horus 4/2022
Schwerpunktthema: "Gesundheit"
Titelbild horus 4/2022: Ernährungsberaterin Nina Schweppe lacht und hält ein rotes Radieschen mit grünem Blätterstrunk dicht vor ihr linkes Auge. Sie hat braune Haare, braune Augen und trägt ein apfelgrünes Poloshirt. Foto: Nina Schweppe, fotografiert von Leon Schwehr.
Inhalt
- Vorangestellt
- Aus der Redaktion
- Schwerpunkt: "Gesundheit"
- M. Klaus: ... und abnehmen tut man auch noch: Erfahrungen beim Heilfasten
- P. Beck: Von intuitiver Ernährung und gesundem Schlaf
- P. Beck: Niemand darf zurückbleiben
- J. Sonntag: Depressionen machen keinen Bogen um behinderte Menschen
- J. Lebelt: Keine Arbeit für Dünnhäutige - Mein Weg zur Psychologin
- Gute Bewegungen lehren: Jürgen Bopp über seinen Werdegang und Berufsalltag als Physiotherapeut: Ein horus-Interview mit Isabella Brawata
- "Immer auf den eigenen Körper hören": Noemi Ristau im horus-Interview mit Thorsten Büchner
- Beruf, Bildung und Wissenschaft
- Recht
- Barrierefreiheit und Mobilität
- Berichte und Schilderungen
- Aus der Arbeit des DVBS
- Aus der blista
- Bücher
- Panorama
- IBS: Wenn der BAföG-Mietzuschlag nicht reicht
- Mentoring-Programm für Disabled Leadership im Kulturbereich
- REHADAT-Talentplus - das Portal zu Arbeitsleben und Behinderung
- agnes@work-Fachtagung "Perspektiven der digitalen Arbeitswelt" am 25. April 2023 in Berlin
- Sozialheld*innen sucht Studienteilnehmer*innen
- E-Roller aus dem Weg! Crowdfunding-Kampagne des DBSV zur Durchsetzung von Musterklagen
- Statistik: 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland
- Gesundheitspolitische Forderungen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes
- BAGSO: Soziale Kontakte als Schlüssel für Lebensqualität und Wohlbefinden im Alter
- Impressum
- Vorschau horus 1/2023
- Anzeigen
Vorangestellt
Liebe Leser*innen,
ein neuer Name, ein neues Gesicht...
Es freut mich sehr, Sie als Nachfolger von Claus Duncker als Vorsitzender der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) nun im Wechsel mit Uwe Boysen vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS) hier herzlich begrüßen und thematisch einstimmen zu dürfen. Mehr über mich erfahren Sie in der nächsten "blista-News" - um Sie neugierig zu machen, darf ich hier benennen, dass ich nicht nur seit drei Jahren an der blista, sondern auch vorher viele Jahre in Friedberg, Schleswig und Nürnberg tätig war.
"Gesundheit" ist das Thema dieser Ausgabe; gleichermaßen sehr wichtig, spätestens seit dem Corona-Virus neu im Fokus und doch eigentlich unglaublich vernachlässigt.
Wie oft nehmen wir uns vor, gesund zu leben, auf unsere Gesundheit zu achten? Wie sehr leiden wir, wenn wir Zahnschmerzen haben, und nehmen es danach aber als selbstverständlich hin, wenn sie nicht mehr vorhanden sind? Wie oft haben wir uns zurückliegend "Bleiben Sie gesund!" gewünscht und selbst nicht danach gelebt?
Gesundheit ist eben nicht selbstverständlich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig, unverzichtbar. Und ja: Wir können viel dafür unternehmen, achtsam für uns und andere zu sein oder es spätestens jetzt zu werden. Gesundheit bei Ernährung, Lebensführung, Freizeit und Beruf - es gibt viele Facetten und Herausforderungen, wo wir gesund bzw. gesünder leben können. Wenn Sie hier "könnten" gedacht haben, dann nehmen Sie doch die Herausforderung an gemäß Mahatma Gandhi: "Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens".
Tun Sie Ihren Lieben und sich selbst bitte den großen Gefallen, "Gesundheit" nicht nur zu wünschen, sondern sich auch für diese einzusetzen - auch bei Ihnen selbst.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Gesundheit und viele Impulse in den folgenden Artikeln dieser Ausgabe.
Herzliche Grüße
Ihr
Patrick Temmesfeld
(Vorstandsvorsitzender der blista)
Bild: Patrick Temmesfeld lächelt. Er hat dunkle Augen, eine hohe Stirn und kurzes graues Haar. Am Revers seines dunklen Jacketts trägt er einen kleinen Button mit dem blista-Punktschrift-Logo. Foto: blista
Aus der Redaktion
In Vorbereitung
Echten Einsatz - den bot die horus-Redaktion bei der Vorbereitung dieser Ausgabe zum Schwerpunkt-Thema "Gesundheit". Wurde doch der eine oder andere Selbstversuch gewagt. So waren alle gespannt, wie denn die Heilfastenkur des Redaktionskollegen Matthias Klaus verläuft: Ob er durchhält? Was er uns erzählen wird? Dann die Erleichterung: Er hat alles gut überstanden, nicht zum ersten Mal, fühlte sich hinterher besser - und er hat einen interessanten Bericht für den horus mitgebracht, der - keine Angst! - ganz und gar nicht missionarisch ist. Wow!
In diesem Jahr kam wohl niemand darum herum, immer mal wieder über die eigene Gesundheit und die der anderen zu sprechen: Wen hat das Corona-Virus jetzt doch noch erwischt, wann wird die Kollegin oder der Kollege wieder hier sein? Und mancher war sich ab und zu nicht ganz sicher, ob er einfach nur urlaubsreif war, weil irgendwie erschöpft, oder ob mehr dahintersteckte. Im Rückblick aber überwiegt für uns als Redaktion die Freude, dass wir dieses Jahr bisher gut überstanden haben und zahlenmäßig gewachsen sind.
Schließlich haben wir auch im nächsten Jahr noch viel vor. "Das kommende Jahr wird super spannend", so Redaktionsmitglied Nina Odenius. "Die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen genau zu verfolgen und zu beobachten, welche Lösungen und Vorschläge diskutiert werden, darauf freue ich mich besonders. Wichtig ist mir, wie wir als blinde und sehbehinderte Menschen Teilhabe leben und uns engagieren können."
Als Leserin und Leser sind Sie herzlich eingeladen, uns jederzeit Beiträge zu Ihrem beruflichen oder ehrenamtlichen Engagement zu senden - seien es Texte über Stolpersteine oder Unterstützung, gute oder schlechte Erfahrungen. Sie erreichen die horus-Redaktion unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Die horus-Redaktion wünscht Ihnen, dass auch Sie sich auf das neue Jahr - und zunächst auf die hoffentlich ruhigeren Tage um den Jahreswechsel - freuen können. Eine friedvolle Weihnachtszeit, Gesundheit und alles Gute für 2023!
Schwerpunkt: "Gesundheit"
... und abnehmen tut man auch noch: Erfahrungen beim Heilfasten
Von Matthias Klaus
Es gibt viele Möglichkeiten, gesund zu leben: Sport machen, Mikronährstoffe zählen, vegan werden, auf Zucker verzichten, nur noch Rohkost essen oder am Ende doch aufgeben, weil das alles zu viel ist und wieder Pizza bestellen.
Sicher ist nur eins: Die heutige Konsumgesellschaft bietet viel zu viele Reize, sich ungesund zu ernähren. Essen, vor allem hoch verarbeitetes, ist allgegenwärtig, und da unser Steinzeithirn darauf programmiert ist, sofort zuzuschlagen, wenn sich die Gelegenheit bietet, haben wir gerne einmal Zuviel. Zu viel Zucker, zu viel Brot, zu viel Snacks und dann am Ende auch noch zu viel Gewicht.
Irgendwas muss es doch aber geben, um dem etwas entgegenzusetzen und nicht den Zivilisationskrankheiten Fettleber, Diabetes oder Herzinfarkt anheimzufallen.
Bevor wir, fünf mehr oder weniger blinde Menschen aus Bonn, in diesem Sommer unser Heilfastenabenteuer begannen, waren unsere Essensportionen immer größer geworden, Kuchen und Schokolade gab es sowieso regelmäßig, auch der Fleischkonsum war angestiegen, und so kam es, dass wir langsam, aber stetig, an Gewicht zunahmen, obwohl wir zumindest teilweise seit zwei Jahren Intervallfasten praktizierten, also eigentlich mit zwei Mahlzeiten im Abstand von höchstens acht Stunden auskamen.
Es musste dringend etwas geschehen. Zwei von uns hatten schon einmal gefastet und uns danach sehr lange viel besser gefühlt. Als wir davon bei einem Selbsthilfetreff, so heißen bei uns die Stammtische mit viel Essen und Trinken, erzählten, waren wir plötzlich zu fünft.
Wenn das man gutgehen würde. Vorsorglich hatten wir dem Fastenhotel unserer Wahl bei der Anmeldung nicht erzählt, dass wir alle eine Seheinschränkung haben. Nach früheren Ablehnungserfahrungen bei geplanten Urlaubsreisen waren wir vorsichtig geworden, und als wir dann erst einmal da waren, konnten sie uns ja nicht mehr wegschicken.
Anfangs wirkte die Seniorchefin etwas irritiert, und wir mussten, wie so oft, mal wieder beweisen, dass wir ganz normale Menschen sind, doch am Ende hatten alle etwas gelernt, wir viel über gesunde Ernährung und das Hotelpersonal einiges über den Umgang mit blinden Menschen.
Übrigens, wenn es nichts zu essen gibt, gibt es auch kein Buffet, bei dem man Hilfe braucht.
Doch wie geht das jetzt eigentlich mit dem Heilfasten:
Die Idee dahinter hat mal wieder was mit der Steinzeit zu tun. Damals aßen die Menschen immer, wenn es etwas gab, wir sprachen bereits davon, doch oft gab es auch nichts. Manchmal musste man tagelang hungern und Nahrung suchen. Der menschliche Körper kann das also. Wenn es mal eine Zeit lang nichts gibt, stellt er von äußerer Nahrung auf Nahrung von Innen um. Der Vorgang heißt Ketose und wandelt Zucker- und Fettdepots im Körper zu etwas um, aus dem der Organismus Energie gewinnen kann.
Das geht natürlich nicht für den Rest des Lebens, aber so drei bis vier Wochen sollen möglich sein, natürlich nur, wenn man sonst gesund ist.
So weit sind wir nicht gegangen. Nach gut einer Woche war Schluss, doch während dieser Zeit haben wir alle erlebt, dass es möglich ist, mal eine Zeit lang auf Nahrung zu verzichten. Gut, nicht ganz, denn es gab Gemüsesuppe und Saft, doch der Fastenkoch hat geschworen, dass pro Tag nicht mehr als 200 bis 300 Kalorien auf der nicht vorhandenen Speisekarte standen.
Der Anfang des Fastens ist allerdings hart. Nicht nur, dass man einen Drink mit Glaubersalzlösung bekommt, der den Darm entleert, nein, was man am ersten Tag, nachdem man das Essen eingestellt hat, deutlich spürt, ist Entzug. Auf einmal gibt es keinen Zucker mehr, das macht Kopfschmerzen, der Kaffee wird auch abgesetzt, das macht nochmal Kopfschmerzen, und überhaupt steigt die schlechte Laune massiv an.
Da muss man durch, doch schon am zweiten Tag wird es besser. Die von einigen Fastenenthusiasten beschworene Fasteneuphorie haben wir wohl alle nicht gespürt, aber unsere Laune stieg wieder an. Auch die, die das Fasten schon einmal praktiziert haben, sind jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass man das überhaupt aushält, ohne durchzudrehen. Man bekommt so eine Art Selbstwirksamkeits-Flash, der den Rest der Zeit gut ertragen lässt.
Neben fast nichts zu essen, viel Tee und Wasser gehörten Ernährungsvorträge, Gymnastik und kleine Wanderungen durch die Weinberge zum Programm, wer wollte, konnte sich auch diverse Wellnessangebote wie Massagen buchen oder die integrierte Saunalandschaft nutzen. Es war alles erlaubt, was die Laune hebt, nur eben Essen nicht.
Was das Heilfasten eigentlich bewirkt, ist umstritten. Die einen, vorzugsweise Anhänger von Naturheilverfahren, schwören darauf, dass der Körper entgiftet wird und sogar Schwermetalle ausscheidet. Die eher schulmedizinisch ausgerichteten Fastenbefürworter, ja, die gibt es auch, meinen, dass es vor allem gut ist, wenn die inneren Organe mal eine Pause bekommen. Seit ein paar Jahren ist es wohl auch wissenschaftlich erwiesen, dass durch Pausen in der Nahrungszufuhr ungesunde Eiweiß-Verbindungen in den Körperzellen abgebaut werden können. Eine Darmreinigung ist sowieso ab und zu mal gut und ein paar Kilos kann man währenddessen auch verlieren.
Zum Heilfasten gehört auch der regelmäßige Einlauf. Wie der funktioniert, mag man im Netz nachlesen oder sich am besten von jemandem, der sich damit auskennt, erklären und zeigen lassen. Besagter Einlauf war in unserer kleinen Gruppe zumindest umstritten.
Gesagt sei hier nur so viel: Es geht, und man fühlt sich besser hinterher.
Nach fünf Tagen Suppe und Saft war für den ersten von uns Schluss. Wir anderen haben noch ein paar Tage drangehängt. Es gilt die Regel, je länger desto besser, doch fünf Tage nichts essen sollten es schon sein, sonst lohnt sich der schwierige Einstieg nicht.
Das Fastenbrechen, also das Wiederaufnehmen der Esstätigkeit, gilt es, vorsichtig anzugehen. Mindestens drei Tage sollte man sich Zeit nehmen, bevor wieder normal gegessen wird. Schön wäre natürlich, bei der Gelegenheit auch mal die eine oder andere Ernährungsgewohnheit auf den Prüfstand zu stellen. Es muss ja nicht direkt der große Verzicht sein, doch Portionen verkleinern, öfter auf Alkohol verzichten und Süßes reduzieren gehen nach so einer Woche ziemlich leicht. Das muss man ausnutzen. Unvernünftig werden wir noch früh genug wieder.
Es soll auch Menschen geben, die das Heilfasten allein zuhause praktizieren, womöglich sogar noch dabei arbeiten. Wir waren uns allerdings einig, dass wir das den hartgesottenen Fans überlassen werden. Wir haben uns durchaus als kleine Gruppe immer wieder motiviert, wenn wir mal einen Durchhänger hatten oder wir diesen ewigen Kräutertee nicht mehr sehen konnten.
Ein weiterer schöner Nebeneffekt der Aktion war auch, dass wir bestätigt bekommen haben, dass es immer wieder gut ist, nicht nur ins Aura Hotel zu fahren, sondern sich auch unter die Mehrheitsgesellschaft zu mischen. Das nennt man wohl gelebte Inklusion.
Vielleicht kündigen wir beim nächsten Mal ja doch an, dass wir mit fünf blinden Menschen kommen, wenn wir das Fastenhotel erneut aufsuchen.
Und war noch was? Ach ja, so drei bis vier Kilo Gewichtsverlust sind schon drin.
Bild: Während des Fastens liefert eine heiße Tasse Früchte- oder Kräutertee angenehme Wärme und Entspannung. Ein Glas Tee mit einem Zweig Pfefferminze und einer Scheibe Zitrone lädt zum Trinken ein. Foto: DVBS
Von intuitiver Ernährung und gesundem Schlaf
Von Peter Beck
Mens sana in corpore sano - ein gesunder Geist in einem gesunden Körper: Darum die Götter zu bitten, hielt schon der römische Dichter Juvenal für sinnvoll. Offenbar war ihm klar, wie sehr körperliche und geistige Gesundheit zusammenhängen und dass es oft schwer ist, so zu leben, dass eins ins andere greift wie die Rädchen eines Uhrwerks. Damit es doch gelingt, braucht es jedenfalls die Erkenntnis, wie sehr die Grundbedürfnisse unseres Körpers - Ernährung, Schlaf - unser Wohlbefinden beeinflussen.
Die Ernährungsfalle
Um mehr zu erfahren, bin ich telefonisch mit Nina Schweppe in Hamburg verabredet. Sie ist Anfang 50, selbst blind und berät Menschen in Fragen des Essens und des Bio-Rhythmus.
Aber der Reihe nach. Nina erzählt von ihrer eigenen Essstörung, Binch Eating Disorder. Dabei wird aus Frust und zur Befriedigung von Emotionen unkontrolliert gegessen, ohne dass der Patient hinterher erbricht. Die Folge ist der unselige Kreislauf aus Übergewicht, mehr Essen, mehr Frust, mehr Übergewicht. Nina sieht unter anderem ihre Internatsvergangenheit als Grund dafür. Bei einer Ernährungsberaterin, die sie in ihrer Verzweiflung aufsuchte, bekam sie wohlfeile Tipps wie diese: Sport machen; drei Haltestellen eher aus dem Bus steigen und den Rest des Weges laufen; jeden Tag frisch kochen. Das ist sicher nicht verkehrt, hilft aber Menschen, die nicht gern kochen, sich beim Sport schwer tun und die keine Orientierungskünstler sind, nicht weiter.
Verfetten und Sterben keine Alternative
Nina griff daher den Gedanken der Selbsthilfe auf und wurde selbst Ernährungsberaterin. Sie entwickelte ein Konzept, das frei von Dogmen ist und möglichst die Barrieren ihrer Kundschaft mit in den Blick nimmt.
Beim intuitiven Essen geht es darum zu ergründen, wann stille ich mit welchem Essen welchen Hunger. Habe ich also wirklich Hunger oder ist es eher ein seelischer Hunger, der meine Schritte zum Kühlschrank lenkt. Und wenn es Letzterer ist, was könnte ich stattdessen tun, wenn der innere Schweinehund seine Hütte verlässt und fordernd knurrt. Wer als Schüler beim Lernen frustriert ist und gern auf einen Boxsack haut, soll sich einen ins Zimmer hängen, meint Nina. Es geht darum, Essen als Übersprungshandlung zu erkennen und diese Handlungen umzuleiten. Fisch, Fleisch, Gemüse, Nudeln, Kartoffeln: Nina ist sicher, dass der Körper zu jeder Zeit weiß, was er will, diese Signale sind häufig verschüttet. Wer es dabei belässt, bleibt übergewichtig.
Nina zeigt in ihren Kursen, wie ein Teller sinnvoll gefüllt wird. Wer beispielsweise die obere Hälfte dem Gemüse widmet und unten Fleisch und Beilagen anrichtet, dazu noch langsam isst und gut kaut, wird merken, wie schnell er satt wird und dass der Drang nach einem Nachschlag zurück geht. Der Körper braucht Zeit zu begreifen, dass es jetzt genug ist.
In die Ernährungsfalle tappen alle, aber Nina ist überzeugt, dass blinde Menschen eher dazu neigen. Sie erhalten kaum Rückmeldung über ihr Aussehen; sie sehen zum Beispiel nicht die dicke Mutti am Strand, um hinterher im Spiegel zu erkennen "Ich seh' ja grad so aus!". Auch war für viele das Internat prägend. Es war üblich, dass der Teller leer gegessen werden musste, auch das verhasste Gemüse. Dass später gerade das Gesunde beim Einkauf liegen bleibt, ist logisch. Auch waren früher wohlgenährte Kinder ein Zeichen von Wohlstand, die liebe Verwandtschaft schenkte den sehenden Neffen und Nichten Bilderbücher - das blinde Kind bekam Schokolade. Und auch die Frühchen wurden dereinst nicht nach Bedarf gefüttert, sondern nach der Uhr. In ihren Kursen thematisiert Nina Schweppe all dieses. Sie weiß, dass viele blinde Menschen nicht gern kochen, weil sie der heiße Herd ebenso schreckt wie die scharfen Messer. Dann darf es auch mal ein Fertigprodukt sein oder eben das Pizza-Taxi - aber vielleicht kann die Pizza ja kleiner ausfallen und dafür gibt es noch einen Vorspeisensalat. Gut ist auch, zu jeder süßen Mahlzeit ein Stück Obst oder zu jeder herzhaften ein Stück Gemüse zu essen, Gurken, Tomaten, alles Dinge, die bei der Zubereitung keinen Aufwand machen.
Nina bietet ihre Kurse auf der Webseite www.beb-schweppe.de an. Es gibt Online-Kurse, in denen die Teilnehmer "Lehrbriefe" durcharbeiten und Fragen beantworten. Nina schaut sich das Ergebnis an und schaltet dann die nächste Lektion frei. Auch gibt es Einzel-Coachings, bei denen Nina noch genauer auf die Situation des Kunden eingehen kann. Das geht über Messenger oder Telefon, niemand muss dafür seine Wohnung verlassen.
Die Uhrmacherin
Nina Schweppe berät aber nicht nur zu Fragen der Ernährung. Sie hat sich auch mit dem Uhrwerk befasst, das unseren Bio-Rhythmus steuert. Als Betroffene von Non-24 weiß sie, was es heißt, wenn die innere Uhr nicht mit dem Rhythmus von Tag und Nacht Schritt hält. In ihren Kursen analysiert Nina den Chrono-Typ ihrer Kunden. Durch gezielte Fragen wird schnell klar, ob jemand Eule, Taube oder Lerche ist. Die Eulen (das sind rund 60% aller Menschen) sind gerne lang auf und haben ihre höchste Leistungsfähigkeit eher spät. Für sie sind der normale Arbeitstakt oder auch der frühe Schulbeginn nicht praktisch.
Das Gegenteil sind die Lerchen. Sie schaffen ihr Pensum am Morgen und gehen gern früh zur Ruhe.
Die Tauben sind flexibel und arrangieren sich - wohl dem, der das kann.
Zu welchem Vogel sich jemand hingezogen fühlt, lässt sich leicht klären, und wenn dann noch der eigene Lebensstil unter die Lupe kommt, wird ein Konzept draus, wie der von Schlaflosigkeit geplagte Zeitgenosse wieder erholsam schlummert. Nina legt Wert darauf, dass sie keine medizinischen Diagnosen stellt. Wenn sie den Eindruck gewinnt, dass eine Schlafstörung pathologisch ist, weist sie den Weg zum Arzt. Denn auch nur derjenige, der Non-24 ärztlich bescheinigt bekommt, erhält die teuren Medikamente von der Kasse bezahlt.
Besser leben mit dem eigenen Bio-Rhythmus
Nina Schweppe hat an sich selbst gearbeitet, daher versteht sie ihre Klientel. Und sie weiß, dass gut zu essen und zu schlafen keine Hexerei sind. Was sie fordert, ist, dass ihre Kunden bereit sind, sich mit sich selbst, ihren Werten und ihren Ansprüchen an sich selbst und die Gesellschaft zu beschäftigen. Nur wer sich in Frage stellt, wird Antworten finden. Dabei hilft Nina gern in ihren Kursen und am Telefon.
Zur Person
Nina Schweppe, Jahrgang 1970, ist Sozialpädagogin, Ernährungsberaterin und zertifizierte Schlafberaterin. Weitere Informationen finden Sie unter www.beb-schweppe.de. Dort gibt es viele Einstiegstipps und die Links zu den Online-Kursen und -Coachings.
Bild: Nina Schweppe trägt eine Brille und ein großes Tuch in Orange um den Hals. Foto: Nina Schweppe
Bild: Der Körper weiß, was er wirklich will. Nina Schweppe lacht und hält ein rotes Radieschen mit grünem Blätterstrunk dicht vor ihr linkes Auge. Sie hat braune Haare, braune Augen und trägt ein apfelgrünes Poloshirt. Foto: Nina Schweppe, fotografiert von Leon Schwehr.
Niemand darf zurückbleiben: Vernachlässigte Tropenkrankheiten gefährden eine Milliarde Menschen, oft sind die Augen betroffen
Von Peter Beck
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt zwanzig Tropenkrankheiten zu denen, die das Attribut "vernachlässigt" tragen. Dies, weil die Krankheiten vor allem unter armen und vernachlässigten Menschen grassieren, und auch, weil in den letzten Jahrzehnten zu wenig Geld für deren Bekämpfung aufgewandt wurde. Die WHO sagt, dass jährlich eine halbe Million Menschen diesen Krankheiten zum Opfer fallen. Während Malaria, HIV/AIDS und Tuberkulose jeder kennt, sieht das bei Trachom, Flussblindheit oder Elefantiasis schon anders aus. Vieles ist durch Medikamente und rechtzeitige Diagnose heilbar oder es kann durch bessere Hygienestandards, gute Toiletten und sauberes Wasser vorgebeugt werden. Die vor allem durch Parasiten, Viren und Bakterien verursachten Neglected Tropical Diseases (NTD) breiten sich häufig in ländlichen Gebieten aus, in denen es an Geld, Fachwissen und Aufklärung mangelt. Ihre Auswirkungen sind langwierig und schmerzhaft und können zu körperlichen Behinderungen sowie seelischen und mentalen Beeinträchtigungen führen. Das wiederum hat Stigmatisierung und Diskriminierung zur Folge, was von den Betroffenen oft als die größte Behinderung empfunden wird. Seit Jahrzehnten engagiert sich die Christoffel Blindenmission (CBM) mit vielen Partnerorganisationen im Bemühen, die NTDs zu überwinden.
The Big Five - Die großen Fünf
Flussblindheit (Onchozerkose)
Flussblindheit ist eine parasitäre Erkrankung, ausgelöst durch einen Fadenwurm (Onchocerca volvulus). Sie wird durch den Stich der blutsaugenden Kriebelmücke übertragen, die in schnellfließenden Gewässern brütet. In besonders stark betroffenen Gebieten verlassen die Menschen oft fruchtbares Ackerland, um dem sogenannten "Fluch der Flussblindheit" zu entkommen. Die Fadenwürmer können im menschlichen Körper bis zu 18 Jahre leben und setzen Millionen mikroskopisch kleiner Babywürmer - sogenannte Mikrofilarien - frei. Über das Blut wandern diese durch den ganzen Körper und können im Auge zum Erblinden führen und schwere Hautveränderungen mit unerträglichem Juckreiz hervorrufen.
