2.4.1) eine große Rolle.

Rechtsgrundlage für die privaten Krankenversicherungen ist das Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Sie sind im zweiten Teil Kapitel 8 in den §§ 192 ff. geregelt.

Mit der Gesundheitsreform wurde ab 1. Januar 2009 die Versicherungspflicht für die Krankenversicherung eingeführt. Der Krankenversicherungsschutz besteht entweder in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V oder in einer privaten Krankenversicherung. Die Pflicht zum Abschluss eines Vertrages über eine private Krankenkostenversicherung ergibt sich aus § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Danach ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst, abzuschließen und aufrecht zu erhalten. Diese Versicherungspflicht besteht nicht für Personen,

  1. die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig sind oder
  2. Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, beihilfeberechtigt sind oder vergleichbare Ansprüche haben im Umfang der jeweiligen Berechtigung oder
  3. Anspruch auf Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes haben oder
  4. Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind, für die Dauer dieses Leistungsbezugs (drittes Kapitel sind Leistungen zum Lebensunterhalt, viertes Kapitel sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, siebtes Kapitel sind Leistungen der Eingliederungshilfe und siebentes Kapitel sind Leistungen der Hilfe zur Pflege).

Zu unterscheiden sind die nach den jeweiligen Tarifen der Versicherungen angebotenen Krankenkostenversicherungen sowie Zusatzversicherungen (§ 192 Abs. 1 bis 6 VVG einerseits und die dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenkassen entsprechende Krankheitskostenversicherung im Basistarif, zu denen die privaten Krankenkassen seit 1. Januar 2009 gemäß § 12 Versicherungsaufsichtsgesetz verpflichtet sind (§ 192 Abs. 7 VVG) andererseits.

Bei der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherer verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen und für sonstige vereinbarte Leistungen einschließlich solcher bei Schwangerschaft und Entbindung sowie für ambulante Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach gesetzlich eingeführten Programmen zu erstatten (§ 192 Abs. 1 VVG).

Die Versicherungsbedingungen sehen häufig bei Vorerkrankungen oder Behinderungen, die bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages vorhanden sind, gemäß § 203 Abs. 1 S. 2 VVG Leistungsausschlüsse oder Risikozuschläge vor. Das ist nach § 20 Abs. 2 S. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nur zulässig, wenn das behauptete höhere Versicherungsrisiko auf "anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Bewertungen".

Inwieweit eine private Krankenversicherung Kosten für die Ausstattung mit Hilfsmitteln oder für die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten übernehmen muss, hängt von deren Tarif ab.

Wenn im Tarif bestimmt ist, dass sich die Leistung nach der Beihilfeberechtigung richtet, sind die Beihilferichtlinien maßgebend. Dazu vgl. oben.

Wenn der in den Versicherungsbedingungen aufgeführte Leistungskatalog nicht eindeutig abschließend formuliert ist, wird er von der Rechtsprechung nur als beispielhafte Aufzählung gewertet.

Für behinderte Menschen kann der Basistarif der privaten Krankenversicherungen eine überlegenswerte Alternative sein, weil in ihm Risikoausschlüsse oder Risikozuschläge unzulässig sind. Seit dem 01.01.2009 sind die Unternehmen der privaten Krankenversicherungen (PKV) verpflichtet, in einem Basistarif einen Versicherungsschutz anzubieten, der ähnlich dem ist, den die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nach dem SGB V gewährt. Die Rechtsgrundlagen sind in § 12 Versicherungsaufsichtsgesetz und § 193 Versicherungsvertragsgesetz enthalten.

Der PKV-Bundesverband hat die Allgemeinen Bedingungen für den Basistarif (AVB/BT 2009), der neben die bisher bestehenden Tarife tritt, im Internet veröffentlicht (über www.pkv.de zugänglich).