Diese Krankheit kommt derzeit noch vor allem in Subsahara-Afrika vor. In Südamerika und Teilen der arabischen Halbinsel gibt es noch kleinere Herde. Schätzungen der WHO zufolge sind 20,9 Millionen infiziert und rund 1,15 Millionen Menschen auf Grund von Onchozerkose unheilbar sehbehindert oder erblindet.
In endemischen Gebieten wird die Flussblindheit flächendeckend mit dem Medikament Mectizan behandelt. Das Medikament wirkt auch vorbeugend und muss regelmäßig mindestens einmal jährlich eingenommen werden, bis alle erwachsenen Würmer nach 15 bis 20 Jahren abgestorben sind. So wird der Übertragungsweg unterbrochen.
Trachom
Trachom ist eine bakterielle Augeninfektion. Sie trifft vor allem arme Menschen in heißem und trockenem Klima, wo die hygienischen Verhältnisse besonders schlecht sind. So kommt Trachom in Industrieländern nur noch sehr selten vor. In tropischen Entwicklungsländern gilt es aber als die häufigste infektiöse Erblindungsursache, die eigentlich vermeidbar ist. Fast 137 Millionen Menschen sind davon bedroht und benötigen dringend Hilfe.
Das Endstadium dieser bakteriellen Augenentzündung ist oft sehr schmerzhaft. Wiederholte Infektionen können unbehandelt zur unwiderruflichen Erblindung führen. Ursache sind sogenannte Chlamydien. Sie werden über den direkten Kontakt mit den Schleimhäuten der Augen, der Nase und des Mundes oder durch Fliegen übertragen. Wenn Mütter ihren Kindern und sich selbst aus Mangel an Wasser mit einem Tuch über die Augen wischen, dann übertragen sie damit häufig die Infektion vom einen auf den anderen. Daher sind Frauen und Kinder von Trachom besonders häufig betroffen.
Die meisten Betroffenen infizieren sich im frühen Kindesalter: Zuerst treten Symptome einer Bindehautentzündung auf. Wiederkehrende und unbehandelte Infektionen führen allmählich zu Narben auf der Innenseite (Bindehaut) der Augenlider, die sich dadurch verkürzen und die Wimpern nach innen drehen. In der Folge scheuern die Wimpern bei jedem Blinzeln schmerzhaft über die Hornhaut, die sich zunehmend eintrübt und schließlich unwiderruflich vernarbt. Ohne Behandlung erblinden die Betroffenen. Nach Schätzungen der WHO ist Trachom weltweit verantwortlich für Sehbehinderungen oder Blindheit von 1,9 Millionen Menschen. Mit Hilfe von Antibiotika kann die Infektion geheilt werden. Im fortgeschrittenen Stadium kann die Sehfähigkeit durch eine frühzeitige und relativ einfache, kostengünstige Operation der Augenlider gerettet werden. 2,8 Millionen Menschen benötigen dringend eine Operation.
Um die Übertragung dauerhaft zu unterbrechen, ist vor allem eine Verbesserung der Hygiene notwendig. Dazu müssen mehr Brunnen und Latrinen gebaut werden, barrierefrei zugänglich sein und das Gesundheitsverhalten nachhaltig verbessert werden. Schulgesundheitsprogramme und Aufklärungsaktionen in Gemeinden sind dafür eine wesentliche Maßnahme.
Lymphatische Filariose (Elefantiasis)
Lymphatische Filariose (LF) ist eine Infektion mit einer von drei Arten von Fadenwürmern. Eine der Auswirkungen kann das im Volksmund benannte "Elefantenmann-Syndrom" sein. Bei den betroffenen Menschen sind Körperteile abnorm vergrößert. Mehr als 1 Milliarde Menschen sind weltweit von LF bedroht und müssen laut WHO präventiv behandelt werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Mehr als 120 Millionen waren 2020 infiziert, davon litten 44 Millionen unter chronischen Beeinträchtigungen. Die Krankheit bringt unbehandelt akute Schmerzattacken, starke körperliche Behinderungen und soziale Stigmatisierung mit sich.
Nach dem Stich einer infizierten Mücke gelangen die Würmer in das lymphatische System und verursachen dort eine entzündlich-allergische Reaktion. Mit der Zeit führt das zu wiederkehrenden akut schmerzhaften Attacken und einem chronischen Lymphstau, der eine extreme Vergrößerung meist in den Beinen oder den äußeren männlichen Geschlechtsteilen zur Folge haben kann.
Bilharziose (Schistosomiasis oder Schneckenfieber)
Diese tropische Krankheit wird durch parasitäre Würmer verursacht, die in warmen Binnengewässern leben. Krankheitserreger ist der so genannte Pärchenegel (Schistosoma), eine 1-2 cm lange Saugwurmgattung. Die Krankheit breitet sich aus, wenn die Wurmeier aus dem Stuhl oder Urin von infizierten Menschen oder Tieren ins Wasser gelangen. Bestimmte Schnecken an Uferrändern dienen als Zwischenwirt. Schistosomiasis ist eine der vernachlässigten Zoonosen. Das heißt sie kann von Tieren auf Menschen übertragen werden und umgekehrt.
In betroffenen Gebieten infizieren sich die Menschen bei ihrer täglichen Arbeit, spielende Kinder beim Kontakt mit verseuchtem Wasser oder Tiere an betroffenen Wasserstellen. Dabei dringen die Larven durch die Haut des Menschen oder des Tiers ein und siedeln sich in Blutgefäßen an, die innere Organe versorgen. Die Eier der im Körper herangewachsenen Würmer verursachen Immunreaktionen und Schaden an unterschiedlichen Organen. Mitunter löst die Bilharziose auch Krebsgeschwüre oder Unfruchtbarkeit aus.
Bodenübertragene Wurmerkrankungen (Geohelminthen)
Infektionen mit parasitären Würmern, die ohne Zwischenwirt auf den Menschen übertragen werden, gehören zu den häufigsten Infektionen weltweit. Schätzungen zufolge sind mehr als eine Milliarde Menschen durch bodenübertragene Wurmerkrankungen infiziert. Besonders häufig benötigen Kinder Medikamente zur Entwurmung. Die Verbreitung erfolgt über infizierte Menschen, die die Wurmeier im Stuhl ausscheiden. Vor allem in feuchtwarmen Gegenden mit schlechten sanitären Einrichtungen gelangen die Wurmeier in den Boden und über kontaminiertes Wasser oder verunreinigte Nahrung wieder zu den Menschen.
Die Krankheitsanfälligkeit hängt von der Stärke des Befalls ab. Menschen mit leichten Infektionen zeigen häufig keine akuten Symptome. Schwere Infektionen verursachen je nach Wurm-Art unterschiedliche Krankheitsbilder. Dazu gehören Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall und Bauchschmerzen, allgemeines Unwohlsein und Schwäche, was wiederum zu chronischer Mangelernährung und Blutarmut führen kann. Dauerhafte Wurmerkrankungen können so bei Kindern Minderwuchs auslösen und auch die geistige Entwicklung stark beeinträchtigen. Erwachsene mit starkem Wurmbefall sind teils so geschwächt, dass sie keinen Beruf mehr ausüben können.
Schwerpunkte der CBM: Trachom und Flussblindheit
Die CBM unterstützt in ihren Trachom-Projekten die sogenannte SAFE-Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO): S steht für Surgery/Operation, A für Antibiotics/Antibiotika, F wie clean Faces für das regelmäßige Gesichtwaschen, und unter E wie Environmental Improvement versteht man die Einhaltung von Mindeststandards bei sanitären Anlagen und ein besseres Hygieneverhalten. Die CBM arbeitet bei der Identifizierung von endemischen Gebieten mit, um Maßnahmen gezielt dort zu entwickeln, wo sie am nötigsten sind. Weiter unterstützt sie mit ihrer langjährigen Expertise besonders die Trachom-Chirurgie und Antibiotika-Behandlung. Im Bereich der Wasserversorgung und der Hygiene kooperiert die CBM mit WASH-Expertenorganisationen (= Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene). Gemeinsam sorgen sie dafür, dass zum Beispiel Brunnen barrierefrei zugänglich sind, Latrinen errichtet werden oder die häusliche Viehhaltung verbessert wird, um krankheitsübertragende Fliegen zu reduzieren.
CBM-Schwerpunktländer im Bereich der Trachom-Bekämpfung sind Äthiopien, Burundi, Nigeria, Kenia, Tschad, Pakistan, Südsudan und jetzt auch die Demokratische Republik Kongo. In CBM-geförderten Projekten wurden 2019 fast 11 Millionen Menschen gegen Trachom behandelt. Zusätzlich wurden nahezu 20.000 Menschen mit einer fortgeschrittenen Trachom-Infektion an den Augenlidern operiert.
Gegen Flussblindheit unterstützt die CBM in den besonders betroffenen Regionen die regelmäßige Verteilung des Medikaments Mectizan in enger Abstimmung mit der WHO, nationalen Programmen und betroffenen Gemeinden. Derzeit fördert sie Projekte vor allem in der Demokratischen Republik Kongo, in Nigeria, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und in Burundi. Insgesamt versorgten im vergangenen Jahr die Mitarbeitenden aus den CBM-Partnerprojekten fast 22 Millionen Menschen mit Mectizan. Wo das möglich ist, werden dieselben Strukturen genutzt, um gleichzeitig auch Lymphatische Filariose, bodenübertragene Wurmerkrankungen oder Bilharziose zu behandeln.
Schulgesundheitsprogramme, über die vor allem Kinder erreicht werden, ergänzen diese Aktivitäten.
2019 erhielten mehr als 31 Millionen Menschen Medikamente gegen NTD.
Politische Arbeit zu NTD
Der Kampf gegen NTD ist wichtig, um die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG), die in der 2030-Agenda festgeschrieben wurden. NTD zu bekämpfen hilft nicht nur, "Gesundheit und Wohlergehen für alle" zu erreichen, sondern hat auch Einfluss auf andere Entwicklungsziele. Weniger Armut und Ungleichheit sowie mehr Bildung und Beschäftigung hängen ebenfalls davon ab, ob die NTD erfolgreich bekämpft werden. Das Leitprinzip der 2030-Agenda ist es, niemanden zurückzulassen. Das gelingt nur, wenn Regierungen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen die 20 NTD ankämpfen. Denn es sind vor allem arme Menschen, die an NTD erkranken.
Bild: Sauberes Wasser ist wichtig, wenn vernachlässigte tropische Krankheiten sich nicht weiter ausbreiten sollen. Ein Mädchen trinkt in Äthiopien mit beiden Händen an einem Brunnen und lächelt. Sie hat die Ärmel ihrer rosa Jacke zurückgeschoben, das rosa Tuch auf dem Kopf ist zurückgerutscht. Foto: CBM/argum/Einberger
Bilder: Rechts: Vor der Verbreitung der Flussblindheit schützt die regelmäßige Gabe von Mectizan, z. B. in der Demokratischen Republik Kongo. In einer offenen Hand liegen vier kleine weiße Tabletten, die andere hält einen Emaille-Becher. (Foto: CBM/Bugbee). Links: Gegen ihre Schmerzen aufgrund von Trachom-Infektionen half Nanye aus Äthiopien eine Augenlid-OP. Sie lacht. Ihr linkes Auge ist von einem großen weißen Verbandspflaster verdeckt. Um Kopf und Schulter trägt sie ein orange-gelbes Tuch mit weißen Mustern. Foto: CBM
Depressionen machen keinen Bogen um behinderte Menschen
Von Jennifer Sonntag
Vollkommen zu Recht wollen wir Menschen mit Behinderungen nicht als dauertraurige Tröpfe wahrgenommen werden, die ihr tristes Dasein in Trostlosigkeit hinter vergilbten Gardinen verbringen. Damit steigt der Druck, sich aktiv und engagiert, lebenshungrig und selbstbestimmt zu zeigen. Wenn wir für depressiv oder traumatisiert gehalten werden, nur weil wir eine Behinderung haben, fühlen sich viele von uns falsch verstanden, denn Behinderung ist zunächst kein Grund für Depressionen.
Depressive Menschen ohne Behinderung hingegen habe ich manchmal sagen hören, sie wünschten sich lieber ein Bein ab als den Höllentrip der Depression. Das kann ich nachfühlen, möchte aber mit der Vorstellung aufräumen, dass Menschen mit sichtbaren Behinderungen nicht auch von Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen betroffen sein können. Dabei kann die Behinderung, muss aber nicht, ein belastender Faktor sein, insbesondere durch dauerhafte und schädigende Stigmatisierungserfahrungen. Wird die Depression unabhängig von der Behinderung ausgelöst, kann es dennoch sein, dass auch eine vormals gut verarbeitete Behinderung nun schwerer wiegt und nicht mehr so gut kompensiert werden kann.
Ich finde es problematisch, dass wir Menschen mit Behinderungen selten offen über Depressionen sprechen können. Wir trennen hier noch sehr stark: Auf der einen Seite sind die behinderten Menschen, auf der anderen Seite diejenigen mit Depressionen. Beides kommt aber auch gekoppelt vor, was nicht nur die Behindertenszene selbst, sondern auch das Hilfesystem nicht ausreichend berücksichtigt. Liegt es daran, dass wir uns nicht auch noch mit diesem Stigma sichtbar machen wollen? Schon Menschen ohne Behinderung, die über psychische Belastungen sprechen, haben Ängste vor Vorurteilen in der Gesellschaft. Vielleicht will jene Gesellschaft dann erst recht den Doppel-Whopper Depression plus Behinderung auch in doppelter Hinsicht übersehen, weil Behinderung allein schon befremdet? Wenn schon ein "Behinderter" inkludiert werden soll, dann doch bitte einer, der permanent gut drauf ist und andere zu positiven Sichtweisen inspiriert?
Ich wünsche mir in der Behinderten-Community schon sehr lange Menschen, die Gesicht für das Thema Depression zeigen, ähnlich wie es in den Communitys nichtbehinderter Menschen Promis wie Kurt Krömer, Nora Tschirner oder Torsten Sträter tun. Warum? Weil Depressionen auch in unseren Kreisen kein Zeichen von Charakterschwäche sind, sondern auch sehr engagierte und "starke", lebenshungrige und selbstbestimmte Menschen treffen können. Weil Depressionen gut behandelbar sind, wenn man darüber spricht. Weil Depressionen tödlich sein können, wenn man sie nicht behandelt. Und weil ich selbst von einer schweren Depression betroffen war.
Ich wurde lange als die souveräne Powerfrau wahrgenommen, von der "das" keiner gedacht hätte. Und genau das halte ich für gefährlich. Allzu oft habe ich vom alten Rehasystem eingetrichtert bekommen: "Du musst immer zehnmal besser sein als die Sehenden, um in der Gesellschaft etwas wert zu sein!" Kann sein, dass man einem die eigene Not dann auch zehnmal schlechter ansieht. Sozial erwünschte Überkompensation wäre wohl eine passende Bezeichnung dafür.
Das war jedoch nicht der Grund, der eine Depression bei mir auslöste.
Zwischen Missgunst und Maskottchenrolle
Meine Depression wurde durch die berufliche Situation ausgelöst. Mir war es in meinem langjährigen Beruf als Sozialpädagogin eine Herzenssache, anderen behinderten Menschen Kraft und Mut zu geben, und das gab mir dann auch viel Energie zurück. Doch nach einem Vorgesetztenwechsel und veränderten Rahmenbedingungen wurde ich Opfer von Mobbing, Missgunst und Neid am Arbeitsplatz. Ich verlor all meine Freudenstrahlen. Meine vormals gut verarbeitete Behinderung wog durch beklemmende Umstände am Arbeitsplatz plötzlich tonnenschwer. Zu meiner Blindheit gesellte sich eine schwere Depression. Beides beeinflusste sich ungünstig. Heute kann ich nicht sagen, ob ich jemals von einer so einschneidenden Depression betroffen gewesen wäre, wenn ich mich selbstwirksamer und weniger hilflos am Arbeitsplatz gefühlt hätte. Eine Depression ist eine eigenständige Erkrankung, die unterschiedliche Auslöser haben kann.
Ich arbeitete in einer Einrichtung für behinderte Menschen, die in erster Linie von nichtbehinderten Vorgesetzten geleitet und gestaltet wurde. Für mich war das viele Jahre kein Problem, bis Akteure aus diesem System ihre Hörner gegen mich richteten. Heute denke ich, dass ich als gut qualifizierte Frau mit Behinderung, die auch Bücher schrieb und Fernsehen machte, dem Rehasystem wegen meiner Betroffenensicht und erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit ein Dorn im Auge war. Dasselbe Rehasystem, das Menschen mit Behinderung eine hohe Kompensationsfähigkeit abverlangt, gönnte einem die hart erkämpften Erfolge dann nicht. Was wollte man? Potenziale behinderter Menschen sichtbar machen und, sobald sie dann wirklich einer sah, das Licht schnell wieder ausknipsen?
Auch wenn ich all die Jahre tolle Kolleg*innen hatte und jeden Tag mit Optimismus im Herzen zur Arbeit fuhr, setzten entscheidende Personen effiziente Giftspritzen. Aus Angst vor Neid versteckte ich Anerkennung, die ich extern bekam, das war eine ständige Schere im Kopf. Auch zerriss es mich, dass mein Name und meine Behinderung zum Abgreifen von Fördergeldern genutzt wurden. Für diese Maskottchenrolle war ich gut genug, während ich innerbetrieblich nach Zweckerfüllung hinten herunterfiel. Wo Inklusion drauf stand, war keine drin.
Kein Auffangnetz für Blinde - Vom Hilfesystem mit Depressionen im Stich gelassen
Als ich 2014 für die MDR-Sendung "Selbstbestimmt!" ein Interview mit Gustl Mollath führte, der ganze sieben Jahre unfreiwillig in der Psychiatrie verbrachte, ahnte ich noch nicht, dass ich selbst einmal mit dem umgekehrten Problem konfrontiert sein würde. Ich wurde aufgrund meiner Behinderung in eine solche Klinik gar nicht erst aufgenommen. Ausgerechnet im Urlaub, als ich etwas Abstand zu meiner Situation am Arbeitsplatz gewinnen wollte, traf mich die Depression so schwer, als wären die Dementoren aus Harry Potter über mich gekommen. Ich fühlte mich in einer eisernen Klemme, lebendig begraben, in kalter Todesangst, konnte nicht essen, nicht schlafen, bewegte mich in einem ständigen Gedankenkarussell und fand keine Lösung für mein Problem. Alles fühlte sich so schlimm an, dass sich Suizidgedanken einstellten. Mein Partner erkannte mich nicht wieder.
Ich telefonierte mehrere Tageskliniken durch und erlebte statt eines Auffangnetzes durchgehend Ablehnungen aufgrund meiner Blindheit. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Menschen mit Behinderungen derartige Lücken in der medizinischen Versorgung erleben müssen. Man begegnete mir gleich bei der Anfrage direkt mit der Absage, auch bei großen Trägern, und obwohl ich mich genau an die Einrichtungen wandte, die mir der MDK nahegelegt hatte. Die Begründungen: Es gäbe zu viele Treppen im Haus, ich würde mich nicht zu den einzelnen Therapiestationen finden, die Therapien seien nicht für blinde Menschen vorgesehen, dafür gäbe es kein Klinikpersonal. Trotz meines in dieser Zeit extrem geringen Selbstwertgefühls versuchte ich, Vorurteile und Berührungsängste zu zerstreuen, wieder Brückenbauerin, die Mittlerin zwischen den Welten, zu sein. Dabei hätte ich so dringend selbst eine Brücke und eine helfende Hand gebraucht und kommunizierte das auch ehrlich so. Am Ende half es nichts, man fühlte sich nicht zuständig und riet mir sogar, es doch bei der nächsten Klinik zu versuchen, vielleicht hätte ich da mehr Glück. Nach jedem dieser Telefonate ging es mir schlechter, und die mittlerweile lebensbedrohliche Grabesplatte auf mir wurde unerträglich schwer.
Nur durch das Bemühen meiner Eltern und Freunde, die Angst um mich hatten, wollte es eine Klinik mit mir als blinder Patientin versuchen. Ich war nicht mal mehr ein Schatten meiner selbst. Wir setzten große Hoffnung auf diese Klinik, doch prompt wurde mein zugesagtes Bett wieder abgesagt, weil sich einige Nachtschwestern nicht zutrauten, eine blinde Patientin zu betreuen. Dabei gab es nachts für mich keinen besonderen Betreuungsbedarf. Wieder hatten Vorurteile und Berührungsängste zu einer Ablehnung geführt, erneut musste es Gespräche geben, Flehen, Verzweiflung. Die Bittstellerrolle.
Endlich auf dieser Station angekommen, durfte ich tatsächlich nur sehr wenige Therapien mitmachen, musste im Zimmer bleiben und mich dort beschäftigen, weil ich am Geschehen oft nicht teilnehmen sollte. Es gab trotz der Offenheit einzelner psychiatrisch Tätigen kein einheitliches Inklusionsbewusstsein, und das Klinikpersonal reagierte sehr gespalten auf die vollblinde Patientin. Ich wollte nicht negativ auffallen, um den so hart erkämpften Platz nicht wieder zu verlieren, weinte stille Tränen in mein Kopfkissen, wenn die anderen zu ihren Therapien gingen. Ich kam mir zusätzlich zu meiner Depression nun auch mit meiner Behinderung lästig vor, und meine schlimmen Gedanken verstärkten sich, sodass ich trotz äußerlicher Gefasstheit am Ende hoch suizidal war. Extrem hilfreich in dieser Zeit waren meine Mitpatient*innen im Aufenthaltsraum, denn immer war jemand von ihnen da, der mir eine Tasse Tee aufbrühte.
Krank der Klinik verwiesen
Von Covid 19 waren wir damals zum Glück noch verschont, aber auf unserer offenen Station kursierte eine andere Viruserkrankung, die mich hart erwischte. Da ich mit den Händen viel ertasten musste, konnte ich mich schlechter schützen. Die Klinik reagierte darauf, indem sie mich einfach entließ. Mein Partner wurde noch im Krankenhaus angewiesen, er solle keinen Notarzt rufen, da ich offiziell ja noch in der Klinik sei. Auch er sah sich abhängig von diesem Hilfesystem, überfordert, verzweifelt. Meine Mitpatient*innen waren erschüttert, als sie erlebten, wie mein Freund mich in diesem Zustand aus dem Krankenhaus schleppte. In der Folge lag ich ohne ärztliche Betreuung mit einem heftigen Virusverlauf zuhause, kollabierte mehrfach und zog mir durch die Stürze schwer heilende Schürfwunden zu, hatte keinen Tropf, und meine damals hoch angesetzten Medikamente blieben nicht im Körper, was zu furchtbaren Absetzsymptomen mit Halluzinationen führte. Als man mich wieder aufnahm, hatte die Depression sich so verschlimmert, dass ich auf die psychiatrische Intensivstation verlegt werden musste. Auch wenn das für mich der Tiefpunkt meines Lebens war, muss ich heute sagen, dass für mich hier das Licht wieder anging. Hier musste ich mich nicht hineinbetteln, hier sah man mich psychisch und körperlich am Ende angekommen, weil ich, die ewige Kämpferin, inzwischen endgültig aufgegeben hatte.
Ich weiß heute, dass eine Fibromyalgie, eine chronische Schmerzerkrankung, die sich durch Schmerzen in verschiedenen Körperregionen äußert, die Folge mancher Viruserkrankungen sein kann. Leider entwickelte sich auch bei mir nach all diesen Torturen eine Fibromyalgie mit Fatigue. Ich bin also seither nicht wieder richtig gesund geworden und leide unter starken Schmerzen am ganzen Körper, begleitet von einer schweren Abgeschlagenheit. Ich denke, hätten Kliniken weniger mit meiner Behinderung gefremdelt und mich in der schweren Zeit mit dem Viruseinbruch nicht mir selbst überlassen, wäre ich nicht in eine solche gesundheitliche Abwärtsspirale geraten. Und auch später sollte ich erneut Ablehnungserfahrungen mit Kliniken machen, als ich wegen eines chronifizierten Ohrenleidens Kontakt zu mehreren Tinnitus-Zentren aufnahm. Auch wenn ich es jetzt schon ein bisschen gewohnt war, es traf mich doch immer wieder auf verschiedenen Ebenen, wenn die Stimme am anderen Ende sagte: "Ach sie sind blind! Ganz blind? Sie sehen wirklich gar nichts mehr? Das tut mir leid, dann können Sie nicht kommen."
Aktiv werden
Als ich wieder bei Kräften war, wurde ich als Inklusionsbotschafterin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) aktiv zu diesen Themen, begann Texte darüber zu veröffentlichen, gründete die Initiative "Irrlichter", schrieb das Buch "Seroquälmärchen" und beteiligte mich mit meiner persönlichen Geschichte am Almanach "Nicht gesellschaftsfähig - Alltag mit psychischen Belastungen". Außerdem durfte ich immer wieder auch inklusionsoffene Therapeut*innen kennenlernen, unterstützte eine Forschungsarbeit zu diesem Schwerpunkt und sprach beim Festival "Stadt der Sterblichen" 2019 in Leipzig erstmals zusammen mit prominenten Gästen auf der Bühne über Depressionen, Angst und Suizidprävention.
Ich möchte nur sehr ausgesucht zu diesem Thema Gesicht zeigen, weil ich meine schlimmen Erfahrungen ganz privat verdauen muss und mich beruflich auch über andere Inhalte definiere. Aber wenn ich schon Zeugin dieser Umstände war, dann will ich mit meiner Geschichte wenigstens dabei helfen, diese drastischen Barrieren im gesundheitlichen Hilfesystem auszuräumen.
Ich möchte sogar noch weiter vorn, nämlich bei der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz, ansetzen und dafür sensibilisieren, dass wir Menschen mit Behinderungen auch Seelen haben, hohe Kompensationsleistungen vollbringen und uns unsere großen und kleinen Erfolge nicht zugeflogen sind. Mobbing, Missgunst und Neid zerstören Potenziale und verhindern ernstgemeinte Inklusion. Ich habe deshalb, ebenfalls in meiner Zeit als Inklusionsbotschafterin der ISL, das Projekt "stop.mobb.handicap" ins Leben gerufen, das insbesondere behinderte Arbeitnehmer*innen in Mobbingsituationen anspricht und auf meiner Archivseite www.blindverstehen.de bereitsteht.