Anders als in der GKV sind in der PKV die Beiträge nicht nach dem Erwerbseinkommen gestaffelt, sondern nach den Versicherungsleistungen und nach den Risiken. Von dieser Regelung weicht der Basistarif ab. Im Basistarif ist der Beitrag nicht risikoabhängig und Vorerkrankungen bleiben unberücksichtigt (§ 203 Abs. 3 S. 3 VVG). Trotzdem muss sich der Versicherte beim Eintritt in den Basistarif nach § 203 Abs. 2 S. 3 VVG einer Risikobewertung unterziehen, da deren Ergebnisse für einen Risikoausgleich zwischen den Versicherungsunternehmen benötigt werden. Die für die PKV neuen Risiken werden unvermeidlich zur Folge haben, dass die Beiträge höher ausfallen werden als in der PKV üblich, sie sind allerdings auf den GKV-Höchstbetrag von knapp 570,00 Euro begrenzt. Im Unterschied zur GKV gibt es auch keine Familienversicherung. Ein Ehepaar mit Kind zahlt dementsprechend 2 mal 570,00 Euro plus 226,00 Euro für das Kind, also in der Summe erheblich mehr als in der GKV.

Eine besondere Variante ist der Basistarif für beihilfeberechtigte Personen. Hier richten sich die Leistungen nach den Beihilfevorschriften und es gibt Sonderregelungen für die Selbstbehalte. (Beispiel: Ein zu 50% Beihilfeberechtigter kann im Basistarif zwischen Selbstbehaltsstufen von 150,00, 300,00, 450,00 und 600,00 Euro wählen.)

Zugang zum PKV-Basistarif haben nach § 12 Abs. 1a Versicherungsaufsichtsgesetz folgende Personen:

  • Privatversicherte mit Wohnsitz in Deutschland, die ihren Versicherungsvertrag ab dem 01.01.2009 abgeschlossen haben. Wer einen Versicherungsvertrag schon vorher abgeschlossen hat, kann bis zum 30.06.2009 unter Anrechnung von Altersrückstellungen in den Basistarif des eigenen oder eines anderen Unternehmens wechseln.
  • Beihilfeberechtigte, die einen die Beihilfe ergänzenden Versicherungsschutz benötigen. Für sie besteht eine besondere Variante des Basistarifs.
  • Alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die weder in der GKV versicherungspflichtig sind, noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beanspruchen können, noch Sozialhilfe erlangen (Ausnahme: Leistungen nach dem 5., 8. und 9. Kapitel SGB XII - der Bezug von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII steht also nicht im Wege). Wenn jemand in den PKV-Basistarif eingetreten ist und dann nachträglich sozialhilfebedürftig wird, so gibt es folgende Regelung: Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder des SGB XII, so vermindert sich der Beitrag um die Hälfte. Wenn dann immer noch Hilfebedürftigkeit besteht, beteiligt sich der Sozialleistungsträger an den Kosten.
  • Personen, die freiwilliges Mitglied in der GKV werden, können dem Basistarif innerhalb von 6 Monaten nach Begründung der freiwilligen Mitgliedschaft beitreten.

Die PKV erbringt im Unterschied zur GKV keine Sachleistungen, sondern nur Geldleistungen. An diesem Grundsatz ändert sich auch im Basistarif nichts.

Die Leistungen des Basistarifs entsprechen denen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem dritten Kapitel des SGB V. Künftige Leistungseinschränkungen oder Ausschlüsse werden deshalb auch im Basistarif übernommen.

Die freie Arztwahl ist im Basistarif insoweit eingeschränkt, als den Versicherten im Basistarif die Wahl unter den Ärzten und Zahnärzten frei steht, die zur vertragsärztlichen bzw. vertragszahnärztlichen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen sind.

Für die Ausstattung mit Hilfsmitteln bestimmt Nr. 9 des Basistarifs folgendes:

"(1) Erstattungsfähig sind Aufwendungen für die Versorgung mit im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung in der jeweils geltenden Fassung aufgelisteten Hilfsmitteln in Standardausführung einschließlich der Aufwendungen für Reparatur und Unterweisung im Gebrauch sowie für Gebrauch und Pflege. Die Wartung und Kontrolle von Hilfsmitteln sind nur erstattungsfähig, wenn sie zum Schutz des Versicherten vor unvertretbaren Gesundheitsrisiken erforderlich oder nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit erforderlich sind. Hilfsmittel müssen von einem Vertragsarzt verordnet und innerhalb eines Monats nach Ausstellung der Verordnung bei einem Leistungserbringer, der Vertragspartner eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung ist, bezogen werden. Vor dem Bezug eines Hilfsmittels ist die Genehmigung der Versicherung einzuholen. Hilfsmittel können vom Versicherer auch leihweise überlassen werden. Ist im Einzelfall eine über Satz 1 hinausgehende Hilfsmittelversorgung medizinisch notwendig, um den Erfolg einer Krankheitsbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, sind die Aufwendungen erstattungsfähig, wenn und soweit der Versicherer eine vorherige schriftliche Leistungszusage erteilt hat."

In den Absätzen 2 bis 5 folgen Regelungen über Brillengläser und Kontaktlinsen in Anlehnung an Regelungen in der GKV. Von allgemeinem Interesse ist dann wieder Absatz 6:

"(6) Aufwendungen sind nur bis zur Höhe eines der drei preisgünstigsten Hilfsmittel erstattungsfähig, die für die Versorgung eines Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen, oder, im Fall bestehender Festbeträge, bis zu dem jeweiligen Betrag. Abzüglich eines vertraglich vereinbarten Selbstbehaltes und einer Zuzahlung werden die erstattungsfähigen Aufwendungen zu 100 Prozent ersetzt. Die Zuzahlung beträgt 8,00 Euro je Hilfsmittel. Bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt die Zuzahlung 10,00 Euro für den gesamten Monatsbedarf des jeweiligen Hilfsmittels, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen. Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind von der Zuzahlung befreit. Sofern das Hilfsmittel nicht leihweise überlassen wird, benennt der Versicherer mit der Genehmigung gemäß Absatz 1 Satz 4 einen Hilfsmittelanbieter, der den Hilfsmittelbezug in zumutbarer Weise gewährleistet, ohne dass die versicherte Person über die Zuzahlung und einen vertraglich vereinbarten Selbstbehalt hinausgehende Eigenanteile aufzubringen hat."

Die Hilfsmittelversorgung entspricht praktisch derjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 33 SGB V. Dazu vergleiche ausführlich oben 3.2.1.2 mit Unterpunkten. Die Leistungen sind demnach auch nicht auf die im GKV-Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V aufgelisteten Hilfsmittel begrenzt, mag auch die Versorgung mit Hilfsmitteln außerhalb des GKV-Hilfsmittelverzeichnisses eher die Ausnahme sein. Dass nach § 6 Abs. 1 c) AVB/BT die Hilfsmittelnummern des Hilfsmittelverzeichnisses in der Verordnung auszuweisen sind, schränkt jedenfalls den Leistungsumfang nicht ein. Andererseits werden aus dem SGB V alle Einschränkungen (etwa bei der Auswahl des Hilfsmittellieferanten) und Belastungen (Zuzahlungen) übernommen. Übrigens ist hier auch die Praxisgebühr zu zahlen.

Verbindlich sind gemäß § 1 Abs. 5 des Basistarifs auch die Richtlinien und Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 SGB V. Die neuen Hilfsmittel-Richtlinien zu den Sehhilfen sind also anzuwenden. Wie in der GKV gelten auch beim PKV-Basistarif das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V, der Ausschluss von Sehhilfen für Erwachsene nach § 33 Abs. 2 SGB V, die Ausschlüsse nach § 34 SGB V, die Festbeträge nach § 35 SGB V und die Einschränkungen bei den Fahrtkosten. Ebenso gilt der (gegebenenfalls anteilmäßige) Ausschluss der Kosten für Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.