Als öffentliche Mutmacherin habe ich lange gezögert, einen so persönlichen Text über Depressionen zu veröffentlichen. Genau die Menschen, die mir meine "Stärken" neideten, würden nun auf meinen "Schwächen" herumtrampeln, befürchtete ich. Inzwischen denke ich, es ist die Aufgabe solcher Menschen, sich zu fragen, warum sie das eigentlich machen. Ich jedenfalls schicke den Text bewusst nun gerade als öffentliche Mutmacherin auf die Reise, da mir in meinen düstersten Zeiten eine Person mit Behinderung gefehlt hat, die offen über ihre Depression sprach und mir Rollenmodell sein konnte. Diesen Anspruch hege ich auch nicht, aber drüber reden hilft immer. Und keine Sorge, um den Bogen zum Anfang dieses Textes zu spannen: Ich verbringe nicht den ganzen Tag als dauertrauriger Tropf hinter vergilbten Gardinen, ich habe gar keine Gardinen!
Linktipps
- kobinet-nachrichten.org/2018/01/28/da-wird-man-ja-irre-patientinnen-zweiter-klasse
- kobinet-nachrichten.org/2017/12/17/inklusion-trifft-depression
- kobinet-nachrichten.org/2016/12/18/auf-der-suche-nach-barrierefreien-klinikstandards
Zur Autorin
Jennifer Sonntag ist Diplom-Sozialpädagogin, Fachjournalistin und Buchautorin. In der Sendung "Selbstbestimmt!" beim MDR-Fernsehen zeigt sie seit 2008 Gesicht für Inklusion und Teilhabe. Sie ist Kuratoriumsmitglied bei Pro Retina Deutschland und engagiert sich als Inklusionsbotschafterin in zahlreichen Projekten.
Die ungekürzte Fassung des Beitrags finden Sie auf: dieneuenorm.de/kolumne/tabuthema-depressionen-behinderung/
Bild: Jennifer Sonntag hat braune Augen und langes dunkles Haar, das über ihre Schultern nach vorne fällt. Auf dem Portraitfoto trägt sie zur schwarzen Kleidung Creolen mit korallroten Quasten. Foto: Jennifer Sonntag
Keine Arbeit für Dünnhäutige - Mein Weg zur Psychologin
Von Juliane Lebelt
"Mein Name ist Juliane Lebelt. Ich bin Psychotherapeutin und melde mich, weil ich die Info bekommen habe, dass Sie einen Therapieplatz suchen." So oder so ähnlich melde ich mich bei meinen Patienten, wenn sie bei der Anmeldung angerufen oder einen Zettel in den Briefkasten geworfen haben. Meist stehen da drauf ein paar kleine Notizen zu den psychischen Schwierigkeiten, die sie gerade im Leben haben. Oft haben sie schlimme Dinge erlebt und kommen damit allein nicht klar. Dass ich nichts sehe, erwähne ich mit keinem Wort. Ich wüsste nicht, warum. Reden und zuhören geht bekanntlich auch ohne Augen. Der Rest regelt sich meist im Verlauf. Die Patienten stellen sich auf mich ein. Wenn sie es für wichtig halten, sagen sie mir zum Beispiel von sich aus, dass sie morgens nicht die Energie hatten, sich zu schminken oder die Haare zu kämmen. Wer das verschweigen möchte, fühlt sich bei mir angenommen und wohl, denn ich mache ihnen keinen Vorwurf. Wir wissen, glaube ich, alle, wie angenehm es ist, manche Dinge einfach mal für sich zu behalten. Und viele sind erstaunt, wie viel ich mit meinen Ohren oder dem Bauchgefühl dann doch mitbekomme.
Steiniger Weg
Verschwiegen haben mir zum Glück auch Menschen, welche Mühen ein Psychologiestudium mit anschließender Therapeutenausbildung mit sich bringen kann. Wenn mir am Beginn dieses langen Weges jemand gesagt hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich wahrscheinlich einen anderen Beruf gewählt. Heute bereue ich keinen dieser einzelnen Schritte. Ich bin an meinen Erfahrungen gewachsen und habe viel gelernt. Dieser Text soll Mut machen. Nicht immer ist der einfachste Weg der Beste.
Fangen wir im Jahr 2008 an. Ich fand Menschen schon immer interessant, wollte sie verstehen, die Gründe für ihr Handeln erkennen können. Also fand ich mich im Oktober des Jahres plötzlich in einer Leipziger Studentenwohnheimküche gemeinsam mit zwei anderen aufgeregten Erstis wieder. Alle hielten wir unsere Zettel mit den Einführungsveranstaltungsterminen in der Hand: Eine angehende Erziehungswissenschaftlerin, eine Medieninformatikerin und ich, eine Psychologin. Weit weg von zu Hause sein, sich allein um den Haushalt kümmern, das kannte ich alles - im Gegensatz zu den anderen - schon und konnte in den nächsten Wochen zumindest im Wohnheim gut aushelfen.
Umso mehr Schwierigkeiten hatte ich mit der Organisation des Studiums. Wo bekomme ich welche Hilfsmittel her? Woher weiß ich die Formeln, die sich alle anderen in Statistik von der Tafel abschreiben? Wo bitte, finde ich im Hörsaal bei 100 Kommilitonen die Freunde wieder, mit denen ich mich gestern noch so nett unterhalten habe? Alles Fragen, die mir anfangs keiner beantworten konnte. Der Austausch mit einer blinden Studentin, 3 Semester höher, half weiter. Von ihr habe ich gelernt, mit welchem Dozenten ich über digitale Folien sprechen konnte, wer eher zugänglich war, wer nicht. Auf welchen Seiten die Literatur halbwegs barrierefrei zu bekommen war. Scannen musste ich zum Glück nicht viel. Die meisten Psychologie-Bücher gab es als E-Book. Nach einem Semester hatte ich Bekanntschaft mit einer kleinen Gruppe von Leuten geschlossen, die mich durchaus auch mal zu sich gerufen haben, wenn ich sie nicht fand. So habe ich die ersten 3 Jahre des Studiums hinbekommen. Brauchte ich doch mal Hilfe, beispielsweise beim Formatieren von PowerPoint-Folien, war ich auf meine Kommilitonen angewiesen. Die waren davon nicht immer begeistert.
Die Bürokratie streut Sand ins Getriebe
Von Studienassistenz hatte ich gehört. Allerdings fühlte ich mich von den Antragsunterlagen schon völlig überfordert. Hilfe von meiner Familie oder anderen Freunden konnte ich dabei nicht erwarten, so dass ich mich allein durchgeschlagen habe. Immer nach dem Prinzip: Irgendeine Lösung wird sich schon finden. Und meist fand sich auch eine.
Was es heißt, Entlastung durch Unterstützung anderer zu bekommen, habe ich erst im Master in Berlin gelernt. Mein damaliger Freund wohnte dort, die Studieninhalte gefielen mir besser. Also wechselte ich die Uni. Der Vorteil war, dass in Berlin das Studentenwerk für die Finanzierung von Assistenz und Hilfsmitteln zuständig ist. Die Mitarbeiter von Studentenwerk und Uni waren extrem engagiert, die Antragsunterlagen deutlich weniger kompliziert als bei den Leipziger Behörden. Fürs Bücher Scannen, Folien Beschreiben etc. gab es verhältnismäßig viel Geld und die Arbeit war weniger anstrengend als kellnern oder babysitten. Ich hatte schnell eine Assistenz gefunden, musste allerdings erst lernen, Aufgaben abzugeben. Sätze wie "Lass mich das machen. Dafür bin ich doch da," bekomme ich auch heute noch von meinem lieben helfenden Auge bei der Arbeit gesagt. Generell habe ich die Zeit in Berlin als sehr positiv empfunden. Ich konnte mich ausprobieren, Studieninhalte nicht mehr nach der Zugänglichkeit, sondern wirklich nach Interesse auswählen. Ich wollte immer mit der Geschwindigkeit meiner sehenden Kommilitonen mithalten. In dieser Zeit habe ich verstanden, dass es OK ist, sich auch mal mehr Zeit zu lassen, nebenher nach links und rechts zu schauen und auch auf sich selbst zu achten. Und ich habe gelernt, dass sich auch Menschen ohne Sehbehinderung mal Zeit lassen, sich selbst zu finden. Warum sollte ich das dann nicht auch dürfen?
Der nächste Schritt
Positiv bestärkt durch diese Erfahrungen war mir klar, dass ich noch nicht arbeiten, sondern weiter lernen wollte. Ich entschied mich für die Ausbildung zur Verhaltenstherapeutin. Ein Ausbildungsinstitut zu finden, war die erste Hürde. Nicht jedes konnte sich vorstellen, eine blinde Frau aufzunehmen. Viele hatten Zweifel, inwiefern ich "mit meinen zusätzlichen Herausforderungen der Ausbildung und Arbeit einer Psychotherapeutin gewachsen sein würde" (so formulierte es ein Institut). Irgendwann erklärte sich eins bereit, mich zu nehmen. Ich musste zwar unterschreiben, dass ich allein dafür verantwortlich wäre, wenn mir Nachteile aufgrund meiner Sehbehinderung entstehen sollten. Ich habe mich kurz darüber aufgeregt, dann aber pragmatisch gehandelt und unterschrieben. Was sollte mir schon passieren?
Dieser Pragmatismus hat mich oft über die Zeit der Ausbildung gerettet. Das Motto der nächsten Jahre war: Immer einen Schritt nach dem anderen, und wenn Plan A nicht funktioniert, muss eben Plan B her. So kann man das ganze Alphabet durchdeklinieren. Und wenn man beim Z angekommen ist, fängt man eben wieder beim A an.
Nicht alle Menschen sind gleich
Der nächste Schritt war, mir Gedanken um die Finanzierung zu machen. Die Ausbildung muss selbst bezahlt werden. Viele Auszubildende haben Eltern mit viel Geld, die ihnen problemlos Ausbildung, Wohnung und Auto finanzieren. Die andere Hälfte nimmt Kredite auf, arbeitet nebenher und schaut, dass sie irgendwie über die Runden kommt. Zu diesem Teil der Azubis gehörte ich, und hier funktionierte auch noch Plan A. Ich schrieb Stiftungen an, die sich auf die Unterstützung von Menschen mit Behinderung spezialisiert haben. Zwei davon waren so nett, einen Teil zu den Ausbildungskosten beizusteuern. Den Rest habe ich zusammen bekommen, indem ich immer nebenher gearbeitet habe.
Während der Ausbildung war es vorgeschrieben, anderthalb Jahre in Psychiatrie und Psychosomatik zu arbeiten. Psychotherapeuten in Ausbildung galten damals meist als Praktikanten und hatten für 30 Stunden Arbeit in der Woche fast kein Geld bekommen. Heute hat sich die Situation zum Glück zum Besseren geändert.
In Berlin gibt es ca. 20 Ausbildungsinstitute, bei denen jeweils pro Jahr 20-40 Leute neu anfangen. Dass selbst in Berlin die Praktikumsplätze in den Psychiatrien nicht für so viele Leute ausreichen, ist, glaube ich, vorstellbar. Ich bekam entweder eine Absage oder den Hinweis, mich doch bitte in anderthalb Jahren nochmal zu bewerben. Plan B musste her. Also habe ich meinen Bewerbungsradius immer mehr ausgeweitet. Letztendlich bin ich in Dresden gelandet. Das bedeutete anderthalb Jahre lang für mich, 4 Tage in Dresden zu arbeiten und zu wohnen. Donnerstags nach der Arbeit fuhr mein Zug nach Berlin, freitags wartete ein Honorar-Job auf mich. Alle zwei bis drei Wochen samstags und sonntags Seminar jeweils von 9 bis 18 Uhr. Meist habe ich mich schon in der Feedbackrunde verkrümelt, um meinen Zug Richtung Dresden zu bekommen und am Montag früh um 7 wieder halbwegs frisch und munter in der Dresdner Psychiatrie zu stehen. Es gab einige Seminare, die ich in der letzten Reihe mit meiner reinen Anwesenheit überstanden habe. Um Wissen aufzunehmen, fehlte mir die Kraft. Ich war froh, wenn mich keiner ansprach und ich die Tage irgendwie überstand. Die eigentliche Verantwortung hatte ich in der Woche zu tragen. Denn in der Klinik warteten Menschen mit diversen Ängsten: Dem Drang, sich selbst zu verletzen bzw. sich das Leben zu nehmen, oder mit Erinnerungen an verschiedene traumatische Erfahrungen. Denen konnte ich nur helfen, wenn ich mich vollkommen auf ihre Schwierigkeiten konzentrierte und gemeinsam mit ihnen Lösungswege erarbeitete. Das Wissen aus den Seminaren war zwar wichtig. Extrem haben mir allerdings die Hinweise von Schwestern und Ärzten aus langjähriger Erfahrung geholfen.
Ja, das klingt unheimlich anstrengend. Ich hatte viel Glück mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Assistenz und Hilfsmittel für die Ausbildung waren zwar beantragt. Die Arbeitsagentur war allerdings erst nach mehreren Jahren und Terminen beim Sozialgericht bereit zu zahlen. Ich hatte aus diesem Grund vor allem am Anfang der Klinikzeit Sorge, als Belastung gesehen zu werden. Aber das Gegenteil war der Fall. Kreativität für Plan B war mal wieder gefragt, und zum Glück war ich nicht allein. An Hilfsmitteln habe ich mir einiges zusammen geliehen. Brauchte ich jemanden, der mir handschriftlich geschriebene Notizen vorliest und Eindrücke in Gruppentherapien beschreibt, durfte ich mir jederzeit die Praktikanten zur Seite holen. Wir haben so beide voneinander profitiert. Ich habe in den ganzen anderthalb Jahren nie gehört, dass ich irgendwas nicht darf oder kann. Häufig eher den Satz: "Probier' dich aus, wir sind ja da." Trotz der ganzen Belastung eine tolle Erfahrung, die mich bis heute geprägt hat. Immer wenn mein Selbstbewusstsein in den Folgejahren wieder mal entschied, sich im Erdboden zu verkrümeln, habe ich mich an diese Zeit erinnert.
Die Verantwortung wird größer
Denn nun kam der schwierigere Teil der Ausbildung. Ich hatte in der Ambulanz des Institutes 600 praktische Stunden gesammelt. Das bedeutete, Patientinnen und Patienten wurden mir zugeteilt und kamen, meist einmal pro Woche, zu mir. Abgesehen von Supervision, so heißen die Stunden, die man mit erfahrenen Therapeuten hat, um über seine Patientinnen und Patienten mit jemandem zu sprechen, war ich nun für meine Leute selbst verantwortlich.
Zu dieser neuen Art von Verantwortung kamen wieder Existenzsorgen: Auf der einen Seite musste ich Patienten aufnehmen, um Geld zu verdienen, denn die Bezahlung richtete sich nach der Anzahl der Behandlungsstunden. Andererseits brauchte ich mehr Unterstützung, wenn ich mehr Patienten hatte. Ich wollte in meiner Ausbildung weiterkommen und das Institut so wenig wie möglich belasten. Also behandelte ich weniger Patienten und suchte mir erstmal einen Nebenjob. Im Laufe der Zeit hatte ich etliche davon - als Sozialarbeiterin und als Psychologin. Die Doppelbelastung brachte mich aber schnell an meine gesundheitlichen Grenzen.
Die guten Ausbildungsbedingungen waren ein Ausgleich zum Frust der anderen Tage. Supervisoren und Institutsmitarbeiter haben mir Mut zugesprochen. Ich habe gelernt, wie viel ein freundliches "Hallo" oder ein Stück Mutmach-Schokolade Wert sein kann. Liebe Freundinnen und Freunde hatten meist ein offenes Ohr für mich, und ich konnte bei ihnen im Urlaub Energie tanken. Ohne diese Menschen hätte ich die Zeit niemals überstanden.
Nach der Mühe der Erfolg
Irgendwann war ich angekommen. Ich hatte zwar nicht so gute Prüfungsnoten wie ich wollte, aber einen Strauß Blumen und eine Approbationsurkunde in der Hand. So heißt der Zettel, der mich zur eigenständigen Behandlung von Patienten berechtigt. Ich habe mehrere Wochen gebraucht, um das wirklich zu begreifen. Durch Zufälle stand nochmal ein Umzug an. Aber im Anträge stellen und Neuorientieren war ich ja inzwischen geübt.
Als Resümee kann ich sagen, dass sich die Mühen gelohnt haben. Ja, ich habe zeitweise in extremen Unsicherheiten gelebt. Ich habe mir nicht alles gefallen lassen. Vielleicht hätte ich ein dickeres Fell haben, die Nebenjobs weniger oft wechseln und ab und zu mehr auf mein eigenes Befinden als auf das meiner Klienten achten sollen. Scheinbar gehörte das zu meinem Selbstfindungsprozess dazu und hat mich reifer gemacht. Jetzt habe ich einen tollen Job in einer ambulanten Praxis und fühle mich auch in meinem privaten Umfeld sehr wohl. Ich bin älter und ruhiger geworden und mein Leben ist weniger turbulent. Wie lange das so bleibt? Mal sehen.
Zur Autorin
Juliane Lebelt arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin in Chemnitz. Sie ist Mitglied der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe.
Bild: Juliane Lebelt hat braune Augen und trägt ihr langes braunes Haar offen. Sie lächelt. Foto: Juliane Lebelt
Gute Bewegungen lehren: Jürgen Bopp über seinen Werdegang und Berufsalltag als Physiotherapeut
Ein horus-Interview mit Isabella Brawata
horus: Wie kam es zu der Entscheidung, Physiotherapeut zu werden?
Jürgen Bopp: Bevor ich Physiotherapeut geworden bin, habe ich verschiedene andere Dinge gemacht. Ich studierte Literaturwissenschaft, arbeitete bei einer Hilfsmittelfirma und einem Versicherungsmakler.
Während meiner Zeit in der Hilfsmittelfirma habe ich auch Hilfsmittelschulungen gegeben. Dabei ist mir klargeworden, dass es mir große Freude macht, Anderen etwas beizubringen, das ihnen weiterhilft. Als Physiotherapeut kann ich Menschen beibringen, ein besseres Körperbewusstsein zu entwickeln und Bewegungen effektiver und schonender auszuführen.
Auf den Gedanken, Physiotherapeut zu werden, kam ich zunächst nicht, weil ich angenommen hatte, dass man dafür ein sehr sportbegeisterter Typ sein muss. Von dieser Annahme gehen übrigens die meisten Leute aus, die eine Ausbildung in der Physiotherapie beginnen. Sie üben in der Regel selbst aktiv eine oder mehrere Sportarten aus und wünschen sich, dass sie nach Beendigung ihrer Ausbildung Sportler*innen im Amateur- oder Profisport betreuen werden.
Tatsächlich sind die meisten Arbeitsplätze für Physiotherapeut*innen im medizinischen Bereich, also in Krankenhäusern, Rehakliniken, physiotherapeutischen Praxen usw. angesiedelt. In diesem Beruf geht es meist nicht darum, Sportler*innen für Höchstleistungen fit zu machen, sondern darum, kleine Fortschritte bei der Alltagsbewältigung zu erzielen und Schmerzen zu lindern.
Wo haben Sie ihre Ausbildung gemacht und wie läuft sie ab?
Ich habe meine Ausbildung am Berufsförderungswerk Mainz gemacht. Am BFW Mainz werden blinde und sehbehinderte mit sehenden Auszubildenden gemeinsam unterrichtet. Meine Ausbildung dauerte drei Jahre und bestand sowohl aus Theorieanteilen, in denen alles über Aufbau und Funktion des Körpers und die wichtigsten Erkrankungen vermittelt wurde, als auch praktischen Übungseinheiten, in denen wir Auszubildenden jeweils abwechselnd in die Rolle der Physiotherapeut*innen und der Patient*innen schlüpften, um das Gelernte anzuwenden und selbst zu spüren, wie sich eine Übung anfühlt.
Ein wesentlicher Teil der Ausbildung sind vier dreimonatige Praktika, die es erlauben, den Berufsalltag kennenzulernen. Ich habe meine Praktika auf einer Geriatriestation, einer Rehaklinik für krebskranke Menschen sowie in Rehakliniken mit Schwerpunkt Rheuma bzw. Neurologie gemacht. Besonders viel Freude hat mir die Arbeit mit den an Krebs erkrankten Patient*innen gemacht, denn die Leute hatten da bereits die Akutbehandlung mit Chemo- oder Bestrahlungstherapie hinter sich und freuten sich, dass es wieder bergauf ging und ich sie dabei unterstützen konnte.
Wie ging es nach der Ausbildung weiter?
Physiotherapeut*innen werden in Deutschland händeringend gesucht. Daher hatte ich noch bevor ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte bereits zwei Zusagen für eine Arbeitsstelle. Ich hatte mich bei der Arbeitsagentur und in Tageszeitungen nach freien Stellen umgesehen und hatte wirklich die Qual der Wahl.
Im Gegensatz zu anderen Berufszweigen wird die Seheinschränkung bei Masseur*innen und Physiotherapeut*innen meist sogar als Vorteil angesehen, weil man ihnen einen feineren Tastsinn unterstellt. Mittlerweile sind blinde oder sehbehinderte Therapeut*innen in der Branche fest etabliert und die meisten Arbeitgeber*innen deshalb aufgeschlossen.
Unterscheidet sich ihr Berufsalltag von dem ihrer sehenden Kolleg*innen?
Die Inhaberin der Praxis, bei der ich angestellt bin, ist zugleich meine Arbeitsassistenz. Das hat für mich den Vorteil, dass ich mich um die ganze Rezeptverwaltung und den Bürokram nicht kümmern muss. Sie vereinbart die Termine für mich und schickt mir meinen Terminplan einfach per Handy.
Allerdings gibt es auch Praxisinhaber*innen, die selbst blind oder seheingeschränkt sind und mit geeigneter Software und angepassten Blindenhilfsmitteln die Verwaltung weitgehend selbständig durchführen.
Im Gegensatz zu meinen Kolleg*innen mache ich keine Hausbesuche.
Aber ansonsten unterscheidet sich meine Arbeit nicht wesentlich von der meiner sehenden Kolleg*innen.
Zunächst erstelle ich die Anamnese, erkundige mich also nach der Krankheitsgeschichte meiner Patient*innen. Die meisten werden von Orthopäd*innen oder Hausärzt*innen an uns überwiesen, weil Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen bei Gelenken und Muskeln aufgetreten sind.
Ich habe einen PC mit Sprachausgabe und Braillezeile, sodass ich mir zu allen Patient*innen Notizen machen kann.
Eine sorgfältige Dokumentation meiner Arbeit ist wichtig, damit ich jederzeit den Krankheitsverlauf und die angewendeten Maßnahmen nachvollziehen kann.
Bei der Befundaufnahme und während der Behandlung muss ich natürlich häufiger tasten als sehende Physiotherapeut*innen, um herauszufinden, wo das Problem liegt, und um Bewegungsabläufe besser nachvollziehen zu können. Beim Kontrollieren von gymnastischen Übungen kann das sogar ein Vorteil sein, weil durch meine Berührung die Aufmerksamkeit der Patient*innen automatisch zu wichtigen Körperstellen gelenkt wird und sie sich manchmal selbst korrigieren, bevor ich etwas sagen muss.
Welche Voraussetzungen sollten Menschen, die sich für den physiotherapeutischen Beruf interessieren, mitbringen?
Zusätzlich zum Interesse für Medizin und Freude an Bewegung sollten künftige Physiotherapeut*innen die Fähigkeit mitbringen, sich auf ganz unterschiedliche Menschen einzulassen. Ein gutes seelisches Gleichgewicht ist unabdingbar, denn man begegnet häufig Menschen, denen es nicht gut geht, die über ihre Leiden sprechen. Dafür braucht es viel Empathie, aber man darf sich selbst nicht mit hineinziehen lassen.
Ich bin selber zwar nicht supersportlich, aber eine körperliche Belastbarkeit ist trotzdem aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen sollte man ein Vorbild für die Patient*innen sein, sonst ist man nicht glaubwürdig. Außerdem arbeitet man viel im Stehen, und nicht wenige Anwendungen erfordern Kraft.
Man sollte über eine gute Orientierung verfügen, denn, gerade wenn man in einer großen Einrichtung arbeitet, muss man in der Lage sein, sich auf dem Gelände rasch zurechtzufinden.
Auch Computerkenntnisse sollten vorhanden sein, damit man während der Ausbildung die Lerntexte bearbeiten kann und später im Beruf mit elektronischen Patientenakten umgehen kann.
Wir haben jetzt einen guten Einblick in ihren Werdegang und ihre Tätigkeit bekommen. Jetzt nur noch eine Frage: Ist das Gehen mit einem Blindenlangstock aus physiotherapeutischer Sicht schädlich?
Ganz allgemein sind Bewegungen schlecht, die den Körper einseitig belasten. Zum Beispiel hatte eine Patientin ständig Schulterschmerzen, die einfach nicht weggehen wollten. Es dauerte eine Weile, bis wir dahinterkamen, dass es an ihrer Handtasche lag, die sie stets nur auf einer Schulter Trug. Idealerweise sollte man also die Hand beim Pendeln gelegentlich wechseln. Wenn man den Stock etwa mittig auf Bauchnahbelhöhe hält und Schulter und Ellbogen locker hängen lässt, ist die Belastung am geringsten.
Zur Person
Jürgen Bopp ist blind, hat von 2013 bis 2016 im BFW Mainz eine Ausbildung zum Physiotherapeuten gemacht und arbeitet seitdem als Angestellter in einer Physiotherapiepraxis in Fronhausen (Hessen).
Bild: Jürgen Bopp hat kurze braune Haare und trägt ein schwarzes T-Shirt. Foto: Jürgen Bopp.
Bild: Physiotherapeut Jürgen Bopp hält seine Hand an den Lendenwirbelbereich eines Patienten, der im Vierfüßlerstand auf der Behandlungsliege kniet. Der Patient ist mit dunkelblauem Sweatshirt und Jogginghose bekleidet, Jürgen Bopp trägt Schwarz. Beide haben einen Mund-Nasen-Schutz. Foto: Jürgen Bopp
"Immer auf den eigenen Körper hören"
Im Interview mit horus-Redakteur Thorsten Büchner erzählt die blinde Skifahrerin Noemi Ristau, was für sie Gesundheit bedeutet, wie sie mit Verletzungen umgeht und wie es ihr gelingt, "bei sich zu bleiben".
horus: Was bedeutet für dich Gesundheit?