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10 Rechtsgrundlagen im SGB XII - Sozialhilferecht

Gegenstand dieses Kapitels sind die Versorgung mit Hilfsmitteln und die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen des Sozialhilferechts. Diese Bereiche umfassen die Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation. Sie reichen aber im Wege der Eingliederungshilfe darüber hinaus. Das SGB XII hält Hilfen für eine umfassende Rehabilitation bereit.

Zuständig für Streitigkeiten aus dem Sozialhilferecht sind nunmehr nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz die Sozialgerichte. Die im Folgenden zitierten Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes dürften aber weiter Beachtung finden.

Die Krankenbehandlung wird im SGB XII im fünften Kapitel "Hilfen zur Gesundheit" geregelt. § 48 SGB XII verweist auf das SGB V (gesetzliche Krankenversicherung), 3. Kapitel (Leistungen der Krankenversicherung), fünfter Abschnitt (Leistungen bei Krankheit), erster Titel (Krankenbehandlung) mit den §§ 27 bis 43b. Damit erfolgt auch eine Verweisung auf § 33 (Hilfsmittel), § 40 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) und § 43 (ergänzende Leistungen zur Rehabilitation). Nach § 52 Abs. 1 SGB XII entsprechen die Leistungen denen der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit betrachtet müssen die Bestimmungen der Eingliederungshilfe im sechsten Kapitel des SGB XII werden. Im Rahmen der Eingliederungshilfe wird in § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII ausdrücklich auf § 26 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) mit seinem umfangreichen Maßnahmekatalog verwiesen. In § 54 Abs. 1 S. 2 wird dann jedoch klargestellt, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.

Deshalb kann auf die Ausführungen zur Versorgung mit Hilfsmitteln und zur Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten durch die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des SGB V (3.2.1.2 und 3.2.1.3 mit Unterpunkten) verwiesen werden.

Erweiterungen der Leistungen erfolgen aber über die Eingliederungshilfe.

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10.1 Ausstattung mit Hilfsmitteln

Die Ausstattung mit Hilfsmitteln durch den Sozialhilfeträger geht weiter als die der gesetzlichen Krankenkassen nach § 33 SGB V: Im Rahmen der Eingliederungshilfe werden Berechtigte beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen vom Sozialhilfeträger nämlich auch mit "anderen Hilfsmitteln" (als mit denen nach § 33 SGB V) ausgestattet. Das ergibt sich daraus, dass in § 54 SGB XII auf § 55 SGB IX verwiesen wird. Näheres regelt die Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung). In § 9 Abs. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung heißt es dazu:

"(1) Andere Hilfsmittel im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit den §§ 26, 33 und 55 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch sind nur solche Hilfsmittel, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängelbeizutragen."

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hierfür nicht entscheidend, ob das Hilfsmittel in erster Linie zum Ausgleich von Behinderungen geschaffen worden ist und ob es nur oder vorwiegend für Behinderte gedacht ist, sondern nur, ob es im Einzelfall geeignet ist, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern (BVerwG, Urt. v. 16.11.1972, FEVS 21, 81, 84).

Nach einem nicht abgeschlossenen Katalog in § 9 Abs. 2 werden als Hilfsmittel für blinde oder wesentlich sehbehinderte Menschen u. a. genannt: Schreibmaschinen für blinde Menschen, Verständigungsgeräte für Taubblinde, Blindenschrift-Bogenmaschinen, Blindenuhren mit Zubehör, Blindenweckuhren, Tonbandgeräte mit Zubehör für Blinde, Blindenführhunde mit Zubehör und besondere optische Hilfsmittel, vor allem Fernrohrlupenbrillen. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung gehören zu den Hilfsmitteln auch Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und zur nichtberuflichen Verwendung bestimmte Hilfsgeräte für behinderte Menschen, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf diese Gegenstände angewiesen ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 31.8.1995 einen blindengerechten Personal-Computer als "anderes Hilfsmittel" gewertet und den Sozialhilfeträger verpflichtet, einen blinden Studenten mit diesem Hilfsmittel auszustatten, wenn er für sein Studium darauf angewiesen ist (BVerwG Urteil vom 31. August 1995, Az.: 5 C 9/94 = NJW 1996, 2588-2591). Der Begriff der "anderen Hilfsmittel" in § 9 Abs. 1 Eingliederungshilfeverordnung ist nach dieser Entscheidung "entwicklungsoffen auszulegen. Er lässt Raum für neue technische Mittel der elektronischen Texterfassung und Textverarbeitung, die dazu bestimmt und geeignet sind, zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mängel beizutragen."