Noemi Ristau: Gesund fühle ich mich, wenn ich mich körperlich und mental wohlfühle, mich ausgewogen ernähren kann, viel Bewegung habe und auch einen Ausgleich zu meinem Alltag als Leistungssportlerin habe. Über den sportlichen Bereich hinaus ist für mich aber auch ein funktionierendes soziales Umfeld total wichtig, um mich gesund und fit zu fühlen.
Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor, sportliche Höchstleistungen vollbringen zu müssen, wenn man, sagen wir mal, privat gerade ein wenig im Stress ist oder Knatsch mit Freund*innen hat. Spürst du das beim Skifahren, wenn es dir mental mal nicht so gut geht?
Bei mir ist das glücklicherweise nicht so. Ich habe das ganz gut gelernt voneinander zu trennen und abzuschalten. Der Sport hilft dabei, Konflikte, ob mit Freund*innen, im Job oder mit sich selbst, besser verarbeiten zu können. Für mich ist es immer ganz besonders wichtig, bei mir zu bleiben.
Was bedeutet "bei mir zu bleiben"?
Dass ich auf meinen Körper höre. Mir hat früher ein Trainer mal gesagt: "Regeneration ist auch Kopfsache". Da hat es schon ein wenig Zeit gebraucht, bis ich das für mich gelernt habe, dass ich selbst am besten weiß, wie es mir und meinem Körper geht, und dass nur ich selbst am besten weiß, ob und wie ich physisch und psychisch an meine Grenzen gehen kann. Oder wann es Zeit zur Regeneration braucht. Wenn ich merke, dass ich alles rausgehauen habe, was geht, etwa beim Intervalltraining, meine Werte aber aussagen, dass da noch mehr ginge, dann höre und achte ich mehr auf mein Körpergefühl als auf die reinen Werte. Denn: Auch ich als Leistungssportlerin bin nicht jeden Tag in der gleichen Form und Verfassung. Wenn ich selbst mit meiner Leistung zufrieden bin, machen mir die Werte kein schlechtes Gewissen.
Du hast mal gesagt, dass Gesundheit schon in Deiner Kindheit eine wichtige Rolle gespielt hat. Woran machst du das fest?
Bei uns zuhause wurde eigentlich, solange ich mich erinnere, immer mit frischen Zutaten gekocht, es gab eher selten Fast Food. Das hilft mir heute natürlich sehr, weil ich dann in meinem Ernährungsverhalten nichts ändern oder umstellen musste.
Wie sieht dein Speiseplan bei einem Trainingstag denn aus?
Der unterscheidet sich ziemlich von meinem regulären Speiseplan. Wenn ich zuhause bin, frühstücke ich beispielsweise eher Müsli mit Haferflocken, Obst und Joghurt. Während einem Trainingslager in den Bergen beginnt der Tag schonmal morgens um fünf Uhr mit zwei Brötchen, Ei und Obst. Während wir dann auf 3.000 Metern sind, nehme ich Energieriegel, Mahlzeitriegel und Proteinriegel zu mir. Zusätzlich trinken wir immer Elektrolyte. Nach dem Skifahren dann ein ausführliches Mittagessen mit zwei Tellern Nudeln und Nachtisch. Nachmittags meistens leckeren Kuchen und weitere Riegel oder Obst und Süßes. Meistens machen wir am Nachmittag noch Sport draußen. Danach gibt es dann auch häufig noch einen Proteinshake. Abends gibt es meistens drei bis fünf Gänge. Bevor ich ins Bett gehe, snacke ich meistens noch etwas.
Das liegt natürlich daran, dass ich, wenn ich vier bis fünf Stunden Sport auf solchen Höhen mache, unheimlich viel verbrenne und dann schon ganz schön Mühe habe, das wieder über die Nahrung aufzunehmen. Zuhause koche ich mir eigentlich meistens selbst mein Essen. Gemüse und Obst sind dabei für mich unverzichtbar, aber eben auch weil ich das von Kindesbeinen an so kenne und mir auch was fehlt, wenn ich mal kein Gemüse oder Obst auf dem Teller habe.
In Deiner bisherigen Karriere musstest du schon mit einigen Verletzungen zurechtkommen. Wie schwer ist es, sich nach Verletzungen wieder zu motivieren?
Das kommt ganz auf den Schweregrad und den Zeitpunkt der Verletzung an. Kurz vor einem Großereignis wie einer WM oder den Paralympics ist es natürlich wesentlich schwieriger und frustrierender. Ich habe mich jetzt ja unmittelbar kurz vor den Paralympics in Peking verletzt und bin sozusagen den kompletten Sommer ausgefallen. Es war für mich ein wahnsinnig tolles Gefühl, als ich nach vier Monaten endlich wieder joggen und laufen konnte. Das macht mich glücklich und motiviert mich dann wieder, weiterzumachen.
Wie sieht überhaupt deine gesundheitliche Versorgung als Profi-Skifahrerin aus?
Ich bekomme einmal im Jahr eine sportmedizinische Untersuchung, zwischendrin regelmäßig leistungsdiagnostische Untersuchungen, und alle drei Monate werden meine Blutwerte gecheckt und untersucht. Seit einiger Zeit habe ich auch die Möglichkeit, mich über den Olympiastützpunkt in Frankfurt medizinisch versorgen zu lassen, wenn ich beispielsweise merke, dass ich mich gezerrt oder anderweitig verletzt habe. So wie unmittelbar vor den Spielen in Peking, als ich beim Aussteigen aus dem Taxi mein Knie verdreht habe.
Außerdem haben wir einen unglaublich tollen Mannschaftsarzt, der auch immer bei Fragen und Problemen erreichbar ist und mir auch schon sehr geholfen hat.
Bei normalen Erkrankungen, wie Erkältungen oder so, gehe ich zu meinem Hausarzt. Dort muss ich dann aber natürlich aufpassen, dass ich keine Medikamente nehme, die auf der Dopingliste stehen.
Wie kannst du das kontrollieren? Wissen deine Hausärzte darüber Bescheid?
Es gibt glücklicherweise eine App, in der ich mit meinen Ärzten nachsehen kann. Aspirin Complex steht zum Beispiel auf der Dopingliste. In der App werden dann auch immer gleich alternative Medikamente angezeigt und angeboten. Das ist wichtig, weil ich ja jederzeit Besuch von den Doping-Kontrolleur*innen bekommen kann. Das heißt dann ganz praktisch, dass ich jederzeit über meinen Aufenthaltsort Rechenschaft ablegen muss, damit die Kontrolleur*innen mich auffinden und eine Dopingprobe nehmen können. Normalerweise tragen wir Profi-Sportler*innen unsere Aufenthaltsorte in einer App ein, die mit der Anti-Dopingagentur verbunden ist. Da diese App momentan aber noch nicht barrierefrei nutzbar ist, gelten für uns sehbehinderte und blinde Sportler*innen andere Meldewege.
Genauso wichtig ist es bei Nahrungsergänzungsprodukten. Da muss ich genauso drauf achten, was ich nehmen darf und was nicht. Dort werde ich von Fitline versorgt, wo alle Produkte dopingfrei sind und dreifach überprüft werden. So kann ich mir immer sicher sein, dass ich nichts Falsches zu mir nehme.
Wie lange möchtest du noch professionell Skirennen fahren und was sind deine nächsten Ziele?
In den letzten Jahren hat sich mein Sport schon ziemlich verändert. Die Leistungsdichte ist höher als zu Beginn meiner Karriere. Das heißt auch, dass wir heute viel schneller die Pisten runterfahren als vor fünf oder zehn Jahren, so dass auch das Verletzungsrisiko mittlerweile höher ist als früher. Ich würde schon noch sehr gerne die nächsten Paralympics im italienischen Cortina d'Ampezzo 2026 mitmachen. Da ich seit einiger Zeit auch als Berufssportlerin beim Zoll angestellt bin, habe ich jetzt auch endlich mehr Planungssicherheit und auch eine Absicherung, so dass ich mich unbeschwerter dem Skisport widmen kann, als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Deswegen würde ich gerne noch ein drittes Mal an Paralympics teilnehmen. Nach zweimal Asien wäre es schon toll, wenn ich nochmal olympische Skirennen in einer richtigen Wintersportregion mitmachen könnte.
Welche Tipps würdest du unseren Leser*innen zum Thema Gesundheit geben?
Auf sich und den eigenen Körper hören. Dinge für sich selbst tun und schauen, dass es immer einen Ausgleich zum Alltag gibt, der mit dem Berufsleben gar nichts zu tun hat.
Welchen Ausgleich hast du?
Naja. Ein bisschen sportlich ist der schon. Beim Laufen kann ich alles in meinem Kopf sortieren und für mich ordnen. Dabei kann ich wunderbar abschalten. Ansonsten koche ich leidenschaftlich gerne. Was mich total entspannt, ist Stricken. Da sind Rundschals meine absoluten Favoriten. Ansonsten höre ich Musik und Podcasts. Ich gehe auch gerne zu Chorkonzerten oder spiele ab und an auch gerne Gitarre. Auf der Couch herumliegen und Netflix streamen ist eher nicht so mein Ding. Ich brauche schon die Bewegung in der Natur, selbst wenn es nur spazierengehen im Wald oder der Umgebung ist. Das ist sehr wichtig für mich, für mein Wohlbefinden.
Zur Person
Noemi Ristau war Schülerin der blista und ist ausgebildete Ergotherapeutin. Sie hat bisher an den paralympischen Spielen in Südkorea 2018 und Peking 2022 teilgenommen. Noemi Ristau tritt mit ihrer Guidin Paula Brenzel in den vier Disziplinen Abfahrt, Riesenslalom, Super-G und Slalom an.
Bild: Noemi Ristau und Thorsten Büchner sitzen während ihres Interviews einander zugewandt auf Holzbänken auf dem blistaCampus vor dem Eingang zur Turnhalle, ein Aufnahmegerät liegt auf dem Tisch. Sie lächeln. Noemi Ristau hat ihre Brille über ihr kurzes braunes Haar nach oben geschoben. Sie trägt ein dunkles Halbarm-T-Shirt. Ein Tattoo mit Blüten und Schmetterling zieht sich von ihrem rechten Handgelenk bis zum Oberarm. Thorsten Büchner trägt eine schmale Brille und ein geringeltes Poloshirt. Foto: blista
Beruf, Bildung und Wissenschaft
"Nichts von anderen einreden lassen": Mit dem Teilhabechancengesetz zum Traumjob
Marcus Grebe (49) arbeitet als Video Producer beim Marburger Arbeitsmarktdienstleister Praxis GmbH. Zuvor war er langzeitarbeitslos, aber lange privat im Filmbereich aktiv. Die Anstellung des filmbegeisterten Sehbehinderten erfolgt durch eine Förderung über §16e und §16i SGB II des Teilhabechancengesetzes. Das DVBS-Projekt agnes@work hat ihn interviewt.
Herr Grebe, wie sind Sie zur Praxis GmbH gekommen?
Ich wurde von der Praxis GmbH angefragt, ob ich ein Video auf freiberuflicher Basis produzieren möchte. Von dem Ergebnis waren die Verantwortlichen so angetan, dass sie mir eine Vollzeitstelle angeboten haben.
Was genau machen Sie als Video Producer?
Wenn die Praxis GmbH eines ihrer Projekte, einen Kurs oder einen besonders erfolgreichen Teilnehmer oder Teilnehmerin darstellen will, produziere ich einen Filmbeitrag darüber.
Wie sieht das konkret aus?
Ich kriege den Auftrag für eine Videoproduktion über ein bestimmtes Thema oder eine Person. Daraufhin erstelle ich ein Konzept, manchmal gemeinsam mit der Abteilungsleitung, manchmal auch alleine. Ich stimme das fertige Konzept im Kollegenkreis und mit meinen Vorgesetzten ab, danach folgen Planung und Terminierung der Dreharbeiten. Die führe ich dann durch - mit Kamera, Licht, Interviews und so weiter. Anschließend geht es in die Postproduktion, also Videoschnitt, Farbkorrektur et cetera. Das fertige Video landet zum Schluss bei den zuständigen Vorgesetzten oder Partnern zur Abnahme.
Haben Sie Schwerpunktthemen bei Ihrer Arbeit?
Nur im Sinne des Praxis-Angebots. Das liegt vor allem im Sozialbereich. Ich habe beispielsweise ein Video über eine erfolgreiche Kursteilnehmerin gedreht. Ein anderes Beispiel ist ein Beitrag über die Arbeit im Projekt Jugendwerkstatt.
Wie haben Sie diese Arbeit gefunden?
Ich war bereits 2012 Teilnehmer eines internationalen Austauschprogramms der Praxis GmbH und habe dabei einen Videobeitrag gemacht. Daher kannte man meine Erfahrung in dem Bereich. Daran hatte man sich wohl erinnert, und 2019 fragte man bei mir an, ob ich nicht Interesse hätte, einen Filmbeitrag über eine andere Kursteilnehmerin für die Praxis zu drehen. Dieser Beitrag kam bei den Verantwortlichen sehr gut an, zumal es wieder um ein internationales Austauschprojekt ging. Daraufhin bekam ich die Stelle angeboten. Die Praxis GmbH wollte mehr davon.
Sie hatten also keine Hilfe oder Beratung durch Dritte, zum Beispiel Arbeitsagentur oder Jobcenter?
Nein, gar nicht. Ich hatte zuvor jahrelang nach Arbeit gesucht, Stellenbörsen durchforstet, Bewerbungen geschrieben und so weiter. Aber dieser Job kam alleine durch Kontakte und vorherige Bekanntschaften zustande.
Haben Sie im Vorfeld eine besondere Qualifizierung erhalten?
Nein. Ich habe keine technische Ausbildung im Filmbereich. Mein Medienwissenschaftsstudium war ausschließlich theoretisch. Mein Wissen habe ich mir durch eigene Arbeit angeeignet.
Ihre Stelle wird nach dem Teilhabechancengesetz gefördert. Das Gesetz ermöglicht Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber durch die Instrumente "Eingliederung von Langzeitarbeitslosen" (§16e SGB II) und "Teilhabe am Arbeitsmarkt" (§16i SGB II). Wie beurteilen Sie diese Instrumente aus Ihrer Perspektive als Betroffener?
Sämtliche Instrumente, Zuschüsse oder Projekte, die Menschen helfen, in Arbeit zu kommen, sind erstmal gut. Gerade Menschen ohne traditionellen beruflichen Werdegang oder mit Fähigkeiten, die für andere nicht auf den ersten Blick verständlich oder greifbar sind, können davon profitieren, wenn sie auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Stelle finden. Man kann zum Beispiel nicht erwarten, dass die Vermittlungskräfte bei Jobcenter und Arbeitsagentur jeden Job kennen und sich mit allen Detailfragen auskennen. Gerade in meinem Fall habe ich nicht erwartet, dass das Fallmanagement die Vorgänge im Medienbereich kennt. Aber durch solche Programme habe ich die Möglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden, wenn meine Chancen darauf durch andere Widrigkeiten geschmälert werden. Zumal die Tatsache, dass mein Gehalt teilweise bezuschusst wird und mein Arbeitgeber dadurch weniger Kosten hat, natürlich ein größerer Anreiz für meine Einstellung ist.
Stichwort Teilhabe: Welche Auswirkungen hat Ihre Arbeit auf Ihre Lebenssituation?
Naja, ich verdiene Geld, das ist eine schöne Sache. Ich habe also finanziell mehr zur Verfügung. Ansonsten hat sich gar nicht so viel verändert. Ich hatte auch während meiner Arbeitslosigkeit einen geregelten Tagesablauf und habe mich mit eigenen Projekten beschäftigt. Jetzt arbeite ich nicht mehr ausschließlich für mich, sondern für jemand anderen, und werde dafür bezahlt. Das ist der Hauptunterschied.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit aus?
Sie erschwert sie. Viele der Bestimmungen und Einschränkungen - Masken, Abstand - haben Auswirkungen auf meine praktische Arbeit. Wenn ich beispielsweise beim Drehen ständig eine Maske tragen muss, ist das für mich als Brillenträger kompliziert, weil die Brille andauernd beschlägt und meine Sicht dadurch eingeschränkt ist. Ich kann beim Positionieren meiner Drehpartner oder beim Mikrofonanheften nicht nah an die Leute ran. Bei der Fahrt zu einem Drehort müssen bestimmte Auflagen beachtet werden, beispielsweise eine Personenbegrenzung im Fahrzeug. Oder ich darf nur mit einer bestimmten Anzahl von Menschen in einem Raum sein.
Welche Rolle spielt Ihre Sehbehinderung bei Ihrer Arbeit?
Man kann sie natürlich nicht wegreden, sie ist immer präsent. In den meisten Fällen muss ich einfach mit den Augen näher ran, zum Beispiel an den Monitor. Und gewisse Dinge sehe ich erst hinterher, wenn ich nicht aufpasse. Das heißt: Ich muss etwas aufmerksamer sein als andere, also beispielsweise ein Bild im Sucher länger studieren als ein normalsehender Kameramann, damit mir nichts entgeht.
Gibt es Arbeitsbereiche, in denen Sie Ihre Seheinschränkung kompensieren müssen?
Im Grunde genommen muss ich in allen Bereichen kompensieren aufgrund meiner geringeren visuellen Reichweite. Ich muss also in allen Bereichen näher ran. Ein normalsehender Kameramann kann seinen Kamerabildschirm aus einem Abstand sehen, aus dem ich nichts erkenne. Für mich bedeutet das: Alles ein bisschen näher und ein bisschen größer.
Haben Sie Arbeitsassistenz oder sehbehindertenspezifische Hilfsmittel?
Nein. Vor zehn Jahren hätte ich noch gesagt, ich brauche größere Bildschirme für meine Arbeit. Inzwischen sind aber gerade im Filmbereich große Bildschirme Standard. Mein Arbeitsplatz sähe also nicht anders aus, wenn ein normalsehender Mensch hier arbeiten würde.
Sie sind studierter Amerikanist und Medienwissenschaftler. Können Sie Wissen aus Ihrem Studium für Ihre Arbeit verwerten?
Vieles aus meinem Studium beinhaltet das Thema Storytelling, also wie erzähle ich eine Geschichte? Sei es in der englischen Literatur, in der US-Popkultur oder in den Medien. Wie eine Geschichte erzählt wird, ist immer wichtig, und das wende ich durchaus an. Wenn ich einen Beitrag über jemanden mache, erzähle ich auch eine Geschichte. Die grundlegenden Regeln des Geschichtenerzählens - egal ob Buch, Film, Dokumentation oder Beitrag - sind immer dieselben. Und der Zuschauer reagiert eben auf bestimmte Emotionen.
Persönlich: Was denken Sie, warum hat es auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht geklappt?
Dem möchte ich widersprechen! Es hat geklappt, ich bin jetzt in Arbeit. Es hat nur länger gedauert. Warum hat es so lange gedauert? Ich hatte mich immer sehr stark an der Idee festgebissen, im Medienbereich zu arbeiten und Geschichten zu erzählen. Medienbereich heißt ja nicht gleich Regisseur, Kameramann oder was Visuelles, sondern kann auch Drehbuchautor oder Produzent bedeuten. Also Dinge, die nicht vor der Kamera stattfinden, sondern im Hintergrund. Oft genug wurde mir als Sehbehindertem gesagt, im Film- und Medienbereich zu arbeiten sei Wunschdenken. Ich habe dem widersprochen aus besagtem Grund: Weil man nicht für alle diese Jobs gute Augen braucht. Und ein "gutes Auge" kann man auch bei geringerer Sehfähigkeit haben. Außerdem ist das Fußfassen im Medienbereich sehr schwer, weil vieles über Kontakte läuft.
Die Wege zum Job sind also anders als in anderen Branchen.
Ja. Oft genug ist es nicht die x-te Bewerbung, die einem weiterhilft, sondern etwas, das man getan hat und wodurch man sich ins Gespräch gebracht hat, oder jemand, den man kennengelernt hat. Sprich: Gerade im Medienbereich und sicher in vielen künstlerischen Berufen sind das eigene Portfolio und Beziehungen viel wichtiger als die Anzahl an Bewerbungen pro Woche. Ich glaube, Jobcenter und Arbeitsagenturen verstehen das, sind aber nicht unbedingt darauf vorbereitet. Was auch verständlich ist. Deswegen muss man viel Eigeninitiative zeigen und eine gute Beziehung zum Fallmanagement pflegen. Damit es versteht, dass eine erfolgversprechende Strategie für jemanden wie mich vielleicht eine andere ist als zum Beispiel für einen Lkw-Fahrer.
Haben Sie Wünsche an die Vermittlungskräfte von Arbeitsagenturen und Jobcentern?
Ich hatte während meiner Zeit als Arbeitsloser immer eine sehr gute Beziehung zu meinen Fallmanagerinnen und -managern und wurde immer sehr gut von ihnen unterstützt. Das ist sicher nicht überall so. Was ich mir wünsche: Wenn jemand als Kunde aus dem künstlerisch-medialen Sektor oder verwandten Bereichen auftaucht und man versteht dessen Arbeit nicht gleich - bitte fragen! Treten Sie in den Dialog mit Ihrem Kunden und schauen Sie, dass Sie so viele Informationen wie möglich von ihm bekommen, um seine Arbeit zu verstehen. Und zu verstehen, warum das möglicherweise anders ist als eine traditionelle Arbeit. Ich weiß, Zeit ist im Fallmanagement immer ein Problem. Aber am Ende wird die Beziehung zum Kunden davon profitieren, wenn man sich die Zeit nimmt, seinen Arbeitsbereich zu verstehen. Gerade wenn dieser nicht dem traditionellen Arbeitsbild entspricht.
Andersherum sollten Kunden mit ihren Vermittlungskräften geduldig sein und verstehen, wenn jemand nicht gleich weiß, was beispielsweise ein Art Director oder eine Video Producerin macht, und das aufgrund fehlender Erfahrung nicht einschätzen kann. Man muss also Geduld miteinander haben. Am Ende müssen eben beide zusammenarbeiten, damit Arbeit gefunden wird.
Was nehmen Sie aus Ihrer jetzigen Tätigkeit mit für künftige Beschäftigungsverhältnisse?
Ich bin hier ja noch nicht fertig, es dauert dreieinhalb Jahre bis zum Auslaufen meiner Stelle. Danach habe ich immer noch die Hoffnung, übernommen zu werden. Wenn ich eine neue Stelle auf dem Arbeitsmarkt suchen muss, nehme ich eine Menge Arbeitserfahrung und viel Erfahrung im Umgang mit Menschen mit, viele Erkenntnisse über die Funktionsweise einer Firma. Und natürlich die Erfahrung, dass sich nicht alle nach meinem Zeitplan richten, sondern jeder seine eigenen Arbeitsabläufe hat - und einen Film zu machen meist eine geringere Priorität hat. Was ich natürlich vollkommen verstehe.
Was raten Sie anderen für die Jobsuche?
Arbeitslos sein bedeutet nicht ohne Arbeit sein. Selbst bei Arbeitslosigkeit kann man vieles für sich machen. Gerade im Bereich Film und Medien ist es heute deutlich einfacher, Dinge selbst auszuprobieren. Ausrüstung kostet nicht mehr die Welt. Vieles kann man im Internet gratis lernen. YouTube-Videos können einem viel beibringen. Da ist nicht alles, aber eine Menge. Selbst ohne reguläre Arbeit kann man mit diesem Grundstock seine eigenen Projekte durchführen. Und eigene Filme oder ein YouTube-Kanal können einem helfen, einen Job zu finden, weil man sich damit ein Portfolio aufbaut.
Und man darf sich nicht von anderen einreden lassen, dass man das, was man will, nicht kann. Manchmal haben die Leute recht, aber nicht immer. Man muss das für sich selbst rausfinden. Genauso wie man für sich selbst rausfinden muss, wann es Zeit ist, mit der Suche aufzuhören. Oder auch wieder damit anzufangen. Nicht zuletzt gehört auch eine Portion Glück dazu.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Erstmal möchte ich die vierjährige Stellenlaufzeit beenden. Ich hoffe, dass ich danach hier weiterarbeiten kann. Ich finde es schwer vorherzusagen, wie sich die Welt und meine eigene Situation entwickelt. Deshalb bin ich kein Mensch, der längerfristige Pläne macht.
Herr Grebe, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Savo Ivanic, Projekt agnes@work
Abdruck des Interviews mit freundlicher Genehmigung von Faktor A, dem Arbeitgebermagazin der Bundesagentur für Arbeit (https://faktor-a.arbeitsagentur.de/mitarbeiter-finden/teilhabechancengesetz-den-neustart-ermoeglichen/
Ergänzende Informationen
Praxis GmbH
Die Praxis GmbH ist ein Sozialdienstleister und Beschäftigungsbetrieb mit Sitz in Marburg (Hessen). Zum Angebot gehören verschiedene Berufsausbildungen für junge Menschen mit Förderbedarf (Reha integrativ) sowie Kurse und Projekte für Langzeitarbeitslose, Jugendliche und andere Personengruppen mit Vermittlungshemmnissen (siehe www.praxisgmbh.de).
Teilhabechancengesetz und Förderung nach § 16e und §16i SGB II
Mit dem Teilhabechancengesetz wurden 2019 die Instrumente "Eingliederung von Langzeitarbeitslosen" (§16e SGB II) sowie "Teilhabe am Arbeitsmarkt" (§16i SGB II) eingeführt. Ziel ist, Leistungsberechtigte, die auch bei guter Arbeitsmarktlage nur geringe Aussichten auf eine ungeförderte Beschäftigung und damit auf ein Leben jenseits staatlicher Transferzahlungen haben, die Beteiligung am Arbeitsleben zu eröffnen und ihre Beschäftigungsfähigkeit, ihre Arbeitsmarktchancen und ihre Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe zu verbessern.
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)
Berufsbild Video Producer*in
Video Producer*innen nehmen meist die Rolle des Projektmanagements bei Videoproduktionen ein. Sie sind für die Planung, Organisation und Umsetzung von größeren Videoproduktionen - Imagefilmen, komplexen Produktvideos oder aufwendigen Eventfilmen - zuständig. Video Producer*innen haben in der Regel ein Hochschulstudium im Bereich Videoproduktion oder Videojournalismus absolviert, aber auch talentierte Quereinsteiger*innen haben Chancen.
Quelle: Berufsbilder und Aufgaben in der Videoproduktion. - SeoSocialVideo (seo-social-video.de)
Nydenion
Nydenion ist ein unabhängig produzierter Science-Fiction-Film aus Deutschland. Marcus Grebe war Teil einer Gruppe von Filmfans, Modellbauer*innen und Cineast*innen, die 15 Jahre lang ohne die Unterstützung traditioneller Filmproduktionshäuser in ihrer Freizeit an dem Projekt gearbeitet haben. Der Film wurde 2010 auf DVD veröffentlicht und in ausgewählten Kinos sowie bei RTLZWEI gezeigt. (siehe: www.wikiwand.com/de/Nydenion#Produktion)
agnes@work - Agiles Netzwerk für sehbeeinträchtigte Berufstätige
agnes@work ist ein Projekt des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und wird aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) von August 2020 bis Mai 2023 gefördert.
agnes@work
- fördert die Gestaltung barrierefreier Weiterbildungsangebote,
- informiert, berät und qualifiziert zu Fragen der Barrierefreiheit am Arbeitsplatz,
- vernetzt sehbeeinträchtigte Berufstätige als Expertinnen und Experten in eigener Sache,
- unterstützt sehbeeinträchtigte Berufstätige bei der Sicherung ihres Arbeitsplatzes ebenso wie bei der Planung ihrer beruflichen Entwicklung,
- analysiert Probleme in der gesamten Arbeitsumgebung gemeinsam mit allen Beteiligten.
Kontakt
Projekt agnes@work
c/o Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS)
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Tel.: 06421 94888-33
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: https://www.agnes-at-work.de
Bild: Marcus Grebe ist sehbehindert und hat immer an seinem Ziel, im Film- und Medienbereich zu arbeiten, festgehalten. An seiner rechten Schulter lehnt eine große Kamera mit langem Mikrofon, die er in einer Hand hält. Er hat kurze, graue Haare, einen kurzen Vollbart, trägt eine Brille und über dem schwarzen Shirt einen schwarzen Sakko. Foto: privat
Ableismus - ein neuer Begriff erobert den Mainstream
Von Matthias Klaus
Die Endung "-ismus" kann viel bedeuten. Sie stammt aus einem altgriechischen Wort, was in etwa "auf eine bestimmte Art handeln" meint. Sozialismus, Feminismus, Rassismus: oft geht es bei -ismen darum, eine Theorie zu finden, die die Welt beschreibt oder bestimmte Verhaltens- und Denkmuster erklärt. Ableismus, ein Begriff, der aus den anglo-amerikanischen Disability Studies nach Deutschland kam, und der sich allmählich in den Medien verbreitet, steht in einer Reihe mit ähnlichen -ismen, die sich auch auf die eine oder andere Art mit Diskriminierungserfahrung beschäftigen, wie Rassismus: Diskriminierung wegen der Hautfarbe, Sexismus: Diskriminierung wegen des Geschlechts, oder Klassismus: Diskriminierung wegen des sozialen Status.
Ableismus, was ist das eigentlich?
Ableismus stammt vom englischen Verb "to be able" ab. "Able" im Sinne von fähig sein, etwas können. Man spricht es aus wie die Kombination aus dem englischen Wort und der deutschen Nachsilbe.
Entstanden ist der Begriff in den USA, wo die soziologische Forschungsrichtung der Disability Studies sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Verhältnis von behinderten Menschen zur Mehrheitsgesellschaft beschäftigt. Besonderheit der Disability Studies ist, dass hier nicht über behinderte Menschen, sondern von ihnen selbst geforscht wird. Der Fokus liegt also nicht wie in der klassischen Sonderpädagogik darauf, welche Abweichungen von der Norm mit Behinderung einhergehen oder wie man behinderten Menschen helfen und / oder sie gar heilen kann. Den Disability Studies geht es vor allem darum zu verstehen, wie die Unterscheidung von "Normalität" und Behinderung entsteht. Ableismus ist ein Schlüsselbegriff innerhalb dieser Unterscheidung. Behinderte Menschen werden nach Fähigkeiten, oft auch nur nach vermeintlichen Fähigkeiten bewertet und entsprechend einsortiert.
Das, was jemand im Stande ist zu leisten, steht also im Vordergrund. Besonders problematisch wird dies, wenn gar nicht gefragt wird, was jemand z.B. kann oder nicht, sondern wenn vor allem aufgrund von Vorurteilen entschieden wird.
Ableismus im Alltag
Ableismus ist im Spiel, wenn im Bewerbungsgespräch die Vorstellungen darüber, was jemand kann oder nicht, von gängigen Klischees geprägt sind, wie z.B. ein blinder Mensch kann doch nicht allein von A nach B kommen und braucht ständig Hilfe bei allem, oder wenn derselbe blinde Mensch erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, weil die Recruiting-Abteilung sich das überhaupt nicht vorstellen kann.
Auch wenn wir an der Bushaltestelle ins Gespräch gezogen werden mit den Worten: "Ich weiß, wie das ist. Ich habe einen Arbeitskollegen, dessen Großmutter ist auch sehbehindert".
Auch die Annahme, als behinderter Mensch könne man doch kein glückliches Leben führen, ist ableistisch. Normalität, also hören können, sehen können, laufen können, wird als so unabdingbar für ein gelungenes Leben angesehen, dass jede Abweichung davon so schrecklich sein muss, dass man sich doch besser den Strick nimmt.
Ableistische Sprache
Ähnlich wie bei gendergerechter Sprache oder rassismussensibler Sprache (vgl. die N-Wort-Debatte) gibt es auch ableistische Sprache. Davon ausgehend, dass Sprache Bilder und Haltungen erzeugt, wird angenommen, dass bestimmte Begriffe Stereotype und Vorurteile in den Menschen festigen. Dies geschieht vor allem, wenn Begriffe für Behinderung allgemein abwertend benutzt werden. Da ist natürlich als erstes Beispiel das Wort "behindert" selbst zu nennen. Nicht nur von Jugendlichen auf Schulhöfen, aber besonders dort, hat sich der Begriff für alles irgendwie Schlechte und Unvollkommene etabliert.
Auch das unreflektierte Verwenden von Begriffen wie "Idiot" oder "verrückt" für jemanden, der etwas nicht begriffen hat, wird kritisiert.
Ob der metaphorische Begriff "blind" im Sinne von "ignorant" und unwissend ableistisch ist oder einfach nur eine Metapher, ist in Blindenkreisen umstritten. Bedenkenswert scheint nur, dass die metaphorische "Blindheit" durchaus auf reale blinde Menschen übertragen werden könnte, sodass zumindest unbewusst blinde Menschen für unwissend gehalten werden, was bei der Jobsuche (siehe oben) mit Sicherheit nicht hilfreich ist.
Ableismus und Behindertenfeindlichkeit
Die Begriffe Ableismus und Behindertenfeindlichkeit werden oft synonym verwendet. Allerdings ist Ableismus längst nicht immer im herkömmlichen Sinne feindlich. Es geht nicht unbedingt darum zu beschreiben, wie behinderte Menschen verachtet oder bewusst abgewertet werden. Ableismus ist durchaus subtiler. Auch diverse Formen von Mitleid oder Aussagen wie "Mit einer Behinderung Leben, das könnte ich nicht", sind ableistisch.
Auch die gängigen Spielarten von Bewunderung, die als Inspiration Porn bekannt sind, z.B. "Wie Du das trotz deiner Behinderung alles meisterst ...", werden vom Wort Ableismus erfasst, schließlich geht es ja hier um Vorstellungen davon, was jemand kann und was nicht. Dinge wie das selbstständige Finden von Treppenstufen werden dann auf einmal zu Höchstleistungen, die den größten Respekt verdienen.
Internalisierter Ableismus
Als Mensch mit Behinderung muss ich bescheiden bleiben, ich muss immer alles freundlich vortragen, manchmal fühle ich mich selbst wertlos.
Solche Denkmuster werden "internalisierter Ableismus" genannt. Behinderte Menschen übernehmen die Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft und fühlen sich selbst wertlos, weil die Gesellschaft ihnen keinen Wert zubilligt. Wer den ganzen Tag erklärt bekommt, als blinder Mensch musst du 150 % Leistung bringen, sonst hast du keine Chance, glaubt das natürlich irgendwann und bekommt spätestens dann, wenn die Kraft für die 150 % nicht mehr ausreicht, ein Problem. Auch der Wunsch, nicht aufzufallen und so normal wie möglich zu leben, gehört in den Bereich des internalisierten Ableismus. Viele von uns werden irgendwann im Leben an den Punkt gekommen sein, wo alle Tarnung und aller Eifer nicht mehr genügen und die Behinderung, die ja immer da war, ihr Recht verlangt.
Ableistische Strukturen
Wie jeder Begriff hat natürlich auch Ableismus seine Tücken und Grenzen. Oft wird im derzeitigen Diskurs von ableistischen Strukturen gesprochen. Quasi alles, was irgendwie mit den Verhältnissen von Behinderung und Gesellschaft zu tun hat, ist dann ableistisch: Von der fehlenden Rollstuhlrampe bis zur Leistungsgesellschaft als Ganzes. Ableismus wird dann zum Vorwurf gegen alles und jedes und verliert damit an Schärfe. Ähnlich, wie es in marxistischen Kreisen der 70er und 80er Jahre üblich war, alles auf den Kapitalismus zu schieben, wird dann alles auf die ableistischen Strukturen abgewälzt und die behinderten Menschen bleiben ohnmächtig zurück. Der Begriff wird so von einem nützlichen Analyse-Instrument zu einem abschreckenden Kampfbegriff. Man mag nun einwenden, das sei schon wieder internalisierter Ableismus, im Sinne des "Wir behinderten Menschen müssen doch nett bleiben". Allerdings gilt es zu bedenken, dass wir nicht die Macht haben, Ableismus einfach abzuschaffen und nicht mehr nach Leistungsfähigkeit, sondern nur noch nach Bedürfnissen zu fragen. Deshalb, und weil wir dringend und überall Verbündete brauchen, um unsere Rechte durchzusetzen, ist es genauso wichtig, die Gesellschaft zu analysieren, wie mit der "Mehrheitsgesellschaft" im Gespräch zu bleiben.
Recht
Anspruch auf Arbeitsassistenz: Ein Gerichtsurteil mit Potenzial
Von Uwe Boysen
Vorbemerkung
Wer auf eine Arbeitsassistenz angewiesen ist, der sollte das hier besprochene Urteil (1) kennen, auch wenn der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschiedene Fall möglicherweise nicht genau auf die eigene Situation passt. Das Urteil beschreibt die Gründe für den Anspruch auf eine Arbeitsassistenz sehr deutlich und wird daher auch bei Folgeprozessen hilfreich sein, z. B. beim Streit über die Vergütung einer Arbeitsassistenz im Arbeitgebermodell.
Der Sachverhalt
Das Bundesverwaltungsgericht musste sich im vorliegenden Fall mit der Frage auseinandersetzen, ob ein blinder Rechtsanwalt - vertreten durch die Gesellschaft "Rechte behinderter Menschen (rbm)" - auch nach Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze weiter einen Anspruch auf Arbeitsassistenz hat, wenn er noch zukünftig seinen Beruf ausüben möchte. Im Ergebnis wurde das vom BVerwG mit einer wegweisenden Begründung bejaht.
Wesentliche Aspekte der Entscheidung
Im Gegensatz zu den Urteilen der Vorinstanzen zieht das BVerwG zur Begründung nicht den Begriff einer für die bestimmte Berufsgruppe noch üblichen Teilhabe am Arbeitsleben heran. Vielmehr erkennt es, dass der Anspruch auf eine Arbeitsassistenz unabhängig davon direkt aus § 185 Abs. 5 Sozialgesetzbuch (SGB) IX (2) (früher § 102 Abs. 4 SGB IX) herzuleiten ist, und zwar ohne eine Altersgrenze. Eine solche Altersgrenze finde sich in der Vorschrift nicht. Dieses Ergebnis gewinnt das Gericht auch aus verschiedenen weiteren sozialrechtlichen Normen. Die begleitenden Hilfen im Arbeitsleben zielten darauf, behinderte Menschen zu unterstützen, die bereits in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert seien. Dabei gehe es darum, ihre Arbeitssituation individuell und konkret zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie konkurrenzfähig blieben und auf Arbeitsplätzen beschäftigt würden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln könnten (so auch schon § 185 Abs. 2 SGB IX). Dem liege das Verständnis eines Menschen zugrunde, bei dem sich auch im Beruf die Persönlichkeit entfaltet und der seine Arbeitskraft hierfür einsetzt. (3)
Außerdem bezieht sich das Gericht auf Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention sowie auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Die Herstellung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt stelle ein selbstständiges Ziel bei der Kostenübernahme für eine notwendige Arbeitsassistenz dar, zumal es eine vom Gesetzgeber festgestellte seit Jahren bestehende überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen gebe. Letztlich verweist das BVerwG auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 zur Triage (4), in der ausgeführt wird, dass eine Benachteiligung wegen einer Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auch vorliegt, wenn einem Menschen wegen einer Behinderung Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten werden, die anderen offenstehen, soweit dies nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme hinlänglich kompensiert wird.
Ausstrahlung auf das Grundrecht der Berufsfreiheit
In der Literatur zu der bereits zitierten Entscheidung des BVerwG (siehe Fn. 3), die die Arbeitsassistenz für einen blinden Beamten betraf, der nach Reduzierung seiner Arbeitszeit daneben freiberuflich tätig sein wollte, hat Kohte den Zusammenhang der damaligen Entscheidung zur Berufsfreiheit aus Art. 12 GG herausgearbeitet. (5)
Das BVerwG geht in der hier rezensierten Entscheidung zwar selbst nicht auf Art. 12 GG ein. In einem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 20.5.2021 (6) argumentiert das Gericht aber wegen zu niedriger BAföG-Sätze mit Art. 12 Abs. 1 (Berufsfreiheit), Art. 3 GG (Gleichheitssatz) und dem Sozialstaatsprinzip. Dabei kommt es zu dem Ergebnis, dass der Anspruch auf Zutritt zu mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungseinrichtungen von den genannten Normen umfasst sei, weil die freie Wahl der Ausbildungsstätte und der daraus folgende freie Zugang zu Ausbildungseinrichtungen als Freiheitsrecht ohne die Möglichkeit wertlos wäre, dieses Recht auch in Anspruch nehmen zu können. Die Folge ist die Annahme eines subjektiven Rechts Auszubildender auf staatliche Förderung in Höhe des existenziellen und ausbildungsbezogenen Bedarfs (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.05.2021 - 5 C 11.18 -, Juris Rn. 20 ff.).
Fuerst (7) meint, eine vergleichbare Argumentation lasse sich im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz entwickeln:
"Jedenfalls gilt das für diejenigen Fälle, in denen der gewählte Beruf ohne diese Assistenzleistung nicht ausgeübt werden könnte. Liegt eine ausreichende Qualifikation für den angestrebten oder ausgeübten Beruf vor, gehört es zum objektiven Grundrechtsgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und dem besonderen Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, dass der Zugang zu diesem Beruf auch für Menschen mit einer Behinderung gewährleistet sein muss. (...) Konkret ergibt sich daraus, dass ein aus dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf freie Berufswahl folgender Anspruch auf die finanzielle Förderung von auf die Behinderung bezogenen Kompensationsmaßnahmen anzunehmen ist, die erforderlich sind, damit der gewählte Beruf auch ausgeübt werden kann. Mit dieser Argumentation wäre sichergestellt, dass der in Art. 12 Abs. 1 GG wurzelnde Teilhabeanspruch ausgehend von der subjektiven Wahl der beruflichen Tätigkeit besteht - sei diese selbständig oder abhängig, Teil- oder Vollzeit. Er ginge entscheidend über den bisher verfassungsrechtlich etablierten Anspruch auf Kompensation durch auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahmen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hinaus, weil dieser Anspruch nur bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt anerkannt ist, nicht aber in Bezug auf die Schaffung der (wirtschaftlichen) Voraussetzungen, um die Ausübung eines bestimmten Freiheitsrechts zu ermöglichen."
Hier geht es, ebenso wie im BAföG-Fall, darum, eine regelmäßig aus öffentlichen Mitteln finanzierte oder geförderte berufliche Qualifikation auch mit einer Behinderung tatsächlich bestimmungsgemäß nutzen zu können.
Fazit
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stärkt mit seinen allgemeinen Ausführungen, die sich nicht nur auf Arbeitsassistenz jenseits der Regelaltersgrenze beziehen, die Position von Menschen mit Behinderungen in ihrem Kampf um gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben und verdient daher volle Zustimmung. Wie schon oben angedeutet, kann man es nach meiner Auffassung auch dazu nutzen, eine bessere Vergütung von Arbeitsassistenzkräften zu verlangen, deren Entlohnung nach unserer Erfahrung gerade, wenn es um qualifizierte Assistenz geht, weiterhin viel zu schlecht ist mit der Folge, dass es immer schwieriger wird, geeignete Personen für diese Aufgabe zu finden.
Anmerkungen
(1) Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12.1.2022 - Aktenzeichen 5 C 2.21.
(2) Dieser lautet: "(5) Schwerbehinderte Menschen haben im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Der Anspruch richtet sich auf die Übernahme der vollen Kosten, die für eine als notwendig festgestellte Arbeitsassistenz entstehen."
(3) Vgl. schon BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2018 - 5 C 9.16 = Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 161, 145 Rn. 15.
(4) Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Entscheidung 1 BvR 1541/20 - Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, 2022,1, 39.
(5) juris PraxisReport Arbeitsrecht (jurisPR-ArbR) 50/2018, Anm. 6.
(6) Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zum Bedarfssatz des § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG - BVerwG 5 C 11.18
(7) Fuerst, Anspruch auf Arbeitsassistenz jenseits der Regelaltersgrenze, Beitrag A6-2022 unter www.reha-recht.de; 29.07.2022.
Barrierefreiheit und Mobilität
Wie kommunizieren taubblinde Menschen? - Lorm-Alphabet und persönliche Assistenz sind unverzichtbar
Von Petra Krines
Für taubblinde Menschen ist das Lorm-Alphabet eine große Hilfe, um mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Sein Erfinder Hieronymus Lorm (Pseudonym des Österreichers Heinrich Landesmann, 1821-1902), ertaubte im Alter von 15 Jahren und verlor einen Großteil seiner Sehkraft. Sein Studium der Musik musste er deshalb aufgeben, doch er blieb Zeit seines Lebens kreativ, wurde Feuilletonist und Schriftsteller und entwickelte, zunächst für den Eigenbedarf, eine Art "Fingersprache", das Lorm-Alphabet. Beim Lormen berührt ein Mensch für jeden Buchstaben die Handinnenfläche oder Finger des Gegenübers mit einer bestimmten Geste. Für A wird zum Beispiel einmal auf die Daumenspitze getippt, für l von der Mittelfingerspitze abwärts bis zur Handwurzel gestrichen, S ist ein Kreis auf der Handfläche und SCH ein leichtes Umfassen der vier langen Finger. Für Gespräche mit hörenden Menschen, die weder das Lormen beherrschen noch die Gebärdensprache sehen oder verstehen können, benötigen taubblinde Menschen sprechende Taubblinden-Assistenzkräfte bzw. Dolmetscher*innen.
Eva-Maria Müller vom Deutschen Katholischen Blindenwerk e. V. und dort zuständig für die Taubblindenarbeit, erklärt, dass überwiegend Menschen, die von Geburt an blind und gehörlos sind, über das Lormen kommunizieren. Aber auch blinde Menschen, die im Laufe ihres Lebens ihr Hörvermögen verlieren, nutzen das Taubblinden-Alphabet. "Wer das gut beherrscht, kann normale Gespräche führen. Besonders gut funktioniert das, wenn sich zwei geübte Menschen im Dialog begegnen", sagt Eva-Maria Müller.
Das Kulturgut "Lorm-Alphabet" ist jedoch gefährdet. Kinder, die gehörlos geboren werden, erhalten inzwischen oft schon als Baby oder Kleinkind ein Cochlea-Implantat, mit dem sie wieder hören können. Sie sind erfreulicherweise nicht mehr auf das Lorm-Alphabet angewiesen.
Gehörlose Menschen lernen bereits in jungen Jahren die Gebärdensprache. Erblinden sie im Laufe ihres Lebens, steigen sie eher auf taktiles Gebärden um, da es ihnen näher liegt als Lormen. Hierbei legt einer der beiden seine Hände auf die des Gegenübers und führt taktile Gebärden aus. "Das taktile Gebärden bietet aber nicht die gleichen differenzierten Möglichkeiten, sich auszudrücken, wie das Lormen, da routinierte Lormende auch die Rechtschreibung berücksichtigen", erklärt Eva-Maria Müller. Die Routine beim Lormen entwickelt sich langsam. Viele taubblinde Menschen haben Assistenzen, die sie in Alltag und Beruf unterstützen. Stabile, langfristige Assistenzbeziehungen sind für eine gute Lorm-Kommunikation sehr wichtig.
"Es wäre zu begrüßen, wenn das Lorm-Alphabet in der Taubblinden-Assistenzausbildung (TBA) einen höheren Stellenwert bekäme", sagt Nina Odenius, Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS), anlässlich des 201. Geburtstags von Hieronymus Lorm am 9. August 2022. "Insbesondere, da es immer Menschen geben wird, die auf diese spezielle Kommunikationsform angewiesen sind. Zudem ist ein direkter Dialog zwischen blinden und gehörlosen Menschen ohne Dolmetscher nur durch Lormen möglich."
In Deutschland gibt es nach offiziellen Angaben circa 12.000 taubblinde Menschen, doch die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Für ihre Interessen setzt sich auch der Gemeinsame Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (GFTB) ein. Er fordert unter anderem, dass taubblinden Menschen mindestens ein Assistenzbedarf von 20 Stunden wöchentlich anerkannt werden muss, ohne Begründung des Bedarfs (www.dbsv.org/stellungnahme/gftb-beschluesse-bildung-assistenz.html).
Bild: Zeichnung einer Hand mit Lorm-Alphabet.
Schulministerium entwickelt seit 2011 an einer Lernplattform herum - und vernachlässigt dabei die (gesetzlich vorgeschriebene) Barrierefreiheit
Von Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus
Seit mehr als zehn Jahren lässt das Schulministerium Nordrhein-Westfalen eine Lernplattform mit dem Namen Logineo bauen. Obwohl bereits 5,8 Millionen Euro in das Projekt geflossen sind, kann immer noch nur ein Bruchteil der Schulen damit arbeiten. Darüber hinaus wurde bei der Entwicklung offensichtlich ein wesentlicher Punkt vernachlässigt: die Barrierefreiheit. Heißt: Blinde und sehbehinderte Schüler*innen und Lehrkräfte können Logineo praktisch nicht eigenständig nutzen. Dabei ist das gesetzlich vorgeschrieben.
Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen können über die Logineo-"Produktfamilie" rechtssicher per E-Mail kommunizieren, gemeinsame Termine in einen Kalender eintragen oder Materialien in einem geschützten Cloudbereich austauschen - so bewirbt das nordrhein-westfälische Schulministerium die in seinem Auftrag entwickelte Plattform. Auch das Bearbeiten und Austauschen von Aufgaben sei möglich. Über den Messenger könne datensicher mit Gruppen und Einzelpersonen kommuniziert werden. Über die Videokonferenzoption könnten Konferenzen in Bild und Ton durchgeführt werden. Dies sind nur einige Vorzüge, die das Ministerium anführt. Aber wie benutzerfreundlich ist Logineo NRW tatsächlich? Wie können Schüler*innen und Lehrkräfte mit Behinderung mit den Produkten zurechtkommen?
Gerade an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sehen wird Logineo NRW kritisch gesehen. Dort beklagt man gravierende Mängel in Sachen Barrierefreiheit.
Bei Logineo Orange, der ersten Version der landeseigenen Lernplattform, herrschte das Problem, dass die Menüführung durch den Screenreader nicht vorgelesen werden konnte. "Ich konnte Logineo Orange nicht eigenständig nutzen, sondern musste erst von einem sehenden Kollegen angeleitet werden, der mir zum Beispiel die Direktlinks zum Kalender etc. heraussuchte", berichtet eine blinde Lehrerin. "Bei der Entwicklung wurde die Barrierefreiheit nicht bedacht. Man hätte das System schon in der Entwicklungsphase durch Nutzer*innen mit Behinderung testen lassen müssen, damit solche Probleme im Nachhinein erst gar nicht auftauchen können." Seit 2011 lässt das Schulministerium NRW an Logineo herumentwickeln - bislang entstandene Kosten: Rund 5,8 Millionen Euro.
Zwar bietet die 2019 an den Start gegangene (aber noch längst nicht in der Fläche ausgerollte) Nachfolgeplattform Logineo NRW einige Verbesserungen. Von Barrierefreiheit ist das System aber nach wie vor weit entfernt. So ist das Tool unübersichtlich gestaltet, was die Bedienung für Nutzer*innen mit Seheinschränkung schwierig macht. "Ich habe mich zwei Nachmittage lang in den Messenger hereingefuchst und konnte ihn halbwegs bedienen", erzählt die blinde Lehrerin. "Die Navigation in einem Chat ging gut, aber zwischen verschiedenen Chats zu wechseln, das war mit Screenreader schwierig."
"Wenn ich dort einen Kurs anlegen möchte, benötige ich dafür eine Stunde. Ein sehender Kollege schafft das in zehn Minuten"
Zu Logineo NRW gehört auch das Lernmanagementsystem Logineo LMS, das unter anderem die Plattform Moodle enthält. Zwar behauptet das Schulministerium auf seiner Homepage: "Moodle und somit auch Logineo NRW LMS ist mit seinen Strukturelementen grundsätzlich in allen Funktionen in einem hohen Maße barrierefrei. Bilder, die zur Gestaltung der Plattform eingebettet werden, können mit einem Alternativtext hinterlegt werden, sodass eine Vorlesefunktion von sehbehinderten Menschen genutzt werden kann. Um die Barrierefreiheit innerhalb von Logineo NRW LMS zu gewährleisten, wurde ein Design verwendet, das die Gestaltung von barrierefreien Lernangeboten durch Lehrerinnen und Lehrer in Logineo NRW LMS besonders unterstützt."