Während die Ausstattung eines blinden Menschen mit einem Computer nicht zur Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse gehört, kann der Sozialhilfeträger dazu durchaus verpflichtet sein. Die Versorgung mit einem "anderen Hilfsmittel" wird nach § 9 Abs. 3 Eingliederungshilfeverordnung nur gewährt, wenn das Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich und geeignet ist, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen und wenn der behinderte Mensch das Hilfsmittel bedienen kann. Es findet also eine Einzelfallprüfung statt. Zur Ausstattung gehört gegebenenfalls auch die Schulung im Gebrauch (§ 10 Abs. 1 der Eingliederungshilfeverordnung).

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10.2 Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten

Im Rahmen der Eingliederungshilfe können nicht nur lebenspraktische Fähigkeiten, sondern auch lebenspraktische Fertigkeiten als Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geleistet werden (§ 54 SGB XII, §§ 55 ff. SGB IX).

§ 16 der Eingliederungshilfeverordnung bestimmt:

"Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gehören auch (Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Erläuterungen wurden von den Verfassern eingefügt):

  1. die blindentechnische Grundausbildung (also die Vermittlung des Lesens und Schreibens der Brailleschrift, des Tastaturschreibens, der lebenspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten),
  2. Kurse und ähnliche Maßnahmen zugunsten der in § 1 Nr. 5 (hörbehinderte und gehörlose Menschen) und 6 (sprachbehinderte Menschen) genannten Personen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, die Verständigung mit anderen Personen zu ermöglichen oder zu erleichtern (z. B. Unterweisung Taubblinder im Lormen),
  3. hauswirtschaftliche Lehrgänge, die erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen die Besorgung des Haushalts ganz oder teilweise zu ermöglichen (hierher gehören auch Kochkurse, in welchem die Zubereitung von Speisen erst gelernt wird)
  4. Lehrgänge und ähnliche Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, den behinderten Menschen zu befähigen, sich ohne fremde Hilfe sicher im Verkehr zu bewegen."

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10.3 Prinzipien des Sozialhilferechts

Das für die Sozialhilfe geltende Nachrangprinzip muss beachtet werden. Dazu bestimmt § 2 Abs. 1:

"(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält."

Nach diesem Subsidiaritätsprinzip gehen die Leistungen der anderen Rehabilitationsträger, also der gesetzlichen Krankenkassen, der Unfallversicherungsträger oder der Leistungsträger nach dem sozialen Entschädigungsrecht vor. Aber auch Leistungsverpflichtungen anderer oder nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtiger sind vorrangig, so dass diese Ansprüche nach den §§ 93 bzw. 94 SGB 12 auf den Sozialhilfeträger übergehen oder übergeleitet werden können, wenn dieser geleistet hat.

Aber auch das Einkommen und Vermögen muss vorrangig eingesetzt werden. Dabei kommt es nicht nur auf das Einkommen und Vermögen der Person des "Bedürftigen" an, sondern auf das der "Bedarfsgemeinschaft". Zu dieser gehören neben dem Leistungsberechtigten der nicht getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspartner sowie bei unverheirateten minderjährigen Kindern deren Eltern oder ein Elternteil (§ 19 Abs. 3 SGB XII).