Die Praxis sieht allerdings anders aus. "Auch für Moodle braucht es die Anleitung eines Sehenden, der sich mit dem Programm gut auskennt", erzählt die Lehrerin. "Wenn ich dort einen Kurs anlegen möchte, benötige ich dafür eine Stunde. Ein sehender Kollege schafft das in zehn Minuten. Es ist alles auf einer Seite angeordnet und es gibt keine Kontrollkästchen zum Anhaken von Feldern. Die Seite ist sehr überladen."
Alles in allem hat sich die Barrierefreiheit in manchen Bereichen durch Logineo NRW sogar noch verschlechtert. Die Lernplattform bietet - anders noch als Logineo Orange - kaum Kontraste und ist blass gestaltet, was die Bedienung für Menschen mit Sehbehinderung erschwert, da die Schrift nicht gut lesbar ist. Zudem überlappen sich die Tastenkombinationen von Logineo NRW teilweise mit denen der Vergrößerungs- und Sprachsoftware. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Umlaute und Leerzeichen der Dateinamen beim Hoch- und Herunterladen verändern. Dies trat bei Logineo Orange nicht auf und erschwert das Vorlesen durch den Screenreader. Außerdem wird die Mathematikschrift wie z.B. Latex, mit der blinde Schüler*innen oft arbeiten, nicht richtig dargestellt. Auch das Ausfüllen von Lückentexten mit Screenreader ist bei Logineo NRW schwierig, da diese nicht richtig angezeigt werden. "Die Tendenz geht immer mehr zu grafischen Elementen und zum intuitiven Sehen", sagt ein normalsichtiger Lehrer einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Sehen. "Das macht die Bedienung für blinde Nutzer*innen zunehmend schwieriger."
Der Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik äußert sich auf Nachfrage folgendermaßen: "Die Logineo NRW Produktfamilie (Schulplattform, Lernmanagementsystem und Messenger) ist - ebenso wie andere Lernplattformen - nicht vollständig barrierefrei und damit nur eingeschränkt zugänglich für Nutzerinnen und Nutzer mit Blindheit und Sehbehinderung."
Das müsste sie aber sein. "Im nordrhein-westfälischen Inklusionsgrundsätzegesetz ist geregelt, dass der schulische Verwaltungsbereich barrierefrei sein muss", erläutert Uwe Boysen, Richter im Ruhestand aus Bremen, der sich seit Jahren im Rahmen eines ehrenamtlichen Engagements beim Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) mit dem Thema beschäftigt. Lernplattformen seien inbegriffen, erklärt er.
Was genau ist Barrierefreiheit? Auch das ist geregelt. Den Rahmen setzt die Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV), die auf das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes zurückgeht. NRW hat eine eigene BITV. Zu den Kriterien gehören zum Beispiel Tastaturbedienbarkeit, Beschriftung von grafischen Elementen oder die klare Strukturierung von Internetseiten durch Überschriften. "All diese Kriterien sind wichtig und tragen zur Barrierefreiheit bei", erklärt Andrea Katemann, Leiterin der Deutschen Blinden-Bibliothek (DBB) in der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista), "Sie müssen alle einzeln geprüft werden und es gibt keine Priorisierung. Auf einer Lernplattform eingestellte Dokumente müssen ebenfalls barrierefrei sein."
Auch muss von Behörden eine Erklärung abgegeben werden, welche Inhalte auf einer Webseite nicht oder nur teilweise barrierefrei sind. Verpflichtend ist es darzulegen, warum eine barrierefreie Gestaltung nicht möglich ist. "Kostengründe zum Beispiel reichen als Begründung nicht aus", erläutert der Jurist Boysen.
"Eine vollumfängliche Verbesserung der Barrierefreiheit ist im Rahmen der Überarbeitung der Logineo NRW Produktfamilie mittelfristig vorgesehen"
Auf der Website des Schulministeriums ist tatsächlich eine Erklärung mit Datum vom 30. Mai 2022 zur Barrierefreiheit von Logineo NRW zu finden. In dieser Erklärung wird eingeräumt, dass die "Produktfamilie" die Anforderungen nur "teilweise" erfüllt. "Eine vollumfängliche Verbesserung der Barrierefreiheit ist im Rahmen der Überarbeitung der Logineo NRW Produktfamilie mittelfristig vorgesehen. Dafür bitten wir um etwas Geduld, da die Optimierung der Barrierefreiheit eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird."
Weiter heißt es: Für die Barrierefreiheit einzelner Unterrichtsmaterialien und Kursinhalte müssten die Autor*innen sensibilisiert werden. Bei Beschwerden solle man sich an sie wenden. Des Weiteren werden die nicht zugänglichen Inhalte aufgezählt. "Diese Erklärung reicht meiner Meinung nach nicht aus", kommentiert Uwe Boysen. "Bei den Kursinhalten muss eine konkrete Überprüfung auf Barrierefreiheit stattfinden. Eine bloße Sensibilisierung der Autor*innen reicht nicht aus. Die Teile von Logineo NRW, die nicht barrierefrei sind, wie zum Beispiel die fehlende Möglichkeit der Navigation über die Tastatur, fehlende Alternativen für sogenannte Captchas und schlechte Kontraste, sind keine Kleinigkeiten."
"Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkt Sehen dürfen keine zusätzlichen Hürden durch digitale Barrieren in den Weg gestellt werden"
Technische Standards wie die BITV einzuhalten, stellt jedoch nur die Grundvoraussetzung für Barrierefreiheit im Kontext von schulischer Bildung dar - betont der Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik. Er fordert ein grundsätzliches Umdenken bei der Digitalisierung von Schulen in Richtung Inklusion: "Die Bildungsplattform selbst, das Format und die Struktur der Inhalte, die Hilfsmittel der blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schüler und deren Kompetenz im Umgang mit ihren Hilfsmitteln müssen aufeinander abgestimmt sein", so heißt es in einem Statement. "Erst dann können die Kinder und Jugendlichen selbstständig und in adäquater Geschwindigkeit am Unterricht teilnehmen. Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkt Sehen dürfen keine zusätzlichen Hürden durch digitale Barrieren in den Weg gestellt werden. Beispielsweise müssen Fragestellungen zur Barrierefreiheit wie das Lesen und Schreiben von Mathematik auf Lernplattformen oder die barrierefreie Bedienbarkeit von interaktiven Elementen wie Lückentexten oder Zuordnungsaufgaben beantwortet werden. Dann erst können Schülerinnen und Schüler wirklich barrierefrei und mit ausreichender Arbeitsgeschwindigkeit am Unterricht in der Inklusion teilnehmen."
"Gesellschaftliche Teilhabe heißt heute auch digitale Teilhabe", betont Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. "Kinder und Jugendliche mit Behinderung dürfen nicht länger von schulischen oder digital gestützten Bildungsangeboten ausgeschlossen werden - Chancengleichheit und eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe sind so schlichtweg nicht gegeben."
Den vollständigen Artikel finden Sie hier: www.news4teachers.de/2022/08/schulministerium-entwickelt-seit-mehr-als-zehn-jahren-an-einer-lernplattform-herum-und-vernachlaessigt-dabei-die-gesetzlich-vorgeschriebene-barrierefreiheit/
Berichte und Schilderungen
Zeitenwende - vom Leben nach der blista
Von Lisa Schmidt, Abitur 2015
Meine Schulbiografie
Im September 2000 wurde ich an der Diesterwegschule (Förderschwerpunkt Sehen) in Weimar eingeschult. Apropos Sehen: Ich sehe nichts und habe auch noch nie etwas gesehen, das nennt man dann wohl geburtsblind. In Weimar absolvierte ich zunächst die Grundschule und anschließend die Klassen 5, 6 und 7. Da ich erst mit sieben Jahren eingeschult wurde und leider für die fünfte und sechste Klasse drei Jahre benötigte, wurde ich zu einer Nachzüglerin, die erst mit fünfzehn die siebte Klasse der blista besuchte und schon ab der neunten Klasse ihre Entschuldigungen und Arbeiten selbst unterschreiben konnte - wie praktisch!
Warum zweimal die Siebte? Ganz einfach: Weil ich in Weimar Russisch als zweite Fremdsprache hatte und hier in Marburg Französisch für mich auf dem Stundenplan stand, musste ich Rückstände aufholen, und so kam man zu dem Schluss, dass die Wiederholung der siebten Klasse das Beste für mich wäre. Außerdem war ich nicht sonderlich gut in Mathematik - ein Manko, das sich bis ins Abitur durchzog -, deshalb sollte ich in diesem Fach in meinem Wiederholungsjahr an der Carl-Strehl-Schule ebenfalls Unterstützung erhalten.
Schulisch musste ich mich an der blista erstmal etwas umgewöhnen. Es gab hier viel mehr Schüler*innen als in Weimar und das Lerntempo, ich kam von der Realschule, war viel schneller. Ich schätze mal, dass ich kein einfacher Teenager war - logisch, ich kam zum Höhepunkt meiner Flegeljahre nach Marburg - und habe rückblickend meinen Lehrer*innen sicher so einiges an Schwierigkeiten bereitet. Das sehe ich als werdende Lehrerin aber erst jetzt - dafür ein "Sorry" von mir. Außerdem sträubte ich mich auch gegen viele Dinge, die mir, wäre ich bereit gewesen sie vorher zu lernen, mein Leben im Nachhinein sicher etwas erleichtert hätten - ich sage dazu nur "Mathe". Es bedurfte einer Engelsgeduld und einigen didaktischen Könnens, um mich "auf den richtigen Weg zu schubsen". Irgendwann jedoch "platzte der Knoten" und ich begann, mir wirklich Mühe zu geben. Schließlich ging es um mein Abitur.
Meine WGs - Orte des Lebens und Lernens
Während meiner blista-Zeit durfte ich in zwei tollen WGs leben: In der Biegenstraße 44 oben - damals gab es nur eine blista-WG in diesem Haus und die befand sich unter dem Dach - wohnte ich von Klasse 7 bis 11. Auch in der WG hatte ich mich zunächst verweigert: Küchen- und Einkaufsdienst waren mir fremd, kam ich doch aus einem Internat, an dem man alles auf dem Silbertablett serviert bekam. Ich wollte nichts lernen, ich wollte keine neuen Wege entdecken, ich wollte einfach so leben, wie ich es gewohnt war. "Ich kann das nicht" war mein Standardsatz. Doch mit dieser Einstellung kam ich - ein Glück - nicht weit: Nicht selten ließen meine Erzieher*innen mich auflaufen und dafür bin ich ihnen bis heute dankbar. Die zweite WG, die mich bereichert hat, war die Selbständigen-Wohngruppe Robert-Koch-Straße 3.1. - also die WG in der mittleren Etage. Nicht selten denke ich an die Partys zurück, an das alljährliche "Dschungelcamp"-Schauen mit Chips im Wohnzimmer und an das Kochen in der Wohnküche. Die letzten zwei Jahre meiner Schullaufbahn habe ich in dieser Wohngruppe verbracht und dort viel gelernt, was mir heute weiterhilft.
Abi - und nun?
2015 war es dann so weit: Ich machte mein Abitur - ein unglaublich großer Schritt für mich, denn ich dachte immer, ich würde das Abi nie bestehen. Allerdings hatte ich diese Art Gedanken auch später noch vor vielen weiteren Prüfungen gehabt, bestanden habe ich sie bisher jedoch alle. In meinem Horrorfach Mathe bestand ich das mündliche Abitur mit einer Art Ratespiel, hatte ich doch auf Lücke gelernt. Ich schloss die Prüfung im hohen einstelligen Bereich ab. War es nur Glück oder war doch etwas Können dabei? Daraus gelernt habe ich auf jeden Fall etwas: Nie wieder auf Lücke lernen! Nun hatte ich also das Abitur in der Hand, dieses magische Zeugnis mit den unbegrenzten Möglichkeiten. Und was nun?
Vom Mischpult zum Lehrerpult
Eigentlich wollte ich ja Radiomoderatorin werden. Bei HR3, You FM oder sonstigen Sendern die Leute zu unterhalten, war ein großer Traum von mir. Ich durfte sogar ein zweiwöchiges Praktikum beim Sender MDR JUMP machen. Aber leider ging mein Traum aufgrund meiner Sehbehinderung nicht in Erfüllung, denn man muss sehr viel Technik gleichzeitig steuern, nur gut reden können reichte leider nicht, und so entschied ich mich für meine zweite große Passion, das Unterrichten. Schon als Schülerin hatte ich viel Nachhilfe in Englisch gegeben und Spaß daran gehabt. Die "Aha"-Momente anderer Menschen gaben mir ein gutes Gefühl und genau damit wollte ich in Zukunft meine Brötchen, Paninis oder sonstigen Backwaren verdienen.
Ich entschied mich für ein Studium in meiner "Hood" Marburg, und zwar nicht aus den altbekannten Gründen, Blindenstadt und so weiter, sondern weil Marburg für mich ein Schmelztiegel der Kulturen und der Hort der Bildung ist. Ich liebe die Kneipenkultur, die Offenheit der Menschen, die Schönheit dieser Stadt. Und nicht zuletzt blieb ich auch wegen der Liebe hier. Noch während des Abiturs hatte ich mit meinem langjährigen Partner - auch ein ganz netter Nebeneffekt meiner blista-Zeit - eine Wohnung in der schönen Marbach bezogen. Noch heute sind wir dort fest verwurzelt. Also blieb keine andere Wahl als die Philipps-Universität, denn welcher alteingesessene Marburger pendelt schon gern nach Gießen?
Das Studium - Lernen endet nie
Gemeinsam mit Sehenden zu studieren, war am Anfang etwas ungewohnt für mich, denn ich hatte die ganze Zeit an der blista in meiner "Bubble" verbracht. Ich hatte ausschließlich sehbehinderte oder blinde Freund*innen und musste mich nun umgewöhnen. Aus Angst, keinen Anschluss zu finden, hatte ich schon vorher begonnen, zu netzwerken und eine WhatsApp-Gruppe für zukünftige Lehramtler*innen an der Philipps-Universität im Wintersemester 2015/2016 ins Leben gerufen. Unsere Gruppe, am Ende bestehend aus um die 30 Studierenden, traf sich vor Studienbeginn gemeinsam mit einem Teamer - einem Studenten aus einem höheren Semester - in einer Kneipe in Marburg. Wir besprachen schon einmal verschiedene Fragen des Studiums, und ich merkte, dass nicht nur ich, sondern auch die anderen zukünftigen Studierenden davon profitierten. Das sorgte auch dafür, dass ich sowohl bei Kneipentouren als auch Ersti-Partys nicht allein war, denn "du bist doch die mit der WhatsApp-Gruppe, oder?". Weiterhin durfte ich viele Fragen beantworten wie: "Bei wieviel Grad kann ich meine Unterhosen waschen, ohne dass sie eingehen?" oder "Wie lange halten sich eigentlich Konserven?", denn die meisten Erstis hatten noch nie allein gelebt. Und ja, Frage zwei wurde mir wirklich gestellt!
Das Auslandsjahr
Im September 2017 kam dann mein großer Moment. Ich machte mich auf den Weg in ein großes Abenteuer, mein Auslandsjahr in Irland. In der Nähe von Dublin, genauer gesagt in Maynooth, lebte und studierte ich neun Monate lang. Die Organisation und Koordination lief über das Erasmus-Programm und ich erhielt von Seiten der Universität viel Unterstützung. Dieses Abenteuer bereitete mir Anfangs großes Unbehagen, denn ich wusste nicht, was auf mich zukam, und kannte mich in den ersten Wochen nach meiner Ankunft vor Ort nicht gut aus. Ich bekam zunächst einmal Mobilitätsunterricht. Darum kümmerte sich der NCBI (National Council for the Blind Ireland). Die Uni organisierte mir eine Mob-Trainerin, eine 60-jährige, sehr mütterliche Frau, die mit mir alle wichtigen Wege übte. Diese Zeit in Irland beflügelte mich ungemein und machte mir klar, dass jede Herausforderung, die nun noch kommen würde, machbar für mich sein würde. "Du hast als blinde Studentin im Ausland gelebt und studiert, dann schaffst du auch das", war fortan mein Motto.
Und weiter geht´s ...
Im Juni 2018 kam ich wieder zurück und nahm zum Wintersemester 2018/19 mein Studium wieder auf. Ich hatte ein gutes Durchhaltevermögen und kam weiterhin recht flott voran, denn wider Erwarten war das Lehramtsstudium ziemlich barrierefrei, jedenfalls in den meisten Teilen - ich bin da aber auch sehr genügsam -, und den Rest an verbliebenen Barrieren räumten meine guten Assistenzkräfte beiseite. Hin und wieder musste ich aber doch um die Berücksichtigung meiner Seheinschränkung im Studium kämpfen, denn es war mir nicht in jedem Fall möglich, eine Prüfung schriftlich abzulegen - auch wenn dies von den zuständigen Stellen zunächst anders gesehen wurde. Mein erstes Staatsexamen absolvierte ich dann 2020. An dieser Stelle muss ich für die hessische Lehrkräfte-Akademie, die für die Prüfung zuständig ist, eine Lanze brechen; die Verantwortlichen haben sich richtig Mühe gegeben und waren sehr zuvorkommend.
... und ab in die Praxis
Mein allererstes Orientierungspraktikum habe ich an einer Grundschule in meiner alten Heimatstadt gemacht. Die Schule war recht klein und übersichtlich, also genau das Richtige zum Einstieg. Das erste Praktikum (zwischen dem 2. und 3. Semester) habe ich dann hier in Marburg an der Gesamtschule am Richtsberg absolviert und ein weiteres Praktikum am Philippinum-Gymnasium. Im Vergleich zum Studium, das dann doch recht wenig praxisorientiert ist, sind die Schulpraktika und das Referendariat eine ganz andere Hausnummer. Hier bin ich schon hin und wieder an meine Belastungsgrenzen gekommen - und als Neuling, vor allem mit einem Handicap, fühlt man sich unter Dauerbeobachtung.
Und jetzt?
Seit Mai 2021 bin ich Referendarin an einer Privatschule hier in Marburg, wo ich zwei Oberstufenklassen unterrichte - eine in Deutsch und eine in Englisch. Trotz stressiger Phasen macht mir die Arbeit mit meinen Schüler*innen sehr viel Spaß. Ich wohne nach wie vor in der schönen Marbach und bin noch immer glücklich vergeben. Mein zweites Staatsexamen mache ich voraussichtlich dieses Jahr im Oktober.
An meine blista-Zeit denke ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Lachend, weil ich sehr viel gelernt habe, weinend, weil ich noch viel mehr hätte lernen können. Auch wäre ich gerne noch etwas strukturierter und gleichzeitig achtsamer. Natürlich würde ich gerne auch mit Stress und Kritik besser umgehen können - daran arbeite ich noch. Denn - obwohl ich mich oft gegen neue Erfahrungen gesträubt habe, habe ich doch einen großen Sprung gemacht, den ich ohne die blista wohl nie in diesem Umfang vollzogen hätte.
Bild: Wahlheimat Marburg - Lisa Schmidt mag die Stadt, in der sie nach dem Abitur an der blista und ihrem Studium auch arbeitet. Blick über die zugefrorene Lahn auf Häuser am anderen Flussufer und das Schloss. Foto: pixabay
Aus der Arbeit des DVBS
Frischer Wind für den DVBS-Podcast
Von Nina Odenius
Seit einigen Jahren gibt es ihn schon, den DVBS-Podcast. Er gibt einen Überblick über spannende Themen der Selbsthilfe, informiert über das Vereinsleben, die Vorstandsarbeit und spricht mit interessanten Interviewpartnern, die etwas zu erzählen haben.
Uwe Boysen ist sozusagen das Gründungsmitglied der Podcast-Redaktion. Der erste DVBS-Podcast erschien im Herbst 2017. Eine Handvoll ehrenamtlicher Redakteure aus DVBS-Mitgliedern betreute den ungefähr alle vier Wochen erscheinenden Podcast. Das neue Format wurde von den Vereinsmitgliedern gut angenommen. Doch wie das manchmal so ist im Ehrenamt, wich die anfängliche Motivation der Podcast-Redaktion im Laufe der Jahre, sodass Uwe Boysen als letzter Mohikaner übrigblieb und fröhlich alle vier Wochen einen Podcast produzierte. Das war auf Dauer ziemlich einsam, so ohne Redaktionsteam. Gemeinsam auf Themensuche gehen und sich bei der monatlichen Produktion abwechseln, das macht eindeutig mehr Spaß.
Im Frühjahr dieses Jahres sollte aber endlich frischer Wind in die DVBS-Podcast-Redaktion einkehren. Mit mir, Nina Odenius, als Beisitzerin im DVBS-Vorstand, kam Bewegung in die Sache. "Möchtest Du nicht bei der Podcast-Produktion unterstützen?", fragte mich Werner Wörder. "Du bist schließlich Journalistin und hast Deine Ausbildung beim Radio gemacht." Klar hatte ich Lust. Aber Uwe und ich wollten dem Projekt nicht alleine neues Leben einhauchen, sondern suchten uns über Aufrufe in diversen DVBS-Mailinglisten Verstärkung. Und wir wurden fündig. Es meldeten sich sowohl medienerfahrene Vereinsmitglieder als auch Neulinge auf diesem Terrain.
Ende Mai gab es die erste Redaktionskonferenz. Dabei wurden wichtige Fragen geklärt, wie zum Beispiel: Welches Programm eignet sich am besten für die Aufnahme von Interviews und Moderation? Welches Schnittprogramm ist barrierefrei? Wir begaben uns auch auf Themensuche und berieten, welche Interviewpartnerinnen und -partner und Geschichten sich für die nächsten Podcast-Folgen eignen würden. Zur neuen Redaktion gehören neben Uwe Boysen und Nina Odenius Rita Schroll, Haydar Kaya, Carina Tillmann und Matthias Klaus. Matthias Klaus unterstützt uns durch seine langjährige Tätigkeit als Radiojournalist. Er entwarf ein neues Intro und berät uns bei allen Fragen rund um technische Details der Podcast-Produktion.
Die ersten Folgen des neuen DVBS-Podcasts stehen bereits unter https://podcast.dvbs-online.de zum Anhören bereit. Und noch eine Neuheit ist an dieser Stelle erwähnenswert: Den Podcast des DVBS gibt es jetzt auch bei Apple.
Hören Sie doch einfach mal rein!
Bild: DVBS-Vorstandsmitglied Nina Odenius unterstützt nun auch die Podcast-Redaktion. Interview- und Aufnahmesituationen sind ihr vertraut - wie hier bei DOMRADIO.DE, wo sie lächelnd mit Kopfhörer vor einem großen Standmikrofon spricht. Foto: DOMRADIO.DE
EDV-Gerichtstag 2022 und Barrierefreiheit
Von Andreas Carstens
Der Deutsche EDV-Gerichtstag e. V. ist eine der führenden Institutionen, die die Digitalisierung in Rechtspflege und Verwaltung unterstützt. Juristinnen und Juristen finden hier ein Forum, um Erfahrungen und Meinungen über den Einsatz und die Auswirkungen der elektronischen Datenverarbeitung auszutauschen. Der Gerichtstag regt wissenschaftliche Diskussion zu Problemen, Entwicklungen und Perspektiven an, begleitet wichtige Digitalisierungsthemen und wirkt an der Ausarbeitung von Gesetzen durch regelmäßige Stellungnahmen mit.
Seine Jahrestagungen sind nach den Worten der Veranstalter eine echte "Erfolgsgeschichte": Bis zu 1000 Interessierte aus Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft und Wissenschaft treffen sich in Saarbrücken, um über die Zukunftsfragen der Digitalisierung bei der Rechtsanwendung zu debattieren.
Nach zwei Jahren Corona-Pause fand der EDV-Gerichtstag in diesem Jahr vom 14. bis 16. September wieder in Präsenz an der Universität des Saarlandes statt. Mehr als 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bereichen der Justiz waren gekommen.
Auch der DVBS war, wie in den Jahren zuvor, mit einem Informationsstand zur Barrierefreiheit vor Ort. An zwei komplett ausgestatteten PC-Arbeitsplätzen mit Screenreader, Braillezeile und Sprachausgabe bzw. Bildschirmvergrößerungsprogramm mit Sprachausgabe konnten wir zeigen, wie blinde und sehbehinderte Juristinnen und Juristen am PC arbeiten, welche Hindernisse und Barrieren sich dabei ergeben und wie sich diese durch eine barrierefreie Gestaltung vermeiden lassen.
Außerdem gab es einen Arbeitskreis zur Barrierefreiheit mit dem Thema "Die BITV 2.0 - ein Kompass für digitale Barrierefreiheit". Thematisiert wurden die Standards zur Barrierefreiheit, die nach § 3 Abs. 2 BITV 2.0 einzuhalten sind, die Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen (z.B. Nutzung ohne Sehvermögen, Nutzung mit eingeschränktem Sehvermögen, Nutzung mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten), die nach § 3 Abs. 3 BITV 2.0 zu beachten sind, und Aspekte der Usability (Stichwort: Workflow und Nutzerfreundlichkeit), die nach § 3 Abs. 4 BITV 2.0 einzubeziehen sind.
Unser Informationsstand war wieder ein wichtiger Marktplatz für Themen und Informationen zur Barrierefreiheit. Ein Schwerpunkt der Gespräche betraf die verschiedenen Programme zur elektronischen Aktenführung in der Justiz. Hier gibt es insbesondere bei den Aktenviewern (Vorlesefunktionen im Dokument, Fokusverfolgung durch die Bildschirmlupe) noch einen deutlichen Handlungsbedarf. Außerdem konnten wir an unserem Informationsstand das Projekt agnes@work und seine Arbeit vorstellen. Besonders nachgefragt waren auch die Quick Guides zur Erstellung barrierefreier PDF aus Word und PowerPoint sowie Informationen zur Berücksichtigung von Barrierefreiheit in Ausschreibungs- und Vergabeverfahren.
Insgesamt konnten wir die Verwirklichung von Barrierefreiheit in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern aus den Ministerien und IT-Abteilungen der Justiz aus verschiedenen Bundesländern und Unternehmen, die für die Justiz entwickeln, ein deutliches Stück voranbringen.
Die Präsentation des Arbeitskreises kann demnächst als barrierefreies PDF im Web-Auftritt des EDV-Gerichtstages heruntergeladen werden (https://www.edvgt.de/veranstaltung/die-bitv-2-0-ein-kompass-fuer-digitale-barrierefreiheit/).
Seminare
Von Christian Axnick
Fachgruppe Musik
Vom 27. - 29.01.2023 plant die Fachgruppe Musik ihr Seminar zum Braille-Notennetzwerk in Bad Soden-Salmünster, das 2023 in erweitertem Format stattfinden soll. Seit dem Bestehen der Netzwerktagung stellen die Verlage aus Leipzig und Zürich kenntnisreich ihre Produktionen vor. Neben dieser wichtigen Informationsquelle erhalten Musikerinnen und Musiker aus ihrem beruflichen Umfeld zahlreiche Informationen über den praktischen Gebrauch von Musikliteratur (Noten, theoretische und pädagogische Werke).
Dank eines neuen Moduls sollen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung die Möglichkeit bekommen, Musikliteratur vorzustellen. Die anschließend im Plenum besprochenen Empfehlungen werden als Orientierungshilfe für die Gestaltung der Verlagsprogramme gewünscht.
Und so funktioniert es: Interessierte schicken ihre Vorschläge ans Leitungsteam der FG Musik. Nach Einsendeschluss wird eine Liste zusammengestellt. Während der Tagung stehen 10 Minuten zur Verfügung, einen Titel vorzustellen. Das Leitungsteam behält sich das Recht der Rangfolge und, wenn aus zeitlichen Gründen notwendig, einer Auswahl vor. Gegebenenfalls können Notenbeispiele am Klavier oder per Tonträger eingespielt werden.
Das detaillierte Programm stand zum horus-Redaktionsschluss noch nicht fest.
Bild: Musikliteratur steht im Zentrum des Seminars der DVBS-Fachgruppe Musik 2023. Im Rahmen eines vergangenen Seminars spielt ein Mitglied am Flügel, Noten in Braille und Schwarzschrift liegen auf dem Deckel bereit. Foto: DVBS / Kronenberg
Fachgruppe Verwaltung
Voraussichtlich ab Februar 2023 wird die DVBS-Fachgruppe Verwaltung eine Reihe von Online-Kursen zur Nutzung verschiedener Videokonferenzsysteme anbieten. Die Planung läuft, Details werden rechtzeitig veröffentlicht.
Weitere Informationen
An den Seminaren der DVBS-Fachgruppen können auch Nichtmitglieder gerne teilnehmen, allerdings werden Mitglieder des DVBS bei der Vergabe der Plätze zuerst bedacht.
Schauen Sie doch immer mal wieder auf der DVBS-Webseite unter Aktuelles/Termine nach - hier finden Sie in chronologischer Folge nicht nur die Termine und Themen unserer Seminare und Telefonchats, sondern auch die der DVBS-Stammtische, die virtuell oder vor Ort stattfinden.
Informationen zu den Seminaren im Rahmen unseres Projektes agnes@work, die sich an alle Interessierten richten, finden Sie auf der Projektwebseite https://www.agnes-at-work.de/seminare-elearning/seminare/
Benötigen Sie weitere Informationen? Bei Fragen und Wünschen rund um die DVBS-Seminare wenden Sie sich an:
Kontakt
Christian Axnick
DVBS-Geschäftsstelle
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Tel.: 06421 94888-28
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Aus der blista
Elias' Glücksrad drehte sich ohn' Unterlass ...
blista-Tag der Nachhaltigkeit kam gut an
Zum 7. Hessischen Tag der Nachhaltigkeit am 29.09.2022 war im neuen Foyer auf dem blistaCampus jede Menge los. Diesen Tag nutzten die Schüler*innen, Lehrkräfte und viele interessierte Kolleg*innen mit tollen Ideen, um zu informieren, Nachhaltigkeit anzuregen und Projektspenden zum Bewahren unserer Natur zu sammeln.
Die Klassen 5a und 5b der Carl-Strehl-Schule (CSS) hatten sich ein Quiz ausgedacht und zu den Themen "Ressourcen sparen", "Mülltrennung" und "Baumpflanzaktionen" gestaltet. Die Schüler*innen verkauften zudem leckere Muffins, Kuchen und selbstgemachte Marmelade. Am Stand der Klasse 6b drehte sich das von Elias und seinem Vater eigens gebaute bunt angemalte Glücksrad ohne Unterlass, bei jedem Versuch wanderte ein weiterer Euro in die Spendenkasse, während gleich nebenan ein Flohmarkt florierte. Green IT, Mobilität, Ernährung, Energieeinsparung - die Projektideen der Auszubildenden im blista-Zentrum für Berufliche Bildung überzeugten mit ausgeklügelten Strategien. Zum Mitmachen luden die Korkkampagne, eine Brillen-Sammelstation und die Handyspende 2.0 ein. Ums Energiesparen ging es beim Thema Wasserstoff bei der Klasse 9a und der neuen Photovoltaikanlage auf dem Schulgebäude.
Nicht zuletzt wurden an diesem Tag Ideen gesammelt, wie wir auf dem blistaCampus mehr Nachhaltigkeit erreichen können. Die einen brachten sie ausgearbeitet in Briefumschlägen mit, andere notierten sie via Brailleschreibmaschine, und viele weitere schrieben mit Stiften auf die bereitliegenden Blätter... - der blista-Vorstand freute sich über die vielen, vielen Vorschläge, will sie alle sorgfältig im Hinblick auf die praktische Umsetzung prüfen und die beste Maßnahme für mehr Nachhaltigkeit auf dem blistaCampus sogar mit einem besonderen Preis auszeichnen. Auch die Klassen 5a und 5b zogen eine positive Bilanz ihrer Aktion: "Wir haben 218,54 € eingenommen, die nun an die Organisation 'Plant for the planet' gespendet werden. Von diesem Geld werden Bäume gepflanzt, die unser Klima schützen. Weil die Aktion so viel Spaß gemacht hat, wollen wir uns auf jeden Fall weiter für Nachhaltigkeit einsetzen."
Bild: Zwei blista-Schüler der 6. Klasse stehen an einem Glücksrad, dessen acht bunte Felder sich von "Hauptgewinn" bis "Pech gehabt" drehen können. Rechts daneben betreut eine Schülerin den Flohmarkt-Tisch. Foto: blista
Bild: "Kein Papier verschwenden", "Wenn man die Pinsel auswäscht, nicht das Wasser laufen lassen" gehörten zu den Ideen, die am Nachhaltigkeitstag auf ein grünes Plakat mit der Frage: "Wie können wir nachhaltig werden?" geschrieben wurden. Foto: blista
Gute bis sehr gute Abschlüsse am blista-Zentrum für berufliche Bildung
Vier Auszubildende des blista-Zentrums für berufliche Bildung (ZBB) haben an der diesjährigen Sommerprüfung vor den Prüfungsausschüssen der IHK teilgenommen. Drei Azubis bestanden ihre Prüfung mit gutem bis sehr gutem Erfolg, der Vierte war leider krank und muss die Prüfung nachholen.
Klein und fein war der diesjährige Abschlussjahrgang der Teilnehmenden an unseren von der Bundesagentur für Arbeit (BA) geförderten Ausbildungs- und Umschulungsangeboten. Er bestand zudem ausschließlich aus Absolventen der Ausbildung zum/zur Fachinformatiker*in Anwendungsentwicklung. Das war vor dem Hintergrund des breiten Ausbildungsangebotes für die aktuell insgesamt 33 Azubis und Umschüler*innen im ZBB ungewöhnlich.
Alle drei "frischgebackenen" Fachinformatiker haben den nächsten Schritt ihrer beruflichen Laufbahn sorgfältig geplant und bereits umgesetzt: Einer von ihnen hat soeben ein Studium der Informatik aufgenommen, um seine in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen als Entwickler noch weiter zu vertiefen. Die anderen beiden Absolventen haben bereits jetzt sehr interessante Jobs begonnen: Ein junger Mann wird mit seinen Kompetenzen als Entwickler zukünftig den Deutschen Wetterdienst bei der Auswertung von Wetterdaten unterstützen. Der andere hat eine Beschäftigung als Softwareentwickler in einem Unternehmen aufgenommen, das Software für die Einführung und Verwaltung betrieblicher Arbeitsschutzmaßnahmen und im Bereich des Personalmanagements anbietet.
Im kommenden Jahr werden sich voraussichtlich sieben Auszubildende und ein Umschüler in den Berufen Fachinformatiker*in Anwendungsentwicklung, Fachinformatiker*in Systemintegration und Kaufmann/-frau für Büromanagement den IHK-Prüfungen stellen.
Wer sich für eine Ausbildung am blista-Zentrum für berufliche Bildung interessiert, findet auf der Homepage der blista (www.blista.de/ausbildungen-und-umschulungen) und in den Videos im YouTube-Kanal der blista (www.youtube.com/blistaCampus) nähere Informationen. Das nächste Schnupper-Angebot PROStart bietet die blista im Zeitfenster 12. bis 16. Dezember 2022 an.
Kontakt
Ressortleiter Otfrid Altfeld und Ausbildungskoordinatorin Susanne Becker stehen auch persönlich gern Rede und Antwort:
Tel. 06421 606-541
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"Es ist toll, was Sie hier auf dem blistaCampus leisten": Innenminister Peter Beuth besuchte die blista
Am 7. Oktober 2022 besuchte Hessens Sport- und Innenminister Peter Beuth mit der Leiterin Referat Sport für Menschen mit Behinderungen, Inklusion, Marina Mohnen und dem Leiter des Ministerbüros Hendrik Schulz die blista.
Lebendige Einblicke in die vielfältige Arbeit auf dem inklusiven Bildungscampus und insbesondere der sportliche Alltag der blista als Paralympisches Nachwuchszentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung standen im Mittelpunkt des Besuchs. Mit dabei waren die Marburger Stadträtin Marianne Wölk, Heinz Wagner, der Präsident des Hessischen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbands (HBRS), die Paralympionikin Noemi Ristau, die Para-Judoka Vanessa Wagner, Nationalspieler Blindenfußball Nico Rother u.a.m.
"Es ist toll, was Sie hier leisten", sagte Minister Peter Beuth nach dem Rundgang, der vom Infopunkt im Eingangsbereich zum Training der blinden und sehbehinderten Judoka in der Gymnastikhalle, dem Schwimmunterricht bis zu den Blindenfußball-Demonstrationen auf dem Sportplatz führte, zu Manfred Duensing, dem Trainer der Marburger Blindenfußballer, und den Spieler*innen Nico, Jason und Rebecca.
"Das Sportangebot an der blista", fuhr der Minister fort, "zeigt jungen Menschen, was zu leisten sie in der Lage sind. Es ist wichtig, denn Sport trägt auf bemerkenswerte Weise zur Stärkung des Selbstbewusstseins und zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Wir freuen uns, wenn wir Sie dabei unterstützen können." Die blinde Para-Sportlerin Noemi Ristau bestätigte dies und berichtete von ihren Erfahrungen. Sport trage auch dazu bei, dass sie gut auf Körper und Gesundheit achte, vor allem aber zähle für sie der Gewinn an Lebensqualität.
Für die gute Zusammenarbeit zwischen HBRS und dem Ministerium bedankte sich Heinz Wagner herzlich und überbrachte zugleich die gute Nachricht, dass der neue Judoka-Co-Trainer der blista vom Verband bestätigt sei. Marianne Wölk hob die Chancen für mehr und bessere Teilhabe hervor, die barrierefreie Zugänge ermöglichen, und dankte für die Unterstützungsleistungen. Abschließend übergab Sportminister Peter Beuth einen Zuwendungsbescheid über 135.000 Euro aus dem Sonder-Investitionsprogramm SWIM für die Sanierung des Schwimmhallengebäudes.
Patrick Temmesfeld, der Vorsitzende der blista, bedankte sich für die tolle Unterstützung: "Uns erfüllt es mit Stolz", freute er sich, "wenn wir erleben, dass wir starke Partner*innen an unserer Seite haben. Das durften wir alle heute auf sehr schöne Weise erleben. Herzlichen Dank!"
Bild: Am Infopunkt: Gruppenfoto mit Minister Peter Beuth (4. v. l.) anlässlich seines Besuchs der blista. Er hält einen großen weißen Rettungsring mit der Aufschrift "Gefördert vom Land Hessen", blista-Vorstandsvorsitzender Patrick Temmesfeld (6. v.l.) den Zuwendungsbescheid. Mit ihnen freuen sich Lehrtrainer Markus Zaumbrecher (1. v.l.), Stadträtin Marianne Wölk (2. v.l.), HBRS-Präsident Heinz Wagner (5. v.l.), stellv. blista-Vorstandsvorsitzender Maarten Kubeja, Paralympionikin Noemi Ristau (2. v.r.) und Leiter der Carl-Strehl-Schule Peter Audretsch (1. v.r.). Foto: blista
Bücher
Hörbuchtipps aus der blista
Von Thorsten Büchner
Hörbücher aus der DBH
Sven Plöger/Christoph Waffenschmidt: Besser machen! Hoffnungsvolle Entwicklungen und Initiativen für eine lebenswerte Zukunft
Adeo, Aßlar, 2021. Buchnummer: 1544181, Laufzeit: 449 Minuten.
Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung ... es steht nicht gut um unsere Welt. Das ist die Wahrheit. Leider. Doch Sven Plöger, Meteorologe und Klimaexperte, und Christoph Waffenschmidt, Deutschland-Chef der weltweiten Hilfsorganisation World Vision, kennen auch eine andere, eine motivierende, Hoffnung machende Perspektive. Gemeinsam nehmen die beiden Freunde Leserinnen und Leser mit auf ihre ganz persönliche Reise zu Menschen rund um den Globus, die mutig losgehen und die Welt ein bisschen besser machen. Noch können wir den Kurs korrigieren - wenn wir endlich aufwachen und gemeinsam in die vielen guten Entwicklungen, Ideen und Programme investieren, die bereits da sind. Wir müssen es machen. Jetzt. Besser.
Harald Gilbers: Hungerwinter
Knaur, München, 2020. Buchnummer: 1556271, Laufzeit: 807 Minuten.
Der Krimi mit dem jüdischen Kommissar Oppenheimer spielt 1947 zu Beginn des Kalten Krieges. Mitten im Berliner Hungerwinter wird Oppenheimer zum Schauplatz eines Verbrechens gerufen, bei dem es eigentlich nicht viel zu ermitteln gibt: Der Tote ist ein Einbrecher, der vom Hausherren überrascht wurde. Ein klarer Fall von Notwehr? Als kurz darauf Oppenheimers Kollege Billhardt tot aufgefunden wird, deutet zunächst alles auf Selbstmord hin, doch auch das kommt dem Kommissar unwahrscheinlich vor. Er kann nicht ahnen, dass er einem Nazi-Schleuserring in die Quere gekommen ist ...
Golineh Atai: Die Wahrheit ist der Feind. Warum Russland so anders ist
Rowohlt, Berlin, 2019. Buchnummer: 1559911, Laufzeit: 972 Minuten.
Seit dem "Anschluss" der Krim erfindet sich Russland neu: als eine Großmacht, die chauvinistisch spricht und aggressiv handelt. Das sagt Golineh Atai, die für ihre Berichterstattung aus Moskau vielfach ausgezeichnet worden ist. Sie erklärt die tieferen Gründe für eine Politik, die im Westen vielfach kaum wahrgenommen, in falsche Vergleiche heruntergebrochen oder einfach verdrängt wird. Die Wahrheit ist: Russland sieht sich im Krieg. Und Russlands Aggression existiert darüber hinaus auch in alten und neuen globalen Medien, im Cyberspace, im Wirtschaftsraum. Eine der besten Kennerinnen Russlands erklärt, warum Russland die globale Ordnung offen herausfordert - in einer Zeit, in der die Fortdauer ebendieser Ordnung ungewiss ist.
Derek Meister: Flutgrab
Blanvalet, München, 2012. Buchnummer: 1555561. Laufzeit: 828 Minuten.
Alle Lübecker fürchten und verachten ihn: den Bankier d'Alighieri. Er kennt jedes böse Geheimnis seiner Mitbürger*innen. Ausgerechnet dieser Geldverleiher bittet Rungholt um Hilfe. Der bärbeißige Patrizier soll ihm entwendete Edelsteine wiederbeschaffen. Eine einfache Aufgabe, denkt Rungholt, doch dann wird eine Tagelöhnerfamilie bestialisch ermordet und ein Kinderschädel gefunden, in den Runen eingeritzt wurden. Rungholt ahnt: Die Edelsteine und die Toten hängen zusammen ...
Hörbücher zum Schwerpunkt "Gesundheit"
Franziska Rubin: 7 Minuten am Tag - endlich gesünder leben
Knaur Menssana, München, 2020. Buchnummer: 1480051, Laufzeit: 431 Minuten.
Das Buch, das Ihre Gesundheit für immer verbessert. Ratgeber mit einem 7-Wochen-Programm. Jeden Tag einen Gesundheitstipp ausprobieren, der nur 7 Minuten dauert, aus verschiedenen Bereichen für Körper, Geist und Seele.
Marianne Koch: Alt werde ich später
Deutscher Taschenbuch-Verlag, München, 2021. Buchnummer: 1543171, Laufzeit: 204 Minuten.
"Älter werden wir alle, auf das Wie kommt es an." Wie es gelingt, geistig jung, gesund und voller Elan zu bleiben, lebt uns Dr. med. Marianne Koch vor. "Erfolgreich altern" nennt sie das, und was alles dazugehört, erzählt sie hier. In neun Kapiteln beleuchtet Marianne Koch physiologische wie psychische Aspekte, die das Altern mit sich bringt. Sie geht auf das Selbstbewusstsein ein, auf Ernährung und Bewegung, auf lebenslanges Lernen, das Problem der Einsamkeit, den Umgang mit Verlusten und zeigt, wie wichtig es ist, die Lust am Neuen nicht zu verlieren. Am Ende steht die Frage: Wer bin ich heute - und wer möchte ich morgen sein? Immer wieder schöpft Marianne Koch aus ihren eigenen Erfahrungen, sie erzählt, gibt Rat und wertvolle Empfehlungen.
Ihr Kontakt zur DBH
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg.
Telefon: 06421 6060
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Barrierefreier Online-Katalog:
https://katalog.blista.de
Bild: Cover der sechs vorgestellten Buchtitel als Collage. Mit Ausnahme zweier Krimis sind die Autor*innen zu sehen. Fotos: Jeweiliger Verlag.
Aus der Braille-Druckerei: "Fröhliche Weihnachten" für Kinder und Jugendliche
Von Wencke Gemril und Jochen Schäfer
In der diesjährigen Weihnachtsausgabe geht's wieder mal "tierisch gut ab", nur im letzten Buch geht's sehr menschlich zu.
Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein
Bei uns in Marburg geht seit einem Jahr ein Schwein um, ein Weihnachtsschwein. Es muss ein Tapir sein, da es sich gern auf gepunktetem Papier tummelt. Am 1. August sagte es freudestrahlend: "Hurra, wir haben St. Patrick's Day!" (es stammt nämlich ursprünglich aus England). Bevor es zu uns kam, erlebte es eine spannende Reise mit einem kleinen Jungen namens Jack, und was die beiden erlebten, könnt ihr lesen in "Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein", geschrieben von der berühmten Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling.
Bestellnummer 6236, 4 Bände, reformierte Kurzschrift.
Bild: Buchcover des Carlsen-Verlags: Das Weihnachtsschwein zieht Jack mit sich über die weihnachtlich verpackten Geschenke.
Die Schule der magischen Tiere
Auch von unseren Freunden mit den "Magischen Tieren" gibt es Neuigkeiten. - Na, Ihr erinnert euch doch noch ...? Richtig: Das sind die Kinder aus der Klasse von Miss Cornfield in der Wintersteinschule. Nach einem Jahr sind zwei weitere Geschichten frisch übertragen worden, nämlich: Bd.12 "Voll das Chaos" und Bd.13 "Bravo, Bravissimo!"
Beide Geschichten umfassen 3 Bände in reformierter Kurz- und Vollschrift.
"Das Neinhorn"
... ein Bilderbuch, das nicht nur für Kinder, sondern auch für Jugendliche und Erwachsene lesenswert sein könnte.
Es wurde von Marc-Uwe Kling geschrieben, bekannt durch seine Bücher über das vorlaute sprechende Känguru. Er hat auch mehrere Bilderbücher entworfen, und "Das Neinhorn" steht schon lang sehr weit oben auf der Spiegel-Bestseller-Liste.
Das Neinhorn ist ein niedliches Einhorn, das im Herzwald mit seiner Familie lebt. Weil es immer zu allem nein sagt und sich gar nicht einhornmäßig benimmt, wird es schließlich von allen nur noch Neinhorn gerufen. Eines Tages zieht es los und lernt den Wasbär kennen, der nicht gut zuhören kann oder will. Gemeinsam ziehen sie weiter, treffen auf den Nahund, dem alles egal ist, und retten die trotzige Königsdochter aus einem Turm. Die vier sind ein tolles Team, denn sogar bockig sein macht zusammen viel mehr Spaß!
Wir haben den Text und knappe Bildbeschreibungen in das Originalbuch mit eingebunden.
Bestellnummer 4995, Vollschrift.
Bild: Buchcover des Carlsen-Verlags: Das kleine Neinhorn sitzt zwischen Pflanzen. Es hat große, blau umrandeten Augen, ein blau-weiß geringeltes Einhorn und einen bunten Schweif.
"White Fox" Band 1: "Der Ruf des Mondsteins"
Polarfuchs Dilah wünscht sich nichts sehnlicher, als ein Mensch zu sein. Daher vermacht ihm seine Mutter etwas ganz Besonderes: den sagenumwobenen Mondstein, der seinen Wunsch erfüllen könnte. Dilah folgt dem Ruf des magischen Steins und macht sich auf eine Reise. Unterwegs muss er sich vor kaltblütigen Menschen in acht nehmen, aber auch die Natur ist unberechenbar. Und im Dickicht lauern feindlich gesinnte Clans, die es auf Dilah und sein mächtiges Erbe abgesehen haben ...
Eine große neue Tierfantasy-Reihe für Menschen ab 9 Jahren, geschrieben vom chinesischen Bestseller-Autor Jiatong Chen. Coolness und Magie treffen Spannung, Action und Natur! Ein packendes Abenteuer rund um einen Polarfuchs, eine große Mission und eine gefährliche Reise. In dieser modernen Parabel liegen Gut und Böse sowie Freund und Feind ganz nah beieinander. Für alle Fantasy-Fans von "Woodwalkers" und "Animox".
Bestellnummer 6256, Kurzschrift 3 Bände, Vollschrift 5 Bände im A4-Format.
One way or another - zwei Wege zu dir
Die tragikomische Liebesgeschichte der 17-jährigen Paige aus den USA während ihres komplizierten Selbstfindungsprozesses, verfasst von Cara McDowell.
Paige hat panische Angst davor, Entscheidungen zu treffen. Deshalb überlässt sie die Wahl, wie sie ihre Winterferien verbringen soll, einer App. Soll sie mit Fitz, ihrem besten Freund und zugleich größten Schwarm, in die Berghütte seiner Eltern reisen oder doch eher mit ihrer Mutter nach New York fliegen? Als Paige sich den Kopf anstößt, stehen ihr plötzlich beide Möglichkeiten offen, sodass die Leser*innen in zwei Parallelrealitäten eintauchen. Aber ihre Angststörung begleitet Paige auf beiden Wegen - und die droht alles zu ruinieren... Eine tiefgründige und zugleich humorvolle Liebesgeschichte für Jugendliche ab 14 Jahren.
Bestellnummer 6250, 7 Bände in reformierter Kurz-, 9 in Vollschrift.
Bild: Buchcover des Loewe-Verlags: Paige und Fitz gehen in entgegengesetzte Richtungen, Paige unten vor der Silhouette New Yorks, Fitz oben vor dem Hintergrund hoher Berggipfel.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern ein frohes Weihnachtsfest, ein gutes neues Jahr - und vor allem: viel "LeseLust!"
Bestelladresse
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
Telefon: 06421 606-0
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
oder über unseren barrierefreien Online-Katalog
https://katalog.blista.de
Kennen Sie schon die DAISY-Ausgabe des Diabetes-Journals?
Das Diabetes-Journal ist eine monatliche Zeitschrift für Menschen mit Diabetes, deren Familienangehörige, Freunde und Betreuer. Jedes Heft enthält neben medizinischen Beiträgen auch Erfahrungsberichte, Leserbriefe und Patientenfragen. Psychologie wird ebenso behandelt wie Ernährung und Gesundheitspolitik. Dazu kommen Tipps, Rezepte und nützliche Telefonnummern.
Dass es auch eine DAISY-Ausgabe des Journals gibt, ist kaum bekannt. So droht jetzt die Einstellung der Hörfassung, weil es zu wenige Abonnent*innen gibt.
Die Jahresbezugsgebühr beträgt 22 Euro. Für die Mitglieder einiger Organisationen von Menschen mit Diabetes ist das Abonnement im Mitgliedsbeitrag enthalten, in anderen wird es günstiger angeboten. Wer Mitglied in diesen Organisationen ist, kann ohne Aufpreis von der gedruckten Ausgabe zur DAISY-Ausgabe wechseln.
Bei Interesse kann die DAISY-Ausgabe des Diabetes-Journals bestellt werden bei:
WBH - Westdeutsche Bibliothek der Hörmedien für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen e.V.