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10.4 Einkommen und Einkommensgrenzen

Was zum Einkommen zählt, ist § 82 SGB XII zu entnehmen. Danach zählt als Einkommen das Bruttoeinkommen. Das sind grundsätzlich alle Einnahmen, also Gehalt, Renten, Einnahmen aus Vermietung oder Zinsen. Zum Einkommen gehören auch diejenigen Sozialleistungen, die als Einkommensersatz dienen: also Renten, Arbeitslosengeld I und II, BAFöG, Krankengeld, Sozialhilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.

Nicht zum Einkommen zählen andere Leistungen nach dem SGB XII, die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und die Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Von dem Bruttoeinkommen sind nach § 82 Abs. 2 SGB XII abzuziehen:

  • die gezahlte Einkommensteuer,
  • die Sozialversicherungsbeiträge,
  • die gezahlten Versicherungsbeiträge (Pflichtversicherungen und freiwillige Versicherungen, die dem Grund und der Höhe nach "angemessen" sind),
  • die staatlich geförderten Altersvorsorgebeiträge ("Riester-Rente"),
  • die zur Erzielung des Einkommens notwendigen Ausgaben (Werbungskosten),
  • das gezahlte Arbeitsförderungsgeld, welches in Werkstätten für Behinderte beschäftigte Personen nach § 43 SGB IX von ihrem Rehabilitationsträger zuzüglich zu ihrem Arbeitsentgelt erhalten.

Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nach § 83 Abs. 1 SGB XII nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Das Blindengeld nach einem Landesblindengeldgesetz bzw. die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII dient z. B. nicht für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Nicht zum Einkommen zählt auch Schmerzensgeld (immaterieller Schaden), das wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung geleistet worden ist (§ 83 Abs. 2 SGB XII).

Nicht als Einkommen werden schließlich Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege berücksichtigt, soweit die Zuwendung die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Sozialhilfe ungerechtfertigt wäre (§ 84 Abs. 1 SGB XII). Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, also etwa ein Freund, sollen als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde (§ 83 Abs. 2 SGB XII).

Sonderzahlungen wie zum Beispiel Urlaubsgeld, Steuererstattungen, Weihnachtszuwendungen sind in der Regel auf 12 Monate zu verteilen, also mit 1/12 als Monatsbetrag anzusetzen.

Nachzahlungen von Renten oder Arbeitslosengeld werden von dem Zeitpunkt an als Einkommen berücksichtigt, in dem sie ausgezahlt werden. Das heißt: Sie gelten nicht nachträglich als Einkommen für die Zeit, in der sie eigentlich hätten ausgezahlt werden müssen, sondern sind gegenwärtiges Einkommen. Wird bei der Nachzahlung ein größerer Betrag "auf einen Schlag" ausgezahlt, gilt der Betrag in dem Monat, in dem er ausgezahlt wird, als "Einkommen", im Monat darauf wird er als "Vermögen" behandelt.

Das zu berücksichtigende Einkommen ist den in § 85 festgelegten Einkommensgrenzen gegenüberzustellen. Die Einkommensgrenze ist gemäß § 85 SGB XII wie folgt zu errechnen:

(1) Einem Grundbetrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes. Die Regelsätze werden durch die Länder festgesetzt (§ 28 SGB XII).

plus

(2) die tatsächlichen Wohnkosten, soweit sie angemessen sind. Als Kosten für eine angemessene Unterkunft kann nicht nur der Mietzins incl. anfallender Nebenkosten für eine Mietwohnung, sondern auch der Kapitalzins für eine selbst genutzte Eigentumswohnung und die anfallenden Nebenkosten geltend gemacht werden.

Es werden in den meisten Fällen bis ca. 400,00 € monatlich anerkannt. Der Wert hängt ab

  1. von der Angemessenheit der Größe der bewohnten Räume und
  2. von der Angemessenheit der Kosten bezogen auf den durchschnittlichen Preis in der jeweiligen Wohngegend.