Telefon: 0251 7199-01
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Netzlektüre: Linktipp aus dem Internet
Total erschöpft
"Disability Burn-out" - für Raul Krauthausen wurde das Stichwort durch einen Autounfall zum Thema: "... eine Behinderung kann stressen, manchmal sogar Burn-out auslösen. Oft spielt mein eigener internalisierter Ableismus dabei eine große Rolle - also der Druck, sich über Leistung und Funktionalität eine Daseinsberechtigung verschaffen zu müssen. Dies kann ein ganzes Leben beherrschen... ", so der bekannte Aktivist. Im Web schreibt er nun öffentlich über Burnout, über Warnzeichen, den Zusammenhang von Körper und Geist sowie die harte Arbeit an der Heilung. Mehr dazu siehe https://raul.de/allgemein/disability-burn-out-internalisierter-ableismus-und-seine-folgen
Panorama
Wenn der BAföG-Mietzuschlag nicht reicht
Tipp für Studierende mit "wesentlicher Behinderung"
Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerks (IBS)
Der Mietzuschlag im BAföG für Studentinnen und Studenten, die außerhalb der elterlichen Wohnung wohnen, ist seit dem Wintersemester 2022/23 auf 360,- € gestiegen. Wenn behinderungsspezifische Anforderungen an eine Wohnung bestehen, wird aber auch dieser Betrag die Wohnkosten häufig nicht decken können. Studierende sind/waren nicht selten gezwungen, die ungedeckten Kosten über die Härtefalloption nach § 27 Abs. 3 SGB II (als Darlehen!) oder über Studienkredite zu finanzieren. Deswegen möchte das IBS an ein wichtiges Urteil erinnern: Am 4. April 2019 entschied das Bundessozialgericht (B 8 SO 12/17 R), dass behinderungsbedingte, nicht gedeckte Unterkunftskosten beim BAföG für Studierende mit "wesentlicher Behinderung" über die Eingliederungshilfe nach SGB IX finanziert werden können. Der Senat hat in seiner Begründung darauf verwiesen, dass eine Wohnung nicht nur dem Schutz vor Witterungseinflüssen und der Sicherung des "Grundbedürfnisses des Wohnens" dient, sondern grundsätzlich auch der sozialen Teilhabe, weil so eine gesellschaftliche Ausgrenzung vermieden werde.
Geklagt hatte eine Studentin der Bibliotheks- und Informationswissenschaften, die seit ihrer Geburt an einer zentralen Koordinationsstörung leidet, einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 hatte sowie die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG", "B" und "H" erfüllte. Eine Pflegestufe war nicht zuerkannt.
Das Urteil des Bundessozialgerichts steht online unter https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/2019_04_04_B_08_SO_12_17_R.html
Mentoring-Programm für Disabled Leadership im Kulturbereich
Kulturstiftung des Bundes
Die Arbeitssituation von Künstler*innen mit Behinderung verbessern, Kulturinstitutionen darin bestärken, inklusiv zu arbeiten und künstlerisches Personal mit Behinderungen einzustellen - das sind die Ziele des Programms für inklusive Kunstpraxis "pik".
Die Förderangebote richten sich gleichermaßen an Menschen mit körperlichen, psychischen und kognitiven Einschränkungen. Ausschlaggebend ist die Selbstbezeichnung der Person. Nun gibt es für diese Zielgruppe auch ein spartenübergreifendes Mentoring-Programm für Disabled Leadership. Wer als Künstler*in tätig ist oder in kunstnahen Arbeitsfeldern wie Kuration, Dramaturgie oder Kunstpädagogik arbeitet, kann sich bewerben. Mentees werden unterstützt, sich für Leitungspositionen in Kulturprojekten und -einrichtungen zu qualifizieren. Fehlende Aufstiegschancen sollen auf diese Weise ausgeglichen und neue Leitungsmodelle diskutiert werden.
Die Mentees wählen im Rahmen ihrer Bewerbung selbst ihre Mentorinnen und Mentoren aus und erhalten die Möglichkeit, sich mit dieser Person zu ihrem geplanten künstlerischen Werdegang, zu ihren Aufstiegschancen, aber auch möglichen Hindernissen für das Übernehmen von Führungsaufgaben in Kultureinrichtungen auseinandersetzen zu können. Die Mentor*innen sind im Regelfall selbst auch Künstler*in, Dramaturg*in oder Kurator*in mit Behinderung.
Es werden insgesamt drei Jahrgänge mit jeweils 15 Mentees gefördert. Neben der Beratung durch erfahrene Mentor*innen erhalten die Mentees für acht Monate Projektmittel in Höhe von 500 Euro pro Monat. Über die Vergabe der Mittel und die Auswahl der Mentees entscheidet der Vorstand der Kulturstiftung des Bundes auf Grundlage der Empfehlung einer unabhängigen Fachjury.
Ab Dezember 2022 sind Beratungen zum Antrag geplant. Die Bewerbungsfrist endet voraussichtlich im Februar 2023.
Für weitere Informationen siehe https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/transformation_und_zukunft/detail/programm_fuer_inklusive_kunstpraxis.html?mc_cid=cc1ff88249&mc_eid=e000f9327e
REHADAT-Talentplus - das Portal zu Arbeitsleben und Behinderung
Wie geht Inklusion im Job? Hintergrundwissen zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bietet das Portal REHADAT-Talentplus. In neuem Layout und mit erweiterten Inhalten informiert das Portal Arbeitgeber*innen sowie alle Interessierten darüber, wie Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen beschäftigt oder ausgebildet werden können.
Die allermeisten Behinderungen - fast 90 Prozent - entstehen durch Krankheiten im Laufe des Lebens. Das Thema ist daher für viele Unternehmen und ihre Beschäftigten von großer Relevanz. REHADAT-Talentplus informiert praxisnah zu wichtigen Fragestellungen zur beruflichen Teilhabe, bietet Handlungsempfehlungen sowie Hintergrundinformation zu rechtlichen Grundlagen und Förderungsmöglichkeiten.
Die Personalgewinnung wird im Zuge des Fachkräftemangels immer schwieriger. Deswegen sind vorhandene und noch nicht ausgeschöpfte Potenziale, wie die von Menschen mit Beeinträchtigungen, für Unternehmen zunehmend wichtiger. REHADAT-Talentplus zeigt, wie Menschen mit Behinderungen gezielt angesprochen werden können, welche Rolle die Unternehmenskommunikation und -kultur dabei spielen und was im Bewerbungsverfahren zu beachten ist. In REHADAT-Talentplus werden Ansprechpartner*innen für Beratungen genannt und die wichtigsten Förderinstrumente sowie Hinweise zur barrierefreien Arbeitsplatzgestaltung erläutert. Das umfangreiche Lexikon zur beruflichen Teilhabe erklärt alle relevanten Begriffe und rundet das Angebot ab.
REHADAT ist ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V. und wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Ausgleichsfonds gefördert. Die Informationen richten sich an Betroffene und alle, die sich für ihre berufliche Teilhabe einsetzen. Die Angebote sind barrierefrei und kostenlos zugänglich.
Der direkte Link zum Portal: www.rehadat-talentplus.de.
agnes@work-Fachtagung "Perspektiven der digitalen Arbeitswelt" am 25. April 2023 in Berlin
Der DVBS und sein Projekt agnes@work - Agiles Netzwerk für sehbeeinträchtigte Berufstätige - veranstalten im kommenden Jahr die Fachtagung "Perspektiven der digitalen Arbeitswelt - Beschäftigungs- und Weiterbildungschancen für Menschen mit Behinderungen".
Die Fachtagung will die Bedingungen und Chancen beruflicher Teilhabe schwerbehinderter Menschen - insbesondere von Blinden und Sehbehinderten - vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt verdeutlichen. Sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch der unterschiedlichen Unterstützungsakteure und der Selbsthilfe sollen die Voraussetzungen inklusiver Arbeit und beruflicher Entwicklung unter den Bedingungen agiler Arbeit und der Digitalisierung beleuchtet werden.
Dabei werden Keynotes aus der Wissenschaft ebenso einbezogen wie die Ergebnisse des BMAS-geförderten Projekts agnes@work. Im Ergebnis sollen die Voraussetzungen eines Unterstützungsnetzwerks skizziert werden, das die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten verschiedener Akteure integriert.
Die Tagung findet am 25. April 2023 von 9:00 bis 17:30 Uhr im Festsaal der Berliner Stadtmission, Lehrter Straße 68, in Berlin statt.
Informationen zur Anmeldung sowie das Tagungsprogramm finden Sie auf der agnes@work-Webseite unter www.agnes-at-work.de.
Sozialheld*innen sucht Studienteilnehmer*innen
Sozialheld*innen e. V. setzt sich für mehr Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen ein. Um Produkte und Dienstleistungen von morgen zu verbessern, unterstützt der Verein Studien, bei denen Produkte (z.B. Verpackungen), Webseiten (z.B. Onlineshops) oder Dienstleistungen von Proband*innen mit Behinderung getestet werden. Dazu werden ca. 30- bis 90-minütige Zoom-Interviews durchgeführt, für die Teilnehmende immer eine Aufwandsentschädigung von ca. 80,00€ erhalten
Wer Teil des Panels werden möchte, kann sich unverbindlich über ein Online-Formular anmelden und gibt damit das Einverständnis, von Sozialheld*innen mit Informationen zu neuen Studien kontaktiert zu werden. Wenn Sozialheld*innen mit einer neuen Studie beauftragt wird, informiert die Organisation passende Proband*innen über die Eckdaten und Inhalte der Studie. Die Angesprochenen können dann selbst entscheiden, ob sie teilnehmen möchten oder nicht.
Die Eintragung kann jederzeit beendet werden, Werbung wird nicht verschickt. Der Verhaltenskodex für die Studien steht online unter https://sozialhelden.de/wir/verhaltenskodex/.
Den Anmeldelink gibt es unter https://forms.gle/mxNTbDtKgvbvC17u6
E-Roller aus dem Weg! Crowdfunding-Kampagne des DBSV zur Durchsetzung von Musterklagen
Kreuz und quer stehende Elektroroller sind leider ein gewohnter Anblick in unseren Städten: Sie stehen und liegen mitten auf dem Gehweg und blockieren Eingänge von Geschäften, U-Bahn-Zugänge oder Straßenüberquerungen.
Rücksichtslos abgestellte E-Roller sind nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen ein gefährliches Hindernis und erhebliches Unfallrisiko, sie sind auch für Rollstuhlfahrende, Eltern mit Kinderwagen und ältere Menschen mehr als ein Ärgernis. Gehwege werden ohne Stolpergefahr in ausreichender Breite gebraucht, damit Fußgängerinnen und Fußgänger nicht auf die Straße ausweichen müssen!
Aus diesem Grund fordern unter anderem Verbände der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe seit längerem, dass E-Roller generell nicht an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs einfach abgestellt werden können, sondern nur auf entsprechend ausgewiesenen und abgegrenzten Abstellflächen (siehe P. Krines / DVBS e. V. in horus 3/2021, Schwarzschrift S. 38, Punktschrift S. 414-416). Diese Abstellflächen müssen kontrastreich markiert und mit einem Blindenstock ertastbar sein. So sind sie für Menschen mit Seheinschränkungen sofort erkennbar.
Um Musterklagen wie gegen die Stadt Münster sowie die flankierende Öffentlichkeitsarbeit zu finanzieren, hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) im August eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Sollten mehr Spenden als benötigt eingehen - insbesondere, weil bei einem Erfolg Kosten von der Gegenseite zu tragen sind -, fließen die nicht benötigten Spendengelder in den DBSV-Rechtshilfefonds.
Spenden sind möglich auf https://betterplace.org/p111258. Auch die Verbreitung der Kampagne hilft: #RollerKoller #TatortGehweg #eRoller#eScooter#eMobilität
Statistik: 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland
Zum Jahresende 2021 lebten in Deutschland rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das rund 1,4 % weniger als zum Jahresende 2019. Dieser Rückgang beruht auf einer starken Bereinigung der Verwaltungsdaten in Niedersachsen, wodurch die Zahl der dort erfassten schwerbehinderten Menschen um 121 000 sank. Als schwerbehindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Behinderungsgrad von mindestens 50 zuerkannt sowie einen gültigen Ausweis ausgehändigt haben. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung waren Ende letzten Jahres (2021) 9,4 % der Menschen in Deutschland schwerbehindert. 50,3 % der Schwerbehinderten waren Männer, 49,7 % waren Frauen. 90 % der schweren Behinderungen wurden durch eine Krankheit verursacht, rund 3 % der Behinderungen waren angeboren oder traten im ersten Lebensjahr auf. Nur knapp 1 % der Behinderungen waren auf einen Unfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen. Die übrigen Ursachen summieren sich auf 5 %.
In 4 % der Fälle lag Blindheit oder eine Sehbehinderung vor. Ebenfalls 4 % lebten mit Schwerhörigkeit, Gleichgewichts- oder Sprachstörungen.
Detaillierte Ergebnisse der Statistik der schwerbehinderten Menschen sind über die Tabellen Schwerbehinderte, Code 22711, in der Datenbank GENESIS-Online abrufbar (www-genesis.destatis.de/genesis/online). Weitere Gliederungen bieten auch das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (www.gbe-bund.de) sowie die Themenseite "Behinderte Menschen" im Internetangebot des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Behinderte-Menschen/_inhalt.html).
Gesundheitspolitische Forderungen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes
Blinde und sehbehinderte Menschen haben dasselbe Recht auf ortsnahe gesundheitliche Versorgung in derselben Bandbreite und derselben Qualität wie Menschen ohne Behinderungen. Das schließt Leistungen ein, die sie speziell wegen ihrer Behinderung benötigen. Die Realität sieht anders aus: Es fehlt an ausreichender Behandlung und Rehabilitation sowie nicht zuletzt an einem barrierefreien und damit zugänglichen Gesundheitssystem. Diese Situation verstößt gegen das Menschenrecht auf einen gleichwertigen Zugang zum Gesundheitssystem und zur Rehabilitation gemäß den Artikeln 25 und 26 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention). Es fehlt zudem an notwendigen Leistungen zum Verhüten von Sehverlust.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf und hat im Rahmen seines Verbandstags am 23. Juni 2022 in Berlin zentrale Forderungen an den Gesetzgeber verabschiedet. Die Gesundheitspolitik wird aufgefordert, Barrierefreiheit im Gesundheitssystem herzustellen, Sehverlust effektiv zu vermeiden und Früherkennung zu stärken, eine qualitätsgesicherte und bedarfsgerechte Behandlung flächendeckend sicherzustellen, Rehabilitation für alle Menschen mit Sehverlust zu gewährleisten, die Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus abzusichern, Forschung zu fördern und auszubauen, die Datensouveränität der Patientinnen und Patienten zu stärken und den Zugang blinder und sehbehinderter Menschen zu den Berufsfeldern der Physiotherapie zu erhalten.
Der vollständige Text der Resolution ist online zugänglich unter: https://www.dbsv.org/resolution/vbt-2022-res-gesundheitspolitik.html
Ansprechpartner des Arbeitskreises Gesundheitspolitik im DBSV ist Andreas Bethke, Tel.: 030 285387-180, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Soziale Kontakte als Schlüssel für Lebensqualität und Wohlbefinden im Alter
BAGSO
Auf der Mitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) am 26. September in Bonn waren zentrale seniorenpolitische Herausforderungen der nächsten Jahre Thema einer regen Diskussion. "Gerade in Zeiten von Krieg und Krisen sind Orte der Begegnung und des Austauschs besonders wichtig", hob Regina Görner in ihrem einleitenden Statement hervor. Zustimmung fand der Vorschlag, gemeinsam mit den Ortsverbänden der BAGSO-Mitglieder in den Kommunen aktiv zu werden, damit ein Leben ohne Internet möglich bleibt.
Niedrigschwellige Angebote zur Gesundheitsförderung waren am folgenden Tag Thema der Fachtagung "Gesunde Lebenswelten schaffen für alle Zielgruppen älterer Menschen". Gesundheit kann bis ins hohe Alter positiv beeinflusst werden. Dass neben einer ausgewogenen Ernährung und altersgerechter Bewegung auch soziale Kontakte ein Schlüssel für Lebensqualität und Wohlbefinden im Alter sind, lautete eine wichtige Botschaft. Auf welchen Wegen Menschen erreicht werden können, die zum Beispiel sozial isoliert leben oder eine Zuwanderungsgeschichte haben, wurde in einem intensiven Erfahrungsaustausch erörtert.
Vorgestellt wurden u. a. erste Erfahrungen des BAGSO-Projekts Im Alter IN FORM mit Nachbarschaftstischen: Nachbarinnen und Nachbarn laden kleine Gruppen älterer Menschen zu einem gemeinsamen Essen zu sich nach Haus ein. So richtet sich ein Nachbarschaftstisch speziell an Menschen mit geringen Renten, die das Angebot der Tafel nutzen. Diese Form einer gemeinsamen Mahlzeit soll auch für ältere Menschen aus anderen Kulturkreisen angeboten werden.
Die Fachtagung wurde im Rahmen des Projekts Im Alter IN FORM ausgerichtet. Projektleiterin ist Dr. Cornelia Geukes (Tel.: 0228 249993-22).
Dokumentationen sowie Beratungs- und Qualifizierungsangebote gibt es auf https://im-alter-inform.de.
Impressum
horus 4/2022
Jg. 84 der Schwarzschriftausgabe
Jg. 96 der Brailleausgabe
Herausgeber
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Redaktion
- für den DVBS: Peter Beck, Andrea Katemann, Matthias Klaus und Nina Odenius
- für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner und Dr. Imke Troltenier
Koordination
DVBS-Geschäftsstelle
Sabine Hahn
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Telefon: 06421 94888-0
Fax: 06421 94888-10
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Internet: https://dvbs-online.de
Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)
Andrea Katemann (DVBS) und
Dr. Imke Troltenier (blista)
Verlag
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg
ISSN 0724-7389
Punktschriftdruck
Deutsche Blindenstudienanstalt e. V.
Am Schlag 2-12, 35037 Marburg
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Digitalisierung und Aufsprache
Geschäftsstelle des DVBS
Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg
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Schwarzschrift-Druck
Druckerei Schröder
Schuppertsgasse 2, 35083 Wetter/Hessen
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Erscheinungsweise
Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und digital (wahlweise auf einer CD-ROM oder als Download-Link). Die digitale Ausgabe enthält die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version sowie die Braille-, RTF- und PDF-Dateien.
Jahresbezugspreis 2023
35 Euro (Versandkosten Inland inklusiv).
Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
Bankkonto des DVBS
Sparkasse Marburg-Biedenkopf
IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80
BIC: HELADEF1MAR
Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.
Logo der Glücksspirale
Vorschau horus 1/2023
Schwerpunkt: "Ausbildung"
Erscheinungsdatum: 06.03.2023
Anzeigenannahmeschluss: 27.01.2023
Redaktionsschluss: 06.01.2023
Anzeigen
Kleinanzeigen
Private Kleinanzeigen bis zu einer Länge von 255 Zeichen werden kostenlos abgedruckt. Danach werden 17 Euro pro angefangene 255 Zeichen berechnet. Für gewerbliche Anzeigen senden wir gerne die horus-Mediadaten zu.
(gew.) Braille hat Zukunft, und wir wollen, dass das so bleibt! Deshalb empfehlen wir die Brailliant BI20x von Humanware:
- 20-stellige Braillezeile mit Modulen von hoher Qualität mit Cursorrouting
- Patentierte Humanware Daumentasten zur Navigation an der Gerätefrontseite
- Griffige 8-Punkte Brailletastatur für sicheres Schreiben
- Einfacher Texteditor, Taschenrechner, Dateiverwaltung, Kurzschriftübersetzer und -Rückübersetzer von RTFC
- Bibliotheksfunktion für NFB Newsline, Nls Bard und Bookshare
- Mächtiger Terminalmodus kompatibel zu NVDA und JAWS (Windows) sowie Voiceover (Ios, IpadOs und MacOS)
- Konnektivität: Bluetooth, USB-C, USB-A, Wlan, SD-Karte
Com-M Inh. Claudia Mischler-Korz, Sonderpädagogin
Martin Mischler, blinder Hilfsmittelspezialist seit 1983
Tel.: 07764 9 333 700
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Wir freuen uns auf Ihren Anruf!
(priv.) Hallo! Kurzsichtige, bald blinde junggebliebene Frau, 51 Jahre, sucht blinden Musiker und Masseur, gerne mit Migrationshintergrund, zum Heiraten. Auswanderung nicht abgeneigt.
Tel.: 0157 86597774
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- 01.2023 - Anmeldeschluss: 21.12.2022
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Für alle, die sich beruflich orientieren möchten: PROStart unterstützt bei der Ausbildungswahl im blista-Zentrum für berufliche Bildung!
PROStart
Termine: 12. bis 16.12.2022, 06. bis 10.02.2023, 13. bis 17.03.2023, 17. bis 21.04.2023, 22. bis 26.05.2023, 11. bis 15.12.2023
Bei der blista bist du richtig!
Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
blistaCampus
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Tel.: 06421 606-339
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Tel.: 06421 606-541
www.blista.de/schnuppertage
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Bundle Aktion - Beim Kauf einer Handy Tech Braillezeile erhalten Sie die kostenfreie EasyTask Help Tech Version.
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Die Software ist ein hervorragendes Werkzeug, um Arbeitsabläufe am Windows PC im Handumdrehen zu vereinfachen. Wie beispielsweise das Öffnen von Dokumenten, Programmen und Webseiten.
Mit der EasyTask Help Tech Version können wiederkehrende Arbeitsvorgänge direkt per Tastaturkürzel aufgerufen werden. Die Tastenkombinationen sind dabei vom Nutzer frei wählbar. Auch häufig genutzte Textbausteine wie z.B. Begrüßungen, Sondertexte oder Danksagungen lassen sich in Sekundenschnelle per Tastaturbefehl einfügen.
Für die kostenpflichtige Vollversion von EasyTask, welche Ihnen noch weitere Möglichkeiten bietet, wenden Sie sich bitte an Ihren Kundenberater.
Wir sind für Sie da in: Horb, Stuttgart, Köln, Marburg, Hamburg, Lüneburg
Help Tech GmbH
www.helptech.de
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Stuttgart 0711-2202299-0
Köln 0221-921556-0
Marburg 06421-690012-0
Hamburg: 040-87963121-0
Lüneburg 04131-699698-0
Bildbeschreibung: Auf dem Bild zu sehen ist die Braillezeile Active Braille auf einem Schreibtisch mit einem Notebook.
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Die EnVision Glasses ist jetzt erhältlich bei ihrem Fachhändler - IPD!
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- Kompatibel mit der EnVision App aus dem Google PlayStore & App Store
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Bild 1: Standard-Ausführung mit Titan Brillengestell. Bild 2: Ausführung mit SMITH Gestell & Brillengläsern.
Nikolauspflege
Fit für den Beruf!
Ob Ausbildung, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder berufliche Neuorientierung - wir bieten attraktive Ausbildungs- und Umschulungsplätze in über 20 verschiedenen Berufen in folgenden Bereichen an:
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Interessiert? Wir beraten gerne telefonisch.
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Tel. (0711) 6564-128
www.bbw-stuttgart.de/berufsausbildung
Mit dem QR-Code zu allen Berufen: www.bbw-stuttgart.de/berufsausbildung.
Den Menschen sehen.
Für Menschen mit Sehbehinderung oder psychischer Beeinträchtigung.
F. H. Papenmeier GmbH & Co. KG
Unser WIR für Ihren Hilfsmittel Notfall
Papenmeier Hotline Service
kostenfreie Hotline: +49 2304 205 205 (Neue Nummer! Ab 1. Januar 2022)
F.H. Papenmeier GmbH & Co. KG
Talweg 2
58239 Schwerte
Telefon: 02304-205-0
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.papenmeier-rehatechnik.de
Bild: Es ist eine Gruppe von drei RehaTechnik Mitarbeitern, zwei Männer und eine Frau, zu sehen, die lächelnd in die Kamera schauen.
SynPhon
Einfach SynPhon!
Die SynPhon GmbH entwickelt einfach zu bedienende elektronische Hilfsmittel, die blinden und sehgeschädigten Menschen das Leben erleichtern.
Der Einkaufs-Fuchs Produkterkenner sagt, was Sache ist.
Die Fledermaus Orientierungshilfe zeigt, wo es lang geht.
Der EinkaufsFuchs
Blinde Menschen stehen täglich vor dem Problem: Was befindet sich in Verpackungen? Welche ist die Lieblings-CD, und wie kann ich erkennen, ob es der gesuchte Gegenstand ist? Hier hilft der EinkaufsFuchs. Nur drei Bedienschalter machen den kompakten Produkterkenner leicht und einhändig bedienbar. Er liest die Informationen von den Strichcodes, die sich auf praktisch allen Handelsgütern befinden, mit klarer Stimme vor. Seine interne Datenbank umfasst bereits viele Millionen Produktinformationen und ist durch regelmäßige Updates stets aktuell. Der EinkaufsFuchs schafft mühelos Übersicht in Haushalt und Büro. Alles, was man verwechslungsfrei kennzeichnen möchte, kann ohne Aufwand auch selbst beschriftet werden. Besonders wichtig: Der EinkaufsFuchs ist als Blinden-Hilfsmittel von den Krankenkassen anerkannt und ist gegen Rezept vom Augenarzt erhältlich.
Die Fledermaus Orientierungshilfe
Diese Weltneuheit erweitert den Aktionsradius des Langstockes entscheidend, schützt dabei Kopf und Oberkörper und ermöglicht es, sich selbstbewusst und zielgerichtet zu bewegen. Die Fledermaus erlaubt es, mobil und orientiert zu bleiben, ohne zu tasten oder zu berühren. Erstmals werden hier die Vorteile von Infrarot und Ultraschall in einem handlichen und intuitiv zu bedienenden Gerät kombiniert. Das Besondere: Die Fledermaus kann sowohl Glastüren erkennen und entfernte Gegenstände verorten, als auch Öffnungen, wie etwa offene Türen, Durchgänge und Lücken zwischen geparkten Autos. Sie reagiert zudem auf weiche Objekte wie Polstermöbel, Felle oder flauschige Stoffe. All dies geschieht vollautomatisch, ohne dass irgendwelche Einstellungen vorgenommen werden müssen.
Weiter Informationen erhalten Sie gerne bei SynPhon unter der Telefonnummer 07250 929555 oder per Mail an E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Haben Sie Fragen? Rufen Sie an!
SynPhon
Elektronische Hilfen für Sehgeschädigte GmbH
Im Steinig 6
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www.synphon.de