Zu a) werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit folgende Durchschnittswerte angegeben (vgl. BT-Drucksache 15/3663 S. 10):

  • 1 Person = ca. 45 bis 50 qm
  • 2 Personen = ca. 60 qm oder 2 Wohnräume
  • 3 Personen = ca. 75 qm oder 3 Wohnräume
  • 4 Personen = ca. 85 bis 90 qm oder 4 Wohnräume
  • sowie für jedes weitere Familienmitglied ca. 10 qm oder 1 Wohnraum mehr.

Es müsste auch der erhöhte Wohnraumbedarf wegen Blindheit oder Sehbehinderung berücksichtigt werden, der in DIN 18025 Teil 2 mit 15 qm oder 1 Raum mehr angegeben wird.

plus

(3) einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert des Eckregelsatzes für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person (so wird im SGB XII der im früheren Sozialhilferecht als "Hilfesuchender" Bezeichnete genannt), ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden. Ist die nachfragende Person minderjährig, so gilt für die Familienzuschläge nach § 85 Abs. 3 SGB XII folgendes: Der Familienzuschlag besteht aus einem auf volle Euro aufgerundeten Betrag von 70 vom Hundert des Eckregelsatzes für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden. Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach § 85 Absatz 1 SGB XII.

Zu beachten ist, dass das die Einkommensgrenze übersteigende Einkommen nicht voll herangezogen wird (§ 87 SGB XII). Wenn der Nachfragende blind im Sinn von § 72 SGB XII oder schwerstpflegebedürftig im Sinn von § 64 Abs. 3 SGB XII ist, bleiben von dem über die Einkommensgrenze hinaus erzielten Einkommen mindestens 60 % unberücksichtigt (§ 87 SGB XII).

Nach § 88 SGB XII kann der Einsatz des Einkommens, obwohl es unterhalb der Einkommensgrenze liegt in bestimmten Fällen verlangt werden, z. B. wenn zur Deckung des Bedarfs nur geringfügige Mittel erforderlich sind.

Einsatz des Vermögens

Häufig scheitert ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nicht an den Einkommensgrenzen, sondern an den sehr niedrigen Vermögensgrenzen.

Nach § 90 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen.

In den Abs. 2 und 3 wird das "Schonvermögen" festgelegt, welches nicht herangezogen werden darf. Danach gilt:

"(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

  1. eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
  2. eines Kapitals einschließlich seiner Erträge, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde (Riester-Rente),
  3. eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und § 72) oder pflegebedürftiger Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde (das Vorhaben muss sich in einem konkreten, in naher Zukunft zu verwirklichenden Stadium befinden),
  4. eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
  5. von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
  6. von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
  7. von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
  8. eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person (zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Personen) allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
  9. kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.

(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde."

Zu einzelnen Ziffern von § 90 Abs. 2 SGB XII ist zu bemerken:

Zu 2. - Altersvorsorge:

Leider wird nur die staatlich geförderte Vorsorge ("Riester-Rente") geschützt. Sonstige private Vorsorgemaßnahmen sind benachteiligt. Bei Versicherungsverträgen wird zugemutet, ihren Wert selbst dann vorrangig vor der Sozialhilfe einzusetzen, wenn der aktuelle Wert in einem "Rückkaufswert" besteht, bei dessen Inanspruchnahme der Versicherte einen Nachteil in Kauf nehmen muss.

Zu 3. - Erspartes für den Hausbau oder -erwerb:

Es muss sich um einen konkret geplanten Hausbau oder Hauserwerb handeln. Lediglich das Vorhandensein eines Bausparvertrages reicht dafür nicht.

Zu 5. - Für die Erwerbstätigkeit unentbehrliche Gegenstände:

Hierzu können je nach Einzelfall ein PKW, ein LKW, kleinere Betriebsgrundstücke und viele andere Dinge gehören. Es muss jedoch die "Unentbehrlichkeit" für die Erwerbstätigkeit überzeugend dargestellt werden.

Zu 8. - Das selbstbewohnte Hausgrundstück:

Dies ist mit die wichtigste Regelung. Sie enthält aber viel Streitpotential. Wann ist das Hausgrundstück, wann ist dessen Wert noch "angemessen"? Es gilt die Faustregel, dass Familieneigenheime und Eigentumswohnungen von 120 bis 130 qm Wohnfläche geschützt sind. Auch in diesem Zusammenhang sollte man darauf hinweisen, dass Blinden und Sehbehinderten gemäß DIN 18025 Teil 2 ein zusätzlicher Raumbedarf von 15 qm zugestanden werden sollte.

Zu 9. - Kleinere Barbeträge oder sonstiger Geldwerte

Für die Bestimmung der "kleineren Barbeträge und sonstigen Geldwerte" gibt es eine eigene Verordnung (Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Die Höhe der "kleineren Barbeträge") wurde in dieser Rechtsverordnung sehr niedrig festgesetzt. Bei der Überschreitung ist zwar § 90 Abs. 3 SGB XII zu beachten. Diese Härtefallregelung wird aber sehr eng ausgelegt.

Nach § 1 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 gilt folgendes:

Kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind,

  1. wenn die Sozialhilfe vom Vermögen der nachfragenden Person abhängig ist, bei den Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2.600,00 Euro, zuzüglich eines Betrages von 256,00 Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person überwiegend unterhalten wird,
  2. wenn die Sozialhilfe vom Vermögen der nachfragenden Person und ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners abhängig ist, der nach Nummer 1 Buchstabe b maßgebende Betrag zuzüglich eines Betrages von 614,00 Euro für den Ehegatten oder Lebenspartner und eines Betrages von 256,00 Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten wird,
  3. wenn die Sozialhilfe vom Vermögen einer minderjährigen unverheirateten nachfragenden Person und ihrer Eltern abhängig ist, der nach Nummer 1 Buchstabe b maßgebende Betrag zuzüglich eines Betrages von 614,00 Euro für einen Elternteil und eines Betrages von 256,00 Euro für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder von der nachfragenden Person überwiegend unterhalten wird.

Wird Vermögen mit dem Ziel ausgegeben, die für den kleinen Barbetrag geltende Grenze zu unterschreiten und dadurch die Sozialhilfebedürftigkeit herbeizuführen, so kann die begehrte Sozialhilfeleistung verweigert werden (§ 26 SGB XII). Werden Vermögensteile verschenkt und wird der Betreffende dadurch sozialhilfebedürftig, so kann das Sozialamt die Schenkung rückgängig machen (§ 528 BGB).

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11 Literaturhinweise

  • Brambring, Michael: Fachgutachten zum Unterrichtsbedarf für eine Schulung in Orientierung und Mobilität mit dem Langstock für sehgeschädigte Personen.
  • DBSV (Hrsg.): Der Blindenführhund als Mobilitätshilfe, Broschüre erhältlich bei den Blindenselbsthilfeorganisationen.
  • Hennies, Günter: Der Blinde im geltenden Recht, 6. Auflage, Berlin 2003, insbesondere die Kapitel: IV Das Recht auf Rehabilitation und Teilhabe; 6. Das Rehabilitationsrecht des SGB IX; V Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe im Einzelnen.
  • Trenk-Hinterberger, Peter: Die Rechte behinderter Menschen und ihrer Angehörigen. Diese Schrift wird von der Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE) in Düsseldorf herausgegeben und nahezu jährlich aktualisiert.

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12 Impressum

Schriftenreihe: Rechtsberatung für blinde und sehbehinderte Menschen
Heft 03 "Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft"

Stand Februar 2015

Von: Dr. Herbert Demmel und Karl Thomas Drerup
Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. und Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.

Diese Schriftenreihe widmen wir dem Andenken an Dr. Dr. Rudolf Kraemer. Zu seiner Person vgl. Heft 01 Abschnitt 1.

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